3 Liebesromane - Elke Gravert - E-Book

3 Liebesromane E-Book

Elke Gravert

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Beschreibung

enthält die Heftromane
Tochter aus gutem Hause
Ich darf dich nicht lieben
unschuldig - schuldig

Diese Romane erschienen bereits als Einzelausgaben.

In allen drei Romanen spielt die Liebe die Hauptrolle.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Elke Gravert

3 Liebesromane

In "Tochter aus gutem Hause" gerät eine Professorentochter unwissend in ein Edelbordell. In "Ich darf dich nicht lieben" spielt eine geheimnisvolle Krankheit eine Rolle, die das Glück von Linda zu zerstören droht. "Unschuldig-schuldig" beschreibt, wie Schuhverkäuferin Heide den Traum vom Film begraben muss , in die Hände zweier skrupelloser Männer gerät und schließlich- völlig unschuldig- im Gefängnis landet.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Drei Liebesromane

 

Drei Liebesromane

 

 

 

 

 

enthält die als Einzelausgaben erschienen Romane

 

Unschuldig – schuldig

 

Tochter aus gutem Hause

 

Ich darf dich nicht lieben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

unschuldig – schuldig

 

Frauenkrimi von Ellen Gaber

 

 

 

 

1. Kapitel

„ Fräulein Wacker, Kundschaft!“

Albert Kurthäuser, der Chef des ersten Schuhgeschäftes in Elfringheim, steckte den Kopf in den Aufenthaltsraum und bedeutete seiner Verkäuferin Heide, sofort herauszukommen.

„Ein Herr ist da - wahrscheinlich von der Filmgesellschaft“, setzte er im Flüsterton hinzu.

„Eine Sekunde, Herr Kurthäuser!“

Heide Wacker schob ihre Kaffeetasse beiseite. Sie sprang auf, lief zum Spiegel und prüfte ihr Aussehen. Sie konnte zufrieden sein. Das seidige dunkle Haar lag wie immer makellos. Zur Arbeit trug Heide es in einem niedlichen kleinen Schwänzchen hoch gebunden. Doch Heide war sechzehn und ein Filmstar wartete auf sie! Kurz entschlossen löste sie das Haar, dessen Locken nun ungebändigt auf den gelben Perlonkittel hinunter fielen.

„Du glaubst wohl, der Herr vom Film engagiert dich auf der Stelle?“ fragte ihre Kollegin Rita sauer süß.

„Natürlich nicht, Rita. Aber man kann nie wissen...“

Mit diesen Worten war Heide zur Tür hinaus und stürzte in den Verkaufsraum. Doch auf der Schwelle blieb sie wie angewurzelt stehen.

Es war Mario Landmann persönlich, der dort mitten im Laden stand! Er musterte sie mit einem halb spöttischen, halb überraschten Ausdruck.

„Nun wollen Sie mir keine Schuhe verkaufen, Fräulein?“ fragte er dann mit seiner wohlbekannten melodischen Stimme.

„Verzeihung, Herr Landmann!“ stotterte sie. „Aber ich bin so überrascht, dass gerade Sie es sind. Was darf ich Ihnen zeigen?“

Heide trat näher. Er lächelte immer noch und Heide lächelte zurück. Die Verlegenheit war verschwunden. Das junge Mädchen beschloss, diese Gelegenheit, mit seinem Lieblingsstar zusammen zu treffen, nach Kräften zu nutzen.

„Ich möchte ein paar derbe Schuhe haben, möglichst Haferlschuhe“, erklärte Mario Landmann. Seine Stimme klang wie Musik.

„Haferlschuhe?“ Heides Stimme verriet ein wenig Erstaunen. Es war nicht die Art Schuhe, die ein Mario Landmann zu tragen pflegte. Sie sah auf seine weichen hellbraunen Schuhe hinab Budapester, handgearbeitet, vermutete sie.

„Größe zweiundvierzig, vermutlich“ sagte Heide.

„Donnerwetter, können Sie das auf Anhieb sehen?“ staunte er.

Da mischte sich Herr Kurthäuser ein, der bisher abwartend hinter seiner Kasse gestanden hatte.

„Fräulein Wacker sieht jedem Kunden die Schuhgröße an. Ein Talent, das nur wenige Verkäuferinnen besitzen. Leider!“

„Nun, dann machen Sie ja Ihrem Namen alle Ehre, Fräulein Wacker“, schmunzelte Mario Landmann und setzte sich auf einen der mit Kunstleder bezogenen Stühle.

Heide erklomm inzwischen eine Leiter und suchte unter den oberen Schuhkartons. Ein wenig länger als sonst dauerte das, denn Heide wusste genau, dass sie hübsche Beine hatte. Mario Landmann sollte ausgiebig Zeit haben, sie zu betrachten.

„Dort oben links stehen doch unsere Haferlschuhe, Fräulein Wacker“, klang Herrn Kurthäusers Stimme ungehalten von der Kasse her. Warum stellte sich Heide ausgerechnet jetzt so ungeschickt an?

Der biedere Herr Kurthäuser hat aber auch kein bisschen Fantasie, dachte Heide. Schließlich kommt nicht alle Tage ein Filmstar nach Elfringheim.

Endlich hatte sie den richtigen Karton und kam mit strahlendem Lächeln auf Mario Landmann zu.

„Ich hoffe, sie gefallen Ihnen?“ sagte sie und hielt ihm den aufgeklappten Karton zur Ansicht hin.

Doch er achtete gar nicht darauf, sondern betrachtete Heides liebliches Gesicht mit wachsendem Interesse.

„Sie haben eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit Linda Corvin. Wissen Sie das, Fräulein Wacker?“

Jetzt wurde Heide rot. Wie Lindas kleine Schwester, dachte er amüsiert und sie gefiel ihm immer mehr.

„Meine Kolleginnen haben das auch schon gesagt“, sagte Heide sehr leise, denn sie wollte nicht, dass Herr Kurthäuser die ganze Unterhaltung mitbekam.

„Und Sie selbst? Glauben Sie auch, dass Sie ihr ähnlich sehen?“ forschte Mario Landmann ebenso leise.

„Ich mag es nicht hören, wenn man mich mit einem Filmstar vergleicht“, sagte Heide. „Schließlich ist man doch auch wer!“ Sie warf die langen Locken mit einer gespielt selbstbewussten Bewegung in den Nacken.

Sie stellte den Schuhkarton hin und begann, die Schnürsenkel seiner Schuhe zu lösen.

„Da haben Sie Recht. Trotzdem ein Frage: Hätten Sie nicht Lust ein bisschen Geld zu verdienen und für einen Tag Linda Corvins Double zu spielen?“

Heide fuhr zusammen wie elektrisiert. Da war sie, die Chance, auf die sie immer gewartet hatte. Sie hatte davon abends im Bett geträumt und auch manchmal tagsüber, wenn es gar zu öd in dem Elfringheimer Schuhgeschäft war.

„Ein Double?“ fragte sie gedehnt. „Muss ich da anstelle von Linda Corvin ins Wasser springen? Oder aus einem brennenden Haus stürzen?“

Er lachte. „Niemand verlangt akrobatische Kunststücke von Ihnen. Es geht alles ganz harmlos zu. Passen Sie auf: Frau Corvin bekam soeben die Nachricht, dass ihr kleiner Junge schwer erkrankt ist. Sie ist nun außer sich vor Kummer und möchte natürlich sofort hinfahren. Aber es sind noch einige Szenen zu drehen, bei denen sie nicht fehlen kann.

Mario Landmann machte eine Pause, denn Herr Kurthäuser trat näher. Offenbar wunderte er sich über das lange Verkaufsgespräch.

„Gefallen Ihnen die Schuhe nicht, Herr Landmann? Gewiss, es ist sehr schwer für einen so verwöhnten Geschmack wie den Ihren etwas auf Lager zu haben...“ Er hob bedauernd die Schultern.

„Die Schuhe sind richtig. Genau das, was ich brauche, um hier durch die Felder zu stapfen. Danke schön!“

Mario warf Herrn Kurthäuser einen verabschiedenden Blick zu, so dass sich der Chef des Schuhhauses betroffen zurückzog.

Sieh mal an, er flirtet mit unserer kleinen Heide! dachte Herr Kurthäuser. Diskret zog er sich in das benachbarte Büro zurück.

Kein Kunde betrat um diese frühe Morgenstunde das Geschäft. Heide stellte es mit Erleichterung fest und auch Mario Landmann war froh. Er konnte Heide ungestört erzählen, was er mit ihr vor hatte.

