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Philippinum Marburg

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Beschreibung

Die Zukunft der Menschheit

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MOBI

Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ebook Edition

Philippinum Marburg

Herausgeber

2125

Die Zukunft der Menschheit

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-98791-094-4

1. Auflage 2025

© Westend Verlag GmbH, Waldstr. 12 a, 63263 Neu-Isenburg

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Inhalt

Titelbild

Was bleibt, wenn alles verschwindet?

Ein Vorwort von Frank Scholze

Darum geht’s

»Aus ›Insta-DM‹ wird Dialog«

»Die einzigen Menschen, die mit mehr Wissen durch die Welt spazierten, waren ganz alte«

»Der Ausfall sorgte für das Zusammenwachsen auf internationaler Ebene«

»Ein Segen, dass wir nun endlich alle einer Meinung sind«

»Eine Wiedergeburt, nach der man viele Fehler aus der Vergangenheit verbessern kann«

»Nach mehreren Jahren sollte wieder alles so funktionieren wie früher«

»Sie verbrachten stattdessen Zeit als Familie«

»Man hat die Zeit … in einer Art freiwilliger Quarantäne gelebt«

»An sich ändert sich für die Menschen nicht viel in ihrem Alltag«

»Das erste abgesendete Wort, der erste Schritt zur Rettung des Wissens, war natürlich ›Yolo‹«

»Alle Länder beschuldigten sich gegenseitig der Sabotage«

»Wie soll man auf vagem Erinnerungsvermögen ein neues Fundament für die gesamte Menschheit bauen?«

»Breite Teile der Weltbevölkerung begannen im Untergrund eine Rebellion«

»Nach fünf Jahren wurden die ersten Tageszeitungen aus Papier herausgebracht«

»Bleiben Sie Ihrem Verstand treu«

»Man kann sich nur noch aus dem Gedächtnis erinnern, warum man so glaubt, wie man glaubt«

»Man hat herausgefunden, wie man eine Art Fahrrad baut«

»Der Mensch als Schöpfer wurde das neue Leitmotiv«

»Der Wissenskonzentration entgegenwirken und stattdessen die Potenziale jedes Einzelnen entwickeln«

»Wenn die Vergangenheit verloren ist, wollen wir an einer Zukunft arbeiten«

»Es fängt immer harmlos und unterschwellig an, bis es zu spät ist und es kein Zurück mehr gibt«

»De-Evolution«

»Eine neue Epoche des Wissens hat begonnen«

»Beginn eines neuen Zeitzyklus«

»Ein Schockmoment für alle«

»Es herrscht wieder das Recht des Stärkeren«

»Die Menschen haben das reale Leben wieder zu schätzen gelernt«

»Wie soll Politik funktionieren, wenn man die Vergangenheit nicht mehr belegen kann?«

»Wir sollten versuchen, das Jetzt und die Zukunft so zu gestalten, wie wir sie uns bestmöglich vorstellen können«

»Es ist möglich, alles zu schaffen, wenn die Menschen weiterhin unermüdlich zusammenarbeiten«

»Religionen wurden wieder vermehrt ausgeübt«

»Dieses Buch ist der Neuanfang der einst verlorenen Geschichte«

»Vergesst nie, dass wir als Menschen selbst denken können und müssen!«

»Nun wird wieder Geschichte geschrieben«

»Nach spätestens drei Jahren haben wir das wichtige Wissen zurückerlangt«

»Auf Umweltschonung wurde also erst mal verzichtet«

»Man musste auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des anderen vertrauen, um überleben zu können«

»Die Restaurationsphase zeigte sich als ein einzigartiges Beispiel von internationaler Kooperation«

»Sie können sich nun nur noch an das Gefühl erinnern, welches sie beim Hören ihrer Lieblingsmusik verspürt haben«

Und wie sieht Ihr Szenario aus?

Navigationspunkte

Titelbild

Inhaltsverzeichnis

Was bleibt, wenn alles verschwindet?

Ein Vorwort von Frank Scholze

Diese Frage ist der Ausgangspunkt eines faszinierenden Gedankenexperiments, das Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums ­Philippinum in Marburg in diesem Buch durchspielen. Ihr Szenario – der plötzliche Ausfall des Megarechners, der das gesamte Wissen der Menschheit speichert – konfrontiert uns mit einer radikalen Vorstellung: einer Welt ohne digitalen Zugriff auf Informationen, ohne gespeichertes kollektives Gedächtnis, ohne die vermeintliche Sicherheit der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Wissen.

