5 SCHLOSSROMANE - Elke Gravert - E-Book

5 SCHLOSSROMANE E-Book

Elke Gravert

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Sammelband für Liebhaber(innen) von Schloss- und Adelsromanen

 

Urlaubslektüre, die die vermeintlich heile Welt der Adligen des vorigen Jahrhunderts beschreibt

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Elke Gravert

5 SCHLOSSROMANE

Enthält die bereits als Einzelausgaben erschienenen Romane - Der Thronfolger - Die Waise von Waldenburg - Das Mädchen aus dem Meer - Königskinder - Johanna und der FürstBookRix GmbH & Co. KG81371 München

Der Thronfolger

 

Schlossroman von Ellen Gaber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Chiara, bist du endlich fertig mit Ankleiden?“

Prinz Peer sah ungeduldig auf seine Armbanduhr. Doch da trat seine Frau, Prinzessin Chiara, schon in den kleinen Salon, der zwischen ihren beiden Schlafzimmern lag. Um ihren Mund mit den schneeweißen kleinen Zähnen spielte ein spöttisches Lächeln. Sie warf das rabenschwarze Haar in den Nacken.

„Wir kommen bestimmt nicht zu spät zur Gruft, glaube mir, Peer! Die Zeremonie hat bis jetzt immer mit Verspätung angefangen.“ Sie spielte auf die Gedenkfeier für die verstorbene Königin Gertrude an, die jedes Jahr an der königlichen Gruft stattfand.

„Ich möchte aber Vater, Hubertus und Svenja nicht gerne warten lassen!“

Zu der Zofe gewandt, die mit einem dunklen Nerzmantel hinter seiner Frau stand, sagte er: „Geben Sie mir den Mantel, ich mache das schon“.

Er half seiner hübschen Frau in den kostbaren Mantel, ohne sie dabei anzusehen.

Unschwer war zu erkennen, dass das Paar sich nicht liebte.

Die Hochzeit mit der temperamentvollen italienischen Prinzessin war eine arrangierte Heirat gewesen. Prinz Peer hatte seine junge Frau nie geliebt und wusste, dass auch Chiara ihn nie wirklich geliebt hatte. Das gab ihrer Ehe einen gewissen Ausgleich und sie lebten eigentlich meistens ganz harmonisch miteinander, besonders, nachdem Sohn Dominik geboren war, der der ganze Stolz beider Eltern war.

Der kleine Prinz Dominik erschien soeben an der Hand seiner Nurse und verlangte, sogleich von seiner Mutter auf den Arm genommen zu werden.

„Mein kleiner Liebling! Mama kommt bald wieder“, flüsterte Chiara ihm ins Ohr, gab ihm einen Kuss, und bat die Nurse gut auf Dominik acht zu geben. Die Prinzessin mochte als leichtsinnig und vergnügungssüchtig gelten, doch sie war eine hingebungsvolle Mutter.

„Wahrscheinlich bleiben wir zum Mittagessen im Palast“, erklärte sie noch, ehe sie mit ihrem Gatten den Salon verließ.

Das junge Paar bewohnte eine schlossähnliche Villa draußen vor der Hauptstadt. Auf der Einfahrt wartete ein dunkler schwerer Wagen auf sie und sie stiegen schnell ein. Ein kalter Regen fiel vom Himmel und es wehte ein unangenehmer Wind.

Der Wagen bog in die Schlossallee ein, doch die Limousine fuhr nicht in den Schlosshof hinein, sondern ein kleines Stückchen weiter, dorthin, wo die Mitglieder des Königshauses begraben waren. Eine etwas erhöht liegende kleine Kapelle zierte den kleinen Friedhof mit den prächtigen Grabmälern.

Hier ruhten seit Jahrhunderten die Könige und Prinzen des Staates Nordmark mit ihren Gemahlinnen. Prinzessin Chiara fröstelte unter ihrem Pelzmantel. Eines Tages würde auch sie hier ruhen, an der Seite Peers in diesem kalten Land. Sie dachte mitleidig an Peers Mutter, Königin Gertrude, die bei der Geburt der kleinen Svenja gestorben war. Keine Kunst der Ärzte hatte sie retten können.

„Vater ist schon da“, flüsterte Peer und nahm den Arm seiner Frau.

Chiaras Blick glitt zu der Grabstätte. Dort stand, eingerahmt zwischen Vater und ihrem älteren Bruder Hubertus, die kleine zehnjährige Svenja. Ihr Gesichtchen unter der weißen Pelzkappe schaute sehr ernst. Andächtig starrte sie auf die goldenen Engel, die das Grab ihrer Mutter zierten, die sie nie kennen lernen durfte.

Die Familie begrüßte sich. Prinz Peer legte ein Blumenbukett am Grab seiner Mutter nieder und faltete dann für einen Augenblick die Hände. In diesem Moment machte er nicht den lebenslustigen, leichtfertigen Eindruck wie meistens. Sein hübsches Gesicht war von tiefem Ernst überschattet.

Heute waren es genau zehn Jahre her, dass die geliebte Königin tot war. Aus diesem Anlass ließ König Gunnar eine besondere Messe in der Grabkapelle lesen.

Prinzessin Chiara sah zu ihrem Schwiegervater hinüber, als sie in der Kapelle auf den roten Samtstühlen Platz genommen hatten. Allzu traurig konnte der König nicht mehr sein, dachte sie. König Gunnar war im Begriff, eine andere Frau zu heiraten. Chiara kannte sie nicht, aber sie wusste, dass die Bekannte des Königs nicht von adeliger Herkunft war. Wenn er sie wirklich heiraten wollte, dann würde er abdanken müssen.

Chiara sah zum Kronprinzen Hubertus hinüber. Er war nur zwei Jahre älter als Peer, aber wie viel ernster wirkte er! Es konnte kaum zwei verschiedenere Brüder geben als die beiden Prinzen. Hubertus war im Gegensatz zu dem eleganten mittelgroßen Peer sehr hoch gewachsen. Wie viele große Männer hatte er eine gebeugte Haltung. Seine Schultern waren leicht nach vorne geneigt und obwohl Hubertus einen guten Schneider beschäftigte, hingen seine Anzüge stets zu locker um seine schlacksige Figur. Hubertus war der Wissenschaftler der Familie. In der Schule war er stets der Beste gewesen. Nun studierte er Botanik und Zoologie an der Universität der Hauptstadt.

„Requiescat in pace…“, sagte gerade der Priester und schlug das Kreuz.

Chiara schloss die Augen und murmelte die lateinischen Worte mit.

Die königliche Familie war heute ganz unter sich. Nicht einmal Großkammerherr von Traten war heute anwesend, notierte Chiara im Stillen.

Am Ende der Messe schritten sie aus der Kapelle. Man wollte von dort die paar Schritte zum Schloss zu Fuß zurücklegen.

„Wie geht es Dominik?“ erkundigte sich die kleine Svenja und fasste Chiaras Hand.

„Es geht ihm gut, er spricht jetzt schon einige Worte“, lächelte Chiara und legte den Arm um die kleine Schwägerin. „Du solltest einmal wieder zu uns kommen. Dominik ist ein ganzes Stück gewachsen seit deinem letzten Besuch.“

Das kleine Mädchen tat ihr von Herzen leid. Es wurde Zeit, dass das Kind wieder eine Mutter bekam.

Hinter Chiara und Svenja folgte der König mit seinen beiden Söhnen. Sie unterhielten sich lebhaft, das heißt, nur der König und Prinz Peer sprachen. Hubertus blieb wie meistens stumm. Seine Stirn war umwölkt, seine blauen Augen blickten ernst.

Kronprinz Hubertus hatte von den drei königlichen Kindern seine Mutter am meisten geliebt. Im Gedenken an die Tote schritt er durch den Schlossgarten und sein Gesicht hellte sich erst auf, als Svenja wieder zu ihm kam und seine Hand nahm.

„Du schaust so traurig aus, Hubertus. Dabei war die Messe doch so schön. Mutter im Himmel hat sich bestimmt sehr darüber gefreut!“

Das kleine Mädchen hob den Kopf zu dem dunkel bewölkten Himmel empor. Ob die Mutter wirklich jedes Wort verstanden hatte?

Hubertus lächelte jetzt, wie immer, wenn er mit seiner kleinen Schwester sprach.

„Gewiss, Svenja. Es war eine schöne Messe, Mutter wird zufrieden sein.“

Dann, um das kleine Mädchen abzulenken, zog er sie zu einem Stechpalmenbusch.

„Schau, die Ilex hat schon rote Beeren. Nun wird es wirklich Winter“, sagte er zufrieden.

Kronprinz Hubertus liebte den Winter. Er ließ ihm Zeit, sich ganz auf seine Treibhäuser zu konzentrieren, die sich unmittelbar hinter dem Schlosspark erstreckten. In seiner Freizeit war Hubertus stets dort zu finden. Er züchtete seltene Tropenpflanzen und schrieb lange Abhandlungen darüber. Die kleine Svenja bewunderte ihren Bruder deshalb. Der ganze Stolz in ihrem Bücherregal war ein Buch, das er geschrieben hatte, als er achtzehn Jahre alt war. Freilich verstand Svenja den Inhalt nicht, aber sie freute sich an den zahlreichen farbigen Abbildungen, die meist von Hubertus selbst stammten. Er konnte sehr gut zeichnen und fotografieren.

Im Schloss nahmen Diener der königlichen Familie die Mäntel ab. Man begab sich sofort zum Speisesaal. Prinzessin Chiara wünschte einen Sherry vor dem Essen. Sie hatte stets Angst vor Erkältungen. Außerdem machte Sherry sie munter.