„Die Stadt Elfringheim gibt heute einen Empfang für die Camera-Filmgesellschaft. Vielleicht haben Sie davon gehört?“

Heide nickte. „Ich habe es im Anzeiger gelesen. Der Empfang soll in der Godenen Traube stattfinden, nicht wahr?“

Er nickte. „Und was meinen Sie, was passiert, wenn Frau Corvin nicht dabei ist?“

„Die Elfringheimer werden maßlos enttäuscht sein,“ meinte Heide voll Überzeugung.

„Genau das fürchtet Frau Corvin auch. Sie würde an Publicity einbüßen und das mag kein Filmstar. Darum kam mir eben der Gedanke, dass Sie sie auch beim Empfang vertreten könnten.“

„Ich?“ Heide war völlig verwirrt. Machte sich Mario Landmann auch nicht über sie lustig?

„Ich erkläre Ihnen das später. Gehen Sie mit mir Mittagessen? Dann können wir uns ungestört darüber unterhalten. Ihre Kollegen sind mir gar zu neugierig hier.“

Heide richtete sich aus ihrer gebückten Stellung auf und sah um sich. Tatsächlich, Rita stand in der Tür und bekam vor Staunen den Mund gar nicht mehr richtig zu. Geschah ihr Recht. Eben hatte sie noch gelacht, weil Heide ihre Haare anders gekämmt hatte. Nun sah sie mit eigenen Augen, zu welchem Resultat das geführt hatte. Linda Corvin trug nämlich die Haare meistens so. Auf diese Weise wurde die verblüffende Ähnlichkeit noch unterstrichen.

„Aber wenn wir zusammen zu Mittag essen, erkennt Sie doch jeder, Herr Landmann. Und mich kennen hier in Elfringheim auch fast alle.“ wandte Heide ein.

„Keine Sorge, das machen wir schon. Wir fahren eben in den Nachbarort. Da kennt Sie kein Mensch. Abgemacht?“

„Abgemacht!“ strahlte Heide und packte die Schuhe ein.

„Ich hole Sie um ein Uhr ab. Können Sie dann vor dem Geschäft warten?“

„Ja klar!“ Heide schnürte eine Kordel um das Paket und reichte es ihm.

„Brauchen Sie auch die passende Pflege für die Haferlschuhe, Herr Landmann?“ fragte Herr Kurthäuser. Er stand wieder hinter seiner Kasse und sah Heide etwas tadelnd an. So etwas vergaß man doch nicht zu fragen.

„Nein, die brauche ich nicht, mein Hotel putzt die Schuhe“, sagte Mario Landmann und beglich die Rechnung, die ihm Herr Kurthäuser jetzt reichte. Anschließend brachte der Chef den Filmstar mit einer tiefen Verbeugung zur Ladentür.

Hinter dem Rücken ihres Chefs strahlte Heide Mario Landmann an. Er winkte ihr nur zu und stieg dann in seinen Wagen.

Einen Moment blieb Heide mitten im Laden stehen und fuhr sich über die Stirn. Hatte sie das alles nur geträumt?

Doch ihre Kollegin Rita bewies ihr, dass es die reine Wirklichkeit war.

„Was hat er gesagt, worüber habt ihr euch so lange unterhalten?“ Rita platzte fast vor Neugier.

Heide hob die Schultern. „Wir haben uns eben unterhalten. Aber es war nichts Besonderes.“

„Der hat dich vielleicht angeschaut mit seinen tollen schwarzen Augen!“

„Er hat braune Augen, Rita und in Wirklichkeit sieht er noch besser aus, als auf den Fotos.“

 

Unterdessen betrat Mario Landmann mit dem Schuhkarton sein Hotel. In der Halle traf er Linda Corvin und den Regisseur, Ronald Gilbert. Dieser und Linda waren in eine heftige Diskussion verwickelt.

„Meinungsverschiedenheiten?“ fragte Mario und setzte sich zu ihnen in die kleine Sitzgruppe vor der Rezeption.

„Und ob“, meinte Gilbert. „Linda hat es sich in den Kopf gesetzt, heute Abend zu ihrem Kind zu fahren. Gewiss, dafür habe ich ja volles Verständnis, aber der kleine Max ist doch in guten Händen bei Lindas Mutter. Und dann der Empfang heute Abend! Wie sollen wir den machen ohne Linda?

Kein Mensch weiß, dass sie verheiratet ist, geschweige denn ein Kind hat.“

„Lasst euch was einfallen“, sagte Linda. „Ich pfeife auf den Empfang, mein Kind ist mir jetzt wichtiger.“

Vor langer Zeit einmal war Linda Corvin Marios Geliebte gewesen. Aber seit sie ein Kind hatte, fand er sie lange nicht mehr so attraktiv. Jeder zweite Satz, den sie sprach, handelte von ihrem Kind und für Mario gab es nichts Langweiligeres.

„Ich glaube, ich habe da eine Lösung!“ verkündete Mario jetzt. Die beiden sahen ihn erstaunt an.

Mario hob sein Schuhpaket hoch und sagte:“ Die Lösung ist die Schuhverkäuferin, die Linda aufs Haar gleicht. Sie kann Linda vertreten und ist auch schon damit einverstanden.“

„Eine Schuhverkäuferin aus diesem Nest soll mir ähnlich sehen?“ Linda Corvin rümpfte die zierliche Nase. Offenbar hielt sie nicht viel von diesem Berufsstand.

„Du wirst es nicht glauben, Linda, aber es ist tatsächlich wahr. Sie gleicht dir bis aufs Haar. Nur ist sie...“ Mario schmunzelte bei diesen Worten...“Nur ist sie mindestens zehn Jahre jünger als du.“

„Trotzdem halte ich für ausgeschlossen, dass sie mich vertreten kann“, wandte sie ein. Aber ihr Gesicht hellte sich auf. Vielleicht war das ja wirklich eine Lösung.

„Das könnte uns aus dem Dilemma helfen“, meinte auch der Regisseur. „Wir sehen uns das Mädchen einmal an. Welches Schuhgeschäft ist es, Mario?“

„Ihr könnt das Mädchen aus nächster Nähe bewundern. Ich habe sie zum Mittagessen eingeladen.“

„Zum Mittagessen?“ Linda Corvin sog hörbar die Luft ein. Mario bandelte wirklich sofort mit jeder hübschen Frau an. Dann aber strahlte sie befriedigt. Er tut es ja diesmal nur, weil sie mir ähnlich sieht, beruhigte sie sich. Wieder überkam sie die Sorge um ihren kranken kleinen Jungen. Max war jetzt die Hauptsache, sie musste zu ihm.

„Nun gut“, nickte Linda. „Wir sehen uns das Mädchen an. Wenn sie mir nur halbwegs ähnlich sieht, könnte sie mich sogar in den letzten Szenen vertreten. Was meinst du, Ronald?“

Der Regisseur nickte. „Es sind ja Aufnahmen, auf denen du mit Mario nur sehr entfernt zu sehen bist. „Vielleicht haben wir Glück, Linda.“

 

Normalerweise bestand Heides Mittagessen aus einem Paket mitgebrachter belegter Brote. Erst abends kochte Mutter Wacker warm, da auch Heides Vater erst spät von seiner Arbeit als Briefträger nach Hause kam.

Heute ließ Heide ihr Butterbrotpaket unberührt. Statt dessen zog sie den gelben Perlonkittel aus und hängte ihn an den Haken.

„Willst du in die Stadt zum Einkaufen?“ fragte Rita.

„Nein, ich habe heute Hunger auf ein warmes Mittagessen“; sagte Heide, nahm ihren Mantel vom Haken und legte ihn sich über den Arm.

Vom Kirchturm schlug es gerade ein Uhr. Im selben Moment bog Marios Sportwagen um die Ecke.

Heide betrachtete das knallrote Auto mit gehöriger Bewunderung.

„Steigen Sie ein!“ rief Mario ihr durch das geöffnete Seitenfenster zu und stieß von innen die Tür auf.

Heide ließ sich in die Lederpolster fallen, Mario gab Gas und im Nu waren sie aus Elfringheim hinaus.

Hier in dem ungewohnten Luxusauto verflüchtigte sich Heides Unbefangenheit immer mehr. Ziemlich einsilbig beantwortete sie Marios Fragen.

„Meinen Sie, dass Ihre Eltern es erlauben werden?“ fragte er soeben.

„Ich glaube schon“, sagte Heide ohne große Überzeugung. Sie dachte an ihren Vater, den biederen Briefträger. Der hielt gar nichts von Filmstars und würde sicher nicht wollen, dass seine Heide mit denen zu tun hatte. Sollte sie es vor ihm geheim halten?

