Der Thronfolger - Elke Gravert - E-Book

Der Thronfolger E-Book

Elke Gravert

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Beschreibung

Es fällt dem jungen Botanikstudenten Hubertus nicht leicht, den Thron von Nordmark besteigen zu müssen, weil sein Vater abdanken muss. Doch er ist beliebt beim Volk und hofft, sich mit Hilfe seiner Verlobten Agneta, die ebenfalls noch studiert, mit seinem Los abzufinden.

Doch Agneta verunglückt in den Bergen, der junge König ist allein. In tiefer Trauer besucht er seine Tante am Genfer See und begegnet dort der jungen Isabella, die zur Liebe seines Lebens wird.

Nur etwas trübt das Glück des jungen Paares: Isabella wünscht sich so sehr ein Kind.

 

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Elke Gravert

Der Thronfolger

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

 1. Kapitel

„Chiara, bist du endlich fertig mit Ankleiden?“

Prinz Peer sah ungeduldig auf seine Armbanduhr. Doch da trat seine Frau, Prinzessin Chiara, schon in den kleinen Salon, der zwischen ihren beiden Schlafzimmern lag. Sie warf das rabenschwarze Haar in den Nacken, zog betont langsam ihre schwarzen Handschuhe an, die bis zum Ellenbogen reichten und suchte dann nach etwas in ihrer Handtasche.

„Wir kommen bestimmt nicht zu spät zur Gruft, glaube mir, Peer! Die Zeremonie hat bis jetzt immer mit Verspätung angefangen.“

Sie spielte auf die Gedenkfeier für die verstorbene Königin Gertrude an, die jedes Jahr an der königlichen Gruft stattfand.

„Ich möchte aber Vater, Hubertus und Svenja nicht gerne warten lassen!“

Zu der Zofe gewandt, die mit einem dunklen Nerzmantel hinter seiner Frau stand, sagte er: „Geben Sie mir den Mantel, ich mache das schon“.

Er half seiner hübschen Frau in den kostbaren Mantel, ohne sie dabei anzusehen.

Unschwer war zu erkennen, dass das Paar sich nicht liebte.

Die Hochzeit mit der temperamentvollen italienischen Prinzessin war eine arrangierte Heirat gewesen. Prinz Peer hatte seine junge Frau nie geliebt und wusste, dass auch Chiara ihn nie wirklich geliebt hatte. Das gab ihrer Ehe einen gewissen Ausgleich und sie lebten eigentlich meistens ganz harmonisch miteinander, besonders, nachdem Sohn Dominik geboren war, der der ganze Stolz beider Eltern war.

Der kleine Prinz Dominik erschien soeben an der Hand seiner Nurse und verlangte, sogleich von seiner Mutter auf den Arm genommen zu werden.

„Mein kleiner Liebling! Mama kommt bald wieder“, flüsterte Chiara ihm ins Ohr, gab ihm einen Kuss, und bat die Nurse, gut auf Dominik acht zu geben. Die Prinzessin mochte als leichtsinnig und vergnügungssüchtig gelten, doch sie war eine hingebungsvolle Mutter.

„Wahrscheinlich bleiben wir zum Mittagessen im Palast“, erklärte sie noch, ehe sie mit ihrem Gatten den Salon verließ.

Das junge Paar bewohnte eine schlossähnliche Villa draußen vor der Hauptstadt. Auf der Einfahrt wartete ein dunkler schwerer Wagen auf sie und sie stiegen schnell ein. Ein kalter Regen fiel vom Himmel und es wehte ein unangenehmer Wind.

Der Wagen bog in die Schlossallee ein, doch die Limousine fuhr nicht in den Schlosshof hinein, sondern ein kleines Stückchen weiter, dorthin, wo die Mitglieder des Königshauses begraben waren. Eine etwas erhöht liegende kleine Kapelle zierte den kleinen Friedhof mit den prächtigen Grabmälern.

Hier ruhten seit Jahrhunderten die Könige, Prinzen und Prinzessinnen des Staates Nordmark.