König Gunnar räusperte sich. „Ich habe heute einen Gast eingeladen. Madame Gerard wird zum ersten Mal mit uns speisen.“

Wäre in diesem Augenblick eine Bombe eingeschlagen, sie hätte keine größere Wirkung haben können als diese Mitteilung des Königs.

„Er lädt seine Geliebte zum Essen ins Schloss ein!“ flüsterte Prinzessin Chiara fassungslos ihrem Gatten zu.

Hubertus hob erstaunt die Brauen. Aber er tadelte den Vater nicht. Das stand ihm als Sohn nicht zu.

Nur die kleine Svenja schien sich wirklich zu freuen, denn sie klatschte begeistert in die Hände. “Wie fein, dass Madame Gerard uns endlich im Schloss besucht. Sie hatte sonst immer eine Ausrede, wenn ich sie einmal einlud.“

Svenja kannte Madame Gerard außer ihrem Vater am besten. Sie leitete in der Hauptstadt die französische Schule, die Prinzessin Svenja besuchte.

König Gunnar, der nach seiner Mitteilung hinausgegangen war, kehrte jetzt zurück. An seiner Seite schritt Madame Gerard. Ohne Befangenheit lächelte sie die übrige königliche Familie an und neigte grüßend den Kopf.

Prinzessin Chiara betrachtete die ihr fremde Frau mit neugierigen Augen von oben bis unten.

Das war also die charmante Französin in mittleren Jahren, die König Gunnar zu seiner Lebensgefährtin erwählt hatte! Selbst die kritische Chiara musste zugeben, dass der König nicht besser hätte wählen können, wenn man von der bürgerlichen Herkunft absah.

Madame Gerard war groß. Ihr rotbraunes volles Haar trug sie hochgesteckt. Ihr Kostüm war für diesen Anlass weder zu elegant noch zu schlicht. Ihre braunen Augen blickten gütig und klug. Chiara bemerkte nur einen einzigen Ring an ihrer Hand. Sie zuckte zusammen. Der Ring war ein Verlobungsreif. Also war die Sache schon weiter gediehen, als sie gewusst hatte!

Nachdem sie alle begrüßt hatte, nahm Madame Gerard ihren Platz neben König Gunnar ein. An ihrer anderen Seite saß die kleine Svenja, überglücklich, dass die geliebte Lehrerin endlich bei ihr im Schloss zu Gast war. Die Lakaien servierten den ersten Gang.

Kronprinz Hubertus schmeckte es nicht. Seine Schultern waren nach vorn gesunken, so als trüge er eine große Last.

Mitleidig sah der König einige Male zu seinem ältesten Sohn hinüber. Es würde für Hubertus schwer werden, den Thron jetzt schon übernehmen zu müssen. Hubertus hatte mit seinen dreiundzwanzig Jahren von den vielen Aufgaben eines Thronfolgers kaum eine Ahnung.

„Ich kenne Ihren entzückenden kleinen Sohn von Bildern aus der Zeitung“, sagte Madame Gerard eben zu Prinzessin Chiara. Sogleich brach es aus Chiara heraus, ihr Sohn war ihr Lieblingsgesprächsthema.

„Dann müssen Sie ihn unbedingt kennen lernen, Madame. Bitte machen Sie uns die Freude und besuchen uns. Wie wäre es mit Donnerstag, da haben Sie unterrichtsfrei…“

König Gunnar seufzte erleichtert. Von dieser Seite würden ihm wohl keine Schwierigkeiten wegen einer zweiten Eheschließung gemacht werden. Sein Sohn Peer und seine Frau legten keinen allzu großen Wert auf standesgemäße Verbindungen. Sie waren moderne Menschen.

Leider kam Prinz Peer als sein Nachfolger kaum infrage, der König fürchtete den Protest des Volkes. Nicht, dass Prinz Peer gänzlich unbeliebt war, aber das Volk liebte Hubertus, den rechtschaffenen ältesten Sohn, den natürlichen Thronfolger.

Und wenn er wartete, bis Hubertus etwas reifer geworden war? fragte sich der König. Dann würde es noch länger dauern, ehe Svenja wieder eine Mutter bekam. Welches seiner Kinder war in diesem Fall wichtiger?

„Nimm noch von dem Rehbraten, Martine!“ sagte der König zu seiner heimlichen Verlobten und reichte ihr die Platte selbst an, noch ehe der Lakai sie ergreifen konnte. Es war eine Geste voller Vertrautheit und tiefer Liebe.

Martine Gerard war ein wenig rot geworden, als der König sie vor allen mit ihrem Vornamen anredete. Unter dem Tisch nahm der König ihre Hand und drückte sie. Sein Gesicht strahlte vor Glück. Nein, er konnte nun nicht länger warten. Zehn Jahre Witwerschaft waren genug. Gewiss, er würde Gertrude niemals vergessen. Aber sie gehörte nun der Vergangenheit an. Er, der kaum fünfzigjährige König, hatte jetzt ein Recht auf ein neues Glück.

Der Mokka wurde im kleinen Salon serviert. Dabei belegte Svenja Martine Gerard ganz mit Beschlag. Schließlich bat sie den Vater: „ich möchte Madame Gerard so gern meine Zimmer zeigen. Darf ich, Vater?“

Die Bitte wurde ihr gewährt, und die kleine Prinzessin und Madame entfernten sich.

Ein Schweigen entstand, als die beiden gegangen waren. Dann ergriff der König das Wort:

„Ich hoffe, ihr haltet es nicht für taktlos, dass ich Madame Gerard gerade an diesem Tag zum ersten Mal in die Familie einführe?“

Prinzessin Chiara machte schon den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Prinz Peer kam ihr zuvor.

„Keineswegs, Vater. Wir haben Mutter die ihr gebührende Ehre zukommen lassen. Du warst lange genug ohne Frau. Du hast ein Recht auf Glück, das sehen wir alle ein, nicht wahr, Hubertus?“

Alle blickten jetzt gespannt auf Hubertus, den Sohn, der seine Mutter am meisten geliebt hatte.

Der Kronprinz nickte zustimmend zu den Worten seines Bruders. „Ich stimme mit dir darin überein, Peer. Wir wissen, dass Svenja eine Mutter dringend braucht und ich finde, dass Madame Gerard sehr geeignet ist, Mutterstelle an Svenja zu vertreten.“

König Gunnar lächelte ein wenig. Wie verschieden doch seine Söhne waren! Peer dachte zunächst daran, dass sein Vater ein Recht auf Liebesglück hatte. Hubertus betrachtete die Sache unter einem anderen Gesichtspunkt. Er befürwortete die Ehe des Vaters nur im Hinblick auf seine kleine Schwester Svenja.

Laut sagte König Gunnar: „Ich danke euch. Wir haben uns also verstanden. Ich muss gestehen, dass ich vor dieser Aussprache nicht ganz sicher über ihren Ausgang war.“

Lebhaft ergriff Prinz Peer jetzt wieder das Wort: “Unserer Zustimmung kannst du ganz gewiss sein, denn Madame Gerard ist wirklich bezaubernd. Aber was wird das Volk sagen?

Wird es so ohne weiteres akzeptieren, dass sie Königin wird?“

„Das geht doch gar nicht“, platzte Prinzessin Chiara heraus. „Sie ist bürgerlich und Ausländerin obendrein!“

„Dann muss das Parlament eine Gesetzesänderung beschließen,“ warf Prinz Peer lebhaft ein.

Der König schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht länger König sein. Selbstverständlich werde ich abdanken müssen. Hubertus wird den Thron übernehmen!“

Wieder sahen alle zu Kronprinz Hubertus hin. Er wollte sich gerade äußern, da betraten Madame Gerard und Svenja den Raum. Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu.

Nach einer Weile drängte Prinzessin Chiara ihren Mann zum Aufbruch. „Wir müssen gehen, sonst wird Dominik unruhig!“ Sie erhob sich und verabschiedete sich von ihrem Schwiegervater. Svenja bekam einen Kuss und zu Madame Gerard sagte sie: “Sie müssen uns oft besuchen, Madame, versprechen Sie es!“

Ich komme gern und ich werde Svenja mitbringen“, versprach diese.

Als letztes verabschiedete sich Chiara von ihrem Schwager, der tief in Gedanken versunken schien.

„Nimm es nicht so schwer!“ flüsterte sie ihm zu. „Du bist als König geeigneter als Peer.“

Dann ergriff sie den Arm ihres Mannes und rauschte hinaus.

Bald darauf brachte der König auch Madame Gerard nachhause.

„Ich möchte später mit dir sprechen, Hubertus!“ sagte er zu seinem Sohn.

„Ich weiß, Vater“, nickte dieser ernst und gab sich Mühe, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, die immer mehr von ihm Besitz ergriff.

Spät am Abend, als Svenja längst zu Bett war, hatten Vater und Sohn die entscheidende Aussprache.

„Ich weiß, dass ich eine große Bürde auf deine jungen Schultern lege, Hubertus“, sagte König Gunnar.

„Ja, es ist eine Bürde, Vater“, nickte Hubertus unglücklich. „Es bedeutet, dass ich mein Studium abbrechen und mich mit ganz anderen Dingen beschäftigen muss als bisher…“ Der Kronprinz starrte nachdenklich in das Kaminfeuer, vor dem sie beide saßen.

Er sah seine Zukunftsträume sich in nichts auflösen. Und noch etwas brannte ihm auf der Seele. Was würde Agneta sagen?

Prinzessin Agneta war seit einem Jahr die Begleiterin des Kronprinzen und schon offiziell am Hof vorgestellt worden. Hubertus und Agneta waren sich einig darüber, dass sie eines Tages heiraten würden. Aber Agneta, die ihr Studium ebenso liebte wie Hubertus, würde auch nicht begeistert sein, so früh die Pflichten einer Landesmutter übernehmen zu müssen.