„Nun, vorerst ist noch nichts beschlossen. Wir wollen erst einmal in Ruhe zu Mittag essen“, meinte Mario und parkte den Wagen vor einem Landgasthof, der ungefähr zwischen Elfringheim und der nahen Großstadt lag.

Mario führte Heide zu einem Tisch am Fenster und nahm ihr den Mantel ab. Ein Kellner erschien und reichte erst Heide, dann Mario die in Leder gebundene Speisekarte.

Keine Ahnung hatte Heide davon, dass hinter dem Bambusgitter, das ihren Tisch gegen den Nachbartisch abschirmte, neugierige Augen sie betrachteten.

„Sie ist wirklich süß“, stellte Linda Corvin neidlos fest.

„Mario hat nicht gelogen. Es besteht eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen euch“, bestätigte Gilbert.

„Schau doch wie sie das Glas hebt! Sie sieht Mario nicht an dabei, so verlegen ist sie“, sagte Linda Corvin und dachte an ihre eigenen Anfänge beim Film.

„Es wird für das Mädchen eine fremde Umgebung sein. Sie ist bestimmt aus einfachen Verhältnissen.“

Linda nickte:“ Ja, das Sommerkleid sieht selbst genäht aus. Aber warte nur, Ronald, wenn das Mädchen erst meine Kleider trägt! Da wird sie mir noch ähnlicher und ihr Selbstbewusstsein wird sich merklich heben.“

Linda Corvin hegte keinen Unwillen mehr gegen dieses Mädchen aus Elfringheim. Wieder dachte sei an ihre eigene Karriere, die ähnlich begonnen hatte. Linda war das Kind eines Arbeiters gewesen und hatte zunächst als Serviererin ihr Geld verdient. In einem Speiselokal war sie einem Filmboss aufgefallen und vom Fleck weg engagiert worden.

Dann kehrten ihre Gedanken wieder zu ihrem kleinen kranken Max zurück.

„Ich mache mich jetzt besser auf den Weg, dann bin ich heute Abend bei Mäxchen“ Sie stand auf.

Ungesehen von Heide verließ sie den Gasthof. Nur Mario Landmann sah, wie sie mit aufgestelltem Daumen ihr Okay signalisierte.

Heide hatte keine Ahnung,was am Nachbartisch geschah. Auf Marios Empfehlung hatte sie ein Steak mit feinem Gemüse bestellt. „medium oder well done?“ fragte der Ober sie. Heide blickte verständnislos.

„Wir nehmen es beide medium“, griff Mario ein. Dann hob er sein Glas und stieß mit Heide an.

Nach einigen Schlucken wurde Heide sichtlich entspannter.

„Schmeckt es Ihnen?“ fragte Mario, als sie sich mit Heißhunger an das Steak machte.

„Ich habe nie im Leben etwas besseres gegessen“, schwärmte Heide und er war entzückt von ihrer Naivität.

„Haben Sie denn noch keinen Freund, mit dem sie ab und zu ausgehen? Von einem so hübschen Mädchen sollte man das doch annehmen.“

Doch Heide schüttelte lebhaft den Kopf.“Nein, einen Freund habe ich noch nicht. Meine Eltern würden das auch nicht erlauben. Außerdem interessiert mich in Elfringheim niemand wirklich.“

„Sie warten wohl auf Ihren Märchenprinzen, Heide?“ Mario Landmann lachte.

„Das nicht“, wehrte Heide ab. „Aber wenn einer kommt, dann muss er genau der Richtige sein. Das Flirten liegt mir nicht.“

Sie schüttelte bekräftigend den Kopf und hob ihr Glas:

“Zum Wohl, Herr Landmann!“

„Prosit Heide! Du bist in Ordnung! Ohne Umstände duzte er sie einfach.

Nach einer Weile erhob sich Mario und entschuldigte sich bei ihr.

„Ich muss ganz kurz einen Bekannten am Nachbartisch begrüßen. Ich bin sofort zurück!“

Heide nickte und folgte ihm mit den Blicken. Mario war wirklich ein Mann, von dem man träumen konnte.

Heide seufzte und rief sich selbst zur Ordnung. Eine warnende Stimme in ihr mahnte: Lass dich nicht mit ihm ein! Er ist nichts für dich! Das ist kein Mann, den du heiraten kannst.

Der zurückkehrende Mario riss sie aus ihren Träumen. Er sah sehr zufrieden aus.

Er füllte ihr leer gewordenes Glas noch einmal bis oben hin, er selbst nahm nur ein halbes Glas, schließlich musste er noch fahren.

„Heide, bist du mit fünfhundert Mark Gage zufrieden?“

„Fünfhundert Mark?“ Für die kleine Schuhverkäuferin war das eine beträchtliche Summe.

„Ja“, nickte Mario. „Dafür müsstest du der Camera-Filmgesellschaft heute den ganzen Abend zur Verfügung stehen. Außerdem sind morgen noch einige Szenen zu drehen. Einverstanden?“

„Und ob!“ Heide strahlte.

„Werden deine Eltern auch zustimmen?“

Heide dachte an ihren Vater und seine Missachtung gegenüber Filmstars und dergleichen. Aber würde er bei fünfhundert Mark für knapp zwei Tage nicht anders denken? In ihrem Elternhaus gab es wenig Komfort. Geld war Mangelware bei den Wackers.

„Ich glaube, sie werden einverstanden sein“, meinte Heide zuversichtlich.

„Dann bring mir bitte eine schriftliche Bestätigung heute Abend um sieben Uhr mit ins Hotel „Zur Traube! Und kein Wort davon heute im Geschäft, hörst du?“

„Ich verrate kein Sterbenswörtchen“, versprach Heide und zitterte vor innerer Erregung.

„Dann will ich dich jetzt am Geschäft absetzen, Heide. Wir sehen uns heute Abend in der Traube!“

Mario ließ sie in einer Seitenstraße aussteigen. Elfringheim war um diese Mittagszeit wie ausgestorben, niemand beobachtete sie.

Wie schwer war es doch, das Geheimnis einen ganzen langen Nachmittag mit sich herum zu schleppen! Rita wollte sie ein paar Mal über Mario Landmann ausfragen. Heide blieb einsilbig, so dass sie schließlich aufgab.

Heide kam heute eine ganze Stunde eher nach Hause als sonst. Der freundliche Herr Kurthäuser hatte ihr auf Grund ihrer Kopfschmerzen frei gegeben.

 

Sie stellte ihr Rad in den Schuppen und ging dann durch die Hintertür des kleinen Häuschens hinein. Unmittelbar darauf stand sie in der Küche vor ihrer Mutter.

„Nanu, Heide, wo kommst denn du schon her?“ wunderte sich Frau Wacker. Sie ließ ihre Spätzle im Stich, um ihre Tochter genau anzusehen. „Bist du krank, oder was ist los? Deine Augen glänzen ja so!“

„Ich bin nicht krank, Mutter, ganz im Gegenteil!“ lachte Heide. „Wenn du dich einen Augenblick hinsetzt, erzähle ich dir was Schönes.“

Verwirrt sank Frau Wacker auf den Küchenstuhl und ließ sich von Heide die Ereignisse des Vormittags schildern. Immer wieder schaute sie Heide an, als sähe sie die Tochter zum ersten Mal.

Einen Filmstar sollte Heide vertreten? Sie schüttelte den Kopf.

„Und dafür bekomme ich fünfhundert Mark!“ schloss Heide ihren Bericht.

„Fünfhunder Mark? Heide, das ist ja ein kleines Vermögen!“ Frau Wacker sprang auf.

„Wenn ich das deinem Vater erzähle!“

„Was willst du mir erzählen?“ Der Briefträger Wacker betrat gerade die Küche. „Heide, warum bist du schon hier?“

„Die Mutter will es dir doch gerade erzählen, Vater!“ sagte Heide. Vor ihrem Vater hatte sie gewaltigen Respekt. Es war besser, wenn die Mutter als Mittlerin auftrat.

Auch Herr Wacker nahm nun am Küchentisch Platz und ließ sich berichten.

Aber schon nach den ersten Worten seiner Frau schüttelte er den Kopf.

„Es kommt gar nicht infrage, dass Heide sich mit den Filmleuten einlässt!“

„Aber es ist doch nur für einen Abend und einen Tag!“ wandte Heide zaghaft ein. „Danach arbeite ich wieder im Schuhgeschäft. Ich will doch kein Filmstar werden, Vater.“

„Aber Flausen hast du dann im Kopf, dein ganzes Leben lang. Du bist nicht mehr zufrieden und willst etwas Besseres. Dabei findest du es nie!“ Briefträger Wacker schüttelte den Kopf.

