4 Mitreißende Bergromane Februar 2024 - Anna Martach - E-Book

4 Mitreißende Bergromane Februar 2024 E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Romane: Anna Martach: Nur die Berge schauen zu Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg Anna Martach: Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich Anna Martach: Die Sache mit dem Herzen Ganz Hindelfingen fiebert dem Heimatfest entgegen, bei dem in diesem Jahr erstmalig ein Wettbewerb im Kuchenbacken ausgetragen werden soll. Auch Daniel Ingold ist als Preisrichter eingeteilt, doch hat er eine böse Vorahnung, die sich schon bald bestätigen soll ...

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Anna Martach

4 Mitreißende Bergromane Februar 2024

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Inhaltsverzeichnis

4 Mitreißende Bergromane Februar 2024

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Nur die Berge schauen zu

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Zwei Herzen auf dem Irrweg

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Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich

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Die Sache mit dem Herzen

4 Mitreißende Bergromane Februar 2024

Anna Martach

Dieses Buch enthält folgende Romane:

Anna Martach: Nur die Berge schauen zu

Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg

Anna Martach: Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich

Anna Martach: Die Sache mit dem Herzen

Ganz Hindelfingen fiebert dem Heimatfest entgegen, bei dem in diesem Jahr erstmalig ein Wettbewerb im Kuchenbacken ausgetragen werden soll. Auch Daniel Ingold ist als Preisrichter eingeteilt, doch hat er eine böse Vorahnung, die sich schon bald bestätigen soll ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Nur die Berge schauen zu

Alpendoktor Daniel Ingold

von Anna Martach

Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.

Ganz Hindelfingen fiebert dem Heimatfest entgegen, bei dem in diesem Jahr erstmalig ein Wettbewerb im Kuchenbacken ausgetragen werden soll. Auch Daniel Ingold ist als Preisrichter eingeteilt, doch hat er eine böse Vorahnung, die sich schon bald bestätigen soll ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

1

Daniel Ingold warf einen Blick zur Uhr. Die Sprechstunde zog sich heute wieder in die Länge. Alle Welt schien eine „Sommergrippe“ zu haben, wie der Volksmund es nannte, eine harmlose, aber lästige Erkältung, die im Einzelfall zu heftigen Beschwerden führte.

Auch seine beiden Sprechstundenhilfen, Minchen und Maria, waren davon nicht verschont geblieben. Maria lief seit zwei Tagen mit Halsschmerzen und roten Augen umher, weigerte sich aber beharrlich, sich vom Chef untersuchen zu lassen.

„Meine Oma sagt immer, Salbei und Thymian ist gut dafür, und eine heiße Zitrone. Dann geht‘s auch wieder weg“, beharrte das fesche Madl, was den Doktor noch immer insgeheim verehrte, obwohl doch mittlerweile längst ein Herzallerliebster da war. Der befand sich jedoch irgendwo in Arabien und baute Hochhäuser, oder was auch immer. Regelmäßig gingen lange Briefe hin und her, und auch die Telefonrechnung war enorm. Doch wenn das die einzige Möglichkeit war, um engen Kontakt aufrechtzuerhalten, dann sollte das eben auch egal sein. Es war jedenfalls nicht möglich, öfter als alle sechs Monate hierherzukommen, mehr schaffte der junge Mann zeitlich nicht. So konnte Maria ihren Schatz jetzt aber auch nicht anstecken. Tapfer hielt sie durch und kümmerte sich um die Patienten.

Bei Minchen sah es sogar noch etwas schlimmer aus. Sie hatte mittlerweile Fieber dazubekommen und fühlte sich förmlich wie durch den Wolf gedreht. Die ältere Frau hatte in all den langen Jahren, die sie schon als Sprechstundenhilfe arbeitete, noch nie wegen einer Krankheit gefehlt, und sie wollte nicht ausgerechnet jetzt damit anfangen.

Hermine Walther, wie sie richtig hieß, führte den letzten Patienten ins Sprechzimmer, gab Daniel die Karteikarte und drehte sich schnell zur Seite, als sie heftig niesen musste.

„Hatschi.“ Der ganze Körper der Frau wurde geschüttelt.

„Gesundheit“, kam es gleichzeitig aus zwei Kehlen, und Minchen bedankte sich mit nasaler Stimme.

„Minchen, ich möcht‘ S‘ gleich hier noch mal sehen“, ordnete Doktor Ingold an.

„Ja, freilich, Herr Doktor.“ Sie verschwand, und Daniel kümmerte sich um seinen Patienten. Anschließend wäre eigentlich Feierabend gewesen, doch der Alpendoktor hatte nun schon drei Tage lang zugesehen, wie die treue Seele sich durch die Arbeit quälte. Das sollte doch besser ein Ende haben. Als Hermine wieder hereinkam, bot er ihr einen Platz an, und sie wirkte irritiert. Die Situation machte einen ernsten Eindruck, und die Frau wurde unruhig.

„Hab ich was falsch gemacht, gibt‘s irgendwelche Probleme?“

„Ja, ein ziemlich großes sogar“, erwiderte Daniel ernst. „Wissen S‘, Minchen, ich möcht‘ doch Ihre Meinung zu einem Fall hören.“

Sie wunderte sich. Obwohl sie natürlich fast jeden Einwohner von Hindelfingen kannte, war es doch nicht üblich, dass der Arzt um ihre Meinung fragte. Daniel war schließlich erfahren und kompetent genug in seinem Beruf, um sicher eine Diagnose zu stellen. Was also sollte diese Frage?

„Ich glaub‘, ich versteh‘ das net ganz“, näselte sie und holte ein Taschentuch hervor, um sich zu schnäuzen.

„Na, dann mal so. Ich hab da einen Patienten, der sich gehörig was eingefangen hat, so eine richtig fiese Erkältung mit allem drum und dran. Sowas ist ja nun auch ansteckend, vor allem, da ständiger Kontakt mit anderen Leuten zur Arbeit gehört. Aber dieser Patient, der eigentlich gar kein Patient sein will, ist so unvernünftig, sich net krankschreiben lassen zu wollen, weil er glaubt, er wär‘ unersetzlich. So, und nun sagen S‘ mir, was soll ich mit dem machen, damit er Vernunft annimmt? Kann man das verantworten, den noch weiter auf seiner Arbeit zu belassen?“

„Eigentlich net“, meinte die Frau. „Schließlich ist niemand unersetzlich, und wenn der sich morgen ein Bein brechen tät‘, dann wär‘ er auch net einsatzfähig. Sowas müssen S‘ ihm sagen. Und wenn das auch nix helfen tät‘, dann müssen S‘ halt mit dem Chef reden, dass der den Mann heimschickt.“

„Sehr gut“, lobte Daniel und schmunzelte. „Jetzt müssen S‘ also nur noch feststellen, von wem ich die ganze Zeit geredet hab, ja?“

Sie lachte kurz auf. „Diese Beschreibung passt im Augenblick auf ungefähr jeden zweiten männlichen Einwohner von Hindelfingen. Das wird ein tolles Konzert aus Husten und Niesen, wenn am Wochenende das Heimatfest stattfindet.“

„Na, grenzen wir den Bereich doch ein bisserl ein“, fuhr Daniel fort und ließ nicht locker. „Die Person ist weiblich und net mehr ganz so jung.“

Minchen überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich glaub‘, jetzt kann ich net ganz folgen.“

„Oh, dann muss ich wohl doch deutlich werden. Ich red‘ nämlich die ganze Zeit von Ihnen, Hermine Walther. So wie‘s im Moment ausschaut, kann ich‘s net länger verantworten, dass S‘ mit dieser heftigen Erkältung hier weiter arbeiten. Sie könnten mir ja die Patienten erst richtig krank machen. Ich will, dass S‘ ein paar Tage daheim bleiben und sich auskurieren.“

„Aber das geht doch net“, protestierte sie empört.

„Und warum net? Die Maria ist ja auch noch da, es wird schon irgendwie gehen. Das ist doch auch in Ihrem Interesse. So können S‘ viel schneller wieder gesund werden. Schließlich sind S‘ ja auch keine achtzehn mehr. Was net heißt, dass S‘ alt sind. Da scheinen S‘ eher wie ein guter Wein, der wird mit den Jahren auch immer besser – wenn man ihn gut behandelt.“

Sie wollte etwas sagen, doch er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. „Nix mehr, Minchen, ist mein letztes Wort.“

„Ach, und dann soll ich womöglich auch dem Heimatfest fernbleiben? Wo‘s doch den ersten Wettbewerb im Kuchenbacken gibt“, protestierte sie noch einmal.

„Dafür würd‘ wahrscheinlich jede Frau am Ort selbst vom Totenbett aufstehen“, grinste er. „Davon will ich S‘ auch bestimmt net abhalten. Ich gehöre schließlich in die Jury, und ich freu‘ mich schon drauf. Ein Stückerl Kuchen besser als das andere.“

„Nach dem fünften haben S‘ bestimmend schon genug – hatschi.“ Wieder angelte Minchen nach einem Taschentuch.

