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Dieser Band enthält folgende Romane: Urlaub auf Hohensteinburg (Anna Martach) Mein Herz gehört nur mir (Anna Martach) Morgendämmerung für die große Liebe (Grace Livingston Hill) "Ach, Franzi, was ist das nur wieder für ein Tag", seufzte die alte Liesel Korbmacher, als sie die kleine Poststation betrat. Liesel war bekannt dafür, den ganzen Tag zu jammern, obwohl sie keinen rechten Grund dafür besaß. Die alte Dame war aber nun schon im gesegneten Alter von fast 75 Jahren, und so nahm es ihr niemand übel, wenn sie über die Schlechtigkeit der Welt, ihre eigenen Gebrechen und das Leben allgemein lamentierte. Sie besaß auf jeden Fall auch ein gutes Herz und half noch immer mit Rat und Tat, wenn es gebraucht wurde. "Was für ein Tag soll's denn schon sein, Frau Korbmacher? Die Sonne scheint, wir haben wahrhaft einen goldenen Herbst, und die Pilze sprießen auch schon", gab das bildhübsche Madl zurück und verbarg ein Lächeln. "Ach, was weiß denn das Jungvolk schon? Ich spüre alles in den Knochen. Einen frühen Winter wird's geben, und einen harten dazu. Aber ein bisserl hat's noch Zeit. Jetzt schickst erst mal dieses Packerl hier an meine Tochter nach Australien." Franziska Öttinger, Franzi genannt, kannte den Vorgang schon, etwa alle 3 Monate schickte Liesel ein Paket an ihre Tochter Magdalena, die in Australien verheiratet war und nur selten noch nach Niederburgbach kam.
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Seitenzahl: 651
Veröffentlichungsjahr: 2025
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3 Liebesromane im Auswahlband mit Herz Mai 2025
Copyright
Urlaub auf Hohensteinburg: Geliebter Fürst Roman
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Mein Herz gehört nur mir
Morgendämmerung für die große Liebe: Roman
Dieser Band enthält folgende Romane:
Urlaub auf Hohensteinburg (Anna Martach)
Mein Herz gehört nur mir (Anna Martach)
Morgendämmerung für die große Liebe (Grace Livingston Hill)
„Ach, Franzi, was ist das nur wieder für ein Tag“, seufzte die alte Liesel Korbmacher, als sie die kleine Poststation betrat. Liesel war bekannt dafür, den ganzen Tag zu jammern, obwohl sie keinen rechten Grund dafür besaß. Die alte Dame war aber nun schon im gesegneten Alter von fast 75 Jahren, und so nahm es ihr niemand übel, wenn sie über die Schlechtigkeit der Welt, ihre eigenen Gebrechen und das Leben allgemein lamentierte. Sie besaß auf jeden Fall auch ein gutes Herz und half noch immer mit Rat und Tat, wenn es gebraucht wurde.
„Was für ein Tag soll’s denn schon sein, Frau Korbmacher? Die Sonne scheint, wir haben wahrhaft einen goldenen Herbst, und die Pilze sprießen auch schon“, gab das bildhübsche Madl zurück und verbarg ein Lächeln.
„Ach, was weiß denn das Jungvolk schon? Ich spüre alles in den Knochen. Einen frühen Winter wird’s geben, und einen harten dazu. Aber ein bisserl hat’s noch Zeit. Jetzt schickst erst mal dieses Packerl hier an meine Tochter nach Australien.“
Franziska Öttinger, Franzi genannt, kannte den Vorgang schon, etwa alle 3 Monate schickte Liesel ein Paket an ihre Tochter Magdalena, die in Australien verheiratet war und nur selten noch nach Niederburgbach kam.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
von Anna Martach
Nach dem Unfalltod ihrer Eltern zieht die junge Johanna Gassner zu ihrer strengen alten Großtante Agatha von Sieburg auf deren großherrschaftliches Gut Hohensteinburg. Differenzen zwischen den beiden Frauen lassen sich nicht vermeiden. Aber irgendwie arrangieren sie sich, so dass doch schließlich ein gutes Miteinander da ist. Johanna trifft auf dem Gut zwei Männer, und zwar den bodenständigen Verwalter Bernhard und den lebenslustigen Martin, ein Neffe ihrer Großtante aus einer anderen Verwandtschaftslinie. Beide Männer interessieren sich sehr für Johanna. Für wen wird sie sich entscheiden?
Ein schriller Pfiff hallte durch das malerische Tal, die alte Bergbahn schnaufte und setzte sich mit einem ansteigenden Stöhnen wieder in Bewegung. Die einzige Person, die ausgestiegen war, stand etwas verloren da und schaute suchend um sich. Die Sonne tauchte das Filzachtal in eine goldene Harmonie, durchbrochen von langgezogenen Hügeln mit dunklen Tannen und leuchtend grünen Weiden.
Die romantische Schönheit war im Augenblick jedoch verschenkt für Johanna Gassner. Die junge Frau stand, nach dem plötzlichen Unfalltod der Eltern, buchstäblich vor dem Nichts, denn auch die geplante neue Stelle als Erzieherin war ein Reinfall gewesen. Johanna hatte tatsächlich vor einem großen schwarzen Loch gestanden, als der Anruf eines Rechtsanwalts ihr ganzes Leben umgewandelt hatte.
»Ihre verehrte Großtante, Frau Agatha von Sieburg, hat Kenntnis davon erlangt, welch schweres Schicksal Sie getroffen hat. Die gnädige Frau bietet Ihnen an, auf Gut Hohensteinburg ein neues Zuhause zu finden.«
Im ersten Moment hatte Hannerl an einen schlechten Scherz geglaubt, als die sonore Stimme des Anwalts mit dieser geschraubten Redeweise das unglaubliche Angebot machte. Aber mit solchen Themen scherzte man nicht! Außerdem konnte sich Johanna an einige Erzählungen des Vaters erinnern, in denen von einer Tante Agatha die Rede gewesen war. Eigentlich hatte Johanna geglaubt, dass die alte Dame schon längst nicht mehr lebte, sie musste an die achtzig Jahre zählen. Und was man sich über sie erzählte, war nicht unbedingt dazu angetan, sich ein rosiges Bild der Zukunft auszumalen. Streng und herrisch sollte sie sein, schwierig im Umgang und steinreich.
Zwei Ehemänner hatte sie überlebt und auf dem Gut hörte alles auf ihr Kommando. Offenbar war das in Ordnung so, denn es hieß auch, dass das Geld sich unter ihrer Herrschaft vermehrte. Doch was für eine Frau mochte das sein, die alles und jeden fest in der Hand hielt und keinen Widerspruch duldete? Das war es jedenfalls, was Hannerl sich nach und nach ins Gedächtnis zurückrief.
Wollte sie zu dieser Frau? Nein, eigentlich nicht. Und doch war es augenscheinlich die einzige Verwandte, die ein Interesse an ihr zeigte und der ihr Schicksal nicht egal war. Auf der stillen Beerdigung der Eltern hatten einige wenige Verwandte ihr stumm die Hand gedrückt, etwas von einer Tragödie gemurmelt und sich ganz schnell wieder verzogen. So stand die gerade mal 19 Jahre alte Johanna allein da, bis der seltsame Anruf kam. Sie war nicht völlig überzeugt von dieser Lösung, doch etwas von der Unbeugsamkeit der Familie ihres Vaters steckte auch in ihr. Sie musste jeden rettenden Strohhalm ergreifen! Er hätte sicher gewollt, dass sie sich dem Leben stellte und kämpfte. Also würde sie einen Versuch machen und erst einmal feststellen, ob alles der Wahrheit entsprach, was man sich über Tante Agatha erzählte.
Da Johanna im Augenblick eine ausgeprägte Abneigung gegen das Autofahren hatte, war sie mit dem Zug angereist.
Der Bahnhofvorsteher schaute sie neugierig an, wurde dann aber abgelenkt. Es kam ein livrierter Mann auf sie zu.
»Fräulein Gassner?«
»Na, wird schon so sein. Oder sehen S’ sonst noch jemanden hier warten?«, versuchte sie ihre Überraschung zu überspielen.
Der Mann in der Livree lächelte nicht, doch seine Augen blickten mitleidig auf ihre preiswerte Kleidung und ihren bescheidenen Koffer.
»Die gnädige Frau schickt mich, um Sie abzuholen. Ist das Ihr ganzes Gepäck?« Er deutete auf den Koffer, der neben Johanna stand, und bückte sich. Das war ihr peinlich. Sie wollte sich doch nicht von einem älteren Mann das Gepäck tragen lassen. Doch er war schneller.
»Mein Name ist Karl«, sagte er und ging einfach voran.
Hanna blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, doch direkt vor dem Bahnhof verschlug es ihr die Sprache. Das konnte doch nicht sein!
Dort wartete ein pechschwarzes blitzblankes Auto, ein Rolls Royce. Karl stand schon da und hielt ihr die Tür zum Rücksitz auf. Johanna fühlte sich wie in einem Traum und bekam von der Fahrt nicht viel mit. Erst als der Wagen anhielt und das Madl feststellte, dass es sich auf einem großen Hof befand, kam es wieder zu sich. In der Mitte gab es ein riesiges Beet mit gepflegtem Rasen und Blumen und einem Springbrunnen, der munter plätscherte. Die dazugehörigen Gebäude umschlossen den Hof in einem Geviert.
Der Wagen hielt direkt vor der breiten Freitreppe des Haupthauses. Das war Hohensteinburg?
Bevor Johanna noch weiter nachdenken konnte, wurde die Tür mit Schwung aufgerissen. Ein Mann lachte sie an und streckte ihr die Hände entgegen.
»Willkommen auf Hohensteinburg! Du lieber Himmel, es hat mir ja keiner gesagt, dass wir eine Prinzessin zu Besuch bekommen. Ich bin Bernhard Schönegger, der Verwalter.«
Seine blauen Augen ruhten mit sichtlichem Wohlgefallen auf der jungen Frau. Hanna errötete. Sie betrachtete die starke Hand, die sich ihr entgegenstreckte und fragte sich unwillkürlich, ob der ganze Mann so vertrauenswürdig war wie diese Hand. Sie griff zu und stand gleich darauf dem Verwalter gegenüber.
Für diese verantwortungsvolle Aufgabe schien er noch relativ jung zu sein. Ende zwanzig oder Anfang dreißig höchstens. Doch er strahlte tatsächlich Ruhe und Vertrauenswürdigkeit aus. Nun, vielleicht würde sich dieser Aufenthalt ja doch noch als segensreich erweisen. Wenn es hier einen so fröhlichen und aufgeschlossenen Menschen gab, konnte Tante Agatha doch gar nicht so schlimm sein, oder?
