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Emma, jung, erfolgreich, Redakteurin einer Gourmetzeitschrift ,möchte bei einer Ayurvedakur ein paar Kilo abnehmen und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise nach Sri Lanka.
Die Autorin hat jahrelang in einem bekannten Ayurvedahotel auf Sri Lanka gearbeitet. Sie schildert ziemlich genau den Ablauf einer Rundreise und den Kurverlauf. Namen sind verändert.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Abenteuer Ayurveda
mit rosaroter Brille durch Sri Lanka
„Emma, komm doch bitte mal zu uns in die Küche runter und probiere die Zitronengrassuppe!“
„Emma, kannst du den Artikel über den deutschen Gänsebraten noch mal überarbeiten? Da stimmt etwas mit der Farce nicht! Ich glaube, wir haben die Rosinen vergessen!“
Emma Hepburn nahm ihre beiden Kolleginnen, die hilfesuchend vor ihrem Schreibtisch standen, nur kurz wahr und lauschte dann stirnrunzelnd weiter in ihren Telefonhörer. Ein Londoner Restaurantbesitzer beschwerte sich über ihre letzte Bewertung in der Zeitschrift Gourmet und nahm dabei kein Blatt vor den Mund.
„Es tut mir wirklich leid, dass Ihr Koch krank ist, Mr. Wang. Ein ausgezeichneter Mann, das weiß ich vom letzten Besuch. Aber ich kann ein Restaurant nur nach dem aktuellen Stand bewerten, das wissen Sie doch.“
Emma warf einen verzweifelten Blick auf die Kolleginnen während der Mann weiter schimpfte.
Und jetzt stand auch der Chefredakteur in der Tür und machte ihr ein Zeichen.
Emma fuhr sich mit der freien Hand durch ihre blonde Lockenmähne und ihre blauen Augen begannen gefährlich zu blitzen.
„Mein nächster Besuch ist erst im Februar. Auf Wiedersehen Mr. Wang!“ Sie warf den Hörer auf die Gabel und stand auf.
„Was gibt's?“ fragte sie etwas genervt.
„Emma, die Zitronengrassuppe...“
Die sanfte Stimme der Kollegin Jenny wurde übertönt von der Trompeterstimme des Chefredakteurs, der in der offenen Tür ihres Büros stand..
„Miss Hepburn, kommen Sie bitte sofort in mein Büro!“
Emma zeigte ihr Bedauern für die Kolleginnen mit einem resignierten Achselzucken und folgte Mr. Trumpet in sein Allerheiligstes.
„Was soll das hier sein, Miss Hepburn?“ Mr. Trumpet griff nach einem gelben Blatt Papier auf seinem Schreibtisch und hielt es Emma unter die Nase.
„Das ist mein Urlaubsantrag, Mr. Trumpet.“
„Wie können Sie in einer solchen Zeit Urlaub beantragen, Miss Hepburn? Sie wissen genau, im Februar müssen die Frühjahrsdiäten heraus. Da können Sie doch nicht im Januar Urlaub machen!“
„Für die Osterausgabe bin ich dafür wieder da, Mr. Trumpet. Außerdem verspreche ich Ihnen einen Superartikel über die Ayurvedische Küche. Hatten wir lange nicht.“
„Ayurvedische Küche, was ist das? Habe ich schon mal gehört, aber...“ Mr. Trumpet kratzte sich an seinem mehr oder weniger kahlen Schädel.
„In der Ayurvedischen Küche spielen die Gewürze eine besondere Rolle, sie sind gleichzeitig Medizin für vielfältige Störungen. Lassen Sie sich das von Angela Macy erklären, sie hat bereits eine Ayurveda-Kur gemacht.“
„Und Sie wollen auch zum Abnehmen nach Sri Lanka fahren?“ Er schüttelte den Kopf.
„Schade!“
„Ayurveda ist nicht nur zum Abnehmen da, Mr. Trumpet. Ayurveda bedeutet das Wissen über eine gesunde Lebensführung und eine Kur dient der Entschlackung von Körper, Geist und Seele. Ich habe bereits gebucht, Mr. Trumpet. Wollen Sie vielleicht Stornogebühren bezahlen?“
Jetzt klingelte bei ihm das Telefon.
Er winkte verabschiedend mit einer Hand.