„Bis zum Wochenende wird‘s bestimmt besser gehen. Aber hier gibt‘s jetzt nix mehr zu sagen. Jetzt gehen S‘ brav heim, und die Maria wird S‘ würdig vertreten. Keine Widerrede mehr, ich mein‘s ja nur gut.“

„Na, ich werd‘s versuchen. Aber wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, kann ich für nix mehr garantieren.“ Sie ging hinaus, wobei sie wiederum heftig nieste, und Daniel schüttelte schmunzelnd den Kopf.

Am nächsten Morgen ließ er ihr einen großen Blumenstrauß nach Hause schicken.

2

Neben dem Schützenfest war das Heimatfest der alljährliche Höhepunkt in Hindelfingen. Alle Vereine kamen zusammen, im Ort herrschte eine Art Ausnahmezustand, und jedermann bereitete sich darauf vor. In diesem Jahr würde es zum ersten Mal einen Wettbewerb im Kuchenbacken geben. Teilnehmen konnte ein jeder, der in der Lage war, einen Kuchen oder eine Torte zuzubereiten, also eigentlich wirklich jedermann. Aber in Hindelfingen hatte das Backen eine lange Tradition, es gab in jedem Haushalt eigene Rezepte, die eifersüchtig gehütet wurden. Schon in normalen Zeiten übertrafen sich die Frauen bei der Zubereitung, und Daniel Ingold war schon öfter in den Genuss gekommen von der einen oder anderen Patientin als kleines Dankeschön eine Torte oder einen Kuchen geschenkt bekommen zu haben. Das war im Übrigen seine große Schwäche, er konnte solchen Köstlichkeiten einfach nicht widerstehen. Überhaupt war essen seine große Leidenschaft, was sich bisher jedoch noch nicht in Gewicht oder Figur niedergeschlagen hatte. Er konnte essen, was er wollte, ohne dass er dicker wurde. So war es auch nur natürlich, dass er zu den ausgewählten Personen gehörte, die beim Wettbewerb die Kuchen mit bewerten sollten, denn eigentlich wusste jeder über diese Leidenschaft Bescheid.

Aber es gab in Hindelfingen auch eine ganze Reihe von Leuten, die das Kochen und Backen zu einer Kunst gemacht hatten. Es gab wunderbare Rezepte, und aus einem einfachen Apfelkuchen konnte ein Genuss wie aus dem Paradies werden – auch wenn Pfarrer Feininger das Wort Paradies in diesem Zusammenhang für unpassend hielt.

Mit einem Augenzwinkern schalt er dann die „Lästermäuler“, legte ihnen ein Ave Maria als Buße auf und aß mit Genuss selbst die Köstlichkeiten, die so verführerisch waren. Irgendwie hatte es sich angeboten, dass ein solcher Wettbewerb hier am Ort ausgeschrieben wurde, auch deswegen, weil die Mannsbilder ja längst schon miteinander in Wettstreit lagen. In Rahmen des Heimatfests gab es Wettbewerbe für die verschiedenen alten handwerklichen Gewerke, Seil schlagen, schnitzen, melken, mähen mit der Sichel; aber die Frauen waren dabei meist nur Zuschauer.

Als dieser Vorschlag also eingebracht wurde, gab es keine Gegenstimme, und der Beschluss dazu erfolgte ohne Diskussion. Nur bei der Wahl der Jury tat man sich etwas schwer. Doch auch da wurde man sich schließlich einig.

Zuerst hatten sich nur Männer gemeldet, kein Wunder, denn jede Frau, die zu den Preisrichtern gehörte, konnte nicht teilnehmen. Aber Vreni Kollmannberger gab schließlich dem Drängen nach. Ihre Kuchen, wie auch die von Hermine Walther, standen eigentlich außerhalb jeder Konkurrenz, sie mussten ihr Können nicht mehr beweisen, also hatte man gleich zwei Frauen gefunden, die sehr wohl auch das Können anderer beurteilen konnten. Deshalb empfand Minchen es auch schlichtweg als Katastrophe, dass ausgerechnet jetzt eine Erkältung dafür sorgte, dass sie eigentlich das Bett hüten musste. Doch sie würde nicht einfach aufgeben, sie war sicher, dass sie bis zum Wochenende wieder auf den Beinen sein konnte, eine solche Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen. Hauptsache, sie bekam auch diesen erbärmlichen Schnupfen in den Griff, auf jeden Fall hatte sie keine Lust andere Leute anzustecken. Außerdem konnte man mit einem handfesten Schnupfen gar nicht richtig schmecken. Wie sollte sie dann Kuchen und Torten beurteilen können?

Aber schließlich gab es ja auch noch andere Leute, die ebenfalls zur Jury gehörten. An der Summe der Anmeldungen gemessen hätte man glauben können, dass Hindelfingen mehrere Tausend Einwohner besaß. Aber keine der Frauen am Ort wollte es sich nehmen lassen, ihre Künste unter Beweis zu stellen.

So hatte der Bürgermeister zusammen mit dem Pfarrer entschieden, dass die Jury stark vergrößert werden musste. Sechzehn Männer und Frauen würden nunmehr die Qual der Wahl haben und vor allem anschließend für einige Zeit keinen Kuchen mehr sehen können.

Jetzt im Vorfeld freuten sich aber noch alle, und die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren.

Der Gesangsverein Concordia probte täglich, die Kapellen der Freiwilligen Feuerwehr und des Schützenvereins marschierten schon jetzt durch die Straßen, alle Vorgärten wurden geputzt und neu bepflanzt, Flaggen aufgehängt und Zäune frisch gestrichen. Selbst die Hecken wurden neu geschnitten – kurzum, in ganz Hindelfingen wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen.

3

In der Nähe der Kirche standen zwei sehr alte schöne Fachwerkhäuser, die den Wandel der Zeiten immer wieder unbeschadet überstanden hatten. In dem einen wohnte schon seit ewigen Zeiten die Familie Treblinger, in dem anderen Familie Hornschläger. In früheren Zeiten mochten die Familien einmal eng befreundet gewesen sein, denn die beiden Häuser lehnten sich eng aneinander, und auch die Grundstücke schienen irgendwie zusammenzugehören. Doch soweit sich auch die ältesten Bewohner des Ortes erinnern konnten, waren die beiden Familien verfeindet. Kein Mensch kannte den Grund, und selbst Pfarrer Feininger hatte mehrmals vergeblich den Versuch unternommen vermittelnd einzugreifen. Was er jedoch auch unternahm, keine Seite war bereit nachzugeben, einen Schritt auf die anderen zuzumachen oder gar die Hand zum Frieden auszustrecken.

Obwohl niemand eine Begründung für das feindselige Verhalten nennen konnte, war auch niemand bereit, die Feindschaft abzulegen und zu einem, wenn schon nicht freundschaftlichen, so doch nachbarschaftlichen Verhältnis zu finden.

Der alte Wilhelm Hornschläger war vor zwei Jahren gestorben, er hatte den Tod seiner geliebten Frau nicht lange überlebt. Zurückgeblieben war Ute, die Tochter und damit das einzige Kind.

Bei Familie Treblinger gab es noch den Markus und seine Großmutter. Die Eltern des jungen Mannes waren vor fast sieben Jahren bei einem Unfall verstorben, doch er wie auch Ute im Nachbarhaus hatten keine Anstalten gemacht endlich den Krieg zu beenden. Ganz im Gegenteil, bei den seltenen Gelegenheiten, da sie aufeinandertrafen, brachten sie es kaum über sich, einen eisigen Gruß zu tauschen. Falls überhaupt, wurden bissige Bemerkungen gewechselt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.

An diesem herrlich sonnigen Nachmittag verließ Ute das Haus, um etwas einkaufen zu gehen. Aus dem offenen Küchenfenster bei Treblingers drang der Duft eines Kuchens. Markus hantierte eifrig herum, wie die junge Frau unschwer erkennen konnte, und sie brachte es nicht über sich, sich eine hämische Bemerkung zu verkneifen.

„Hast grad dein Mittagessen verbrennen lassen? Solltest vielleicht doch besser in den Kreuzkrug gehen und dir beim Franzl was kochen lassen. Da kann man das nämlich, im Gegensatz zu dir.“

Markus streckte den Kopf aus dem Fenster und warf Ute einen undefinierbaren Blick zu. Insgeheim hatte er sich schon lang in das fesche Madl verguckt, wusste aber beim besten Willen nicht, wie er den ewigen Krieg beenden sollte. Eine so gemeine Bemerkung wollte er aber auch nicht einfach auf sich sitzen lassen, denn er war schon stolz darauf, dass er nach den Rezepten seiner Großmutter oft seine Freunde mit einem Genuss aus der Küche verwöhnt und verblüfft hatte.

„Bevor du meinen Kuchen schlecht machst, solltest erst mal anfangen, es besser zu machen. Du lässt ja noch das Wasser anbrennen.“

„Lügner, niemals tät‘ ich so was, schließlich bin ich eine Frau.“, empörte sie sich. „Ich hab schon gekocht, bevor du wusstest, wie ein Kochtopf ausschaut.“

„Höchstens vor Wut“, spottete er.