Die Deutsche Nationalbibliothek ist seit über 100 Jahren der Ort, an dem das kulturelle Erbe unseres Landes gesammelt, bewahrt und zugänglich gemacht wird. Unser Auftrag basiert auf der Überzeugung, dass Wissen nicht nur ein Produkt der Gegenwart ist, sondern auch eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt. Das hier vorliegende Buch zeigt eindrucksvoll, dass diese Brücke fragil sein kann – und dass es letztlich wir Menschen sind, die Wissen bewahren, weitergeben und neu erschaffen.

Besonders bemerkenswert ist, dass sich junge Menschen dieser existenziellen Frage angenommen haben. In ihren Texten entwerfen sie nicht nur Zukunftsszenarien, sondern reflektieren zugleich über die Bedingungen von Wissen, Erinnerung und Innovation. Sie machen deutlich, dass Wissen nicht allein in Datenspeichern existiert, sondern auch und vor allem in Köpfen, Geschichten und Gemeinschaften lebt.

Dieses Buch ist somit nicht nur eine Sammlung von Gedankenexperimenten, sondern auch eine Einladung, über die Grundlagen unseres Zusammenlebens nachzudenken.

Frank Scholze

Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek

Februar 2025

Darum geht’s

Trotz vieler Veränderungen leben die Menschen im Jahr 2125 ähnlich wie heute in der westlichen Welt: Sie gehen zur Arbeit, in die Schule, zur Uni, fahren in den Urlaub. Sie essen, trinken, machen Sport, haben Hobbys. Es gibt nach wie vor diverse Medien, verschiedene Regierungsformen und Politik. Allerdings: Es gibt keine stationären Computer oder Laptops mehr, auch keine Rechenanlagen und keine Festnetztelefone. Stattdessen trägt jeder Mensch ein digitales Endgerät mit sich, das mit einem einzigen Megarechner verbunden ist, auf dem alles Wissen dieser Welt gespeichert ist und von dort jederzeit abgerufen werden kann. Alles, was je geschrieben, gemalt, komponiert, fotografiert, gedreht wurde, ist dort gespeichert und kann von jedem Ort aus jederzeit und von allen Menschen in Bruchteilen von Sekunden auf den Endgeräten abgerufen und bei Bedarf projiziert werden. Das Endgerät dient auch zur Kommunikation untereinander.

Durch neuartige, heute im Jahr 2025 unbekannte Verfahren konnten alle analogen Träger von Informationen (Bücher, Gemälde, Tonträger et cetera) zurückgeführt werden in Biomasse, sie wurden also in ihre natürlichen Bestandteile zerlegt. Dieses Verfahren hat die Menschen lange Zeit vor einem ökologischen Niedergang bewahrt, denn es hat Recycling-Kreisläufe ermöglicht und Rohstoffe gespart. Tutanchamuns Schätze, die Bibel, Shakespeares Romeo und Julia, Beethovens Neunte, van Goghs Sonnenblumen oder Tarantinos Pulp Fiction – alles ist digital über die Endgeräte verfügbar, aber nicht mehr in physischer Form vorhanden.

Im Jahr 2125 kommt es zum Supergau: Durch einen unbekannten physikalischen Effekt fällt im Jahr 2125 der Megarechner aus, weltweit der einzige Rechner, auf dem alle Daten, also alles Wissen aus Tausenden von Jahren, gespeichert sind. Das heißt: Es ist unwiderruflich von einer Sekunde auf die andere verloren. Nur das Wissen in den Köpfen der Menschen steht noch zur Verfügung. Alles digital Gespeicherte hingegen ist weg, ein Rückgriff auf Bücher, Atlanten, Lehrmaterialien, Filme, Musikeinspielungen, Dokumente, Rezepte, Gemälde, CDs, Internet ist nicht mehr möglich. Was passiert, wenn offline das neue Normal ist?

Mit diesem Szenario setzen sich die zu diesem Buch beitragenden Schülerinnen und Schüler des Marburger Gymnasiums Philippinum auseinander. In ihren Texten schildern sie, wie die Menschheit trotzdem überleben kann und sich neu erfindet – und wie das Wissen zurückkehrt. Ein einzigartiges Projekt in Zusammenarbeit mit Marburgs ältestem Gymnasium.

