19 Love Songs - David Levithan - E-Book

19 Love Songs E-Book

David Levithan

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Beschreibung

Ein Valentinstag im Leben von A, dem Protagonisten von Letztendlich sind wir dem Universum egal. Eine Rückkehr zu den Charakteren aus Two Boys Kissing. Eine unerwiderte Liebe innerhalb einer Schulmannschaft. Die »19 Love Songs« des New-York-Times-Bestsellerautors sind aus David Levithans Tradition entstanden, am Valentinstag Geschichten für seine Freunde zu schreiben. Geistreich, romantisch und ehrlich schreibt er über die unterschiedlichen Facetten der Liebe und findet so den Weg ins Bücherregal von Teenagern und Erwachsenen. Ab 14 Jahren.

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Seitenzahl: 382

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David Levithan

19 Love Songs

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2021

© 2021 by Lago Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 bei Knopf Books for Young Readers unter dem Titel 19 Love Songs. ©2020 by Penguin Random House. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Nadine Lipp, Ingeborg Romoschan

Redaktion: Matthias Teiting

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Claudio Divizia, NatSarunyoo536, tomertu, BenSlater, Grenar, THINNAKORN MANISA-AD, AnjelikaGr, asian-delight

Satz: Karen Münch-Thornton, Andreas Linnemann

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95761-191-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-262-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-263-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Trackliste

Track 1: Der Quiz-Bowl-Antichrist

Track 2: Tag 2934

Track 3: Die braven Mädchen

Track 4: Die Quarterback und der Cheerleader

Track 5: Die Bibliothek in der Mulberry Street

Track 6: Weihnachtsmann für eine Nacht

Track 7: Gutenachtgeschichten

Track 8: Ein besserer Schriftsteller

Track 9: Erinnerungen in acht Songs

Track 10: Schneefrei

Track 11: Out of the Woods

Track 12: Eine kurze Geschichte der ersten Küsse

Track 13: Wenn der Queer-Jugendchor aus Philadelphia Katy Perrys »Firework« singt

Track 14: Die verletzlichen Stunden

Track 15: Zwölf Monate

Track 16: Der Halt

Track 17: Wie sich meine Eltern kennenlernten

Track 18: Wir

Track 19: Sie geben uns Wörter

Liner Notes

Glossar zu Track 16: Der Halt

Für Mayling und Lynda,die da waren, als es anfingundfür meine Eltern,die da waren, lange bevor es anfing

TRACK 1

Der Quiz-Bowl-Antichrist

Ab und zu verfolgt mich Sung Kims Collegejacke

Er musste hart kämpfen, um sie zu bekommen. Niemand stellte sein Talent infrage – im Grunde war er der Star unserer Mannschaft. Aber noch nie zuvor hatte ein Mitglied unseres Teams eine Collegejacke bekommen. Unser Trainer stand vollkommen hinter ihm, wohingegen die anderen Trainer unserer Schule sich beinahe an ihren Trillerpfeifen verschluckt hätten, als sie zum ersten Mal von dem Plan hörten. Der Rektor wurde hinzugezogen, und erst als sich unsere Mannschaft für den Landeswettbewerb qualifizierte, wurde Sungs Bitte nachgegeben. Vier Wochen bevor wir nach Indianapolis fuhren, war er der Erste in der Geschichte unserer Schule, der eine Collegejacke für den Quiz-Bowl bekam.

Mir jedenfalls war das alles sehr peinlich.

Die Aktion war nichts anderes als ein Verrat an unserem Team, und wenn jemand die Quiz-Bowl-Mannschaft von innen heraus hätte verraten sollen, dann war ich es. Ich war der Ersatzspieler.

Der Trainer, der auch mein Physiklehrer war, hatte mich dazugeholt. Die fünf anderen kannten zwar die Quadratwurzel des Umfangs der Saturn-Umlaufbahn um die Sonne im Jahr 2033, aber keiner wusste, wie viele Brontë-Schwestern es gab. Im Grunde war der einzige britische Autor, der ihnen etwas zu sagen schien, ein gewisser Monty Python – und es gab nicht viele Quizfragen zu Monty Python. Ich war also der beste Lit-Boy, den die Schule zu bieten hatte, und obwohl ich nicht viele Klassiker gelesen hatte, war ich mir zumindest ihrer Existenz bewusst. Ich war eine wandelnde CliffsNotes-Lektürehilfe. Ich hatte weder Auf der Suche nach der verlorenen Zeit noch Denn sie sollen getröstet werden oder Middlemarch gelesen, aber ich wusste, worum es in diesen Büchern ging und wer sie geschrieben hatte. Andererseits konnte ich nur etwa zehn Elemente des Periodensystems nennen, aber das war unwichtig, da meine Mitspieler es ja auswendig im Kopf hatten. Sie erzählten Witze, deren Pointe »Ihre Neutrino!« lautete.

Sung war unser furchtloser Anführer – furchtlos, was das Training und den Wettbewerb anging. Im normalen Leben wäre er bloß ein weiterer Mathe-Nerd gewesen, zu langweilig, um dafür gehänselt zu werden, zu unbeholfen, als dass man ihm sein Wissen übelgenommen hätte. Sobald er aber die Collegejacke bekam, war völlig klar, dass er sie nie wieder ausziehen würde. Alle Collegejacken an unserer Schule hatten die gleiche Vorderseite – bordeauxrot mit weißen Ärmeln und einem weißen R auf der Brust. Aber die Rückseiten hatten unterschiedliche Icons – die Wrestler hatten zwei ringende Jungs, die Football-Spieler einen Ball, die Schwimmer einen Brustschwimmer. Für das Quiz-Bowl-Team wurde zunächst eine gesichtslose Gestalt gewählt, die an einem Podium stand, wahrscheinlich das übrig gebliebene Logo eines Rede- und Debattenteams einer anderen Schule. Es sah so aus, als wollte das Toiletten-Piktogrammmännchen eine Antrittsrede halten. Sung fand, dieses Icon werde einem Quiz-Bowl-Team nicht gerecht, und so wurden vier weitere gesichtslose Gestalten auf einem Podium hinzugefügt. Ich war wahrscheinlich einer von diesen fünf. Denn obwohl ich nur der Ersatzspieler war, wurde ich immer eingewechselt.

Ich war aus vier Gründen damit einverstanden, im Quiz-Bowl Team mitzumachen:

(1) Ich musste eine außerschulische Aktivität für meine College-Bewerbungen vorlegen.

(2) Ich brauchte, ebenfalls für meine College-Bewerbungen, eine gute Note in Mr Phillips Physikkurs, und die hätte ich mit normalem Lernen nie bekommen.

(3) Es bereitete mir eine sadistische Freude, dass ich während eines Spiels der Einzige war, der wusste, dass Jane Eyre eine Figur war und Jane Austen eine Schriftstellerin.

(4) Ich war unbewusst in Damien Bloom verknallt.

Unbewusst verknallt zu sein, ist deutlich etwas anderes, als unglücklich verknallt zu sein, denn wenn man unglücklich verknallt ist, weiß man, was zur Hölle mit einem los ist, auch wenn die andere Person die eigenen Gefühle nicht erwidert. Sich mit einer unbewussten Verknalltheit auseinanderzusetzen ist schwierig, denn es ist eine Verknalltheit, die man sich nicht einmal selbst eingestanden hat. Die romantischen Kräfte sind allgegenwärtig – du willst ihn sehen, du nimmst ihn ständig wahr, jedes seiner Worte hat mehr Gewicht als die von allen anderen. Aber du weißt nicht, warum. Du weißt nicht, dass du verknallt bist. Du würdest ihm bis ans Ende der Welt folgen, ohne zuzugeben, dass sich deine Beine bewegen.