„Ich kann natürlich mit Peer sprechen“, meinte König Gunnar. „Vielleicht erklärt er sich bereit, den Thron zu übernehmen. Er hat einen Erben, wenn er auch sonst leider nicht so beliebt beim Volk ist wie du.“

Kronprinz Hubertus straffte jetzt die Schultern und sah seinem Vater ernst ins Gesicht.

„Du kannst mit Peer sprechen, Vater. Aber in jedem Fall steht deiner Eheschließung nichts im Weg. Wenn Peer ablehnt, dann übernehme ich den Thron. Es ist für mich natürlich eine Umstellung, aber ich werde es schaffen. Ich habe ja Agneta zur Seite.“

„Ja, Agneta ist eine tüchtige Frau“, sagte König Gunnar. Was er dem Sohn nicht sagte, war, dass er Agneta ein wenig zu tüchtig fand. Die junge Prinzessin hatte wenig, was dem König gefallen wollte. Hätte sie außer ihrer Klugheit noch ein wenig weiblichen Charme, wäre es ihm für seinen Sohn lieber gewesen. Doch bei Agneta galt nur ihre Klugheit. Obwohl sie nicht hässlich war, verbarg sie doch ihre Weiblichkeit hinter einem betont forschen Auftreten. In allem wollte sie es den Männern gleichtun. Nun, man konnte Liebe nicht verbieten. Vielleicht war Agneta gerade die Richtige für den zurückhaltenden, fast schüchtern wirkenden Hubertus.

 

Schon am folgenden Tag gab König Gunnar seinen Rücktritt vor dem Parlament bekannt.

Er konnte nur ahnen, welche erregten Debatten auf diese Erklärung folgten, denn er verließ das Parlamentsgebäude unmittelbar danach und fuhr zu Madame Gerard.

Sie wohnte in einem eleganten Haus nahe der Schlossallee. Ihr Mädchen empfing den Herrscher ohne Erstaunen. Schon seit geraumer Zeit war der König hier ein- und ausgegangen. Zunächst heimlich, dann immer unbesorgter über die öffentliche Meinung. Martine Gèrard ließ ihn mit ihrem Charme derartige Dinge wie Berichte in der Presse unwichtig erscheinen.

„Oh Gunnar, du!“ Martines Gesicht verklärte sich vor Freude, als er ihren kleinen, mit vorzüglichem Geschmack eingerichteten Salon betrat.

König Gunnar küsste sie unbekümmert auf den Mund und zog sie dann zu einem seidenbezogenen Sofa.

„Du musst dich erst setzten, bevor ich dir eine sehr wichtige Mitteilung mache“, lächelte er.

Martine Gerard faltete die Hände im Schoß und sah ihn aufmerksam an.

„Ich habe heute meinen offiziellen Rücktritt erklärt“, teilte König Gunnar ihr freudestrahlend mit.

„Gunnar, dann ist es also soweit?“. Ihre Augen strahlten ebenfalls. Sie sprang auf und ergriff seine Hände. „War Hubertus denn sofort einverstanden? Der arme Junge wirkte gar nicht so, als wäre er erfreut darüber, König zu werden.“

„Mach dir um Hubertus keine Gedanken. Er wird sich noch daran gewöhnen“; sagte der König. Auch er war nun aufgestanden. Er machte eine Verbeugung vor Martin.

„Darf ich Madame nun auch offiziell um ihre Hand bitten?“. Er sah der geliebten Frau tief in die Augen.

Da barg sie den Kopf an seiner Brust. „Du darfst, Gunnar. Uns sie wird dir mit Freuden gewährt. Oh, ich hätte nie gedacht, dass es einmal dazu kommen würde!“

„Ja“, sagte König Gunnar. „Wir sind nun seit fast drei Jahren heimlich verlobt. Wir werden nun mit der Hochzeit nicht länger warten. Wäre dir ein Termin im Februar recht?“

Martine nickte stumm mit Tränen in den Augen.

„Ich freue mich so, endlich vor aller Welt zu dir zu gehören“, sagte sie und schmiegte den Kopf mit dem kastanienfarbenen Haar an die Brust des Königs und Geliebten.

„Wir wollen es Svenja noch heute sagen“, schlug der König vor. „Hast du jetzt Zeit, mit ins Schloss zu kommen?“

 

Die kleine Svenja war außer sich vor Glück.

„Das habe ich mir immer gewünscht, dass Sie meine Mutter werden, Madame“, rief sie überglücklich und stürzte sich in Martines Arme. Martine presste die kleine Prinzessin fest an sich. Auch sie hatte stets den Wunsch gehabt, eine Tochter wie Svenja zu haben.

Leider war Martines kurze Ehe kinderlos geblieben, bis ihr Mann an einem Herzleiden starb.

„Hubertus, freust du dich auch so?“ Svenja lief herüber zu dem großen Bruder und lehnte den blonden Lockenkopf an seinen Arm.

„Ich freue mich sogar sehr“, sagte Hubertus und streckte der zukünftigen Stiefmutter herzlich die Hand entgegen. „Herzlichen Glückwunsch!“ sagte er etwas unbeholfen.

Martine bedankte sich ernst bei ihm.

„Ich weiß, was das für Sie bedeutet, Hoheit. Es ist der einzige Schatten, der auf meinem Glück liegt.“

„Es ist nicht so schlimm“, sagte der Kronprinz. „Und bitte, nenne Sie mich nicht mehr Hoheit. Ich bin einfach Hubertus für Sie!“

„Danke, Hubertus. Und Sie dürfen mich Martine nennen“, sagte sie liebenswürdig.

Der junge Mann tut mir wirklich leid, dachte sie voller Mitgefühl. Sie fühlte, dass er die Königswürde als schwere Last empfand.

Der König schien ihre Gedanken zu erraten und legte liebevoll den Arm um seine Verlobte.

„Später, wenn Hubertus erst mit den Dingen vertraut ist, wird er sein Studium fortsetzen können. Hubertus bekommt übrigens eine sehr tüchtige Frau. Prinzessin Agneta ist die richtige Landesmutter für uns. Hast du Agneta schon vom Stand der Dinge unterrichtet, mein Junge?“

Hubertus` Stirn färbte sich langsam rot vor Verlegenheit.

„Ich möchte noch warten, Vater.“

„Ach ja, ich wollte natürlich auch noch mit Peer sprechen“, entsann sich der König mitleidig. „Es trifft sich gut, dass das junge Paar heute Abend bei uns zu Gast ist.“

Nach dem Abendessen bat der König seine beiden Söhne in sein privates Arbeitszimmer. In knappen Worten trug der König seinem jüngeren Sohn seine Bitte vor.

Prinz Peer war nicht allzu überrascht. Er hatte etwas Ähnliches erwartet, kannte er doch die Abneigung seines Bruders gegen die Regierungsgeschäfte.

Im Geist sah sich der nun einundzwanzigjährige Prinz als Herrscher und Bewohner dieses prächtigen Palastes. Aber er verglich auch diesen uralten Palast mit dem bequemen Leben in seinem eigenen Palais. Es bedeutete für ihn, dass sein Privatleben erst in zweiter Linie käme. Der Palast hatte tausend beobachtende Augen. Nichts von seinem und Chiaras Privatleben würde hier verborgen bleiben. Wahrscheinlich würde man bei ihm eine Menge Fehler entdecken. Hubertus, ja, der führte ein Leben, das einem König gebührte. Und Agneta würde eine vorbildliche Königin abgeben.

Peer stellte sich Chiara als Königin vor. Im Geiste schüttelte er den Kopf. Nein, es ging nicht. Chiara in diesem altehrwürdigen Palast? Unmöglich. Und dennoch, die Chance, Herrscher zu werden, konnte man nicht einfach ausschlagen.

König Gunnar sah das Zaudern seines jüngeren Sohnes und wusste auch den Grund.

„Es ist ja noch Zeit, Peer. Ich werde erst im Februar heiraten. Und dann fragen wir das Volk, ob es lieber dich oder Hubertus auf dem Thron sehen möchte.“

Beiden Söhnen war dieser Aufschub nur recht. Kronprinz Hubertus freute sich, dass er das Wintersemester noch zu Ende studieren konnte. Mit dem gemeinsamen Studium in den USA würde es natürlich nichts werden. Agneta würde sehr enttäuscht sein.

 

Im Februar fand die Hochzeit des Königs mit Martine Gerard statt. Es wurde eine stille Hochzeit im engsten Familienkreise. Man wollte kein allzu großes Aufsehen erregen.

Die Meinung des Volkes blieb bei dieser Heirat geteilt. Die einen waren begeistert, dass der König wieder heiratete und seinem Herzen folgte. Das waren die Modernen. Die anderen waren empört. Die beiden Prinzen waren ja noch viel zu jung, um die Regierung zu übernehmen. Der Kronprinz habe zu wenig Ahnung von den Staatsgeschäften, sagten die Skeptiker.

Nach seiner Hochzeit nannte sich der König nur noch schlicht Prinz Gunnar, Martine Gerard wurde zwar Prinzessin, bat aber darum, wie zuvor mit Madame angesprochen zu werden. Sie zogen mit Svenja in eine ähnliche Villa, wie sie Prinz Peer und Prinzessin Chiara bewohnten.

Zunächst musste er ja noch in der Hauptstadt wohnen, um demjenigen seiner Söhne beizustehen, den das Volk zum König bestimmen würde.

Der älteste Prinz blieb allein im Schloss zurück.

 

„Bitte, lass doch das, Carlo. Peer kann jeden Augenblick hereinkommen!“

Prinzessin Chiara wehrte ihren Liebhaber ab. Carlo, der bekannte Modeschöpfer, hatte sich soeben über Chiara gebeugt, um sie auf den Mund zu küssen.