„Aber Heide soll doch fünfhundert Mark dafür bekommen, Vater“, spielte jetzt Frau Wacker ihren Trumpf aus. „Weißt du, was das für uns heißt, fünfhundert Mark im Haus zu haben? Wir könnten endlich Möbel fürs Wohnzimmer kaufen.“

„Fünfhundert Mark sind in der Tat viel Geld.“ Briefträger Wacker kratzte sich am Kopf, um Zeit zu gewinnen.

„Wir könnten den Holzschuppen abreißen“, überlegte er. „Und mein Fahrrad ist auch erneuerungsbedürftig.“ Seine moralischen Grundsätze kamen immer mehr ins Wanken.

„Na gut, für fünfhundert Mark kannst du es machen“, erlaubte er. „Du tust ein gutes Werk für deine Eltern!“

Da flog Heide ihrem Vater um den Hals.

„Danke!“ rief sie überglücklich. „Das Geld könnt ihr haben. Ich will keinen Pfennig davon, wenn ich nur mitmachen darf! Bitte schreib mir eine schriftliche Genehmigung, Vater!“

Frau Wacker holte Papier und einen Kugelschreiber aus dem Schlafzimmer und Herr Wacker machte sich ans Werk. Schließlich wurde das Schreiben in einen Briefumschlag gesteckt und Heide in die Hand gegeben.

Mit einer Flut von Ermahnungen versehen, begab sich Heide schließlich ins Hotel zur Traube.

 

„Kommen Sie schnell! Es ist höchste Zeit!“ Mario Landmann erwartete sie in der Halle und zog sie mit sich nach oben.

Heide war enttäuscht, dass er sie nicht mehr duzte. Er wirkte jetzt nervös und schenkte ihr keinen seiner verführerischen Blicke mehr. Vielmehr führte er sie in Linda Corvins Hotelzimmer.

Eine ältere Frau im weißen Kittel stand mitten im Zimmer und kam nun auf sie zu.

„Nein, das ist ja eine frappierende Ähnlichkeit mit Frau Corvin!“ rief sie entzückt.

„Ich bin Klara Melchior, die Garderobiere von Frau Corvin“, stellte sie sich vor.

„Tun Sie Ihr Bestes, Frau Melchior, damit es keine Blamage für die Gesellschaft wird!“ flehte Mario und wollte sich entfernen.

„Hier ist noch das Schreiben von meinen Eltern!“ rief Heide ihm nach.

„Ach ja, haben Sie die Erlaubnis?“

Er riss das Kuvert auf und las Gustav Wackers Zeilen mit Befriedigung. Dann steckte er es in die Tasche seines Jacketts.

„Damit wäre ja alles okay. In zwei Stunden hole ich Sie hier ab, Heide!“ Er ging.

„Na, dann wollen wir mal, Kindchen!“ sagte Frau Melchior zu der verlegen vor ihr stehenden Heide.

„Viel Arbeit werde ich ja gar nicht mit Ihnen haben. Die Ähnlichkeit ist da. Darf ich einmal Ihre Fingernägel sehen?“

Heide hielt ihre makellos gepflegten Hände hin. Sie legte als Verkäuferin sehr viel Wert auf gepflegte Hände.

„Wir werden künstliche Nägel nehmen müssen“, überlegte Frau Melchior.

„Wie Sie meinen“, sagte Heide ein wenig beleidigt. Ihre eigenen Nägel waren doch wirklich lang genug. Immerhin war es interessant zu beobachten, wie Frau Melchior das machte.

„Ich lasse ein Bad einlaufen für Sie“, sagte ihre Betreuerin.

„Aber ich habe doch gerade erst zu Hause geduscht“, protestierte Heide.

„Ich habe eine belebende Essenz hinein getan. Sie dürfen ruhig noch einmal in die Wanne steigen, Fräulein Heide.“

“Wie Sie wollen“, sagte Heide und ging auf eine Tür zu, hinter der sie das Wasser laufen hörte. Es musste Linda Corvins Badezimmer sein.

„Bleiben Sie nicht länger als zehn Minuten im Wasser. Und stellen Sie es nicht heißer, sonst werden Sie müde!“ rief Frau Melchior hinter der Tür.

Das war ein ganz anderes Badevergnügen als zu Hause! Heide fühlte, wie sie sich in dem duftenden Wasser entspannte. Niemals in ihrem Leben hatte sie in so sahnigem Schaum gebadet. Sie bedauerte, nicht länger im Wasser bleiben zu können. Aber Frau Melchior klopfte schon an die Tür.

Dann saß Heide, in einen weißen flauschigen Bademantel gehüllt, vor dem Frisiertisch Linda Corvins. Mit immer größer werdendem Erstaunen betrachtete sie ihre Verwandlung in eine Dame von Welt.

„Sie haben viel schöneres Haar als Frau Corvin“, lobte Frau Melchior, während sie Heides Haar geschickt toupierte. „Frau Corvin muss es nämlich oft färben lassen. Das bekommt dem Haar nicht.“

Das Aufkleben der künstlichen Wimpern verfolgte Heide gespannt. Sie beobachtete, wie ihr Blick auf einmal lockend und geheimnisvoll wurde.

„So, und jetzt kommt das Kleid“, sagte Frau Melchior und öffnete Linda Corvins großen Kleiderschrank.

„Ich denke, dieses passt für den Abend am besten“, sagte die Garderobiere und breitete vor Heides staunenden Augen ein Kleid aus violettem Seidensamt aus.

„Frau Corvin hat es noch nie getragen, weil es ihr von Anfang an ein wenig zu eng war“, erklärte Frau Melchior und streifte das Kleid ganz vorsichtig über Heides frisierten Kopf.

„Das soll ich sein?“ entfuhr es Heide unwillkürlich, als sie sich in dem Standspiegel betrachtete.

Das Kleid fiel ihr bis auf die Füße, die in zierlichen Silbersandaletten steckten. Über den Hüften saß es sehr eng und weitete sich dann zu einer Glocke. Das Aufregendste an dem Kleid war aber der tiefe Ausschnitt.

„Aber so kann ich doch nicht vor den Leuten erscheinen? Ist das nicht zu nackt?“ Sie prüfte mit einem Handspiegel wie das Kleid von hinten aussah. Auch dort ging der Ausschnitt fast bis zur Taille.

Frau Melchior, die mit bewundernden Ausrufen nicht gespart hatte, schüttelte den Kopf. „Das ist ganz normal. Von der Brust sieht man ja nichts. Es ist nur der Schlitz, der alles ahnen lässt.“

Es klopfte an die Tür ,und gleich darauf trat Mario Landmann ins Zimmer.

Selten hatte Heide etwas so genossen wie den verblüfften Ausdruck des Filmschauspielers.

„Gefalle ich Ihnen, Herr Landmann?“ fragte sie kokett und drehte sich einmal um die eigene Achse, damit er sie überall bewundern konnte.

Du siehst hinreißend aus, Heide!“ Er kam auf sie zu und drückte einen Kuss auf ihren Handrücken.

„Mein Kompliment, Frau Melchior!“ sagte er zu der Garderobiere, die vor Stolz strahlte.

Er hat wieder du zu mir gesagt! jubelte Heide innerlich. Wer konnte denn wissen, was dieser Abend noch für sie bereit hielt? Ihr zarter Körper bebte vor innerer Spannung. Vor den biederen Elfringheimer Bürgern hatte sie überhaupt keine Angst. Nur Mario wollte sie gefallen, seinen bewundernden Blick genießen.

„Wir gehen hinunter. Ich will sehen, ob du auch tanzen kannst!“ sagte Mario und bot ihr den Arm.

Heide bemerkte, dass er sich auch umgezogen hatte. Er trug einen Smoking mit weinroter Weste. Aufregend gut sah er aus.

Sie betraten den Festsaal, der in diesem Augenblick bis auf ein paar umher huschende Bedienstete leer war.

An der Schmalseite des Saales war die Tafel in der Form eines Hufeisens aufgebaut und festlich gedeckt. Der andere Teil war für die Tänzer bestimmt. Dort stand die Musikbox, die Mario jetzt in Gang setzte.

„Komm Heide, tanz mit mir!“ Er fasste sie um die Taille und legte ihren Arm auf seine Schulter.

„Vorsicht, mein Kleid!“, rief Heide, als er sie gar zu fest an sich presste.