Damien war in der Leichtathletik-Mannschaft beliebt und hing mit der Langlauf-Clique ab. Dass ihn Sungs Collegejacke nicht nervte, lag wahrscheinlich daran, dass ihn niemand an unserer Schule für einen Quiz-Bowl Nerd hielt. Seine Teamzugehörigkeit galt als purer Zufall, wohingegen ich klar dazugehörte – zusammen mit Sung und Frances Oh (perfekte SAT-Ergebnisse, tragische Haut), Wes Ward (IQ von 250, 113 Kilogramm) und Gordon White (Taschenrechner-Uhr, dazu passende Brille). Mein sozialer Status entsprach in etwa dem eines Trinkbrunnens auf dem Schulflur. Die Leute waren froh, dass es mich gab, aber sie wollten nicht unbedingt mit mir zu tun haben. Ich wünschte, ich hätte behaupten können, dass mich das nicht störte und dass ich das, was ich brauchte, in Büchern, im Essen, in Drogen, im Quiz-Bowl oder bei den anderen Trinkbrunnen-Kids finden konnte. Aber ich fühlte mich beschissen. Ich wollte nicht unbedingt beliebt sein oder mit den wirklich coolen Kids abhängen, trotzdem war mir ständig bewusst, dass meine Freunde Loser und nicht einmal richtige Freunde waren.

Als wir den Wettbewerb in unserem Bundesstaat gewannen, feierten Sung, Damien, Frances, Wes und Gordon den Sieg so, als hätten sie ein volles Stipendium am MIT erhalten. Mr Phillips hatte Tränen in den Augen, als er seine Frau anrief, um ihr die Neuigkeiten zu verkünden. Einige Tage später fotografierte uns ein Fotograf von der Lokalzeitung, und ich versuchte mich, so gut es ging, hinter den anderen zu verstecken. Sung hatte da schon seine Jacke, und die weißen Ärmel leuchteten, als wären sie aus Einhorn-Hörnern geschnitzt. Nachdem der Artikel veröffentlicht worden war, gratulierten mir ein paar Leute auf dem Schulflur. Aber die meisten kicherten nur oder gingen gleichgültig weiter. Wir veranstalteten kurz entschlossen einen Süßigkeiten-Basar, um unseren Trip nach Indianapolis zu finanzieren, und ich klaute Geld aus den Portemonnaies meiner Eltern und griff auf meine Ersparnisse zurück, um meinen eigenen Anteil aufzukaufen. Ich stapelte die blöden Schokoriegel lieber in unserem Keller, anstatt meine Mitschüler um ihr Geld anzubetteln.

Sung wollte natürlich, dass wir alle die gleichen Collegejacken zum nationalen Quiz-Bowl-Wettbewerb trugen. Damien hatte schon die Jacke der Langlauf-Mannschaft, also brauchte er keine weitere. Frances, Wes und Gordon sagten, sie hätten ihr ganzes Geld für die Indianapolis-Tickets ausgegeben. Ich sagte bloß Nein. Und als Sung mich fragte, ob ich mir sicher sei, sagte ich: »Du kannst doch nicht allen Ernstes von mir erwarten, dass ich dieses Ding anziehe.« Alle hielten kurz die Luft an, aber Sung ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er überredete uns einfach zu einer weiteren Trainingsrunde.

Obwohl ich aus vier Gründen im Quiz-Bowl Team war, gab es nur zwei Gründe, wirklich dabeizubleiben:

(1) Ich war unbewusst in Damien Bloom verknallt. (So was ändert sich nicht.)

(2) Es machte mir sehr viel Spaß, Leute zu besiegen. Anmerkung: Ich behaupte nicht, dass es mir sehr viel Spaß macht zu gewinnen. Gewinnen ist ein etwas abstrakter Begriff. Beim Quiz-Bowl bedeutet Gewinnen normalerweise, in die nächste Runde zu kommen und wieder von vorn anzufangen. Nein, ich liebte es, Leute zu besiegen. Es machte mir Spaß, die Mienen der Kids aus der Gegenmannschaft zu beobachten, wenn ich eine Frage bekam, die sie nicht beantworten konnten. Ich liebte ihre geektastische Enttäuschung, als ihnen klar wurde, dass sie nicht gut genug waren, um mit uns mitzuhalten. Ich liebte es, mein Allgemeinwissen einzusetzen, um die Leute an sich selbst zweifeln zu lassen. Ich habe nie eine Literaturfrage falsch beantwortet – ich war der absolute Zerstörer, wenn es um Autoren und ihre Werke ging. Und ich habe nie versucht, die Mathe-, Wissenschafts- oder Geschichtsfragen zu beantworten. Das erwartete auch niemand von mir. Also würde ich immer gewinnen.

Am schwersten war das Training, wenn wir uns in Mannschaften à drei aufteilten und gegeneinander antraten. Ich hatte keine Schwierigkeiten, die Fragen richtig zu beantworten – ich musste bloß aufpassen, mich nicht damit zu brüsten. Das Einzige, was mich im Zaun hielt, war Damiens Anwesenheit. In seiner Nähe wollte ich mich anständig benehmen.

Dass ich mich auf Indianapolis freute, lag daran, dass ich davon ausging, mir mit Damien ein Zimmer teilen zu können. Ich stellte mir vor, wie wir die ganze Nacht über quatschen würden und sich eine Nähe einstellen würde über die Erkenntnisse, die wir dabei gewannen. Ich sah uns schon, wie wir uns über die Quiz-Bowl-Kids aus den anderen Bundesstaaten lustig machten, die in ihren Quiz-Bowl Collegejacken um uns herumstanden. Wir würden ein paar Biere aufs Zimmer schmuggeln, schlechtes Fernsehen gucken und uns so wohl miteinander fühlen, dass selbst ich den Eindruck bekam, die Welt sei in Ordnung. Es handelte sich hierbei um eine strikte Getrennte-Betten-Fantasie … allerdings auch um eine Getrennt-von-der-Welt-Fantasie. Das war, was ich mir wünschte.

Je näher Indianapolis rückte, desto mehr freute ich mich darauf und desto mehr verwandelte sich Sung in einen Diktator. Es war vorher schon klar gewesen, dass er den Quiz-Bowl sehr ernst nahm, aber jetzt war er außer Rand und Band. Nach der Schule wollte er jeden Tag sechs Stunden lang trainieren – wir bestellten Pizza – und sogar, wenn er uns auf den Schulfluren sah, rief er uns die nächste Frage zu. Zunächst versuchte ich, ihn zu ignorieren, aber das führte dazu, dass er DIE FRAGEN LAUT UND ÜBERARTIKULIERT FORMULIERTE. Jeder in einem Radius von vier Schulfluren konnte hören, wie der Typ in seiner Quiz-Bowl Collegejacke schrie: »WELCHER AMERIKANISCHE SCHRIFTSTELLER BEKAM ZULETZT DEN NOBELPREIS FÜR LITERATUR?«

Ich antwortete leise: »James Patterson.«

Sung erblasste und flüsterte: »Falsch.«

»Toni Morrison«, korrigierte ich mich. »Ich verarsch dich doch bloß.«

»Das ist nicht witzig«, sagte er. Und ich beeilte mich, zum Unterricht zu kommen.