Bernhard betrachtete Johanna voller Vergnügen. Goldblondes Haar fiel in lockeren Wellen bis auf die Schultern, rehbraune Augen blickten ein wenig ängstlich und neugierig in die Welt und die schlanke sportliche Gestalt deutete an, dass Johanna nicht zu denen gehörte, die sich oft auf der faulen Haut ausruhen wollten.
»Ich freue mich, dass ich Sie als erster begrüßen darf«, fuhr der Mann fort. »Ihre Großtante ist schon neugierig, was für ein Mensch Sie sind.« Er strahlte sie mit seinen blauen Augen an, Johanna war fasziniert.
Karl stand plötzlich neben ihr. »Ich werde das Gepäck in Ihre Räume bringen lassen«, erklärte er und schritt einige Stufen die Treppe hoch, wo ein Dienstmädchen ihm den Koffer abnahm. Hannerl fühlte sich immer mehr wie in einem seltsamen Traum gefangen.
»Nun gehen S’ schon, Ihre Großtante ist eine bemerkenswerte Dame, wenn man sie erst einmal kennt. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder.«
Bernhard ging mit raschen Schritten davon und Johanna fühlte sich plötzlich alleingelassen. Sie fühlte die forschenden Augen des Dienstmädchens, dann gab sie sich einen Ruck und ging die Treppe hinauf.
»Die gnädige Frau erwartet Sie im Kleinen Salon. Folgen S’ mir bitte?« Johanna ging hinterher und bemühte sich das Staunen zu unterdrücken.
Der Kleine Salon war so groß wie die ganze Wohnung, in der Johanna bisher mit den Eltern gewohnt hatte. Und trotzdem wirkte die kleine, zarte, uralte Dame, als könnte sie diesen Raum mühelos allein ausfüllen.
Schneeweiße Haare, ein energisches Kinn, scharfe graue Augen und ein verkniffener Mund das war Tante Agatha?
»Willkommen auf Hohenstein, mein Kind. Du hast eine kluge Entscheidung getroffen. Für eine Frau allein ist dieses Leben da draußen nichts. Schon gar nicht für eine junge Frau. Du darfst Tante zu mir sagen und ich erwarte selbstverständlich, dass dein Benehmen tadellos ist.«
Hanna war wie erschlagen von dieser Begrüßung. Sie ließ sich ungefragt in einen Stuhl fallen und begann hemmungslos zu weinen.
»Das war der Irrtum des Jahrhunderts«, schimpfte Johanna leise vor sich hin, während sie unruhig auf und ab lief. Sie befand sich in dem Wohnzimmer, das zu ihren Räumen gehörte und konnte noch immer nicht glauben, was sie an diesem Tag alles erlebt hatte.
Was sie nun wirklich von ihrer Großtante erwartet hatte, konnte sie nicht einmal sagen. Doch ganz bestimmt entsprach das Verhalten von Agatha von Sieburg nicht dem, was Johanna gehofft hatte.
Die alte Dame war etwas mühselig aufgestanden, gestützt auf einen Gehstock mit einem silbernen Knauf.
»Also, was gibt es denn da zu weinen? Johanna, ich muss doch wirklich bitten! Die Frauen in unserer Familie sind immer erstaunlich zäh gewesen. Auch wenn sie sich natürlich nicht so stark geben konnten wie unsere Männer. Das ist schließlich die Aufgabe eines Mannes, die Frauen zu beschützen und vor der grausamen Wirklichkeit da draußen zu bewahren.«
Schlagartig versiegten die Tränen bei Hanna und ein schüchternes Lächeln bahnte sich einen Weg.
»Tante Agatha, ich bitt’ dich, Frauen sind heutzutage stark genug, um selbst mit dem Leben fertig zu werden«, widersprach sie leise. »Schau, ich hab’ noch eine große Trauer im Herzen, aber mit der Zeit...«
»Papperlapapp«, unterbrach die alte Dame energisch. »Es gibt Dinge, an denen sich in diesem Leben nichts mehr ändern wird. Ich erwarte von dir, dass du Stil und Haltung zeigst. Die öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen gehört nicht dazu. Nun gut, ich sehe ein, dass du vermutlich noch unter Schock stehst. Kein Wunder nach dieser Tragödie. Ich habe deinen Vater nicht sehr gut gekannt, aber alle Männer in dieser Familie waren kräftig und standhaft. Eine Schande ist es, dass er dich nicht früher zu mir gebracht hat. Ich hätte viel für dich tun können. Vor allem eine anständige Erziehung hätte ich dir angedeihen lassen können. Wir werden sehen, was noch zu machen ist. Du wirst jetzt in deine Zimmer gehen, um dich auszuruhen. Morgen müssen wir einkaufen. Du brauchst anständige Kleider. Meine Nichte kann nicht derart billig herumlaufen.«
Das war denn doch zu viel für Hanna. »Tante Agatha, ich bin dir sehr dankbar, dass du mich eingeladen hast, aber ich bin durchaus in der Lage...«
»Mehr erwarte ich im Moment auch nicht, Johanna. Dankbarkeit. Du darfst dich entfernen.«
Völlig verwirrt hatte Hanna den Salon verlassen. Draußen wartete das Dienstmädchen.
»Kommen S’, Fräulein Johanna, ich zeig Ihnen Ihre Zimmer. Ich bin übrigens die Vreni oder vielmehr Veronika. Die gnädige Frau mag Abkürzungen net.«
»Das glaub’ ich gern«, stöhnte Hanna. »Ich will hoffen, sie mag überhaupt was.«
Ein leises Kichern erklang. »Net viel«, kam es flüsternd. »Die gnädige Frau ist manchmal ein bisserl schwierig, aber dafür hat hier alles seine Ordnung. Und die Bezahlung lässt auch nix zu wünschen übrig.«
Es gab eigentlich keinen Grund dafür, doch zwischen den beiden jungen Frauen herrschte augenblicklich ein Einverständnis. Veronika und Johanna fühlten sich verbunden, weil sie beide nicht in diese steife Umgebung gehörten. Jedenfalls nicht gleichberechtigt mit Agatha von Sieburg. Es war für Hanna tröstlich, dass sie sich nicht mehr allein fühlte. Natürlich, auch ihre Eltern hatten Stil und Stolz besessen, doch zur Erziehung hatten ebenso Höflichkeit, Bescheidenheit, Bildung und Rücksichtnahme gehört. Die doch sehr antiquierte Art der Großtante wirkte auf Johanna fremd und kalt.
Es passte jedoch nicht zu ihr, die Flinte gleich ins Korn zu werfen. Sie würde ein paar Tage abwarten und sehen, ob in der folgenden Zeit der erste Eindruck bestätigt wurde. Bis dahin war es sicher klug, die ganze Angelegenheit mit etwas Humor zu betrachten. Vielleicht war es auch noch viel zu früh, ein Urteil zu fällen, schließlich kannten Tante Agatha und sie sich gar nicht.
Nachdem Hanna zu dieser Erkenntnis gekommen war, beendete sie ihren unruhigen Rundgang und sah sich unvermittelt Vreni gegenüber.
»Ich hab’ Ihre Sachen in den Schrank gepackt, Fräulein Johanna. Aber, ich fürchte, die gnädige Frau wird die Sachen net so gut finden.«
»Was, bitte, könnte ihr daran denn net Recht sein? Und bitte, Vreni, sagen S’ um Gottes willen net Fräulein Johanna zu mir. Da tät’ ich mir ja vorkommen wie na ja, wie eine überdrehte Dame.«
Vreni hielt inne und lachte dann plötzlich auf. »Das hab’ ich jetzt besser net gehört. Und ich denk’ ja auch nur. Aber die gnädige Frau wird Ihnen schon sagen, was ihr wichtig ist. Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
»Nein, danke, ich bin’s eh net gewöhnt, dass mir jemand die Arbeit abnimmt. Vielen Dank, Vreni.«
Das Mädchen entfernte sich und Hanna wappnete sich mit Geduld, um das anstehende Abendessen in Ruhe zu überstehen.
Die erste Nacht in einem fremden Bett ließ Hanna kaum Schlaf finden. Und sie war auch am frühen Morgen schon wach. Die Sonne war gerade aufgegangen, jetzt im Spätsommer ein wundervoller Anblick, musste Hanna zugeben, die am Fenster nach Osten stand und das atemberaubende Panorama betrachtete.
Auf dem Hof ging der junge Verwalter mit flotten Schritten auf ein niedriges Gebäude zu und Hanna spürte plötzlich eine unbestimmte Sehnsucht. Er war eigentlich ein ganz normaler Mensch, der ihr freundlich entgegengekommen war und mit seiner Fröhlichkeit viel dazu beigetragen hatte, dass ihr der gestrige Tag nicht völlig als Katastrophe im Gedächtnis geblieben war. Bernhard Schönegger schien irgendwie auch nicht hierher zu gehören. Sie spürte, dass sie gern mehr über ihn wissen würde. Es müsste schön sein, ihn besser kennenzulernen.
Hanna rief sich energisch zur Ordnung. Wie kam sie denn auf solche Gedanken? Sie kannte diesen Mann doch gar nicht. Und doch Bernhard verhielt mitten im Schritt und schaute am Gebäude hoch, bis er Hanna in die Augen schauen konnte, so, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt.
Selbst auf die Entfernung hin konnte sie das Lachen in seinem sympathischen Gesicht sehen. Johanna fühlte, dass sie errötete. Bernhard winkte und sie öffnete das Fenster, verlegen und beschämt, so als hätte man sie beim lauschen erwischt.
»Guten Morgen, Fräulein Johanna«, grüßte Bernhard. »Wie schön, noch ein Frühaufsteher. Hätten S’ Lust, eine Runde mit mir zu reiten?« Seine klare Stimme klang tragend über den ganzen Innenhof von Hohensteinburg. Du lieber Himmel, jeder konnte zuhören. Aus irgendeinem Grund wollte Hanna nicht, dass jedermann die fröhliche Stimme hörte.
»Ich komm runter, warten S’ einen Augenblick«, sagte sie und erhaschte ein Aufblitzen der blauen Augen. Rasch schlüpfte sie in eine Hose und einen Pulli. Reiten konnte sie ohnehin nicht, aber Pferde waren eine angenehme Überraschung für sie, denn Johanna liebte Pferde.
Auf dem Weg nach unten begegnete sie Vreni, die sie erstaunt anblickte.