Als wir vom Westend Verlag vor gut zwei Jahren Besuch von einer Autorin bekamen und sie darüber berichtete, dass einige renommierte Bibliotheken weltweit damit begonnen hätten, ihre gesamten Bestände zu digitalisieren, ahnten wir nicht, dass damit eines unserer interessantesten Projekte seinen Lauf nahm. Was wäre, wenn irgendetwas schiefgeht und die digitalisierten Daten – unser Wissen – nicht zugänglich sind oder gar überhaupt nicht mehr existieren? Eine unangenehme Vorstellung, zweifelsohne. Und auch heute ist es ja schon so, jeder kennt es, dass auf dem eigenen Rechner, auf dem eigenen Gerät gähnende Leere herrscht, weil sich mal wieder irgendetwas eingeschlichen hat und man einen versierten Menschen braucht, der das Ganze schnell wieder zum Laufen bringt. Umso mehr, als das Smartphone – oder, wie in unserem Szenario, das mobile Endgerät – viele andere Geräte des Alltags bereits ersetzt hat: den Wecker, die Musikanlage, Mikrofon, Telefon, aber eben auch das Reisebüro, den Fahrkartenschalter, die Bankkarte, den Schalter am Flughafen, die Buchhandlung, die Tageszeitung, Geduldspiele, Gesellschaftsspiele, Museumsführer, Wegweiser, Landkarten und vieles andere mehr – und dieser Prozess schreitet fort. Machen wir uns also abhängig von einer einzigen Technik, die, wie wir wissen, durchaus störanfällig ist? Kann es da noch ein Recht auf Analoges geben? Einige Verkehrsbetriebe in Deutschland haben ihre Ticketautomaten abgeschafft. Tickets gibt es nur noch als Download, sprich: digital. Was macht man, wenn man sein Handy mal vergessen hat, mal nicht dabeihaben möchte, es sich nicht leisten kann oder es prinzipiell ablehnt? Und was, wenn einfach der Akku leer ist? Wir sind also dazu verdammt, immer Strom in unsere Geräte zu laden. Und dieser Strom muss da sein – produziert und gekauft werden. Es scheint so zu sein, dass wir uns hemmungslos einer Technologie ausliefern, ohne hinreichend die Folgen in allen Dimensionen berücksichtigt zu haben.

Wir alle kennen und schätzen die enormen Vorzüge dieser Technologie, mit den Widrigkeiten und Fährnissen sollten wir uns unbedingt gewissenhaft auseinandersetzen. Dass das auch passiert, dazu leistet dieses Buch hoffentlich einen Beitrag. Das wünschen sich alle an diesem Projekt Beteiligten.

Maria Akselrod

»Aus ›Insta-DM‹ wird Dialog«

Alle Menschen auf der Welt verlassen sich seit vielen Jahren auf die jederzeitige Abrufbarkeit jeglicher Information, jedes Themenbereichs. Möchte man ein neues Kochrezept erlernen, liest man es problemlos auf einer der vielen Millionen Websites nach. Verspürt man die Lust, wandern zu gehen, hat aber keine Ahnung, wohin es gehen soll, ist das mobile Endgerät für einen da und plant die Route. Ob es nun darum geht, sich über neue Sachbereiche zu informieren oder gar das Internet einfach für sich arbeiten zu lassen, ohne etwas für sich selbst daraus mitzunehmen; das mit dem Megarechner verbundene Endgerät gibt dir alles, was du brauchst, zu jeder Zeit.

Und plötzlich fällt alles aus.

Aus unerlässlichen Gründen ist der Megarechner abgestürzt und alle Endgeräte sind nutzlos. Jedes Wissen ist verloren gegangen! Oder etwa nicht?

Was ist mit den Menschen, die sich trotzdem ihr Wissen selbst angeeignet haben? Die, die sich nicht zu 100 Prozent auf die Technik verlassen und, wie schon damals Immanuel Kant predigte, von der eigenen Vernunft Gebrauch machen? Diese Menschen sind nicht verloren. Das in den Köpfen gespeicherte Wissen kann nicht so schnell verschwinden. Wenn jedoch nichts gespeichert wurde, gibt es logischerweise auch nichts zum Abrufen.