Zumindest hatte ich nun einen Grund, in der Mittagspause mit Damien zu sprechen. Ich landete, so ein Zufall, in der Cafeteria-Warteschlange direkt hinter ihm.

»Geht dir Sung auch so auf die Nerven?«, fragte ich. »Mit seinen ständigen Quizfragen?«

Damien lächelte. »Nee. Sung ist einfach Sung. Das muss man respektieren.«

Für mich gab es nur einen Grund, Sungs Verhalten zu respektieren: weil Damien es respektierte.

Die Quizfragerei auf den Fluren schlug mir trotzdem auf die Laune. Sung wurde immer wütender, je weniger ich in der Lage war, seine Fragen korrekt zu beantworten.

»WELCHER ROMAN IST DER LETZTE, DEN JANE AUSTEN FERTIGGESTELLT HAT?«

»Vaginen und Jungfräulichkeit.«

»WEN BRINGT JAGO IN OTHELLO ALS LETZTES UM?«

»Seinen Dienstboten Bastardio, weil er vergessen hat, den Brita-Filter zu wechseln!«

»WIE ENDET HANS CHRISTIAN ANDERSENS

DIE KLEINE MEERJUNGFRAU?«

»Sie verwandelt sich in einen Fisch und heiratet Nemo.«

»Fick dich!«

Das waren ungewöhnliche Worte aus Sungs Mund.

»Versuchst du uns zu sabotieren? WILLST DU VERLIEREN?«

Die anderen Schüler im Flur waren begeistert – ein Quiz-Bowl-Zoff, der aus den Fugen geriet.

»Machst du mit mir Schluss?«, fragte ich spaßeshalber.

Sung wurde tiefrot.

»Wir sehen uns beim Training«, konnte er gerade noch herausbringen. Dann drehte er sich um, und ich sah die fünf Quiz-Bowler auf seinem Jackenrücken, ihre leeren Gesichter, die mich nicht wirklich anstrahlten, während er davonstürmte.

Als ich mich zu unserer letzten Trainingsrunde vor der Abreise nach Indianapolis um zehn Minuten verspätete, guckte Mr Phillips besorgt, Damien gleichgültig, Sung nervös und wütend, Frances nervös, Gordon wütend, und Wes war abgelenkt von irgendeinem Spiel, das er auf seinem Handy spielte.

»Jeder von euch sollte den Wettbewerb sehr ernst nehmen«, betonte Mr Phillips.

»Denn wenn wir es nicht unter die letzten Vier schaffen, werden kleine, schutzlose Koalabären umgebracht!«, fügte ich hinzu.

»Willst du hierbleiben?«, fragte Sung, der aussah, als hätte ich gerade einen Magneten an seine Festplatte gehalten. »Ist es das, worum es geht?«

»Nein«, sagte ich gelassen. »Ich mach doch nur Spaß.

Wenn man über ein Quiz-Bowl keine Witze mehr machen kann, worüber dann?«

»Komm schon, Alec«, sagte Damien. »Sung will doch nur, dass wir gewinnen.«

»Nein«, sagte ich. »Sung will nur gewinnen. Das ist ein Unterschied.«

Damien und die anderen sahen mich verständnislos an. Ah, ja, da fiel es mir wieder ein, das war hier nicht die sprachsensible Gruppe.

Trotzdem hatte mir Damien klargemacht: Lass gut sein. Daran hielt ich mich für den Rest des Trainings. Und ich vermasselte keine einzige Frage. Ich konnte sogar vier weitere Bücher von Pearl S. Buck aufzählen, neben Die gute Erde – das entsprach als Wissen über amerikanische Literatur in etwa dem Nerd-Wissen zum Bau einer Atombombe.

Und wie wurde ich für dieses belanglose Wissen belohnt? Am Ende des Trainings, kurz bevor wir uns verabschiedeten, teilte uns Mr Phillips spontan die Zimmerzuteilung mit. Sung würde ein Zimmer mit Damien teilen. Und ich eins mit Wes, der sich zur Vorbereitung auf den Wettbewerb gern Kampfszenen aus Der Herr der Ringe ansah.

Ich hätte schwören können, dass Sung auf dem Weg nach draußen schadenfroh guckte.

Wenn es nach Sung gegangen wäre, wären wir am Flughafen von der Cheerleader-Truppe verabschiedet worden. Ich konnte sie vor mir sehen:

Two-four-six-eight, how do mollusks procreate?

One-two-three-four, name the birthplace of Niels Bohr! Und vor dem Abflug hätte Sung spaßeshalber die Masse und das Volumen ihrer Pompons berechnet. Jedes der Mädchen würde davon träumen, bei unserer Rückkehr Sungs Jacke zu tragen, denn damit wäre sie das beliebteste Mädchen der ganzen Sch…

»Alec, das Boarding geht los.« Damien unterbrach meine sarkastische Tagträumerei. Die Karma-Götter hatten uns wenigstens im Flugzeug nebeneinandergesetzt. Leider schwenkten sie dann um (wozu Karma-Götter ja neigen, diese Jerks) und ließen ihn gleich nach dem Abflug einschlafen. Kurz vor der Landung öffnete er die Augen und sah mich an.

»Nervös?«, fragte er.

»Überhaupt nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich meine, wir müssen nicht gewinnen, damit unser Zeugnis gut aussieht. Ich hecke bereits die Story aus, wie ich einen schlimmen Fall von Schwindsucht überwinde, die Missbilligung meiner Eltern, eine Reihe von Abstürzen in kleineren Flugzeugen sowie eine vierundzwanzigstündige Sprachbehinderung, um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können. Solange du ein paar Widrigkeiten überwindest, ist es ihnen egal, ob du gewinnst. Es sei denn, es geht um eine richtige Sportart.«

»Alter«, sagte er, »du liest viel zu viel.«

»Und du kennst deine Wissenschaften offenbar nicht gut genug, um ans andere Ende des Gangs zu flüchten, sobald ich dir gestehe, dass ich an Schwindsucht leide.«

»Oh«, sagte er und lehnte sich etwas näher zu mir hin, »ich kann mich anstecken, wenn ich neben dir sitze?«

»Medizin ist dein Fachgebiet«, sagte ich, ohne mich zurückzulehnen. »In Romanen kann man sich sehr wohl mit der Schwindsucht anstecken, wenn man neben jemandem sitzt. Du warst ab dem Moment verloren, als du mich getroffen hast.«

»Kann man wohl sagen.«

Es gelang mir nicht, das Gespräch am Laufen zu halten.

Ich war nicht schnell genug. Damien beugte sich vor, um eine Ausgabe der Men’s Health aus seiner Tasche zu ziehen. Und er las sie nicht mal wegen der Bilder.

In den letzten zehn Flugminuten gab ich vor, an trockenem Husten zu leiden. Die anderen waren genervt, aber Damien amüsierte sich. Das war jetzt unser kleiner Joke.

Wir übernachteten im »Westin« in Indianapolis, Heim der Heavenly™ Betten und Heavenly™ Badezimmer.