„Das macht deinem Kleid doch nichts,“ lachte er. In seinen Augen tanzten Lichtpünktchen. Tief beugte er sich zu ihr herab und küsste sie auf den Hals.

„Kleine Heide, du bist ein verführerisches Kind! Und tanzen kannst du wunderbar!“ flüsterte er.

„Aber nur, weil Sie mich so gut führen“, sagte Heide errötend.

Die Musikbox schwieg und Mario suchte ungeduldig in seinem Portemonnaie nach Groschen. Dann zuckte er mit den Schultern.

„Warte einen Augenblick! Ich bin sofort zurück!“

Er verschwand hinter einer Tür und Heide sank auf einen Stuhl. In ihrem Kopf drehte sich alles.

Ihr Kopf hob sich und sie entdeckte einen großen Spiegel an der gegenüber liegenden Wand.

Wie hypnotisiert ging Heide darauf zu und betrachtete sich ausgiebig.

Ich bin hübsch, dachte sie mit Selbstbewusstsein. Sehr hübsch, sogar!Warum soll sich Mario nicht ernsthaft in mich verlieben?

In diesem Moment erschien er wieder. In der Hand hielt er ein Glas.

„Trink, Heide, damit du die Courage nicht verlierst!“ forderte er sie auf.

Sie schluckte gehorsam das brennend scharfe Getränk herunter, begann aber gleich darauf zu husten.

Er lachte. „Hast du noch nie in deinem Leben Kognak getrunken?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kenne nur Wein. Aber ich fühle, wie der Kognak mir gut tut. Ich werde richtig mutig davon!“

„Mut hast du jetzt auch nötig. Die Honoratioren von Elfringheim sind eingetroffen. Gilbert empfängt sie drüben. Wie müssen jetzt hinüber.“

Er fasste sie am Arm und führte sie aus dem Festsaal hinaus durch die Halle in den Konferenzraum. Dort fand der Empfang statt.

Vor der Tür hielt Heide einen Augenblick inne.

„Herzklopfen?“ fragte Mario.

„Ein bisschen. Was soll ich eigentlich sagen?“ fragte sie hilflos.

„Möglichst nicht viel. Lächle nur!“ flüsterte Mario und öffnete die Tür.

Das laute Stimmengewirr erlosch schlagartig, als Heide den Raum betrat. Alle Köpfe wandten sich ihr zu und Heide konnte mit Befriedigung bemerken, dass sie einen großen Eindruck auf die Elfringheimer Honoratioren machte.

Dann kam Gilbert auf sie zu und führte sie zum Bürgermeister.

Heide reichte Bürgermeister Binder die Hand und lächelte. Noch vor einer Woche hatte sie ihm ein Paar Stiefel verkauft. Ob er sie wieder erkannte?

Doch des Bürgermeisters rotes rundes Gesicht verriet nur eitel Entzücken über die Anwesenheit einer solchen berühmten Schönheit in seinem kleinen Elfringheim. Neben ihm stand seine Frau und lächelte etwas säuerlich, als der Bürgermeister Heide bat, für heute Abend seine Tischdame zu sein.

„Aber gern, Herr Bürgermeister!“ lächelte Heide, klimperte ein paar Mal mit ihren künstlichen Wimpern und legte ihren Arm in den seinen.

„Ich mache Sie jetzt mit den anderen Elfringheimern bekannt, Frau Corvin“, erklärte der Bürgermeister.

Heide schüttelte ungefähr zehn Ehepaaren die Hand und setzte dabei ihr schönstes Lächeln auf. Aber sie vermied es zu sprechen.

Weder der Apotheker noch der Arzt erkannten Heide. Auch nicht der Tierarzt, der einmal Briefträger Wackers Ziege behandelt hatte.

Ihr fantastisches Kleid und ihr sicheres Auftreten ließen keinen Vergleich mit der kleinen Schuhverkäuferin zu.

Nur zögernd setzte die richtige Stimmung ein. Man ging in den Festsaal und nahm das Abendessen ziemlich schweigsam zu sich. Die biederen Bürger von Elfringheim wagten es nicht allzu oft, zu der bezaubernden Frau Corvin hinüber zu sehen. Ihre Ehefrauen ließen das nicht zu.

Erst später, als getanzt wurde, kam man in Stimmung. Heide und ihre drei Kolleginnen vom Film flogen von Arm zu Arm.

Erst ein einziges Mal hatte Heide mit Mario tanzen können.

„Du bist sehr überzeugend in deiner Rolle!“ lobte er sie und streifte ihre Wange mit einem flüchtigen Kuss.

„Meinen Sie? Die Frau des Bürgermeisters starrt mich dauernd an. Ich habe Angst, dass sie etwas merkt, Mario!“

„Keine Sorge, die Ehefrauen werden jetzt nach Hause gebracht. Danach geht es erst richtig los!“

„Wieso, was geht los?“ fragte Heide verdutzt.

„Pass nur auf!“

Tatsächlich. Immer mehr Ehepaare verabschiedeten sich, bis die Filmleute schließlich unter sich waren.

Aber nach einer knappen halben Stunde kehrten einige der Elfringheimer Honoratioren zurück, genau wie Mario es angedeutet hatte. Der Tierarzt und der Apotheker erschienen zuerst. Danach kamen auch der Bürgermeister und ein paar Herren, die Heide nicht kannte.

Mit einem Schlag war die Stimmung verwandelt. Die biederen Elfringheimer gaben sich ohne ihre Ehefrauen weltmännisch. Heide hörte Witze, die sie unter normalen Umständen hätten erröten lassen. Sie musste es sich gefallen lassen, eng umschlungen mit schwitzenden älteren Herren zu tanzen und sich Anzüglichkeiten ins Ohr flüstern zu lassen. Unglücklich sah sie ein paar Mal zu Mario hinüber. Warum kam er nicht und erlöste sie?

Doch Mario tanzte ausgiebig mit einer Kollegin vom Film, einem Starlet mit wasserstoffblonden Locken und üppigen Lippen. Er hatte augenblicklich keine Zeit für Heide.

Da beschloss Heide, ihn eifersüchtig zu machen. Nur dieser eine Abend gehörte ihr. Übermorgen war sie ja doch wieder die kleine unbekannte Schuhverkäuferin mit dem untadeligen Lebenswandel.

Warum nicht heute Linda Corvin spielen bis zur letzten Konsequenz!

Heide stürzte ein Glas Kognak hinunter und lächelte den Apotheker an, der ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte. Beim Tanzen schmiegte sie sich enger als bisher an ihn. Mario sah mit gerunzelter Stirn zu ihr hinüber.

Das blonde Starlet, das eben noch so hingebungsvoll mit Mario getanzt hatte, saß nun auf dem Schoß des Bürgermeisters und stieß schrille Laute vor Vergnügen aus über die Witze, die er ihr offenbar erzählte. Nur wenige Paare tanzten noch. Dafür zogen sich immer mehr Pärchen in die Ecken zurück.

Da trat Mario zu ihr und dem Apotheker.

„Linda, wollen wir tanzen?“ fragte er und der Apotheker musste seine Tänzerin frei geben, die abgeklatscht wurde.

„Ich kann Mario nicht sehr lange allein lassen, sonst wird er eifersüchtig“, sagte Heide, schenkte dem Apotheker ein strahlendes Lächeln und schwebte an Marios Arm davon.

„Mir gefällt es hier nicht mehr“, flüsterte sie Mario zu. „Kann ich mich jetzt nicht zurückziehen?“

„Haben wir dir zu viel zugemutet, kleine Heide?“ fragte Mario und streifte ihre Lippen mit einem Kuss.

„Ich bin zum ersten mal allein auf einem Ball“, erwiderte sie scheu.

Mario lächelte verständnisvoll. „Du hast Recht. Der letzte Akt des Festes ist nichts für kleine Mädchen. Ich bringe dich jetzt in dein Zimmer. Wenn du nicht genug Schlaf bekommst, versagst du am Ende morgen bei den Dreharbeiten.“

„Fangt ihr früh an?“

„Verhältnismäßig. Offiziell heißt es : acht Uhr dreißig Drehbeginn.“ Er sah auf seine goldene Armbanduhr. „Es ist jetzt drei Uhr, höchste Zeit, dass du in die Federn kommst, kleine Heide!“

Sie ließ sich nur zu gern von ihm nach oben bringen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Vor Linda Corvins Hotelzimmertür legte sie den Kopf an seine weiße Hemdenbrust.

„Selbstverständlich bringe ich dich zu Bett, Kleines“,lächelte Mario und stieß die Tür auf.

