153 Formen des Nichtseins - Slata Roschal - E-Book

153 Formen des Nichtseins E-Book

Slata Roschal

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Beschreibung

»Radikaler als Annie Ernaux« der Freitag

Ksenia ist Russin, sie ist Deutsche, sie ist Jüdin, sie ist unter Zeugen Jehovas aufgewachsen, sie ist eine junge Frau, Mutter, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin, ist »dies, jenes und einiges in Querung« – und gleichzeitig ist sie nichts davon. Bei der Erforschung des eigenen Identitätspluralismus sammelt Ksenia Ebay-Anzeigen, die das Wort »russisch« enthalten, notiert Gespräche von Arbeitskolleg:innen, beobachtet russische Mütter in der Stadt und israelische Verwandte auf Facebook, dolmetscht in einer Psychotherapie für Flüchtlinge, erinnert sich immer wieder an einen traumatischen kindlichen Zustand von Orientierungslosigkeit und Fremdbestimmung, betastet misstrauisch ihren Körper und fragt sich nach einer Definition und dem Wert des eigenen Daseins.

Slata Roschals originelles, bissig-humorvolles Romandebüt, eine Collage von 153 Beobachtungen aus dem Alltag einer jungen Frau, wurde 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert, erhielt 2023 den Schubart-Literaturförderpreis der Stadt Aalen und den BücherFrauen-Literaturpreis »Christine«.

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Seitenzahl: 215

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SLATAROSCHAL, geboren 1992 in Sankt Petersburg, ist eine deutsche Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie promovierte an der LMU München in der Slawistik. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise, darunter den Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern und das Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern. Auf ihre Lyrikbände Wir verzichten auf das gelobte Land (2019) und Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus (2021) folgte 2022 ihr hochgelobtes Romandebüt 153 Formen des Nichtseins.

153 Formen des Nichtseins in der Presse:

»Eines der interessantesten Debüts des [...] Literaturjahrs 2022.«Deutschlandfunk, Büchermarkt

»Das beeindruckende Zeugnis einer Bewusstwerdung, einer mühsamen Selbstermächtigung.«Süddeutsche Zeitung

»Stilistisch abwechslungsreich, formal überraschend und mit einem besonderen Gespür für die Momente der Verlorenheit [...].«Das Debüt, Jurybegründung zur Nominierung für den Bloggerpreis für Literatur 2022

»... wenn man in diesen Tagen ein Gegenmittel zu dem polarisierenden Gift des Bescheidwissens suchte – hier ist es.«Stuttgarter Zeitung

»Ein mäanderndes Buch über die Selbstermächtigung einer jungen Frau zwischen diversen Kulturen.«Jüdische Allgemeine

Slata Roschal

153Formen des Nichtseins

Roman

Die Erstausgabe erschien 2022 im Homunculus Verlag, Erlangen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: bürosüd nach einer Vorlage von Florian L. Arnold

Coverabbildung: © Florian L. Arnold

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-31993-9V001

www.penguin-verlag.de

1.

Eine alte Frau mit blondierten Haaren und pink geschminkten Lippen steht vor dem Obststand im Einkaufscenter. Sie betastet die vor ihr liegenden Melonen und fragt die Verkäuferin:

Cколькостоятдыни?

Die Verkäuferin bemerkt nicht, dass die Frage an sie gerichtet ist. Die alte Frau wiederholt langsamer: Skol’ko stojat dyni?

Die Verkäuferin sortiert weiter Zitronen.

Die alte Frau spricht noch langsamer und deutlicher: Skol’-ko sto-jat dy-ni?

Als sie keine Antwort bekommt, lässt sie die Melonen sein und geht weiter.

2.

