Vier mitreißende Herzromane Oktober 2023 - Anna Martach - E-Book

Vier mitreißende Herzromane Oktober 2023 E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane (499) von Anna Martach: Die richtige Frau für Papa Prolog zur Liebe Mein Herz gehört nur mir Mama soll wieder glücklich sein Die Innenarchitektin Rita lernt im Zuge eines Einbruchs in ihr Büro den Polizisten Nicholas Rhode kennen. Die beiden sind sich sofort sympathisch und auch bald darauf ein Paar. Doch hält die Liebe den häufigen Eifersuchtsattacken Rhodes statt oder bleibt es nur bei einem Prolog zur Liebe?

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Anna Martach

Vier mitreißende Herzromane Oktober 2023

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Inhaltsverzeichnis

Vier mitreißende Herzromane Oktober 2023

Copyright

​Die richtige Frau für Papa

Prolog zur Liebe

Mein Herz gehört nur mir

​Mama soll wieder glücklich sein

Vier mitreißende Herzromane Oktober 2023

Anna Martach

Dieser Band enthält folgende Romane

von Anna Martach:

Die richtige Frau für Papa

Prolog zur Liebe

Mein Herz gehört nur mir

Mama soll wieder glücklich sein

Die Innenarchitektin Rita lernt im Zuge eines Einbruchs in ihr Büro den Polizisten Nicholas Rhode kennen. Die beiden sind sich sofort sympathisch und auch bald darauf ein Paar. Doch hält die Liebe den häufigen Eifersuchtsattacken Rhodes statt oder bleibt es nur bei einem Prolog zur Liebe?

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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​Die richtige Frau für Papa

von Anna Martach

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© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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„Mami, schau mal, was der Junge da bei den Elefanten macht!“, rief das kleine Mädchen, das an der Brüstung zum Elefantengehege stand, und deutete aufgeregt auf das Geschehen im Innern der Anlage.

Die Mutter unterhielt sich gerade mit einer Freundin und reagierte zunächst nicht auf die Worte ihres Kindes.

„Aber Schatz, ein Junge darf doch gar nicht zu den Elefanten“, erklärte sie geistesabwesend. Erst dann ging ihr auf, was sie gesagt hatte. Sie blickte erstaunt und dann erschreckt auf die großen imposanten Tiere. Aber auch andere Zuschauer waren mittlerweile aufmerksam geworden. Ausgestreckte Arme, laute Rufe und ein erstauntes Ah und Oh machten die Runde. Dadurch wurden auch die Tierpfleger im Innern des Elefantenhauses aufmerksam, gleich darauf wurde ein heftiger Fluch laut.

„Julian, um Himmels Willen, was machst du da? Du darfst doch nicht in das Gehege.“

Der Elefantenpfleger, der bestens mit dem Verhalten der Tiere vertraut war und jedes einzelne von ihnen gut kannte, schluckte schwer, während er sich selbst heftige Vorwürfe machte. Wie hatte es nur passieren können, dass der Sohn des Tierarztes durch alle Sicherungen hindurch geschlüpft war? Tatsache war jedoch, dass der zehnjährige Junge drinnen stand, und einige Leute hielten unwillkürlich den Atem.

Bei Elefanten handelte es sich trotz ihrer Größe um empfindsame Tiere, die auf Störungen von außen äußerst aggressiv reagieren konnten. Allein durch ihre Größe und Kraft waren sie schon gefährlich, es waren nun einmal wilde Tiere. Ganz bestimmt durfte ein Kind nicht allein in das Gehege.

Karl, der Pfleger, wusste natürlich, was er jetzt zu tun hatte.

„Gib Norbert Bescheid“, sagte er zu seinem Kollegen und meinte damit den Tierarzt, Norbert Vogt, der sich ein gutes Stück entfernt in einer anderen Anlage um das trächtige Nilpferd Malina kümmerte. Dann schnappte sich der Mann seinen Ankh und betrat das Gehege, um den Jungen herauszuholen. Jetzt in Hektik auszubrechen wäre ein großer Fehler, denn die empfindsamen Riesen verabscheuten Unruhe.

Doch eigentlich war es schon zu spät. Die große afrikanische Elefantenkuh Dschambala stand vor dem Jungen und wedelte aufgeregt mit dem Kopf hin und her, so dass der Rüssel wild pendelte. Es sah aus, als wollte sie im nächsten Moment zuschlagen.

Auch Julian hatte mittlerweile erkannt, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Dabei hatte er die Anweisungen der Erwachsenen nur ignoriert, weil er mit dem Elefantenjungen spielen wollte. Nun stand er stocksteif da und wagte es nicht, sich zu rühren.

Karl war heran, ergriff das Kind beim Arm und behielt die Elefantenkuh dabei weiter im Auge. Er vermeinte in den kleinen Augen ein kurzes Aufblitzen zu bemerken, so als ob das Tier sagen wollte, pass gefälligst besser auf deine Kinder auf. Wir tun es doch auch. Damit hatte sie nicht so ganz unrecht.

Karl hielt weiterhin den Blick auf das Tier gerichtet und schob den Jungen langsam auf den Ausgang zu. Er atmete auf, als er endlich das Gitter schließen konnte.

Erstaunlich schnell beruhigte sich das Tier wieder, ging zurück zur Herde und tat so, als wäre nichts geschehen. Karl wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte Julian streng an.

„Bist du eigentlich noch gescheit? Haben wir dir nicht wieder und wieder gesagt, dass du allein in den Gehegen nichts zu suchen hast? Tiere sind kein Spielzeug, nicht einmal ein Hund zuhause wäre das. Wilde Tiere sind es schon gar nicht. Das solltest du doch mittlerweile wissen. Dein Vater sollte dich vielleicht mal gründlich übers Knie legen und dir den Hosenboden versohlen. Wenn er nicht so ein guter Tierarzt wäre, den wir hier dringend brauchen, dann würde es jetzt eine ganze Menge Ärger geben. Aber den wirst du auf jeden Fall bekommen.“

Das Gesicht von Julian hatte sich von leichenblass zu knallrot verändert, er schämte sich offenbar, aber nun blickte er auch ein wenig trotzig drein.

„Mein Vater würde mich niemals schlagen“, behauptete er.

„Verdient hättest du es nach dieser Sache aber allemal“, brummte Karl gutmütig, der schon längst wieder beruhigt war. Die ganze Sache war ja noch einmal gut ausgegangen, die Elefanten hatten sich auch längst wieder im Rudel zusammengefunden und schienen den Vorfall vergessen zu haben.

In diesem Moment kam Norbert Vogt angelaufen. Er wirkte wütend und ziemlich aufgeregt, offenbar wusste er schon Bescheid. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes.

„Was hast du gemacht, du Unglücksrabe? Habe ich dir nicht ausdrücklich gesagt, du darfst nirgendwo allein ins Gehege? Und schon gar nicht bei Elefanten. Ist dir eigentlich klar, was alles hätte passieren können? Was soll ich denn nur mit dir anfangen? Kann man dich nicht einmal fünf Minuten allein lassen?“

Diese Vorwürfe wirkten selbst in den Augen von Karl etwas ungerechtfertigt, denn Norbert kümmerte sich seit Tagen intensiv um das trächtige Nilpferd und hatte darüber seinen Sohn schon ein wenig vernachlässigt.

Der sympathische Tierarzt mit den fröhlichen braunen Augen war hier im Zoo sehr beliebt, weil er nicht nur in seiner Arbeit aufging, sondern auch immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der anderen Mitarbeiter hatte. Der geschiedene Mann besaß das Sorgerecht für seinen Sohn Julian, und normalerweise funktionierte es recht gut, wenn er das Kind mit in den Zoo brachte. Seit mehr als zwei Wochen kümmerte sich Norbert jedoch mehr um die riskante Schwangerschaft des Nilpferdes als um die Beaufsichtigung seines Sohnes. Oft genug übernahmen im Augenblick die Tierpflegerinnen diese Aufgabe, und sie taten es gern, denn der Junge war gut erzogen und eigentlich pflegeleicht. Aber Julian schien ihnen entwischt zu sein und unter Langeweile zu leiden. So war er schnurstracks zu den Elefanten gelaufen. Das war allemal gefährlich. Hätte der Tierarzt sich ein bisschen mehr Zeit für seinen Sohn genommen, wäre es niemals soweit gekommen. Insofern sollte man nicht nur dem Kind Vorwürfe machen. Doch es war müßig jetzt noch ein Wort darüber zu verlieren.

„Nun krieg dich aber mal wieder ein“, meinte Karl und legte dem Kind eine Hand auf die Schulter. „Der Kleine hat zwar Blödsinn gemacht, aber es hat es bestimmt nicht böse gemeint. Es wird ihm einfach langweilig gewesen sein, weil du doch sehr beschäftigt bist.“

Norbert verstand diesen indirekten Vorwurf sehr wohl und seufzte. „Du hast ja recht, Karl, ich muss mir etwas einfallen lassen. Auf jeden Fall danke ich dir, dass du so schnell und vernünftig reagiert hast.“ Er nahm seinen Sohn bei der Hand und zog ihn mit sich. „Na komm, junger Mann, wir wollen mal sehen, wo wir dich unterbringen, damit du nicht wieder Dummheiten anstellst, bis ich Feierabend machen kann.“

Julian verzog das Gesicht und warf dem Tierpfleger noch einen fragenden Blick zu, doch der schüttelte den Kopf. „Nein, mein Freund, hier kannst du nicht bleiben. Aber drüben im Streichelzoo hat Ingrid bestimmt Zeit für dich.“

„Ach, das ist doch langweilig“, maulte das Kind.