»Guten Morgen«, rief Hannerl und war schon weiter, noch bevor das Dienstmädchen etwas über das Frühstück sagen konnte.
Die Luft war noch recht frisch, duftete würzig und deutete schon jetzt auf einen warmen, sonnigen Tag. Bernhard hatte gewartet und musterte jetzt etwas irritiert ihren Aufzug. Er selbst trug eng anliegende Hosen, ein weißes Hemd und ein Reitsakko, dazu hohe Stiefel und eine Gerte in der Hand.
»Ja, in den Sachen wollen S’ doch bestimmt net aufs Pferd steigen?« wunderte er sich und streckte die Hand zur Begrüßung aus.
Hanna wurde schon zum zweiten Mal an diesem Tag rot.
»Ich kann doch gar net reiten«, gestand sie. »Aber ich hab’ mir gedacht, weil S’ gestern schon so freundlich zu mir gewesen sind, wär’s ganz nett, wenn ich Ihnen vielleicht zuschauen könnt.«
Er hielt verblüfft inne und lachte dann herzhaft auf. »Ich glaub’, so was Nettes hab’ ich schon lang nimmer gehört. Net reiten können, aber zuschauen wollen?« Er schüttelte den Kopf, begann dann aber zu überlegen. »Da sollt’ man doch was dran ändern. Hätten S’ denn net Lust, mal einen Versuch zu wagen? Ich bin sicher, die gnädige Frau wird früher oder später sowieso darauf bestehen, dass Sie das lernen.«
»Reitet Tante Agatha etwa noch?«, fragte Hannerl verblüfft.
Bernhard lachte wieder. »Ich sagte schon, Ihre Tante ist eine bemerkenswerte Frau und sie reitet tatsächlich noch im Damensitz.«
Das konnte sich Hanna nun gar nicht vorstellen. Bernhard griff nach ihrem Arm und zog sie mit sich, ein Prickeln durchfuhr ihren Körper und wieder einmal rief sie sich zur Ordnung. Hanna wusste nicht, weshalb sie so reagierte. Die Nähe dieses Mannes beruhigte und beunruhigte sie gleichermaßen. Doch dann verwandelte sich ihre Verwirrung in Entzücken, als sie mit Bernhard zusammen den Stall betrat.
»Normalerweise reite ich morgens eine Stunde in die Landschaft. Heut’ werden wir das Programm ein bisserl ändern. Ich bin dafür, dass Sie gleich mal einen Versuch machen, auch wenn S’ net die passende Kleidung haben.«
»Das ist net Ihr Ernst«, protestierte Hanna, doch der Verwalter machte einem der Stallburschen ein Zeichen.
»Sattel mal die Viola. Fräulein Johanna sollte damit zurechtkommen.«
Protest war jetzt unmöglich, außerdem war Johanna viel zu aufgeregt und neugierig, um sich zu drücken. Es dauerte nur kurze Zeit, bis das Pferd fertig gesattelt vor ihr stand. Bernhard lächelte aufmunternd.
»Na, kommen S’, ich helf’ Ihnen.«
Das Tier erschien Johanna auf einmal viel zu groß, die Steigbügel unendlich weit entfernt. Niemals würde sie auf diesen hohen Rücken hinaufkommen! Jemand drückte ihr die Zügel in die Hand und Bernhard beugte sich nieder.
»So, den linken Fuß in den Bügel, mit den Händen am Sattel vorn festhalten und dann das andere Bein mit Schwung über den Rücken.« Er hätte ebenso gut chinesisch reden können, Johanna verstand plötzlich kein Wort mehr. Doch ihr Körper bewegte sich auf einmal ohne ihr Zutun. Ehe sie sich versah, saß sie hoch oben im Sattel und klammerte sich fest.
»Schön gerade sitzen bleiben«, mahnte Bernhard, der sich köstlich zu amüsieren schien. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
Mühelos stieg er selbst auf, bei ihm sah das alles so einfach aus. Der Mann griff hinüber und nahm einen der Zügel von Johannes Pferd an sich.
»Halten S’ sich bitte net so krampfhaft fest, es reicht wenn S’ sich mit den Schenkeln im Sattel halten. Die Viola ist lammfromm und weiß schon selbst, worauf es ankommt.«
Mit langsamen Schritten setzte sich das Tier in Bewegung und Hannerl spürte augenblicklich den Rhythmus, an den sie sich instinktiv anpasste.
»Sie halten sich gut«, lobte Bernhard. Genau in diesem Augenblick passte Johanna nicht auf und rutschte fast aus dem Sattel. Krampfhaft klammerte sie sich an der Mähne des Tieres fest.
»Was hat dieser komödiantische Aufzug zu bedeuten?«, erscholl unvermittelt die Stimme von Tante Agatha. Johanna bekam erst recht einen Schrecken und ließ abrupt los, was zur Folge hatte, dass sie aus dem Sattel rutschte. Das Pferd scheute, mühte sich, nicht auf das so plötzlich aufgetauchte Hindernis zu treten und brachte damit auch Bernhard und sein Tier aus dem Tritt.
Aber dann sprang der Mann schon aus dem Sattel und beugte sich besorgt über Hanna.
»Sind S’ verletzt? Können S’ aufstehen? Ich hätte vielleicht besser aufpassen sollen, tut mir sehr leid, Fräulein Johanna. Kommen S’, ich helf’ Ihnen.«
»In zwei Minuten in meinem Arbeitszimmer«, bestimmte Tante Agatha mit kalter Stimme und verschwand wieder im Haus.
»Ach, herrjeh, ich fürcht’, jetzt kriegen wir zwei ganz furchtbar den Kopf gewaschen«, erklärte Bernhard mit Trauermiene, obwohl er glücklich war, dass Hanna sich nicht verletzt hatte.
Sie zuckte die Achseln. »Ich werd’s wohl überstehen. Aber wie schaut das mit Ihnen aus?«
»Das eben war eine unmögliche Situation, ausgesprochen peinlich und weder meiner Großnichte noch einem Mann in Ihrer Stellung würdig. Solche Würdelosigkeiten schätze ich ganz und gar nicht.« Tante Agatha saß hinter ihrem penibel aufgeräumten Schreibtisch und blickte den beiden mit eisigem Gesicht entgegen.
Bernhard senkte den Kopf, doch er wirkte nicht gerade verlegen. Johanna stellte sich schützend vor den Mann, sie wollte nicht Schuld daran sein, dass er, auf Grund dieses kleinen Vorfalls, seine Stellung verlor.
»Tante Agatha, bitte, es lag an mir«, erklärte sie tapfer. »Als ich Herrn Schönegger sagte, dass ich nicht reiten könnte, bot er mir an, einen Versuch zu machen, wies aber darauf hin, dass meine na ja Ausrüstung nicht entsprechend wäre. Ich habe mich trotzdem dafür entschieden. Mach’ ihm also bitte keine Vorwürfe.«
Die Augen der alten Dame richteten sich wie die eines Raubvogels auf Hanna, die am liebsten einfach gegangen wäre.
»Ich zweifle nicht daran, dass diese absurde Idee deine volle Zustimmung gefunden hat, mein Kind. Schließlich kommst du aus Kreisen, in denen offenbar spontanes und unüberlegtes Verhalten an der Tagesordnung war. Dein Vater hat leider versäumt, dir eine angemessene Erziehung angedeihen zu lassen.«
Johanna wollte auffahren, aber noch bevor sie ein Wort zur Verteidigung ihres Vaters ausstoßen konnte, ließ eine herrische Handbewegung sie innehalten.
»Es ist verständlich, dass du deine Familie verteidigen willst, aber das ist nicht nötig. Ich weiß, was ich davon zu halten habe. Herr Schönegger, Sie kennen meine Grundsätze, ich bin erstaunt, dass Sie es für nötig gehalten haben, diese absurde Komödie noch zu unterstützen. Ich wünsche nicht, dass ein solcher Vorfall sich wiederholt. Noch heute werde ich für eine angemessene Ausstattung meiner Großnichte sorgen. Sie hingegen engagieren einen kompetenten Reitlehrer.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Nicht reiten zu können unglaublich«, murmelte sie dann. »Das war alles, Herr Schönegger.«
Bernhard gestattete sich ein kleines Lächeln und verließ mit einer angedeuteten Verbeugung den Raum.
»Tante Agatha, ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du mich hier aufnehmen willst, aber ich bin eine moderne junge Frau, die notfalls auch allein durchs Leben kommen kann. Ich finde deine Ansichten, nun ja, etwas altmodisch und stark übertrieben.«
Agatha zeigte keinerlei Reaktion auf ihre Worte. »Wir werden gleich gemeinsam frühstücken, nachdem du diese Kleidung abgelegt hast. Anschließend kann Karl uns in die Stadt fahren. Es ist tatsächlich an der Zeit, dich angemessen auszustatten. Ich habe mich bei Veronika nach deiner Garderobe erkundigt. Sie lässt in jeder Beziehung zu wünschen übrig. Vergiss nicht, Johanna, wer und was du bist. Meine Nichte hat entsprechend ihrer Herkunft gekleidet zu sein.«
»Aber Tante, bisher hat meine Kleidung immer ausgereicht. Kommt es denn wirklich so sehr auf Äußerlichkeiten an?«
»Auf Hohensteinburg in jedem Fall. Ich will nicht daran denken, was die Nachbarn und die Verwandten sagen, wenn du nicht in einer entsprechenden Garderobe erscheinst. Ich halte dieses Thema jetzt für beendet. Geh nun und zieh dich um. Und merke dir, dass in diesem Hause das Frühstück gemeinsam um acht Uhr eingenommen wird.«
Hanna hatte das Gefühl, vor einer Wand zu stehen, an der alles abprallte, was sie sagte. Wollte oder konnte Tante Agatha nicht verstehen? Was sollte sie tun? Zu einer flammenden Rede ansetzen, zur Verteidigung ihres Vaters und ihrer selbst? Nein, sie konnte sich jedes Wort sparen. Abwarten, mahnte sie sich selbst zur Ruhe.
Ihr Entschluss, erst Mal die Ruhe zu bewahren, wankte bald.
Sie war mit Tante Agatha in die Stadt gefahren, nachdem die alte Dame beim Frühstück mit einem missbilligenden Blick darauf reagiert hatte, wie sich das Madl umgezogen hatte. Johanna empfand den praktischen Pullover und die gutsitzende Hose als durchaus angemessen, doch offenbar sah ihre Tante das vollkommen anders.
