18 Kilometer bis Ljubljana - Goran Vojnović - E-Book

18 Kilometer bis Ljubljana E-Book

Goran Vojnović

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Beschreibung

"Das Leben ist ein Sonntagnachmittag, wie Radovan sagen würde. Lang und langweilig, und nimmt ein schlimmes Ende." Widerwillig kehrt Marko in seine alte Heimat zurück. In Fužine, dem Vorort von Ljubljana, ist nichts mehr so, wie es war. Die Leute hängen nicht mehr in Trainingsanzügen vor dem Block ab. Die Jugendlichen beschmieren keine Aufzüge mehr und sehen jetzt aus wie brave Geklonte. Er gehört nicht mehr hierher und fühlt sich wie ein Außerirdischer. Seine Freunde sind Junkies oder zum Islam konvertiert, sein Vater hat einen Tumor und tut so, als ginge ihm das am Arsch vorbei. Nach zehn Jahren in der bosnischen Provinz bei Oma und Opa und nach einer unglücklichen Liebe zu einer abgefahrenen Muslimin versucht er dort, wo er nie zu Hause war, seinen Platz zu finden.

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„Das Leben ist ein Sonntagnachmittag, wie Radovan sagen würde. Lang und langweilig, und nimmt ein schlimmes Ende.“

Widerwillig kehrt Marko in seine alte Heimat zurück. In Fužine, dem Vorort von Ljubljana, ist nichts mehr so, wie es war. Die Leute hängen nicht mehr in Trainingsanzügen vor dem Block ab. Die Jugendlichen beschmieren keine Aufzüge mehr und sehen jetzt aus wie brave Geklonte. Er gehört nicht mehr hierher und fühlt sich wie ein Außerirdischer. Seine Freunde sind Junkies oder zum Islam konvertiert, sein Vater hat einen Tumor und tut so, als ginge ihm das am Arsch vorbei. Nach zehn Jahren in der bosnischen Provinz bei Oma und Opa und nach einer unglücklichen Liebe zu einer abgefahrenen Muslimin versucht er dort, wo er nie zu Hause war, seinen Platz zu finden.

„Irre komisch, irre rasant, irre großartig!“ taz

„Ein wahrhaft großes Stück europäischer Literatur.“ Bayerischer Rundfunk

Foto: © Mankica Kranjec

Goran Vojnović, geboren 1980 in Ljubljana. Bereits mit seinem Debütroman Tschefuren raus! hat er mit der Darstellung von Polizeigewalt einen öffentlichen Skandal ausgelöst. Ihm geht es stets unsentimental und doch berührend um Identitätssuche und kulturelle Offenheit. Auch als Filmregisseur entwirft er in starken Bildern ein Sittenbild der postjugoslawischen Gesellschaften.

Vojnović ist einer der erfolgreichsten slowenischen Schriftsteller der Gegenwart, seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt.

Bei Folio sind erschienen: Vaters Land (2016), Unter dem Feigenbaum (2018), Tschefuren raus! (2021)

Klaus Detlef Olof ist der Grandseigneur der Übersetzer südslawischer Literaturen. Früher Professor an den Unis Klagenfurt und Graz. Er übersetzte France Prešeren, Miroslav Krleža, Drago Jančar, Ana Schnabl u. v. a. Österreichischer Staatspreis für Übersetzung.

Goran Vojnović

18 Kilometer bis Ljubljana

Roman

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof

Inhalt

1. Weshalb ich noch immer keinen Fußballklub habe

2. Weshalb alle glücklichen Familien gleich sind

3. Weshalb die Kredite die Tschefuren vernichtet haben

4. Weshalb auch die Tschefuren Behinderte sind

5. Weshalb Ćućić Unprofor geworden ist

6. Weshalb Slowenien im Basket nichts reißt

7. Weshalb das Leben auch die stärksten Kerle schafft

8. Weshalb die Tschefuren keine Aufzüge mehr vollschmieren

9. Weshalb die Tschefuren alle unsere Leute sind, in Wirklichkeit aber keiner

10. Weshalb es besser ist, ein Junkie zu sein als ein Wahhabit

11. Weshalb die Tschefuren Festnetz haben

12. Weshalb die Tschefuren Zirkusartisten geworden sind

13. Weshalb die Tschefuren keine Büros haben

14. Weshalb Tschefuren glücklich sind, wenn sie Ćućić kennen

15. Weshalb alle Tschefuren die gleiche tepsija haben

16. Weshalb wir Tschefuren nicht zu jammern haben

17. Weshalb du dem Krebs nicht die Mutter ficken kannst

18. Weshalb selbst ein Schwan ein Tschefur sein kann

19. Weshalb Fužine eine Schlafsiedlung ist

20. Weshalb Marko Đorđić ein ganz normaler Slowene ist

21. Weshalb der Vater für die Tschefuren ein Gott ist

22. Weshalb die Tschefuren im eigenen Trauma Urlaub machen

23. Weshalb Serbien das Finale gewinnen wird

Anmerkungen

Auch nach allem ist alles dasselbe.

Aus dem Song Paranoia der Partibrejkers

Allen Tschefuren und denen,die erst welche werden wollen

1. Weshalb ich noch immer keinen Fußballklub habe

Ich habe noch immer keinen Fußballklub! Nur dass mich das völlig kaltlässt. Es geht mir am Arsch vorbei, dass der Ball rund ist und bei den einen ins Tor geht und bei den anderen ins Aus. Und dass sich die einen in den Armen liegen wie die Schwuchteln und die anderen sich selbst in den Arsch beißen. Für mich ist das alles gewöhnlicher Fotzenrauch. Da sprinten junge, gesunde Burschen auf dem Rasen herum, eine Schwuchtel von Schiri pfeift irgendwas, die Leute drohen seiner Familie mit Notzucht, zwei Mal eine Dreiviertelstunde lang, wie die Slowenen sagen würden, und das war’s dann. Die Heimmannschaft hat wieder mal drei Punkte im Kampf um den Klassenerhalt verbucht, die Leute haben sich wieder mal über einen Sonntag hinweggerettet. Das Leben ist ein Sonntagnachmittag, wie Radovan sagen würde. Lang und langweilig und nimmt ein schlimmes Ende. Aber auf die Nordtribüne des Marakana gehst du nicht wegen dem Fußball. Auf die Nordtribüne gehst du, um dich zu treffen. Unten auf dem Spielfeld könnten die Invaliden Videospiele spielen, uns hier oben würde der Schwanz platzen. Denn wir hier oben spielen unser eigenes Spiel.

„Die Stärksten sind wir, die Stärksten! Zigeuner sind wir, Zigeuner!“

Gut, vielleicht schaust du die ersten paar Mal noch das Spiel, und dich ärgert der Linienrichter und der Linksaußen, den sie in die zweite ungarische Liga verkaufen wollen und der deshalb spielen muss, obwohl er Fußball nicht mal im TV schauen dürfte. Am Anfang ging mir das ganze Tschetnik-Gedöns auf den Sack, richtig gehasst habe ich die Bärtigen auf den Transparenten und den T-Shirts und alles das, aber dann wirst du locker. Die Gemeinschaft ist wie eine Droge, Bruderherz. Du wirst süchtig. Beim ersten Mal fühlst du dich ein bisschen schlecht, wenn du „Raaatko Mladić!“ brüllst, und hast so was wie ein schlechtes Gewissen, beim zweiten Mal hast du es nicht mehr, und beim dritten Mal passt es schon. Denn du brüllst nicht allein, du brüllst zusammen mit dreißigtausend anderen Idioten. Und zwar mit genau solchen Idioten, wie du selbst einer bist. Das passiert tatsächlich. Du stehst auf der Nordtribüne vom Marakana, inmitten von dreißigtausend Verrückten, und brüllst mit einer Stimme.

„Serbien! Serbien! Serbien!“

Du spürst direkt deine Eier in der Hose anschwellen. Und es ist völlig egal, was du brüllst, Hauptsache, du brüllst. „Raaatko Mladić!“ oder „Duuule Savić!“, das ist auf der Nordtribüne alles derselbe Schwanz.