Prinzessin Chiara fröstelte unter ihrem Pelzmantel. Eines Tages würde auch sie hier ruhen, an der Seite Peers in diesem kalten Land. Sie dachte mitleidig an Peers Mutter, Königin Gertrude, die bei der Geburt der kleinen Svenja gestorben war. Keine Kunst der Ärzte hatte sie retten können.

„Vater ist schon da“, flüsterte Peer und nahm den Arm seiner Frau.

Chiaras Blick glitt zu der Grabstätte. Dort stand, eingerahmt zwischen Vater und ihrem älteren Bruder Hubertus, die kleine zehnjährige Svenja. Ihr Gesichtchen unter der weißen Pelzkappe schaute sehr ernst. Andächtig starrte sie auf die goldenen Engel, die das Grab ihrer Mutter zierten, die sie nie kennen lernen durfte.

Die Familie begrüßte sich. Prinz Peer legte ein Blumenbukett am Grab seiner Mutter nieder und faltete dann für einen Augenblick die Hände. In diesem Moment machte er nicht den lebenslustigen, leichtfertigen Eindruck wie meistens. Sein hübsches Gesicht war von tiefem Ernst überschattet.

Heute waren es genau zehn Jahre her, dass die geliebte Königin tot war. Aus diesem Anlass ließ König Gunnar eine besondere Messe in der Grabkapelle lesen.

Prinzessin Chiara sah zu ihrem Schwiegervater hinüber, als sie später in der Kapelle auf den roten Samtstühlen Platz genommen hatten. Allzu traurig konnte der König nicht mehr sein, dachte sie. König Gunnar war im Begriff, eine andere Frau zu heiraten. Chiara kannte sie nicht, aber sie wusste, dass die Bekannte des Königs nicht von adeliger Herkunft war. Wenn er sie wirklich heiraten wollte, dann würde er abdanken müssen.

Chiara sah zum Kronprinzen Hubertus hinüber. Er war nur zwei Jahre älter als Peer, aber wie viel ernster wirkte er! Es konnte kaum zwei verschiedenere Brüder geben als die beiden Prinzen. Hubertus war im Gegensatz zu dem eleganten mittelgroßen Peer sehr hoch gewachsen. Wie viele große Männer hatte er eine etwas gebeugte Haltung. Seine Schultern waren leicht nach vorne geneigt und obwohl Hubertus einen guten Schneider beschäftigte, hingen seine Anzüge stets zu locker um seine schlacksige Figur. Hubertus war der Wissenschaftler der Familie. In der Schule war er stets der Beste gewesen. Nun studierte er Botanik und Zoologie an der Universität der Hauptstadt.

„Requiescat in pace…“, sagte gerade der Priester und schlug das Kreuz.

Chiara schloss die Augen und murmelte die lateinischen Worte mit.

Die königliche Familie war heute ganz unter sich. Nicht einmal Großkammerherr von Traten war heute anwesend, notierte Chiara im Stillen.

Am Ende der Messe schritten sie aus der Kapelle. Man wollte von dort die paar Schritte zum Schloss zu Fuß zurücklegen.

Es nieselte immer noch. Bedienstete hielten große schwarze Regenschirme für die Königsfamilie bereit.

„Wie geht es Dominik?“ erkundigte sich die kleine Svenja, die sich unter Chiaras Schirm geflüchtet hatte und nach ihrer Hand fasste.

„Es geht ihm gut, er spricht jetzt schon einige Worte“, lächelte Chiara und legte den Arm um die kleine Schwägerin. „Du solltest einmal wieder zu uns kommen. Dominik ist ein ganzes Stück gewachsen seit deinem letzten Besuch.“

Das kleine Mädchen tat ihr von Herzen leid. Es wurde Zeit, dass das Kind wieder eine Mutter bekam.

Hinter Chiara und Svenja folgte der König mit seinen beiden Söhnen. Sie unterhielten sich lebhaft, das heißt, nur der König und Prinz Peer sprachen. Hubertus blieb wie meistens stumm. Seine Stirn war umwölkt, seine blauen Augen blickten ernst.

Kronprinz Hubertus hatte von den drei königlichen Kindern seine Mutter am meisten geliebt. Im Gedenken an die Tote schritt er durch den Schlossgarten und sein Gesicht hellte sich erst auf, als Svenja wieder zu ihm kam und seine Hand nahm.