»Wie zum Teufel kann man das Wort heavenly markenrechtlich schützen lassen?«, fragte ich Wes, während wir unsere Sachen auspackten. Wir blieben nur zwei Nächte, also schien es nicht nötig, irgendetwas aufzuhängen.

»Weiß nicht«, antwortete er.

»Und was hat es mit dem Heavenly™ Bad auf sich? Werde ich wirklich im Himmel duschen müssen? Es lohnt sich echt nicht, im Leben gut zu sein, wenn man im Jenseits Deo tragen muss.«

»Keine Ahnung«, sagte Wes und stapelte alle mitgebrachten Comic-Hefte gleichmäßig auf dem Nachttisch.

»Wie, du warst noch nie tot?«

Er seufzte.

»Wir müssen los, die anderen treffen«, sagte er.

Bevor wir gingen, überprüfte er, ob alle Lichter ausgeschaltet waren.

Er schaltete sogar die Uhr aus.

Der Wettbewerb begann erst am nächsten Morgen, zunächst sollte die Quiz-Bowl Party stattfinden. »Eine Party zu einem Quiz-Bowl-Wettbewerb zu veranstalten, ist, wie einem Haufen Vegetarier All-you-can-eat-Ribs anzubieten«, sagte ich zu Damien, während wir darauf warteten, dass Sung und Mr Phillips in die Lobby kamen.

»Ich bin mir sicher, dass es hier auch ein paar coole Leute gibt«, sagte er.

»Ja. Und die sind alle auf ihren Zimmern geblieben und saufen.«

Einige hatten sich schick gemacht – das heißt, ein paar Mädchen trugen Kleider und ein paar Jungs Krawatten, wobei keiner von ihnen den Mut aufbrachte, auch ein Sakko anzuziehen. Es sei denn, natürlich, es war eine Quiz-Bowl Collegejacke. Ich sah mindestens fünf in der Lobby.

»Hey, Sung, du bist wohl kein Unikum mehr«, sagte ich, als er endlich auftauchte und seine Jacke wie frisch poliert aussah.

»Ich muss kein Unikum sein«, spottete er. »Ich muss nur gewinnen.«

Ich tat so, als würde ich eine winzige Fahne schwenken. »Go, Team.«

»Also, Leute«, sagte Gordon, »lassen wir es krachen?«

Ich ging davon aus, das war ein Scherz, aber ich war mir nicht ganz sicher. Ich sah mir unsere Gruppe an – Sungs Haare waren perfekt gestylt, Frances hatte sich geschminkt, Gordon trug knallrote Socken, die überhaupt nicht zu seiner restlichen Kleidung passten, Damien sah super lässig und gut aus und Wes wirkte so, als würde er gern zurück ins Zimmer und Y: The Last Man lesen.

»Lassen wir es krachen!«, tönte Mr Phillips; ein bisschen zu enthusiastisch für jemanden, der älter als elf Jahre war.

»Unsere erste Runde spielen wir gegen das Team aus North Dakota«, rief uns Sung in Erinnerung. »Wenn ihr die Leute heute Abend trefft, findet heraus, wie intelligent sie sind.«

»Wenn wir sie auf der Tanzfläche sehen, werde ich rüberschlendern und sie bitten, Virginia Woolf zu zitieren«, versicherte ich ihm. »Das sollte ihnen Angst einjagen.«

Die Party fand in einem der Ballsäle des »Westin« statt. In der Mitte des Saals war eine Tanzfläche, aber niemand wagte, sich ihr zu nähern. Der Punsch war genauso langweilig wie die Frisuren, das Licht gedimmt, um die Verlegenheit der Gäste zu verbergen.

»Wow«, sagte ich zu Damien, als wir reingingen und den Raum in Augenschein nahmen. »Das ist hot.«

Man sah Damien an, wie unwohl er sich fühlte, und ich musste beinahe lachen. Ich stellte mir vor, wie er sich selbst versicherte, dass zum Glück keiner seiner Freunde zu Hause jemals von dem allen hier erfahren würde.

»Die Erwachsenen sind schlimmer als die Kids«, sagte Wes hinter meiner Schulter.

»Du hast recht«, sagte ich. Denn während sich die Quiz-Bowler lahm und unbeholfen verhielten, waren die Lehrkräfte total high. Sie trugen ihre besten Anzüge aus den 1980er-Jahren und strahlten, als hätten sie sich endlich von Losern zu Helden verwandelt (in einer stark überarbeiteten Highschool-Zeit-Version ihrer selbst).

Aus Grausamkeit oder Ahnungslosigkeit (Ersteres wahrscheinlich) beschloss der DJ Gwen Stefanis »Hollaback Girl« aufzulegen. Viele der Quiz-Bowler sahen so aus, als würden sie den Song zum ersten Mal hören. Sobald der Beat begann, war es nur eine Frage der Zeit, wer zuerst auftauen würde. Würde der Mannschaftskapitän aus Montana einen Breakdance aufs Parkett legen? Würde die Ersatzspielerin aus Connecticut sich zu einem Head-banging hinreißen lassen?

Schließlich ging eine ganze Truppe auf die Tanzfläche. Gemeinsam begannen sie herumzuhampeln – ich hätte mir nie vorstellen können, dass unser Team so was machte. Sie lachten über sich selbst, während sie tanzten und sie hatten eindeutig Spaß. Andere schlossen sich ihnen an. Sogar Sung, Frances und Gordon stürzten sich ins Gemenge.

»Guck mal«, murmelte Wes.

Gordon stolzierte herum, als hätte er seine Haltung zu Hause eingeübt; ich war mir sicher, dass es in seinem Schlafzimmerspiegel besser ausgesehen hatte als hier. Frances schunkelte leicht hin und her, was ihrer Persönlichkeit entsprach. Und Sung – nun ja, Sung sah aus wie ein Opa, der versuchte zu »Hollaback Girl« zu tanzen.

»Dieser shit ist echt bananas«, sagte ich zu Damien. »B-A-N-A-N-A-S. Sieh dir diese Collegejacke an!«

»Hör endlich mit dieser Jacke auf«, entgegnete Damien. »Lass ihn Spaß haben. Er ist doch schon gestresst genug. Ich hol mir was zu trinken. Willst du auch was?«

Zuerst dachte ich, er wolle die nächstgelegene Minibar plündern. Doch nein, er ging bloß zur Punschschüssel. Der Punsch war viel zu süß – Kool-Aid gemischt mit Sprite –, und während ich ein Glas nach dem anderen trank, wurde ich fast so high davon wie von Robitussin-Hustensaft.

»Siehst du hier jemanden, der aussieht, als wäre er aus North Dakota?«, fragte ich. »Hohe Hüte? Irgendwelche Hinweise auf Rinderzucht? Wenn ja, dann können wir sie ausspionieren gehen. Wenn du sie ablenkst, klaue ich die laminierten Kopien ihrer SAT-Ergebnisse aus ihren Gürteltaschen.«

Aber er ließ sich nicht darauf ein. Er schaute ständig aufs Handy und checkte den Nachrichteneingang.

»Wer schreibt dir?«, fragte ich schließlich.

»Bloß Julie«, sagte er. »Ich wünsche mir, sie würde damit aufhören.«

Ich ging davon aus, dass »Bloß Julie« Julie Swain war, die zum Langlauf-Team gehörte. Ich glaubte nicht, dass die beiden zusammen waren. Vielleicht wollte sie, und er nicht. Das würde erklären, warum er nicht antwortete.