Das kapieren normale Leute nicht. Sie kapieren nicht, dass mir Ratko Mladić und die Tschetniks und die Srebrenica-Messerschlitzer am Arsch vorbeigehen. Sie kapieren nicht, dass ich nur deshalb ins Marakana gehe, um wen zu umarmen. Und dass mich wer umarmt. Echt, das kriegst du nicht geschnallt, wenn du nicht da warst. Du kriegst nicht geschnallt, dass es auf der Nordtribüne egal ist, ob meine Verwandten und ich vom Kalemegdan ins Marakana hineinspaziert sind oder ob wir aus dem beschissenen Bijeljina angestunken kommen. Weil das hier alles wir sind. Dreißigtausend Brüder habe ich hier. Zusammengekommen, um wieder mal die Sau rauszulassen.

Scheiß drauf, die einen gehen auf Facebook, wir gehen ins Marakana und zeigen allen Schwuchteln, Skipetaren, Cowboys, Ustascha, balije, Orang-Utans und sonst wem den Stinkefinger, den man ihnen zeigen muss. Im Wesentlichen allen, die dir im Leben auf die Nerven gehen. Allen Ehefrauen, Geliebten, Briefträgern oder Kretins, die dir bei der FIFA 17 auf den Sack gehen. Denn so ist das im Leben. Entweder du zeigst den Kretins den Stinkefinger oder sie zeigen ihn dir. Und mir haben verschiedene Kretins voll einen reingehängt, aber jetzt zeige ich denen im Marakana, was sie mich alle können.

„Serbien! Serbien! Raaatko Mladić! Ich fick euch eure Mutter!“

Ihr werdet mich nicht mehr ficken! Ich werde nicht mehr euer Tschefur sein! Ich werde nicht mehr euer Janez, Bosanac, Serbe, Flüchtling, Slovenac, Zugewanderter, Kanake sein! Ich werde nicht länger weder von da unten noch von da oben sein, kein Versager und kein Schmarotzer. Nichts werde ich mehr sein.

„Raaatko Mlaadiić!!!“

Ich bin ein Nichts und Niemand. Marko Đorđić. Zwei đ und ein weiches ć. Und Punkt. Klar? Ist das klaaaaar?!

„Serbien! Serbien!!!“

Aber was red ich denn. Ich könnte bis morgen früh reden und keiner würde mitkriegen, dass ich kein delija und kein Tschetnik bin. Und dass ich auf Roter Stern scheiße und auf den Fußball. Von uns fünf, die wir zusammen ins Marakana gehen, interessiert sich in Wirklichkeit nur Branislav für Fußball. Er tut das wirklich. Er hat Fußball trainiert und schaut noch immer ganze Wochenenden die englische und spanische Liga, um uns dann zu erklären, warum Real im Arsch ist und warum Liverpool in ein oder zwei Saisonen überfickbar sein wird. Der Rest von uns geht hin, um da zu sein, wie mein Fužine-Nachbar Senad sagen würde. Und weil die Stimmung im Marakana an Sonntagen besser ist als in Bijeljina. Und weil es in Belgrad bessere Tussis gibt. Und weil Nebojša eine Belgraderin knallt.

Nebojša fährt mit uns nur nach Belgrad, er geht überhaupt nicht zum Spiel. Und dann erzählen wir ihm auf der Fahrt zurück vom Spiel, und er erzählt uns, wie er sie geknallt hat. Und jedes Mal hackt Rile auf ihn ein, dass er das nächste Mal allein zum Spiel geht, und dass Branislav, Zeko, ich und er derweil seine Studentin knallen werden. Damit wir sehen, ob das wirklich besser ist als Marakana und Fußball und der ganze Wahnsinn. Und jedes Mal sagt die Schwuchtel von Branislav, dass wir knallen können, wen wir wollen, aber er wird schön seine Jelena knallen und fertig.

Und dann hacken wir bis Bijeljina alle auf Branislav herum, weil er so dumm ist, dass er in den besten Jahren nur eine Alte knallt, und er erklärt uns todernst, dass es besser ist, jeden Tag eine Alte zu knallen als alle halbe Jahr andere Weiber. Aber wir lassen ihn ein bisschen seinen Scheiß verbreiten und fragen ihn dann, ob es besser ist, einmal alle halbe Jahr ins Marakana zu gehen, um sich Roter Stern gegen Partisan zu geben, oder sich jeden Tag zu Hause in der Glotze die Wiederholung von Čukarički gegen Borac aus der Saison 2014/15 reinzuziehen.

„Serbien! Serbien!“

Und hier wälzen wir uns schon vor Lachen, und Branislav erklärt beleidigt, dass Čukarički und Borac überhaupt nicht in derselben Liga spielen, nur dann verklickert ihm Nebojša, dass er und Jelena auch nicht in derselben Liga spielen, denn sie ist zweite spanische Liga und steigt, wenn sie es schafft, sich nicht allzu sehr aufzudonnern, sogar in die erste auf, während er in der dritten Freizeitliga der Republika Srpska spielt.

Und so weiter, Stich auf Stich, bis ganz nach Bijeljina. Bis zum Montag.

*

Nur, wenn ich ehrlich bin, würde ich auch mit Freuden jeden Tag dieselbe Tussi knallen. Wenn diese Tussi nicht nach Singapur gegangen wäre und wir noch immer zusammen wären, und wenn wir zusammen nach Deutschland oder Schweden gegangen wären, wär alles erste Sahne gewesen. Aber was willst du machen, wenn ihr Deutschland und Schweden zu nah an Bosnien waren und sie angefangen hatte, von dem beschissenen Singapur zu träumen. Ja, so ist das nun mal, mein Freund. Früher war den Bosniern Slowenien zu weit, und jetzt ist ihnen Schweden zu nah.

„Dort wird sie wenigstens keine Bosnierin sein“, sagte Ranka, als sie hörte, dass sie nach Singapur gegangen ist. Denn was wissen die Singapurer, was Bosnien ist, nicht wahr, Ranka? Ranka kennt sich aus mit Singapurern und so.

„Sie wird was anderes sein, wenn sie keine Bosnierin sein will. Immer bist du etwas. Wo immer du hingehst. Nur für deine leibliche Mutter bist du Marko und nichts weiter“, antwortete Radovan, der auf seine alten Tage so klug geworden war, dass einem der Kopf wehtat.

Es ist sowieso egal, was sie in Singapur ist. Selbst wenn sie die verstunkenste Tschefurin ist, wird sie nicht zurückkommen. Und selbst wenn sie es täte, was würde sie mit mir anfangen? Mit einem Bauern, der jeden Sonntag „Raaatko Mladić!“ brüllt? Scheiß drauf, das kannst du einem Weiberhirn nicht verklickern. Ein Weiberhirn kapiert nicht, was das für ein Feeling ist, wenn dreißigtausend Menschen mit dir zusammen brüllen. Es kapiert einfach nicht, dass es egal ist, was du brüllst, weil der Kick nur darin besteht, dass die Stimmung kocht bis an die Eier. Ein Weiberhirn kapiert einfach nicht, dass es dasselbe ist wie bei den Bläsern, wo der Witz nicht in der Musik oder in der Melodie steckt, sondern im Blechton, der dir die Rübe röstet. Ein Weiberhirn kapiert einfach nicht, dass Bläser alles Mögliche spielen können, auch Avsenik, wenn du willst, aber sie wird dir trotzdem wegfahren. Das kapiert ein Weiberhirn nicht. Ein Weiberhirn sagt nur, dass ihm die anderen egal sind, du aber nicht. Ein Weiberhirn sagt, dass es keinen Mann will, der aus dem Fenster springt, nur weil alle anderen aus dem Fenster springen. Ein Weiberhirn sagt, dass es keinen Mann will, der „Raaatko Mladić!“ brüllt.