„Du schaust so traurig aus, Hubertus. Dabei war die Messe doch so schön. Mutter im Himmel hat sich bestimmt sehr darüber gefreut!“

Das kleine Mädchen hob den Kopf zu dem dunkel bewölkten Himmel empor. Ob die Mutter wirklich jedes Wort verstanden hatte?

Hubertus lächelte jetzt, wie immer, wenn er mit seiner kleinen Schwester sprach.

„Gewiss, Svenja. Es war eine schöne Messe, Mutter wird zufrieden sein.“

Dann, um das kleine Mädchen abzulenken, zog er sie zu einem Stechpalmenbusch.

„Schau, die Ilex hat schon rote Beeren. Nun wird es wirklich Winter“, sagte er zufrieden.

Kronprinz Hubertus liebte den Winter. Er ließ ihm Zeit, sich ganz auf seine Treibhäuser zu konzentrieren, die sich unmittelbar hinter dem Schlosspark erstreckten. In seiner Freizeit war Hubertus stets dort zu finden. Er züchtete seltene Tropenpflanzen und schrieb lange Abhandlungen darüber. Die kleine Svenja bewunderte ihren Bruder deshalb. Der ganze Stolz in ihrem Bücherregal war ein Buch, das er geschrieben hatte, als er achtzehn Jahre alt war. Freilich verstand Svenja den Inhalt nicht, aber sie freute sich an den zahlreichen farbigen Abbildungen, die meist von Hubertus selbst stammten. Er konnte sehr gut zeichnen und fotografieren.

Im Schloss nahmen Diener der königlichen Familie Mäntel und Schirme ab. Man begab sich sofort zum Speisesaal. Prinzessin Chiara wünschte einen Sherry vor dem Essen. Sie hatte stets Angst vor Erkältungen. Außerdem machte Sherry sie munter.

König Gunnar räusperte sich. „Ich habe heute einen Gast eingeladen. Madame Gérard wird zum ersten Mal mit uns speisen.“

Wäre in diesem Augenblick eine Bombe eingeschlagen, sie hätte keine größere Wirkung haben können als diese Mitteilung des Königs.

„Er lädt seine Geliebte zum Essen ins Schloss ein!“ flüsterte Prinzessin Chiara fassungslos ihrem Gatten zu.

Hubertus hob erstaunt die Brauen. Aber er tadelte den Vater nicht. Das stand ihm als Sohn nicht zu.

Nur die kleine Svenja schien sich wirklich zu freuen, denn sie klatschte begeistert in die Hände. “Wie fein, dass Madame Gérard uns endlich im Schloss besucht. Sie hatte sonst immer eine Ausrede, wenn ich sie einmal einlud.“

Svenja kannte Madame Gérard außer ihrem Vater am besten. Sie leitete in der Hauptstadt die französische Schule, die Prinzessin Svenja besuchte.

König Gunnar, der nach seiner Mitteilung hinausgegangen war, kehrte jetzt zurück. An seiner Seite schritt Madame Gérard. Ohne Befangenheit lächelte sie die übrige königliche Familie an und neigte grüßend den Kopf.

Prinzessin Chiara betrachtete die ihr fremde Frau mit neugierigen Augen von oben bis unten.

Das war also die charmante Französin in mittleren Jahren, die König Gunnar zu seiner Lebensgefährtin erwählt hatte! Selbst die kritische Chiara musste zugeben, dass der König nicht besser hätte wählen können, wenn man von der bürgerlichen Herkunft absah.

Madame Gérard war groß. Ihr rotbraunes volles Haar trug sie hochgesteckt. Ihr Kostüm war für diesen Anlass weder zu elegant noch zu schlicht. Ihre braunen Augen blickten gütig und klug. Chiara bemerkte nur einen einzigen Ring an ihrer Hand. Sie zuckte zusammen. Der Ring war ein Verlobungsreif. Also war die Sache schon weiter gediehen, als sie gewusst hatte!

Nachdem sie alle begrüßt hatte, nahm Madame Gérard ihren Platz neben König Gunnar ein. An ihrer anderen Seite saß die kleine Svenja, überglücklich, dass die geliebte Lehrerin endlich bei ihr im Schloss zu Gast war. Die Lakaien servierten den ersten Gang.