Das Frühstück verlief schweigsam, bis Tante Agatha aufstand. »Bist du fertig? Dann wollen wir fahren.«
Karl schien schon vorher seine Befehle bekommen zu haben, denn er wartete bereits vor der Treppe mit dem Wagen. In die Stadt, hatte die Tante gesagt, allerdings hatte sie nicht ausgesprochen, welche Stadt gemeint war. So wurde Hannerl plötzlich überrascht, als es bis in die nächste Großstadt ging. Vor einem teuer und vornehm aussehenden Geschäft hielt der Wagen und die Eingangstür wurde von zwei Frauen mittleren Alters geöffnet. Was dann folgte, war für Hanna jedoch ein Alptraum.
Tante Agatha gab in rascher Folge Anweisungen, einige junge Frauen begannen, auf einem Laufsteg Modelle zu zeigen und Hanna war entsetzt. Das sollte sie wirklich anziehen? Es mochte ja gut und teuer sein, doch auf sie wirkte es wie Mode aus dem vorvorletzten Jahrhundert. Nur Tante Agatha schien ausgesprochen zufrieden. Sie deutete auf mehrere Modelle.
»Diese Garderobe wird meine Nichte anprobieren. Dazu einen einfachen Reitanzug und etwas für die Cocktailstunde.«
Das war der Auftakt. Johanna musste jedes Teil anziehen und zwei Schneiderinnen standen mit Maßband und Stecknadeln daneben, um jede kleine Falte zu entdecken. Doch mittlerweile hatte Johanna mehr als genug von diesem Theater. Sie war soweit, dass sie Sackleinen mit Brokatbesatz akzeptieren würde, wenn nur diese Anprobe endlich ein Ende fand.
Irgendwann war Tante Agatha endlich zufrieden und die Besitzerin des Geschäfts ausgesprochen glücklich.
»Ach ja, genau, den Reitanzug braucht meine Nichte heute noch.«
»In dieser Größe kann ich leider nicht dienen.«
»Bis heute Nachmittag«, beendete die alte Dame ihren Satz und die andere Frau nickte schnell. Wie das funktionieren sollte, blieb Hanna ein Rätsel.
»Du solltest dieses Modell gleich anbehalten. Ich bin sicher, man wird hier eine passende Verwendung für deine bisherige Kleidung haben.«
Johanna schaute an sich herunter. Sie trug ein Kostüm, der Stoff war mit Sicherheit sündhaft teuer. Aber der Schnitt wirkte altmodisch in den Augen der jungen Frau. Sie kam sich jetzt unpassend angezogen vor, irgendwie verkleidet. Allerdings wagte sie keinen Widerspruch, Tante Agatha würde ohnehin kein Widerwort zulassen, schon gar nicht vor Angestellten.
Zum Essen ging es in ein vornehmes Restaurant, doch Johanna bekam kaum einen Bissen herunter. Immer wieder fragte sie sich, ob das wirklich das Leben war, welches sie in Zukunft führen wollte. Offenbar würde sie keine finanziellen Sorgen mehr kennen, aber dafür musste sie sich dem tyrannischen Wesen ihrer Tante unterordnen. Aber, und da begann in der jungen Frau der gesunde Menschenverstand einzusetzen, war Tante Agatha wirklich nur eine alte tyrannische Person, die jeden in ihrer Umgebung unter Kontrolle haben wollte? Oder war sie nicht vielmehr seit vielen Jahren eine einsame alte Frau, daran gewöhnt, den Anschein von Stärke aufrechtzuerhalten, den ihr das Schicksal auferlegt hatte? Als Hanna bis zu diesem Punkt ihrer Überlegungen gekommen war, fasste sie spontan einen Entschluss. Sie würde vorerst einen Urlaub auf Hohensteinburg verbringen.
Erst einmal wollte sie feststellen, ob Tante Agatha unter dem harten preußischen Panzer nicht doch ein Wesen mit Gefühlen war. Vielleicht konnte sie die alte Dame ein wenig aus der Reserve locken. Wäre es denn nicht schön, ein Lächeln auf dem gestrengen Gesicht zu sehen? Einen Versuch war es allemal wert, mochte es in der ersten Zeit auch sicher Zusammenstöße geben. Denn Hanna wollte ganz bestimmt nicht in jeder Beziehung über sich bestimmen lassen. Sie war mehr als nur eine Anziehpuppe oder ein Spielzeug.
Nach dem Essen fuhr Karl noch einmal bei dem Geschäft vorbei und packte anschließend etliche Pakete in den Kofferraum.
»Du brauchst natürlich auch noch anständiges Schuhwerk und Reitstiefel. Doch dazu müssen wir nicht in noch ein Geschäft gehen. Der Herr Obermayr kommt heute noch und bringt eine ausgesuchte Kollektion mit.«
Johanna grübelte darüber, was sie sich unter einer ausgesuchten Kollektion vorzustellen hatte.
Vreni holte denn mit einem wissenden Lächeln die Pakete aus dem Wagen und verschwand damit nach oben. Johanna war sicher, dass Tante Agatha bereits entsprechende Anweisungen gegeben hatte und ihre bisherige Garderobe auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde, falls sie nicht schnell etwas dagegen unternahm.
»Entschuldige bitte einen Augenblick«, rief Hanna und rannte förmlich hinter dem Dienstmädchen her. Der missbilligende Blick der alten Dame wurde ignoriert.
»Vreni, halt«, rief Hannerl und stürmte in ihr Zimmer.
»Stimmt was net? Kann ich helfen?«, erkundigte die sich freundlich.
»Vreni, meine Sachen, die, die ich mitgebracht habe, mein ich. Wo sind die?«
Das Dienstmädchen lächelte verschmitzt. »Nach Ansicht der gnädigen Frau sind die in der Mülltonne. Aber ich hab’ mir gedacht, dass Ihnen das net so gefallen tät’.«
Sie öffnete eine Kommode und deutete auf einen Stapel Kleidung in der hintersten Ecke versteckt.
»Ich danke Ihnen,Vreni.« Hannerl war erleichtert. Das Verschwinden ihrer alten Garderobe hätte einen endgültigen Schlussstrich gezogen und soweit war sie noch nicht.
»Nix zu danken. Aber was nutzt Ihnen das? Wenn S’ das noch mal anziehen, geht die gnädige Frau hoch wie eine Rakete.«
Unwillkürlich stellten die beiden jungen Frauen sich vor, wie die stets korrekte Agatha explodierte. Vreni kicherte und errötete.
»Entschuldigung, ich will ja net despektierlich sein«, murmelte sie und schlug die Augen nieder.
»O Himmel, Vreni, lassen S’ mich noch eines klarstellen, ich bin net hier, weil ich meine Großtante in irgendeiner Form besonders kenn’, gern hab oder gar ausnutzen will. Sie hat mich hergebeten und ich bin mir noch längst net sicher, ob ich auch bleiben werd’. Ich find’s net grad despektierlich, wenn wir hier unter uns sind und offen reden, solang das unter uns bleibt. Und nun decken S’ meine Sachen bloß wieder zu, bevor noch jemand was sieht.«
»Dann sollten S’ auch wieder hinuntergehen. Die gnädige Frau wird net sehr erfreut sein, wenn S’ scheinbar ohne Grund hier sind. Außerdem müssen S’ auch den nötigen Abstand zum Personal wahren.« Damit hatte Vreni gar nicht so Unrecht. Tante Agatha betrachtete Dienstpersonal als Menschen zweiter Klasse.
Johanna saß auf dem großen Pferd und hielt sich streng an die Anweisungen des Reitlehrers, den Bernhard engagiert hatte. Tante Agatha saß unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse und schaute dem Unterricht zu, kritisch, wie Hanna fürchtete. Sie trug die nagelneue Reitkleidung und war doch überrascht. Nicht nur, dass die Qualität hervorragend war, der Schnitt schmeichelte ihrer schlanken Figur und machte einen völlig anderen Menschen aus ihr. Auch die neuen Stiefel passten haargenau. Hanna hätte sich tatsächlich wie ein neuer Mensch fühlen können, wäre da nicht Bernhard gewesen, der in der großen Stalltür stand und herüber lachte. Freute er sich oder lachte er sie aus? Nein, ganz sicher nicht.
Das fröhliche Funkeln in seinen Augen, der anerkennende Blick, all das deutete darauf hin, dass er ihr Bewunderung entgegenbrachte.
Dieser kurze Augenblick hatte jedoch die Konzentration auf das Reiten gestört und im nächsten Moment fand sich Johanna auf dem Hosenboden sitzend, auf der Erde wieder. Von irgendwoher kam unterdrücktes Gelächter, brach aber sofort wieder ab, als Tante Agatha aufstand und einmal mit dem Stock auf den Boden stieß.
»Ich finde, meine Nichte sollte schneller lernen, sich im Sattel zu halten.«
Auch diese Worte kamen wie ein Gesetz, so als bedürfe es nur der Anweisung und alles ginge von allein.
»Ach, Tante, nun mach’ bitte kein Theater. Ich werd’s noch mal probieren und dann geht’s bestimmt schon besser.«
»Das erwarte ich. Halte dich gerade und lass dich nicht ablenken. Meine Nichte wird jede Aufgabe mit voller Konzentration und Hingabe auf sich nehmen, wie es sich gehört.«
So langsam lernte Hanna den Ausdruck »meine Nichte« hassen. Verbissen stand sie auf, schlug sich den Sand aus der Kleidung und stieg wieder in den Sattel. Aufsteigen hatte sie mittlerweile gelernt und auch, wenn ihr alle Knochen und Muskeln weh taten, wollte sie sich doch keine Blöße geben.
Irgendwann nahm auch diese Tortur ein Ende und Johanna ging breitbeinig und ziemlich steif die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Vreni kam, um zu helfen.
»Hat meine Tante sonst noch ein paar Überraschungen auf Lager?«, erkundigte sich Hanna und das Dienstmädchen kicherte.
»Dazu kann ich nix sagen. Die gnädige Frau hat sehr fest gefügte Ansichten. Da werden S’ wohl noch das eine oder andere erleben.«
»Oder einen Aufstand wagen«, kommentierte Hanna.
»Das würden S’ wirklich tun?«
»Ich weiß net. Fragen S’ mich das noch mal, wenn ich wieder lebe«, stöhnte sie. Vreni verschwand mit einem kurzen Lachen. Hannerl schlüpfte in bequeme Sachen und gab nichts darauf, dass ihre Tante damit vermutlich nicht einverstanden sein würde. Sie öffnete die Tür, um wieder hinunterzugehen und stand plötzlich Bernhard gegenüber. Ein heißer Strom durchfuhr sie. Zarte Röte zeigte sich auf ihren Wangen und sie ging unwillkürlich einen Schritt zurück.