„Was ist schon dabei? Dein Peer ist dir doch auch nicht treu“, entschuldigte sich Carlo und nahm wieder gegenüber der Prinzessin auf dem Sofa Platz.

„Manchmal frage ich mich, warum du ihn überhaupt geheiratet hast!“ Carlo zog die Stirn in Falten.

„Das ist nicht schwer zu verstehen. Wir führen eine gute Ehe, Carlo. Natürlich nicht im Sinne der Kirche und unserer Vorfahren. Immerhin stehen wir uns beide nicht im Weg. Jeder lässt dem anderen seine Freiheit. Das ist mehr, als die meisten Ehen zu bieten haben.“

Prinzessin Chiara strich das rabenschwarze lockige Haar zurück, das ihr immer wieder in die Stirn fiel, stand auf und lief mit langen Schritten in dem eleganten Salon umher.

„Du bist heute irgendwie anders als sonst, so nervös“, stellte Carlo fest und musterte seine schöne Geliebte. Er nahm einen Schluck von seinem Whiskey.

„Das ist ja auch kein Wunder!“ Die Prinzessin blieb vor ihm stehen. „Es kann sein, dass Peer in den nächsten Tagen zum König ausgerufen wird. Stell dir vor, was das für uns bedeutet, Carlo!“

Statt einer Antwort brach Carlo in herzhaftes Lachen aus.

„Du, als ehrwürdige Landesmutter? Das ist ein hübscher Witz!“

Jetzt wurde Chiara ernstlich böse. Ihre dunklen Augen schossen Blitze.

„Ich hätte von dir mehr Verständnis erwartet, Carlo. Man schlägt die Chance, Königin zu werden, nicht einfach aus. Das wäre unklug auch im Hinblick auf Dominik, der dann Thronfolger wäre. Wir müssen in Zukunft sehr vorsichtig sein, wenn wir uns treffen. Es darf auch nicht der Schatten eines Verdachts auf mich und Peer fallen. Sonst ist es aus.“

„Und was sagt dein Gatte dazu“, erkundigte sich Carlo, nachdem er die Worte Prinzessin Chiaras überdacht hatte.

„Peer ist natürlich auch nicht wohl dabei. Aber er würde Hubertus doch die Last abnehmen. Hubertus ist ungeeignet für den Thron. Er ist schüchtern, unbeholfen. Eben ein weltferner Wissenschaftler.“

Sie unterbrach sich und horchte auf ein Geräusch draußen. „Peer ist gerade vorgefahren“.

Der Modeschöpfer sprang auf.

„Ich will deinem Gatten jetzt nicht begegnen. Leb wohl, Chiara!“. Er küsste sie flüchtig auf die Wange und empfahl sich durch einen Seitenausgang der Villa.

Er hörte nicht, dass hinter den Lorbeerhecken eine Kamera klickte. Befriedigt nickte der Bildreporter- das war wieder ein Beweis, dass Carone der Liebhaber der Prinzessin war. Warum sonst hätte er durch diesen Seiteneingang die Villa verlassen?

Sehr zufrieden ging der Bildreporter in seine Redaktion. In seiner Schreibtischschublade ruhten auch einige Fotos, die den Prinzen Peer kompromittierten. Der Prinz hatte zurzeit ein Verhältnis mit einer blutjungen Tänzerin. Davor war es eine reiche Kaufmannswitwe gewesen.

Prinz Peer wechselte seine Verhältnisse sehr häufig. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau.

Carone, der bekannte Modeschöpfer, war fast seit Chiaras Hochzeit ihr Liebhaber gewesen.

 

Prinzessin Chiara kam ihrem Gatten entgegen und sah ihn fragend an. Als er nicht sprach, bat sie ihn, in ihren Salon zu kommen.

„Du bist ja ganz erschöpft von dieser Parlamentssitzung“, stellte sie fest. Sie ging zu der kleinen Bar, füllte ein Glas mit Kognak, das er dankbar entgegennahm.

Peer sprach erst, nachdem er das Getränk auf einen Zug ausgetrunken hatte. Er ließ sich in einen Sessel fallen.

„Wahrscheinlich wird es nichts mit unserer Königswürde, Chiara“, begann er dann. „Das Parlament reagierte auf Hubertus´ Frage ziemlich ablehnend. Man äußerste erhebliche Zweifel daran, ob ich die Fähigkeiten eines würdigen Landesvaters besitze. Es war nicht angenehm für mich, Chiara.“

„Du Ärmster!“ Sie strich ihm über den Kopf, wie sie es oft bei Dominik tat.

„Für uns ist das ja nicht schlimm, aber ich hätte so gern Dominik als Herrscher dieses Landes gesehen.“

Peer nickte. „Ich hätte das auch gewünscht, Chiara. Aber was nicht ist, kann noch werden. Vielleicht kann Dominik eines Tages doch den Thron besteigen. Es ist ja nicht gesagt, dass Hubertus und Agneta einen Erben haben werden.“

Chiara runzelte die Stirn.

„Agneta ist kräftig genug, ich traue ihr zu, dass sie gleich mehrere Söhne bekommt.“

„Lass den Kopf nicht hängen, Chiara. Dominik ist noch so klein. Solange er noch Windeln braucht, wollen wir uns um seine Zukunft keine Gedanken machen. Und für uns ist es besser, wenn wir in unserer Villa bleiben.“

Mit einem tiefen Seufzer begrub die Prinzessin ihren kurzen Traum, Königin zu werden.

Und sie ergriff die Hand ihres Gatten und drückte sie.

„Wir führen ein schöneres Leben so, wie es im Moment ist, da hast du ganz Recht, Peer.“

Beide Ehegatten lachten sich zu. Auf ihre Art verstanden sie sich sehr gut.

 

Kronprinz Hubertus verließ die Parlamentssitzung mit gebeugten Schultern und tiefer Nachdenklichkeit in seinem klugen Gesicht. Er hatte ja keine Ahnung davon gehabt, dass sein Bruder so unbeliebt war. Ob die Volksbefragung ein ähnliches Bild ergeben würde wie die Parlamentssitzung? Er selbst hatte diese Volksbefragung heute im Parlament angeregt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das Volk Peer und seine Familie ablehnen würde. Wenn man nur an die überschwänglichen Zeitungsberichte dachte, die bei der Geburt Dominiks erschienen waren!

Die Hoffnung des Kronprinzen erfüllte sich nicht. Das Volk wollte Hubertus und nicht den leichtsinnigen Peer. Schweren Herzens bereitete Hubertus sich auf seine Krönung vor.

Zunächst einmal besuchte er seine Verlobte, Prinzessin Agneta, die gerade von einer Reise zu ihren Eltern zurück war. Wie Hubertus studierte auch sie Botanik an der gleichen Universität wie Hubertus. Da ihre Familie ein kleines Herzogtum im Süden des Landes besaß, bewohnte Agneta in der Hauptstadt nur ein bescheidenes Apartment. Es war ihr gelungen, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie in der winzigen Wohnung keine Anstandsdame brauchen würde.

„Ich kann sehr gut auf mich allein aufpassen, Papa“, hatte sie ihrem Vater energisch erklärt. Und der Herzog musste seiner Tochter Recht geben. Agneta wusste genau, was sie wollte. Man konnte sie ruhig allein lassen.

„Wie schön, dass du mich besuchst, Hubertus. Wir haben uns ja in letzter Zeit kaum gesehen“, empfing sie ihn.

Der Kronprinz blickte seine Freundin etwas schuldbewusst an. Hatte er Agneta wirklich vernachlässigt? War sie ihm böse deshalb? Hubertus konnte es nicht ertragen, einem Menschen weh zu tun, am wenigsten Agneta, der Frau, die er heiraten wollte.

„Es tut mir wirklich leid, Agneta. Das, was ich mit dir besprechen muss, wollte ich nicht am Telefon sagen.“ Er setzte sich auf das Ledersofa in Agnetas Wohnzimmer. Der Tisch davor war aus Plexiglas. Die übrigen Möbel hatten schimmernde Stahlbeine. Hubertus fand Agnetas Zimmer insgeheim hässlich. Doch er tröstete sich damit, dass sie solche Möbel ja nicht mit in den Palast bringen würde, wenn sie erst verheiratet waren.

„Ich wollte erst zu dir kommen, wenn ich klare Verhältnisse sehe“, begann Hubertus.

„Nun, jetzt ist es ja klar, dass du König wirst, Hubertus. Die Volksbefragung war eine einzige Vertrauenskundgebung für dich. Ich habe heute Morgen die Zeitung gelesen.“ Sie tippte auf das Morgenblatt, das auf dem Plexiglastisch lag. Ein Bild des Kronprinzen zierte das Titelblatt.

Dieser wandte den Blick von seinem Bild ab. Er liebte es gar nicht, für die Fotografen zu posieren. Doch es musste eben leider sein. Es war eine der vielen Pflichten, die auf ihn zukommen würden. Hubertus seufzte tief auf und sah Agneta an.

„Bist du bereit, mich noch in diesem Jahr zu heiraten, Agneta?“

Prinzessin Agneta blickte durch die vorhanglosen Fenster nach draußen. Die Bäume wurden grün, es wurde mit Macht Frühling.

Im Sommer möchte ich noch einen letzten Studienaufenthalt in den Bergen verleben. Den kannst du mir nicht abschlagen, Hubertus. Doch danach bin ich bereit.“

Der Kronprinz erhob sich. Er sah erleichtert, beinahe glücklich aus.