„Wenn ich einen schönen Artikel über dieses Ayurveda bekomme, können Sie von mir aus fahren!“
Er griff zum Hörer und sie war entlassen.
Sie wollte zurück in ihr Büro, aber die beiden Kolleginnen waren nicht mehr da. Emma begab sich zur Versuchsküche im Kellergeschoss.
Hier wurden die vielen wunderbaren Rezepte für die Leser der Zeitschrift Gourmet gekocht und ausprobiert. Neben dem Kochbereich mit diversen Kochstellen gab es einen ovalen Tisch, um den jetzt einige Kolleginnen und Kollegen saßen und sich gegenseitig von ihren Kreationen zu essen gaben.
Es war interessant zu beobachten, wie die verschiedenen Menschen mit dem Essen umgingen. Die Schlanken probierten meist nur einen Bissen und die, die ein paar Pfunde zu viel hatten, wie Emma, aßen alles auf.
Emma war immer der Meinung gewesen, dass sie sich nur ein Urteil über eine Speise erlauben konnte, wenn sie mehrere Bissen nahm. Das Resultat zeigte sich, wie sie meinte, unschön auf ihren Hüften. Mit der knabenhaften Schauspielerin Audrey Hepburn, die sie aus alten Filmen kannte, hatte Emma nur den Nachnamen gemeinsam. Aber seit Teenagertagen war der überschlanke Hollywoodstar Emmas Vorbild gewesen.
Ab jetzt, beschloss Emma, würde es nur noch einen Bissen geben von allem. Und dann kam ja ihre Ayurveda-Kur. Und danach würde sie wieder ihre Idealmaße haben, schwor sie sich.
Um gleich damit anzufangen, spuckte sie den Happen deutschen Gänsebraten aus, nachdem ihre Geschmacksknospen ihn nur kurz auf der Zunge gefühlt hatten. Zu diesem Zweck gab es einen großen Mülleimer, der dezent in einer Ecke deponiert war.
Die Zitronengrassuppe erlitt wenig später das gleiche Schicksal, obwohl man davon ja nun wirklich nicht zunehmen konnte. Aber Emma hatte sich nun einmal entschlossen, etwas für ihre Figur zu tun. Mit guten Vorsätzen musste man sofort anfangen.
„Die Rosinen können wir weglassen, die Farce ist ausgezeichnet“, bemerkte sie und die Kollegin strahlte. Emmas Urteil war ihr sehr wichtig.
„An die Zitronengrassuppe gehört vielleicht noch ein bisschen Ingwer, was meint ihr?“ Auch das wurde akzeptiert. Danach fuhr Emma mit dem Fahrstuhl wieder nach oben und traf auf dem Gang Angela Macy.
„Kann ich dich einen Moment sprechen, Angela?“ Emma wies einladend auf ihre offen stehende Bürotür.
Angela Macy war eine große Rothaarige mit langen schlanken Beinen und grazilen, perfekt manikürten Händen.
Sie arbeitete in der Abteilung für Tischdekorationen und hatte ihr Büro in einem anderen Stockwerk. Emma kam sie stets etwas steif und und unzugänglich vor. Doch Emma setzte sich heute darüber hinweg. Sie hatte ein paar Fragen an die Kollegin.
„Was gibt es, Emma?“
Angela ließ sich auf dem Besuchersessel vor Emmas Schreibtisch nieder und schlug ihre schönen Beine übereinander.
„Wir müssen noch mal über dieses Ayurveda sprechen, Angela. Du hast doch davon so geschwärmt im letzten Winter. Und ich finde, du bist seither nicht nur viel schlanker geworden, sondern auch sonst irgendwie verändert.“
„Findest du?“ Angela lachte geschmeichelt. „Vielleicht, weil ich jetzt täglich Yoga mache?“
„Toll“, bewunderte sie Emma. „Das gehört also auch zum Ayurveda? Seit Jahren will ich Yoga-Unterricht nehmen, aber du weißt ja, wie das mit unserer unregelmäßigen Arbeitszeit ist.“
„Im Kurhotel hast du die Möglichkeit, täglich zweimal am Yoga teilzunehmen“, erklärte Angela. „Wenn du dann nach Hause kommst, kannst du alleine üben oder aber in einen Kurs für Fortgeschrittene gehen.“
„So wie du?“
Angela nickte. „Ich kann mir ein Leben ohne Yoga und Meditation nicht mehr vorstellen. Du kannst zwar auch eine Ayurveda-Kur ohne Yoga machen, aber damit fühle ich mich erst richtig gesund und leistungsfähig. Wann fährst du übrigens?“
„Noch in der Silvesternacht. Können wir zusammen zum Lunch gehen und du erzählst mir mehr über Ayurveda?“
„Gerne. Ich habe in meinem Schreibtisch noch Unterlagen über das Hotel, in dem ich war. Die bringe ich dir nachher mit.“
Sie verabredeten sich für 14 Uhr in ihrem Stammlokal, einem ausgezeichneten indischen Restaurant nahe der Redaktion des Gourmet.