Er machte ein betrübtes Gesicht. »Hab’ ich Sie irgendwie verärgert? Das wollte ich auf keinen Fall. Eigentlich wollte ich Ihnen noch erzählen, dass Sie auf dem Pferd ganz entzückend ausschauen.«
Irritiert blickte sie ihn an. Machte er sich jetzt lustig über sie? Aber nein, sein Blick war ehrlich und klar. Sie lachte verlegen auf.
»Danke, aber so ganz wohl fühle ich mich damit noch net.«
»Versuchen S’ das einfach weiter, ich bin sicher, es wird Ihnen schon bald gefallen.«
»Na, Sie müssen es ja wissen«, gab sie etwas schnippisch zurück und ging nun an ihm vorbei. Verblüfft blieb Bernhard stehen und schaute ihr hinterher.
Donnerwetter, die konnte ja richtig bissig werden, auch wenn ihm nicht ganz klar war, aus welchem Grund Johanna sich so benahm. Natürlich musste sie sich erst einmal hier eingewöhnen und sicher musste auch die gnädige Frau einige Zugeständnisse machen. Die zwei mussten sich halt zusammenraufen, auch wenn das sicher nicht ohne Zusammenstöße abgehen würde. Im Grunde konnte man sich vielleicht sogar ein wenig darüber amüsieren, wie es zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen ausgehen würde, denn bei beiden handelte es sich um starke Persönlichkeiten, die nicht leicht nachgeben würden.
Bernhard hoffte, dass Johanna nicht zu viel von sich selbst preisgeben musste. Er hatte das Madl auf den ersten Blick schätzen gelernt und ihr Lachen war dazu angetan, das Herz des Mannes ständig schneller schlagen zu lassen. Noch war ihm nicht bewusst geworden, dass er sein Herz längst verloren hatte. Mit jeder Minute aber fühlte er sich mehr zu Hanna hingezogen, wusste aber im gleichen Augenblick, dass eine Verbindung zwischen ihnen vermutlich mehr Leid als Freud hervorrufen würde.
Ach, was dachte er denn da? War das nicht total verrückt? Bernhard schüttelte den Kopf über sich selbst. So ein Unsinn, dachte er nachdenklich. Aber war Johanna nicht wirklich etwas Besonderes? Vor seinem geistigen Auge schob sich über das junge lächelnde Gesicht ein anderes. Die harten forschenden Augen und die abweisende Miene von Agatha von Sieburg machten ihm deutlich, dass er zu viel wagte.
Eine ganze Woche weilte Johanna nun schon auf Hohensteinburg und jeder Tag hatte neue Überraschungen gebracht. Erstaunlich schnell hatte sich Tante Agatha an die Anwesenheit ihrer Großnichte gewöhnt. Es musste schon sehr lange her sein, dass jemand mit einem so fröhlichen Wesen längere Zeit in ihrer Nähe gelebt hatte. Natürlich war die alte Dame noch längst nicht soweit, vor sich selbst zuzugeben, dass es ihr gefiel, ein junges Madl in der unmittelbaren Umgebung zu haben. Für sich selbst stellte sie die Verpflichtung voran, sich um Johanna kümmern zu müssen. Dabei tat es ihr gut, jemanden zu haben, den sie rundum bemuttern konnte, wenn auch auf eine recht seltsame Art. Freundlich konnte Tante Agatha kaum sein, selbst wenn sie ein Lob aussprach, klang es aus ihrem Mund wie eine barsche Anweisung.
Hanna hatte sich in den ernten Tagen gefragt, ob sie hier wirklich länger als drei oder vier Tage aushalten würde. Scheinbar konnte sie ihrer Tante nichts Recht machen und auch, wenn sie sich bemühte, höflich, freundlich und tatsächlich dankbar zu sein, so erntete sie doch nichts weiter als kühle Antworten, die eher dazu angetan waren, ihr das Leben schwer zu machen. Erst als Hanna ungewollt Zeugin eines Gesprächs wurde, begriff sie in vollem Umfang, wie einsam Tante Agatha bisher gewesen sein musste.
Einmal pro Woche besprach die alte Dame mit der Köchin den Speiseplan. Hanna wollte gerade an die Tür des Arbeitszimmers klopfen, um etwas zu fragen, doch die Tür stand einen Spalt offen.
»Ich will, dass meine Nichte hier nur das beste bekommt«, sagte Tante Agatha gerade mit ihrer üblichen kalten Stimme, mit der sie das Leben aller Menschen hier auf Hohensteinburg regelte.
»Gnädige Frau, ich bitte um Entschuldigung, doch wir haben bisher noch nie Vollkornbrot, rohes Gemüse und dergleichen benutzt.«
»Und heißt das, es muss deswegen falsch sein?«, kam die kühle Entgegnung. »Ich habe dem bisher nichts abgewinnen können, doch wir sollten den Versuch machen. Offenbar gefällt es meiner Nichte recht gut.« Tatsächlich hatte Hanna beim Essen eine Bemerkung darüber fallenlassen, dass, trotz der sicherlich guten Köchin, das Essen ein wenig zu einseitig wäre. Braten, gekochtes Gemüse, langweilige Kartoffeln und süßer Pudding. Was gab es nicht alles für andere Möglichkeiten? Auch die Auswahl beim Brot ließ zu wünschen übrig. Tante Agatha hatte auf die leichte Kritik mit einem düsteren Blick und einer abweisenden Handbewegung reagiert. Um so erstaunter war das Madl jetzt, diese Worte zu hören. Ein wenig amüsierte sich Johanna nun über das empörte Luftholen der Köchin.
»Wir ändern also unsere ganze Art, nur weil das junge Fräulein net zufrieden ist damit, wie ich das Essen zubereite?«
»Ich bin bisher zufrieden damit, wie Sie kochen. Aber Sie werden meine Anweisungen ausführen und wir werden sehen.«
Hanna hatte genug gehört. Für sie kam es einem kleinen Lichtblick gleich, dass ihre Tante zu einem solchen Entgegenkommen bereit war. Lautlos ging sie ein paar Schritte zurück und trat dann kräftiger auf, klopfte aus dem Schwung heraus an die Tür und hörte gleich darauf die scharfe Antwort.
»Mein Kind, du solltest dir angewöhnen, nicht so gewöhnlich aufzutreten. Es macht einen sehr schlechten Eindruck, wenn meine Nichte nicht in der Lage ist, sich gesittet zu benehmen.«
»Ja, Tante, tut mir leid.« Hätte Hanna nicht erst vor wenigen Augenblicken gehört, dass es auch anders sein konnte, wäre sie vermutlich verzweifelt gewesen. Konnte sie denn überhaupt nichts recht machen?
»Gut, dass du da bist und sogar entsprechend gekleidet«, fuhr Tante Agatha unbeirrt fort. »Morgen Abend werden einige unserer Verwandten zu einem zwanglosen Essen kommen.«
»Unsere Verwandten?«, erkundigte sich Hanna und schüttelte nervös den Kopf. Die wenigen, die sie auf der Beerdigung ihrer Eltern kennengelernt hatte, wollte sie nicht Wiedersehen.
Tante Agatha runzelte die Stirn. »Ich habe mich wohl missverständlich ausgedrückt. Es handelt sich dabei um die Verwandtschaft meines zweiten Gatten, insofern ist das keine direkte Linie zu dir. Aber da du in meinem Hause lebst, sehe ich es als selbstverständlich an, dass du dich ihnen angemessen präsentierst.«
Was sollte das nun wieder? Aber Johanna wusste längst, dass sie auf eine Nachfrage keine ausreichende Antwort bekommen würde. Sie wollte Vreni fragen.
Zwischen den beiden jungen Frauen bildete sich gerade eine Freundschaft heraus und gegen Abend hockten sie gern beisammen, um sich zu unterhalten.
Bernhard hatte Hanna in den letzten Tagen gar nicht zu Gesicht bekommen und sie vermisste ihn. Seine ruhige Art, seine manchmal spöttischen Bemerkungen, das warme Leuchten in den Augen. Ihr war gar nicht bewusst geworden, dass sie sich, vom ersten Tag an, völlig auf ihn verlassen hatte. In einer Umwelt, die ihr fremd und kalt vorgekommen war, hatte Bernhard sich als Ruhepol erwiesen. Wo steckte er? Tante Agatha hatte, auf ihre kurze Nachfrage hin, kurz erklärt, er hätte zu tun.
Spät am Abend saß Hanna in ihrem Wohnzimmer, während Vreni die gebrauchte Kleidung an sich nahm.
»O Himmel, kannst net mal vergessen, dass du dauernd was zu tun hast? Komm her und hock dich neben mich, lass uns etwas schwatzen.«
Das Dienstmädchen zögerte, aber nur kurz. »Ist schon Recht«, murmelte sie dann.
»Du musst mir unbedingt was erzählen«, forderte Johanna. Wenn ihre Tante wüsste, dass sie sich mit einer Angestellten duzte, wäre das sicher wieder ein Grund für Missbilligung, aber solange niemand etwas wusste...
»Was hast denn für ein Problem?«, erkundigte sich Vreni mitfühlend.
»Sag mal, diese Verwandten von Tante Agatha, ich mein, die von ihrem zweiten Ehemann, wie sind die denn? Kann man mit denen klarkommen?«
»Ja, freilich, ganz bestimmt sogar. Aber nur dann, wennst selbst so eingebildet bist, dass du stolperst, weil die Nase so hoch in der Luft steht, dass du deine eigenen Füße nimmer sehen kannst.«
»Ach, herrjeh«, seufzte Hanna abgrundtief. »Und mit so was soll ich Zusammentreffen? Da bleib’ ich doch lieber hier oben und lese ein gutes Buch.«
Vreni lachte auf. »Ich glaub’ net, dass deine Tante das akzeptieren würde. Die käm’ hier herauf und tät’ mit dem Stock aufschlagen, bis du freiwillig hinuntergehst.«
Ihre Augen funkelten vor Vergnügen und Johanna seufzte noch einmal.