„Aber wenigstens ungefährlich“, kam die trockene Antwort.

Norbert zog seinen Sohn hinter sich her und warf einen ungeduldigen Blick zur Uhr.

„Papa, wie lange dauert das eigentlich noch?“, erkundigte sich Julian.

„Was meinst du denn? Bis das kleine Kalb geboren wird? So ganz genau weiß das niemand. Bei Nilpferden kann es auch schon mal über die berechnete Zeit drübergehen.“

„Nee, das will ich auch gar nicht wissen. Ich will wissen, wann du Feierabend machen kannst, damit wir nach Hause fahren. Spielst du dann noch eine Runde Fußball mit mir?“

Abrupt blieb der Mann stehen. Erst jetzt schien ihm zu Bewusstsein zu kommen, dass er nicht nur die Verantwortung für die Tiere im Zoo trug, sondern auch für seinen Sohn. Etwas beschämt hielt er an und ging in die Hocke, damit er seinem Kind ins Gesicht blicken konnte.

„He, du bist doch schon ein großer Junge und verstehst, dass dein Vater hier eine wichtige Aufgabe hat, oder? Im Augenblick ist nun mal ganz besonders viel Arbeit, weil ich mich um das Nilpferd und das neue Baby kümmern muss. Es kommt nicht alle Tage vor, dass so eine Geburt in einem Zoo stattfindet. Und nach der Geburt muss man immer noch aufpassen, dass das Kleine nicht von den anderen Tieren verletzt wird. Nilpferde sind so groß, die merken es gar nicht, wenn sie sich auf ein Kleines setzen oder es zur Seite schubsen. Da hast du es eigentlich viel besser, denn hier gibt es ja immer noch eine ganze Menge Leute, die gern auf dich aufpassen. Nur darfst du es ihnen nicht zu schwer machen wie gerade eben. Du bringst damit nicht nur dich selbst in Gefahr. Wilde Tiere sind kein Spielzeug“, wiederholte auch Norbert unbewusst die Worte von Karl.

Julian scharrte mit dem Fuß auf dem Kiesweg herum. „Ja, ist ja schon gut, ich habe es kapiert“, erwiderte er etwas trotzig. „Aber langweilig ist mir trotzdem.“

„Pass auf, wäre es vielleicht besser für dich, wenn du ein paar Tage zu deiner Mutter gehst? Nur solange, bis hier wieder alles seinen gewohnten Gang geht?“

„Wenn es denn sein muss“, stimmte der Junge widerwillig zu.

Der Tierarzt atmete unwillkürlich auf. Er liebte seinen Sohn und hätte um nichts in der Welt das Sorgerecht hergegeben, aber im Augenblick war die Anspannung zu groß, und er wusste, dass er seiner Verantwortung nicht richtig nachkommen konnte. Da war es sicher besser, wenn Karin sich ein paar Tage um Julian kümmerte, auch wenn die durch ihre Arbeit ebenfalls stark angespannt war. Dazu kam noch, dass seit kurzem einen neuen Partner hatte, der Kinder eher ablehnte. Das ging nicht gegen Julian an sich, Walter Ehrenberg konnte mit Kindern einfach nichts anfangen. Nun, es würde eben gehen müssen. Norbert hatte schon oft genug Rücksicht auf Karin und ihre Bedürfnisse genommen.

*

Norbert Vogt freute sich darauf, seine Ex-Frau wiederzusehen. Als sie Julian vor einer Woche eher widerwillig abgeholt hatte, war sie sehr in Eile gewesen, so dass die zwei kaum ein Wort gewechselt hatten. Aber jetzt würde doch hoffentlich Zeit für einen Kaffee und ein kurzes persönliches Gespräch sein.

Gestern war endlich das kleine Nilpferd zur Welt gekommen. Auch wenn das Tier rund um die Uhr beaufsichtigt werden musste, so blieb für den Veterinär doch wieder etwas mehr Zeit, in der er sich seinem Sohn widmen konnte. Schließlich gab es ausreichend geschultes Personal im Zoo, medizinisch schien jedenfalls alles in Ordnung.

Norbert liebte seine Frau noch immer, und die Scheidung hatte ihn damals hart getroffen. Wenn es nach ihm ginge, würde er Karin auf der Stelle wieder heiraten, aber sie hatte offenbar andere Pläne.

Walter Ehrenberg, so hieß der neue Mann in ihrem Leben, war in den Augen von Norbert ein arroganter, aufgeblasener Einfaltspinsel, der als Rechtsanwalt glaubte, dass die ganze Welt nur ihm gehörte. Natürlich handelte es sich bei dieser Einschätzung um ein sehr persönliches Urteil, das nur aus der Eifersucht entstanden war. Vielleicht war er ja ein ganz netter Mensch, wenn man ihn besser kannte, aber darauf legte der Tierarzt keinen gesteigerten Wert. Für ihn kam erschwerend hinzu, dass Walter Kinder nicht ausstehen konnte, was natürlich auch für Julian galt.

Nun, vielleicht hatte der Mann ja jetzt seine Meinung geändert in dieser Woche, da Julian sich hier befunden hatte. Ein heftiger Schmerz durchzuckte Norbert, als er vor der Tür stand, denn dieses Haus hatte er für seine Familie gebaut, bei der Scheidung jedoch großzügig darauf verzichtet, so dass Karin hier weiter wohnen konnte. Er hatte mit Julian ein kleines Haus in der Nähe des Zoos bezogen und fühlte sich dort auch recht wohl. Täglich kam Mathilde, eine ältere Frau, als Haushaltshilfe und Kindermädchen für Julian, wenn der Junge es nicht vorzog, gleich im Zoo zu bleiben. Dieses Haus hier aber barg so viele Erinnerungen, dass es Norbert immer wieder schwer fiel, beherrscht und ruhig zu bleiben. Zu all dem kam hinzu, dass Walter sich hier aufhielt, der absolut nicht hierher gehörte. Aber Karin hatte sich entschieden, das musste er respektieren, mochte es ihm nun passen oder nicht.

Der Tierarzt holte tief Luft und klingelte, gleich darauf wurde die Tür aufgerissen. Julian stand da, ein Leuchten glitt in seine Augen, und er streckte die Arme aus. Aus dem Hintergrund erklang eine ärgerliche Stimme.

„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht allein an die Tür gehen? Kannst du denn gar nicht gehorchen?“

Ein wenig patzig antwortete der Junge und verzog dabei das Gesicht zu einer Grimasse. „Aber es ist doch Papa. Ich habe doch gewusst, dass er kommt.“

Nun tauchte Walter Ehrenberg, der Rechtsanwalt auf, und Norbert seufzte innerlich. Irgendwo war es verständlich, dass Karin sich für diesen Mann entschieden hatte. Er wirkte wie ein großer mächtiger Kleiderschrank, der Gedanke an Siegfried aus der Nibelungensage drängte sich auf. Aber das allein konnte es nicht sein, warum seine Frau auf diesen Mann geflogen war, den Norbert persönlich ganz einfach verabscheute, ohne ihn wirklich zu kennen.

„Ich wollte meinen Sohn abholen“, erklärte er kurz und knapp.

„Das wurde aber auch Zeit“, brummte Walter. „Dieser Junge verursacht eine Menge Unruhe und Arbeit.“

„Er ist ein Kind“, gab Norbert kühl zurück. „Wollen Sie etwa die Liebe eines Kindes gegen die damit verbundene Arbeit aufwiegen?“, entfuhr es ihm unwillkürlich, und er spürte die kleine schmale Hand von Julian, die sich vertrauensvoll in die seine schmiegte.

„Ich wiege überhaupt nichts auf. Schließlich ist er auch Karins Sohn, und ihr Wohl liegt mir sehr am Herzen.“

„Dann will ich nur hoffen, dass Sie niemals Vater werden, denn so wie es aussieht, behandeln Sie Kinder wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Das ist ausgesprochen schade. Sie sollten dazulernen.“ Ohne dass der Tierarzt es wollte, hatte sich in seine Stimme ein scharfer Unterton eingeschlichen, es klang förmlich aggressiv, wie er den anderen Mann angriff.

In diesem Augenblick kam Karin die Treppe herunter, und Norbert stockte unwillkürlich der Atem. Seine Frau war eine Schönheit – seine Ex-Frau, korrigierte er sich selbst. Am liebsten hätte er sie wieder in die Arme genommen, ganz gleich, was der andere Mann darüber denken mochte.

Warum hatte es mit ihrer Ehe eigentlich nicht geklappt, fragte er sich zum wiederholten Male und konnte, wie immer, die Antwort darauf nicht finden. Irgendwie hatten sie sich auseinander gelebt. Sie hatte ihre Arbeit, er die seine, vielleicht waren sie noch nicht reif gewesen, um gegenseitig Kompromisse zu schließen. Vielleicht hatte es auch zuwenig Berührungspunkte gegeben. Oder doch nicht? Keiner von ihnen beiden hatte sich ernsthaft mal die Mühe gemacht darüber nachzudenken, was denn nun nicht geklappt hatte, die Gegensätze zwischen ihnen schienen unüberbrückbar zu sein, wohl allein deswegen hatte Karin die Scheidung eingereicht. Aber Norbert liebte seine Frau noch immer, doch auch sie empfand noch eine Menge für ihn, ohne sich das allerdings anmerken zu lassen. Vielleicht, wenn er den Mut besitzen würde, sie offen darauf anzusprechen – vielleicht gäbe es doch noch einen Weg. Aber er litt lieber im Stillen und traute sich nicht, ein Wort über seine Gefühle zu verlieren. Er wollte nicht zurückgewiesen werden.