Bis es soweit war, gab es für Emma noch eine Menge zu tun. Unterbrochen von einigen Telefonanrufen, widmete sie sich konzentriert ihrem Artikel über einen Landgasthof, der an der Themse neu eröffnet hatte und im Moment in London das angesagteste Lokal für Feinschmecker mit Sinn für Ambiente war.
Um 13:45 zog Emma den fertigen Artikel aus dem Drucker und legte ihn in die Ablage „eilig“ für Mr. Trumpets Büro. Dabei fiel ihr Blick aus dem Fenster.
Es regnete in Strömen.
Heute morgen hatte noch eine milde Wintersonne das geschäftige London beleuchtet. Aber Emma war vorbereitet. Wie alle Kollegen, hatte sie Regenkleidung in ihrem Büroschrank. Sie zog den knallroten Regenmantel über und setzte den dazu passenden Schlapphut auf.
Im Fahrstuhl herrschte drangvolle Enge, wie immer zur Mittagspause. Emma blickte sich suchend nach Angela um, konnte sie jedoch in der Menge nicht entdecken. Da hörte sie ihren Namen rufen und drehte sich um.
Angela Macy stieg gerade die letzte Stufe der breiten Treppen neben dem Fahrstuhl hinunter. Sie war im „Leopardenlook“, der natürlich auch regenfest war.
„Hallo, Angela. Bist du etwa aus dem zwölften Stock heruntergelaufen?“
„Na klar, ich muss doch etwas für meine Fitness tun“, lachte die Kollegin. „Beim Hochsteigen komme ich immer ganz schön ins Schwitzen.“
„Alle Achtung“, sagte Emma anerkennend und beschloss, ab jetzt nur noch Treppen zu laufen. Schließlich lag ihr Büro nur im sechsten Stock.
Im „Chamba-Himalaya“ war es jetzt um 14 Uhr schon etwas ruhiger und Emma und Angela fanden einen Tisch, an dem sie sich ungestört unterhalten konnten.
Emma mochte das Lokal auch wegen der wunderschönen Miniaturen, die an den tiefroten seidenbespannten Wänden hingen. Es waren Nachbildungen der berühmten Chamba-Paintings, die am Fuße des Himalaya-Gebirges im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert entstanden waren. Sie zeigten liebevoll ausgemalte Szenen meist aus der indischen Mythologie, oft aber auch Alltagsszenen und immer wieder Maharadschas mit ihren schönen Frauen.
Mr. Singh, der Restaurantbesitzer, kam zu ihrem Tisch und verneigte sich vor seinen beiden Stammgästen. Sein Turban war wie immer makellos gewickelt. Er strahlte eine natürliche Würde aus. Emma stellte sich einen Maharadscha immer wie Mr. Singh vor. Schade, dass er keinen Diamanten auf seinem Turban trug!
Höflich erkundigte man sich gegenseitig nach dem Befinden. Dann winkte Mr. Singh seinen Kellner herbei, der die Bestellung aufnahm.
Angela entschied sich für ein vegetarisches Gericht mit Spinat und überbackenem Schafskäse. Emma dagegen folgte der Empfehlung von Mr. Singh. Sie bestellte Hühnchen Tikka.
Vorher wurde als Aperitif eine Lassi, ein Yoghurtgetränk mit Kräutern, serviert.
„Ist in Sri Lanka die Küche ähnlich vielseitig wie in Indien?“ erkundigte sich Emma und nahm einen kleinen Schluck von ihrer Kräuterlassi.