„Na wart‘, dir werd‘ ich‘s zeigen“, rief sie jetzt zornig. „Wirst schon sehen, morgen beim Wettbewerb werd‘ ich einen Kuchen zaubern, vor dem du dich nur verbeugen kannst.“

Er lachte böse auf. „Das sagst ausgerechnet du? Kannst ja net mal Sahne schlagen, ohne dass sie zu Butter wird, geschweige denn einen Kuchenteig anständig rühren. Aber mir soll‘s recht sein. Schließen wir eine Wette ab, dass mein Kuchen besser abschneidet als deiner.“

„Na, darauf kannst dich schon jetzt verlassen.“ Mit hoch erhobenem Kopf rauschte sie davon. Markus schaute ihr eine Weile hinterher. Auf diese streitbare Weise würde er sicher keinen Weg finden, um endlich mal ein paar freundliche Worte mit Ute zu wechseln, oder vielleicht sogar ein entspanntes Verhältnis aufzubauen, aus dem mehr werden konnte. Zu gerne hätte der junge Mann die schlanke Gestalt mit den schulterlangen blonden Haaren und den leuchtend blauen Augen in die Arme genommen. Sollte er das jedoch wirklich wagen, befürchtete er, dass Ute ihm dann statt des ersehnten Busserls eher einen Satz blaue Augen verabreichen würde.

Nun, erst mal der Kuchen und der Wettbewerb, dazu musste er rasch wieder an den Herd, der Boden war fertig. Markus verbrannte sich die Finger, als er nicht darauf achtete, die Topflappen richtig in die Hand zu nehmen. Davon abgesehen duftete es verführerisch, und wenn er bei der Füllung keinen Fehler machte, würde Ute es sehr schwer haben, ihm auch nur das Wasser zu reichen. Goldbraun und lecker war der Boden, den der junge Mann jetzt auf das Fensterbrett zum abkühlen stellte.

4

Zur gleichen Zeit bereitete sich Silvester Bergmann, der Bürgermeister von Hindelfingen, ebenfalls auf das Wochenende vor. Noch heute Abend sollte er die Feier im Festzelt auf dem Schützenplatz eröffnen. Vorher hatte er jedoch hier im Rathaus noch den ewig gleichen Papierkrieg zu erledigen. Eigentlich war Silvester gern Bürgermeister. Er hielt mit Begeisterung lange Reden, stand gern im Licht der Öffentlichkeit und fühlte sich wohl, wenn alle Leute einen gewissen Respekt vor ihm hatten. Doch dann gab es auch immer wieder Angelegenheiten, die ihm schrecklich auf die Nerven gingen. Dazu gehörte auch das Gespräch, was ihm jetzt zusätzlich noch mit dem Anton Firner bevorstand.

Silvester und Anton hätte man bisher mit Fug und Recht als Freunde bezeichnen können, doch in letzter Zeit war das Verhältnis abgekühlt.

Firner betrieb eine ausgedehnte Landwirtschaft, doch wie er behauptete, wurde er langsam zu alt für diese Arbeit, und auch gesundheitlich ging es ihm nicht sehr gut. Da hatte es sich angeboten, dass der Bürgermeister vor gar nicht langer Zeit die Idee geäußert hatte, einen Teil dieses Landes für ein neues Baugebiet in Erwägung zu ziehen. Hindelfingen wurde größer, und zum Grimsteig hinauf war der Platz begrenzt, ebenso in der Au, wo die Theine floss. Die Gemarkung war in einem Tal halt eben begrenzt, und so hatte Anton mit Begeisterung auf den Vorschlag reagiert, den Silvester zunächst unter vier Augen eingebracht hatte. Aber natürlich konnte der Bürgermeister nicht allein eine Entscheidung von dieser Tragweite treffen, außerdem war er der Ansicht, dass es auch noch anderes Gelände gab, was sich für diese Absicht eignen würde. Dazu kam, dass jemand ihm ein gutes Stück Land, was er selbst einkaufen und dafür benutzen wollte, vor der Nase weggeschnappt hatte.

All das änderte natürlich nichts daran, dass das Gelände vom Firner ideal als Neubaugebiet anzusehen war. Nun drängte der Anton auf eine rasche Entscheidung und glaubte, der Bürgermeister wollte eine Abstimmung darüber verhindern, was so aber nicht richtig war. Deshalb hatte er heute noch einen Termin, um mit dem Firner vernünftig zu reden.

Aber warum ausgerechnet heute?, fragte sich Silvester, der diese Diskussion gerne verschoben hätte. Doch dem Firner konnte man nicht entgehen, da war es wohl besser, diese Sache gleich hinter sich zu bringen.

Es klopfte an der Tür, und Bergmann seufzte. Jetzt schon? Zu seiner Überraschung streckte jedoch Daniel Ingold den Kopf durch die Tür.

„Hallo, hast einen Augenblick Zeit für mich?“

„Alles, was mich vor Anton Firner im Moment schützt, ist mir willkommen. Was kann ich für dich tun?“

„Ach, nix besonders Wichtiges. Es geht um morgen, um den Wettbewerb. Ich denk‘ nur immer dran, dass es vorkommen kann, dass ich keine Zeit hab. Im Augenblick hat‘s förmlich eine Epidemie der Sommergrippe, und ich hab ein paar Fälle, wo ich ständig Hausbesuche machen muss. Es ist net so, dass ich mich drücken wollt, mir tät‘ das sogar Spaß machen. Aber ich denk‘, es sollt‘ dann wenigstens ein Ersatzmann da sein.“

„Ach, wenn‘s weiter keine großen Probleme sind, ich glaub‘, da lässt sich was machen“, lachte der Bürgermeister. „Ganz bestimmt wird sich noch jemand bereiterklären, die Bernie vielleicht – ja, bitte.“ Es hatte an der Tür geklopft, und Anton Firner kam herein, obwohl er doch sehen musste, dass Daniel hier noch mit einem Anliegen beschäftigt war.

„Kannst wohl noch einen Moment draußen warten?“, bat Silvester höflich, doch der andere Mann machte keine Anstalten dazu.

„Ich hab nix dagegen, wenn der Daniel dabei ist. Schließlich haben wir keine Geheimnisse miteinand‘.“

Silvester seufzte. „Nein, wirklich net. Aber ich weiß auch net, warum du noch mal hier bist, Anton. Hab ich dir net schon mehrmals erklärt, dass ich sowieso net allein eine Entscheidung treffen kann? Der Stadtrat beschließt darüber in der nächsten Sitzung, denk‘ ich.“

„Der Stadtrat tut genau das, was du ihm sagst“, polterte Firner.

„Das ist eine Unterstellung, und die nimmst besser auf der Stelle zurück.“

„Warum sollt‘ ich, wo‘s doch wahr ist. Ich hab‘s jedenfalls noch net erlebt, dass ein Antrag abgelehnt wurd‘, den du eingebracht hast.“

Daniel war die Situation ein bisschen peinlich, er wollte nicht gern Zeuge dieser Auseinandersetzung sein. Konnten sich die beiden denn nicht wie zwei zivilisierte Menschen verständigen?

„Warum willst denn net einfach abwarten, bis der Herr Bürgermeister den Antrag überhaupt eingebracht hat?“, wandte er jetzt ein. „Ich find‘s reichlich narrisch, wennst jetzt schon einen Aufstand machst, wo doch noch gar nix entschieden ist.“

„Bist am End‘ gar auch gegen mich?“, knurrte Anton Firner.

„Ich bin für oder gegen gar nix und niemanden. Vor allem, da ich net mal weiß, was hier zwischen euch gelaufen ist. Aber ich weiß recht gut, dass man nix erreichen kann, wenn man andere Leut‘ unter Druck setzt. Damit macht man sich nur Feinde. Und außerdem wird der Silvester bestimmt net fröhlich einen Antrag einbringen, der dich unterstützt, wenn du ihm schon gleich vorher Schwierigkeiten machst. Überleg doch mal logisch.“

„Das kann er net“, brummte Silvester. „Die klare Überlegung hat er beim Kühemelken auf der Weide verloren.“

„Na wart‘, dir werd‘ ich‘s gleich zeigen“, brüllte der andere Mann und wollte auf ihn losgehen, doch Daniel trat dazwischen.

„Ja, bist denn jetzt ganz und gar deppert geworden? Geh erst mal heim und beruhige dich wieder. Morgen will ich dich dann in der Praxis sehen. Ich glaub‘, dein Blutdruck macht dir im Moment arge Probleme.“

Anton Firner ließ sich von dem Arzt aus dem Zimmer drängen, doch mit dem Bürgermeister war auch er noch nicht fertig.

„Das war unnötig, so muss man die Leut‘ auch net reizen“, erklärte er. „Weißt doch ebenso gut wie ich, dass der immer gleich hochgeht wie eine Rakete. Warum musst ihn dann noch provozieren?“

„Ach, und ich soll mir wohl alles gefallen lassen? Noch dazu von so einem Deppen?“

„Ich dacht‘ eigentlich, ihr seid befreundet, jedenfalls bis vor kurzer Zeit. Im Übrigen solltest dich mal selbst fragen, welche Meinung du von deinen Mitbürgern hast, die dich immerhin gewählt haben. Legst gar keinen Wert darauf?“

Erschreckt schaute Silvester den Doktor an.