Es war klar, Damien und ich würden nie zum spaßigen Teil der Spaßparty kommen. Ihn beschäftigte etwas, und mich beschäftigte nur er. Wes hatten wir verloren, und Sung, Frances und Gordon waren immer noch auf der Tanzfläche. Sung sah so aus, als wäre es ein Job, hier zu sein, während Gordon sich in seiner eigenen kleinen Welt befand. Frances faszinierte mich am meisten.

»Sie sieht fast glücklich aus«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich sie jemals so glücklich gesehen habe.«

Damien nickte und trank noch etwas von dem Punsch. »Sie ist immer sehr ernst«, stimmte er zu.

Unsere Lippen färbten sich kirschrot vom Punsch.

»Lass uns abhauen«, schlug ich vor.

»Okay.«

Wir waren zusammen allein in einem fremden Hotel in einer fremden Stadt. Also taten wir das Natürliche.

Wir gingen auf sein Zimmer.

Und schauten fern.

Es war sein Zimmer, also durfte er aussuchen, was. Wir landeten schließlich bei Departed – Unter Feinden im Kabelfernsehen. Ich stellte fest, dass wir zuvor noch nie so lange allein Zeit miteinander verbracht hatten. Er legte sich auf sein Bett, und ich setzte mich auf Sungs. Ich setzte mich so hin, dass ich aus demselben Blickwinkel sowohl Damien als auch den Film sehen konnte.

In der ersten Werbepause fragte ich: »Stimmt was nicht?«

Er sah mich seltsam an. »Nein. Wirkt es so, als ob etwas nicht stimmen würde?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich frag nur.«

In der zweiten Werbepause fragte ich: »Warst du mit Julie zusammen?«

Er legte den Kopf aufs Kissen und schloss die Augen.

»Nein.« Und dann, etwa eine Minute später, kurz bevor der Film wieder anfing: »Es war nichts, echt nicht.«

In der dritten Werbepause, fragte ich: »Weiß sie das auch?«

»Was?«

»Weiß Julie, dass da nichts war.«

»Nein«, sagte er. »Es sieht so aus, als ob sie das nicht wüsste.«

Da war er nun, ich war mir sicher, der Moment, in dem er mich um Rat fragen würde. Ich könnte ihm helfen. Ich könnte mich seiner Gesellschaft würdig erweisen.

Aber er ließ es bleiben. Er wollte nicht darüber reden. Er wollte den Film gucken.

Mir wurde klar, dass ich ihm wohl einfach Zeit lassen musste. Ich konnte nicht aufs Gas drücken. Ich musste geduldig bleiben. In den restlichen Werbepausen machte ich North-Dakota-Witze. Er lachte über einige und machte sogar selbst welche.

Sung kam fünfzehn Minuten vor Filmende zurück. Er schien nicht besonders begeistert davon, dass ich auf seinem Bett saß, aber ich hatte nicht vor wegzugehen.

»Sung«, sagte ich, »wenn dieses ganze Quiz-Bowl-Ding nichts wird, denke ich, dass deine Zukunft auf der Tanzfläche liegt.«

»Halt die Klappe«, grummelte er, zog die berühmte

Jacke aus und hing sie in den Schrank.

Wir schauten uns den Rest des Films in Ruhe an, während Sung auf Damiens Bettkante saß. Sobald der Abspann anfing, sagte Sung, es sei Zeit zu schlafen.

»Aber wo wirst du schlafen?«, fragte ich, während ich mich auf seinem Bett breitmachte.

»Das ist mein Bett«, sagte er.

Ich wollte Sung einen Tausch anbieten – er könnte mit Wes in einem Zimmer schlafen und die ganze Nacht über Polynome sprechen, während ich bei Damien blieb. Das war leider nicht wirklich eine Option.

Damien begleitete mich zur Tür.

»Lass die Finger von der Minibar«, sagte er. »Wir brauchen dich morgen nüchtern.«

»Ich werd’s versuchen«, antwortete ich. »Aber diese Fläschchen sind einfach so schön. Jedes Mal, wenn ich daraus trinke, stelle ich mir vor, ich sei eine Puppe.«

Er kicherte und gab mir einen leichten Klaps auf die Schulter.

»Bleib stark.«

Ich sagte erneut, ich würde es versuchen.

Als ich ins Zimmer kam, lag Wes schon im Bett und das Licht war aus, also zog ich schnell meinen Schlafanzug an und putzte mir die Zähne.

Ich war gerade dabei einzuschlafen, als Wes fragte: »Hattest du Spaß?«

»Ja«, sagte ich. »Damien und ich sind in sein Zimmer gegangen und haben Departed geguckt. Wir hatten eine gute Zeit. Wir haben dich gesucht, aber du warst schon weg.«

»Die Party war kacke.«

»Auf jeden.«

Ich schloss meine Augen.

»Gute Nacht«, sagte Wes sanft, und es klang wie ein echter Wunsch. Niemand außer meinen Eltern hatte es jemals so zu mir gesagt.

»Gute Nacht,« antwortete ich. Dann überprüfte ich, dass er die Uhr wieder eingesteckt hatte und schlief ein.

Am nächsten Morgen traten wir North Dakota in den Arsch. Danach löschten wir Maryland von den Tafeln und brachten Oklahoma zum Weinen.

Es fühlte sich gut an.

»Bildet euch nicht allzu viel drauf ein«, warnte uns Sung, was leicht verlogen wirkte, da Sung der Eingebildetste von uns allen war. Jedes Mal, wenn wir gewonnen hatten, erwartete ich schon fast, dass »We are the Champions« aus seinen Ohren dröhnt.

Unsere vierte und letzte Runde – das Viertelfinale – war gegen das Team aus Clearwater, Florida. In den letzten zehn Jahren hatten sie es immer bis ins Finale geschafft und viermal gewonnen. Sie waren so legendär, da sogar Leute wie Sung von ihnen gehört hatten; anhand von einigen Videos, die Mr Philipps besorgt hatte, hatte er ihre Strategien studiert.

Obwohl ich nur ein Ersatzspieler war, wurde ich in die Startformation berufen. Das Team aus Clearwater war dafür bekannt, die anderen Mannschaften niederzumetzeln.

»Lasst uns loslegen«, sagte ich.

Es wurde schnell klar, wer meine Gegnerin im Clearwater-Team war: ein dünnes Mädchen mit glatten braunen Haaren, die kaum ihr Muriel-Spark-Buch weglegen konnte, um mit dem Spiel zu beginnen. Als sie zum ersten Mal den Mund öffnete, enthüllte sie ihre Geheimwaffe.

Sie war Britin.

Frances sah kurz verängstigt aus, aber ich trug es mit Fassung. Als das Mädchen mit Byron longierte, parierte ich mit Asimov. Als sie mir Burgess entgegenschmetterte, schlug ich mit Roth zurück. Keiner von uns verfehlte eine Frage, und so wurde es zu einem Wettbewerb um den Buzzer. Eine Millisekunde bevor ich die Antwort wusste, drückte ich drauf. Ich wusste die Antwort immer.

Bis ich das Undenkbare tat.

Ich drückte den Buzzer bei einer Wissenschaftsfrage.

Welcher Nobelpreisträger schrieb Die Doppelhelix und Avoid Boring People?

Mir war sofort klar, dass es weder Saul Bellow noch Kenzaburo Oe sein konnten.