Angela schüttelte den Kopf. „Die Küche ist eher einfach. Du kannst Reis und verschiedene Gemüse-Curries haben, die köstlich sind. Das ist es aber auch im Wesentlichen. Die Lassi ist dort übrigens immer aus der Milch von Büffeln gemacht. Sie schmeckt etwas streng, aber man gewöhnt sich daran.“
„Das hört sich ja nicht so verlockend an“, meinte Emma argwöhnisch und breitete ihre Serviette aus rotem Leinen aus.
„Warum hast du eigentlich deine Kur nicht in Indien gemacht? In Kerala soll es doch auch gute Ayurveda-Hotels geben?“
„Ich bin der Empfehlung einer deutschen Freundin gefolgt, die im Süden Sri Lankas am Meer war. Es gibt dort keine Malaria! Das war ein sehr wesentlicher Grund für mich. Ich möchte meinen Organismus nicht mit Malaria-Pillen belasten .“
„Das ist in der Tat ein guter Grund“, nickte Emma.
„Eine Tetanus-Impfung wäre aber angebracht“, fuhr Angela fort. „Schließlich machst du mal Ausflüge und kannst dich verletzen.“
„Ich will sogar eine Rundreise machen“, erklärte Emma. „Es soll doch in den Bergen so schön sein, dort, wo der Tee angepflanzt wird.“
„Da musst du unbedingt hin, Emma. Mach die Rundreise zuerst und dann deine Kur. Dann bist du während der Kur schon ein bisschen an das Klima angepasst.“
Der Kellner servierte ihnen das Hauptgericht, dazu das indische Fladenbrot, das Emma so gern mochte, und fragte nach weiteren Getränkewünschen.
Angela bestellte zu Emmas Verwunderung ein Glas warmes Wasser.
„Trinkt man das im Ayurveda-Hotel?“ fragte Emma argwöhnisch.
„Klar! Nichts entschlackt den Organismus so sehr wie warmes Wasser“, erklärte Angela. „Man trinkt es während der Kur immer zwischendurch, ungefähr drei bis vier Liter am Tag sollten es sein.“
Emma schüttelte sich beim Gedanken an lauwarmes geschmackloses Wasser. Wie konnte man so etwas nur hinunterbringen. Aber nach einem Blick auf Angela, die ganz vergnügt an ihrem Glas nippte, wollte sie auch warmes Wasser.
„Trinkt sich gar nicht so übel!“ stellte sie nach einigen Schlucken fest. „Aber in den Tropen lauwarmes Wasser ? Fängt man da nicht noch mehr an zu schwitzen?“
„Im Gegenteil. Von eisgekühlten Getränken schwitzt du viel mehr.“
„Ich glaube, ich muss erst noch einige Bücher lesen, ehe ich das alles kapiere“, seufzte Emma.
„Das wäre hilfreich, aber die ayurvedischen Ärzte im Hotel erklären dir das alles ganz genau. Sie haben im Gegensatz zu unseren Medizinern nämlich Zeit und noch mal Zeit für ihre Patienten.“
Während Angela sprach, holte sie aus ihrer Handtasche einige bunte Prospekte und legte sie auf den Tisch. Emma sah Palmen, blaues Meer und braune, strahlende Gesichter von Einheimischen.
„Die kannst du mitnehmen“, sagte Angela. „Es sind Informationen über das Hotel, in dem ich war und auch ein paar Vorschläge für deine Rundreise.“
Emma bedankte sich und blickte auf ihre Armbanduhr.
„Ich fürchte, wir müssen in die Redaktion. Schade, ich hätte noch gerne länger mit dir geplaudert.“
„Das können wir ja auch. Informiere dich erst mal gründlicher vor deiner Reise. Du kannst übrigens auch im Internet viel über Ayurveda finden. Wenn du dann noch Fragen hast, stehe ich gerne zur Verfügung.“
Sie verließen das „Chamba-Himalaya“ nicht ohne dem sich zum Abschied verneigenden Mr. Singh zu versprechen, bald wiederzukommen.
Ziemlich atemlos erreichte Emma ihr Büro im sechsten Stockwerk und verabschiedete sich von Angela, die ihren Leopardenregenmantel über dem Arm trug und noch sechs weitere Treppen vor sich hatte.
Der Nachmittag verlief in gewohnter Hektik und Emma kam nicht dazu, auch nur einen Blick in die Prospekte zu werfen, die sie auf ihrem Schreibtisch deponiert hatte.