„So darfst das natürlich net sehen. Hast das denn grad wirklich geglaubt, dass ich das ernst gemeint hab? Nein, nein, ganz so ist das net. Ich war wohl einfach ein bisserl genervt. Es sollt‘ net so ausschauen, als wollt ich ...“

Er bemerkte das Lächeln im Gesicht vom Daniel und unterbrach sich.

„Das hast ja gar net so ernst gemeint, du Schlingel.“

„Nein, net so ganz. Damit wollt ich dich eigentlich nur zur Ruhe bringen. Aber wenn der Anton so was herumerzählt, musst schon damit rechnen, dass manch einer dich ein bisserl dumm anschauen wird.“

Silvester machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Damit werd‘ ich wohl leben müssen. Schließlich kann man es net allen gleich recht machen. Außerdem denk‘ ich, dass wir sehr wohl eine Lösung finden werden. Weißt, so ganz dumm ist die Idee ja schließlich auch nicht. Aber man muss dabei auch die hohen Kosten bedenken, die für eine Erschließung fällig werden – die Straßenanbindung ist nur eines davon, dazu kommen Versorgungsleitungen, die auch net umsonst und schon gar net von heut‘ auf morgen gelegt werden. Aber darüber kann der Stadtrat in voller Stärke diskutieren. Jetzt ist erst mal Schluss hier. Ich muss noch heim und mich umziehen, schließlich hab ich noch mehr Verpflichtungen.“

„Ich auch, mir stehen noch ein paar Hausbesuche bevor.“

„Meinst net, dass du auch mal Urlaub machen solltest?“, schlug Silvester ernsthaft vor. „Kein Mensch kann immer nur geben und für andere da sein. Brauchst auch mal Erholung und musst auftanken. Und erzähl mir jetzt net, du könntest deine Patienten net allein lassen. Da ist auch noch der Alois, und die Kollegen aus der Stadt springen sehr wohl ein.“

Daniel lachte auf. „Ist eine verlockende Idee, Silvester, aber glaub‘ mir, net mehr als eine Idee. Ich werd‘ dennoch drüber nachdenken, wenn ich ein bisserl Zeit find‘.“

„Tu das. Aber nachher kommst doch noch mit der Bernie zum Fest? Es tät‘ sonst was fehlen.“

„Ich will‘s versuchen, aber versprechen kann ich nix, weißt ja, wie‘s geht.“

„Daniel“, Silvester Bergmann legte dem Arzt mitfühlend eine Hand auf die Schulter. „Bist ein feiner Kerl und ein guter Arzt. Aber manchmal glaub‘ ich wirklich, lässt dich von einigen Leuten ausnutzen. Hast denn nie gelernt auch mal nein zu sagen?“

„Nein“, lachte der Doktor und machte sich wieder auf den Weg.

5

Gespannte Ruhe herrschte an diesem Morgen in Hindelfingen, denn jeder war mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt. Hier wurde letzte Hand an ein festliches Kleid gelegt, dort ein Anzug frisch aufgebügelt, und fast überall wurden noch immer Kuchen und Torten verziert. In der Festhalle brachten eifrige Gärtner den letzten Blumenschmuck an, Tische wurden aufgestellt, auf denen später die Erzeugnisse aus Herd und Küche präsentiert werden sollten, und draußen begannen die Handwerker mit den Abschlussarbeiten für das Podium und die Bühne, auf denen die Darbietungen stattfinden sollten. Kein Mensch ging seiner normalen Arbeit nach, oder fast keiner.

Auch die Praxis von Daniel Ingold war an diesem Tag offiziell nicht geöffnet, doch jeder wusste schließlich, wie der Arzt zu erreichen war. So hatte er am frühen Morgen bereits eine Gallenkolik behandelt, die ganz sicher durch falsches und zu fettes Essen am Vorabend ausgelöst worden war. Routine, nichts weiter, und der Alpendoktor hatte die Sache auch schnell im Griff. Mit einer Reihe von Ermahnungen verließ er kopfschüttelnd das Haus. Warum konnten die Leute nicht ein bisschen vernünftig sein, wo sie doch genau wussten, dass gerade die Galle auch kleine Sünden sofort empfindlich übel nahm. Nun, dies war hoffentlich der letzte Notfall für heute, doch Daniel hatte ein ungutes Gefühl, etwas lag in der Luft.

Daheim wartete schon Bernie Brunnsteiner auf ihn. Die fesche Tierärztin war für Daniel immer wieder wie eine neue Entdeckung. Seit langer Zeit schon waren die beiden ein Paar, und jedermann am Ort wartete darauf, dass es endlich zu einer Verlobung und hoffentlich einem Termin für die Hochzeit kam. Bisher jedoch hatte sich noch nie die rechte Gelegenheit ergeben, um diese wichtige Frage endlich zu klären. Das lag zum einen daran, dass jedes Mal, wenn Daniel endlich den Mut gefasst hatte, etwas dazwischen kam. Davon abgesehen war es für beide eine ausgemachte Sache, dass sie eines Tages gemeinsam vor den Traualtar treten wollten.

Bernie jedoch hatte eine schlechte Erfahrung mit einem anderen Mann noch immer nicht überwunden. Sie zögerte daher, von allein auf dieses Thema zu sprechen zu kommen, und Daniel besaß genug Geduld und Einfühlungsvermögen, um die junge Frau nicht zu drängen. Er genoss ganz einfach jede Minute, in der beide zusammen sein konnten und ging meist mit einigen scherzhaften Worten darüber hinweg, wenn wieder einmal eine mehr oder weniger verdeckte Andeutung von jemandem aus dem Ort kam.

Bernie sah einfach entzückend aus. Da an diesem Tag alles ein bisschen offiziell war, hatte sie auf die übliche Kleidung, Jeans und Pulli, verzichtet und stattdessen ein Kleid angezogen. Dabei handelte es sich um ein seltenes Ereignis, und Daniel gingen die Augen über. Er ließ sich von seiner Verblüffung jedoch nicht lange aufhalten, zog die schöne Frau in die Arme und busselte sie erst einmal herzhaft ab.

„Bist nun fertig, oder hast noch mehr Hausbesuche?“, fragte sie verständnisvoll. Als Tierärztin war ihr das Problem nicht unbekannt.

Er lächelte zuversichtlich. „Nach allem, was ich weiß, steht jetzt nichts mehr an. Ich werd‘ jede Minute genießen, wo ich mal ich selbst sein darf.“

„Ach, und wer bist sonst?“, neckte sie liebevoll.

„Das willst lieber net wirklich wissen, oder? Vielleicht bin ich ein Monster, was nur darauf wartet, die schönste aller Frauen aus Hindelfingen zu entführen, die dann den Zauber brechen muss, damit aus dem Monster ein Mann wird.“

„Oh, so was halte ich für eine gute Idee. Anschließend kann man dann eine wissenschaftliche Abhandlung darüber schreiben, Metamorphose durch geistige Blockaden, oder so ähnlich. Damit kann man bestimmt berühmt werden“, erklärte Bernie gespielt ernsthaft.

„Du tätst auch immer noch einen Ausweg finden, was? Ich werd‘ jetzt schnell unter die Dusche springen und mich rasch umziehen, damit ich unter die Leut‘ gehen kann. Hilfst mir hinterher mit der Krawatte?“

„Ja, freilich. Nun geh und eil‘ dich, sonst wird‘s noch zu spät.“

Im Handumdrehen war der Doktor fertig, und Bernie richtete ihm die Krawatte. Automatisch griff er dann nach seiner Tasche, als er Hand in Hand mit Bernie das Haus verließ, doch sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

„Das ist net dein Ernst“, schalt sie, aber er verzog das Gesicht.

„Sei net bös, aber ich trau mich einfach net, ohne zu gehen. Ich hab so ein Gefühl ...“

„Du wirst noch eine Katastrophe herbeireden.“

„Ach, muss ich gar net, die holen uns ja doch immer wieder ein.“

„Na, vielleicht hast recht. Kannst sie da ja bestimmt irgendwo unterbringen. Und weißt, irgendwie kann ich mir das gar net vorstellen, wie‘s ausschauen tät‘, wennst mal ohne Tasche unterwegs bist.“

Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Ich hab‘s ja immer gewusst, bist die beste aller Frauen, hast für alles Verständnis.“

Fröhlich wie ausgelassene Kinder liefen sie die Straßen entlang, wo sich auch schon viele andere Leute befanden. In einer halben Stunde würde der Umzug beginnen, Kapellen, Trachten- und Gesangsverein, Tanzgruppen, alles war auf den Beinen. Aus dem ganzen Umland waren Leute angereist, und bestimmt würde ein jeder auf seine Kosten kommen.

Daniel und Bernie machten sich gleich auf den Weg in die Festhalle. Hier würden sie den Einmarsch der Gruppen ebenfalls verfolgen können, ohne sich zwischen viele andere Leute zu quetschen und anschließend an ihre Plätze hasten zu müssen.

Die beiden Ärzte blieben im abgetrennten Teil der Halle wie angewurzelt stehen, als ihre Blicke auf die Tische ringsum fielen.

Natürlich war allen die Zahl der Anmeldungen bekannt gewesen. Doch eine Zahl zu hören oder zu lesen und die riesige Menge zu sehen war zweierlei.