Ich war achtzehn, er war vierzig. Er war zur Hälfte Russe, zur Hälfte Armenier, und mochte es nicht, darüber zu reden. Trotz seines starken Akzents sprach er gern Deutsch, er nannte sich nicht Georgij, sondern Georg. Wenn ich Armenisch brauchen würde, dann würde ich auch Armenisch sprechen, sagte er. Er war ein richtiger Mann, stark, potent, mit allen dazugehörigen Attributen, einem großen Mercedes und einer behaarten tätowierten Brust. Er roch nach Leder, Zigaretten und Parfüm, trug massivgoldene Ringe und er wusste genau, worin sich Frauen und Männer voneinander unterschieden. Ich stellte ihm selten Fragen, aber er wusste viel über mich, ich hatte ja auch nichts zu verbergen. Warum bist du nicht zu Hause um diese Zeit, fragte er am Telefon, und glaubte mir nicht, dass ich samstags immer Oma und Opa besuchte. Bist du eine Nutte, fragte er, als ich mit einer grellroten Handtasche auf einem Parkplatz auf ihn wartete. Einmal zog ich mir ein neues Kleid an, um darin eine Stunde lang in seinem Auto zu sitzen, er lobte das Kleid, verlangte dann aber, dass ich mir nächstes Mal etwas Einfacheres anziehen solle. Wir trafen uns im Hotel, im Auto, im Park, und ich verlangte nichts von ihm dafür, also war ich keine Nutte. Er verlangte von mir, kein Parfüm zu benutzen und bei unseren Treffen genau seinen Anweisungen zu folgen, Zeit und Ort bestimmte er. Irgendwann erklärte er, dass er mit einer Frau zusammenwohne und ein kleines Kind mit ihr habe. Eine Frau müsse den häuslichen Herd hüten, sich nicht so stark schminken wie ich, erklärte er mir in einem Café, so sei er erzogen worden, obwohl heutzutage ja alles anders sei. Er war es auch, der mich zum ersten Mal in meinem beginnenden Leben als devuška bezeichnete, etwa »junge Frau«, ein gebräuchliches Wort, das mich definierte. Nein, sagte ich, Ich bin keine devuška, in erster Linie bin ich ein Mensch, in erster Linie sind wir beide zwei Menschen.

Du als Frau, sagte er auch.

Ich bin keine Frau, sagte ich, Ich bin keine Frau.

Was bist du denn, sagte er lächelnd, Bist du etwa ein Mann.

Nein, sagte ich, Ich bin kein Mann, aber auch keine Frau.

Georgij wollte so sehr Mann sein, dass ich nicht mehr weiß, wie er als Mensch war. Wenn er im Hotel getrunken hatte, weinte er und sprach in lauter Aphorismen. Ist das Leben gut, wollte er nach der zweiten Flasche plötzlich wissen, presste sein Gesicht an meines, ich bejahte, er warf sich begeistert zurück, und ich betrachtete eine Tätowierung in Form von chinesischen Schriftzeichen auf seiner Schulter.

Mir standen in seinen Augen nur zwei Wege offen, Mutter und Ehefrau zu werden oder Nutte. Wenn ich mich schön machte, und damals fand ich riesige schwarze Augen schön, gefiel ich ihm nicht, und manchmal hatte er keine Lust darauf, mit mir zu schlafen, weil ich nicht auf seine Ratschläge hörte, und ich musste beschämt wieder nach Hause gehen.

Die Dinge, über die wir uns unterhielten, bargen so viele Definitionen in sich, dass sie zu einem Rahmen wurden, den ich nicht übertreten durfte. Wagte ich einen zu großen Schritt, hieß es: Ich sei keine Frau. Keine richtige Frau. Oder doch eben Frau. Typisch Frau. Oder keine richtige Frau, aber zum Mann würde ich es nicht bringen. Sobald ich etwas tat, das ihm nicht gefiel, machte ich als Frau etwas, das jedem Mann an seiner Stelle nicht gefallen würde. Nicht einmal als Frau, sondern als devuška, ewiges Mädchen, Halb-Frau. Ich wusste, dass ich äußerlich eine seltsame Figur abgab, mich schwankend auf hohen Absätzen fortbewegte, und doch naiv und unschuldig war, auf jemanden wartete, der mich wie Dornröschen aus einem peinlichen Traum erlösen würde, peinlich deswegen, weil die Scham für meine willenlose Sprachlosigkeit wuchs. Aber er war der Erste, der meinen damals unbeholfenen, dünnen Körper als Frau definierte, und ich konnte dieses Wort nicht gänzlich von mir weisen.