„Natürlich sollst du deinen Studienaufenthalt haben. Ich freue mich so, Agneta. Mit dir zur Seite wird alles leichter.“

Er stand auf und zog sie aus ihrem Sessel empor. Dann legte er beide Arme um sie und küsste ihren Mund.

„Meinst du, dass wir ein glückliches Königspaar sein werden?“ fragte er die Freundin.

Sie lächelte. „Ganz bestimmt, Hubertus. Du musst nicht verzweifeln. Es sieht zunächst wie ein gewaltiger Berg aus, der vor dir liegt. Ich werde dir helfen, Ihn abzutragen!“

Sie setzten sich wieder. Es gab niemals lange Umarmungen bei ihnen.

„Ist dein Vater glücklich mit seiner neuen Frau?“ erkundigte sich Agneta.

Der Kronprinz nickte. „Ja, er scheint im siebenten Himmel zu sein. Er hat ja auch mit Madame Gerard das große Los gezogen. Und auch Svenja strahlt jetzt immer vor Glück, wenn ich sie besuche.“

Agneta nickte. Trotzdem blieb sie dieser späten Ehe des Königs gegenüber skeptisch. Wie konnte er sich auf die Dauer an der Seite einer bürgerlichen Französin wohl fühlen? Und Svenjas Stellung hatte sich dadurch auch verschlechtert. Agneta konnte sich nicht vorstellen, dass der Hochadel jetzt noch bei König Gunnar zu Gast war. Wie würde die kleine Prinzessin einmal den passenden Mann finden?

Agneta erhob sich. „Hast du Zeit, eine Tasse Kaffe mit mir zu trinken?“

Hubertus blickte sie etwas verlegen an. „Eigentlich nicht, Agneta. Ich habe Martine Gerard versprochen, zum Tee zu ihr zu kommen.“

„Ach so, natürlich. Ich wusste nicht, dass du dort ein und ausgehst. Duzt du dich eigentlich mit der Frau deines Vaters?“

„Selbstverständlich, was ist schon dabei? Martine ist eine der sympathischsten, warmherzigsten Frauen, die ich kenne. Ich kann Vater so gut verstehen.“

Für Hubertus war das eine lange Rede und Agneta blickte ihn ganz erstaunt an.

„Nun gut, dann werde ich noch einmal in den Botanischen Garten fahren“, entschloss sich Agneta. „Sie haben dort eine neue Seerosenart bekommen, die ich mir ansehen will.“

„Wirklich?“ das Interesse des Kronprinzen war geweckt. „Ich werde dich begleiten, Agneta. Der Botanische Garten liegt auf meinem Weg.“

In aller Eintracht und heftig fachsimpelnd verließ das Paar Agnetas Wohnung.

Der Kronprinz erschien viel zu spät im Haus seines Vaters. Die neue Seerosenart hatte ihn gefesselt, Agneta hatte ihn auf verschiedene andere neue Gewächse aufmerksam gemacht und die Zeit war wie im Flug verstrichen.

„Du kommst aber spät, Hubertus!“ Prinzessin Svenja zog eine kleine vorwurfsvolle Schnute.

„Mama hat schon zweimal frischen Tee aufbrühen lassen!“

„Es tut mir so leid, Martine“, entschuldigte sich Hubertus zerknirscht bei seiner Schwiegermutter, nachdem er ihr galant die Hand geküsst hatte. Er erzählte von seinem Aufenthalt im Botanischen Garten mit Agneta.

„Hast du mit Agneta einen Hochzeitstermin vereinbart?“ fragte der Vater kurz darauf.

„Ja, ich habe Agneta gefragt.“ Der Kronprinz setzte sich auf Martines Aufforderung an den Teetisch. „Wir werden erst im Spätsommer heiraten. Agneta hat vorher noch mit ihrem Studienaufenthalt zu tun.“

Gunnar warf seiner Frau einen Blick zu und lächelte. „Schön, dann ist das also geklärt. Ich freue mich für euch.“

Jetzt nahm Svenja den Bruder in Beschlag und erzählte voller Stolz von ihren guten Schulnoten.

„Seit Mama mir hilft, bin ich eine viel bessere Schülerin geworden. Sie kann so gut erklären.“

Die kleine Prinzessin warf einen schwärmerischen Blick zu ihrer Stiefmutter hin. Mit ihr war sie ein Herz und eine Seele.

Der Kronprinz war etwas gekränkt, dass Svenja ihre Stiefmutter mit Mama anredete. Mama, das war Königin Gertrude, die draußen in der Gruft lag. Gewiss, Hubertus mochte Martine Gerard sehr gerne, aber er fand, das ging zu weit.

Später, als er mit dem Vater allein war, äußerste er sich darüber.

Prinz Gunnar sah seinen Sohn ernst an. „Du vergisst, dass Svenja niemals Mama sagen konnte. Warum willst du dem Kind die Freude nehmen, eine Mama zu haben wie ihre Mitschülerinnen?“

„Entschuldige, Vater. Daran habe ich nicht gedacht.“ Hubertus wurde rot vor Beschämung.

„Bitte glaube nicht, dass ich etwas gegen Martine habe. Ich habe sie sehr gern. Sie ist eine wunderbare Frau!“

„Alle haben Martine gern“, sagte Prinz Gunnar und seine Augen leuchteten voller Liebe.

Sie sind so glücklich, die drei, dachte Hubertus fast ein wenig neidisch. Nur ich muss in dem Palast alleine wohnen, meine einsamen Mahlzeiten zu mir nehmen.

Doch dann dachte er an Agneta. Im Sommer war er nicht mehr allein. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, Herrscher zu sein. Man musste sich eben nicht so hetzen lassen von den Dingen.

Der Vater fragte nun seinen Sohn nach dem Termin für die Krönung.

„Er liegt noch nicht fest, Vater. Heute Abend speise ich mit dem Großkammerherrn. Er wird schon wissen, was das Beste ist.“

Prinz Gunnar nickte. „Ja, ich bin froh, dass du von Traten zur Seite hast. Er ist ein erstklassiger Berater.“

 

Großkammerherr von Traten saß Hubertus am anderen Ende der großen Tafel gegenüber. Sie hatten gut gespeist und sich, während die Lakaien servierten, über belanglose Dinge unterhalten. Jetzt bat der Kronprinz den Kammerherrn in das Rauchzimmer, denn von Traten liebte nach dem Essen eine gute Havannazigarre.

Von Traten fand, dass der Kronprinz irgendwie einen gequälten Eindruck machte,als sie in den schweren Ledersesseln Platz nahmen. Der junge Mann tat ihm leid, trotzdem begann er:“ Wir sollten die Krönung auf gar keinen Fall verschieben, Königliche Hoheit!“ redete er auf den Kronprinzen ein. „Es sei denn, Sie hätten sehr wichtige Gründe dafür.“

„Nein, so wichtig sind die Gründe nicht“ entgegnete Hubertus. Obwohl es für ihn schon wichtig gewesen wäre, noch einmal mit Agneta in die Berge zu fahren. Doch das ging den Großkammerherrn nichts an.

„Darf ich fragen, ob Sie mit Prinzessin Agneta einig geworden sind?“ Diese Frage durfte sich der Großkammerherr als Freund und wichtigster Berater des königlichen Hauses schon erlauben.

„Wir sind verlobt“, gab Hubertus Auskunft. „Die Hochzeit soll im September stattfinden.

Der Großkammerherr nickte. „Gut. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Wahl, Königliche Hoheit. Habe ich den Auftrag, die offizielle Werbung bei den Eltern der Prinzessin durchzuführen?“

„Den haben Sie, von Traten. Sie wissen das alles viel besser als ich.“

Der Kronprinz war froh, dass von Traten ihm diese Aufgabe abnahm. Es war seit jeher Sitte, dass der Großkammerherr zu den Eltern der erwählten zukünftigen Königin fuhr und offiziell um ihre Hand anhielt. Als sehr junger Mann hatte er das bei den Eltern der seligen Königin Gertrude tun müssen. Und auch bei Chiaras Eltern hatte er die Werbung überbracht.

Der Großkammerherr nahm jetzt einen kräftigen Schluck seines Portweines. Hubertus bevorzugte Orangensaft. Alkohol zersetzt den Geist, darin stimmte er mit Agneta überein.

„Ich schlage als Termin für die Krönung den ersten Mai vor“, bemerkte der Großkammerherr.

Hubertus nickte. Es war ja nun einerlei, wann die Krönung stattfand.

„Sie brauchen sich um nichts zu kümmern, Königliche Hoheit“, versprach von Traten. „Ich werde dafür sorgen, dass die Zeremonie reibungslos abläuft.“

„Danke, von Traten. Ich kann mich glücklich schätzen, Sie an meiner Seite zu haben!“

Als der Großkammerherr den Prinzen verließ, war Hubertus sehr müde. Aber er suchte sein Schlafzimmer noch nicht auf. Vielmehr begab er sich in sein Arbeitszimmer einen Stock tiefer und beschäftigte sich bis weit nach Mitternacht mit den Staatsgeschäften.

 

„Hubertus ist ein richtiger Asket“, sagte Prinzessin Chiara zu ihrem Mann. „Hast du seine rotumränderten Augen bemerkt? Ich wette, er arbeitet wie besessen, damit er alles richtigmacht.“

Das junge Paar war auf dem Weg zum Haus des Prinzen Gunnar. Von dort aus wollten sie gemeinsam in die Karlskirche zur Krönung fahren.

„Das ist mir auch aufgefallen, Chiara. Du hast Recht. Hubertus ist äußerst gewissenhaft. Er würde nie ohne gründliche Kenntnisse den Thron übernehmen. In dem einen Monat habe er unwahrscheinlich viel gelernt, sagte er mir erst neulich.“

„Dazu hättest du nicht die Ausdauer gehabt, Peer“, stellte Chiara sachlich fest.