Als der Schiedsrichter fragte: »Hast du die Antwort?«, schlug der Titel Die Doppelhelix wie ein Blitz ein.

»Crick!«, rief ich.

Der Schiedsrichter sah mich einen Moment lang an, dann blickte er auf seine Karte. »Das ist nicht richtig. Clearwater, welcher Nobelpreisträger schrieb Die Doppelhelix und Avoid Boring People?«

Es war nicht das Lit-Girl, das auf den Buzzer drückte.

»James D. Watson«, antwortete einer der Mathe-Jungs rotzig und das D klang wie ein besonderes Fick dich an meine Adresse.

»Entschuldigung«, flüsterte ich meinem Team zu.

»Ist schon gut«, sagte Damien.

»Kein Problem«, sagte Wes.

Sung, das wusste ich, würde mir nicht so schnell verzeihen.

Ich war nun verunsichert und viel vorsichtiger mit dem Buzzer. Das Brit-Girl übertrumpfte mich bei Caliban und Vivienne Haigh-Wood. Ich schaffte es, mit Hundert Jahre Einsamkeit zurückzuschlagen, aber das war nur ein schwacher Trost. Ich meine, wer kennt Hundert Jahre Einsamkeit nicht?

Das Clearwater-Team hatte einen Vorsprung von einem Punkt und noch drei Fragen übrig, und die letzten Fragen waren Mathe-, Geschichts- und Geografiefragen. Also lehnte ich mich zurück, während Sung die relativen Bereiche einer Raute und eines Kreises schaukelte, Wes ein wenig Liebe in Richtung General Omar Bradley schickte und Frances die Sache mit Taschkent abschloss, der mir unbekannten Hauptstadt Usbekistans, die übersetzt »Steinstadt« hieß.

Normalerweise sprangen wir in die Höhe, wenn wir gewannen, aber dieses Spiel war so anstrengend gewesen, dass wir uns nur erleichtert fühlten. Wir schüttelten die Hände der anderen Teammitglieder – die Hand des Brit-Girls fühlte sich an wie Papier, was ich seltsam fand.

Nachdem Clearwater den Saal verlassen hatte, trommelte Sung uns zu einer Notfall-Sitzung zusammen.

»Das war viel zu knapp«, sagte er. Kein Glückwunsch oder Gut gemacht.

Nein, Sung war sauer.

Er sprach davon, dass wir viel aggressiver auf den Buzzer drücken, aber auch Vorsicht walten lassen sollten. Er sagte, wir sollten nur dann antworten, wenn wir uns absolut sicher seien. Ein Versehen hieße, die Struktur unseres gesamten Teams zu zerstören.

»Ich hab’s kapiert, ich hab’s kapiert«, sagte ich.

»Nein!«, sagte Sung. »Das glaube ich nicht.«

»Sung«, ermahnte ihn Mr Phillips.

»Er muss sich das jetzt anhören«, insistierte Sung. »Seit Beginn des Schuljahres hat er es abgelehnt, sich in unser Team zu integrieren. Und was wir heute erlebt haben, war nichts anderes als ein Aufstand. Er hat die ungeschriebenen Gesetze gebrochen.«

»Er steht hier«, betonte ich. »Sag einfach, was du zu sagen hast.«

»DU SOLLST KEINE WISSENSCHAFTSFRAGEN BEANTWORTEN!«, schrie Sung. »WAS HAST DU DIR DABEI GEDACHT?«

»Hey …«, unterbrach Damien.

Ich hob meine Hand. »Ist schon okay. Sung muss das loswerden.«

»Du bist der Ersatzspieler«, fuhr Sung fort.

»Wenn ich die Fragen richtig beantworte, scheint dich das nicht zu stören.«

»Wir haben dich nur dabei, weil wir müssen.«

»Das reicht«, sagte Mr Phillips entschlossen.

»Nein, das reicht nicht«, erwiderte ich. »Ich bin’s leid, dass ihr alle so tut, als ob ich dieser Englisch-Freak wäre, der euch eure schöne Mathe-Wissenschafts-Party verdirbt. Sung scheint zu glauben, dass mein Beitrag in diesem Team weniger wert ist als die der anderen.«

»Jeder kann Buchtitel auswendig lernen«, schrie Sung.

»Ach, komm schon. Als ob ich was drauf gebe, was du denkst? Du kennst ja nicht einmal den Unterschied zwischen Keats und Byron.«

»Der Unterschied zwischen Keats und Byron spielt keine Rolle!«

»Nichts von dem hier spielt eine Rolle!«, schrie ich zurück. »Kapierst du’s nicht, Sung? NICHTS VON DEM HIER IST WIRKLICH WICHTIG. Ja, du weißt sehr viel – aber du tust nichts mit diesem Wissen. Du spulst es bloß ab. Du kämpfst nicht da draußen gegen den Krebs – du zählst bloß die Namen derer auf, die versucht haben, den Krebs zu heilen. Diese ganze Sache hier ist ein Witz, Captain. Sie ist unwichtig. Deswegen lachen auch alle über uns.«

»Du glaubst, wir sind alle unwichtig?«, forderte mich Sung heraus.

»Nein«, sagte ich. »Ich denke, du bist unwichtig mit deiner ganzen Quiz-Bowl Besessenheit. Wir anderen haben auch noch andere Dinge zu tun. Wir haben ein Leben.«

»Du bist derjenige, der nicht Teil dieses Teams ist. Du bist der Außenseiter.«

»Wenn das stimmt, Sung, warum bist du dann der Einzige, der diese verdammte Collegejacke trägt? Warum glaubst du, dass sich keiner damit zeigen will? Es geht nicht nur mir so, Sung. Es geht uns allen so.«

»Das reicht!«, schrie Mr Phillips.

Sung sah aus, als hätte er mich am liebsten umgebracht. Und ich wusste, dass er diese verdammte Jacke nie wieder ansehen würde wie davor.

»Warum machen wir nicht alle eine Pause und gehen zum Abendessen«, fuhr Mr Phillips fort, »und dann kommen wir um acht wieder in meinem Zimmer zusammen und trainieren für das Halbfinale morgen früh. Ich weiß nicht, gegen wen wir antreten, aber wir müssen als Team antreten.«

Was wir als Nächstes taten, sprach nicht besonders für unsere Teamfähigkeit: Mr Phillips, ein nachdenklicher Sung, Frances und Gordon gingen in die eine Richtung zum Abendessen, Wes, Damien und ich gingen in die andere.

»Ein paar Blocks weiter gibt’s ein »Steak ’n Shake«, sagte Wes.

»Klingt gut«, sagte Damien.

Ich folgte ihnen nachdenklich.

»Es war eine Bücherfrage«, sagte ich, sobald wir das Hotel verließen. »Mir war nicht klar, dass es eine Wissenschaftsfrage werden würde.«

»Crick war ja auch nicht ganz falsch«, hob Wes hervor.

»Ja, aber ich hab’s trotzdem vermasselt.«

»Und wir haben trotzdem gewonnen«, sagte Damien.

Ja, ich wusste, dass es so war.

Aber ich konnte es nicht fühlen.

Damien und Wes versuchten, mich aufzumuntern. Nicht nur, indem sie mir einen Burger und einen Shake spendierten, sondern auch, indem sie mir gegenübersaßen und mich wie einen Freund behandelten.