»So was will ich mir net mal vorstellen. Also gut, dann erzähl mal genauer, um wen es geht und worauf ich achten muss. Tante Agatha hat gemeint, ich sollt’ mich dementsprechend benehmen, was auch immer das heißen mag.«
»Na, dann pass mal auf. Da ist zunächst der Urban von Sieburg mit seiner Frau Dorothea. Ich weiß ja net, aber ich glaub’ fast, die sind tatsächlich hinter dem Vermögen der gnädigen Frau her, jedenfalls reden die ihr immer nach dem Mund. Dann ist da Gabriele Körner, die Schwägerin deiner Tante. Die glaubt, dass ihr Bruder, der verstorbene Friedrich von Sieburg, sie übers Ohr gehauen hat. Die tät’ sich ebenfalls benehmen, als gehörte alles ihr und schikaniert uns, während sie der gnädigen Frau dauernd erzählt, was sie falsch macht.«
»Und das lässt sich Tante Agatha gefallen?«, entfuhr es Johanna.
»Net so ganz, aber sie weist die Frau Körner auch net in die Schranken. Ach ja, ganz wichtig, Valentin und Emma von Sieburg mit der Josefine. Da weiß ich allerdings net so ganz, wie da die Verhältnisse sind. Auf jeden Fall versuchen die Eltern ständig, ihr Töchterchen der gnädigen Frau ans Herz zu legen, quasi als Erbin, verstehst? Die werden dich ganz bestimmt net mögen, weil du vielleicht ja auch was erben könntest.«
»Na, das sind ja tolle Aussichten«, stöhnte Johanna. »Gibt’s denn auch jemanden, der ein bisserl normal ist?«
»So wie du? Na ja, fast«, lachte das Mädchen. »Den direkten Neffen der gnädigen Frau, Martin. Aber mal ehrlich, ich halte ihn für einen Hallodri. Der flirtet mit allen Madln, aber treu sein kann der net.«
Johanna schaute aufmerksam auf Vreni.
»Du auch?«, fragte sie mitfühlend. Vrenis Wangen färbten sich rot.
»Ein bisserl schon. Aber das spielt keine Rolle.«
Johanna legte ihr eine Hand auf den Arm. »Mach’ dir nix draus, manche Männer sind halt so. War das jetzt alles?«
Vreni nickte. »Du wirst zwischen denen wirken, wie ein Kalb mit drei Köpfen.«
»Dann werd’ ich mich doch auch einfach so benehmen«, versprach Hanna und lächelte. Unbewusst dachte sie schon wieder an Bernhard. Wie wäre es wohl, würde er sich an ihrer Seite befinden? Dann konnte sie der ganzen Welt die Stirn bieten. So aber fühlte sie sich seltsam allein.
Welch ein Unsinn, mahnte sie sich selbst. Da ist nichts zwischen Bernhard und dir, schlag dir das Mannsbild aus dem Kopf.
»Hab’ vielen Dank, Vreni. Wenn man weiß, was einen erwartet, ist’s schon leichter.«
Das Dienstmädchen stand auf und nahm die Kleidung wieder an sich. »Wenn du dich da mal net täuschst. Aber das wirst ja morgen sehen. Pfüat di, Hannerl, eine gute Nacht wünsche ich dir.« Sie verschwand und Johanna dachte über dieses Gespräch nach. Nun gut, wenn es denn gar nicht ging, würde sie vermutlich auf die Lebensweisheit ihres Papas zurückgreifen, der gar nichts davon gehalten hatte, dass Menschen mit zu viel Einbildung und zu wenig Bildung auf andere hinabschauten. Seltsam getröstet durch diesen Gedanken ging sie zu Bett.
Es war noch viel schlimmer, als Johanna befürchtet hatte. Schon die Auswahl der Kleidung hatte Tante Agatha kritisiert. Nachdem Hanna schließlich mit einem mehr als konventionellen Kleid erschienen war, blieb keine Zeit mehr, sich zu erkundigen, wie die Tante selbst über die Besucher dachte. Die Hausdame führte bereits die Gäste herein.
»Urban und Dorothea von Sieburg«, stellte die alte Dame knapp und leise vor. »Sie werden dir wahrscheinlich nicht gefallen, weil sie keine eigene Meinung haben.«
Der Mann mittleren Alters schnappte nach Luft und die Frau, mit etwas zu viel Make-up im Gesicht, ließ ein nervöses Lachen hören.
»Liebe Tante, seit wann machst du Scherze? Mir scheint fast, deine liebe Nichte tut dir wirklich gut.«
Johanna brauchte nicht zu antworten, die nächsten Gäste standen bereits da. Valentin, Emma und Josefine starrten Hanna wortlos an, nachdem sie Tante Agatha übertrieben freundlich begrüßt hatten. In der nächsten Minute waren dann auch Gabriele Körner und Martin von Sieburg da. Die ebenfalls alte Dame wirkte schon auf den ersten Blick feindselig, während Martin ihr unbekümmert zulächelte.
»Ja, da schau her, frisches Blut und noch dazu so entzückendes; Tante, ich bin böse mit dir, dass du uns Hannerl so lang vorenthalten hast. Hannerl ist doch der Kosename?«
»Meine Nichte heißt Johanna«, beharrte die Hausherrin. »Das Essen kann serviert werden«, ordnete Tante Agatha dann an.
Ein so seltsames Essen hatte Johanna noch nie erlebt. Die Gespräche wirkten gezwungen und drehten sich um Nichtigkeiten oder um Personen, die sie nicht kannte. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, hätte ihrer Seele Luft gemacht und wäre anschließend davongelaufen. Doch sie beherrschte sich, als sie zwischenzeitlich verstohlene Blicke zu Tante Agatha warf. Die saß an ihrem Platz, musterte die Anwesenden und sprach wenig. Irgendwann fing die junge Frau einen Blick von Martin auf.
»Sie müssen sich hier fühlen wie in einem Mausoleum«, bemerkte er.
»Da hat die liebe Tante soviel Mühe auf sich genommen, um uns alle zu einem besonderen Abend einzuladen und du beleidigst sie. Willst du Johanna imponieren? Ich kann mir net vorstellen, dass sie auf jemanden hereinfällt, der dauernd Weibergeschichten hat.« Das war Dorothea mit einem eindeutig boshaften Seitenhieb.
»Was ist denn an diesem Essen so besonderes mal abgesehen davon, dass frischer Salat meinen Magen reizt«, mischte sich Gabriele Körner ein. »Ich finde es empörend, Agatha, dass du uns dieses vermeintlich gesunde Grünzeug vorsetzen lässt. Du hast dein Personal wirklich net im Griff.«
»Ich glaub’ net, dass man Tante Agatha einen Vorwurf machen sollte, weil sie versucht, ihre Gäste angemessen zu bewirten«, erklärte Johanna, die sich zunehmend unwohl fühlte. Der Vergleich mit einem Mausoleum mochte unpassend sein, aber so ganz abwegig war er auch nicht. Alle Blicke wandten sich ihr jetzt zu.
»Dann haben wir Ihnen diese willkommene Abwechslung zu verdanken?«, erkundigte sich Martin und prostete ihr zu.
»Ich habe euch hergebeten«, unterbrach Agatha und schaute in die Runde, »weil ich euch Johanna vorstellen wollte. Sie ist meine Nichte, die auf jeden Fall ältere Rechte hat, falls sich jemand irgendwelche Hoffnungen darauf gemacht haben sollte.«
»Aber, liebste Tante, niemand würde so etwas denken«, erwiderte Emma rasch, bevor eine lähmende Stille einsetzen konnte.
Johanna fühlte sich tief getroffen. Das war nun wirklich nicht das, was sie im Sinne hatte.
»Ich denk’ net, dass ich hier überhaupt irgendwelche Ansprüche oder Rechte hab’«, warf sie mit fester Stimme ein.
»Schweig. Du bist hier, weil du die Tochter meines Neffen bist. Auch wenn man von ihm nicht sagen konnte, dass er jemals in seinem Leben besonders klug gehandelt hätte. Aber du bist meine Familie und musst jetzt deine Vergangenheit vergessen und dich an dieses Leben anpassen. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass...«
»... Sie ausgesprochen dankbar sein sollten, für die Gnade von Agatha. Wer sonst tät’ sich schon eine arme Verwandte ins Haus holen«, warf Gabriele Körner bitter ein.
»Ich vergesse nix und niemanden«, rief Johanna und sprang auf. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, wenn sie noch eine Minute länger in diesem Raum blieb. »Wennst so von mir denkst, Tante, sollt ich wohl besser drüber nachdenken, ob ich hier wirklich am rechten Platz bin.Tante Agatha, ich bin dir dankbar, dass du mir ein neues Leben schenken willst, aber das heißt net, dass ich jemals meine Eltern vergesse oder den Ort, von dem ich komme. Deine Bemerkungen darüber werd’ ich nie vergessen, kein Wort davon! Ich geb’ mich doch net selbst auf! Es ist wohl besser, wenn ich meinen Weg allein geh. Und in dieser Runde werd’ ich darüber bestimmt kein Wort mehr verlieren. Guten Abend.«
Sehr ruhig und sehr aufrecht ging sie hinaus, konnte dem Impuls dann aber doch nicht widerstehen, die Tür zuzuknallen. Das hatte dieses Haus sicher seit langem nicht mehr erlebt und unwillkürlich lachte das Madl auf, bevor es gegen die Tränen kämpfte.
Peinliche Stille entstand im Raum, bis Gabriele sich räusperte. »Ich will net hoffen, dass du ein derart despektierliches Verhalten durchgehen lässt, liebe Agatha. Es steht außer Zweifel, dass es hier an Respekt und Dankbarkeit fehlt. Das lässt sich auch nicht mit einer mangelhaften Erziehung entschuldigen.«
»Ja, wirklich, liebste Tante«, flötete auch Emma. »Wie kann diese unerzogene junge Frau...?«
Agatha stand auf, ihrem Gesicht war nicht anzusehen, was sie dachte, doch ihre Worte trafen die Versammlung wie Hammerschläge
»Ich glaube fast, Johanna hat Recht, man sollte nichts und niemanden vergessen und auch kein gesagtes Wort. Ich frage mich gerade, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe, indem ich schon viel zu lange euer Gerede ertrage. Ihr entschuldigt mich.« Auch sie ging hinaus und die Verwirrung im Raum war komplett.
Johanna spürte erst jetzt, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Blindlings stürzte sie durch das Haus. Nur raus hier war ihr einziger Gedanke. Plötzlich war da ein Hindernis. Erschreckt schaute sie auf, blickte in das verblüffte Gesicht von Bernhard und fühlte seine starken Hände an den Schultern.