Um sechs Uhr abends, kurz bevor sie gehen wollte, rief Tom an.
„Was machst du heute Abend? Sollen wir essen gehen?“
Emma, die sonst nicht auf den Mund gefallen war, verschlug es erst einmal die Sprache. Erst letzte Woche hatte sie sich mit Tom so heftig gestritten, dass ihr eine Versöhnung unmöglich schien. Ihre Lebenspläne unterschieden sich zu sehr voneinander.
„Ich kann heute nicht“, stieß sie hervor.
„Wieso, was hast du vor?“ Toms Stimme klang liebenswürdig, so als hätten sie dieses Zerwürfnis nie gehabt.
„Nichts. Ich hatte einen hektischen Tag und habe keinen Hunger“, sagte Emma so eiskalt, wie es ihr möglich war.
„Dann komme ich nachher zu dir, Liebling, damit dein Abend nicht gar zu traurig wird.“
Er legte auf, bevor Emma antworten konnte.
Schon wählte sie seine Nummer, um ihm wütend mitzuteilen, dass sie keinen Wert auf seinen Besuch legte. Doch bevor es bei ihm klingelte, legte sie wieder auf.
Was war, wenn Tom sich entschuldigen wollte? Das musste sie ihm zugestehen. Vielleicht hatte er bei ihrem letzten Beisammensein auch nicht seinen besten Tag und hatte, als sie von einer zukünftigen Familiengründung sprach, einfach durchgedreht.
Tom war bei einer großen Investmentbank beschäftigt und im gleichen Alter wie Emma, nämlich 25. Er hatte ehrgeizige Pläne, strebte in die Führungselite seiner Bank. Da konnte er nicht an Heirat oder gar Kinder denken.
Emma hörte im Geiste die Worte ihrer Mutter: “Nimm dich in Acht vor diesem jungen Mann. Er ist sehr charmant und sehr ehrgeizig. Aber als Familienvater kann ich ihn mir überhaupt noch nicht vorstellen!“
Emma hatte ihn einmal am Wochenende zu ihren Eltern mitgebracht und Tom hatte sich tadellos benommen.
Kurz vor dem Abschied hatte Mutter, als sie einen Augenblick allein waren, so ganz nebenbei angefangen, von Emmas altem Freund Alan zu erzählen.
„Er will eine Familie gründen, das hat mir seine Mutter neulich erst anvertraut. Und jetzt, wo er die große Privatpraxis hier in Brighton hat, kann er sich das auch leisten.“
Alan war so etwas wie Emmas Jugendfreund. Er lebte mit seiner verwitweten Mutter in einer alten Villa, einen Steinwurf weit vom Meer entfernt. Emmas Eltern wohnten in der unmittelbaren Nachbarschaft. Als kleines Mädchen hatte Emma sich geschmeichelt gefühlt, dass der fünf Jahre ältere Alan sich überhaupt mit ihr abgab. Später hatte er ihr manchmal bei den Schularbeiten geholfen. Als sie nach London ging, hatten sie sich aus den Augen verloren. Aber oft, wenn sie zufällig zur gleichen Zeit nach Brighton kamen, hatten sie sich gesehen und waren miteinander ausgegangen. Aber von sexueller Anziehung hatte wenigstens Emma nichts gespürt. Alan war für sie wie ein großer Bruder.
Ganz anders ging es ihr mit Tom. Als sie ihn zum ersten Mal im Frühjahr auf einer Party traf, war es, als hätte der Blitz sie getroffen. Sie war ihm vom ersten Moment an verfallen. Obwohl sie sich vornahm, nicht zum Heer jener verliebten Frauen zu gehören, die ihre Zeit wartend am Telefon verbrachten, ertappte sie sich manchmal dabei, dass sie Verabredungen mit Freundinnen aus dem Weg ging, in der Hoffnung, dass Tom für sie Zeit hatte.
Doch das war jetzt Vergangenheit. Nach ihrem letzten Streit wusste Emma, dass Tom nicht der Richtige war, wenn es auch sehr, sehr weh tat.
Der Londoner Vorweihnachtstrubel nahm sie auf. Die Fassaden der Geschäftshäuser überboten sich mit Lichterschmuck und aus den Kaufhäusern dröhnte Weihnachtsmusik.