»Wie fühlt es sich an, der Quiz-Bowl Antichrist zu sein?«, fragte Damien in einem sich mokierenden Sportreportertonfall, während er mir ein unsichtbares Mikrofon hinhielt.

»Na ja, wie James D. Watson sagte, bin ich die gottverdammte Prinzessin. Alle anderen Quiz-Bowler sollten sich vor mir verneigen. Denn, wisst ihr was?«

»Was?«, fragten Damien und Wes.

»Eines Tages werde ich die gottverdammte Antwort auf eine Quiz-Bowl Frage sein.«

»Ja«, sagte Wes. »Welcher Quiz-Bowl Ersatzspieler tötete den Teamkapitän im Halbfinale und schrieb später das Buch Among Boring People?«

Damien schüttelte den Kopf. »Das ist nicht witzig. Es wird weder heute noch morgen einen Mord geben.«

»Ist euch eigentlich klar … wenn wir das hier gewinnen, steht das für den Rest unseres Lebens bei Google«, sagte ich.

»Lasst uns beim Fototermin Masken tragen«, schlug Wes vor.

»Ich bin Michelangelo. Du kannst Donatello sein.«

So ging das eine ganze Weile lang weiter. Damien hörte auf zu reden und sah zu, wie Wes und ich uns die Sätze hin und her spielten. Ich redete, aber vor allem sah ich ihn an. Seine grün-blauen Augen. Das Profil seines Nackens. Die Haarlocke, die über der linken Stirnseite hing. Wo ich auch hinsah, es gab etwas zu sehen.

Ich hatte keinerlei Kontrolle darüber. Etwas in mir bewegte sich. Alles, was ich mich geweigert hatte zuzugeben, fing plötzlich an, sich wie von selbst zu buchstabieren. Nicht als Wissen, sondern als Impuls unterhalb der Wissensebene. Ich wusste, ich wollte mit ihm zusammen sein, und nun begann ich auch zu fühlen, warum. Er war der Grund, weshalb ich hier war. Er war der entscheidende Grund.

Ich plauderte mit Wes, aber eigentlich plauderte ich mit Damien – durch das, was ich zu Wes sagte. Ich wollte, dass er mich unterhaltsam fand. Ich wollte, dass er mich interessant fand. Ich wollte, dass er mich überhaupt fand.

Wir waren ziemlich schnell fertig und bevor ich mich versah, gingen wir zurück zum »Westin«. Als wir in der Lobby ankamen, beschloss Wes auf wundersame Weise, bis zum »Trainingsspiel«, das um acht beginnen sollte, aufs Zimmer zu gehen. Damien und ich blieben zurück und hatten zwei Stunden Zeit und nichts zu tun.

»Warum gehen wir nicht auf mein Zimmer?«, schlug Damien vor.

Ich widersprach ihm nicht. Ich begann, nervös zu werden – grundlos nervös. Wir waren doch nur zwei Freunde, die auf ein Zimmer gingen. Es war nichts weiter dabei. Und doch … er hatte nicht erwähnt, dass wir fernsehen würden und beim letzten Mal hatte er gesagt: »Warum gehen wir nicht auf mein Zimmer und schauen fern?«

»Ich bin froh, dass wir allein sind«, wagte ich zu sagen.

»Ja, ich auch«, sagte Damien.

Wir schwiegen im Aufzug und gingen schweigend den Flur entlang. Als wir an seiner Tür ankamen, zog er seine Magnetstreifenkarte durch den Schlitz und bekam beim ersten Versuch grünes Licht. Bei mir klappte das nie.

»Nach dir«, sagte er, öffnete die Tür und machte eine einladende Handbewegung.

Ich ging vor, den kleinen Flur entlang, in Richtung der Betten. Da merkte ich, dass jemand im Zimmer war. Es war Sung. Er lag auf seinem Bett und hatte seine Jacke nicht an. Auch kein T-Shirt. Und er stöhnte ein wenig.

Ich dachte zunächst, wir hätten ihn beim Wichsen erwischt. Ich konnte nicht anders und brach in Gelächter aus. Dadurch merkte er, dass wir im Zimmer waren. Er sprang auf, drehte sich um und ich sah, dass Frances neben ihm im Bett lag, ebenfalls ohne T-Shirt, aber noch im BH.

Das war so irre, dass ich nicht aufhören konnte zu lachen. Mir schossen Tränen in die Augen.

»Raus!«, schrie Sung.

»Es tut mir leid, Frances«, sagte ich zwischen den Lachanfällen. »Es tut mir sehr leid.«

»RAUS!«, schrie Sung erneut und stand auf. Gott sei Dank, hatte er noch seine Hose an. »DU BIST DER TEUFEL. DER TEUFEL!«

»Ich bevorzuge das Wort Antichrist«, sagte ich.

»DER TEUFEL!«

»DER TEUFEL!«, äffte ich ihn nach.

Ich spürte Damiens Hand auf meiner Schulter. »Lass uns gehen«, flüsterte er.

»Das ist alles so erbärmlich«, sagte ich. »Sung, Alter, du bist erbärmlich«.

Sung wollte sich auf mich stürzen, doch Damien stellte sich dazwischen.

»Geh«, sagte Damien zu mir. »Jetzt.«

Ich fing wieder an zu lachen, also entschuldigte ich mich noch einmal bei Frances, dann trat ich in den Flur hinaus.

Damien kam ein paar Sekunden später nach und schloss die Tür.

»Heilige Scheiße!«, sagte ich.

»Hör auf damit«, sagte Damien. »Es reicht.«

»Es reicht?« Ich lachte wieder. »Das ist erst der Anfang.«

Damien schüttelte den Kopf. »Du bist eiskalt, Mann«, sagte er. »Ich kann einfach nicht fassen, wie kalt du bist.«

»Was?«, fragte ich. »Du findest das nicht witzig?«

»Du bist herzlos.«

Diese Bemerkung brachte mich ziemlich schnell zur Besinnung. »Wie kannst du das sagen?«, fragte ich. »Wie kannst du, gerade du, das sagen?«

»Was soll das heißen? Gerade ich?«

Er hatte mich ertappt.

»Alec?«

»Weiß ich nicht«, schrie ich. »Okay?! Ich weiß es nicht.«

Es klang wie die Wahrheit, aber es fühlte sich nicht so an. Ich wusste sehr wohl, was ich meinte. Zumindest fing ich an, es zu wissen.

»Ich habe ein Herz«, sagte ich. Aber dann hielt ich inne.

Ich spürte, wie alles auseinanderfiel. All die unsichtbaren Pläne, die versteckten Gedanken.

Ich stürzte davon. Ich ließ ihn im Flur stehen. Ich wartete nicht auf den Aufzug, ich nahm die Treppe. Ich rannte, als wäre ich im Leichtathletik-Team, sogar als ich hörte, dass er mir folgte.

»Lass mich«, schrie ich ihm zu.

Ich erreichte mein Stockwerk und rannte zu meinem Zimmer. Die Karte funktionierte nicht beim ersten Versuch, und ich schaute nervös in Richtung Treppenausgang, in der Hoffnung, dass er auftauchen würde. Aber er musste stehen geblieben sein. Er musste mich gehört haben. Die Karte funktionierte beim zweiten Versuch.

Wes lag auf seinem Bett und las ein Comicheft.

»Du bist früh zurück«, sagte er, ohne aufzuschauen.