»Johanna, was ist mit Ihnen? Hat Ihnen jemand etwas getan? Sie, sind ja leichenblass.« Seine Stimme klang besorgt und für einen kurzen Moment hatte Hanna den Wunsch, sich an diese breite starke Brust zu lehnen, sich von den kräftigen Armen umfassen zu lassen und sich auszuweinen. Aber nein, sie durfte das nicht tun. Im Grunde war Bernhard ein Fremder für sie, ein Angestellter auf Hohensteinburg, der Verwalter. Wie konnte sie einem Fremden mit ihren Problemen belästigen?
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihn an, während flammende Röte ihr Gesicht färbte. »Es ist nichts, gar nichts«, flüsterte sie, riss sich los und lief wieder davon.
Die kühle Nachtluft schlug ihr entgegen und kühlte das erhitzte Gesicht. Johanna fühlte, dass ihre Wangen nass von Tränen waren. Hatte sie denn geweint? Auch egal. Niemals würde sie es zulassen, dass jemand das Andenken ihres Vaters beschmutzte, mochte es nun Tante Agatha sein oder womöglich einer von diesen Hohlköpfen da drinnen. Wussten sie denn überhaupt, was lieben hieß?Wie konnte man sich nur so benehmen?
Johanna war bereits ein Stück gelaufen und befand sich jetzt in unmittelbarer Nähe der Pferdeställe. Der warme, lebendige Geruch zog sie an. Tiere waren so ganz anders, sie liebten bedingungslos und kannten keine Falschheit. Kurz entschlossen öffnete Hanna die kleine Stalltür und ging hinein. Duft nach frischem Heu, Hafer und den hier untergebrachten Tieren umfing sie.
Eine kleine Nachtlampe brannte und spendete ein wenig Licht, gerade genug, um etwas zu erkennen. Sechs Pferde waren hier in großzügigen Boxen untergebracht. Die wandten jetzt den Kopf und schauten dem Madl entgegen, zogen sich dann aber bis ab eines wieder zurück. Hanna trat näher und tätschelte das weiche Maul, strich über das glänzende Fell, lachte unwillkürlich auf, als das Tier sie mit dem Kopf stupste.
»Du meine Güte«, lachte und schluchzte Hanna gleichzeitig. »Kannst dir vorstellen, was ich gerade getan hab’? Das kam bestimmt einem Weltuntergang gleich. Und Tante Agatha wird wahrscheinlich nie wieder mit mir reden. Wie konnte ich nur so dumm sein und mich so provozieren lassen? Ach, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich noch denken soll. Wahrscheinlich hab’ ich mir jetzt selbst alles verdorben. Und dabei fange ich doch grad an, die Tante gern zu haben. Weißt, ich glaub’ nämlich, die ist eine ganz arme einsame Frau. Was tät’ ihr schon all das Geld nutzen, wenn doch im Herzen nur Leere ist?«
Johanna hatte nicht bemerkt, dass Bernhard aus Sorge um sie, hinter ihr hergelaufen war. Still stand er neben der offenen Tür und hörte zu. Der Kummer von Johanna rührte ihn tief und er wünschte sich, ihr helfen zu können.
Die schmale schlanke Gestalt wirkte so verloren und unglücklich, dass sein Herz ihr zuflog. In diesem Augenblick wusste er mit Sicherheit, dass er Johanna liebte. Vielleicht würde es einige Zeit dauern, bis er sich dazu bekennen konnte, aber er wusste jetzt, dass sie zu ihm gehörte und er zu ihr.
Lautlos trat er näher. Johanna erschrak nicht einmal bei dem unvermuteten Auftauchen des Mannes.
»Tiere wissen, wem sie vertrauen dürfen«, sagte er so leise, dass die Worte die seltsame Stimmung dieser Nacht nicht störten.
»Tiere sind wahrscheinlich die besseren Menschen«, gab sie ebenso leise zurück.
Auch Bernhard streichelte das Pferd. Ungewollt berührten sich die Hände der beiden Menschen. Verwirrt sahen sie sich an und die Hände gingen auseinander. Bernhard lächelte aufmunternd.
»Was auch immer Sie so verstört hat, Johanna, meinen S’ net, es wäre gut, ein bisserl darüber nachzudenken? Wenn S’ schon net mit jemand drüber reden mögen. Kommen S’ her, da haben wir einen großen Haufen Stroh, da können wir uns hinsetzen und reden oder schweigen.«
Hanna ließ sich in dem duftigen Stroh nieder und Bernhard hockte sich daneben.
»Eigentlich hätte ich fragen wollen, ob S’ sich schon ein bisserl eingelebt haben, aber es schaut eher net so aus«, bemerkte er ruhig. Sie lachte nervös auf.
»Ich glaub’ fast, ich hab’ heut’ eine Katastrophe ausgelöst und das alles mit ein paar unbedachten Worten. Es ist so dumm, dass ich mich dafür schon genug schäme, auch ohne dass ich noch alles erzähle.«
»Das müssen S’ auch gar net. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass S’ tatsächlich etwas so Schreckliches getan haben.« Seine Stimme klang sanft und er griff zart nach ihrer Hand. Johanna lachte leise verlegen auf und genoss das Gefühl auf der Haut, wo die Finger des Mannes sie berührten.
»Ich bin sicher, meine Tante wird sich morgen ausführlich darüber auslassen, in welch exorbitanter Weise ich gegen jede Regel und Konvention verstoßen hab’. Es wird wohl das beste sein, wenn ich heut’ noch meine Sachen packe und noch am Morgen abreise.«
»Ist das net ein bisserl vorschnell? Glauben S’ tatsächlich, dass Ihre Tante so hart mit Ihnen ins Gericht geht?«
Johanna entspannte sich ein wenig. Es tat gut, in dieser Geborgenheit hier im Stroh zu liegen. Große Müdigkeit überkam sie und, ohne sich dagegen wehren zu können, schlief das Madl ein. Bernhard bemerkte das und sein Blick ruhte liebevoll auf ihr. Sollte sie ruhig schlafen, vielleicht würde ihr das wirklich guttun. Der Mann beugte sich ein wenig vor und küsste Johanna auf die Wange, dann wurde er mutiger und berührte leicht die Lippen mit den seinen. Gefühle überfluteten ihn, aber er hielt sich zurück. Mehr durfte nicht sein.
Mit geschmeidigen Bewegungen erhob er sich fast lautlos und ging davon. Zu seiner Überraschung begegnete er Agatha von Sieburg.
»Wo ist sie?«, grollte die alte Dame. »Wo ist Johanna?«
Bernhard war erstaunt. Gefühlsregungen hatte er bei dieser Frau nur sehr selten erlebt und er arbeitete schon einige Jahre für sie. Er schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln.
»Fräulein Johanna schläft«, erklärte er.
»Nun gut. Ich will sie dann morgen früh sofort sprechen.«
»Gab es denn etwas Besonderes?«, erkundigte er sich harmlos. Täuschte er sich oder flog ein Lächeln über das Gesicht der alten Dame?
»Nichts, was net lang schon mal fällig gewesen wär’«, erwiderte sie, ohne die sonst übliche korrekte Sprache.
Bernhard verstand in diesem Augenblick gar nichts mehr. Für Johanna schien eine Welt untergegangen zu sein und ihre Tante amüsierte sich darüber? Recht seltsam. Aber heute Abend würde er sicher keine Auskunft mehr bekommen.
»Gute Nacht«, wünschte Agatha und ging davon.
Bernhard dachte noch einmal an Johanna. Gut, dass er nicht verraten hatte, wo sie schlief. Sie hatte so unschuldig und verletzlich ausgesehen. In ihm reifte der Entschluss, das Madl zu beschützen.
»Du riechst nach Pferd. Du warst so früh schon reiten? Noch dazu in dieser Kleidung?« Wie aus dem Boden gewachsen stand Tante Agatha vor Johanna, als die versuchte, ins Haus zu schleichen. Das Madl hatte im Stroh wunderbar geschlafen, brauchte nach dem Aufwachen allerdings einige Zeit, bis ihr die Ereignisse des vergangenen Abends wieder voll und ganz vor Augen standen. Sie musste weg, dieses Haus verlassen, bevor Tante Agatha aufstand!
Offenbar war die alte Dame jedoch so wütend, dass sie ihre Nichte abgepasst hatte.
»Ich war net reiten«, erwiderte Johanna leise. »Und du musst auch net länger mit mir
auskommen. Ich werd’ nach oben gehen und meine Sachen packen, dann bin ich gleich weg.«
»So ein Schmarrn!« Johanna riss die Augen weit auf und starrte ihre Tante an. Was hatte die gesagt? Mit festem Griff zog Agatha ihre Nichte in ein Zimmer hinein, die raubvogelartigen Augen funkelten und die ganze Haltung der Frau war beeindruckend. Sie schlug ungeduldig mit dem Stock auf den Boden.
»Ich hab’ schon lang nimmer einen solchen Unsinn gehört. Du wirst net abreisen.«
Johanna unterdrückte ein Lächeln. Irgend etwas war hier anders. »Du scheinst mir seltsam verändert, Tante Agatha. Fühlst dich auch gesund?«
»Lenk’ net vom Thema ab. Ich hab’ mich schon lang nimmer so amüsiert wie am gestrigen Abend. Vielleicht hätt’ ich der Bande längst selbst mal die Meinung sagen sollen, aber das sind nun mal meine Verwandten. Ebenso wie du. Aber es war net richtig, dass du mich so angegriffen hast. Schließlich stehe ich auf deiner Seite.«
Johanna schnappte nach Luft. »Das hast bisher aber recht gut verborgen«, erwiderte sie mühsam.
»Du machst es einer alten Frau sehr schwer, mein Kind. Mein Leben lang habe ich die Etikette hoch gehalten und stets nur das getan, was richtig und wichtig erschien. Da bleibt nun mal nicht viel Platz für Gefühle.
Das kann und werde ich nicht so einfach ablegen. Es mag für dich schwer sein, mein Verhalten zu verstehen, aber es ist auch nicht leicht, deine Ansichten hinzunehmen. So, das muss als Aussprache reichen. Du gehst jetzt und ziehst dich ordentlich an. Und denke ja nicht, dass du mir jetzt auf der Nase herumtanzen kannst, weil ich dir einen kleinen Blick hinter meine Maske gewährt habe.«
»Nein, nein, Tante Agatha, natürlich net«, beteuerte Hanna völlig verwirrt. Träumte sie noch? Das hier war doch nicht die Tante Agatha, die sie kannte? Das mittlerweile vertraute Gesicht der alten Dame wirkte wieder so verschlossen und abweisend wie zuvor. Ganz bestimmt war diese kleine Szene gerade gar nicht passiert.