„Das ist doch net wahr“, ächzte Daniel.

Bernie lachte auf und betrachtete ihn prüfend. „Müssen wir morgen neue Hosen kaufen, wenn du dich da durchgegessen hast?“, neckte sie.

„Na, zum Glück muss ich ja nur probieren, so was übersteigt selbst meinen Appetit auf Süßes.“

Auch die anderen Mitglieder der Jury schnappten nach Luft und machten mehr oder weniger kluge Bemerkungen, vor allem auch deswegen, weil noch immer weitere Torten und Kuchen hereingebracht wurden. Jedes gute Stück bekam eine Nummer, und nur ein Mensch wusste, wer nun tatsächlich welches Gebäck abgegeben hatte.

In Daniels Jackett summte und vibrierte das Handy, mit einem entsagungsvollen Lächeln nahm er das Gerät heraus. Bernie schüttelte den Kopf.

„Das kann doch sicher auch der Notdienst übernehmen?“

Daniel meldete sich, er hatte denn doch keine Ruhe, wenn er nicht wusste, um was es ging. Dann aber wurde sein Gesicht angespannt und ernst.

„Ich komm, so schnell ich kann. Rufen S‘ auch den Rettungswagen.“ Er lauschte einen Moment. „Was soll das heißen, die will net ins Hospital?“ Er schüttelte den Kopf, drückte Bernie die Hand und drehte sich um, während er letzte Worte in das Mikrofon sprach. „Ich bin unterwegs.“

„Ist‘s so arg?“, erkundigte sich Bernie mitfühlend.

„Die Gangbichler Marietheres hat ganz plötzlich Wehen bekommen – im achten Monat.“

„Ja, aber dann muss sie doch ins Hospital. Das kann schließlich gefährlich werden.“

„Sie will aber net.“

„So eine Unvernunft, die gefährdet doch das Kind und sich selbst“, wunderte sich die junge Frau wieder einmal über die Dummheit der Menschen.

„Ich werd‘s ihr wohl irgendwie klarmachen müssen. Aber erst mal muss ich hin.“ Der Doktor hatte seine Tasche an der Garderobe abgegeben, von dort holte er sie jetzt und machte sich auf den Weg. Bernie schaute ihm besorgt hinterher.

6

Ute Hornschläger stellte aufatmend die Kuchenplatte ab. Bis zum letzten Moment hatte sie verziert und verbessert, alles noch einmal glatt gestrichen und wieder aufs Neue begonnen ein Meisterstück zu schaffen. Das war schon immer ihr Problem gewesen. Der Kuchen selbst war eine Köstlichkeit, aber das dekorieren misslang ihr regelmäßig. Doch schließlich wurde bei diesem Wettbewerb nicht nur der Geschmack bewertet, auch das Aussehen spielte eine Rolle. Ausgerechnet Markus Treblinger war vor ihr an der Reihe, und seine Torte sah wesentlich besser aus als ihre eigene. Da würde sie hoffentlich beim Geschmack mehr zu bieten haben.

Ute warf einen abschätzigen Blick zu dem jungen Mann hinüber. „Hat dir niemand gesagt, dass man hier keine gekauften Sachen einreichen darf?“, fragte sie zuckersüß.

„Ist ja freundlich von dir, dass du mir gleich so ein Kompliment machst. Ich glaub‘ aber net, dass du das Recht hast, darüber zu urteilen“, schnappte er zurück. „Wennst selbst net in der Lage bist, was Ordentliches auf die Beine zu stellen, solltest besser net über andre Leut‘ reden, die sich redlich Mühe geben.“

„Du hast‘s grad nötig zu lästern. Ich bin sicher, dass deine Großmutter die ganze Arbeit gemacht hat, damit du jetzt angeben kannst.“

„Und wenn‘s der Heilige Geist gemacht hätt‘ ...“

„Na, na, Kinder, was hör ich denn da?“

Ute errötete, und Markus senkte verlegen den Kopf. „Das hab ich net so ernst gemeint“, murmelte er.

„Diese Kinder, immer so gedankenlos“, fuhr Pfarrer Feininger fort, der gerade am rechten Platz gestanden hatte, um die kleine Auseinandersetzung zu verfolgen. „Jetzt stell dir nur mal vor, unser Herrgott schickt dir alle Plagen vom Hiob, und irgendwann sagt er dann, er hätt‘s net so ernst gemeint. Was tätst dann wohl denken?“

„Ist ja schon gut, Herr Pfarrer, ich hab‘s verstanden“, erwiderte Markus noch immer verlegen, und Ute grinste.

„Heuchler.“

„Fühlst dich gar als was Besseres?“, fuhr er nun auf.

„Wollt ihr wohl stad sein?“ Der Pfarrer ließ nicht zu, dass erneut Streit ausbrechen konnte.

Die beiden gaben jetzt wortlos ihre Kuchen ab, dann ging Ute davon und spürte nicht einmal die brennenden Blicke des Burschen. Er schaute ihr hungrig hinterher, und sein Verhalten blieb natürlich nicht unbemerkt. Pfarrer Feininger und auch Vreni Kollmannberger wussten diese Blicke nicht recht zu deuten, hatte der Bursche am Ende etwas vor, was der Ute schaden konnte? Keiner von ihnen konnte schließlich wissen, dass Markus hoffnungslos in die junge Frau verliebt war.

7

Daniel Ingold hatte sich mit dem Wagen auf den Weg gemacht, doch schon unterwegs begann er selbst daran zu zweifeln, dass es einem Rettungswagen überhaupt gelingen würde, das abgelegene Anwesen überhaupt zu erreichen.

Schon zu normalen Zeiten war die Straße schwierig zu befahren. Unzählige Schlaglöcher auf dem schmalen Zufahrtsweg ließen es kaum zu, dass ein Auto mit normaler Geschwindigkeit hier entlangfuhr, es war kaum mehr als Schritttempo möglich. Kein Wunder, dass Gangbichlers meist mit dem Traktor in den Ort fuhren, um einzukaufen, oder was auch immer nötig war. Jetzt aber schien sich endlich jemand entschlossen zu haben, aus dem Weg eine Art Straße zu bauen. Dadurch war die Zufahrt mit dem Auto allerdings völlig unmöglich geworden. Auch Daniel musste den Wagen auf der Straße stehenlassen und zu Fuß weiter gehen. Die Zeit drängte, wenn die Wehen wirklich eingesetzt hatten. Aber kein Sanitäter würde die Marietheres fast einen halben Kilometer auf der Trage bis zum Rettungswagen transportieren können.

Baumaschinen standen zu beiden Seiten der Straße, rechts war über eine lange Strecke eine Grube aufgehoben worden, und der ohnehin schon unebene Weg war zusätzlich durch Material und Aushub versperrte und teilweise aufgerissen. Wie konnte man die ganze Familie eigentlich von der Außenwelt abschneiden?

Der Arzt war etwas außer Atem, als er endlich im Laufschritt das Haus erreichte. Die Haustür stand offen, und aus einem Zimmer drang das gequälte Stöhnen einer Frau. Der sechsjährige Sohn Peter hockte in der Küche und schaute dem Arzt entgegen.

„Wird die Mama wieder gesund?“, fragte er angstvoll.

„Aber ja, musst keine Angst haben. Das ist nun mal so, wenn ein neues Baby auf die Welt kommt, für uns sieht das immer viel schlimmer aus als es ist. Aber die Mama vergisst das ganz schnell wieder. Am besten gehst jetzt einfach in dein Zimmer, und ich schick‘ dir den Papa. Der kann dann mit dir spielen oder dir was vorlesen, während ich der Mama helfe.“

Das Gesicht des Kindes hellte sich auf, es vertraute den Worten des Arztes voll und ganz. Dabei war der Doktor längst nicht so überzeugt davon, dass alles so einfach ablaufen würde, wie er es gerade voller Zuversicht erklärt hatte.

Wehen im achten Monat, noch dazu aus heiterem Himmel, waren immer ein Alarmsignal.

Peter aber ging nun getröstet gehorsam in sein Zimmer, und der Arzt betrat das Schlafzimmer.

Marietheres lag auf dem Bett, hielt sich den geschwollenen Leib, und neben dem Bett kniete Günter und hielt die Hand der Frau. Er wirkte vollkommen hilflos und atmete erleichtert auf, als er Daniel erkannte.

„Ich weiß net weiter“, stöhnte er. „Die Marietheres sagt, dass das Kind kommt, aber es ist doch noch gar net so weit. Können S‘ net was unternehmen?“

Daniel lächelte beruhigend. „Da drinnen festhalten kann ich‘s auch net. Nein, nein, wenn das Baby auf die Welt will, dann müssen wir halt ein bisserl helfen.“

„Wir?“ Der Mann riss entsetzt die Augen auf, was der Doktor gar nicht recht verstehen konnte. Bei den Tieren auf dem Hof hatte er doch mit Sicherheit schon oft Geburtshilfe geleistet, warum regte er sich so auf, wenn es um seine Frau ging? Aber das war vermutlich das Syndrom des werdenden Vaters, weit verbreitet und nur selten zu überdecken.

Günter schüttelte energisch den Kopf, und Daniel gab nach.