Jetzt warf die Frau mit den leuchtend blonden Haaren und blauen Augen prüfende Blicke von einem zum anderen Mann, seufzte einmal tief auf und nahm kurzerhand ihren Sohn in die Arme.

„Gibt es etwas, was ich zwischen euch vermitteln könnte?“, fragte sie spöttisch. „Es ist doch wohl einigermaßen lächerlich, dass sich zwei erwachsene Männer darüber streiten, wie man Kinder behandelt. Ihr benehmt euch ja fast selbst wie grüne Jungen.“

„Das musst du nicht mir sagen“, stieß Norbert hervor. „Julian lebt schließlich bei mir.“

„Darüber müssen wir doch jetzt auch nicht diskutieren“, meinte sie abwehrend. „Ich liebe den Jungen nicht weniger als du. Mein Beruf bringt es nun einmal mit sich, dass ich viel unterwegs bin. Aber ich will das Beste für meinen Sohn. Und das Beste bist nun einmal du, mein Lieber.“ Dieses Eingeständnis ging ihr leicht über die Lippen, denn Karin Vogt wusste recht gut, was Julian an seinem Vater hatte, mochte der auch manchmal den Eindruck erwecken, mit den Tieren im Zoo verheiratet zu sein.

Er lächelte sie zärtlich an. „Vielen Dank. Nun wollen wir euch nicht länger stören, bei was auch immer.“

„Möchtest du nicht hereinkommen und einen Kaffee mit uns trinken?“, fragte Karin in dem Versuch gastfreundlich zu sein und übersah geflissentlich den abweisend kühlen Blick von Walter.

Norbert entging das natürlich nicht. So sehr er sich genau das vorhin gewünscht hatte, so sehr hatte er jetzt keine Lust mehr dazu. „Nein, vielen Dank“, lehnte er höflich ab. „Komm, Julian, im Zoo kann ich dir das kleine Kalb zeigen, du wirst Augen machen.“

Der Kleine lief los, um seine Sachen zu holen, und zwischen den Erwachsenen breitete sich eine peinliche Stille aus. Norbert hätte Karin gern so vieles gesagt, aber die Anwesenheit des anderen Mannes hinderte ihn daran.

„Danke, dass du mir Julian ein paar Tage abgenommen hast“, verabschiedete sich der Tierarzt höflich von Karin. Die lächelte ihn warm an.

„Ich hoffe, dass Sie nicht schon bald wieder in eine solche Verlegenheit kommen“, meldete sich Walter zu Wort.

Norbert zuckte nur mit den Schultern. „Ich werde mich bemühen daran zu denken, dass Sie offenbar große Probleme mit Kindern haben“, gab er kühl zur Antwort, dann verließ er mit seinem Sohn das Haus.

Karin blickte sich um und schaute Walter streng an. „Du hättest ruhig etwas freundlicher sein können. Immerhin handelt es sich um meinen Ex-Mann und meinen Sohn. Das war einmal meine Familie.“

Er trat näher und nahm sie in die Arme. „Aber jetzt gehörst du mir.“

Diese Art von Besitzanspruch gefiel Karin gar nicht. „Ich gehöre niemandem“, sagte sie. „Das solltest du eigentlich wissen. Trotzdem ist es schön, dass du da bist.“

*

Norbert verkniff es sich den Jungen auszufragen, wie es denn im Verhältnis von Walter und Karin stand. Er hätte sich selbst schäbig gefunden, sich danach zu erkundigen, obwohl ihn gerade dieser Punkt brennend interessierte.

Der Tierarzt saß sicher hinter dem Steuer und lenkte den Wagen durch den dichten Stadtverkehr, schimpfte dabei aber innerlich über einige der Autofahrer, die offenbar noch nie etwas von Verkehrsregeln gehört hatten.

„Papa, was kriege ich eigentlich zu Weihnachten?“

Diese Frage traf den Mann unvorbereitet. Er war so sehr damit beschäftigt, sein Leben und den Zoo zu planen, dass es ihm völlig entgangen war, wie nahe Weihnachten vor der Tür stand.

„Was wünscht du dir denn?“, fragte er also vorsichtig.

Julian zuckte etwas ratlos die Schultern. „Ach, weißt du, eigentlich gar nichts Besonderes. Ich möchte nur, dass du mal wieder Zeit für mich hast.“

Diese Bemerkung traf den Mann tief ins Herz. „Dann sollte ich uns beiden doch ein ganz besonderes Geschenk machen“, stellte er spontan fest. „Wie wäre es denn, wenn wir zwei eine Woche zum Skilaufen fahren. Weißt du, ich meine tief drunten im Schwarzwald, nach Eisenbach, wo wir schon öfter gewesen sind.“

Julian schnappte nach Luft. „Das würdest du tun, Papa? Das wäre ja großartig. Dann brauche ich weiter gar keine Geschenke, auch gar nicht diesen tollen Baukasten mit dem Kran.“

Es gab Norbert einen Stich ins Herz, als er feststellte, dass er nicht einmal wusste, von welchem Baukasten sein Sohn sprach, der ihm so offensichtlich am Herzen lag. Er musste seinem Kind gegenüber viel aufmerksamer werden, stellte er für sich fest. Außerdem sollte er sich mit Karin absprechen, was denn nun überhaupt zu Weihnachten geschenkt wurde.

Trotz all dieser guten Vorsätze führte der Weg des Mannes zuerst wieder in den Zoo, was Julian aber nicht weiter störte, denn er wollte auch gern das neue kleine Nilpferd sehen. Im Übrigen besaß er unter den Pflegern eine Menge Freunde, die er schon vermisste.

Als der Junge voller Begeisterung, aber aus sicherer Entfernung das kleine Nilpferd bewunderte, setzte Norbert einen seiner guten Vorsätze in die Tat um und rief Karin an. Ihre Stimme klang abweisend und gehetzt.

„Du möchtest hoffentlich nicht den Jungen noch ein paar Tage länger bei mir lassen, nein?“, fragte sie. „Ich habe nämlich auch noch eine Arbeit und werde verreisen müssen.“

„Ich wusste nicht, dass Julian dir so sehr zur Last fällt. Oder liegt es an deinem Walter, der Kinder offenbar nicht leiden kann?“

„Dieses Gespräch ist mir zu dumm“, gab sie zurück. „Darüber diskutiere ich nicht. Was willst du also? Mach es bitte kurz, meine Zeit ist begrenzt.“

„Ich wollte mich eigentlich nur mit dir absprechen, was wir Julian zu Weihnachten schenken, damit er nicht von beiden das gleiche bekommt.“

„Das ist ja eine ausnehmend kluge Idee. Wer hat dich denn darauf gebracht?“

Er spürte wieder einmal einen Schmerz im Herzen und wünschte sich doch so sehr, ein gutes Verhältnis zu Karin zu haben, damit sie vielleicht noch einmal ganz von vorne anfangen konnten. Doch solange Walter sich an der Seite der Frau befand, war das wohl eine Illusion.

„Lass uns vernünftig miteinander reden“, bat er also beherrscht, und sie seufzte.

„Natürlich, entschuldige.“

Es stellte sich heraus, dass Karin bereits den gewünschten Baukasten besorgt hatte. Norbert fragte sich, warum er selbst nicht schon früher auf die Idee gekommen war, seinen Sohn nach seinen Wünschen zu fragen. Es war müßig weiter darüber nachzudenken. Er würde schon noch etwas anderes für Julian finden.

„Ich wünsche dir schon jetzt frohe Weihnachten“, sagte er liebevoll zu Karin.

„Ja, natürlich, ja, das wünsche ich dir auch“, gab sie zurück.

Er fasste etwas Mut. „Hast du denn auch einen besonderen Wunsch? Kann ich dir eine Freude machen?“

„Nein. Nein, danke. Ich brauche nichts.“

Er lachte leise auf. „Es geht mir auch weniger darum, ob du etwas brauchst. Ich habe dich nach einem Wunsch gefragt, etwas besonderem.“

„Bitte, Norbert, wir sind nicht mehr verheiratet. Lass das bitte“, bat sie verwirrt.

„Gut, wie du willst.“

„Vergiss nicht, einen Tannenbaum zu kaufen, Julian mag das sehr“, mahnte sie, aber er lachte auf.

„Ich glaube nicht, dass wir einen brauchen werden. Julian und ich fahren für ein paar Tage weg.“

„Das ist eine sehr gute Idee, der Junge braucht mehr Zeit mit seinem Vater. Ich wünsche euch viel Spaß.“

Sie legte auf. Er hielt den Hörer nachdenklich noch einige Zeit in der Hand, während seine Gedanken zurückschweiften in die Vergangenheit, als das Weihnachtsfest noch eine Familienangelegenheit gewesen war. Karin war geschickt darin, das ganze Haus festlich zu schmücken, so dass tatsächlich weihnachtliche Stimmung aufkam. Um des Jungen Willen hatte Norbert ebenfalls versucht etwas Weihnachtsschmuck zu dekorieren. Irgendwie wirkten seine Anstrengungen unvollkommen, und eigentlich hatte er auch keine große Lust dazu, denn das weckte viele Erinnerungen. Julian schien jedoch zufrieden damit.