3.

Wenn du später selber Kinder hast, verstehst du das.

(internationales Sprichwort)

Meine Familie war ziemlich konservativ, aber auf ihre eigene, originelle Art. Bei uns zu Hause herrschte eine Mischung aus russischer Familientradition, sowjetischer Zensur, religiösem Fanatismus und den individuellen Spezifika meiner Eltern. In der dunklen Perestroika-Zeit, als sie mit zwei kleinen Kindern in einem WG-Zimmer hausten und ums Überleben kämpften, waren sie Zeugen Jehovas geworden und haben nicht mehr von ihrem Glauben abgelassen. Als ich vier Jahre alt war, zogen wir nach Deutschland, ich hatte einen jüdischen Großvater, der bereits in Deutschland war, diesem Großvater durften fünf andere Personen, seine Frau, seine Tochter, sein Schwiegersohn, seine Enkelkinder folgen. Mein Vater arbeitete, meine Mutter machte den Haushalt, aber sie hatte immer das Sagen, und alle Angelegenheiten, die unsere Familie betrafen, wurden von ihr entschieden. Ich mochte es, wenn ich nach der Schule nach Hause kam und Mutter nicht da war, das kam selten vor. Abends guckten wir alte sowjetische Filme, bei neueren Märchenverfilmungen und Familienkomödien durfte die Altersbeschränkung nicht über 6 Jahren liegen. Auf DVD-Hüllen strich meine Mutter mit einem schwarzen Marker alle Titel der Filmsammlungen durch, in denen Unsittlichkeit, Gewalt und Spiritismus vorkamen, diese drei Begriffe waren bei uns eine Art Zauberformel des Bösen. Wenn niemand zu Hause war, schaute ich mir diese Filme heimlich an, die zaghafteste Anspielung auf die menschliche Sexualität faszinierte mich. Das nicht ganz zugeknöpfte Hemd von Sergej Sergeevič wies auf die Schändung der tugendhaften und musikalisch begabten Larisa Dmitrievna hin, aber was genau ereignete sich in der Schiffskajüte zwischen den beiden (»Žestokij romans«). Wie hartnäckig versuchte der charmante Geheimrat die puppenartige Nasten’ka zu verführen, während er ihren Vater im Gefängnis hielt, oh hätte er sie doch verführt (»O bednom gusare«)! Schließlich zeigte die Kellnerin eines provinziellen Bahnhofrestaurants ‒ endlich ‒ ein wenig Brust, als sie sich hastig mit einem kaukasischen Melonenverkäufer im Zugabteil auszog (»Vokzal dlja dvoich«).

Diese 80er-Jahre-Filme waren die Büchse der Pandora, aus der ich etwas über die Welt erfuhr. Wahrscheinlich waren diese Filme damals mit einem ähnlichen Gefühl gedreht worden, mit dem ich sie mir zwanzig Jahre später anschaute ‒ vorsichtig, wenn keiner der Mächtigen hinguckte, mit geheimer Freude und Provokation, aber auch Angst. Schließlich stellte ich die DVD zurück an ihren Platz, schaltete den Fernseher und den DVD-Player aus, entfernte den DVD-Adapter aus dem Fernseher und strich den Teppich glatt.

Obwohl ich schon als Kind sehr kurzsichtig war, trug ich keine Brille, da ich glaubte, sie würde mich noch hässlicher machen. Erst mit sechzehn kaufte ich mir gegen den Willen meiner Mutter Kontaktlinsen und sah die Welt auf einmal scharf.

4.

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5.