Kronprinz Hubertus schmeckte es nicht. Seine Schultern waren nach vorn gesunken, so als trüge er eine große Last.

Mitleidig sah der König einige Male zu seinem ältesten Sohn hinüber. Es würde für Hubertus schwer werden, den Thron jetzt schon übernehmen zu müssen. Hubertus hatte mit seinen dreiundzwanzig Jahren von den vielen Aufgaben eines Thronfolgers kaum eine Ahnung.

„Ich kenne Ihren entzückenden kleinen Sohn von Bildern aus der Zeitung“, sagte Madame Gérard eben zu Prinzessin Chiara. Sogleich brach es aus Chiara heraus, ihr Sohn war ihr Lieblingsgesprächsthema.

„Dann müssen Sie ihn unbedingt kennen lernen, Madame. Bitte machen Sie uns die Freude und besuchen uns. Wie wäre es mit Donnerstag, da haben Sie unterrichtsfrei…“

König Gunnar seufzte erleichtert. Von dieser Seite würden ihm wohl keine Schwierigkeiten wegen einer zweiten Eheschließung gemacht werden. Sein Sohn Peer und seine Frau legten keinen allzu großen Wert auf standesgemäße Verbindungen. Sie waren moderne Menschen.

Leider kam Prinz Peer als sein Nachfolger kaum infrage, der König fürchtete den Protest des Volkes. Nicht, dass Prinz Peer gänzlich unbeliebt war, aber das Volk liebte Hubertus, den rechtschaffenen ältesten Sohn, den natürlichen Thronfolger.

Und wenn er wartete, bis Hubertus etwas reifer geworden war? fragte sich der König. Dann würde es noch länger dauern, ehe Svenja wieder eine Mutter bekam. Welches seiner Kinder war in diesem Fall wichtiger?

„Nimm noch von dem Rehbraten, Martine!“ sagte der König zu seiner heimlichen Verlobten und reichte ihr die Platte selbst an, noch ehe der Lakai sie ergreifen konnte. Es war eine Geste voller Vertrautheit und tiefer Liebe.

Martine Gérard war ein wenig rot geworden, als der König sie vor allen mit ihrem Vornamen anredete. Unter dem Tisch nahm der König ihre Hand und drückte sie. Sein Gesicht strahlte vor Glück. Nein, er konnte nun nicht länger warten. Zehn Jahre als Witwer waren genug. Gewiss, er würde Gertrude niemals vergessen. Aber sie gehörte nun der Vergangenheit an. Er, der kaum fünfzigjährige König, hatte jetzt ein Recht auf ein neues Glück.

Der Mokka wurde im kleinen Salon serviert. Dabei belegte Svenja Martine Gérard ganz mit Beschlag. Schließlich bat sie den Vater: „Ich möchte Madame Gérard so gern meine Zimmer zeigen. Darf ich, Vater?“

Die Bitte wurde ihr gewährt, und die kleine Prinzessin und Madame entfernten sich.

Ein Schweigen entstand, als die beiden gegangen waren. Dann ergriff der König das Wort:

„Ich hoffe, ihr haltet es nicht für taktlos, dass ich Madame Gérard gerade an diesem Tag zum ersten Mal in die Familie einführe?“

Prinzessin Chiara machte schon den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Prinz Peer kam ihr zuvor.

„Keineswegs, Vater. Wir haben Mutter die ihr gebührende Ehre zukommen lassen. Du warst lange genug ohne Frau. Du hast ein Recht auf Glück, das sehen wir alle ein, nicht wahr, Hubertus?“

Alle blickten jetzt gespannt auf Hubertus, den Sohn, der seine Mutter am meisten geliebt hatte.

Der Kronprinz nickte zustimmend zu den Worten seines Bruders. „Ich stimme mit dir darin überein, Peer. Wir wissen, dass Svenja eine Mutter dringend braucht und ich finde, dass Madame Gérard sehr geeignet ist, Mutterstelle an Svenja zu vertreten.“

König Gunnar lächelte ein wenig. Wie verschieden doch seine Söhne waren! Peer dachte zunächst daran, dass sein Vater ein Recht auf Liebesglück hatte. Hubertus betrachtete die Sache unter einem anderen Gesichtspunkt. Er befürwortete die Ehe des Vaters nur im Hinblick auf seine kleine Schwester Svenja.