Der Junge freute sich auch schon viel zu sehr auf den gemeinsamen Urlaub, als dass er große Gedanken an Weihnachtsschmuck verschwendet hätte. Er kannte das hübsche idyllisch gelegene Hotel im Schwarzwald und war schon jetzt eifrig damit beschäftigt die Skier zu wachsen.

*

Eisenbach im Schwarzwald ist ein hübscher kleiner Ort, der in einem Tal liegt, sich an einen Hügel schmiegt und hauptsächlich vom Tourismus lebt. Die umliegenden Berge sind zum Teil dicht bewachsen mit hohen Tannen, und wer sich die Mühe macht, in einem ausgedehnten Spaziergang bis auf die Kuppen zu laufen, kann an klaren Tagen bis zu den Alpen sehen. Hier, im Hotel „Berg“ hatte Norbert mit seiner Familie schon wunderschöne Tage verbracht, da war es kein Wunder, dass es ihn wieder hierher zog. Um diese Jahreszeit lag in Eisenbach immer Schnee, und weil der Tierarzt den Gastwirt vom „Berg“ gut kannte, gab es keine Probleme mit der Reservierung. Vater und Sohn bekamen noch ein Zimmer, obwohl die meisten Räume ausgebucht waren. Die idyllische Lage und der gute Ruf des Hotels brachten es mit sich, dass gerade jetzt, zwischen den Jahren, für nicht angemeldete Gäste keine Zimmer mehr zur Verfügung standen. So herrschte überall ein reges Treiben, bei dem für Norbert und Hubert, den Gastwirt, kaum Zeit für einige private Worte blieb.

Julian hingegen genoss diese Aufregung. Er lief fröhlich durch das ganze Haus und schloss Bekanntschaft mit anderen Kindern, die mit Eltern ebenfalls zum Skifahren und Erholen hierhergekommen waren.

Für den Tierarzt hingegen war es ungewohnt keine weiteren Pflichten zu haben als sich um seinen Sohn zu kümmern, nicht ständig in Bereitschaft zu sein und einfach abschalten zu können. Das fiel ihm zuerst ausgesprochen schwer. Nachdem er sich nach zwei Tagen noch immer dabei ertappte, wie er ungeduldig auf die Uhr schaute und in Gedanken seine Termine aufrufen wollte, rief er sich selbst zur Ordnung. So ging das nicht weiter. Er beschloss endlich mit der Erholung anzufangen und schaltete als erstes den Terminkalender in seinem tragbaren Computer ab.

Zunächst genoss er ausgiebig das Frühstück und ließ sich von Julian kleine Geschichten aus der Schule und von seinen Freunden erzählen. Dann nahmen die beiden ihre Skier und fuhren mit dem Skilift hinauf auf den Anfängerhügel. Norbert hatte seit zwei Jahren nicht mehr auf Skiern gestanden, ebenso wie sein Sohn. Da war es vernünftig und sinnvoll klein wieder anzufangen.

Schon nach kurzer Zeit fühlte der Mann sich aber wieder sicher auf den Brettern. Es reizte ihn, sich auf die große Piste zu begeben und eine Schussfahrt ins Tal hinunter zu unternehmen. Zum Glück gab es hier eine hervorragende Kinderbetreuung, so dass er Julian für zwei Stunden in der Skischule unterbringen konnte.

In bester Laune stand der Tierarzt oben auf dem Hügel, schaute auf das bunte Gewimmel im Schnee und setzte sich selbst in Bewegung. Mit eleganten Schwüngen fuhr er den Berg hinunter und genoss das prickelnde Gefühl von Geschwindigkeit auf den eigenen Füßen.

Von irgendwo her klang plötzlich ein lauter Ruf auf. Er drehte beim Fahren den Kopf und sah zu seinem Entsetzen, dass jemand über die Piste quer auf ihn zukam. So ein Verrückter! Es gab auf der Piste Regeln wie im Straßenverkehr, die man einhalten musste, um sich nicht gegenseitig zu verletzen. Wer auch immer da gerade auf ihn zukam, hatte entweder keine Ahnung, war ein Anfänger oder gar ein Dummkopf.

Norbert schaffte es nicht mehr rechtzeitig abzubremsen, und als er versuchte noch auszuweichen, verlor er nicht nur die schwungvolle Eleganz sondern auch seinen Halt auf den Skiern.

Gleich darauf lag er mit verdrehten Skiern im tiefen Schnee. Die Person, die noch immer auf ihn zugeschossen kam, hatte keine andere Möglichkeit mehr als sich selbst fallen zu lassen, um ihn nicht mit voller Wucht zu treffen.

„Sind Sie eigentlich verrückt?“, schimpfte Norbert. „Wie kommen Sie dazu, quer über die Piste zufahren und andere in Gefahr zu bringen?“

Ein Kopf mit einer bunten Mütze hob sich aus dem Schnee. Zu seiner Überraschung erblickte Norbert das Gesicht von Karin, seiner Ex-Frau.

„Tut mir so leid“, murmelte sie betreten. „Ich habe am Hang irgendwie den Rhythmus verloren und konnte nicht mehr bremsen… Norbert? Was machst du denn hier?“ Die Verblüffung in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen.

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, gab er kühl zurück. Dabei sah Karin in diesem Augenblick so reizend aus, dass er sie am liebsten in die Arme gezogen hätte. Die Kälte und der Schnee hatten ihr Gesicht gerötet, die Augen blitzten auf, und eine vorwitzige Haarsträhne hatte sich gelöst und fiel ihr über die Augen. Unwillkürlich pustete sie die weg, dabei wirkte sie jung und verletzlich.

Norbert rappelte sich auf, was nicht ganz einfach war. Die Bindungen an den Skiern hatten sich beim Sturz nicht gelöst, die Bretter befanden sich noch immer fest unter den Füßen.

„Hast du dich verletzt?“, fragte er besorgt.

Sie schüttelte den Kopf, hatte mit den Skiern aber das gleiche Problem wie er. So versuchten beide sich gegenseitig zu stützen, um wieder auf die Skier zu kommen, damit sie langsam bis ins Tal fahren konnten.

Vom Hang her näherte sich jetzt eine einzelne Gestalt, drehte mit einem eleganten Schwung bei und hielt bei den Gestürzten an.

„Karin, ist dir etwas passiert?“, fragte Walter, denn um den handelte es sich natürlich. Verdutzt erkannte er Norbert, seine Miene verdüsterte sich. „Was machen Sie denn hier?“

Der Tierarzt warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Ich wusste nicht, dass ich mich vor Ihnen verantworten muss, wenn ich in den Urlaub fahre.“ Beide Männer musterten sich mit unversöhnlichen Blicken.

„Wo ist Julian eigentlich?“, fragte jetzt Karin und blickte suchend umher. „Du wirst ihm doch nicht erlaubt haben diesen Hang hinunterzufahren?“

„Nein, so verrückt bin ich nicht. Er ist in der Skischule“, gab Norbert zurück.

Unwillkürlich atmete die Frau auf. Doch dann erklang ihr glockenhelles Lachen. „Es ist ja eigentlich nicht zu glauben, dass wir alle die gleiche Idee hatten. Aber ich bin erstaunt, Norbert, dass du dir doch die Zeit genommen hast, um mit dem Jungen wirklich ein paar Tage Urlaub zu machen. Das wird euch beiden gut tun. Zu Anfang dachte ich noch, das wäre nur so eine Idee von dir, die du dann doch nicht einhältst.“ Sie tat so, als würde sie die Spannung zwischen den Männern nicht bemerken. „Du hast dich doch nicht verletzt?“, erkundigte sie sich fürsorglich.

Der Tierarzt schüttelte den Kopf.

„Und du? Bist du auch wirklich in Ordnung?“, fragte er noch einmal.

„Nein, nein, alles noch einmal gut gegangen.“

„Dann halte dich jetzt besser an die Pistenregeln“, riet er und lächelte sie herzlich an.

Walter streckte besitzergreifend den Arm aus, und es gab Norbert wieder einmal einen Stich ins Herz.

„Wo wohnt ihr?“, fragte Karin rasch. „Wenn wir schon in einem Ort Urlaub machen, dann möchte ich doch gern auch meinen Sohn wieder sehen.“

„Im Hotel Berg, wo sonst?“

„Wir natürlich auch. Vielleicht treffen wir uns noch zu einem Kaffee.“ Sie gab endlich dem Drängen von Walter nach, der möglichst schnell aus der Nähe des anderen weg wollte. Norbert winkte Karin noch einmal zu, übersah Walter geflissentlich und setzte sich wieder in Bewegung.