Warum stieß Heide ihn nicht zurück? Hatte sie wirklich keine Ahnung von dem, was nun folgen musste? Oder wünschte sie insgeheim das große Abenteuer?

Später wusste Heide es selbst nicht mehr. Sie wusste nur, dass sie sich wie eine Ertrinkende an Mario klammerte und sich von ihm zum Bett tragen ließ.

Dann lag er neben ihr und begann sie wild und leidenschaftlich zu küssen.

Wie sollte die kleine Heide diesen Küssen widerstehen können, von denen sie so oft geträumt hatte? Jetzt waren sie wunderbare Wirklichkeit geworden.

Nicht ein einziges Mal dachte Heide an ihre Eltern. Das Leben, das sie vorher geführt hatte, hatte keine Bedeutung mehr für sie. Jetzt begann ein neuer Lebensabschnitt. Mario liebte sie und das veränderte alles. Sie schlang beide Arme um ihn und erwiderte seine Zärtlichkeiten mit Leidenschaft.

 

Es klopfte an die Zimmertür.

Muss ich denn schon ins Geschäft? dachte Heide und schlug die Augen auf. Gleichzeitig fuhr sie stöhnend mit der Hand an ihren Kopf. Dann kam ihr die Erinnerung. Sie lag ja gar nicht zu Hause in ihrem Zimmerchen unterm Dach, sondern in dem breiten komfortablen Hotelbett. Neben ihr auf dem Nachttisch stand ein eleganter Reisewecker.

„Himmel, es ist ja schon halb acht und um acht beginnen die Dreharbeiten!“ rief Heide halblaut und schwang beide Beine zugleich aus dem Bett. Doch sogleich umfasste sie von neuem ihren unsäglich schmerzenden Kopf.

Es klopfte wieder und gleichzeitig trat Frau Melchior ein.

„Guten Morgen! Haben Sie gut geschlafen, Fräulein Wacker?“ wurde sie begrüßt. Frau Melchior sah Heides Zustand und lächelte mitleidig.

„Geschlafen habe ich vermutlich überhaupt nicht“, jammerte Heide. „Und mein Kopf fühlt sich an wie Watte und tut entsetzlich weh.“

„Ist Ihnen übel?“ forschte Frau Melchior und zog aus ihrer Kitteltasche ein Röhrchen mit weißen Tabletten.

„So übel, wie es mir noch nie in meinem Leben war!“ gestand Heide und beobachtet, wie Frau Melchior ein Glas mit Wasser füllte und ihr brachte.

„Nehmen Sie eine von diesen Tabletten und wenn das nicht genügt, nach einer Viertelstunde noch eine. Dann sind Sie wieder topfit!“ lächelte Frau Melchior.

Gehorsam schluckte Heide die Tablette hinunter und fragte : „Fangen wir wirklich schon um acht Uhr mit den Dreharbeiten an?“

„Wenn wir um viertel nach acht kommen, ist es auch noch früh genug. Aber Herr Landmann ist schon draußen beim Peterberg. Er hat eine Einzelszene. Danach sind Sie dran, da müssen Sie mit ihm die Szene im Wald drehen. Jedenfalls müssen Sie jetzt aufstehen! Gilbert kann sehr ungemütlich werden, wenn man zu spät am Set erscheint.

„Was muss ich anziehen?“ fragte Heide und reckte sich ausgiebig.

Frau Melchior ging zum Kleiderschrank und holte ein duftiges weißes Spitzenkleid hervor.

„Dieses!“ Sie legte das Kleid über einen Stuhl am Bett.

„War es schön gestern Abend?“ fragte die Garderobiere und musterte Heide mit gespannter Aufmerksamkeit.

Heide war ihrem Blick gefolgt und sah nun auch das goldene Feuerzeug auf dem Bettläufer liegen. Deutlich konnte man die Initialen darauf erkennen: ML – Mario Landmann.

Heide errötete. Plötzlich schämte sie sich vor Frau Melchior. Was mochte die jetzt von ihr denken?

Doch Frau Melchior sagte nichts. Stumm hob sie das Feuerzeug auf und legte es auf den Nachttisch.

Dann ging sie zur Tür, drehte sich aber noch einmal zu Heide um.

„In einer Viertelstunde komme ich zum Schminken, Fräulein Wacker“. Damit war sie hinaus und Heide wankte, sich immer noch den Kopf haltend, ins Badezimmer.

Frau Melchiors Stimme hatte tadelnd geklungen und auch ein wenig enttäuscht. Sicher konnte sie sich ihren Reim darauf machen, was in der Nacht passiert war.

Doch Heide schob die unangenehmen Gedanken beiseite und versuchte sich daran zu erinnern, was in der Nacht geschehen war. Während sie unter der heißen Dusche stand, lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Wie hatte Mario sie geküsst! Niemals hatte sie ihn so auf der Leinwand erlebt.

Das in der Nacht war Liebe gewesen, reinste Liebe. Mario Landmann hatte sich in die kleine Schuhverkäuferin verliebt. Das Schicksal hatte sie unausweichlich zueinander getrieben.

Die zurückkehrende Frau Melchior unterbrach Heides Gedankenflüge.

„Sind Sie fertig?“ rief sie ins Badezimmer hinein.

Heide kam heraus, nur mit Unterwäsche bekleidet. „Es ist heiß heute, nicht wahr?“

Frau Melchior nickte. „Ziehen Sie das über!“ Sie warf ihr einen Schminkmantel hin.

Heide merkte jetzt, dass sie wirklich schlechte Laune hatte. Aber das war ihr gleichgültig. In ein paar Minuten würde sie Mario gegenüber stehen und das Glück begann aufs Neue.

Wieder verfolgte Heide die unglaubliche Verwandlung von einem kleinen Mädchen in einen großen Star. Und um viertel nach acht saß sie in einem Wagen der Filmgesellschaft und wurde zum Peterberg gefahren, wo heute die Abschlussdreharbeiten statt fanden.

Ein Knäuel von Menschen hatte sich versammelt, neugierige Elfringheimer, die gespannt die Dreharbeiten verfolgten.

„Da sind Sie ja, Frau Corvin! Rasch, kommen Sie!“ rief Gilbert ihr entgegen, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Guten Morgen zu wünschen. Er packte sie bei den Schultern und zeigte ihr, wie sie sich aufstellen musste.

„Sie warten hier, bis Mario aus dem Wald tritt. Dann laufen Sie ihm entgegen. Bedenken Sie, Sie haben ihn über ein Jahr nicht gesehen, und nun tritt er plötzliche aus dem Schatten der Bäume heraus. Zuerst erkennen Sie ihn nicht, ahnen aber, dass er es sein könnte. Dann gehen Sie zögernd näher und schließlich rennen Sie mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Okay?“

Heide nickte. Mario hatte sie schon gestern in die Filmstory eingeweiht. Suchend flog ihr Blick nun durch die Menge der Filmleute. Wo war Mario? Hatte sie nicht einmal Gelegenheit, ihm Guten Morgen zu sagen?

Da tauchte er gerade aus dem VW-Bus der Filmgesellschaft auf. Er trug einen Kordanzug mit schwarzem Rollkragenpullover. Heides Herz zersprang fast vor Sehnsucht nach ihm.

Dann hatte er sie entdeckt.

„Na, ausgeschlafen, Kleines?“ fragte er im Vorbeigehen und fasste ihr unters Kinn. Dann wandte er sich sogleich an Gilbert und sprach ein paar Worte mit ihm, ohne sich noch um Heide zu kümmern.

Wie weh das tat! Heide fühlte sich jämmerlich und hätte am liebsten los geheult. Er hätte wirklich Gelegenheit gehabt, mit ihr ein paar persönliche Worte zu wechseln, oder ihr wenigstens einen Blick des Einverständnisses zu schenken!

„Alle auf die Plätze!“ rief Gilbert und Heide schlenderte über die Wiese zu dem ihr bezeichneten Platz. Die Wiese war noch feucht vom Morgentau. Tausend Wasserperlen blinkten auf den Gräsern und spiegelten das Morgenlicht wieder. Oder waren es Heides Tränen, die so blinkten und blitzten und ihren Blick trübten?

Dann stand sie reglos und wartete auf Gilberts Zeichen. Gegenüber im Wald wartete Mario. Sie konnte seinen Jackenärmel erkennen, als er jetzt den Arm hob und ihr zuwinkte.

Dann begannen die Kameras zu surren und Gilbert bedeutete ihr in Zeichensprache, was sie zu tun hatte.