Ich brachte kein Wort heraus. Es klopfte an der Tür. Damien rief meinen Namen.

»Mach nicht auf«, sagte ich. »Bitte, mach nicht auf.«

Ich sperrte mich ins Bad ein und starrte in den Spiegel.

Wes murmelte etwas zu Damien durch die Tür, aber er öffnete nicht. Dann kam er zur Badezimmertür.

»Alec? Alles okay mit dir?«

»Ja, alles okay«, sagte ich, aber meine Stimme war ganz schwach.

»Mach auf.«

Ich konnte nicht. Ich saß auf dem Badewannenrand, atmete ein und aus. Ich erinnerte mich an Sungs Gesicht und fing wieder an zu lachen. Dann dachte ich an Frances, wie sie dort lag, und wurde traurig. Ich fragte mich, ob ich tatsächlich herzlos war.

»Alec«, sagte Wes sanft. »Komm schon.«

Ich wartete, bis er sich entfernte. Dann machte ich die Tür auf und ging ins Zimmer. Er saß auf seinem Bett, hatte das Comicheft aber nicht wieder in die Hand genommen. Er saß auf der Bettkante und wartete auf mich.

Ich erzählte ihm, was passiert war. Den Teil über Damien zunächst noch nicht, aber den Teil über Sung und Frances. Er lachte nicht, und ich auch nicht. Dann schilderte ich ihm Damiens Reaktion auf meine Reaktion, ohne jedoch auf das einzugehen, was dahintersteckte.

»Denkst du, dass ich kaltherzig bin?«, fragte ich ihn. »Bin ich das wirklich?«

»Du bist nicht kaltherzig«, sagte er. »Du bist nur ziemlich wütend.«

Ich muss überrascht ausgesehen haben. Er fuhr fort.

»Du kannst ein totales Arschloch sein, Alec. Es ist nichts falsch daran – wir können alle mal totale Arschlöcher sein. Nur weil wir Nerds sind, heißt das noch lange nicht, dass wir keine Arschlöcher sein können. Das können wir sehr wohl, nur dass es dann meistens nicht daherkommt, weil wir böse oder kaltherzig sind. Sondern weil wir wütend sind. Oder traurig. Ich meine, ich sehe Leute wie mich, und ich will sie einfach in Stücke reißen.«

»Aber warum will ich Sung in Stücke reißen?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht weil er auch ein Arschloch ist. Und vielleicht hast du das Gefühl, wenn du den Quiz-Bowl Nerd in Stücke reißt, wird dich niemand für einen Quiz-Bowl Nerd halten.«

»Aber ich bin kein Quiz-Bowl Nerd!«

»Hast du es noch immer nicht kapiert?«, fragte Wes. »Niemand ist ein Quiz-Bowl Nerd. Wir sind alle nur Menschen. Und du hast recht – was wir hier tun, hat überhaupt keinen gesellschaftlichen Nutzen. Aber es kann eine interessante Art sein, sich die Zeit zu vertreiben.«

Ich setzte mich mit dem Gesicht zu Wes auf mein Bett, unsere Knie berührten sich fast.

»Ich bin nicht besonders glücklich«, sagte ich. »Aber manchmal kann ich mich selbst austricksen, und dann denke ich, dass ich’s wäre.«

»Und was hat das alles mit Damien zu tun, wenn ich fragen darf?

Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab wirklich keine Ahnung. Ich versuche immer noch, es herauszufinden.«

»Du weißt schon, dass er Mädchen mag?«

»Ich sagte, ich bin noch dabei, es herauszufinden.«

»Wenn du meinst!«

Ich machte eine kurze Pause und realisierte, worüber wir gerade gesprochen hatten.

»Ist es so offensichtlich?«, fragte ich Wes. »Nur für mich«, sagte er.

Es sollte drei weitere Monate dauern, bis ich kapierte, warum.

»Aber …«, fuhr er fort, »Sung und Frances …«

»Krasse Sache.«

»Ja, echt krass. Und weißt du, was am schlimmsten an dem Ganzen ist?«

»Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als es mit eigenen Augen gesehen zu haben.«

»Gordon ist total in Frances verliebt.«

»Nein!«

»Ja. Ich würde das Training heute Abend für kein Geld der Welt verpassen wollen.«

Wir kreuzten alle auf. Mr Phillips konnte spüren, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag, aber er hatte wirklich keine Ahnung, woran es lag.

Frances trug Sungs Jacke. Und plötzlich störte es mich nicht mehr so sehr.

Gordon starrte Sung an.

Sung starrte mich an.

Ich vermied den Blickkontakt zu Damien. Nur Wes gab mir das Gefühl, dass ich es wert war, gerettet zu werden.

Erstaunlicherweise waren wir während des Trainings wieder alle in Kampfstimmung, so, als ob nichts passiert wäre. Ich hatte das Gefühl, nicht verbergen zu müssen, wie sehr ich gewinnen wollte. Wie sehr ich wollte, dass unser Team gewinnt. Mehr für Wes, Frances, Gordon und Da- mien als für alles andere.

Als wir fertig waren, fragte mich Damien, ob wir kurz reden könnten. Alle anderen gingen zurück in ihre Zimmer, und wir gingen runter in die Lobby. Es wimmelte nur so von anderen Quiz-Bowl Teams; diejenigen, die es nicht ins Halbfinale geschafft hatten, nahmen die Nacht als das, was sie war – eine kurze Pause vom Highschool-Leben, frei von jeglichem Druck und jeglicher Sorge.

»Es tut mir leid«, sagte Damien. »Ich habe mich völlig danebenbenommen.«

»Ist schon okay. Ich hätte nicht so gemein zu Sung und Frances sein dürfen. Ich hätte einfach gehen sollen.«

Wir saßen nebeneinander auf einer neongrünen Couch in einer Hotellobby, die uns nichts bedeutete. Er schaute mich nicht an. Ich schaute ihn nicht an.

»Ich weiß nicht, warum ich das getan habe«, sagte er. »Warum ich so reagiert habe.«

Er sollte vier weitere Monate brauchen, um es herauszufinden. Das war dann etwas zu spät, aber er würde es trotzdem herausfinden.

Wir verloren das Halbfinale gegen Iowa. Ich konnte es in Sungs Blick sehen, daran, wie er mich nach dem Spiel ansah, dass er mich für den Rest seines Lebens für diese Niederlage verantwortlich machen würde. Nicht, weil ich danebenlag – und ich lag bei zwei Fragen daneben. Sondern weil ich seine eigenen unsichtbaren Pläne zerstört hatte.

Rückblickend denke ich nicht, dass ich jemals ein Kleidungsstück so sehr gehasst habe wie Sungs Collegejacke in jenen Wochen. Man kann etwas nur dann so sehr hassen, wenn man sich selbst ebenso hasst.

Ich denke, es war Wes, dem ich diese Erkenntnis verdanke. Später, als wir wieder zu Hause waren und unsere Ausdrucksmöglichkeiten zu schärfen versuchten, fragte ich ihn, woher er so viel mehr wusste als ich.

»Weil ich lese, Dummkopf«, antwortete er.

Wir verloren das Halbfinale, aber die Lokalzeitung druckte trotzdem ein Foto von uns. Sung sieht darauf ernst und verärgert aus. Gordon unbeholfen. Frances gelassen und Damien nichtsahnend. Und Wes und ich?