Und deshalb ist es besser, dass das Weiberhirn nach Singapur geht, denn in Bijeljina sind alle Männer solche Idioten, wie ich einer bin. Und in ganz Bosnien findest du keinen Mann, der anders wäre, du findest ihn auf dem ganzen Balkan nicht. Du findest ihn nirgends. Vielleicht gibt es zwei irgendwo in der Schweiz und noch einen in Island, aber wir anderen sind alle der gleiche Abschaum. Und deshalb sage ich mir: Scheiß drauf, mein Freund! Sowieso hat sie sich längst einen singapurischen Janez gefunden, der so tut, als hätte er ein Weiberhirn, und bei dem nichts abgeht, wenn dreißigtausend Leute um ihn herum „Raaatko Mladić!“ brüllen. Ich kann nicht so tun. Ich bin, was ich bin. Ich bin Marko Đorđić. Ein Idiot.

Meinen Kumpels habe ich erzählt, dass sie nach Salzburg gegangen ist und dass sie vielleicht zurückkommt. Denn was wissen die, wo Singapur ist. Und auch, damit sie leichter schnallen, dass ich sie nicht vergessen kann. Nebojša hat mir gesagt, dass Salzburg nicht das Ende der Welt ist, und dass wir, wenn Crvena Zvezda einmal in Salzburg spielt, alle zusammen hinfahren und ich sie nebenbei knallen kann. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie die Slowenen sagen würden. Fußball, und dann noch Knallen. Was gibt’s Besseres, wie meine Tante sagen würde.

Nur was, wenn für mich aus Bijeljina auch dieses verdammte Salzburg das Ende der Welt ist. Es sind ja wohl nur drei Stunden Fahrt von Ljubljana, okay, nur für mich ist momentan Ljubljana noch weit. Für mich ist Ljubljana das Ende der Welt, weil ich mich wirklich schwertue, mich dorthin zu schleppen. Du musst hinfahren und du musst zurückkommen, wie Radovan sagen würde.

Deshalb fahre ich jetzt zum ersten Mal nach drei Jahren wieder nach Fužine. Zum ersten Mal deshalb, weil ich muss. Was du tun musst, ist nicht schwer, hat jemand gesagt, dem ich einmal ordentlich seine Mutter ficke, weil er keine Ahnung hat. Weil es zum Verrücktwerden schwer ist. Weil ich zum ersten Mal für längere Zeit nach Fužine gehe, und das ist echt ätzend. In Wirklichkeit kehre ich zurück. Oder ich kehre nicht zurück. Ich weiß es noch nicht.

Ich kehre zurück, was für einen Scheiß rede ich da. Ich meine, ich gehe nicht für immer zurück, nur für eine Zeit. Genau genommen werde ich noch sehen, was und wie. Aber ich kehre zurück.

So, jetzt weißt du es. Đorđić kehrt zurück.

2. Weshalb alle glücklichen Familien gleich sind

Der Schornstein des Heizkraftwerks gibt mir immer einen Stich. Bis dahin ist alles easy, als käme man nach Islamabad, aber dann sehe ich den Schornstein, und mein Herz spielt verrückt. Gut, ich übertreibe, es ist nicht so, dass mein Herz verrückt spielen würde, eher grummelt es bei mir im Magen. Fužine, mein Zuhause, und so. Wenn ich es vom Zug aus sehe, fühle ich nichts, und schon sage ich mir, dass ich darüber weg bin, dass es vorbei ist, nur dann setze ich mich in Radovans Opel oder ins Taxi, komme über die Kajuhova, und ratz, fatz, grummel, grummel.

Deshalb hab ich keine Lust auf Fužine. Jedes Mal sage ich mir, dass es mich sonst wo kann, und jedes Mal hab ich keinen Bock hinzufahren, nur gebe ich zum Schluss jedes Mal nach und sage mir „Gut, soll es sein, Ranka zuliebe“, und fahre. Und jedes Mal gibt mir der Schornstein einen Stich. Als wäre ich ein fuckin’ Schornsteinfeger. Wenn es wenigstens eine Allee wäre oder die Ljubljanica oder irgendwelche anderen Naturwunder und so, aber nicht ein beschissener Schornstein.

Vor dem kannst du dich nicht verstecken. Da fängt Fužine an, da ist die unsichtbare Grenze, und wenn du die überschreitest, kriegst du eine gewischt. Ich glaube nicht, dass es Heimweh ist, sondern das schlechte Gewissen, weil ich so selten nach Fužine komme, und so. Nur dass mir dieser Schornstein noch immer einen Stich gibt. Ratz, fatz, grummel, grummel.

*

Was geht euch das an, weshalb ich nach Slowenien zurückgekommen bin! Fragt euch wer, wenn ihr in Celje wart, warum ihr nach Prule zurückgekommen seid? Ich bin zurückgekommen und fertig. Ich bin zurückgekommen, weil ich es konnte. Genau, deshalb. Damit es einen Tschefur mehr gibt. Und weil ihr mich nicht gestrichen habt, ihr verdammten Ausradierer. Deshalb bin ich zurückgekommen. Ist das ein Problem? Hätte ich das vielleicht nicht dürfen? Ha? Was ist? Was glotzt du? Ja, hier bin ich. Ich. Đorđić, Marko Đorđić. Komm wieder runter, denn ich bin nicht gekommen, um zu bleiben. Oder doch. Ich bin gekommen … Komm schon, sperr die Ohren auf, damit ich es dir sage. Ich bin gekommen, um eure Schwestern und Töchter zu knallen. Und Stunk in der Straßenbahn zu machen. Ach ja, sorry, ich hatte vergessen, dass ihr keine Straßenbahn habt. Sogar die Bosnier haben eine Straßenbahn, aber ihr habt keine.

Ein Provinznest, euer Ljubljana, oder? Radovan sagt, dass Ata Tschefurk es schön aufgemischt hat, aber auch ein aufgemischtes Dorf ist noch immer ein Dorf. Wie Bijeljina. Und deshalb geht es den Tschefuren in Ljubljana auch so gut. Es ist so schön vertraut. Wie eine Stadt, ist aber in Wirklichkeit ein Dorf. Und deshalb geht Radovan wie in seinem Dorf am Samstag auf den Markt und bleibt alle zwei Meter stehen, um Nachbarn und Landsleute zu begrüßen, und auch diesen oder jenen Slowenen. Und wenn er nach Hause kommt, fragt Ranka „Šta ima u gradu?“, und Radovan zählt siebenundzwanzig Tschefurenfreunde auf, die er zufällig zwischen Zmajski most und Tromostovje getroffen hat. Sozusagen zufällig getroffen hat. Aber sie alle sind schon um sechs aufgestanden, damit sie sich genau um neun zufällig zwischen Ljubljanica und Sauerkraut treffen können.

Am Samstagvormittag werden die Tschefuren zu Slowenen. Alle trockenen Alkoholiker, die auf dem PST spazieren gehen, und die nicht trockenen, die den Tag im Cubana totschlagen, übersiedeln für einen Tag auf den Markt und schauen einer dem anderen zu. „I šta kažu?“, fragt Ranka, und Radovan rapportiert, dass Ćućić es im Kreuz hat, dass Macura zu Hamza gesagt hat, dass er am Knie operiert wird, dass Vito in Serbien ist, dass Vojin noch immer Fußball spielt und dass Meho Nurkić getroffen hat und Nurkić gesagt hat, dass er Radovan sehen möchte, und dass sie sich für nächste Woche im Oaza verabredet haben, weil sie sich gottweißwielange nicht gesehen haben.

Ja, vielleicht bin ich deshalb zurückgekommen, weil ich in dreißig Jahren auch jeden Samstag auf dem Ljubljanaer Markt alle die Aco-, Adi- und Dejan-Freunde wie zufällig treffen möchte.

Vergiss es! Ich bin zurück, und fertig. Frag nicht, weshalb.

*

„Hast du ihm gesagt, er soll herkommen?“

Heute kam Ranka nicht dazu, ihr „Šta ima u gradu?“ anzubringen, weil Radovan, als er vom Markt zurück war und mich auf der Couch sitzen sah, schon losbrüllte. Ranka wollte gerade ansetzen, ihm alles zu erklären, aber Radovan hatte bereits zu toben begonnen.

„Hast du das?!“

Und dann war der Teufel los. Radovan zog die Schuhe aus und schmiss einen gegen die Badezimmertür.

„Hab ich dir nicht gesagt, es ist nur ein Geschwür!“

„Da steht Tumor.“

Der zweite Schuh flog an Ranka vorbei und knallte gegen die Balkontür.

