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Ein Jahr im Leben eines aus politischen Gründen verurteilten ostdeutschen Menschen in einer Welt, in der wir letzten Endes alle Gefangene sind, unter dem Aspekt der Allgegenwart der Vergangenheit, die in jedem Punkt gleichzeitig unsere Zukunft ist. Bernd Kaczmarek
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Seitenzahl: 45
Veröffentlichungsjahr: 2020
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1971 (2)
Ein Jahr im Leben eines aus politischen Gründen verurteilten ostdeutschen Menschen in einer Welt, in der wir letzten Endes alle Gefangene sind, unter dem Aspekt der Allgegenwart der Vergangenheit, die in jedem Punkt gleichzeitig unsere Zukunft ist.
Bernd Kaczmarek
Ein kleiner Junge läuft über eine Brücke. In seiner rechten Hand hält er eine Deutschlandfahne,die über seinem Kopf hin und her schwingt. 1989. Wiedervereinigung. Ich weiß noch immer nicht, obuns das geholfen hat, uns Deutschen. Die Welt hat sich gewaltig verändert. Wo ist der Geist der"Aufklärung" geblieben? Wo sind reale zukunftsweisende Visionen? Im Zuge dieserWiedervereinigung ist die "Sowjetunion" zerfallen. Der "Warschauer Pakt" hat sich aufgelöst.Russland ist als alleinige große Militärmacht davon übrig geblieben. Das Kräfteverhältnis in der Welthat sich verändert. Einige Staaten des einst östlichen Militärbündnisses sind der "NATO" beigetreten.China als neuer "Global Player" liegt weit weg von uns entfernt. Ich glaube, niemand von unsEuropäern kann ernsthaft behaupten, den chinesischen Geist deuten zu können. Würde es zu einemneuen globalen militärischen Konflikt kommen, müsste sich meines Erachtens nach Europa ernsthaftüberlegen, mit den Russen zusammen zu gehen, denn das Amerika des Herrn "Trump" weiß oft nichtwas es will. Mal ist die "NATO" überflüssig, mal nicht. Ob sich Russland in einem solchen Fallüberhaupt der Europäer annehmen würde, oder sie nicht doch zu Gegnern erklärte, sei dahingestellt. Eigentlich auch gar nicht mein Thema, aber so meine ungefilterten Gedanken. Das ostdeutsche"1971" kriecht durch die Zeit mit seinen Hunden und Häftlingen in dunklen Gemäuern und Zellen undseinem Gebaren um Ewigkeit, in unauslöschlichem Glauben an den immer währenden "Sozialismus",dessen schwarz-rot-goldene Farben im Mittelpunkt von "Hammer und Sichel" getragen werden. Wogehen wir hin? Wo kommen wir her? Niemand kann das beantworten. Sind wir Kinder der Sonne,oder einfach des Lichts? Ist da draußen in den unendlichen Weiten des Alls jemand, der uns kennt?Ein guter Freund sagte einmal zu mir: “Guck nicht nach draußen, sieh nach innen! Dort findest Du die Antworten auf Deine Fragen!" ( Zit. H.F.Müller )
WIR STAPFEN wie in einer Endlos-Schleife gefangen durch den Schnee zur Arbeitsbaracke, danndurch einen schmalen Treppengang hinauf an die Holzbänke, wo schon die Aluminiumgehäuse auf uns warten und dann zurück zum Haupthaus.
"Was machen wir hier?"
"Du siehst doch, entgraten!"
"Ist wohl unsere Bestimmung."
"Erst mal, ja. Sonst gibt es für uns keinen Einkauf!"
"Keinen Tabak!"
"Keinen Tabak!"
"Und was machen die mit unseren entgrateten Gehäusen?"
"Verkaufen!"
"Wohin verkaufen?"
"Devisen!"
"Für den Kram?"
"Handarbeit!"
"Kann doch keiner sehen im Fotoapparat!"
"Schreiben sie drauf. "Hand made"!"