In bester Stimmung fuhr er bis ins Tal hinab und lächelte unwillkürlich, als er daran dachte, wie sehr Walter Ehrenberg sich doch geärgert hatte über seine Anwesenheit. Er holte Julian aus der Skischule ab, und der Junge berichtete begeistert von all dem, was er heute zusätzlich gelernt hatte. Norbert kam immer mehr zu der Ansicht, dass dieser Urlaub sich zu einem Glücksfall entwickeln konnte. Irgendwie musste es doch eine Möglichkeit geben Karin davon zu überzeugen, dass sie es noch einmal miteinander versuchen sollten. Der Rechtsanwalt spielte bei diesen Überlegungen keine große Rolle, den nahm er einfach nicht ernst. Er passte doch überhaupt nicht zu Karin, und weil er Julian nicht besonders gut leiden konnte, wie wohl Kinder im Allgemeinen, war Walter ganz einfach überflüssig.

Doch so einfach wie Norbert sich das wünschte, war die ganze Sache natürlich nicht. Das sollte er am nächsten Tag noch feststellen.

*

„Papa, darf ich heute mit dir die große Piste herunterfahren? Ich habe gestern doch alles gelernt, was man dazu wissen muss. Und der kleine Hügel ist doch wirklich nur was für Dummköpfe und Anfänger.“ Julian quengelte ein bisschen. So sehr es ihm in der Skischule auch gefiel, so gerne wollte er auch den Tag mit seinem Vater verbringen, um von diesem Urlaub gemeinsam etwas zu haben. Norbert verstand diese Bitte, schlug sie aber trotzdem ab.

„Nein, mein Freund, soweit bist du noch lange nicht, dass du den großen Hang hinunterfahren kannst. Dazu braucht man mehr Übung, als du sie hast. Aber ich mache dir einen anderen Vorschlag. Wir beide fahren gemeinsam vom mittleren Hügel, da kannst du dann schon mal fleißig üben.“

Der Junge strahlte. Soviel Zeit und Aufmerksamkeit hatte ihm sein Vater schon lange nicht mehr gewidmet. Das war natürlich keine böse Absicht von Absicht von Norbert. Wenn es nur nach ihm ginge, würde er sich viel mehr um den Jungen kümmern. Das sollte jetzt aber sowieso besser werden. Doch er hatte nun einmal eine verantwortungsvolle Arbeit, die unter Umständen viel Zeit erforderte und mindestens genauso wichtig war wie die Erziehung seines Sohnes. Dabei war es ja schon von Vorteil, dass er den Jungen häufig in den Zoo mitnehmen konnte, wo Julian ohnehin von allen umsorgt und verwöhnt wurde.

Das Kind stellte gerade sein Glas mit Milch heftig auf den Tisch, so dass das Getränk ein wenig überschwappte, sprang dann auf und lief laut rufend durch den Raum.

„Mama! Mensch, Papa, hast du gewusst, dass Mama auch hierher kommt? Das ist ja toll.“ Dann blieb Julian wie angewurzelt stehen, als er sah, dass Karin sich an der Seite von Walter befand. „Ach, du bist auch da. Guten Morgen, Walter.“

Norbert konnte ein Lächeln nicht unterdrücken angesichts der wenig überzeugenden Begeisterung seines Sohnes. Aber Julian war unkompliziert wie die meisten Kinder. Er zerrte seine Mutter kurzerhand mit sich. „Ihr könnt doch bei uns am Tisch frühstücken. Nun mach schon, Mama, dann sind wir fast wieder eine Familie“, drängte er.

Karin und Norbert wechselten über die anderen Menschen hinweg einen Blick, dann nickte die Frau knapp. Widerstrebend folgte Walter, der zusehen musste, wie seine Pläne völlig umgekrempelt wurden.

Norbert stand höflich auf, als Karin näherkam, begrüßte sie demonstrativ zärtlich mit einem Kuss auf die Wange und bot ihr einen Platz an. Walter nickte er nur kurz zu, war aber höflich genug auf einen weiteren Stuhl zu deuten.

Julian war ganz aufgeregt. Seit über einem Jahr waren seine Eltern nun schon geschieden, und genauso lange hatte er sie nicht mehr gemeinsam an einem Tisch sitzen sehen. Für ihn grenzte es an ein Wunder, dass es sich hier so ergab, und er machte sich keine Gedanken darüber, ob die Erwachsenen das vielleicht ebenso gut fanden wie er. Nur schleppend kam ein Gespräch in Gang, es beschränkte sich auf das gegenseitige Wohlergehen und das Wetter.

„Bist du fertig?“, fragte der Tierarzt schließlich seinen Sohn. „Dann wollen wir los.“

„Ach, Papa, können wir denn nicht alle zusammen…“ Er verstummte, als er den Blick seines Vaters sah. Offensichtlich war dieses Zusammentreffen doch keine so gute Idee, denn auch Karin schüttelte den Kopf.

„Nein, mein Schatz, so geht das nicht, Walter und ich haben uns auch etwas vorgenommen. Du willst doch bestimmt mit Papa auch Skilaufen.“

Julian schluckte. Mussten die Erwachsenen eigentlich immer so komisch sein? Doch dann nickte er tapfer. „Ja, klar, Papa und ich wollen die mittlere Piste hinunterfahren. Das wird bestimmt ganz toll.“ Er sprach ohne jede Begeisterung, es hätte ihm viel besser gefallen, gemeinsam mit den Eltern etwas zu unternehmen, wobei er Walter großzügig toleriert hätte.

Der Rechtsanwalt hob jetzt den Kopf und schaute Norbert prüfend an. „Sind Sie sicher, dass das für ein Kind nicht eine zu große Herausforderung ist.“

„Die Entscheidung darüber sollten Sie doch besser mir überlassen. Oder sind Sie seit neuestem ein Experte für Fragen der Kindererziehung?“

„Für Kindererziehung vielleicht nicht“, erklärte Walter ärgerlich. „Aber beim Skifahren kann ich durchaus mitreden.“

Karin fuhr dazwischen. „Es ist mir absolut rätselhaft, warum ihr zwei euch nicht einmal wie vernünftige Menschen unterhalten könnt. Ist es wirklich so schwer, sich einmal etwas Respekt und Höflichkeit entgegenzubringen?“

Sofort schauten beide Männer betreten zu Boden. Sie hatte recht, aber das nutzte nicht viel, die Abneigung der beiden war offensichtlich.

„Ach wirklich, Herr Allwissend“, höhnte denn auch Norbert und hätte später nicht sagen können, welcher böse Geist ihn in diesem Augenblick ritt. „Dann sollten Sie mir das vielleicht beweisen.“

Walter gab nicht klein bei. Er kümmerte sich auch nicht um die Worte von Karin. „Was sollte ich Ihnen beweisen?“, fragte er langsam und stand auf, wobei sich seine Augen in die von Norbert bohrten.

„Dass Sie mehr Ahnung vom Skifahren haben, natürlich.“

„Lächerlich. Ich habe es nun wirklich nicht nötig, Ihnen etwas zu beweisen.“

Die Spannung zwischen den beiden Männern war prickelnd und greifbar geworden, obwohl sie hier in aller Öffentlichkeit noch immer einigermaßen höflich blieben. Dennoch blickten bereits einige Leute von den umliegenden Tischen neugierig auf und versuchten zu ergründen, was da vor sich ging.

Karin hatte das ungute Gefühl selbst inmitten einer offenen Auseinandersetzung zu stehen. Sie verstand zwar, dass die Männer sich gegenseitig ablehnten, aber diese Feindseligkeit war denn doch ein bisschen zuviel.

Bevor sie aber selbst dazwischen gehen konnte, mischte sich Julian ein, etwas altklug, aber mit dem sicheren Gespür eines Kindes für brenzlige Situationen.

„Ihr seid ganz schön dumm, wisst ihr das?“

„Julian, was ist das für eine Ausdrucksweise?“, rügte seine Mutter, aber der Junge schaute sie nur trotzig an.

„Wenn ich aber doch recht habe“, trumpfte er auf. „Bei uns auf dem Schulhof benehmen sich die großen Jungen genauso, wenn sie sich gegenseitig übertrumpfen wollen. Und dann heißt es immer, die Erwachsenen wären vernünftig.“

Betreten schauten die beiden Männer sich an. Musste ihnen tatsächlich erst ein Kind klarmachen, wie albern sie sich benahmen? Die Blicke der Männer senkten sich zu Boden, trafen sich dann wieder, und unwillkürlich lächelten sie sich an. Eigentlich waren sie sich gar nicht so unsympathisch, und auf jeden Fall wurden sie durch die Tatsache verbunden, dass Karin für beide etwas empfand.

„Lassen Sie uns das auf zivilisierte Art und Weise regeln“, schlug Walter vor und setzte sich wieder hin. „Machen wir eine kleine Wettfahrt.“

„Ihr seid ja verrückt“, schimpfte Karin. „Das nennt ihr zivilisiert? Wir sind doch alle hier, um Urlaub zu machen, was soll dieser Unfug also?“

Aber Norbert fühlte sich ebenfalls in seinem Ehrgeiz herausgefordert und nickte dem anderen zu. „Warum eigentlich nicht? Jetzt gleich?“

„Aber ihr könnt doch nicht…“, begann die Frau und brach ab, als sie feststellte, dass es beiden Männern ernst war. Zum erstenmal reichten sie sich die Hand.

„Möge der bessere gewinnen“, sagte Walter und lachte Julian plötzlich an. „Willst du der Schiedsrichter sein?“

Das Kind wuchs um einige Zentimeter. „Ja, klar“, erklärte der Junge großzügig, während Karin sich an die Stirn tippte.