„Nein, ich glaub‘, es ist wohl doch besser, wenn die Marietheres und ich das allein machen. Gehen S‘ rüber zum Peter, der hat nämlich große Angst. Sprechen S‘ ein bisserl mit ihm, das beruhigt euch beide.“

Erleichtert stand der Mann auf, tätschelte seiner Frau noch einmal die Wange und verschwand auffallend schnell aus dem Zimmer. Daniel sprach erst mal beruhigend auf Marietheres ein, doch die Frau war nicht halb so aufgeregt wie ihr Mann.

„Wann hat‘s denn angefangen?“, fragte der Arzt, während er die ersten Untersuchungen vornahm. Der Puls des Kindes raste, aber es hatte sich schon längst in den Geburtskanal gedrängt, die Fruchtblase war noch nicht geplatzt, dennoch stand die Geburt unmittelbar bevor. Den Vorgang jetzt abzubrechen würde nicht nur gefährlich sein, er konnte Mutter und Kind das Leben kosten. Bis ein Rettungswagen mit Sanitäter hier sein konnte und Marietheres tatsächlich über die unwegsame Straße ins Hospital gebracht hätte, würde es auf jeden Fall zu spät sein.

Auch die Hebamme noch zu verständigen, würde von der Zeit her vermutlich nicht mehr reichen, aber die Anna Pöschl sollte auf jeden Fall so rasch wie möglich hierher kommen und sich anschließend um Mutter und Kind kümmern. Wenn alles glatt gehen sollte, war es wohl auch unnötig, noch einen Aufenthalt im Hospital anzuordnen. Falls alles glatt gehen sollte.

„Vor gut zwei Stunden hat‘s angefangen“, berichtete die junge Frau, die eigentlich recht hübsch war, jetzt aber das Gesicht immer wieder verzerrte, wenn eine Wehe mit starken Schmerzen den Körper verkrampfte. „Zuerst hab ich noch gedacht, es wären die ganz normalen Rückenschmerzen und der Druck im Unterleib, wie man‘s immer wieder mal hat. Aber dann wurd‘s immer schlimmer, und jetzt bin ich sicher, dass das Kind kommt.“

„Ja, so schaut‘s tatsächlich aus“, beschwichtigte Daniel. „Ist ein klein wenig voreilig, aber da kann man nix machen. Kinder haben ihren eigenen Kopf. Vor zwei Stunden wär‘s aber auch noch Zeit gewesen ins Hospital zu fahren, jetzt klappt das nimmer.“

„Das geht ja auch gar net“, antwortete Marietheres und stöhnte auf, als die nächste Wehe kam.

Daniel stellte die Stoppuhr ein, um die Abstände zu messen, dann informierte er die Hebamme, die sich sofort auf den Weg machte. Mit diesem Gespräch war er kaum fertig, als schon die nächste Wehe dafür sorgte, dass die Frau stöhnte. Die Abstände waren denkbar kurz, nun konnte es gar nicht mehr lange dauern, bis die Presswehen einsetzten. Der Arzt überzeugte sich davon, dass das Kind zumindest in der richtigen Lage war, eine Steißgeburt hätte weitere unnötige Komplikationen nach sich gezogen.

Im weiteren Verlauf erfuhr Daniel, dass Marietheres ihrer Ansicht nach daheim bleiben musste, schließlich war da noch der kleine Peter, und der Hof wie auch der Haushalt mussten versorgt werden – die üblichen Bedenken, von denen alle Frauen geplagt wurden, die für ihre Familie verantwortlich waren.

Daniel wollte das aber so nicht gelten lassen. „Der Pfarrer Feininger hat einen Hilfsdienst organisiert“, widersprach er. „Die jungen Leut‘ haben mittlerweile eine Menge Erfahrung in allen Dingen, und da wird in den nächsten Tagen auch Hilfe kommen. Es geht ja net an, dass jemand hier Probleme hat, die man leicht vermeiden könnt‘.“

Eine Sorgenfalte entstand auf der Stirn der Frau. „Wir haben aber net viel Geld, ich weiß net, ob wir uns das leisten können.“

„Schmarrn, wo‘s Not tut, da kostet das gar nix, es ist eine freiwillige Hilfeleistung. Eigentlich sollt‘ sich das inzwischen längst herumgesprochen haben. Da hätten S‘ schon lang ein paar fleißige Hände hier haben können. Seh‘ ich das denn wohl richtig, dass die Wehen eingesetzt haben, nachdem S‘ im Stall oder wo auch immer schwer gearbeitet hatten?“

Sie nickte, die Zähne unter der neuerlichen Welle von Schmerzen zusammengepresst.

„Reine Unvernunft“, kommentierte der Arzt. „Aber ändern können wir das jetzt auch net mehr. Nun ist‘s erst mal wichtig das Kind zu holen.“

Die ruhige Art des Arztes verfehlte ihre Wirkung nicht. Marietheres wurde ruhiger, vielleicht auch deswegen, weil jetzt ein Hoffnungsschimmer in Sicht war. Die Sorgen um Hof und Familie belasteten doch sehr, aber jetzt schien eine Lösung in Aussicht gestellt, da konnte sie sich endlich auf die Geburt konzentrieren.

Daniel wäre froh gewesen, hätte er noch eine erfahrene Hand zur Hilfe gehabt, doch bis die Hebamme hier war, dauerte es noch eine ganze Zeit. Kurz meldete er sich bei der Bernie, sie würde halt eben an seiner Stelle als Jury einspringen müssen. Er bedauerte kurz, dass er nun nicht in den Genuss der vielfältigen Köstlichkeiten kommen würde, doch dies hier war dringender. Im Übrigen war Arzt nun einmal der Beruf, den er sich ausgesucht hatte, und auf den er niemals verzichten würde, für Daniel Ingold war Arzt eine Berufung. Anderen zu helfen war das, was er immer gewollt hatte, nichts anderes. Was bedeutete es da schon, auf etwas zu verzichten, was man mühelos nachholen konnte?

Nichts war so wichtig, wie für andere Menschen da zu sein.

Rasch und geschickt machte sich der Arzt daran, alles vorzubereiten, um dem neuen Erdenbürger auf die Welt zu helfen.

8

Die sechzehn Mitglieder der Jury standen vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Mehr als einhundert Backwaren hatten die fleißigen Einwohner von Hindelfingen eingereicht.

Natürlich wäre es sinnlos gewesen, von jedem etwas zu probieren, spätestens nach dem zwanzigsten hätte niemand mehr überhaupt noch etwas schmecken können. Die ganzen Köstlichkeiten würden später übrigens zu einem kleinen Preis verkauft, dieses Geld sollte dem Hilfsdienst von Pfarrer Feininger zugutekommen. Die Gruppe von Jugendlichen, die er zunächst aus einer Laune heraus angehalten hatte, älteren oder kranken Menschen zu helfen, die nicht mehr richtig laufen konnten und dementsprechend unzureichend versorgt wurden, konnte immer einen Zuschuss gebrauchen. Mittlerweile war es eine ständige Einrichtung geworden, und die jungen Leute sprangen überall dort ein, wo jemand dringend Hilfe benötigte – sei es nach einem Unfall oder bei einem Bettlägerigen, und auch manchmal bei alleinstehenden Menschen, die einfach nur jemanden zum reden und zuhören brauchten. Die Lehrer an den Schulen halfen nach Kräften mit, wenn sich herausstellte, dass die betreffenden Schüler durch ihre Aufgabe etwas in Verzug gerieten, sie boten Nachhilfe auf freiwilliger Basis an. Die Mitglieder dieser Gruppe selbst erhielten nicht mehr als ein Taschengeld, doch die Erfahrungen, die sie bei der Arbeit sammelten, waren unbezahlbar und kamen ihnen im späteren Leben zugute. Das gesammelte und auch gespendete Geld wurde dazu benutzt, den Hilfsbedürftigen das Leben etwas leichter zu machen. Wer jedoch Hilfe brauchte und dazu in der Lage war, zahlte auch gerne, so viel er aufbringen konnte. Dieses System hatte mittlerweile Schule gemacht in den umliegenden Ortschaften, und von dort kamen mittlerweile eine Menge Anfragen nach den Erfahrungen, die bislang durchweg positiv waren. So bot diese Veranstaltung eine willkommene Einnahme für weitere Projekte.

Die Jury hatte sich mittlerweile in Gruppen aufgeteilt, die sich schließlich über Proben hermachen sollte. Aber natürlich ging eine Veranstaltung wie diese nicht ohne eine Rede vom Bürgermeister, Silvester Bergmann. Die Freude der Anwesenden hielt sich in Grenzen, als er begann, doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten machte er es kurz. Er war im allgemeinen bekannt und berüchtigt dafür, endlose Monologe zu halten, in denen er zwar viel redete, aber nur selten etwas Konkretes sagte. Heute jedoch war er selbst viel zu begierig darauf, sich selbst ins Getümmel zu stürzen.