Es war ein goldener Ohrring mit einem kleinen Brillanten, irgendwo im Erdgeschoss in der Mensa musste er sein, ich schrieb Anzeigen, klebte sie auf Pinnwände, schrieb in ein studentisches Forum, ging zur Information, ob jemand vielleicht einen goldenen Ohrring, den Brillanten sparte ich aus, die Frau wunderte sich und lächelte und ich schämte mich. Ein anderes Mal ein Ring mit einem kleinen, ungemein teuren Rubin (ich hab schon immer gesagt, kauf nichts bei den deutschen Juwelieren, bestell bitte aus dem russischen Katalog, hier, und jetzt hast du es), er war mir zu groß geworden und einfach vom Finger geglitten, irgendwo zwischen dem dritten und vierten Gleis des Ostbahnhofs, in der Nähe des Getränkeautomaten, dort, wo abends Mäuse herausgelaufen kommen, nach Krümeln, vielleicht auch Ringen suchen, sie in ihren Vorratskammern unterhalb des Getränkeautomaten verstecken.

6.

Es gab Luftballons, grüne und rote, als wir am Bahnhof verabschiedet wurden, dann aufklappbare Betten mit dünnen Decken, drei Tage, zwei Nächte, geduldsame Zeit. Man sagte, die belorussische Grenze sei die schlimmste, nachts kamen Männer, fragten nach Pässen, Taschen, Inhalten, leuchteten mit einer Taschenlampe in unsere Gesichter. Es gefiel ihnen nicht, dass in Mutters Pass der Stempel auf dem Foto nicht zu sehen war, als wäre die Fotografie nachträglich reingeklebt worden, mit so einem Pass dürfe sie nicht weiterfahren, wir begannen, die Sachen zu packen, Vater ging mit den Männern in den Flur vor dem Abteil und sagte, dass wir kein Geld hätten, wir müssten dann aussteigen, die Männer berieten sich, dann kam einer und gab uns den Pass zurück und wir fuhren weiter. Wobei, das passierte nicht im ersten Zug, da waren ja gar keine Luftballons, es muss später gewesen sein, bei einer der Fahrten im zitternden Waggon, der Zugbegleiter, provodnik, brachte Tee in dünnen Gläsern in metallischen Haltern, im Flur wurden Bekanntschaften mit den Nachbarn geschlossen.

Ob die Männer den Pass wirklich für gefälscht hielten oder einfach nur nach einem Anlass suchten, ihr Gehalt aufzustocken, ob sie in anderen Abteilen erfolgreicher gewesen sind, jedenfalls sahen wir arm genug aus, um die Grenze zu passieren.

7.

https://www.jw.org/de/bibliothek/musik-lieder/singt-voller-freude/62-das-neue-lied/

Lied 62

Das neue Lied

(Psalm 98)

1. Singt das neue Lied! Den großen Schöpfer damit ehrt!

Wunderbar ist alles, was er tat und tun wird.

Preist Jehovas Macht! Sein starker Arm hat oft befreit.

Er wird immer siegen,

er liebt Gerechtigkeit.

(REFRAIN)

Singt, singt, singt!

Das neue Lied erklingt.

Singt, singt, singt!

Jehova Rettung bringt. […]

Lasst uns beten.

Allmächtiger Vater. Wir danken Dir dafür, dass Du uns heute versammelt hast, danken Dir für Deine Gaben, für die geistige Speise, die Du uns immer wieder gibst. Segne auch all diejenigen, die heute nicht mit uns zusammen sein konnten, diejenigen, die mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, und segne unser heutiges Beisammensein. Im Namen Deines Sohnes Jesus Christus. Amen.

8.