„Pass bitte gut auf Julian auf“, bat Norbert. Dann wandten er und Walter sich ab, um ihre Ausrüstung zu holen.

*

Natürlich war die kleine Auseinandersetzung bei den anderen Gästen nicht unbemerkt geblieben, und dieser Wettstreit sprach sich in Windeseile herum. Schon wurden die ersten Wetten abgeschlossen. So war es auch kein Wunder, dass es sich blitzschnell bis zu Hubert, dem Wirt vom Hotel Berg herumsprach, welche Art von Konkurrenzkampf seine Gäste austrugen. Bevor die beiden das Haus verließen, hielt er sie noch einmal auf. Er kannte Norbert recht gut und bedauerte es, dass Karin sich von ihm getrennt hatte, auch wenn das eine Sache war, die nur die beiden allein anging. Dieser kleine Wettstreit hier war in seinen Augen nicht ernst zu nehmen, also nahm er die Sache von der gutmütigen Seite.

„Passt gut auf, da oben am Hang, da gibt es ein paar kritische Stellen, auch für erfahrene Abfahrer. Wenn ihr heile herunterkommt, dann spendiere ich anschließend eine ordentliche Brotzeit - für euch gemeinsam. Viel Glück.“

Eine gute Stunde später standen die beiden Männer oben am Berg und blickten die lange Strecke hinunter. Der Skilift hatte sie komfortabel hier heraufgebracht, nun lag eine Abfahrt von über zwei Kilometern vor ihnen. Diese Strecke war nur für Könner gedacht. Der Weg führte an einem kleinen Waldstück vorbei, einen steilen Hang hinunter und durch eine Art Schlucht hindurch, an der rechts und links Felswände aufragten. Für einen geübten Fahrer bot die Strecke wohl eine Herausforderung, aber keine größere Gefahr, solange niemand tollkühn wurde.

Die beiden Männer, die um die Liebe und Aufmerksamkeit einer Frau wetteiferten, nickten sich ein letztes Mal zu, dann schlossen sie die Helme, und es ging los.

Zu Anfang blieben sie noch dicht beieinander, keiner wollte dem anderen einen Vorteil gönnen. Doch dann glaubte Walter, er könnte die Strecke abkürzen, indem er sich näher am Wald entlang hielt, so trennten sich die Strecken der beiden.

Ein großer Teil der Piste war vom Hotel aus einzusehen, für den, der ein gutes Fernglas besaß und Geduld hatte. Unter den Gästen schien es eine ganze Menge davon zu geben.

Nicht nur Karin stand auf der Terrasse und hielt Ausschau nach den beiden, die sich derart kindisch benahmen, dass man es kaum glauben konnte. Welch einen Sinn sollte dieser Wettstreit denn haben? Es hieß doch nicht, dass derjenige ihr Herz eroberte, der als erster im Ziel ankam. Es war der jungen Frau peinlich, dass die Leute hier herumstanden und gafften, aber noch viel schlimmer war es, dass man ihr neugierige Blicke zuwarf und ganz offen über sie tuschelte.

Oben am Berg setzten sich die beiden dunklen Punkte in Bewegung. Julian zupfte seine Mutter am Pullover.

„Was ist, mein Schatz?“

„Was soll ich denn als Schiedsrichter eigentlich machen?“, fragte er. Karin seufzte innerlich und verwünschte beide Männer, die sie in eine solche Situation gebracht hatten.

„Am besten tust du gar nichts, Julian. Ich bin sicher, diese beiden Schafsköpfe können auch allein feststellen, wer als erster unten ankommt.“

„Mama, bist du sauer?“, erkundigte sich der Junge sachlich.

Die Frau stieß zischend die Luft aus den Lungen. „Ja, bin ich.“

„Warum? Weil Papa und ich hier sind?“

Diese Frage brachte ihr zu Bewusstsein, dass es sich hier um ihr Kind handelte, um ihren eigenen Sohn, den sie eigentlich etwas vernachlässigt hatte. Bevor sie in die Versuchung kam, ihm eine gedankenlose Antwort zu geben, ging sie in die Hocke und zog das Kind an sich.

„Aber nein, ich bin nicht sauer, dass ihr zwei hier seid. Ich finde es sogar schön, dass wir uns hier getroffen haben. Sauer bin ich nur wegen Walter und deinem Vater. Diese verrückte Idee wäre nicht nötig gewesen. Erwachsene Menschen sollten andere Wege finden können, sich über ein strittiges Thema auszusprechen. Da bedarf es keines Wettstreits. Das ist einfach nur dumm, was da gerade läuft.“

„Aber warum hast du dann Walter überhaupt als Freund? Meinst du nicht, es wäre besser, wenn wir wieder eine Familie sind?“

Vor einer Frage in dieser Richtung hatte sich Karin schon lange gefürchtet, denn sie wusste einfach nicht, was sie darauf sagen sollte.

„Ach, weißt du, Papa und ich haben dir doch schon erklärt, dass wir zwei nicht gut zusammen leben können.“

Julian senkte den Kopf. „Ja, sowas habt ihr gesagt. Aber warum könnt ihr das eigentlich nicht? Und jetzt sag nicht wieder, dass ich noch zu klein bin, um das zu verstehen. Ich bin doch schon ein großer Junge.“

Karin drückte Julian erneut an sich, gab ihm einen herzhaften Kuss und strich ihm über das Haar. „Wir reden später noch darüber“, versprach sie, wich damit einer klaren Antwort aber wieder aus. „Jetzt wollen wir erst mal zusehen, ob diese beiden Narren heile hier ankommen.“

Durch das Gespräch mit dem Jungen hatte sie eine Weile nicht auf die Piste geachtet. Jetzt schrak sie auf, als erschreckte Rufe und unterdrücktes Raunen andeuteten, dass da draußen etwas nicht stimmte.

„Ist was mit Papa?“, fragte Julian aufgeregt.

Karin nahm das Fernglas wieder an die Augen und suchte die beiden Skiläufer. Nach einer Weile hatte sie sie gefunden, und auch ihr entfuhr ein leiser Ausruf. Einer von beiden war gestürzt und lag wie ein hilfloses Bündel mitten im weißen Schnee.

*

Walter hatte sich getäuscht. Die vermeintliche Abkürzung führte durch tiefen Schnee, der schwer zu fahren war. So war er einem Umweg gefolgt. Er sah, wie Norbert ein gutes Stück vorn weiterfuhr und mühelos einen Vorsprung gewann. Der Mann bemühte sich auf die normale Piste zurückzukommen. Aber hier, wo der Schnee hoch lag und nicht durch einen Pistenbully verdichtet war, gab es für ihn Schwierigkeiten. Dann verfingen sich seine Skier unter einer Baumwurzel, die er im Schnee nicht hatte sehen können. Mit einem lauten Schrei stürzte er in die weiße Pracht, seine Stöcke flogen durch die Luft, die Skier verdrehten sich, und ein stechender Schmerz fuhr das ganze Bein hinauf. Für einen Augenblick konnte sich Walter überhaupt nicht bewegen, und er zitterte trotz der warmen Kleidung am ganzen Körper. Aber das kam vom Schock.

Unsicher und langsam machte er den Versuch sich aufzurichten. Dann registrierte er überrascht, dass plötzlich eine Gestalt neben ihm auftauchte.

Norbert hatte den Schrei gehört und war sogleich zu dem Gestürzten gefahren.

„Was machen Sie denn hier?“, entfuhr es dem Anwalt.

Norbert legte seine Stöcke an die Seite und streckte den Arm aus, um dem anderen zu helfen.

„Es kann ja sein, dass ich Sie nicht gerade als Freund ansehe, aber das heißt doch nicht, dass ich keine Erste Hilfe leiste, wo es nötig ist.“

„Das hätten Sie wirklich nicht tun müssen“, sagte Walter verwundert.

„Das weiß ich“, grinste der Tierarzt. „Aber wenn es Ihnen lieber ist, hier liegen zu bleiben und auf den jüngsten Tag zu warten, kann ich ja weiterfahren.“

Ein lautes Gelächter brach sich Bahn bei Walter. Das lag jedoch weniger an den etwas ironischen Worten von Norbert, als vielmehr an dem überstandenen Schrecken und der Erleichterung, nicht ernsthaft verletzt zu sein. Mittlerweile spürte er seinen ganzen Körper wieder, bewegte probeweise alle Glieder und stellte fest, dass sich außer einer heftigen Prellung am Bein keine schwerwiegende Verletzung zeigte. Erfreut streckte er den Arm aus und ergriff die Hand von Norbert.

„Das ist wirklich ein feiner Zug von Ihnen. Sie scheinen ja tatsächlich ein netter Kerl zu sein. Warum haben wir uns eigentlich so angegiftet?“ Walter kam auf die Füße, und Norbert grinste freudlos.

„Weil Sie der neue Freund meiner Frau sind und ich rasend eifersüchtig bin“, gab er trocken zur Antwort.

Walter schlug ihm krachend auf die Schulter. „Das werde ich wohl kaum ändern können oder wollen. Im Übrigen weiß ich, dass deine Frau noch eine ganze Menge für dich empfindet“, verfiel er unwillkürlich in das vertrauliche Du.

Norbert hielt inne und schaute den anderen Mann misstrauisch an. „Du kannst mir viel erzählen“, knurrte er unwillig und akzeptierte das Du ohne weitere Nachfrage.