„Da scheiß ich drauf … Was spielt das für eine Rolle, was da steht! Und was musst du lesen, was da steht!“

„Der Arzt hat geschrieben …“

„Und was, wenn der Arzt geschrieben hat? Ha? Was dann?“

Früher hätte Ranka auf diese rhetorische Frage sofort mindestens eine Antwort parat gehabt, aber das Leben hatte sie ein wenig klüger gemacht, und so widmete sie sich lieber ihren gefüllten Paprika. Von wegen, die brauchen ihre Aufmerksamkeit und so. Und der unbeschuhte Stier stand an der Wohnzimmertür und blies Rauchsignale durch die Nase.

„Der Mann hat sich vertan. Er hat ein Geschwür gesehen, aber Tumor geschrieben. Denkst du, dass sich ein Arzt nicht vertun kann, ha? Dass er kein Mensch ist wie ich und du?“

„Auch die Überweisung ist unter dringend.“

Sie würde es herausfurzen, wenn sie nicht sprechen könnte, sagt Radovan immer von Ranka. Und hier muss man ihm recht geben.

„Da scheiß ich drauf … Das ist, weil der Arzt weiß, dass du mir mein ganzes Blut aussaugst, wenn ich zu lange warte. Und deshalb hat ihm Ćućić gesagt, er soll es unter dringend setzen.“

Ranka furzte noch etwas herum, aber das wurde zum Glück vom Wasserrauschen übertönt. So konnte Radovan Luft holen. Der Ärmste atmete richtig durch. Offenbar fetzen sie sich nicht mehr jeden Tag und er hat keine Kondition mehr. Oder er ist nur senil geworden.

„Wegen einem Geschwür muss gleich ganz Bosnien rebellisch gemacht werden!“

„Ich habe es nur Marko gesagt.“

„Hör auf, bitte, ich kenne dich. Jetzt wird halb Bijeljina anrufen, um sich von mir zu verabschieden. Du weißt genau, wie sie sind. Sie können es kaum erwarten, dass sie was haben, um sich aufzuregen. Ein gewöhnliches Geschwür kann sie aufregen wie … wie … eine Jahrhundertflut.“

Eine Jahrhundertflut? Im Ernst? So was gibt’s in Bosnien nicht, Radovan.

„Es ist ein Tumor.“

Ranka gibt nicht klein bei. Sie geht in die Verlängerung.

„Ein Geschwür!“

„Ein Tumo…“

„Geschwüüüür!“

Endlich ist Ranka still. Radovan hat so laut gebrüllt, dass selbst ihr klar geworden ist, dass sein Tumor Geschwür heißt. Ein neues Mitglied unserer glücklichen Familie. Tumor Geschwür. Das ist sogar besser, als wenn sie einen Hund hätten. Man braucht ihn nicht Gassi zu führen und er pinkelt nicht auf die Couch. Er bellt nur manchmal.

Endlich drehte sich Radovan zu mir um.

„Komm her, mein Sohn, dass Papa dich küsst. Hauptsache, du bist da. Jetzt fängt die Eurobasket an, und die können wir zusammen schauen.“

Ausgezeichnete Idee. Radovan und ich und Pero Vilfan. Wir besorgen uns zwei grüne Schals und eine slowenische Fahne, damit wir mit ihr nach jedem Sieg vom Balkon winken können. Das wird echt der Hammer, glaub mir.

„Da spielt auch der Kleine von Real … Gib mir mal den Schnaps, Ranka!“

„Du weißt doch, dass …“

Jetzt reichte ein Blick. Ein Blick, der Ranka direkt in drei schöne Mutterfotzen schickt.

Sie brachte den Schnaps, und Radovan und ich stießen miteinander an.

„Aber du hättest nicht zu kommen brauchen.“

„Aber jetzt bin ich da.“

„Ich dachte, du bist so vernünftig und weißt, wie deine Mutter ist und wie sie übertreibt. Da fehlt nicht viel und sie ruft dich an, dass du kommst, wenn ich Durchfall habe.“

Auch Ranka setzte sich neben uns, und gut sechs Sekunden saßen wir drei still da und sahen uns an. Mit Zuneigung, wie die Slowenen sagen würden. Familienidylle und so.

Aber dann drehte sich Radovan zu Ranka um.

„Was sitzt du noch! Mach uns Kaffee!“

Da siehst du, dass es stimmt, was einmal auf Facebook stand. Alle glücklichen Familien sind gleich.

3. Weshalb die Kredite die Tschefuren vernichtet haben

Zum ersten Mal im Leben verspürte ich den Drang, einen Spaziergang zu machen. So wie du den Drang verspürst, dass du pinkeln musst. Ich musste ein wenig weg von Radovan und Ranka und ein bisschen durch Fužine wandern, um den Stand der Dinge zu checken. Die alten Tschefuren, die an der Ljubljanica spazieren gehen, verspüren meiner Meinung nach genauso den Drang, denn auch sie müssen ein Stück weit weg von ihrem Radovan oder ihrer Ranka. Und wenn sie keine totalen Alkos sind und nicht den ganzen Tag im Cubana oder im Oaza herumhängen wollen, verschränken sie die Hände hinter dem Rücken, und ab durch die Mitte. Der Schornstein vom Heizwerk ist ihr nächster Nachbar, sie aber gehen immer noch raus an die frische Luft. Sowieso, vermutlich. Sie haben schon so viel von der frischen Fužine-Luft eingeatmet, dass es ihnen noch die Lungen zerreißen wird.

Soll es ihnen doch die Lungen zerreißen, denn diese Spaziergänger und ihre Sprüche sind mir schon immer auf den Sack gegangen.

„Am Rusjan haben sie aber mehr gelbe Tonnen als wir!“

„Ein Kombi hat die Einfahrt zum Fünfzehner blockiert, die Leute können nicht durch.“

„Weißt du, dass sie in der Chengdujska einen Schwarzen haben. Und das nicht auf Besuch. Der wohnt da, ja. Ich habe ihn schon dreimal gesehen.“

Neugierige alte Ärsche. Tun so, als würden sie ihre Langeweile und ihren Ischias und ihr Wasser in den Knien spazieren führen, aber in Wirklichkeit spionieren sie alles aus. Die alten Tschefuren mit den Händen hinter dem Rücken, das sind die Überwachungskameras von Fužine. Das sind in Wirklichkeit unsere Drohnen, und von denen haben wir mehr als China. Sie wissen alles, und deshalb brauche ich den Block nicht zu verlassen, um zu hören, was sie sagen.

„Weißt du, dass Đorđićs Kleiner zurück ist? Marko, wer sonst. Đorđić hat ja nicht sieben Kinder. Ja, der, der Basketball gespielt hat. Bei Slovan, ja. Er hat ihn nach Bosnien geschickt. Was weiß ich, warum er ihn hingeschickt hat. Er hat ihn hingeschickt und Punkt. Nein, er hat Damjanovic nicht zusammengeschlagen, das war der andere. Aleksandar. Der von Marina, ja. Đorđić ist nur dabei gewesen, ja. Ein Glück noch, dass dieser Damjanović davongekommen ist. Ich weiß, dass er gestorben ist, aber damals ist er davongekommen. Er hat drei Monate im Koma gelegen. Was weiß ich, woran er gestorben ist, ich bin nicht die CIA. Wahrscheinlich an einem Infarkt, woran stirbt schon ein alter Mensch! Das hat nichts miteinander zu tun, was fällt dir ein! Drei Jahre lagen dazwischen. Ja. Wie soll er nicht zu sich gekommen sein, wenn der Mann angefangen hat, in die Berge zu gehen. Er war, wird erzählt, auf dem Krvavec. Also, du weißt, auf welchem Berg er war. Na gut, er war auf dem Krim. Was fragst du mich dann, wenn du alles weißt?! Wer?! Wer? Weeeer? Der Kleine von Đorđić? Was ist mit ihm? Wie soll ich wissen, ob er für ganz zurückgekommen ist? Geh und frag ihn selbst. Ich habe nicht gefragt. Wen soll ich fragen? Lass Bole außen vor, Bole weiß nicht, was bei ihm zu Haus los ist, geschweige denn was anderes. Gut, ich frag Bole. Ich habe doch gesagt, dass ich fragen werde. Gott, du bist ganz schön nervig, liebe Frau. Hallo, Bole, sag mal, wir sitzen da, Ljilja und ich, und sind so am Reden …“

Ich glaube, diese alten Tschefuren wussten schon, dass ich zurückkomme, bevor ich es wusste. Schon früher war Fužine voll von alten Tratschweibern, aber jetzt, wo die meisten alten Tschefuren in Rente gegangen sind, sind auch die Opas zu alten Weibern geworden, und jetzt ist ganz Fužine ein großes Altersheim, wo alle nur noch rumsitzen und quatschen. Oder spazieren gehen und quatschen. Die Zunge ist das einzige Organ, das sie nicht im Stich gelassen hat, wie die Slowenen sagen würden.