Mein Bruder und ich wussten nicht, wer wir waren. Während sich unsere Eltern eindeutig als nach Deutschland gekommene Russen mit ‒ der Legende nach ‒ jüdischen Wurzeln bestimmen ließen, so waren mein Bruder und ich Russen, Deutsche, Juden, alles in einem, ohne dass es eine Bezeichnung dafür gab. Der Bekannten- und Freundeskreis meiner Eltern war russisch, darunter auch russischsprachige Armenier, Kasachen oder Ukrainer. Ich las viel russische Literatur, hatte aber eine vage Vorstellung von der russischen Rechtschreibung, mit der ich erstmals im Slawistikstudium konfrontiert wurde. Der Glaube der Zeugen Jehovas hatte viel an Jüdischem, trotz seiner Aufhebung durch Christus war das Alte Testament weiterhin leitgebend, in dieser Hinsicht passte dieser Glaube gut zu meiner Mutter, die viel Wert auf ihre jüdische Abstammung väterlicherseits legte, und davon überzeugt war, dass alle talentierten Menschen der Welt Juden seien, was sie meinem Vater an Einstein, Heine, Mandel’štam und deren gebogenen Nasen zu beweisen versuchte. Wenn ich zu unterschiedlichen Anlässen gefragt wurde, wie ich nach Deutschland gekommen war, wusste ich zunächst nicht, ob ich das mit dem Jüdischen sagen sollte, bis ich merkte, dass dieser Tropfen jüdischen Blutes in mir in Deutschland als exotisch gilt und zum Vorteil gereicht. Bei den vielen Definitionen des Jüdischseins, dachte ich mir, mütterlicherseits, väterlicherseits, als Religion, als Rasse, als Nationalität, ist es ohnehin schwierig, klarzustellen, wer jetzt Jude ist und was das überhaupt heißt. Jeden Samstagabend gingen wir zu Oma und Opa und guckten im Fernsehen russische, deutsche und israelische Nachrichten, lasen russische Illustrierte, in denen es um Familie und Beziehungen ging, Opa las auch eine jüdische Zeitung, die ich ein paar Mal aufschlug und langweilig fand. Mein Opa hörte sich prinzipiell beide Neujahrsansprachen an, auf Russisch und auf Deutsch, und ärgerte sich gleichermaßen über die zur Schau gestellte Gläubigkeit ehemaliger KGB-Offiziere wie über die geschmacklosen Anzüge von Frau Merkel. Zum Abendessen ging er persönlich in die Küche, halbierte mit dem großen gezahnten Messer Weizenbrötchen, holte die gemusterte Wachsdecke aus der Kommode und breitete sie auf dem Tisch aus.

9.

Ich und Goršenev, der schon gestorben, und Samojlov, der Jüngere, der bestimmt auch bald, ich glaube genau zu wissen, was sie so schön macht, glaube sie so gut zu verstehen, ihre alkoholschweren Lider, ihre heroinblassen Augen, sie sind vierzigjährige Teenager, und ich, wenn ich immerjung, wenn ich ihr Freund und ihre Frau und Schriftsteller, was nicht gelingen kann, und alles, alles sein könnte für sie und sie für mich, was würden wir glücklich werden.

10.

Erwachet! | Nr. 2 2019

https://www.jw.org/de/bibliothek/zeitschriften/erwachet-nr2-2019-jul-aug/selbstbeherrschung

WARUMISTSELBSTBEHERRSCHUNGWICHTIG?

Wenn ein Kind Selbstbeherrschung hat, kann es einer Verlockung widerstehen, selbst wenn sie kurzfristige Vorteile verspricht. Ein Kind, dem es schwerfällt, sich zu beherrschen, neigt dagegen eher zu

aggressivem Verhalten

Depressionen

Tabakkonsum, Alkohol- oder Drogenmissbrauch

ungesundem Essverhalten

Einer Studie zufolge besteht bei Kindern, die sich beherrschen können,im Erwachsenenalter ein geringeres Risiko für Gesundheitsprobleme, finanzielle Schwierigkeiten und kriminelles Verhalten. Daraus zieht Professorin Angela Duckworth von der University of Pennsylvania den Schluss: »So etwas wie zu viel Selbstbeherrschung gibt es wahrscheinlich nicht.«

WIEKINDERSELBSTBEHERRSCHUNGLERNEN

Lernen Sie, Nein zu sagen und dabei zu bleiben.

GRUNDSATZAUSDERBIBEL:»Euer Ja soll einfach ein Ja sein und euer Nein ein Nein« (Matthäus 5:37). […]

Heute Ihr Nein zu hören, wird Ihrem Kind morgen helfen, selbst Nein zu sagen — zu Drogen, Sex vor der Ehe oder anderen Dingen, die ihm schaden.