Laut sagte König Gunnar: „Ich danke euch. Wir haben uns also verstanden. Ich muss gestehen, dass ich vor dieser Aussprache nicht ganz sicher über ihren Ausgang war.“

Lebhaft ergriff Prinz Peer jetzt wieder das Wort: “Unserer Zustimmung kannst du ganz gewiss sein, denn Madame Gérard ist wirklich bezaubernd. Aber was wird das Volk sagen? Wird es so ohne weiteres akzeptieren, dass sie Königin wird?“

„Das geht doch gar nicht“, platzte Prinzessin Chiara heraus. „Sie ist bürgerlich und Ausländerin obendrein!“

„Dann muss das Parlament eine Gesetzesänderung beschließen,“ warf Prinz Peer lebhaft ein.

Der König schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht länger König sein. Selbstverständlich werde ich abdanken müssen. Hubertus wird den Thron übernehmen!“

Wieder sahen alle zu Kronprinz Hubertus hin. Er wollte sich gerade äußern, da betraten Madame Gérard und Svenja den Raum. Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu.

Nach einer Weile drängte Prinzessin Chiara ihren Mann zum Aufbruch. „Wir müssen gehen, sonst wird Dominik unruhig!“ Sie erhob sich und verabschiedete sich von ihrem Schwiegervater. Svenja bekam einen Kuss und zu Madame Gérard sagte sie: “Sie müssen uns oft besuchen, Madame, versprechen Sie es!“

Ich komme gern und ich werde Svenja mitbringen“, versprach diese.

Als letztes verabschiedete sich Chiara von ihrem Schwager, der tief in Gedanken versunken schien.

„Nimm es nicht so schwer!“ flüsterte sie ihm zu. „Du bist als König geeigneter als Peer.“

Dann ergriff sie den Arm ihres Mannes und rauschte hinaus.

Bald darauf brachte der König auch Madame Gérard nachhause.

„Ich möchte später mit dir sprechen, Hubertus!“ sagte er zu seinem Sohn.

„Ich weiß, Vater“, nickte dieser ernst und gab sich Mühe, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, die immer mehr von ihm Besitz ergriff.

Spät am Abend, als Svenja längst zu Bett war, hatten Vater und Sohn die entscheidende Aussprache.

„Ich weiß, dass ich eine große Bürde auf deine jungen Schultern lege, Hubertus“, sagte König Gunnar.

„Ja, es ist eine Bürde, Vater“, nickte Hubertus unglücklich. „Es bedeutet, dass ich mein Studium abbrechen und mich mit ganz anderen Dingen beschäftigen muss als bisher…“ Der Kronprinz starrte nachdenklich in das Kaminfeuer, vor dem sie beide saßen.

Er sah seine Zukunftsträume sich in nichts auflösen. Und noch etwas brannte ihm auf der Seele. Was würde Agneta sagen?

Prinzessin Agneta war seit einem Jahr die Begleiterin des Kronprinzen und schon offiziell am Hof vorgestellt worden. Hubertus und Agneta waren sich einig darüber, dass sie eines Tages heiraten würden. Aber Agneta, die ihr Studium ebenso liebte wie Hubertus, würde auch nicht begeistert sein, so früh die Pflichten einer Landesmutter übernehmen zu müssen.

„Ich kann natürlich mit Peer sprechen“, meinte König Gunnar. „Vielleicht erklärt er sich bereit, den Thron zu übernehmen. Er hat einen Erben, wenn er auch sonst leider nicht so beliebt beim Volk ist wie du.“

Kronprinz Hubertus straffte jetzt die Schultern und sah seinem Vater ernst ins Gesicht.