Mit ziemlicher Sicherheit wird sich 20 Jahre nach dem großen technischen Ausfall die Gesellschaft in verschiedene Gruppen gespalten haben. Da gibt es die, die sich, wie bereits erwähnt, Informationen unabhängig vom Endgerät gemerkt haben und so imstande sind, eigenständig nötiges Wissen abzurufen. Und dann gibt es noch diejenigen, die in ihrem Alltag dauerhaft das elektronische Ding benutzt hatten, um sich Informationen zu beschaffen. Natürlich wird beides in unterschiedlich starker Ausprägung vertreten sein.

Wie war das noch gleich? »Wissen ist Macht«, hat mal einer behauptet. Demnach müsste sich die Hierarchie der Gesellschaft während dieser 20 Jahre verändert haben. In der Regierung sitzen die, die überhaupt Ahnung davon haben, was Politik ist und was einen funktionierenden Staat ausmacht. Auch Bildungsstätten, also Schulen und Universitäten, müssen mit kompetentem Personal ausgestattet sein. Das schreit doch schon nach Fachkräftemangel. Ein Ungleichgewicht zwischen Menschen, die bilden und Menschen, die Bildung verlangen. Im besten Falle gibt es genug Gebildete aus diversen Fachbereichen, die weiterhin für einen gewissen Bildungsstandard der Allgemeinheit sorgen. Trotzdem wird man um Bildungslücken nicht herumkommen. Wenn man sich darauf verlässt, auf jede Frage innerhalb von Sekunden eine Antwort zu bekommen, ist es ein ziemliches Dilemma, wenn dem nicht mehr so ist. Selbst die Option, im richtigen Buch nachzuschlagen, besteht nicht mehr, da ja alle analogen Datenträger zurück in ihre biologischen Bestandteile zerlegt wurden.

Dort könnte man nun anknüpfen, um das Problem zu bekämpfen. Wissen wieder analog festzuhalten, ermöglicht ein zwar weniger schnelles, aber dafür internetunabhängiges Abrufen von Informationen. Schade ist es natürlich um die Daten, die sich keiner auf der Welt gemerkt hat oder das Wissen, das nicht zurück an die Öffentlichkeit getragen wird. Sie werden wohl für immer verschollen bleiben.

Um auch mal auf die positiven Aspekte der Situation zu sprechen zu kommen, ist sicher, dass die sonst so stumpfe und teilweise scheinbar unpersönliche Kommunikation zwischen den Menschen sich zum Besseren wandelt. Eine schnelle Nachricht über WhatsApp und Co. ist nicht mehr. Aus Insta-DM wird Dialog und aus E-Mail wird Brieftaube. Gut, das Letzte mag vielleicht übertrieben sein, aber trotzdem werden sich die Gespräche von Angesicht zu Angesicht häufen und man wird sich, wenn technisch möglich, wieder die Mühe machen, den selbst geschriebenen Brief mit Briefmarke zu versehen und zur nächsten Poststation zu bringen. Außerdem wird Wissen wertvoll. Da es schwieriger zu erlangen ist und es nicht jeder besitzt, schätzt man nicht nur das Wissen selbst, sondern auch die Menschen, die es haben. Man wird zur Erkenntnis kommen, dass es nicht selbstverständlich ist, leicht an Informationen zu kommen und Wissen viel nützlicher ist, wenn man es im eigenen Kopf hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Megadatenbank zwar unglaublich hilfreich sein kann, jedoch nichts mehr bringt, wenn es zu einem Ausfall kommt und jeden unangekündigt im Stich lässt. Wissen ist wichtig und jeder sollte es schätzen, welches erlangen zu können.

Shanaz Bah

»Die einzigen Menschen, die mit mehr Wissen durch die Welt spazierten, waren ganz alte«

Die Menschheit ist verloren. Denn sie haben nichts mehr. Nichts mehr, an dem sie arbeiten können, nichts, worüber sie sprechen können. Das Wissen ist weg und niemand weiß mehr etwas. Bildung ist nun zwecklos. Was soll man unterrichten? Nachdem der Megarechner ausfiel, musste man von neu starten. Auch nach 20 Jahren konnte dieses Wissen nicht wiederhergestellt werden und alles was übrig blieb, waren diese 20 leeren Jahre. In diesen versuchte man, sich durch den eigenen Verstand und durch Dinge, die noch da waren, Zusammenhänge logisch zu erklären. Die Menschheit war nun auf sich selbst gestellt.