11.

8.6.2016, Granada

Zuerst dachte ich, alle seien zu dieser Konferenz angereist, um einen Urlaub auf Kosten ihres jeweiligen Instituts zu machen und zwischen den kostenlosen Mahlzeiten in der Aula eine exotische Stadt zu erkunden, um möglichst viele handbestickte kunstseidene Kosmetiktäschchen, Lavendelseife und bunte chinesische Fächer zu kaufen, eine gutmütige Stimmung.

Der Organisator der Konferenz kam bei seinem Eröffnungsvortrag auf seine Gotteserfahrung zu sprechen, die er vor Kurzem in einer benachbarten katholischen Kirche gemacht habe, die übrigens seit fünf Jahrzehnten regelmäßig von der Mutter Gottes heimgesucht werde, was mindestens drei Zeugen bestätigen könnten. Ich war die Einzige im Saal, die das beunruhigte. Dann wurden Kaffee und Orangensaft getrunken, Muffins verschlungen und man konnte die Vortragenden aus der Nähe beobachten, wenn man versuchte, sich zwischen ihnen zu den Muffins durchzudrängeln, allesamt Männer, alt und bärtig. Jeder schien jeden zu kennen, man sprach sich mit Vornamen an und bat, einem bitte doch von dem Saft dort einzugießen, sie hatten allesamt Hunger und Durst, ich zwar auch, aber ich war jung, viel jünger als der durchschnittliche Konferenzteilnehmer, und hatte das Recht, Unmengen von Muffins zu essen, bei ihnen blieben die einfachen Kohlenhydrate am Bauch hängen, darf ich bitte durch, oh, I’m sorry, izvinite, lo siento, haben Sie noch Muffins. Nur die Toilette still und gemütlich, eine ältere Frau kämpfte mit dem automatischen Wasserhahn, ich holte einen Lippenstift heraus (in russischen Kreisen ist das erlaubt). Später erklärte ein Mitarbeiter des Dostoevskij-Museums Sankt Petersburg, dass Raskol’nikov aus Dostoevskijs »Verbrechen und Strafe« seine Entwicklung doch im Einklang mit dem russisch-orthodoxen Kirchenjahr vollzogen habe. Eine bekannte Dostoevskij-Forscherin aus gleichen Kreisen erinnerte den Vortragenden daran, dass ein Mord eine Todsünde sei, eine zur ewigen Verdammnis führende Todsünde, das könne man nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen, und alle Beschönigungen des durch Raskol’nikov begangenen Mordes seien ebenfalls verbrecherisch. Ihre Bemerkungen zum Vortrag erhielten Applaus. Ein anderer merkte an, dass eine Weiterführung des Romans in Form eines zweiten Bandes wohl in Einklang mit dem russisch-orthodoxen Glauben zu bringen und deshalb nicht als unwahrscheinlich abzulehnen sei, wohingegen drei Bände etwas anderes seien, drei Bände schlössen neben der Hölle und dem Paradies das Fegefeuer ein, das nichts zu suchen habe bei einem russisch-orthodoxen Autor, dem Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. Der zweite Vortrag war auf Englisch, ein Drittel habe ich nicht verstanden, zwei Drittel wollte ich nicht verstehen, also begann ich, mein Namensschild und den Kugelschreiber auseinanderzubauen. Von meinem Kind zu Hause habe ich gelernt, keine Minute sinnlos zu verbringen, keine Minute ohne Beschäftigung, also baute ich alles auseinander, was in meiner Nähe auseinanderzubauen war, bis mir ein Teil, die Kugelschreibermine, auf einmal aus dem Schoß fiel und langsam Richtung Treppe rollte, ich ihr hinterherlief und irritierte Blicke auf mich lenkte.

12.