„Das heißt aber trotzdem nicht, dass sie zu dir zurückkommt“, fuhr Walter fort. „Davon abgesehen ist Karin eine ganz phantastische Frau, die du nie hättest gehen lassen dürfen. Du bist ein Narr, nicht mehr um sie gekämpft zu haben.“

„Das weiß ich schon lange, auch wenn du keine Ahnung hast, wie sehr ich um sie gekämpft habe. Aber ich glaube, dieses Thema sollten wir besser außen vor lassen. Ich will darüber nicht reden.“

Walter stand jetzt wieder sicher auf seinen Skiern. Er verspürte zwar noch immer einen Schmerz vom Bein her und wusste, dass er sich schonen musste, aber das würde sich schon wieder geben. Er betrachtete Norbert neugierig und mit völlig anderen Augen.

„Du liebst Karin immer noch, richtig?“

„Mehr als mein Leben“, gestand Norbert.

„Dann hast du es nicht ganz einfach.“ Der Anwalt lachte trocken auf. „Aber ich glaube, sie hatte in einem Punkt recht. Wir sind ziemlich blöd, dass wir uns auf diesen Wettstreit eingelassen haben. Das führt doch zu nichts.“

„Es hat zu etwas geführt, wir scheinen uns ja endlich wie ordentliche Männer verständen können. Ist das nichts?“, gab Norbert zurück und musterte den anderen freundlich.

Beide Männer grinsten sich an wie Verschwörer und reichten sich die Hände. „Lass uns gemeinsam hinunterfahren und ein gutes Bier trinken. Außerdem hat Hubert uns eine Brotzeit versprochen, darauf freue ich mich jetzt schon.“ Walter machte den ersten richtigen Schritt.

Norbert fand den anderen längst nicht mehr unsympathisch, mal abgesehen von der traurigen Tatsache, dass er der Mann an Karins Seite war. Nun, vielleicht ließ sich ja daran doch noch etwas ändern – im Laufe der Zeit.

In schönster Eintracht fuhren sie in aller Ruhe die Piste hinunter, auch um das Bein von Walter zu schonen, und erreichten gemeinsam das Hotel Berg.

Hubert begrüßte die beiden schon an der Tür. Er war froh, dass sich zwischen ihnen eine Einigung anbahnte. Aus dem Hintergrund drängten sich Karin und Julian nach vorn, und der Junge baute sich fragend vor den beiden Männern auf.

„Jetzt kann ich aber kein Schiedsrichter sein, ihr habt ja gemogelt.“ Beide lachten auf.

„Wir haben unterwegs beschlossen den Wettkampf abzusagen, da brauchen wir keinen Schiedsrichter mehr“, erklärte Norbert und versuchte seinen Sohn auf die Arme zu nehmen, was dem aber gar nicht passte.

„Lass mich los, ich bin doch schon fast erwachsen“, protestierte er heftig.

Walter legte einen Arm um Karins Schulter. „Ich habe festgestellt, dass dein Ex-Mann eigentlich ein ganz feiner Kerl ist. Es gibt bestimmt eine ganze Menge, über das wir uns gut unterhalten können. Dazu braucht es keine Wettfahrt. Und jetzt haben wir Hunger.“

Das war das Stichwort für Hubert, der in weiser Voraussicht die Brotzeit im kleinen Erkerzimmer hatte auftischen lassen. Dort konnten sie alle unbeobachtet von den anderen Gästen reden und waren nicht mehr den neugierigen Blicken ausgesetzt.

Karin wunderte sich nicht wenig, wie angeregt sich die beiden Männer plötzlich unterhielten und welche Vertraulichkeit zwischen ihnen herrschte. Was mochte dort oben am Hang passiert sein, dass ihr Verhältnis sich total umgekehrt hatte? Interessant war auch, dass Walter den Jungen plötzlich anders behandelte. Hatte er in Julian vorher nur eine Art Störenfried gesehen, der nichts anderes im Sinn hatte, als das Verhältnis zwischen ihm und Karin zu unterwandern, so akzeptierte der Mann Julian jetzt als Teil der Familie, der er selbst nicht angehörte. Noch nicht, wie er hoffte. Unauffällig beobachtete er Norbert und Karin, er stellte fest, dass die zwei eigentlich gut zusammenpassten. Genau das wollte er aber nicht gerne feststellen. Schließlich empfand er viel für die Frau und sollte seinerseits eifersüchtig auf Norbert sein. Eine seltsame Situation war zwischen den beiden Männern entstanden, sie respektierten sich plötzlich, doch auch weiterhin stand die Frau zwischen ihnen. Früher oder später würde es vielleicht noch einmal zu einer Rivalität kommen, der sie nicht richtig begegnen konnte. Im Augenblick herrschte jedoch fast schon ein freundschaftliches Verhältnis, worüber sich Karin mehr wunderte als die beiden Betroffenen.

Der einzige, der im Augenblick einen zufriedenen Eindruck machte, war Julian. Für ihn war die Welt irgendwie in Ordnung, denn seine Eltern redeten vernünftig miteinander, für kurze Zeit schien es sogar ein Familienleben zu geben.

Norbert selbst fühlte sich unwirklich angesichts der Situation, genoss aber trotzdem jeden Augenblick, den er mit Karin zusammen sein konnte. Walter störte ihn noch immer ein bisschen. Doch mal abgesehen davon, dass hier beide Männer um eine Frau kämpften, verstanden sie sich gut, und es könnte vielleicht sogar der Beginn einer vorsichtigen Freundschaft sein. Eine überaus skurrile Situation.

In den folgenden Tagen verbrachten alle vier viel Zeit miteinander, besonders für Julian war das eine neue Erfahrung. Hubert und seine Frau betrachteten diese neue Gemeinsamkeit wohlwollend. Die kannten das Ex-Ehepaar schließlich schon lange genug, um zu wissen, dass die Gegensätze gar nicht so groß waren. Schon die Hochzeitsreise von Karin und Norbert hatte hierher geführt. Hubert hatte die Scheidung damals sehr bedauert. Sollte sich jetzt wieder eine Annäherung zeigen, würde es ihn sehr freuen.

Das übrige Personal hatte allerdings einige Probleme mit diesem seltsamen Dreiecksverhältnis, auch deswegen, weil Julian nun sehr ungezwungen damit umging, dass er zwischen zwei Familien, oder wie immer man das nennen wollte, hin und her pendelte. Die Leute schüttelten den Kopf, kümmerten sich aber nicht weiter darum, mit Privatangelegenheiten musste jeder selbst fertig werden.

Die schönen Tage in Eisenbach gingen viel zu schnell vorbei, und der Tag der Abreise nahte für Norbert und Julian, sie mussten schon einen Tag früher weg als Karin und Walter. Der Abschied fiel trotzdem keinem von ihnen schwer, schließlich wohnten sie alle in der gleichen Stadt.

Karin und Walter standen winkend an der Tür, als Vater und Sohn abfuhren. Dann zog der Anwalt die Frau sanft in seine Arme.

„Nun haben wir doch noch etwas Zeit ungestört für uns“, murmelte er und küsste sie zärtlich. Ihre Augen funkelten.

„Dann lass uns gleich damit anfangen“, stimmte sie zu. Und doch war Karin mit den Gedanken weit fort.

*

Der Januar verging rasch und ohne besondere Höhepunkte. Anfang Februar kam eine enorme Kältewelle, die das Leben im Zoo ein wenig veränderte. Die Wasserflächen in den Außenanlagen froren zu, so dass viele Tiere in den Innenräumen bleiben mussten, weil sonst die Gefahr bestand, dass sie über das Eis in Freie gelangten.

Norbert hatte zu seinem Sohn ein neues Verhältnis entwickelt. Er sah nicht mehr den kleinen Jungen in ihm, sondern bemerkte den heranwachsenden Jugendlichen, der auch Verständnis für die Probleme des Vaters aufbrachte.

Auch wenn im Winter weniger Besucher kamen, blieb der Zoo doch geöffnet, und die Arbeit für den Tierarzt nahm nicht ab. Ebenso fanden die täglichen Vorführungen der Tiere auf der Freifläche statt. Tiere im Zoo müssen beschäftigt werden, sonst langweilen sie sich und werden aggressiv, eine Tatsache, die Norbert dem Personal immer wieder deutlich machte. Denn Langeweile konnte zu Bösartigkeit führen. So waren alle Tierpfleger darauf bedacht, eine Art Programm zu erstellen, um eben keine Langeweile aufkommen zu lassen. Dadurch wurden gleichzeitig Attraktionen für das Publikum geschaffen.

Für Julian war es immer wieder faszinierend zuzusehen, mit welcher Geduld die Tierpfleger vorgingen, und wie lange es letztendlich dauerte, bis ein sogenanntes Kunststück eingeübt war.

Ihm selbst wurde häufig langweilig dabei, wenn er zusah. Noch besaß er nicht die Ausdauer, um in langen Stunden mit Wiederholungen und Belohnungen die Tiere zu unterrichten.