Und Vögel hörst du in Fužine. Kein Bälledribbeln, keinen Motorenlärm, kein „Adiiiiiiiiiii, Mittaaag!“, nicht einmal Mile Kitić, den Arsch. Ein beschissenes Zwitschern hörst du in Fužine. Katastrophe!

Einfach alles hat sich geändert. Um unsere Grundschule haben sie einen so schönen grünen Zaun gezogen, als ob er um eine Moschee herum ginge und nicht um eine Schule. Ein Halal-Zaun, wie Nebojša sagen würde. Angeblich deshalb, damit die Dealer nicht auf dem Spielplatz fixen und ihre Nadeln liegen lassen, weil sich dann die Kinder stechen und Aids kriegen und süchtig werden. Und damit die Köter nicht auf die Wiese hinter der Schule scheißen, denn dann treten die Fräulein Lehrerinnen da rein und das verdirbt ihnen den Tag. Und damit die Tschefurinnen nicht abends auf dem Schulhof herumhängen, denn dann muss der Hausmeister hinter ihnen die Tschick und die leeren Dosen zusammensammeln. Und damit die Streber nicht im Müllcontainer landen und die Mamis der Streber dann auf dem Elternabend herumgeifern.

Nur Tschefurinnen sieht man nirgends mehr. Weder auf dem Hof noch vor den Blocks. Denn die paar Jungs, die in ihre Telefone glotzen, zählen nicht. Sie tragen diese ekligen Trainingsanzüge und ganz komische Frisuren und sind wahrscheinlich welche auf ić, nur das sind keine Tschefuren. Tschefuren gibt es in Fužine in Wirklichkeit keine mehr. Sie sind ausgestorben. Noch eine Tierart, die ein Opfer des Klimawandels geworden ist, oder was immer das ist.

Im Grunde ist das alles logisch. Die Tschefuren sind weggezogen, weil die Wohnungen in Fužine zu teuer sind. Sie haben Kinder bekommen und sind alte Tschefuren geworden. Sie haben Jobs in Lagerhäusern, Bäckereien und Postämtern gekriegt und haben sich mit Hypothekenkrediten selbst in die Scheiße geritten. Genau so ist das. Die verdammten Kredite haben die Tschefuren vernichtet. Denn wenn ein Tschefur einen Kredit aufnimmt, ist sein Leben gelaufen. Ein Tschefur mit Kredit ist ein toter Tschefur. Das ist, als wäre die Rajfajzenbanka so ein Schlagetot Lazić, der an deine Tür klopft und dir die Zähne einschlägt, wenn du ihm das Geld nicht zurückzahlst.

Das, mein lieber Scholli, ist Assimilation. Der Tschefur nimmt einen Kredit auf und wird Slowene. Da brauchst du sie nicht einmal auszulöschen, du brauchst nur Kredite und fertig. Wen juckt’s, dass die meisten Tschefuren nicht kreditfähig sind. Denn auch diese Bavčars waren nicht kreditfähig, und da hat sich niemand aufgeregt. Gib du dem Tschefuren einen Kredit, damit er ein bisschen ins Schwitzen kommt. Das sind nur kleine Beträge, denn die Tschefuren nehmen keine Millionen auf. Sie brauchen es für die Einkellerung und für eine neue Waschmaschine. Das ist Kleingeld für die Assimilation und für den sozialen Frieden.

Ja, das ist Fužine widerfahren. Den Leuten sind Kredite widerfahren. Statt dass die Tschefuren auf den Putz hauen, zahlen sie fleißig Kredite ab. Und alle sind glücklich. „Auf Kredit gekauft“ ist für die Tschefuren dasselbe wie „bei Spar gekauft“. Weil sie nicht wirklich verstehen, wie das geht. Und deshalb werden die Slowenen an der Kasse gefragt: „Bar oder mit Karte?“, die Tschefuren hingegen: „Auf wie viel Raten?“ Damit sie noch im Juli für den Ajvar bezahlen können, der ihnen Ende März verschimmelt ist. Und damit Šoškić sechs weitere Jahre den Kredit für das Auto abbezahlt, das er schon letztes Jahr zerdeppert hat. Und damit Janjić noch neun Jahre die Wohnung seiner Ex abstottern kann, die in derselben Wohnung von einem Slowenen bedient wird. Der höchstwahrscheinlich in der Bank arbeitet.

Aber das Sladki greh hat immer noch offen. Es ist nicht zu glauben. Schon dreißig Jahre ist der Laden leer, und schon dreißig Jahre hat er offen. Denn die Rezession gibt es nicht, die den dichtmachen könnte. Das ist der am meisten verdächtige Ort der Welt. Klar ist das ein Bluff, aber was ist kein Bluff, wenn es sich um Schippis handelt. Sie sind selbst ein Bluff. Sie sind da und sie sind nicht da. Du hörst sie nicht und du siehst sie nicht. Sie sind einfach da. Alpenadria-Eis, Ježek-Limonade, Nobel-Burek, Habsburgermonarchie-Gebäck. Sie haben ihre eigene Welt, und diese Welt schert sich einen Dreck um andere Welten.

„Sie grüßen mich immer höflich und halten mir die Fahrstuhltür auf“, sagt Ranka, wenn die Debatte auf die Schippis kommt.

„Die sind schon in Ordnung“, sagt Radovan, „nur ihr Essen taugt nichts. Schlechtes Eis, schlechter Burek, schlechtes Obst für den Schnaps.“

Und Radovan hat recht. Die Schippis sollten das Essen den Italienern überlassen und das tun, was sie gut können. Drogen dealen, schmuggeln. Oder Bleistifte spitzen.

Aber ich konnte einfach nicht anders, als mich ins Sladki greh zu setzen. Um auch dieses Wunder zu sehen. Was soll’s, man lebt nur einmal!

„Eine Limonade.“

„Hab ich keine.“

Wieso hast du keine Limonade, du Arsch?! Bist du ein Schippi oder bist du keiner?! Und was ist mit ljimonada? Hast du vielleicht ljimonada, ha?

Nein, das habe ich nicht zu ihm gesagt. Ich wollte ihn nicht auf seinem Terrain provozieren.

„Gib mir eine Cola.“

Ja, mir geht alles auf den Sack. Ein Schippi, der keine Limonade hat, geht mir auf den Sack. Fužine ohne Tschefuren geht mir auf den Sack. Radovan und sein Tumor gehen mir auf den Sack. Dass ich hier bin, geht mir auf den Sack.

Ich gehöre nicht mehr hierher. Ich bin hier ein Außerirdischer, und es ist alles fürn Arsch. Überall bin ich ein Außerirdischer, aber dass ich in Fužine ein Außerirdischer bin, geht mir wirklich auf den Sack. Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit achtundzwanzig allein im Sladki greh sitzen würde, wäre ich schon längst vom Balkon gesprungen.

Der Schippi brachte die Cola, und ich nahm aus dem kleinen Gefäß auf dem Tisch ein Säckchen Zucker und schüttete ihn hinein. Das habe ich als kleiner Knirps gemacht, wenn ich mit Radovan zum Freizeitsport gegangen bin und nach dem Freizeitsport zwei Stunden lang im Café Coca-Cola getrunken und zugesehen habe, wie sich die Freizeitsportler tierisch betrinken.