Wir waren in einer Ferienwohnung im Erdgeschoss eines Schweizer Bauernhauses, jeder hatte ein eigenes Zimmer, es war kalt und verregnet, und dann begann Mutter zu bluten. Sie stand mit nackten Füßen in der Dusche, krempelte die Hosen hoch, und die Blase, mit der sie versehentlich gegen die Tür gestoßen war, war geplatzt, blutete ununterbrochen. Vater lief besorgt durch die Wohnung, suchte nach Verbandsmaterial, ein Pflaster hätte diese Blutwucht nicht getragen, und ich warf einen Blick ins Badezimmer und ging dann schnell auf mein eigenes Zimmer, nahm mir irgendeine Zeitschrift, während Vater durch die Wohnung rannte und auf mein gleichgültiges Gesicht wütend war. Mutters Mittelzeh war länger als ihr großer Zeh und ragte spitz hervor, ihre Nägel waren lang und rund geschnitten anstatt gerade, sodass sie über die Haut hinausgingen, und in der Zeitschrift las ich von einem muslimischen Model, einer Frau, die sich weigerte, ihre Füße zu entblößen, und solidarisierte mich mit ihr.

13.

Manches übernahm ich einfach, Mutter mochte zum Beispiel keine großen roten Rosen, und ich sagte, dass ich keine großen roten Rosen mochte, es stimmte ja, ich mochte sie tatsächlich nicht, hatte zarte Sträuße lieber, Astern, Nelken, Schleierkraut, und ich übernahm es von meiner Mutter, die vielleicht zu oft Blumensträuße bekam.

14.

Dann die Röcke, diese Röcke, immer das gleiche Problem, neue Röcke wurden schnell kurz und kürzer und bedeckten schließlich nicht mehr die Knie, beim Sitzen wurden sie noch kürzer, beim Bücken bedeckten sie auch hinten nichts mehr, und Mutter wusste nicht, dass ich sie extra hochzog und umkrempelte oben und kleine Falten reinnähte, um sie enger und kürzer zu machen.

15.

Sie können sich noch so gut tarnen, die Russischsprachigen der ersten Generation, ihre weiche Aussprache, ihre runden Vokale, ihre Kleidung verraten sie. Ich könnte als Detektiv arbeiten und sie ganz nebenbei aufspüren, Mitreisende, Passanten, Vortragsredner, Mütter in Kindergärten, in Musikschulen, auf Spielplätzen, sprecht ein noch so gutes Deutsch, ich weiß, wer ihr seid, wisst ihr, wer ich bin.

In der Straßenbahn sprechen Eltern deutsch mit ihren Kindern, um nicht als Ausländer zu gelten, um zu zeigen, wie gut sie sich assimiliert haben, sich aufgelöst in der deutschsprachigen Umgebung, und ich sitze da und lache vor mich hin ‒ ich höre sofort den russischen Akzent heraus, sehe, dass die Mutter eine Kette aus Rotgold trägt, sie können mir nichts vormachen.

16.