In dem abgetrennten Saal gingen die Preisrichter umher, kosteten und schrieben ihre Eindrücke auf Zettel, auf denen jeweils eine Nummer vermerkt war. Die Tür zum großen Saal stand offen, auch wenn eine Kette allzu Neugierige daran hindern sollte hereinzukommen. Aber die Köpfe von vielen Leuten zeigten sich für kurze Zeit, bewundernde Rufe wurden laut, Kommentare gerufen, aber niemand versuchte ernsthaft die Preisrichter zu beeinflussen. Außerdem gab es auf diesem Heimatfest so viel zu sehen und zu bestaunen, man konnte an vielen Dingen mitmachen und sich ausgiebig amüsierten, dies hier war nur ein kleiner Teil der Veranstaltung. Die Sieger würden ja auch erst spät am Abend bekanntgegeben, schließlich musste alles ausgewertet werden. Bis dahin konnte man noch vieles andere unternehmen.

Während Bernie Brunnsteiner umherging, von diesem und jenem kostete, was man ihr als Auswahl zugelost hatte, vermerkte sie alles eifrig. Es war gar nicht so einfach, und am liebsten hätte die junge Frau einen jeden zum Sieger erklärt. Aber da waren dann doch die kleinen Unterschiede, hier eine extra originelle Verzierung, dort eine Zutat, die besonders schmeckte, aber nicht genau einzuordnen war, alles in allem eine schwierige Entscheidung. Daniel hätte dennoch seine helle Freude gehabt.

Ob das Baby schon da war? Oder gab es gar unvorhersehbare Komplikationen? Auch wenn eine Geburt heutzutage keine großen Risiken mehr barg, waren unverhoffte Wehen im achten Monat ein Problem und damit keine Routine.

Bernies Gedanken flogen zu dem geliebten Mann, als könnte sie ihm auf diese Weise Kraft übermitteln.

9

Das Gesicht von Marietheres war schweißnass, ihre Hände krallten sich in die Bettdecke, und sie stöhnte wieder auf. Jetzt konnte es wirklich nicht mehr lange dauern, die Presswehen hatten eingesetzt und schüttelten den Körper förmlich.

„Gleichmäßig atmen, nicht den Atem anhalten“, kommandierte Daniel und tastete vorsichtig zum wiederholten Male den Leib ab. Wo blieb denn nur die Hebamme? Wenn es hier gleich richtig losging, war er allein ein ziemlich einsamer Helfer. Er konnte schlecht die Geburt und das Kind überwachen und sich gleichzeitig um die Mutter kümmern. Im Normalfall war es keine Schwierigkeit, dass eine Person allein bei einer Geburt anwesend war, doch hier bestand nun mal ein Risiko.

Endlich klingelte es an der Tür, Anna Pöschl war da, sie hatte die gleichen Probleme vorgefunden wie Daniel, um überhaupt das Haus zu erreichen.

Das spielte jetzt alles keine Rolle mehr. Die ältere erfahrene Frau musste nur einen Blick auf die Gebärende werfen, um schon in groben Zügen zu wissen, was geschehen war. In kurzen Worten erklärte Daniel die Sachlage. Die Hebamme war schon so lange im Dienst, dass keine längeren zusätzlichen Erklärungen notwendig waren. Nun konnte der Arzt sich endlich darauf konzentrieren das Kind zu holen, Anna kümmerte sich um die Mutter.

Eine halbe Stunde später tat der Erdenbürger seinen ersten Schrei: ein Junge mit kräftiger Stimme, sehr klein und natürlich nicht voll ausgereift. Doch der erste Apgar-Test zeigte keine großen Defizite, Mutter und Kind hatten mehr Glück gehabt, als Daniel zunächst befürchtet hatte.

Anna strahlte, als sie Marietheres das Kind in die Arme legte. Das Gesicht der jungen Mutter war wie bei fast allen Frauen in diesem Augenblick von überirdischer Schönheit. Augenblicklich hatte sie alle Schwierigkeiten und Schmerzen der Geburt vergessen, der Anblick des Kindes löschte alles aus.

Anna Pöschl beseitigte mit raschen sicheren Bewegungen die schmutzige Wäsche, räumte alles beiseite, was gebraucht worden war, und schon wenige Minuten später erinnerte nichts mehr daran, dass sich hier gerade eine dramatische Geburt abgespielt hatte. Die Frau war einfach unbezahlbar, und Daniel hoffte, dass Anna noch lange ihren Dienst versehen würde, für Hindelfingen und Umgebung war sie unersetzlich.

Der Arzt setzte sich auf die Bettkante und strich dem Baby über die Wange. Der kleine Bub lag ruhig und zufrieden an den Körper der Mutter geschmiegt. Marietheres war völlig erschöpft, aber schlafen konnte sie längst nicht. Anna hatte den Ehemann und den kleinen Peter geholt, damit auch die das neue Familienmitglied begrüßen konnten. Peter krabbelte ohne Umstände auf das Bett und begann mit dem Baby zu schmusen, nachdem er in seiner kindlichen Art festgestellt hatte, dass der neue Bruder kaum größer als eine kleine Katze war.

„Alles noch mal gutgegangen. Aber ich wär‘ dankbar, wenn S‘ mir beim nächsten Mal ein bisserl mehr Zeit zugestehen würden. Und vielleicht tät‘s bis dahin sogar eine anständige Straße geben“, erklärte Daniel, der sich die eigene Erleichterung nicht gern anmerken lassen wollte.

„Ach, nein, ich denk‘, es reicht jetzt mit Kindern“, lachte Günter. „Die Marietheres hat jetzt bestimmt genug durchgemacht, noch ein Kind braucht‘s net.“

„Ach, und ich werd‘ net danach gefragt?“, protestierte die Frau matt. „Vielleicht möcht‘ ich ja noch ein Madl.“

„Was machst dann, wenn wieder ein Bub kommt? Immer noch weiter probieren?“, neckte der glückliche Vater, der sich vor Erleichterung kaum halten konnte.

„Na, schaun wir mal. Jetzt haben wir es erst mal hinter uns.“

„Und wie soll der Bub heißen, oder habt‘s ihr euch noch gar keine Gedanken darüber gemacht?“, fragte Daniel lächelnd. Es war immer wieder ein Wunder, wenn ein Kind geboren wurde, mochte es ein kleiner Mensch oder ein Tier sein.

„Roland“, erklärte Marietheres, dann stupste sie ihren Mann an. „Ja, sag mal, jetzt gehst aber in die Küche, machst einen Kaffee und eine ordentliche Brotzeit. Schließlich haben unsere Helfer hier fleißig gearbeitet.“

„Nein, vielen Dank, ich muss zurück zum Heimatfest, wenn ich hier net mehr gebraucht werd‘. Da bin ich nämlich Preisrichter und darf mich durch hundert Kuchen und Torten essen.“

„Mein Beileid“, erklärte Marietheres trocken. Der kleine Roland erwachte für einen kurzen Moment, steckte den Daumen in den Mund und schlief gleich wieder ein. Die Erwachsenen hatten die kleine Bewegung wie gebannt verfolgt.

„Eine Handvoll Leben“, flüsterte Günter ergriffen.

„Diese Handvoll Leben muss mit seiner Mutter aber trotzdem im Hospital genau untersucht werden“, forderte Daniel.

„Ist versprochen“, nickte der Vater.

„Und keine Arbeit im Haus oder gar im Stall. Ich geb‘ dem Herrn Pfarrer Bescheid, und dann kommen fleißige Helfer.“

Marietheres nickte, sie war jetzt so müde, ihr fielen die Augen zu. Das Klingeln von Daniels Handy riss sie noch einmal aus dem Halbschlaf.

„Tut mir leid, ich fürcht‘, die Pflicht ruft“, murmelte der Arzt und wunderte sich, dass er die Nummer von Bernies Handy auf dem Display sah. Sie würde ganz bestimmt nicht anfragen, wie lang es noch hier dauerte, sie musste einen bestimmten Grund haben. Er meldete sich, lauschte dann einen Moment und runzelte die Stirn.

„Ich komm gleich. Hier ist alles glatt gelaufen, und demnächst steht eine Taufe an. Aber ich werd‘ eine Weile brauchen, um hier wegzukommen. Ist‘s denn so schlimm?“ Wieder hörte er zu, nickte dann unbewusst. „Ich eile mich.“

Er verabschiedete sich hastig mit einem kurzen Gruß in die Runde.

„Was Schlimmes?“, erkundigte sich die Hebamme mitfühlend.

„Ich fürcht‘, da hat‘s bei der Veranstaltung was Falsches zu essen gegeben. Eine ganze Reihe von Leuten klagt über Probleme mit Magen und Darm.“

Auch Anna Pöschl runzelte die Stirn. „Da hat‘s doch erst vor knapp einer Stunde angefangen. So schnell eine Reaktion, auf was auch immer? Salmonellen vielleicht?“

„Wir wollen‘s net hoffen.“

Daniel griff nach seiner Tasche und lief hastig los.

10

Bernie hatte mittlerweile keinen rechten Geschmack mehr. Sie war so ziemlich die letzte, die noch hier stand und in der Beurteilung schwankte. Die meisten der Kuchen waren daher auch schon freigegeben, und viele Leute standen oder saßen mit Tellern herum und ließen es sich schmecken.

„Ich kann net mehr“, stöhnte sie zu Vreni, die lachend beobachtete, wie die Tierärztin auch die letzten Stücke probierte.