Prinz Peer konnte ihr nicht widersprechen.

Die Staatskarosse hielt vor der Villa des abgedankten Königs. Prinz Peer half seiner Frau beim Aussteigen und achtete darauf, dass die Schleppe ihres gelben Seidenkleides nicht mit dem Boden in Berührung kam. Langsam stiegen sie die Stufen zur Villa empor.

In der Halle bot sich ihnen ein liebreizendes Bild. Prinzessin Svenja stand dort vor dem raumhohen Kristallspiegel und drehte sich, so dass der lange Rock ihres Festkleides nur so flog. Beim Eintritt des jungen Paares eilte sie ihnen entgegen mit den Worten: „Wie sehe ich aus?“ fragte sie und drehte sich mit unschuldiger Koketterie vor Bruder und Schwägerin.

Die beiden bewunderten ihr Kleid gebührend. Es war aus lichtblauem, ganz zartem Stoff und hatte allerliebste Puffärmel. In ihrem blond gelockten Haar trug Svenja ein winziges Diadem, dessen Brillanten im Licht der Lüster funkelten.

„Ich habe auch ein Cape dazu bekommen, erklärte Svenja eifrig. „Es ist aus weißem Samt. Chiara, ich zeig es dir!“ Sie wollte fortlaufen.

In diesem Augenblick kam Prinz Gunnar die breite Treppe mit seiner Frau hinunter.

„Da seid ihr ja“, strahlte er. „Ihr seid recht früh, da reicht es noch für einen stärkenden Trunk

vor der Zeremonie. Kommt mit in den Salon!“

Voller Bewunderung starrte Chiara ihre Schwiegermutter an. Martine trug zum Anlass der Krönung cremefarbene Seide und ein Samtcape mit Kapuze in warmem Braun.

„Sie sehen großartig aus, Martine“, lobte sie.

„Und Sie ebenfalls!“ lächelte Martine und bewunderte ausgiebig das gelbe Seidenkleid.

Die ganze Familie nahm einen Cocktail. Die Zeremonie in der Kirche würde lang und anstrengend sein. Chiara äußerte die Befürchtung, dass es in der Kirche auch kalt sein würde.

Aber Prinz Gunnar beruhigte sie.

„Von Traten hat endlich eine Heizung einbauen lassen. Wenn ich da an meine Krönung denke, wie haben die Gäste gefroren!“

„Hast du denn nicht gefroren, Vater?“ fragte Svenja interessiert.

„Nein, mein Kind. Wenn man gekrönt wird, wird einem ganz schön heiß. Erstens von der Aufregung und zweitens von dem Krönungsmantel. Er ist sehr dick und hält gut warm.“

„Der arme Hubertus“, sagte Svenja mitleidig.

„Der arme Hubertus!“ Das sagten heute viele, die den jungen Kronprinzen näher kannten.

Hubertus stand vor dem Priester im vollen Krönungsornat. Die alte Reichskrone wog schwer, doch Hubertus straffte bewusst die Schultern. Niemand sollte ihm anmerken, wie ihn die Krone und die Last der damit übernommenen Verantwortung drückte.

Mit ernstem Gesicht nahm der junge Prinz die Insignien des Reiches aus den Händen des Priesters entgegen. Dann kniete er nieder und sprach ein stummes langes Gebet.

Plötzlich begann Orgelmusik zu brausen. Der Kronprinz erhob sich als König.

Nur diejenigen, die in der ersten Reihe saßen, bemerkten, dass seine Lippen zitterten, dass er mit Mühe um Beherrschung rang.

An der Seite des Priesters verließ der Gekrönte die Kirche. Die höchsten Würdenträger des Landes folgten gemessenen Schrittes. Unter ihnen Prinz Gunnar und Prinz Peer mit ihren Gemahlinnen. Svenja ging an Martines Hand. Ihr Gesichtchen war verweint. Sie war so tief ergriffen von der Zeremonie, dass sie zitterte. Martine legte tröstend den Arm um sie. So schritten sie hinaus und nahmen in den dort wartenden Pferdekarossen Platz. Die Kutschen waren prächtig geschmückt und auch die Pferde trugen blumengeschmücktes Zaumzeug.

Svenja lachte schon wieder. Das bunte Bild der festlichen, Vivat rufenden Menge gefiel ihr.

Langsam folgten die Kutschen der des neuen Königs. Hubertus muss ganz allein darinsitzen, dachte Svenja mitleidig. Wie langweilig musste das sein! Sie könnte sich doch wenigstens mit den Eltern und Peer und Chiara unterhalten.

„Muss Hubertus den Krönungsmantel den ganzen Tag anbehalten?“ erkundigte sie sich bei ihrem Vater.

„Nein, Gott bewahre! Beim Galadiner darf er ihn schon ausziehen“, erklärte Prinz Gunnar.

Bei dem nun folgenden festlichen Diner sahen sie auch Prinzessin Agneta und ihre Eltern. Da Agneta noch nicht offiziell die Braut des Königs war, hatte sie auch kein Recht auf einen Platz an seiner Seite. Weit entfernt von Hubertus saß sie in ihrem rosa Seidenkleid und verzog etwas spöttisch die Lippen. Wie wenig ihr an all dem Pomp lag! Zum Glück dachte Hubertus ebenso. Wenn sie erst verheiratet waren, dann musste ein frischer Wind durch diesen verstaubten Palast mit seinen altertümlichen Einrichtungen wehen.

Zufällig sah Prinz Gunnar den Blick seiner zukünftigen Schwiegertochter und auch Chiara bemerkte ihn.

„Sie wird hier alles verändern“, flüsterte sie ihrem Schwiegervater zu. „Ob es noch einen glanzvollen Ball gibt, wenn Agneta erst hier regiert?“ Chiara glaubte es nicht.

„Warum zweifelst du daran?“ mischte sich nun Prinz Peer ein.

„Na, sieh doch selbst. Ein Abendkleid passt eben nicht zu Agneta.“

Peer lachte und gab seiner Frau Recht.

„Ihre Tweedkostüme stehen ihr wahrlich besser!“

Schließlich war auch das Diner zu Ende und damit der offizielle Teil der Feierlichkeiten. Die Gäste verabschiedeten sich einer nach dem anderen. Der junge König bat weder seine Familie noch Agneta, den Rest des Tages mit ihm zu verbringen. Nein, Hubertus sehnte sich jetzt nach der Abgeschlossenheit seines privaten Arbeitszimmers. Dort würde er seine Gedanken ordnen können und über die Zukunft nachdenken.

 

König Hubertus begann sein Amt mit einer längeren Rundreise durch das kleine Land, dessen Herrscher er wider Willen geworden war.

Obwohl seine Reden, die er an den verschiedenen Orten hielt, nicht den Schliff hatten, den König Gunnar seinen Ansprachen gegeben hatte, fühlte das Volk, dass sie von Herzen kamen. Seine Untertanen mochten König Hubertus und jubelten ihm zu, wo sie ihn sahen. Es war für den jungen König immer wieder erstaunlich, zu sehen, welche Sympathie er überall genoss. Er ahnte nicht, womit er sie sich erworben hatte.

König Hubertus bedachte nicht, dass allein seine hohe Gestalt Rechtschaffenheit ausstrahlte. Er hatte Erfolg, wenn er im Parlament erregt eine Sache verteidigte. Die Leute merkten, dass er von den Themen, die anlagen, auch wirklich etwas verstand.

„Ich freue mich so, Hubertus“, sagte sein Vater immer wieder zu dem ältesten Sohn. Hatte ihn bis dahin noch das schlechte Gewissen geplagt, dass er seinem Sohn eine solche Bürde auferlegt hatte, so war er jetzt beruhigt.

„Du bist der geborene Herrscher, Hubertus. Deine Rede heute Morgen im Parlament war fantastisch“, lobte auch der Bruder.

Einmal in der Woche speisten Chiara und Peer im Schloss und meistens kam dann auch Prinz Gunnar mit seiner Familie. Hubertus sollte vor seiner Hochzeit nicht allzu einsam sein.

Kurz nach seiner Krönung stellte König Hubertus Prinzessin Agneta dem Volk als seine Braut vor. Er gab ein Galadiner mit anschließendem Hofball zu Agnetas Ehren.

Es war sehr stimmungsvoll und feierlich. Die Gäste waren bereits vollzählig versammelt. Dann trat der junge König mit seiner Braut ein. Sie hielten sich an der Hand und gingen durch das Spalier der Gäste, nach allen Seiten lächelnd und grüßend. Sie nahmen den Platz am Kopf der fünfzig Meter langen Tafel ein. Das Diner begann.

Die juwelengeschmückten Damen beugten ihre fein frisierten Köpfe zu ihren Tischherrn hinüber.

„Wie finden Sie das Kleid der Prinzessin, Signore?“ flüsterte eine Hofdame dem Modeschöpfer zu und die Nachbarschaft lauschte gespannt.

Doch er war vorsichtig. Er hütete sich, Agneta zu kritisieren. Es kam für ihn besonders darauf an, mit dem jungen Herrscherpaar auf gutem Fuß zu stehen. Dein sein Ansehen bei Hofe hatte schon erheblich gelitten. Er konnte froh sein, sicher auf Vermittlung von Chiara, eine Einladung erhalten zu haben.

„Ich finde, die Prinzessin ist recht gut gekleidet. Dieses Blau ist ohne Zweifel ihre Farbe“, meinte er deshalb, obwohl er Agnetas Abendkleid bei sich ein Fähnchen nannte.

Seine Tischnachbarin, das junge Fräulein von Bevern versuchte, ihr Kichern hinter einer Serviette zu verstecken, doch er verzog keine Miene.