"Ruhe! Hier wird nicht geredet!"
leise:"Hand made!"
"...der doch nicht!"
Die Nacht sinkt hernieder.
Weiß ist sie unter einem im Sternenglanz strahlenden Firmament. Weitweg sind wir hier von all den Dingen des früheren Alltags. Keine Briefe. Kein Einkaufsnetz. Nicht dasSummen der Motoren im Kopf, die wie aus weiter Ferne am Fenster vorbeifahren. Nicht den Lärm der Stille nach überstandenen Streitigkeiten mit der Liebsten. Nicht das Gezeter der Nachbarn umBratwurstgerüche aus dem Hinterhof. Nicht das Knistern der Zeitung auf dem morgendlichen Tisch.Nicht die Barackenkämpfe um Rohre im Haus. Nicht die Segmente einer zerlegten Zukunft. Nicht dasWedeln mit den Schwänzen dahertrottender Hunde. Nicht das Gebell der alten Jungfer vongegenüber. Nicht das Flüstern der Bäume im angrenzenden Park meines einstigen Zuhauses. Nichtdas Wispern der Blätter, im Himmel geparkt, als ewiges Rauschen göttlicher Sinne, erhoben zumZepter einer sich vor ihnen verneigenden "Krone". Nicht das blaue Licht dunkel schimmernderZikaden. Nicht die Augen der Nacht in grüner Seligkeit. Nicht das Raubtier auf der Suche nach Beute.Nicht das Wimmern der Stadtbahnen in den Gleiskurven. Nicht das Glas zerborstener Flaschen aufdem Gehweg. Nicht die Sucht nach Erfolg gebrochenen Willens. Nicht der Ton ohne Wiederkehr, alsin Unendlichkeit versunken und entstanden unter all der Kraft eines sich niemals bezwingenlassenden Geistes, als dem Weg der Maßlosigkeit folgend und dem enormen Werk nie erfahrener,nie geschriebener Gedanken, nie gedachten Zieles und des einen Glückes,... zu gefallen.
Das Stapelbett knarrt, wenn ich mich in ihm bewege. Die dünnen Decken wärmen nicht. Aber esist nicht nur die Kälte der Nacht, die mich durchdringt, es ist vielmehr der Kampf ums Überleben, derkalt durch jede Sekunde zieht und jeden Schritt als befohlen immer in dieselbe falsche Richtunglenkt. Der Körper ist in der Unruhe des Geistes gefangen und kann sich nicht in Entspannungauflösen. Der Weg durch die Nacht wird oft von Traumlosigkeit geführt und bringt im Erwachen denSchrecken des Gegenwärtigen zum Vorschein. Erinnerungen an alte Madonnenbilder werden wach,deren gefaltete Hände vor einem niedergeknieten Körper Treue und Demut verkünden. Der schnelleGedanke als Blitz in der Welt, wandelt in jedem Augenblick das Unvermeidliche zu einer machbarenVergangenheit. Noch bevor ich den Schritt setze, hat sich dieser zu Virtualität verändert und zeigt imSpiegel des Vergessens eine Landschaft aus Gras und Zweigen, kleine Büsche zwischenausgetretenen Pfaden, dessen Spuren nie eine Richtung haben und dennoch immer ein "Weiter so!"apostrophieren. Gegen-Läufer sind nicht angezeigt. Keine Begegnung der "3. Art". KeineWellenschwimmer auf dem Trockenen. Einfach nur Spuren, die ins Vergessen führen und ausselbigem entstanden sind.
"Aufstehen! Nachtruhe beendet!" 25 Mann kämpfen mit ihren Zahnbürsten um ein einsames vergammeltes Waschbecken. Dazu ist der Wasserfluss aus dem toten Hahn mehr ein"Weibergeklimper". (Entschuldigung die Damen, ist mir so herausgerutscht!). Nichts für die Zahnpasta. Mehr so ein Breigeber!
"Was willst Du denn? Das ist mein Kopf!"