„Hätt‘st ja net alles essen müssen“, neckte die Frau gutmütig.

„Das hätt‘st mir auch vorher sagen können“, gab sie zurück und schrieb endlich die letzte Bewertung. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, als sich plötzlich gleich mehrere Leute den Bauch hielten, stöhnten und dann davonliefen.

„Ach, herrje, ist wieder mal ein Virus unterwegs?“, fragte Vreni in die Runde.

Bernie schaute sich aufmerksam um. Diese Häufung von Ereignissen sprach nicht für einen Virus. In den folgenden Minuten betraf das Phänomene weitere Leute, besonders Ältere und Kinder. Die Tierärztin hielt schließlich erschreckt inne.

„Das ist kein Virus, das ist eine Vergiftung – Salmonellen oder so was ähnliches“, erklärte sie bestimmt und griff zum Telefon, um Daniel zu informieren. Vielleicht war er ja schon fertig, und die Frau atmete auf, als sie feststellte, dass es wirklich so war. Der Doktor war bestürzt, wie nicht anders zu erwarten, er versprach sofort zu kommen.

Es erwies sich als Glücksfall, dass sich Doktor Alois Huber auch hier auf dem Fest befand. Der alte Arzt war der Vorgänger von Daniel in der Praxis gewesen. Er besaß einen immensen Erfahrungsschatz und sprang auch heute noch ein, wenn Not am Mann war. Er hatte ebenfalls das seltsame Verhalten der Leute bemerkt, auch seine erste Vermutung war eine Vergiftung durch Salmonellen. Im Umgang mit frischen Zutaten kam es immer wieder zu solchen Erkrankungen. Hier bei der großen Anzahl der Kuchen und Torten würde sich wahrscheinlich kaum feststellen lassen, was nun der Auslöser gewesen war. Im Augenblick spielte das auch keine große Rolle, erst einmal mussten die Leute versorgt werden. Mehr als zwanzig Personen klagten jetzt schon. Mit grimmigem Humor dachte der alte Doktor, dass man hier im Saal gleich ein Lazarett eröffnen konnte.

Das wichtigste war es jetzt, zu verhindern, dass durch Erbrechen und Durchfall weitere unerwünschte Nebenwirkungen auftauchten. Dehydrierung war eine davon, also das Austrocknen des Körpers durch den Verlust von Wasser. Außerdem konnte es zu Kreislaufkollaps und Herzversagen kommen, wenn notwendige Mineralien und Spurenelemente im Körper fehlten.

Etwas machte den alten Huber jedoch stutzig bei all den Symptomen, da passte irgendwas nicht zusammen. Viel Zeit, um darüber nachzugrübeln, blieb ihm jedoch nicht, und er sehnte die Ankunft von Daniel herbei. Nicht nur, dass für so viele Leute, die sich hier plötzlich auf den harten Bänken und Tischen krümmten, ein Arzt viel zu wenig war, der jüngere Kollege würde vielleicht auch schneller darauf kommen, was hier nicht zusammenpasste.

Bernie gab sich alle Mühe zu helfen, schließlich hatte sie als Tierärztin ebenfalls eine Grundausbildung in Humanmedizin, doch nach kurzer Zeit wurde sie bleich, wandte sich ab und rannte dann schließlich nach draußen. Sie hatte es also auch erwischt. Der alte Huber horchte in sich hinein. Begann auch er die ersten Anzeichen zu entwickeln? Was hatte er selbst bisher gegessen? Noch nicht viel, und eigentlich keine Torte, in der sich Salmonellen oder was auch immer befinden konnten. Es würde ihm auch gar nicht gut bekommen, sollte er von dieser Krankheit erfasst werden. Der Doktor litt an einer Herzinsuffizienz, eine Komplikation wie diese konnte fatale Folgen für ihn haben.

Im Laufschritt kam endlich Daniel Ingold. Er verschaffte sich kurz einen Überblick und wollte seinen Augen kaum trauen. Die Erkrankung musste mit rasender Schnelligkeit um sich gegriffen haben, und da halfen auch die üblicherweise anwesenden Sanitäter nichts. Huber hatte dafür gesorgt, dass die Patienten gerade in dem abgetrennten Teil des Saales zusammengelegt wurden, so ließ sich eine allgemeine Panik verhindern. Er spürte den fragenden Blick von Daniel.

„Hat‘s dich auch erwischt?“, kam nun auch die besorgte Frage.

„Nein, schaut net so aus.“

„Wo ist Bernie?“

Huber zuckte die Schultern. „Die rennt auch schon.“

„Also war irgendwo was im Kuchen. Hast schon angeordnet, dass nix mehr davon verzehrt werden darf?“

„Ja, freilich, aber für die alle hier ist‘s auf jeden Fall schon zu spät.“

Die beiden Männer legten Infusionen an, die Alois bereits bei der Apotheke angefordert hatte, weitere Infusionen waren aus dem Hospital in der Stadt mit dem Rettungswagen unterwegs. Die Männer verabreichten in schweren Fällen Medikamente und trösteten, wo es notwendig war.

Irgendwann hielt Daniel inne, die Erstversorgung war nun geregelt, weil endlich auch zwei Rettungswagen mit Sanitäter und Notarzt eingetroffen waren. Drei ältere Leute mussten auf der Stelle ins Hospital geschafft werden, die anderen wollten unbedingt daheim bleiben, und der Zustand ließ es wohl auch zu. Allerdings würden sich in den nächsten Tagen die Hausbesuche bei Daniel häufen.

Der schaute sich jetzt um und nahm die Hand von Bernie, neben die er sich gesetzt hatte. Auch die Tierärztin hing am Tropf, wie es die meisten Leute kurz und treffend ausdrückten. Die junge Frau wirkte bleich und erschöpft, wie die anderen Erkrankten auch, und sie hielt sich den Leib. Die heftigen Schmerzen waren eines der Symptome, die nicht nur Daniel und Alois Huber stutzig gemacht hatten.

Krampfartige Schmerzen kamen und gingen in Wellen, und Bernie war vielleicht diejenige, die noch am besten erklären konnte, weil sie als Medizinerin wusste, worauf es bei der Beschreibung ankam.

„Soll ich dich heimbringen?“, fragte Daniel, der sich mehr Sorgen um die geliebte Frau machte als eigentlich nötig war. Sie lächelte matt.

„Nein, ganz sicher noch net. Es geht mir gar net so schlecht wie den anderen. Vielleicht wird‘s ja auch gleich schon wieder besser. Ich denk‘ mal, dass ich net ganz so viel von dem zu mir genommen hab wie die anderen, von was auch immer. Ich kann gleich wieder aufstehen und helfen.“

„Du wirst ganz bestimmend net aufstehen und glauben, dass du was helfen müsstest, so weit kommt‘s noch.“

„Was beunruhigt dich? Das hier ist wohl doch keine ganz normale Salmonellenvergiftung, nein?“

Er schüttelte den Kopf. „Auf den ersten Blick spricht einiges dafür, aber da ist noch mehr, und das gefällt mir net. Auf jeden Fall wird das Labor in der Stadt schon morgen eine Menge zu tun haben. Allerdings werd‘ ich selbst heut‘ noch damit anfangen. Solange ich net genau weiß, wonach die Leut‘ suchen sollen, kann ich denen auch keine rechte Anweisung geben.“

„Aber du weißt es doch auch net genau“, wandte sie ein.

„Stimmt schon, aber wenn ich allein arbeite, kann ich auch mal was ausprobieren, und muss net immer erst mit langen Telefongesprächen hin und her überlegen und neue Anweisungen geben.“

„Glaubst denn tatsächlich, wirst noch Zeit finden, um Untersuchungen vorzunehmen? Wenn ich mich hier so umschau‘, hab ich das Gefühl, halb Hindelfingen liegt hernieder.“

„Ach, irgendwie wird‘s schon gehen“, bemerkte er leichthin, um sie seine Sorgen nicht merken zu lassen.

„Hast denn schon was Konkretes, dass du so zielstrebig bist?“ Sie wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick brach wieder eine Welle von Schmerzen über sie herein, und sie krümmte sich zusammen. Zum ersten ;al erlebte Daniel Ingold am eigenen Leibe mit, wie es war, einen geliebten Menschen leiden zu sehen und nichts tun zu können. Obwohl selbst Arzt, war es ihm nicht einfach möglich die Schmerzen zu lindern. Er brauchte einen Anhaltspunkt, um gezielt ansetzen zu können, die Nebenwirkungen waren sonst zu groß.

Bernie hielt seine Hand mit unglaublicher Kraft, bis die Schmerzen wieder nachließen, dann versuchte sie tapfer zu lächeln.

„Wird schon weniger, musst gar net dreinschauen wie ein geschorenes Schaf. Nun lauf schon, kümmere dich um die anderen, denen geht es schlechter.“

Nur ungern ließ er sich davonschicken, doch die junge Frau hatte natürlich recht, es gab durchaus Leute, die seine Hilfe oder auch seinen Trost wesentlich dringender brauchten als sie selbst.

Das Fest war den meisten gründlich verdorben.

Bürgermeister Bergmann lief mit einer Leichenbittermiene umher und verbreitete schlechte Laune. Daniel befand, dass damit niemanden gedient war.