Ein Tusch ertönte. Der junge König erhob sich. In einer kurzen, fast launigen Rede stellte er Agneta als seine Verlobte und als die künftige Königin vor.

Zum Schluss verneigte er sich vor Agneta, nahm ihre Hand und schritt mir ihr zur Tanzfläche. Die übrigen Gäste folgten. Die Kapelle spielte den bei solchen Gelegenheiten üblichen Königswalzer.

„Musste das sein, Hubertus?“ flüsterte Agneta ihrem Verlobten zu, als sie sich ganz allein auf der Tanzfläche drehten.

Obwohl ein Tanzmeister am elterlichen Hof ihr viele Unterrichtsstunden gegeben hatte, war Agneta keine gute Tänzerin. Man wusste das allgemein und traute auch Hubertus in dieser Hinsicht nicht viel zu, fürchtete eine Blamage. Niemals hatte man ihn tanzen gesehen.

„Hab keine Angst, Agneta! Ich halte dich schon“, flüsterte Hubertus ihr ins Ohr. Die Liebe zu ihr stand deutlich in seinen Augen. Wie hübsch sie heute aussah. Ihr Kleid war genauso blau wie ihre Augen. Er fasste sie fester um die Taille.

Agnetas etwas herbes Gesicht war bei diesem Tanz von Glück überstrahlt. Wie wundervoll Hubertus tanzen konnte. Sie brauchte sich kaum Mühe zu geben, es ging wie von selbst. Ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren, so gut führte sie Hubertus. Plötzlich war sie stolz auf ihren Verlobten. Hubertus hätte sie mit einer schwungvollen Paralamentsrede nicht mehr beeindrucken können als mit diesem Tanz. Sie wusste genau, dass ihm diese Zurschaustellung äußerst unangenehm war, aber er meisterte sie glänzend.

„Bravo, bravo!“ riefen einige Mutige, als die Musik schwieg. Die anderen Gäste klatschten Beifall. Hubertus hatte seine Sache großartig gemacht. Jetzt erst erinnerte man sich, dass der junge König auch verschiedene Instrumente spielen konnte. Die Musikalität hatte er von seiner Mutter geerbt.

Auf der Oberlippe des jungen Königs glänzten winzige Schweißtröpfchen, als er Agneta zum Tisch zurückführte. Sie hatten schon einige Male auf Studentenbällen miteinander getanzt. Doch hatte Agneta die unangenehme Eigenschaft vieler willensstarker Frauen, ihn beim Tanz führen zu wollen. Heute hatte sie sich ausschließlich von ihm leiten lassen. Er wertete das als innigen Beweis ihrer Zuneigung. Zärtlich beugte er sich zu ihr und ließ seinen Champagnerkelch an den ihren klingen.

„Auf unser Glück, Agneta!“ sagte er und schaute tief in ihre strahlenden Augen. Einige Zeit sahen sie nur sich selbst und vergaßen ihre Umwelt.

Dann unterhielt sich der König lange mit seinen zukünftigen Schwiegereltern. Der Herzog und die Herzogin waren schon recht betagt, als Agneta, ihr einziges Kind, geboren wurde.

„Daraus erklärt sich vielleicht ihre Neigung zum Besserwissen“, meinte der Herzog launig und trank seiner Tochter zu.

Prinzessin Agneta jedoch ergriff den Arm ihres Verlobten. „Bei ihm habe ich damit kein Glück. Er weiß alles selbst so gut!“

Hubertus sah glücklich überrascht zu seiner Braut hin. Es geschah nicht oft, dass sie ihm ihre Zuneigung so deutlich zeigte. Heimlich streichelte er ihre Hand.

Doch Chiara hatte alles beobachtet.

„Hubertus benimmt sich wie ein Primaner, flüsterte sie ihrem Mann zu, mit dem sie gerade an dem jungen Paar vorbeitanzte. „Schau nur, wie er sie anhimmelt!“.

„Du solltest deine Zunge besser im Zaum halten, Chiara“, tadelte Peer. Zwar konnte er nicht begreifen, was sein Bruder an Agneta so reizvoll fand. Aber er schätzte doch Agnetas Fachwissen und ihre schlagfertigen Antworten, die sie zu geben wusste. Agneta war supergescheit, wenn sie auch in seinen Augen keinerlei weiblichen Charme hatte.

„Na, ich meine es ja nicht böse“, schmollte Chiara. „Wenn du keinen Spaß verstehst, tanze ich nur noch mit Carlo. Er ist wenigstens amüsant!“

„Mach was du willst“, entgegnete der junge Ehemann gelangweilt. „Nur bedenke, dass eine junge Mutter nicht so leichtfertig mit ihrem Ansehen umgehen darf. Es könnte ihrem Kind schaden.“

„Ach was, Dominik wird niemals König, dafür wird Agneta schon sorgen“, meinte Chiara und blinzelte unauffällig zu. Aber die Worte ihres Gatten hatten doch einen Stachel hinterlassen. Sie tanzte heute nur dreimal mit Carlo und fast genauso viel mit den anderen Herren. Sie wollte nicht als leichtfertige Mutter gelten, zumal sie beinahe sicher war, schon wieder ein Kind unter dem Herzen zu tragen.

Am Ende des Hofballes verabschiedete sich der König von seiner Verlobten. Prinzessin Agneta würde ihre Eltern in ihre Heimat zurückbegleiten.

„Vor meinem Studienaufenthalt in den Schweizer Bergen komme ich noch einmal hierher, Hubertus“, erklärte Agneta in dem kleinen Vorraum, wo sie einen Augenblick ungestört miteinander reden konnten.

König Hubertus hob das Gesicht seiner Braut zu sich empor und küsste sie auf den Mund.

„Das ist gut, Agneta. Ich wünsche dir eine schöne Zeit in deiner Heimat. Aber komm bald zurück, ich warte auf dich!“

Er hatte keine Ahnung, dass dieses die letzten Worte waren, die er mit ihr sprach.

Prinzessin Agneta fuhr also nachhause. Leider geschah es, dass ihr Vater in dieser Zeit schwer erkrankte. Deshalb konnte Agneta Hubertus nicht mehr besuchen, bevor sie ihren Studienaufenthalt in der Schweiz begann. Sie dachte nicht daran, diese Fahrt aufzugeben, denn sie erhoffte sich wichtige Erkenntnisse für ihr weiteres Studium daraus. Denn auch als Königin würde Agneta weiter studieren, dieses Versprechen hatte sie Hubertus abgerungen.

Mit einer Gruppe von Studenten und Professoren reiste Agneta in die fantastische Bergwelt des Engadin. Von dort schrieb sie begeisterte Postkarten an den König.

 

Unsere Hochzeitsreise müssen wir hierher machen! Du wirst begeistert sein. Es gibt hier Moose, die ich noch nie gesehen habe und nur aus Fachbüchern kenne. Übrigens habe ich mich nach einem Gespräch mit meinem Professor entschieden, auch noch Medizin zu studieren. Alles Weitere bald!

 

Und dann erhielt der junge König eines Tages einen Anruf aus Sankt Moritz. Agneta war bei einer Expedition auf den Piz Bernina abgestürzt und lag mit lebensgefährlichen Verletzungen im Spital.

„Sie verlangt nach Ihnen, Hoheit, Bitte machen Sie es möglich und kommen Sie sofort“, sagte der behandelnde Arzt am Telefon.

 

Noch am gleichen Tag entstieg ein völlig gebrochener Hubertus dem Hubschrauber auf der Landepiste von Sankt Moritz. Ein wartender Wagen brachte ihn ins Spital.

Agneta lag im Sterben, er sah es sofort. Ihr Gesicht war wächsern, die Lippen bläulich verfärbt. Er trat an ihr Bett und ergriff ihre Hand, die fest mit Verbänden umwickelt war. Auch Agnetas Kopf war bandagiert, ihr dunkelblondes Haar verschwand ganz darunter.

Agneta, ich bin bei dir, Hubertus!“ rief er verzweifelt. Doch sie öffnete die Augen nicht mehr.

Später, im Zimmer des Professors und Leiter der Klinik, brach der junge König fast zusammen.

„Wie konnte das nur geschehen?“ klagte er.

„Die Prinzessin war zu wagemutig. Sie wagte sich weit an den Rand des Abgrunds vor, um ein seltenes Moos zu bergen. Dabei stürzte sie hinunter. Außer einem Schädelbruch hat sie sich innere Verletzungen zugezogen. Ich fürchte, es besteht keine Hoffnung mehr, Königliche Hoheit.“

König Hubertus nickte stumm. Er hatte es gewusst, als er in Agnetas wächsernes Gesicht geblickt hatte. Sein Glück, das erst richtig beginnen sollte, war schon zu Ende. Er schlug die Hände vor die Augen.

Der Professor legte seine Hand einen Augenblick auf die Schulter des jungen Mannes. In diesem Augenblick war Hubertus für ihn nicht der König, sondern ein Mann, der um seine sterbende Geliebte trauerte.

Eine ganze Nacht saß er an Agnetas Bett. Die Schwestern bat er, ihn mit ihr allein zu lassen, er würde sie rufen, wenn Agneta sich rührte. Aber Agneta regte sich nur ein einziges Mal.

Gegen Morgen seufzte sie tief auf. Dann fiel ihr Kopf zur Seite. Sie hatte ihren letzten Atemzug getan. König Hubertus war wie versteinert. Als der Arzt Agnetas Tod bestätigte, entrang sich seiner Brust ein Stöhnen. In diesem Moment konnte er noch nicht weinen.

Etwa eine Stunde später kam die alte Herzogin, Agnetas Mutter, und Hubertus musste seinen Schmerz zurückhalten. Die alte Dame drohte am Bett ihres toten Kindes zusammenzubrechen. Hubertus tröstete sie, so gut er es vermochte, war er doch selbst untröstlich über den Verlust Agnetas.