»Wir sind uns also einig, du bleibst. Das wäre auch dem Martin ganz recht.«
»Was hat denn der damit zu tun?«
»Er kommt nachher und will mit dir ausreiten. Er hat mich um Erlaubnis gebeten und ich habe zugestimmt.«
»Ja, aber vielleicht möcht’ ich gar net...«
Tante Agatha zog in unnachahmlicher Art die Augenbrauen in die Höhe. »Du willst mir doch jetzt nicht etwa widersprechen? Martin stammt aus einer guten Familie und ist deiner durchaus würdig, falls dich das beruhigen sollte. Nun beeile dich endlich mit dem Duschen und Umziehen. Ich möchte ein kräftiges Frühstück.«
Hanna machte keinen weiteren Versuch, zu widersprechen. Sobald die Tante erst einmal in dieser Stimmung war, würde sie auf nichts mehr hören. Aber Johanna hatte durchaus nicht vor, sich von Martin den Hof machen zu lassen, auch wenn er aus einer guten Familie stammte. Nun, darüber würde sie wohl besser mit ihm selbst reden. Sie war durchaus in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Als Hanna ihr Zimmer betrat, wartete Vreni schon mit einem besorgten Gesicht.
»Du lieber Himmel, wo bist denn gewesen? Die gnädige Frau hat das ganze Haus auf den Kopf gestellt und niemand konnte dich finden.Was war denn los gestern? Die ganze Verwandtschaft hat einen Aufstand gemacht, als wär’ eine Bombe hochgegangen. Na los, mach’ schon, geh duschen und zieh dich um. Wenn die gnädige Frau dich so entdeckt...«
»Zu spät, hat sie schon«, unterbrach Hanna den aufgeregten Wortschwall und Vreni blieb vor Verwunderung der Mund offenstehen.
Bernhard befand sich längst wieder bei der Arbeit. Er hatte in den letzten Tagen neue Tiere eingekauft und Tante Agatha inspizierte die neuen Pferde. Ihre Kommentare zeugten von großem Fachwissen. Er fand nichts dabei, war im Gegenteil froh darüber, dass seine Chefin über einen ordentlichen Sachverstand verfügte. Doch, ob die alte Dame diesen sicheren Instinkt auch im Umgang mit Menschen besaß, wagte er im Moment zu bezweifeln.
Dieser ketzerische Gedanke regte sich bei ihm wieder, als der flache Sportwagen von Martin auf den Hof fuhr. Bernhard mochte den jungen Mann nicht, ohne dass er jetzt genau hätte sagen können, warum das so war. Natürlich, Martin war gebildet, charmant und in der Lage, andere Menschen um den Finger zu wickeln. Dabei war der junge Mann nicht einmal so überheblich, dass er zum Beispiel Bernhard schlecht behandelt hätte. Ganz im Gegenteil, Martin legte Wert auf die Meinung des jungen Verwalters, behandelte ihn wie einen Gleichwertigen und ließ keine Gelegenheit aus, seine Meinung zu suchen und seine Anerkennung. Aber das alles war irgendwie halbherzig und nicht ganz ernst gemeint. Deshalb mochte Bernhard den anderen nicht. Das konnte allerdings auch daran liegen, wie leichtfertig Martin mit den Herzen der Madln umging, mit denen er zusammentraf. Das hatte der Verwalter hier auf Hohensteinburg schon mehrmals feststellen müssen. Mehr als eines der Madln vom Personal war auf den Charme und die viel zu schönen Worte des Playboys hereingefallen.
So bemerkte Bernhard auch mit Missmut, wie Martin an diesem Morgen seinen Wagen einfach auf dem Hof abstellte und fröhlich pfeifend die Treppe hinaufflog. Nach relativ kurzer Zeit kam er zurück mit Johanna. Zielstrebig gingen die beiden in den Pferdestall und kamen wenig später auf dem Rücken der Pferde heraus.
Bernhard spürte einen Stich von Eifersucht. Er selbst würde zu gerne mit Johanna ausreiten, sie alles lehren, was er wusste, ihr Lachen hören, in ihre wundervollen Augen sehen und ihre warme Stimme vernehmen. Doch sie winkte ihm nur fröhlich zu und notgedrungen erwiderte er den Gruß. Gleich darauf spürten einige Angestellte, dass »der Chef« heute ausnahmsweise schlechte Laune hatte. Heute konnte es ihm niemand recht machen.
»Net so schnell, ich hab’ ja grad erst reiten gelernt. Ich bin net auf dem Pferderücken geboren, so wie Sie«, protestierte Johanna.
Martin lachte und ließ sein Pferd in Schritt fallen. »Dafür können S’ das aber schon recht gut. Außerdem schauen S’ ganz entzückend aus, Hannerl.« Seine Augen strahlten vor Vergnügen und das Madl fühlte sich wohl in seiner Gegenwart. Er war eine willkommene Abwechslung zum konventionellen Haushalt von Tante Agatha. Martin war nur wenig älter als sie selbst, er stand mitten im Leben und nahm es leicht. Vermutlich hatte er noch nie irgendwelchen Kummer zu verkraften gehabt. Das Leben war ein Spiel für ihn und genau das strahlte er auch aus. Es war leicht, ihn zu mögen und Johanna machte da keine Ausnahme.
Die beiden jungen Menschen hatten mit den Pferden schon einen langen Weg zurückgelegt und mittlerweile befanden sie sich an einem dichten Wald. Die ersten Blätter an den Bäumen färbten sich bereits herbstlich und die Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach schienen, schufen bizarre Spiele aus Licht und Schatten.
Martin griff nach den Zügeln von Johannes Pferd und das Tier folgte der Führung. Plötzlich funkelte und glitzerte es so stark, dass Hannerl eine Hand schützend vor die Augen hob. Hier, tief im Wald versteckt, befand sich ein kleiner See, dessen Oberfläche das Licht widerspiegelte.
»Das ist ja unglaublich. Ja mei, was für ein schönes Plätzchen Erde«, Hanna war total begeistert. Jetzt bemerkte sie auch, dass Martin in den Satteltaschen ein komplettes Picknick dabei hatte. Er breitete eine Decke aus und holte die Brotzeit hervor. Johanna staunte. Doch sie zögerte nicht und ließ sich neben Martin auf der Decke nieder. Er spielte mit einem Grashalm und lachte plötzlich leise auf, dann drehte er sich so, dass er der jungen Frau ins Gesicht sehen konnte.
»Ich bin erstaunt, dass ausgerechnet Tante Agatha jemanden ins Haus holt, von dem sie wissen müsste, dass es mit der jetzigen Verwandtschaft Ärger geben könnte«, bemerkte er.
»Was soll das denn heißen?«, wollte Hanna wissen.
»Oh, ganz einfach, die meisten unserer lieben Verwandten sind eifrig darauf bedacht, bei der
Tante einen besonders guten Eindruck zu machen, um im Testament möglichst großzügig bedacht zu werden. Ich hatt’ immer das Gefühl, dass die gute alte Tante dieses herumscharwenzeln als lästig empfunden hatte, aber aus einer Art Pflichtgefühl daran festhält. Und dann kommt jemand wie Sie daher, passt überhaupt net ins Bild oder gar in die Familie, gibt auch noch Widerworte und Agatha verändert sich total; Sie sind eine Bedrohung, Hannerl, und ich finde das großartig.«
Johanna errötete. Das war eine seltsame Wahrheit, die Martin hier aussprach. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich deswegen schuldig.
»Es liegt net in meiner Absicht, jemanden zu verletzen. Und ganz bestimmt will ich niemandem etwas von seinem Erbe wegnehmen. Ehrlich, ich will kein Geld von ihr oder was auch immer.«
»Kann schon sein. So denken aber die anderen.«
Empört schaute das Madl drein. »Da werd’ ich wohl Zusehen müssen, dass ich das richtig stelle.« Martin lachte auf. »Da könnten S’ selbst mit Engelszungen reden und keiner tät’ Ihnen glauben. Es sollt’ Ihnen auch egal sein, denn schließlich bestimmt allein Tante Agatha, was geschieht. Die scheint ja einen Narren an Ihnen gefressen zu haben.«
Hanna schüttelte den Kopf. »Davon hab’ ich bis heut’ nix bemerkt, ganz im Gegenteil, ich scheine ihr überhaupt nix recht machen zu können.«
»Ach, Schmarrn, ich seh’ doch, wie stolz die Tante ist. Und als sie gestern, gleich nach Ihrem Abgang den Raum verlassen hat, war einem jeden klar, dass sich da etwas getan hat.«
Davon hatte Johanna bis jetzt noch nichts gewusst. »Und was ist mit Ihnen?«, forschte sie jetzt nach.
»Ich? Ich find Sie einfach süß.« Seine Augen strahlten sie an und sie fühlte plötzlich einen dicken Kloß im Hals.
Martin streckte die Hand aus und berührte ihre Wange, strich dann sanft über das Kinn und landete schließlich in der Halsgrube, wo eine Ader heftig pulsierte. »Sehr süß sogar«, setzte der Bursche mit rauer Stimme hinzu.
Zwischen den beiden Menschen baute sich eine prickelnde Spannung auf und Martin beugte sich plötzlich vor. Seine Lippen trafen auf die des Madls. Johanna hielt ganz still. Die Berührung war zart wie ein Schmetterlingsflügel, doch ein heißer Strom fuhr durch ihren ganzen Körper und sie zitterte plötzlich.
Martin bog sich zurück, doch sein Blick hielt den ihren fest. »Ich wollt’ dich net überrumpeln, aber du hast so lieb ausgeschaut, dass ich net anders konnte«, murmelte er. Seine Hand legte sich in ihren Nacken und Hanna schmiegte sich unwillkürlich daran.
»Ich bin dir net bös«, gab sie zurück. Was war das nur? Sie war zutiefst verwirrt. Hatte sie nicht gerade erst entdeckt, dass sie für Bernhard tiefe Gefühle empfand? Doch nun kam Martin wie ein Wirbelwind und sie verlor Hals über Kopf den Verstand. Wenn sie nur jemanden hätte, mit dem sie reden könnte, um sich über ihre Gefühle klarzuwerden. Doch der einzige, zu dem sie ausreichend Vertrauen besaß, war ausgerechnet Bernhard. Das war ja nun wohl der letzte Mensch, den sie fragen konnte.
Hanna verschob die Beantwortung dieser Fragen auf später. Es war einfach nur schön, mit Martin zusammen hier im Sonnenschein zu liegen, die friedliche Stimmung zu genießen und nicht zu denken.