Es gab keine KI mehr. Schüler und Studenten, die diese täglich benutzten, hatten diese Möglichkeit nicht mehr. Den achtseitigen Aufsatz, den Praktikumsbericht, die Doktorarbeit oder einen Lebenslauf, alles musste nun ohne eine Maschine, die das alles für einen macht, geschrieben werden. So was wie studieren, funktioniert das überhaupt noch? Nein, weil alles auf bestehendes Wissen zurückgreift. Man musste sich also in den bisherigen 20 Jahren alles neu erarbeiten. Menschen gingen nicht mehr in die Schule, weil man ohne die Grundlage von Büchern, Internet und sonstigen Quellen nichts lernen oder herausfinden konnte. Es gab nichts außer das in den Köpfen der Menschen. Menschen konnten nur durch Erlebnisse lernen und werden nicht gleich mit Wissen über die Steinzeit geboren.

Die einzigen Menschen, die mit mehr Wissen durch die Welt spazierten, waren ganz alte. Menschen, die während wichtigen Ereignissen am Leben waren oder vielleicht sogar an ihnen teilhatten. Aber wie war so etwas nachweisbar? Nur über Vertrauen. Vertrauen ist heutzutage der Schlüssel. Ohne Vertrauen funktioniert nichts. Lücken wurden gefüllt durch Vertrauen und dieses musste erst eigenständig aufgebaut werden. Jeder konnte einfach irgendwas behaupten und keiner wusste, ob es sich dabei um die größte Lüge handelt oder ob es wahr war und es den Menschen helfen könnte. Die Menschen wurden misstrauisch und glaubten nur sich selbst oder Verwandten.

Das Leben hatte keinen Sinn mehr. Sie hatten nichts, woran sie glauben konnten. Ohne die Bibel hatten sie keine Zeugnisse von Gott und es ging ihnen schlecht. Muslime hatten keinen Koran, aus dem sie lesen können und Wissenschaftler kein Wissen. Daraus folgte, dass es viel schwerer für sie wurde, eine richtige Bindung zu ihrer Religion aufzubauen und diese zu vertiefen. Das alles würde zum Krieg führen. Ein Krieg ohne Waffen, aber mit Wissen. Wem kann man glauben, was kann man glauben?

Die Menschheit teilte sich in verschiedene Gruppen auf. Einmal in die »Non-Believers«, die einfach nichts mehr glaubten, was ihnen erzählt wurde; sie glauben nur ihrem Verstand und erschließen sich alles selbst. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen von Menschen, die einen Anführer haben. Dieser weiß außergewöhnlich viel und ist deshalb der Mächtigste, meist sind es ältere Personen. Zwischen diesen Gruppen entstanden Konflikte und jede wollte an die Macht, um ihre Position auf der Erde zu vertreten. Die Gesellschaft spaltete sich immer mehr. Konflikte entstanden und es wurde immer schwerer, Entscheidungen für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl zu treffen. Die Menschheit war unzufrieden, zersplittert und unkontrollierbar. Die Menschen wussten nicht mehr viel über ihr eigenes Dasein. Es war kein gutes Ende in Sicht.

Es müsse eine Führungsperson an die Macht, um sich um das Wissen zu kümmern. Diese Person müsste dafür sorgen, dass alles sicher gespeichert wird. Dann müsste man anfangen, einen Wissensrat zu organisieren, der sie dabei unterstützt. Doch wie sollte man ohne Wissen und Erfahrungen bestimmen, wer für so eine wichtige Position geeignet ist?

Kristin Becker

»Der Ausfall sorgte für das Zusammenwachsen auf internationaler Ebene«

In den ersten Stunden nach dem Ausfall hoffte man darauf, dass es sich um einen kurzen technischen Fehler handelte, der bald behoben wäre. Mit den weitreichenden Folgen, die dieser Ausfall für die Menschheit verursachen würde, hatte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht gerechnet. Den Ausfall bezeichnete man später als den »großen Zap«.

Bereits nach kurzer Zeit war klar, dass der Schaden irreversibel war. Als die ersten 24 Stunden vergangen waren, einigten sich viele der Regierungen darauf, weltweit ein Gipfeltreffen zu veranstalten, um zu diskutieren, wie man mit der Situation umgehen und wie man 13 Milliarden Menschen mitteilen soll, dass ihr technischer Fortschritt und das über Generationen angesammelte Wissen nun in die Jahre vor Christus zurückgesetzt worden ist. Aufgrund der fehlenden Kommunikationsmittel wurden Außenminister und andere Verantwortliche zu den jeweiligen Regierungen der Weltmächte entsandt, um dort ein Treffen auszuhandeln.