„Wenn es mein Mann erfährt, kann es seinen Tod bedeuten,“ schluchzte die Herzogin. „Er hat sich von seinem kürzlich erlittenen Schlaganfall noch gar nicht erholt“.

Prinzessin Agneta wurde in der Gruft ihrer Ahnen beigesetzt. König Magnus stand beim Begräbnis mit steinernem Gesicht dabei und nahm die Kondolationen unbewegt und stumm entgegen. Es waren so viele Menschen zu Agnetas Beerdigung gekommen. Nur Agnetas Vater, der kranke Herzog, war nicht dabei. In der Klinik kämpften die Ärzte um sein Leben.

Doch der junge König musste heimkehren zu seinen Pflichten als Landesvater.

Alle Fahnen der Hauptstadt waren auf Halbmast geflaggt, eine Ehrung für die Verlobte des Landesherrn, die beinahe die Königin dieses Reiches geworden wäre.

 

Ein Vierteljahr später saß Prinz Gunnar bei seinem jungen Sohn im Palast. Er gebot den Lakaien, sich zu entfernen und legte dann Hubertus die Hand auf die Schulter.

„So geht das nicht weiter, Hubertus!“ sagte er mahnend.

Doch sein Sohn sah ihn nur müde und ausdruckslos an.

„Was meinst du damit, Vater?“

Der ehemalige König seufzte. „Du musst doch wissen, was ich meine, Hubertus. Du kannst doch nicht ewig um Agneta trauern. Du gehst mit einer Leichenbittermine herum und überlässt das Land sich selbst, beziehungsweise von Traten. Vergiss nicht, dass du der König bist, Hubertus. Ich bitte dich darum!“

Hubertus ließ den Kopf noch tiefer sinken.

„Ich kann Agneta nicht vergessen, Vater. Ich habe sie zu sehr geliebt.“

Geduldig nickte Prinz Gunnar. „Das wissen wir, mein Sohn. Doch das Leben geht weiter, die Lebenden fordern ihr Recht. Das Land braucht dich und es braucht eine Königin.“

„Vater!“ Hubertus war aus seinem Sessel aufgesprungen. Sein Gesicht war schmerzlich verzerrt.“ Hast du denn gar kein Verständnis, Vater?“

„Du weißt, dass ich sehr viel Verständnis habe, Hubertus. Schließlich habe auch ich meine geliebte Lebenspartnerin verloren. Ich muss dir diese Worte sagen, weil ich dein bestes will. Außerdem wollte ich vorbeugen. Man beabsichtigt, dir einige Prinzessinnen vorzuschlagen, die als Königin für dieses Land geeignet wären. Das finde ich selbst taktlos. Aber du weißt nun, woran du bist, Hubertus.“

Hubertus hatte sich wieder gesetzt, seine rechte Hand war zur Faust geballt.

„Wie können sie so etwas vorschlagen? Sie besudeln das Andenken an Agneta. Es war keine Vernunftheirat, die ich mit Agneta eingehen wollte. Wir liebten uns, Vater.“

Der Vater nickte. „Das wissen ich und deine Familie, Hubertus. Wir wissen auch, dass es bei dir sehr lange dauern wird, ehe du bereit bist, an eine Eheschließung überhaupt zu denken. Aber die anderen wissen es nicht. Dein Volk zum Beispiel. Es will eine Königin, wenn nicht jetzt, dann in einem Jahr. Du kannst an dieser Tatsache nicht vorbeigehen. Es wäre besser, du würdest dich schon jetzt mit dem Gedanken vertraut machen, eine so genannte Vernunftheirat zu schließen. Damit nimmst du Agneta nichts.“

Hubertus saß nur da und schüttelte heftig den Kopf.

„Niemals, Vater! Ich kann keine Vernunftehe eingehen, dazu bin ich nicht geschaffen. Allein der Gedanke, mit einer Frau, die ich nicht liebe tagtäglich zusammen sein zu müssen, ist mir unerträglich. Das kann niemand, auch das Volk nicht, von mir verlangen!“

Darauf erwiderte Prinz Gunnar nichts, sondern begann, von anderen Dingen zu reden. Er wollte Hubertus nicht noch mehr aufregen.

 

 

„Wie hat Hubertus reagiert?“ fragte Martine ihren Gatten, als Prinz Gunnar zurückkehrte. Sie wusste über seine Mission genauestens Bescheid, denn er erzählte ihr alles.

Prinz Gunnar strich sich über das ergraute Haar und schüttelte den Kopf.

„Er muss Agneta wirklich geliebt haben, der arme Junge“, sagte er verwundert. Denn niemand aus der Familie des Königs konnte sich vorstellen, dass man Agneta lieben konnte. Man hatte Respekt vor ihrem Verstand und ihrer Bildung gehabt.

Martine überlegte einen Augenblick, ehe sie ihm antwortete.

„Magnus ist so überaus rechtschaffen. Vielleicht hat er Agneta wirklich geliebt. Ich glaube aber, er hat sich das nur eingeredet. Es ist ihm klargeworden, dass er sie nicht so geliebt hat, wie es die Frau an seiner Seite verdient hätte. Jetzt hat er ein schlechtes Gewissen und redet sich ein, er hätte sie über alle Maßen geliebt.“

„Das was du sagst, klingt ziemlich kompliziert. Aber ich glaube, ich verstehe dich“, meinte Prinz Gunnar. „Hubertus hat seine Hochachtung vor Agneta mit Liebe verwechselt, das glaube ich nun auch. Ach, ich wünschte, er träfe die richtige Frau!“

„Sie müsste zierlich, zart und hilfsbedürftig aussehen, aber innerlich eisern sein“, überlegte Martine. Hubertus braucht die richtige Frau, um ein Mann zu werden. Jetzt ist er noch ein verträumter Jüngling mit achtenswerten, aber undurchführbaren Idealen.“

Plötzlich lachte Prinz Gunnar und hauchte einen zärtlichen Kuss auf die Wange seiner Frau.

„Du hast dich eben sehr treffend selbst beschrieben. Ja, ich wünschte, Hubertus bekäme eine Frau wie dich! Dann brauchte mir um seine Zukunft nicht bange zu sein.“

Die Tage vergingen, mehrten sich zu Monaten. Schließlich war ein Jahr nach Agnetas Tod vergangen. Aber immer noch lief der junge König mit steinernem Ausdruck im Gesicht durch seinen einsamen Palast. Er hatte alles überflüssige Personal entlassen und sich ganz in den Seitenflügel zurückgezogen. Dort bewohnte er ein paar schmucklose Räume und verlegte auch sein Arbeitszimmer dahin. Langsam begann er wieder, sich um die Regierungsgeschäfte zu kümmern. Vor allem die ihm so lästige Repräsentation musste er wohl oder übel wieder übernehmen. Die war ja die Hauptpflicht des Herrschers in einer parlamentarischen Monarchie. Ausländische Würdenträger mussten empfangen werden, er musste Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und andere öffentliche Bauten einweihen. Dies alles konnte er nicht dem Großkammerherrn überlassen. Das hätte das Volk ihm sehr übel genommen.

Auch Prinz Peer hatte ihm in der ersten Trauerzeit viele dieser Pflichten abgenommen. Aber bald spürten beide Brüder, dass Peer beim Volk nicht allzu beliebt war. Augenblicklich ging das Gerücht durch die Presse, Peer habe zusammen mit einer Schauspielerin ein Kind.

„Ich glaube nicht, dass das wahr ist“; sagte Hubertus zu seinem Bruder. „Niemals würdest du so pflichtvergessen an Chiara handeln.“

Peer schwieg darauf. Er konnte ja dem Bruder nicht sagen, dass Chiara sein Lebenswandel ziemlich gleichgültig war. Und noch viel weniger konnte er Hubertus von dem Liebhaber Chiaras erzählen. Der Modeschöpfer ging jetzt in der Villa unbekümmert ein und aus. Vorzugsweise natürlich dann, wenn der Hausherr nicht da war. Hubertus würde nur ungläubig den Kopf schütteln und alles für ein Gerücht halten.

„Ich habe neulich auf meiner Auslandsreise die Prinzessin Margarethe kennen gelernt, Hubertus“, begann Peer ein Thema, das ihm und vielen anderen am Herzen lag. “Sie wäre genau die richtige Frau für dich. Du musst sie übrigens als sehr junges Mädchen auch schon gesehen haben. Sie hat mit ihrer Mutter einmal einen Besuch hier im Palast gemacht. Margarethe ist für eine Prinzessin erstaunlich hübsch und ziemlich gescheit. Sie ist…“Peer konnte nicht weitersprechen, denn Hubertus gebot ihm mit einer brüsken Handbewegung zu schweigen.

„Wenn ich wirklich einmal heiraten sollte, dann suche ich mir meine Frau selbst aus. Aber ganz gewiss nehme ich keine, die man mir aus Gründen der Staatsräson vorschlägt“, erklärte Hubertus ungewohnt heftig.

Zu Hause bei seiner Frau, hatte Peer dann viel zu berichten.

„Hubertus steht einer Heirat nicht mehr ganz so ablehnend gegenüber wie zuvor. Früher sagte er „Niemals!“ Heute hat er gesagt: „Wenn ich wirklich einmal heiraten sollte…“ Wie findest du das?“

Prinzessin Chiara lachte. „Welcher Mann kann es schon lange ohne Frau aushalten? Schau dich doch an, und dann denke daran, dass Hubertus dein leiblicher Bruder ist.“

„Dass du immer alles ins Lächerliche ziehen musst“, brummte Peer unzufrieden.