Im Hotelzimmer lässt sich die Tür von innen verriegeln, indem man einen kleinen metallischen Hebel seitwärts stellt, so gesehen gibt es kein richtiges Schloss, nur die breite Türklinke, die durch den Kontakt mit einer Plastekarte nachgibt. Aber den kleinen Riegel, den gibt es, eine Spur von Privatsphäre, Sicherheit und Intimleben. Ich liege breitbeinig auf dem Bett, ohne Strumpfhose, die alte habe ich ausgezogen und in den Mülleimer geworfen, weil sie ein Loch hatte, die neue hängt auf dem Stuhl bereit, ich liege also auf dem Bett und lackiere die Fußnägel, warte, bis sie getrocknet sind und ich die Strumpfhose anziehen kann, es klopft einmal an der Tür, die Tür fliegt auf, eine Putzfrau mit einem Stapel Handtücher. Der kleine Riegel ist also nur eine optische Täuschung, ein geschicktes Manöver, es steckt mehr dahinter, als man denken mag. Spätabends, das Licht ist schon ausgeschaltet, übergibt sich ein Mann im Nebenzimmer. Ich höre die pressenden, würgenden Geräusche, als wäre der Mann in meinem Zimmer, endlich kommt es raus und er drückt die Spülung und es wird wieder still und ich schlafe ein. Am nächsten Morgen höre ich, was er auf der Toilette macht, wie es Männer auf der Toilette machen, ich öffne das Fenster in meinem Zimmer und denke nach. Er geht zum zweiten Mal duschen, vielleicht ist er ein Moslem, vielleicht hat er keine Feuchttücher dabei, haben Männer überhaupt Feuchttücher dabei, besonders auf Reisen, um sich zwischendurch die Hände abzuwischen oder die T-Zone zu reinigen, die Stirn-Nasen-Kinn-Partie, warum fahren Männer weg, um sich in kleinen Einbettzimmern zu übergeben, er geht, kommt wieder zurück, hat sich wohl etwas an der Rezeption geholt oder etwas gefragt, hoffentlich macht er nichts mehr, hoffentlich hat er vorhin alles erledigt. Wenn er wüsste, dass ich im Nebenzimmer bin und alles höre, was er von und aus sich gibt, hat er mich vielleicht schon mal im Flur gesehen, zufällig, ist an mir vorbeigegangen und hat sich irgendwas dabei gedacht, irgendwas dabei gesagt, denn auch ich war heute und gestern mehrmals im Bad, habe manches getan, was junge Frauen nicht tun, habe geduscht, telefoniert, geschlafen, wieder geduscht, die Haare geföhnt, wieder telefoniert, hat er alles mitbekommen, weiß er jetzt alles von mir, außer meinem Namen, aber auch den hätte er irgendwie herausbekommen oder heraushören können aus den Monologen am Telefon, jetzt seufzt er und geht ein paar Schritte auf und ab in seinem Zimmer und legt sich hin und bleibt jetzt hoffentlich einfach liegen und macht nichts dabei. Aus Versehen mache ich einen unbedachten Schritt, stelle den Fuß falsch, der Fußboden knarrt, die Holzdielen, die von meinem Zimmer direkt in das seine verlaufen, in meinem Zimmer senkt sich eine Diele, in seinem Zimmer hebt sich eine Diele und sein Bett fängt an zu quietschen. Wenn er sich heute Abend übergeben sollte, wie gestern, werde ich an die Wand klopfen, aber was, wenn er daraufhin zurückklopft und auf eine Antwort wartet oder wenn er sich mit Absicht ein zweites Mal erbricht oder nur so tut, um mich nicht einschlafen zu lassen, oder wenn er auf einmal vom Flur aus an meiner Tür klopft, genervt, verärgert, betrunken, mitten im Vorgang des Erbrechens gestört, und ich weiß nicht mehr, ob ich die Tür verriegelt habe, ich rolle mich auf dem Bett zusammen, ziehe den Kopf unter der Decke ein, klein, hilflos, im Slip und in einem langen dünnen T-Shirt, mit gerade gewaschenen, nassen Haaren, die Kontaktlinsen liegen im Bad, bis ich sie eingesetzt und mich angezogen habe, vergeht Zeit, was mache ich dann, soll ich ihm aufmachen, jetzt seufzt er wieder und gähnt und geht ins Bad.

17.

https://deti.mail.ru/forum/

Achtung, wird länger

Mädels, wie soll ich mich beruhigen? Ich dreh noch durch hier

Nach der Geburt unseres Sohnes hat mein Mann angefangen, sich unmöglich zu verhalten, er rastet schnell aus, schreit herum. Von diesem Geschrei werde ich ganz nervös

Vor der Geburt unserer Tochter war mein Mann 6 Jahre lang nicht so. Ich bin mir sicher, dass sein Verhalten vorübergehend ist

Ich will einfach unsere Familie bewahren

Mein Mann war normal, aber als wir ein Kind bekommen haben, hat er aufgehört zu arbeiten und sich dann eine andere gesucht

Danke. Meine Kinder sind wirklich alles für mich

Ich suche nicht nach Leuten, für die ich interessant bin, mir ist meine Familie wichtig

Denn Männer sind im Grunde genommen auch Kinder

Vieles hängt von der Frau ab

Wir provozieren oft selbst Streit. Manchmal muss man sich einfach zurückhalten

Alles kommt mit der Erfahrung