Bei dem Gipfeltreffen war man sich einig, dass die Verkündigung nicht länger warten könne, um das Ausbrechen von Massenhysterien zu verhindern. Der Vorsitzende des vereinten Länderrates rief dazu auf, in den Städten, Gemeinden und Ortschaften der gesamten Welt Informationsveranstaltungen zu organisieren. Wie man mit dem Konflikt umgehen würde, sei nun die Verantwortung der Staatsregierungen und würde vorerst nur Lösungen auf nationaler Ebene vorsehen, um eine schnellere Einigung und Umsetzung von Maßnahmen zu ermöglichen. Um die Bevölkerung zu informieren, wurde in allen Städten und Ortschaften eine Nachrichtenkette gestartet, bei der jeder Bürger seine Nachbarn und Familie informieren sollte. Erst danach könne man sich auf ein internationales Abkommen einigen, so der Vorsitzende der Vereinten Nationen.

Seit dem Ausfall des Megarechners waren 78 Stunden vergangen, als sich die Nachricht weitgehend verbreitet hatte. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Während ein kleiner Teil der Gesellschaft, Nostalgiker, erleichtert über die Pausierung des technischen Fortschritts und des ständigen digitalen Drucks war, ging Entsetzen durch den Rest der Bevölkerung. Die Auswirkungen trafen auf jeden Teil der Gesellschaft zu und betrafen jeden Bereich von Industrie, Wirtschaft bis Kultur und Bildung. Musiker, Autoren und Historiker waren vorübergehend arbeitslos, die Kinos pleite, Forscher versuchten, die Grundlagen ihrer Arbeit zu reproduzieren, Social-Media- und Presse-Firmen mussten sich auflösen und die Universitäten und Schulen waren ratlos, wie man den Unterricht für Studenten und Schüler ohne das notwendige Wissen und die notwendigen Arbeitsmaterialien nun fortführen sollte. In den folgenden Monaten entwickelten große Teile der Gesellschaft zusätzlich Entzugserscheinungen und Depressionen, ausgelöst durch existenzielle Ängste und den Verlust des Zugangs zu digitalen Geräten. Die Regierungen beauftragten, Informationen zu Alltagsthemen auf die neu errichteten schwarzen Bretter zu schreiben und zu malen, um den Bürgern einen Zugang zu wichtigen Informationen zu gewähren. Dazu gehörten »Grundlagen der Ersthilfe«, »Wie koche ich richtig?« oder auch »Haushalt und -wirtschaft«. Forscher aus aller Welt organisierten Treffen, in denen die Grundlagen der Mathematik, Physik, Biologie, Informatik und Chemie zusammengetragen wurden. Das Ergebnis waren überarbeitete und bessere Versionen, Antworten, die man seit Jahren suchte und nun dank internationaler Zusammenarbeit finden konnte. Es wurden Kleinkunst-Abende und Kulturprogramme erstellt und gefördert; das Interesse an Live-Musik wuchs, die ersten Print-Zeitungen und Bücher seit über 80 Jahren kamen auf den Markt, indem man die veraltete Technik und Materialproduktionen wiederaufleben ließ. Dazu wurden Fabriken und Produktionsmittel genutzt, welche seit der Digitalisierung noch nicht beseitigt worden waren. Durch die verringerten Mittel war die Produktionsmasse und -geschwindigkeit allerdings deutlich langsamer im Vergleich zum frühen 21. Jahrhundert.

Ein Jahr ist nun vergangen; die ersten Babys wurden geboren, die ohne das vollständige Wissen, das über Generationen angesammelt wurde, aufwachsen würden. Die neue Generation nannte man die »Zap-Generation«.