„Coca-Cola ist reiner Zucker“, pflegte Radovan zu sagen. Wenn du noch ein bisschen mehr hineinschüttest, schäumt sie. Sie schäumt total, und das war für mich als Knirps, wenn ich mich in Dubočica zu Tode langweilte, die einzige Unterhaltung.

Aber wenn ich jetzt in diese schäumende Cola starre, scheint mir, dass sie genau so ist wie wir. Wir alle sind bis obenhin angefüllt mit Scheiße, und dann bewirkt jede zusätzliche Scheiße, dass wir vor Wut schäumen. Dass wir überlaufen. Und dieses Fužine ist genauso ein Sack Zucker, den jemand in mich hineinschüttet. Dass ich schäume. Und ich weiß, dass ich im Zeitraum von sofort von hier verschwinden müsste, bevor der Schaum über den Rand quillt. Nur kann ich es nicht. Ich weiß, dass es Probleme geben wird, aber ich kann mich nicht von der Stelle rühren. Nichts kann ich.

Komm her, Schippi, kassier für die Cola, damit ich die Kurve kratzen kann.

„Zwei Euro.“

Klar, dass es keine Quittung gab.

*

In Wahrheit bin ich schon längst übergelaufen. Das ist jetzt nur die Afterparty. Sie wollten mir noch ein kleines Tütchen Tschefurismus einschütten, nur passte von dem Scheiß nichts mehr rein. Was soll’s, wenn kein Zucker mehr in die Cola reingeht, geht auch kein Tschefurismus in einen Tschefur mehr rein.

Nur ich habe das nicht gewusst. Als mich Radovan nach Bosnien schickte, dachte ich Idiot, dass ich in Bosnien deshalb baden gegangen bin, weil ich ein Janez bin. Mitnichten, Bruderherz. In Bosnien bin ich deshalb baden gegangen, weil du in Bosnien überhaupt kein Janez sein kannst. Die Bosnier hätten in mir möglicherweise einen Janez sehen können, nur was ist, wenn die Bosnier längst aus Bosnien verschwunden sind. Diese geistigen Krüppel, die dort unten geblieben sind, haben in mir jedenfalls nur den Đorđić gesehen.

Bosnien verarscht dich immer vorschriftsmäßig, mein Freund. Du weißt, dass es im Arsch ist, nur ist es noch viel mehr im Arsch, als du glaubst. Und Visoko ist am meisten im Arsch. Dort ist alles in Semirs drei Pyramiden im Arsch.

Gut, vielleicht war am Anfang noch alles in Ordnung, bis alle kapiert hatten, dass ich nicht nur auf Kaffee und Kuchen gekommen war. Ich war nur auf der Durchreise und zählte nicht, weil es meinetwegen in Visoko keinen mehr oder weniger gab. Ich war Tourist, wie diese Chinesen, die auf den Hügeln um Visoko herumklettern und Geschichten darüber posten, dass die bosnische Zivilisation älter ist als die Dinosaurier.

„Was machst du denn hier? Was ist? Was geht? Bis wann bleibst? Mašala. Ciao, man sieht sich.“

Aber als die Bosnier herausgefunden hatten, dass ich nach Visoko gekommen war, um zu bleiben, wurde es langsam unangenehm. „Ein Đorđić mehr“ bedeutete auf Neubosnisch „ein Serbe mehr“. Die Umkehrung des positiven Trends bei der Zunahme des Anteils an bosniakischer Population. Was keine Kleinigkeit war. Die Anzahl der Serben in Visoko hatte sich mit meiner Ankunft zum ersten Mal seit 1991 erhöht.

Eine Zeit lang taten die Leute so, als wäre alles cool, denn in Visoko tun sowieso alle so, als wäre alles cool, als gäbe es keine Wahhabiten und als hätte die Bürgermeisterin kein Tuch um den Kopf und als würde ganz normal Alkohol getrunken und als wäre Schweinefleisch ein Grundnahrungsmittel. In Wirklichkeit war allen von Anfang an klar, wer ich bin und was ich bin. Nur ich habe hundert Jahre gebraucht, damit es bei mir aus dem Arsch in den Kopf geht.

Ich habe hundert Jahre gebraucht, um zu kapieren, dass ich Serbe bin und dass ein Serbe in Visoko der gleiche Scheiß ist wie ein Tschefur in Slowenien. Derselbe Scheiß, eine andere Verpackung. Nur dass sich in Bosnien die Tschefuren und die Slowenen gegenseitig beschossen und nicht mit Genitiv und Dual herumgefurzt haben.

Aber ich konnte nicht noch einmal der Tschefur sein. Keine Chance. Ich hätte alles sein können, Transvestit, Unprofor, mongoloid, Zigo Žarko, alles, verdammt, nur nicht noch einmal ein Tschefur. Denn ich konnte wirklich nicht noch einmal einen falschen Namen haben. Ich konnte nicht zusehen, wie die Leute die Spucke runterschlucken, wenn du sagst, dass dein Alter Radovan heißt. Von dem Scheißkram hatte ich in Fužine genug für drei Leben. Ich war abgefüllt, mein Lieber, wie eine Cola mit Zucker, mehr ging nicht rein.

Ich hatte den Plan, eine Zeit lang der Janez zu sein und mich dann langsam in die Szene einzubringen und ein Bosanac zu werden, aber das war ein dummer Plan. Was heißt dumm, das war ein hirnrissiger Plan. Ich war ein bisschen beleidigt, so auf die Art „Fickt euch, ihr Minderheiten und Mehrheiten, fickt euch, ihr umgesiedelten und neu gezählten Ärsche!“, aber dann habe ich gemerkt, dass es überall die gleiche Verarsche ist und dass du überall nur wählen kannst zwischen Minderheit oder Mehrheit. Und ich wollte nicht mehr Minderheit sein. Ich wollte ein bisschen Slowene sein.

„Und jetzt haltet ihr den Arsch hin, damit ich es euch mal zeige.“

Das habe ich zu ihnen gesagt und bin gegangen. Okay, ich habe nichts gesagt, ich bin nur gegangen. Oder sie haben mich weggeschickt. Ist auch nicht wichtig. Ich bin nach Bijeljina gegangen. Zu den Serben. Zu Tante Dušanka und Onkel Dragiša. Auf eigenen Grund und Boden, wie Radovan sagen würde.

Aber das ist jetzt nicht wichtig. Was ich sagen will, ist, dass ich in Bosnien Serbe geworden bin und dass ich auch jetzt Serbe bin. Und dass ich kein Tschefur mehr bin. Und dass ich nicht mehr aus Fužine bin. Ich bin in Fužine ein totaler Außerirdischer. Selbst der Schippi, der Limonade verkauft, die er nicht hat, ist weniger Außerirdischer als ich. Denn er hat wenigstens sein Sladki greh, ich hingegen habe einen Dreck in Fužine.

*

„Ja gut, wo hast du so lange gesteckt?“

„Ich war im Sladki greh.“

„Komm, verarsch mich nicht.“

Er war echt nervös.

„Ich war tatsächlich im Sladki greh.“

„Mensch … Keiner ist jemals im Sladki greh gewesen. Und selbst wenn du da warst, was zum Teufel wolltest du da!“

„Eben, genau deshalb, weil noch nie einer da war.“

„Komm, verschon mich! Jovan hat angerufen.“

„Mich hat er auch angerufen.“

„Er hat mir gesagt, dass er dich nicht erreicht hat.“

„Ja und?“

„Nichts. Er hat nur gesagt, dass du dich bei ihm melden sollst.“

Was zum Teufel soll ich mich bei ihm melden, wenn ich im Roaming bin. Ich weiß sowieso, was mir Jovan sagen wird. Dass alles noch immer so ist, wie es war. Dass ich noch immer nicht zurückkann. Dass es nicht klug wäre. Und dass ich mich noch ein bisschen gedulden soll.

Ich kann das nicht mehr hören, denn ich kann nicht immer der Dummbeutel sein, der sich ein bisschen geduldet und der versteht.

„Versteh doch, Marko! Versteh die Slowenen! Versteh die Bosnier! Versteh Visoko! Versteh die Muslime! Versteh Bijeljina! Versteh die Serben! Versteh die Bauern! Versteh die Frauen! Versteh Radovan! Versteh Ranka! Versteh den heiligen Petrus und den Propheten!“

Wann versteht mich mal einer, ha? Wann geduldet sich mal wer anderes ein bisschen?