Nichts war einfacher, als auf Mario voller Sehnsucht zuzulaufen und sich in seine Arme zu werfen. Das dachte Heide, aber Gilbert war offenbar anderer Meinung. Zehn Mal wurde diese Szene geprobt, bis endlich alles klappte.

Nachher stand sie mit Mario zusammen, und er suchte in seiner Tasche nach Zigaretten.

„Brauchst du das?“ fragte sie und hielt ihm das goldene Feuerzeug hin.

„Oh, danke. Wo hast du das gefunden?“

„Frau Melchior hat es vor meinem Bett entdeckt“, sagte Heide.

„Verdammt, jetzt gibt es wieder Gerede!“ entfuhr es Mario.

„Wieso, hast du Angst davor?“

Er sog den Rauch ein und sah an ihr vorbei. „Na weißt du, als verheirateter Mann kann man sich nicht mehr alles leisten. Ich muss schon ein bisschen vorsichtig sein.“

Entsetzt starrte sie ihn an.

„Du bist verheiratet?“

Er lachte. „Ich hab wohl vergessen, es dir zu erzählen. Na ja, was ändert das schon?“ er warf die halb gerauchte Zigarette fort, trat sie aus und zog Heide am Arm mit sich.

„Gilbert wartet“, meinte er. „Wir müssen jetzt Arm in Arm in den Wald hineingehen.“

Gilbert gab ein Zeichen und die Kameras begannen zu surren. Staunende Elfringheimer drängten sich dicht heran und verfolgten das Spiel der Stars mit Spannung.

Heide kümmerte sich nicht darum. Eine große Illusion war soeben durch Marios Worte zerstört worden. Stumm lief sie neben ihm her. Nur ihre Rückseite wurde ja gefilmt. Dabei spielte ihr Gesichtsausdruck gar keine Rolle.

„Der Abend gestern ist dir offensichtlich nicht gut bekommen, Kleines? Hast du einen Kater?“

„Es ist nicht der Kater“, sagte Heide leise.

„Aha, nen Moralischen hast du also?“

„So kann man es nennen. Wenn ich gewusst hätte, dass du verheiratet bist, dann hätte ich nicht...., wäre ich nicht...“

Mario lachte. „Was hätte das geändert, Heide? Man liebt sich und geht wieder auseinander, ob verheiratet oder nicht.“

„Wie lange bist du verheiratet?“

„Eineinhalb Jahre. Mit Lisa Geier, einer Schweizerin. Sie steht im Moment in Zürich auf der Bühne. Wir haben unsere Hochzeit nicht publik gemacht. Es hätte meinem Ruf als Herzensbrecher geschadet, weißt du.“

Heide nickte.

„Ich verstehe,“ sagte sie müde.

Dann rief Gilbert irgendetwas zu ihnen hinüber und Mario zog sie mit sich in den Schatten der Bäume hinein.

„Und das wäre dann das Ende unseres Films“; sagte er.

„Und das Ende unserer Freundschaft.“ Heide reichte ihm die Hand.

„Leben Sie wohl, Herr Landmann!“

„Auf Wiedersehen Heide. Wenn wir mal wieder in Elfringheim filmen, komme ich zu dir zurück!“

Das war also der Abschied. Heide unterdrückte mit Mühe die aufsteigenden Tränen. Durch das feuchte Gras lief sie zurück zu Gilbert und den anderen. Frau Melchior stieg mit ihr in den den Wagen und sie fuhren zurück zum Hotel.

„Jetzt ist es aus mit dem „Star spielen“ „ sagte die Garderobiere nicht unfreundlich. Mitleid schwang in ihrer Stimme.

Sie zog Heide das weiße Spitzenkleid aus , hängte es auf einen Bügel .

„Gott sei Dank!“ seufzte Heide, während sie ihre eigenen Kleider anzog.

„Man muss dafür geboren sein“, pflichtete Frau Melchior ihr bei. „Man muss Enttäuschungen hin nehmen können, ohne daran zu zerbrechen. Das ist nicht jedem gegeben.“ Sie warf Heide einen vielsagenden Blick zu.

„Er hat mir nicht gesagt, dass er verheiratet ist, sonst...“Heide schwieg. Was hatte es für einen Sinn, das alles zu erklären.

Frau Melchior klopfte ihr gutmütig auf die Schultern.

„Schon gut, Kindchen. Sie werden darüber hinweg kommen! Es tut mir nur Leid, dass gerade Sie auf ihn herein fallen mussten.“

 

„Sie haben Ihre Sache gut gemacht“, sagte Gilbert unten in der Hotelhalle zu Heide und überreichte ihr fünfhundert Mark in bar.

„Alles Gute für Sie!“ Er schüttelte ihr die Hand.

„Danke. Sie können ja auf mich zurückkommen, wenn Sie wieder eine Statistin brauchen, Herr Regisseur.“ sagte sie hoffnungsvoll.

„Machen wir, Fräulein Wacker, machen wir!“ versprach er und winkte ihr verabschiedend zu. Ein Beleuchter war mit einer Frage an ihn heran getreten und er hatte Heide im nächsten Moment vergessen.

Bevor Heide das Hotel verließ, sah sie sich nach allen Seiten um, ob auch keine neugierigen Elfringheimer sie beobachten konnten

Aber niemand käme jetzt auf den Gedanken, mich für Linda Corvin zu halten, dachte Heide und musterte ihr Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe.

Sie trug wieder ihr einfaches Sommerkleid. In der Umhängetasche aus rotem Plastikmaterial befanden sich fünfhundert Mark. Das war alles, was von ihrem Stardasein übrig geblieben war.

Und meine Unschuld habe ich verloren, sinnierte Heide. Eigentlich hätte sie todunglücklich sein müssen. Aber es war schön mit Mario gewesen.

Ob ich jemals wieder so einem Mann wie Mario begegne? dachte Heide und ging im Geiste die Liste der Elfringheimer jungen Männer durch. Nein, keiner von denen konnte neben Mario bestehen.

Mit diesen Gedanken betrat Heide das elterliche Häuschen.

„Na, da ist ja unser Star“, sagte Briefträger Wacker und ließ den Suppenlöffel sinken, um seine Tochter zu betrachten.

„Erzähl, wie war es?“ Die Mutter sprang auf und ging der Tochter entgegen.

„Schön war es!“ Nur ein bisschen müde bin ich vom Wein gestern Abend.“ Heide setzte sich zu den Eltern an den Küchentisch.

„Möchtest du Erbsensuppe?“ fragte die Mutter.

„Nur ein bisschen“.

„Was haben die Filmleute zu dir gesagt, Heide. Waren sie zufrieden?“ Mutter Wacker brannte vor Neugier.

„Ganz so begeistert scheint sie ja nicht zu sein“, meinte Herr Wacker. „Du legst dich am besten erst mal nieder, Heide. Danach kannst du uns erzählen. Hast du das Geld schon bekommen?“

„Es ist hier drin.“ Heide schob die rote Tasche über den Tisch.

„Tatsächlich, fünfhundert Mark!“ Briefträger Wacker pfiff durch die Zähne.

„Na ja, die haben es ja auch im Überfluss, während unsereins sich plagen muss.“

„Jetzt können wir ein Sofa für die Wohnstube kaufen“, freute sich Frau Wacker.

„Nichts da, erst wird der Schuppen neu gebaut!“ Herr Wacker stand auf und brachte das Geld ins Schlafzimmer. Dort in der Kommode wurden alle Wertsachen der Familie aufbewahrt.

„Aber wir brauchen doch so dringend das Sofa!“ rief Frau Wacker ihrem Mann nach.

Heide verfolgte diese Meinungsverschiedenheiten nicht weiter, sondern legte den Suppenlöffel hin.

„Ich gehe nach oben und schlaf mich aus!“ sagte sie.

Heide hatte ein kleines Zimmer direkt unter dem Dach. Im Sommer war es hier meist unerträglich heiß. Auch jetzt schreckte Heide vor der brütenden Mittagshitze zurück, die den Raum erfüllte. Aber das Wichtigste im Moment war, dass sie allein war und alles überdenken konnte, was geschehen war.

Wie schwer fiel es Heide am nächsten Morgen, wieder in ihre Alltagshaut zu schlüpfen!

Beim Frühstück unten bemerkte sie zum ersten Mal, wie hässlich die Küche war.

Wenn ich einmal mehr Geld verdiene, will ich nie mehr von einer Plastikdecke frühstücken, nahm sich Heide vor. Sie dachte an die blütenweißen gestärkten Tischtücher in der 'Traube'. Voller Missfallen beobachtete sie, wie ihr Vater seinen Kaffee schlürfte und dabei beide Ellenbogen aufstützte. Heides Mann sollte sich auch zu Hause gut benehmen. Er sollte Manieren haben wie Mario...