„Du kannst mit Peer sprechen, Vater. Aber in jedem Fall steht deiner Eheschließung nichts im Weg. Wenn Peer ablehnt, dann übernehme ich den Thron. Es ist für mich natürlich eine Umstellung, aber ich werde es schaffen. Ich habe ja Agneta zur Seite.“

„Ja, Agneta ist eine tüchtige Frau“, sagte König Gunnar. Was er dem Sohn nicht sagte, war, dass er Agneta ein wenig zu tüchtig fand. Die junge Prinzessin hatte wenig, was dem König gefallen wollte. Hätte sie außer ihrer Klugheit noch ein wenig weiblichen Charme, wäre es ihm für seinen Sohn lieber gewesen. Doch bei Agneta galt nur ihre Klugheit. Obwohl sie nicht hässlich war, verbarg sie doch ihre Weiblichkeit hinter einem betont forschen Auftreten. In allem wollte sie es den Männern gleichtun. Nun, man konnte Liebe nicht verbieten. Vielleicht war Agneta gerade die Richtige für den zurückhaltenden, fast schüchtern wirkenden Hubertus.

 

Schon am folgenden Tag gab König Gunnar seinen Rücktritt vor dem Parlament bekannt.

Er konnte nur ahnen, welche erregten Debatten auf diese Erklärung folgten, denn er verließ das Parlamentsgebäude unmittelbar danach und fuhr zu Martine Gérard.

Sie wohnte in einem eleganten Haus nahe der Schlossallee. Ihr Mädchen empfing den Herrscher ohne Erstaunen. Schon seit geraumer Zeit war der König hier ein- und ausgegangen. Zunächst heimlich, dann immer unbesorgter über die öffentliche Meinung. Martine Gérard ließ ihn mit ihrem Charme derartige Dinge wie Berichte in der Presse unwichtig erscheinen.

„Oh Gunnar, du!“ Martines Gesicht verklärte sich vor Freude, als er ihren kleinen, mit vorzüglichem Geschmack eingerichteten Salon betrat.

König Gunnar küsste sie unbekümmert auf den Mund und zog sie dann zu einem der seidenbezogenen Sofas.

„Du musst dich erst setzen, bevor ich dir eine sehr wichtige Mitteilung mache“, lächelte er.

Martine Gérard faltete die Hände im Schoß und sah ihn aufmerksam an.

„Ich habe heute meinen offiziellen Rücktritt erklärt“, teilte König Gunnar ihr freudestrahlend mit.

„Gunnar, dann ist es also soweit?“. Ihre Augen strahlten ebenfalls. Sie sprang auf und ergriff seine Hände. „War Hubertus denn sofort einverstanden? Der arme Junge wirkte gar nicht so, als wäre er erfreut darüber, König zu werden.“

„Mach dir um Hubertus keine Gedanken. Er wird sich noch daran gewöhnen“; sagte der König. Auch er war nun aufgestanden. Er machte eine Verbeugung vor Martine.

„Darf ich Madame nun auch offiziell um ihre Hand bitten?“. Er sah der geliebten Frau tief in die Augen.

Da barg sie den Kopf an seiner Brust. „Du darfst, Gunnar. Und sie wird dir mit Freuden gewährt. Oh, ich hätte nie gedacht, dass es einmal dazu kommen würde!“

„Ja“, sagte König Gunnar. „Wir sind nun seit fast drei Jahren heimlich verlobt. Wir werden nun mit der Hochzeit nicht länger warten. Wäre dir ein Termin im Februar recht?“

Martine nickte stumm mit Tränen in den Augen.

„Ich freue mich so, endlich vor aller Welt zu dir zu gehören“, sagte sie und schmiegte den Kopf mit dem kastanienfarbenen Haar an die Brust des Königs und Geliebten.

„Wir wollen es Svenja noch heute sagen“, schlug der König vor. „Hast du jetzt Zeit, mit ins Schloss zu kommen?“

 

Die kleine Svenja war außer sich vor Glück.

„Das habe ich mir immer gewünscht, dass Sie meine Mutter werden, Madame“, rief sie überglücklich und stürzte sich in Martines Arme. Martine presste die kleine Prinzessin fest an sich. Auch sie hatte stets den Wunsch gehabt, eine Tochter wie Svenja zu haben.

Leider war Martines kurze Ehe kinderlos geblieben, bis ihr Mann an einem Herzleiden starb.