4. Weshalb auch die Tschefuren Behinderte sind

In einem Kinderzimmer wachst du immer als kleines Kind auf. Vor allem, wenn Ranka hereingestürzt kommt, ohne anzuklopfen. Was könnte ihr kleines Kind wohl in seinem Zimmer tun, das sie nicht sehen dürfte, nicht wahr? Sie hat mir den Hintern abgewischt und alles gesehen, was es an mir zu sehen gibt. Deshalb schmerzt es Ranka, dass ich jetzt mein einziges Organ, das wach ist, vor ihr verstecken muss. Weil sie nicht warten kann, bis ich aufstehe, muss sie den Umstand ausnutzen, dass Radovan zum Kiosk gegangen ist, um Kreuzworträtsel zu kaufen, und mit mir unter vier Augen reden.

„Was wäre, wenn du mit ihm zum Arzt gingest?“

„Zu welchem Arzt?“

„Er ist zum Ultraschall bestellt, aber ich habe Angst, dass er nicht hingeht. Er wird sagen, dass er da war, aber er wird nicht hingehen.“

„Weshalb sollte er nicht hingehen?“

„Du siehst doch selbst, dass er Angst hat.“

Ich sehe da nichts, Ranka. Ich sehe Radovan, der derselbe störrische Gaul ist wie immer. Er hat denselben stumpfen Blick, wenn er dich anstarrt und so tut, als suchte er in seinem Kopf das richtige Wort. Oder zumindest eine Interjektion. Und er hat dieselbe Nervosität und dieselben Hummeln im Hintern. Wenn Radovan auf der Couch sitzt, weißt du noch lange nicht, ob er gerade aufsteht oder sich hinsetzt oder nur die Fernbedienung unter dem Hintern sucht.

Radovan wie Radovan, Ranka. Deshalb weiß ich nicht, ob er Angst hat oder ob er sich nur nicht erinnern kann, wie die kroatische Sängerin Josipa mit Nachnamen heißt. Fünf Buchstaben, und der dritte ein s.

„Wenn du wüsstest, wie oft ich ihn gebeten habe, zum Arzt zu gehen.“

Ich weiß, Ranka, ich weiß. Ich höre ihn direkt.

„Was soll ich zum Arzt gehen, wenn mir nichts fehlt! Hast du mich gehört? Mir fehlt nichts! Niiiiichts!“

„Ich habe ihn gebeten, ihn angefleht, aber er nein, nein und wieder nein. Als würde der Arzt beißen.“

Er beißt, er beißt, wie soll er nicht beißen, Ranka. Alle Ärzte beißen. Vor allem beißen sie Tschefuren.

„Wenn ich ihn nicht hingeschickt hätte, wer weiß, was gewesen wäre.“

Was gewesen wäre? Nichts wäre gewesen. Er hätte uns unerwartet verlassen, wie die Slowenen sagen würden. Kerngesund gestorben.

„Wenn du mit ihm hingehst …“

Ja, wenn ich mit ihm hingehe, wird alles anders. Er wird friedlich sein wie ein Lämmchen.

„Ist das normal, dass sie dich so sitzen lassen? Was bestellt er mich um sieben, wenn er vorhat, mich um zehn dranzunehmen? Götter in Weiß! Und schämen sich nicht, im Fernsehen aufzutreten und höhere Gehälter zu fordern? Dafür, wie die sich benehmen, müssten sie uns bezahlen, dass sie uns behandeln dürfen.“

Ich weiß nicht, Ranka. Und was, wenn er wirklich nichts hat? Was, wenn wir uns darauf einigen, dass er nur ein Geschwür hat, ha? Wir kochen ihm Kamillentee, und was kommt, kommt?

„Er wird nur mit dir hingehen wollen. Du weißt, dass ihn das freuen würde.“

Bestimmt würde ihn das freuen. Er würde verrückt werden vor Freude.

„Welcher Teufel hat dich geritten, dass du mit mir hingehst? Das hat dir Ranka eingeredet, ha? Der werd ich’s zeigen werd ich’s ihr!“

„Du weißt, Junge, dass er mich nicht mit ihm hingehen lassen würde. Und allein kann er nicht.“

Wie soll er allein gehen, Ranka?! Du weißt doch, wo das ist. Du musst drei Mal über die Straße.

„Er braucht jemanden, der ihn unterstützt.“

Unterstützt? Du meinst, wie diese Fan-Grüppchen von Roter Stern, die die armen Kerle in der Hölle der Enfield-Street unterstützt haben, oder? So eine Unterstützung meinst du, Ranka?

„Raadooovaaan! Raaaadoovaan!“

„Er steht etwas unter Schock, Marko. Und kann sich nicht überwinden hinzugehen. Aber ich darf ja nichts sagen. Nur du kannst mit ihm hingehen.“

Es reicht, Ranka. Ich habe kapiert.

„Heißt das, dass du mit ihm hingehst? Am Freitag um halb zehn. Deine Mama liebt dich.“

Ich liebe dich auch, aber lass mich jetzt bitte ein bisschen das Kobe-Bryant- und das Allen-Iverson-Poster anschauen, damit mein Schwanz runtergeht und ich aufstehen und pinkeln gehen kann. Okay?

„Soll ich dir Krapfen zum Frühstück machen?“

„Oh ja.“

„Gut. Kommt sofort.“

Ranka geht und lässt mich mit den Ärzten, dem Ultraschall, den Tumoren und Geschwüren allein. Am liebsten würde ich wieder zurückschlafen und den Tag noch mal von vorn beginnen.

„Eh, Marko. Ich hab kein Mehl. Könntest du für mich kurz zum Laden springen?“

*

… dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn.

Ich habe nachgezählt. Siebzehn Sorten Mehl stehen bei Mercator im Regal. „Kauf Mehl“, hat Ranka gesagt, sie hat nur nicht gesagt, welches, und jetzt kann ich bis morgen früh herumrätseln, welches Mehl sie gerne hätte. Wie der größte Idiot. Das ist genau deshalb, damit am Ende alle Tschefuren und alle Slowenen hier landen. Auch Sale und Miki und Kikiriki, alle glotzen wir am Ende auf siebzehn Sorten Mehl und fragen uns, wer wir sind. Sind wir mehr Dinkel- oder sind wir mehr Maismehl?

Ich hatte keine Ahnung, was Ranka sein könnte. Wer konnte wissen, dass auch sie dieses ganze Vollkorndings nicht draufhat. Verdammt, die Frau lebt schon dreißig Jahre in Slowenien und ist weder blind noch taub. Dreißig Jahre bombardieren die Slowenen sie mit TV-Reklame und Jumboplakaten. Sogar an Teflon wäre etwas haften geblieben, aber nicht an Ranka.

Lass du Ranka schön in Ruhe. Wer bin ich, dass ich dieses Mehl anstarre? Das ist die Frage, mein Freund. Denn das kannst du mir glauben, so hat mir im Leben noch nie einer ins Hirn geschissen. Das ist, als würde ich in der Schule vor der Tafel stehen und Gleichungen ausrechnen und X ist Mais und Y ist Weizen, und dreißig Schwuchteln sehen mir aus der Bank zu und grinsen, weil sie wissen, dass ich einen Dreck ausrechnen kann. Und Rübezahl schlägt schon das Klassenbuch auf.

„Đorđić, das reicht aber heute nicht.“

Als ob es das jemals getan hätte, du Arsch!

„Hallo, Ranka! Welches Mehl soll ich nehmen?! Es gibt hundertfünfzig Sorten!“

„Bist du nicht bei Hofer?“

Ja, was denn noch! Es gibt nicht nur siebzehn Sorten Mehl, sondern auch sieben verschiedene Läden. Das sind komplexe Gleichungen, Đorđić. Das ist nichts für dich.

Jetzt weißt du, was Fužine heute ist. Früher war es ein olympisches Dorf, in dem alle in Trainingsanzügen herumgelaufen sind und jeder in seiner eigenen Sprache geredet hat, heute hat jeder Olympionike seinen eigenen Laden. Sechs Einkaufswagen kommen auf einen Tschefur.