Drei Jahre später, 2129: Das nächste Jahrzehnt würde bald anbrechen und die später als »Reset-20er« bezeichneten Jahre beenden. Unwiderrufliche Schätze wie Gemälde, Musik, Filme und Theater konnten nur reproduziert, nicht aber ersetzt werden. So gab es nun Harry Potter als Neuauflage in Buchform und auf DVD zu kaufen. Ein neuer Verlag hatte sich international einen Namen gemacht und brachte »How-to«-Bücher in 80 Sprachen heraus, die weltweit Bestseller wurden. Auch Literatur und Geschichte ließen sich lückenhaft wiederherstellen. Auf internationaler Ebene hatte man sich inzwischen darauf geeinigt, Stiftungen und Förderprogramme aufzubauen sowie psychologische Unterstützung anzubieten. Aus einer in sich gekehrten Gesellschaft hat sich inzwischen ein sozialeres Miteinander entwickelt, und die Kommunikationsfähigkeiten der Menschen verbesserten sich laut aktueller Studien zu dieser Zeit enorm. Die Forschung war nach kurzer Zeit wieder auf einem guten Stand, da genug Menschen ihr Wissen zusammentragen konnten. 2130, nach der Jahrzehntwende, wurde bekanntgegeben, dass IT-Experten den Megarechner reparieren und die Cloud wieder nutzbar machen konnten – allerdings ohne das zuvor gespeicherte Wissen. Stattdessen gelang es, das zugrunde liegende Prinzip der Cloud-Funktionalität erneut herzustellen.

Es wurde sich allerdings darauf geeinigt, nicht alles Analoge wieder zu zerstören und die Cloud nur als Back-up-Möglichkeit zu nutzen, um eine erneute Katastrophe in diesem Ausmaß verhindern zu können. Die Frage blieb nun, wie man einen erneuten Ressourcenmangel verhindern könnte, um der wachsenden Bevölkerung eine zukunftssichere Welt zu schaffen.

2145, 20 Jahre nach dem großen Zap: Eine neue Ära des Films, der Literatur, Musik und Kunst konnte in das Archiv geladen werden. Eine vom Vorsitz des Vereinten Länderrats beschlossene Lösung war die Eröffnung von Museen, in denen kulturelle Werke präsentiert wurden und das Fortführen des analogen Festhaltens von unersetzlichem Kulturgut wie Film, Musik und Literatur. Von bildungs- und forschungsbasiertem Wissen, das von Doktoren und Professoren jederzeit aufgearbeitet werden kann, soll es nur eine analoge Kopie geben, die mit der Datenbank des Megarechners synchronisiert werden würde.

Um die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dieser Entscheidung zu beurteilen, führte man Umfragen durch. Ziel war herauszufinden, ob die Menschheit sich für oder gegen eine erneute Digitalisierung ausgesprochen hätte. In die Befragungen bezog man vor allem die Zap-Generation mit ein. Ein 13-jähriges Mädchen aus Madrid gab an, dass es ungewohnt sei, keine Fotos mehr anfassen zu können, keine echten Bilder oder Bücher mehr zu besitzen. Zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren wuchs die jüngere Generation nicht mit Fortschritt, sondern mit einem Rückschlag der seit Jahrtausenden fortlaufenden Entwicklung auf. Dadurch war erstmals eine neue Generation von einer veralteten Perspektive geprägt.

Andere Befragte äußerten, dass man sich an das entdigitalisierte Leben gewöhnt hätte und nun aus einem anderen Blickwinkel die Medien betrachte. Befragte Experten und Historiker erklärten, dass die Menschheit seit Anbeginn ihre Geschichte, ihr Wissen und ihre Kultur durch Aufzeichnungen für die Nachwelt bewahrt hat. Die Menschen seien vielfältig und kreativ, und es sei erwiesen, dass diese einzigartigen Ausdrucksformen nicht durch Datenbanken ersetzt werden können. Ein amerikanischer Musiker sagte, dass es in den letzten 20 Jahren so viel mehr Leben und Kreativität gegeben habe wie seit Jahren nicht mehr. »Alt und Jung gingen in den Austausch über Vergangenes. Es wäre eine Schande, das erneut zu verlieren.« Das Leben 20 Jahre nach dem Ausfall des Megarechners galt und gilt bis heute neben dem Ausbruch des Corona-Virus und der abgewehrten KI-Bedrohung als eine, wenn nicht sogar die größte Katastrophe seit der Jahrtausendwende. Der Ausfall öffnete allerdings auch der Bevölkerung die Augen und sorgte für das Zusammenwachsen auf internationaler Ebene.

Leni Benthin

»Ein Segen, dass wir nun endlich alle einer Meinung sind«

Liebe Leserschaft!

Die in den letzten Jahren häufig aufkommende Frage, ob der Ausfall des Megarechners tatsächlich ein so fatales Ereignis war, wie manche behaupten, werden wir heute in einem ganz neuen Licht betrachten. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit der Frage: Schicksal oder Manipulation, war es wirklich Zufall?