Und niemals werde ich eine so grässliche Kittelschürze anziehen wie Mutter! Und ich werde nicht im Garten arbeiten und mich krumm schaffen und frühzeitig alt und hässlich werden!

Es waren viele Vorsätze, die Heide an diesem Morgen fasste.

Herr Kurthäuser begrüßte sie freundlich.

„Na, wieder gesund, Fräulein Wacker?“ Er beugte sich sogleich wieder über seine Zeitung, die er auf dem Ladentisch ausgebreitet hatte.

„Muss ja toll gewesen sein, dieser Empfang in der 'Traube'vorgestern!“ murmelte er vor sich hin und widmete sich ausgiebig der Lektüre des Anzeigers.

„Ist ein Bild erschienen vom Empfang?“ erkundigte sich Heide mit gleichgültiger Stimme.

„Mehrere! Sie können gleich selbst sehen, Heide. Er reichte ihr ein Blatt der Zeitung, auf dem Heide mit dem Bürgermeister zu sehen war.

„Ein tolles Weib, diese Frau Corvin! Sie haben sogar ein kleines bisschen Ähnlichkeit mit ihr.“

Er lachte laut, als hätte er einen guten Witz gemacht.

Ich bin sehr hübsch auf dem Foto, dachte Heide befriedigt. Genau wie ein Star sehe ich aus. Und keinem Menschen kann ich erzählen, dass ich diese Frau auf dem Foto bin!

Seufzend nahm sie ihren Perlonkittel vom Haken und streifte ihn über.

Ein wenig später kam Kollegin Rita ins Geschäft.

„Grüß dich, Heide. Bist du wieder gesund? Hast eine ganze Menge versäumt gestern.“

„Was denn?“

„Na, die Dreharbeiten natürlich. Herr Kurthäuser hat mir frei gegeben, weil sowieso die ganze Kundschaft auf dem Peterberg war. Du, die Corvin ist eine tolle Frau! Und Mario Landmann...“ Rita küsste sich selbst die Fingerspitzen vor Entzücken.

„Sah die Corvin so gut aus wie auf ihren Fotos?“ erkundigte sich Heide vorsichtig.

„Tausendmal besser. Meistens ist es ja umgekehrt. Wenn man einen Star in Wirklichkeit sieht, ist er lange nicht so hübsch , aber bei der Corvin ist das anders. Sie sieht noch viel besser aus als auf ihren Fotos. Viel jünger!“

Heide ging zum Spiegel.

„Findest du noch immer, dass ich aussehe wie die Corvin? fragte sie mit angehaltenem Atem.

Rita sah zu hinüber und lachte lauthals.

„Du wie die Corvin? Das habe ich früher einmal gesagt. Aber so elegant wie die sich bewegt! Nein Heide, du hast nicht viel Ähnlichkeit mit ihr. Vielleicht, wenn du das Haar offen trägst...“

Heide nahm das Gummiband aus dem Haar, das ihr nun offen auf die Schultern floss. „Jetzt?“

Rita betrachtete sie kritisch.

„Ein bisschen Ähnlichkeit ist schon da, das stimmt. Aber ich habe ja die Corvin nur geschminkt gesehen. Da sah sie toll aus mit ihren langen Wimpern. Die waren gewiss angeklebt!“

„Ganz bestimmt!“ bestätigte Heide.

„Kundschaft!“ rief Herr Kurthäuser zu ihnen hinein und beendete damit ihr Gespräch.

Auch die Kunden im Laden sprachen über den gestrigen Tag. Viele hatten bei den Dreharbeiten zugeschaut. Ein paar Mal bekam Heide zu hören, dass sie Linda Corvin sehr ähnlich sähe. Aber man lachte dabei. Wie konnte eine Schuhverkäuferin aus Elfringheim einem großen Star gleichen?

Für Heide wurde es ein schwerer Tag. Ohne es zu wollen, trauerte sie ihrem kurzen Ruhm nach.

Wie machten es nur andere Mädchen, fragte sie sich. Die schafften es doch auch, eine Filmrolle zu bekommen. Ich habe mich sicher zu dumm angestellt, sonst hätte mich Gilbert als Double für die Corvin noch öfters brauchen können. Ich könnte ja zum Beispiel für die Corvin ins Wasser springen und dergleichen Dinge. Das wäre immer noch besser, als in Elfringheim Schuhe zu verkaufen.

 

Als sie nach Hause kam, fand sie den Vater damit beschäftigt, den alten Holzschuppen abzureißen.

Ein Haufen funkelnagelneuer Ziegelsteine lag neben dem Wohnhaus.

„Ja Heide, jetzt bekommen wir endlich einen neuen Schuppen“, begrüßte er sie, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

Nachdenklich ging Heide ins Haus. Hätte sie nicht lieber die fünfhundert Mark für sich beanspruchen und in die Großstadt gehen sollen? Dort gab es Geschäfte, die das Doppelte zahlten wie Herr Kurthäuser. Oder sie hätte als Serviererin arbeiten sollen, die bekamen viel Trinkgeld. Es gab so viele Möglichkeiten. Wenn sie aber in Elfringheim blieb, würde ihre Unzufriedenheit immer weiter wachsen.

Die Eltern würden es ja nicht zulassen, dass ich fortgehe, dachte Heide. Ich bin ja erst sechzehn.

Mit Grübeleien verbrachte Heide die folgenden Wochen. Ihr hübsches Gesicht wurde zarter und bleicher, ihre zarte Figur noch schlanker.

„Du musst mehr essen, Heide. Du bist ja nur noch ein Strich!“ klagte die Mutter und füllte Heides Teller noch einmal. Aber voll Widerwillen schob Heide ihren Teller von sich.

„Mir wird immer schlecht, wenn ich nur das Essen rieche“.

„Vielleicht solltest mal zu Dr. Frobe gehen?“ schlug die Mutter vor.

 

„Du lässt dich ja gar nicht mehr im Federballklub sehen, wunderte sich Rita. „Du hast doch immer so gern gespielt. Kommst du wenigstens heute? Wir spielen gegen die Ophofener Mannschaft. Das wird spannend, sage ich dir!“

„Na gut, ich komme. Aber nur zum Zugucken“, versprach Heide.

„Warum willst du denn nicht mitspielen?“ Rita machte große Augen. Heide war doch immer die Stütze des Klubs gewesen und nun wollte sie einfach kneifen.

„Ich weiß nicht, mir wird in letzter Zeit immer schwindlig, wenn ich mich heftig bewege“, klagte Heide.

„Lass mal deinen Kreislauf untersuchen!“ schlug Rita vor. „Du bist auch blasser als sonst. Vielleicht bist du blutarm?“

„Kann sein“, meinte Heide. Ich muss wirklich mal zum Arzt“.

Eines Tages bemerkte Heide mit Schrecken, dass ihr monatlicher Zyklus in Unordnung geraten war. Da zögerte sie nicht länger und bat Herrn Kurthäuser um eine Stunde Urlaub.

„Ich muss zu Dr. Frobe, Herr Kurthäuser. Mir geht es irgendwie nicht gut“.

„Das merke ich schon seit einiger Zeit, dass mit Ihnen etwas nicht in Ordnung ist“, nickte der Chef. Lassen Sie sich von unserem Doktor mal ein Stärkungsmittel verschreiben. Junge Mädchen in Ihrem Alter sind häufig blutarm.“

Kurz vor Beginn der Mittagsstunde warf Heide ihren Mantel über und suchte die Praxis von Dr. Frobe auf, die schräg gegenüber vom Schuhgeschäft Kurthäuser lag.

„Na Heide, wo fehlt es denn?“ fragte der freundliche Arzt. „Seit deinen Masern hast du doch nichts mehr gehabt.“

Er reichte dem jungen Mädchen die Hand und sah in seine Kartei.

Heide begann ihre Beschwerden zu schildern.

„Mir wird ständig übel, Herr Doktor. Auch Schwindelanfälle habe ich. Wenn ich mich zu den Füßen der Kundschaft herunter beugen muss und dann plötzlich wieder hoch komme, dreht sich alles um mich und ich muss mich irgendwo fest halten, um nicht um zu fallen.“

„Soso“, sagte der Arzt und sah Heide forschend an. „Groß bist du geworden, Heide. Du bist jetzt sechzehn, wenn ich mich nicht irre. Hast du schon einen Freund?“

Da warf sie plötzlich die Hände vors Gesicht und fing bitterlich an zu weinen.