Liebe Slowenen, wir haben für Sie eine neue Eishockeyhalle, drei Unabhängigkeits-Museen und eine neue Schnellstraße nach Šenčur gebaut. Liebe Tschefuren, für Sie öffnen wir Kasse sechs.

„Ich bin im Emona.“

„Hätte ich das gewusst, hätte ich dir meine Pika-Karte gegeben …“

Warte mal, Ranka … Das ist doch nicht zu glauben! Wenn das nicht …

Klar ist sie das! Das kann doch nicht wahr sein. Nein, das ist sie nicht. Oder doch?

Jetzt sag mir nicht, dass sie das ist. Die Makarović! Mit Kinderwagen. Mit Doppler. Für Zwillinge. Sie ist ein bisschen älter geworden, aber nicht schlecht. So spielt das Leben! Die junge Mutter Makarović. Das ist ja …

„Nimm normales Mehl. Marko?“

Das ist sie! Hundert Prozent! Sie ist nur ein bisschen dünner geworden. Und sie hat gelernt, sich zu schminken. Verdammt, das ist jetzt nicht die Zeit, sich eine Tonne Lippenstift ins Gesicht zu schmieren. Dieses ästhetische Erlebnis hat sie ein bisschen reduzieren müssen.

„Marko? Hörst du mich, Marko?“

Ach nein, das ist nicht die Makarović. Jetzt, wo ich sie besser sehe …

Nein, nein, das ist nicht sie. Das kann nicht sein.

„Marko?“

Was bin ich für ein Idiot! Die Makarović hätte ich sowieso zuerst gehört und erst dann gesehen. Und ihre Kleinen würden nicht friedlich im Wagen sitzen. Von wegen, Brüderlein fein. Selbst wenn sie sie adoptiert hätte, würden sie jetzt schon auf den Regalen herumturnen und die Leute mit Pasteten bewerfen.

„Marko? Hörst du mich? … Hallo? … Junge?“

Die Makarović und Zwillinge … Autsch, wie würde das aussehen. Das wäre ein Spektakel.

„He, lass das auf dem Regal, hast du gehört! Pass auf, ich dreh dir gleich den Hals um, Kleiner! Hallo! Reiz mich nicht, du Bengel! Hör auf damit! Hör auf, wenn ich es dir sage! Ja, Himmel, Arsch und Zwirn … Jaja, jetzt weine ruhig, aber ich hab dir doch gesagt, du darfst das nicht aufmachen! Hab ich es dir nicht gesagt? Schau, was du gemacht hast! Wer soll das sauber machen, verdammt!“

„Junge? … Wenn du mich hörst, kauf normales Mehl.“

Aco würde ein paar Meter abseits stehen und telefonieren. Ihm würde es am Arsch vorbeigehen, dass die beiden Kleinen den Laden auseinandernehmen. Und dass die Makarović am Heulen ist wie eine Sirene am ersten Samstag im Monat.

„Aco, du Arsch, lass endlich das Telefon, du Junkie!“

„Geh mir nicht auf die Eier, verstanden?“

„Hast du gesehen, was er gemacht hat? Ich bring ihn um!“

„Bring ihn um, aber hör auf, mich zu nerven!“

„Zieh ab! Und hör auf zu flennen! Du kriegst noch eine gelangt, wenn du nicht aufhörst!“

„Hör auf zu flennen, du weißt ja, dass du selbst schuld bist!“

„Kannst du jetzt auf sie aufpassen, dass ich Brot kaufen kann?“

„Was willst du mit Brot? Du bist doch dick genug.“

„Leck mich!“

„Wo willst du hin, Kleiner? Es reicht! Ruhe! Ruuuhe! Du kannst nirgends hin, verdammt! Scheiße, du bist genauso wie deine verrückte Mutter, aber echt. Tu nicht so dumm, Kleiner. Überleg dir, ob du wirklich willst, dass ich dir noch eine scheuere? Das willst du nicht. Oder? Was nervst du dann? Dann bleib hier stehen und rühr dich nicht. Eh, so. Siehst du, geht ja. Man muss nur den Kopf einschalten und ein bisschen nachdenken.“

„Junge? … Junge?“

Nein, Makarović und Aco, das wäre echt für den Lunapark. Im Leben ist es nicht so, dass minus und minus plus ergeben. Im Leben ergeben Makarović und Aco nur ein großes Chaos. Deshalb ist es sogar gut, dass sie Aco in den Häfen gesteckt haben. Denn dort gibt es keine Makarović, die er mit bloßen Händen erwürgen könnte.

„Farina. Oder das von Žito. Aber besser Farina.“

„Farina, ja. Gut.“

Farina, Farina, Farina … Ah, da ist es.

Als ich mich umsah, wo die Makarović abgeblieben war, die nicht die Makarović war, um sie für alle Fälle noch einmal zu checken, wäre ich fast auf einen Ninja aufgelaufen, der an der Kasse stand. Was für ein Tag. Erst sehe ich die Makarović und Aco, und jetzt noch einen Ninja. Nur dass der Ninja in Wirklichkeit eine Ninja war. Nicht einmal ihre Augen schauten heraus. Sie hatte ein Bettlaken drüber, wie Radovan sagen würde.

Der Ninja bezahlte drei Mohnbrötchen und einen Joghurt der Ljubljanska mlekarna, der Laibacher Molkerei, und zwar Vollfettjoghurt, und Tabs für den Geschirrspüler. Die teuren.

Warte, warte, Ninja! Wie passen ein Laken überm Kopf und ein Geschirrspüler zusammen, ha, Ninja?

Ich meine, wenn schon Mittelalter, dann Mittelalter, oder nicht? Ich weiß nicht, ob im Koran was über Geschirrspüler und Tabs steht. Das ist nur für moderne Frauen, die keine Zeit haben, den Abwasch zu machen, weil sie Regisseusen und Feministinnen sind und diese Scherze. Nicht für dich, Ninja. Oder willst du die Füße deines Mannes in der Maschine waschen, ha, Ninja?

„Noch eine Marlboro light.“

Sieh dir den Ninja an. Der raucht die feinen Zigaretten. Amerikanische. Mašala, Ninja! Du hast wohl keine Vorurteile, was?

„Noch etwas?“

„Nein, danke.“

Von irgendwo aus dem Bettlaken zog sie ein Portemonnaie hervor, und aus dem Portemonnaie einen zerdrückten Fünfziger.

„Auf Wiedersehen.“

Mach mich nicht fertig! Der Ninja spricht besser Slowenisch als Ranka. Aber das ist es nicht. Mich interessiert, wie sie in Fužine leben kann. Ich meine, wenn die zehn Jahre früher so aufgetaucht wäre, hier in unserem Fužine, die hätten sie beschimpft bis zum Gehtnichtmehr. Ich schwöre, die wäre ab und zurück nach Palästina, in die Wüste.

„Tante, haben sie dich mit diesem Laken zugedeckt, weil du so hässlich bist, dass nicht mal Mami und Papi dich ansehen wollten?“

„He, ziehst du das aus, wenn du duschst, ha?“

„Vorsicht, Straßenlaterne!“

„Was ist, wenn du fickst?“

„Was, wenn es ein Mann ist, Alter! Ein Mörder, Alter. Kennst du den, wo sie ein Foto veröffentlichen, wer hat den gesehen? Er hat eine Hundertjährige gefesselt und ausgeraubt! Und jetzt macht er auf Ninja und spaziert seelenruhig durch Fužine!“

„Zieh das aus, wir sind hier nicht in Pakistan!“

„Was redest du, Alter. Das ist Mimikry. Drunter hat sie einen Tanga und Piercings und Silikone und Tattoos.“

„Vielleicht hat sie einfach nur empfindliche Haut. Da unten in Saudi-Arabien ist die Sonne voll stark, oder?“

„He Alter, wo kriegt man dieses Bettlaken? Gibt’s die bei Lidl?“

„Das Schnittmuster hast du im Koran, und Tante Kanifa näht es dir!“

„Das bestellst du bei Amazon und der Postbote bringt es dir.“