Nach dem unglaublichen Skiurlaub war auch zwischen seinen Eltern und Walter Ehrenberg etwas Neues entstanden. Norbert und Karin sprachen jetzt öfter miteinander, und der Junge hegte die Hoffnung, dass es doch noch einmal etwas werden könnte zwischen ihnen. Genau das bemerkte aber auch der Anwalt, und er war nicht besonders begeistert darüber. Auch wenn er mittlerweile zu Julian ein gutes Verhältnis entwickelt hatte, so fürchtete er doch den Tag, an dem er feststellen musste, dass zwischen seinen Eltern wieder eine Beziehung bestand. Er wollte Karin nicht gern verlieren, schätze andererseits aber auch die neuentwickelte Freundschaft zu Norbert.

Dabei war aber weder Walter noch Julian bekannt, dass sich im Zoo einige Veränderungen anbahnten, wovon indirekt auch Karin betroffen war. In den letzten Jahren hatte es neue Anlagen gegeben, die durch namhafte Architekten erstellt worden waren, es gab Themengebiete und Besucherbereiche, die ihresgleichen suchten. Jedoch waren einige dieser Ideen nicht unbedingt im Sinne der Zooleitung ausgefallen. Da war es schon fast selbstverständlich, dass auch das Büro, in dem Karin arbeitete, um eine neue Planung gebeten wurde. Die Frau kannte den Zoo und seine Pläne, sie würde sich bestimmt an die Wünsche der Verwaltung halten. So sollte schon einmal ein Plan und ein Kostenvoranschlag erstellt werden. Obwohl man auch andere Büros zu dieser Ausschreibung hinzuziehen musste, war Karins Arbeitgeber klar favorisiert. Doch da tauchte ein neues Problem auf. Karin wollte diesen Auftrag eigentlich gar nicht. Sie wusste, dass sie bei dieser Arbeit viel mit ihrem Ex-Mann zu tun haben würde. Dabei war sie sich ihrer Gefühle selbst nicht sicher. Sie empfand noch immer unheimlich viel für Norbert und wusste diese Gefühle nicht einzuordnen. Es gab ihr immer wieder einen Stich ins Herz, wenn sie ihm begegnete, was auch für Julian galt. Trotzdem war sie es gewesen, die auf die Scheidung gedrängt hatte.

Natürlich durfte Karin sich von ihren Bedenken zunächst nichts anmerken lassen. Für ihren Chef jedenfalls war das die große Chance, die ihm sogar internationale Anerkennung bringen konnte. Zoos auf der ganzen Welt tauschten ihre Erfahrungen aus. Wer einmal gute Arbeit abgeliefert hatte, wurde auch dort gerne berücksichtigt. Und nicht nur dort. Eine neue Anlage in der geplanten Größenordnung war in jedem Fall etwas Besonderes. Auch wenn durch die Ausschreibung noch nicht sicher war, dass der Auftrag ausgerechnet an dieses Planungsbüro vergeben werden würde. Da die junge Frau in diesem Fall über beste Verbindungen verfügte, war es eigentlich nur natürlich, dass ihr Chef diese auszunutzen gedachte. Karin mochte sich ruhig sträuben, ihr Chef gab ihr den Auftrag die Vorarbeiten aufzunehmen – sie musste sich seinen Anweisungen fügen.

*

Die ersten Frühlingsblumen streckten ein wenig vorwitzig die Köpfe ins Freie, einige wärmende Sonnenstrahlen tauchten das Land in ein freundliches Licht, und Karin fühlte einen heftigen Stich im Herzen, als sie den vertrauten Weg entlangging. Der Zoo kam ihr noch immer vor wie ein zweites Zuhause, auch wenn sie das nicht gerne zugeben wollte. Wie lange war sie schon nicht mehr hier gewesen? Hatte sie nicht immer mit Norbert und Julian wunderbare Stunden hier verbracht? Erinnerungen brachen auf, und unvermittelt kämpfte sie mit den Tränen.

Energisch wischte sie sich durch das Gesicht. Genau das hatte sie befürchtet. Sie wollte keine Erinnerungen. Sie hatte sich von Norbert getrennt, weil er in seiner Arbeit ihretwegen nicht hatte zurückstecken wollen. Und irgendwann hatten sie nicht mehr miteinander geredet, sondern sich nur noch angeschwiegen. Das war ein Fehler von beiden Seiten gewesen, wie sie längst wusste. Doch nein, so ganz stimmte auch das nicht. Sie war es gewesen, die ihre Arbeit noch wichtiger nahm als er, und sie hatte viel zu wenig Verständnis dafür gehabt, dass für Norbert die Arbeit ebenfalls sehr wichtig war. Er war mit Leib und Seele Tierarzt, er liebte seine Schützlinge – ebenso wie seine Familie. Deswegen hatte er sich auch redlich Mühe gegeben auf ihre Wünsche einzugehen, nur ihr war das noch zu wenig gewesen. Hatte sie damit nicht doch einen Fehler gemacht? War sie heute wirklich glücklicher? Nein, musste sie ehrlich zugeben. Ihr fehlte Julian, ihr fehlte das Lachen von Norbert, seine Nähe, seine Wärme, er. Auch die neue Beziehung zu Walter war nicht das, was sie erhofft hatte. Ihr Herz hing immer noch an ihrem Ex-Mann, deswegen würde die Partnerschaft mit Walter vermutlich auch nicht richtig funktionieren.

Nach dem Urlaub in Eisenbach hatten die zwei immer mehr festgestellt, dass sie einfach nicht zusammengehörten. Es war reine Gewohnheit, dass sie noch gemeinsam etwas unternahmen, die Trennung war bereits abzusehen. Interessant fand Karin jedoch, wie sehr Walter sich verändert hatte. An den Wochenenden mit Julian kümmerte er sich um den Jungen, die beiden schienen sich jetzt richtig gut zu verstehen.

Das alles schoss der jungen Frau durch den Kopf, während sie durch die Anlagen lief. Die Geräusche der Tiere drangen an ihre Ohren, fröhliches Kinderlachen, Gesprächsfetzen der Besucher. Karin atmete tief durch. Irgendwie hatte ihr das alles hier gefehlt.

Zielstrebig schlug sie den Weg zur Elefantenanlage ein, hinter der das große Areal lag, das neu bebaut werden sollte. Dort wollte sie sich mit Norbert und dem Zoodirektor Winfried Behler treffen.

„Mama, da bist du ja.“ Julian kam strahlend auf seine Mutter zugelaufen.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie verblüfft. „Solltest du nicht zuhause sein und deine Hausaufgaben machen, bevor du in den Zoo kommst?“

Der Junge wurde mittags für drei Stunden von der Haushälterin von Norbert betreut, einer herzensguten älteren Frau, die den Jungen wie ihren Enkel liebte. Danach sollte Norbert eigentlich selbst zuhause sein und sich um seinen Sohn kümmern, doch das klappe nicht immer. So war der Zoo längst ein zweites Zuhause für den Jungen geworden. Um diese Zeit jedoch…?

„Aber Mama, Mathilde ist doch auch hier, und meine Hausaufgaben habe ich längst gemacht. Papa hat erzählt, dass du heute in den Zoo kommst, und da wollte ich unbedingt dabei sein. Bist du jetzt böse auf mich?“

Bestürzt schloss Karin ihren Sohn in die Arme.

„Aber nein, Julian, wie kommst du denn darauf? Ich war nur verwundert.“

„Dann ist es ja gut“, erklärte der Junge. Er nahm seine Mutter bei der Hand und zog sie mit sich zur Brüstung am Elefantengehege. „Schau, da drüben ist der neue kleine Bulle. Herr Behler hat gesagt, dass ich ihm einen Namen geben darf.“

„Das ist aber eine große Auszeichnung“, stellte seine Mutter erstaunt fest. Meist wurde aus der Namensgebung ein ziemliches Spektakel gemacht, um den Zoo mit den Medien mal wieder ins das Bewusstsein der Menschen zu rufen.

„Stimmt, aber du sollst ja die neue Polarwelt bauen, das ist noch viel toller. Wie machst du das überhaupt?“ Offenbar konnte sich Julian noch nicht recht vorstellen, wie eine Planung ablief. Auch Karin schwindelte es fast vor dieser Aufgabe. Gemeinsam mit ihrem Kollegen hatte sie bereits für eine Landesgartenschau gearbeitet, hier ging es jedoch noch um mehr. Eine völlig neue Welt sollte entstehen, in der Eisbären, Pinguine, Seelöwen, Robben und andere Polartiere ein neues Zuhause finden sollten. Ein Tunnel würde durch das gigantische Aquarium hindurchführen und die Besucher direkt ins Meer versetzen. Es handelte sich in der Tat um ein ehrgeiziges Projekt, und jeder andere an Karins Stelle hätte sich alle zehn Finger danach abgeleckt. Sie verstand ihre Zurückhaltung selbst nicht recht. Hatte sie soviel Angst vor den eigenen Gefühlen? Traute sie sich selbst nicht? Aber durfte sie sich durch persönliche Empfindungen davon abhalten lassen, ein gigantisches Projekt zu bauen?

Julian strahlte über das ganze Gesicht, als er mit seiner Mutter an der Hand auf das im indischen Stil gehaltene Gebäude zulief. Hinter einem Wassergraben tobte eine Horde Affen, etwas weiter entfernt befand sich das Gehege für die Tiger, es roch nach Räucherstäbchen und anderen exotischen Zutaten, denn im Innern gab es einen Kiosk, an dem exotische Souvenirs und natürlich auch das für einen Zoo übliche Programm verkauft wurden.