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Seit Jahren lässt Dan sich im Mauerpark von Passanten und Fans 3 Wörter geben, aus denen er dann spontan Gedichte auf seiner Schreibmaschine verfasst. In Berlin ist er damit äußerst erfolgreich, doch anstatt sich auf seinem Ruhm auszuruhen und die ganze Kohle zu verprassen, die er verdient, zieht der Straßenpoet wieder hinaus in die Welt ... die allerdings immer verrückter zu werden scheint.
Während Dan mit seinen Versen die Menschen in Hamburg, München, Prag und Gibraltar glücklich zu machen versucht, hadert er doch sehr mit dem, was sie so anstellen mit sich und der Welt, diese Menschen ...
Eine einzigartige Mischung aus Poesie und Reiseroman. Gedichte voll aus dem Leben und ein Blick hinter die Kulissen, die keine sind.
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Seitenzahl: 226
periplaneta
DAN K. SIGURD: „3 Worte unterwegs“ Straßenpoesie
1. Auflage, August 2023, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk
© 2023 Periplaneta - Verlag und Medien
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
periplaneta.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
Inspiriert von wahren Begebenheiten. Die Handlung und alle handelnden Personen sind jedoch frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Coverdesign & Korrektorat: Thomas Manegold
Satz & Layout: Thomas Manegold
Titelfoto by Silver Antonia Bilder im Buch: Silver Antonia & Dan K. Sigurd
print ISBN: 978-3-95996-259-9
epub ISBN: 978-3-95996-260-5
Dan K. Sigurd
3 Worteunterwegs
Straßenpoesie
periplaneta
Seit ich Dan K. Sigurd zum ersten Mal begegnete, sind nun einige Jahre vergangen, von denen weder er, noch ich, noch wir alle damals wissen konnten, dass sie zu den schwer(-)wiegendsten Jahren zählen würden, die bis dato unser aller Leben ereilten. Und, wer weiß, vielleicht wären wir ohne diesen Bruch auch nie zusammengekommen. Denn obwohl wir beide in derselben Branche tätig sind, wären wir uns wohl nie über den Weg gelaufen – ich im Hamsterrad eines Medienbetriebes und er überall und nirgends als Straßenkünstler – wenn Dan nicht eines Tages auf die verrückte Idee gekommen wäre, aus seinen Erlebnissen und seinen Gedichten ein Buch machen zu wollen.
Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mir von ihm ein Gedicht verfassen zu lassen, weil ich ja selbst welche schreibe und weil ich solche überlaufenen Örtlichkeiten wie Einkaufszentren und Mauerparks meide. Und nie wäre ich auf die Idee gekommen, mich auf die Straße zu setzen und nach seinem Muster – “Gib mir drei Wörter und drei Euro und ich gebe Dir ein Gedicht“ – als Poet live Gedichte mit einer Schreibmaschine zu verfassen. Ich könnte das nicht. Jedenfalls nicht in dieser Kontinuität und in dieser Geschwindigkeit. Als Straßenpoet wäre ich verhungert. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ein solches Buch so erfolgreich sein würde.
Dan dagegen hat niemals daran gezweifelt. Er ist ausgesprochen gut organisiert und fokussiert und hat einen einzigartigen Blick auf die Welt. Wahrscheinlich, weil er ständig die Perspektive wechselt. Als freier Mensch kämpft er immer ein bisschen ums Überleben und gegen jene Normalitäten, die freien Menschen für gewöhnlich ein Gräuel sind. Die Bürokratie in Behördistan macht den Paradiesvögeln das Leben schwer. Wir reden hier nicht von Steinen, die einem im Weg liegen, es sind Geröllmassen, die tagtäglich als Lawinen Hütten, ach, was sage ich, ganze Städte zerstören und die Wege, selbst jene, die vorher schon keine leichten waren, unpassierbar machen.
Aber Dan hat diesbezüglich eine wirklich erstaunliche Resilienz. Er wuppt dieses Gegen-den-Strom-Geschwimme – selbst durch Meere metaphorischen Gerölls – mit abgrundtiefer Leichtigkeit. Sein Output ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend und seine Dienstleistung ist immer eine Operation am offenen und mit offenem Herzen.
Dan K. Sigurd lässt sich nicht treiben, sondern inspirieren. Tag um Tag sitzt und tippt er im Mauerpark oder sonst wo und macht die Welt so immer wieder ein kleines bisschen besser. Dafür muss man ihm danken und ihn beneiden.
Inzwischen ist Dan K. Sigurds Debüt „Gib mir drei Worte“ ein Lyrik-Bestseller, über dessen Entstehung in diesem zweiten Werk auch ein paar Dinge verraten werden.
Ich danke Dan für das Vertrauen in Periplaneta, für seine liebenswerte Hartnäckigkeit und seinen unbändigen Siegeswillen.
Mir ist dieser fantastische Mensch ein Vorbild geworden. Als ein frei schwebender Geist in schwer(-)wiegenden Zeiten.
Thomas Manegold
gerätst du auch mal
aus der Balance
und strauchelst
sieh es als Chance
einmal innezuhalten
und dein Leben dann vielleicht
völlig neu zu gestalten
ja manchmal reicht
so ein Moment schon
um den Weg aus all den Qualen
zu finden
aus den ewigen Spiralen
in denen so viele von uns gefangen sind
dann können wir die Welt mit neuen
Augen sehen
und uns wieder über die Sonne freuen
mit echter Leidenschaft kann man vielleicht
in Freiheit existieren
wenn man der Unterdrückung nicht ausweicht
sich nicht damit abfindet ständig zu verlieren
sondern sich traut Kontra zu geben
doch das erfordert Disziplin
denn dunkle Mächte weben
komplexe Netze
mit den Gesetzen die sie verabschieden
sie lassen einen nicht in Frieden
doch bleib hart und besetze
deine Lieblingsplätze
gib ihnen keinen Millimeter
verteidige deine Schätze!
haben wir wirklich
eine Wahl
oder ist
unser Schicksal
vorbestimmt
durch eine unsichtbare Macht von außen
die uns den freien Willen nimmt?
sicher stellt niemand dort draußen
im Universum die Weichen
ich rede nicht
von Astrologie und Sternzeichen
sondern davon, dass wir tun müssen
was uns vorgegeben ist
von Genen und Umwelteinflüssen
Kippen
bedecken den Boden der Stadt
wie tote Quallen den Strand vor den Klippen
im Seebad
Warnemünde
ich wünschte ich stünde
noch immer dort in den Wellen
wo wir einst den Sommer genossen
aber dieses Glück ist inzwischen verflossen
und nur deine Sommersprossen
erinnern noch daran
doch irgendwann
kehren wir dorthin zurück
sind wir erneut
mit unserem Boot dort
am wunderschönen Ufer vertäut
ein Zug
trug
mich durch das Land
bis an
den Rand
der Arktis
wo der Eisbär
zuhause ist
und zurück ans Mittelmeer
wo Möwe und Schmetterling
ihre Flügel schwing’
ich wollte dir von meinen Reisen etwas mitbring’
ganz stolz
doch das Eis schmolz
und die Düfte
verwehten in die Lüfte...
genug der Ruh!
wechsel die
Hausschuh
gegen Stiefel und zieh
hinaus in die
Wildnis wo Flamingo, Nashorn, Gnu
auf Abenteurer wie dich warten
und viele weitere Tierarten
also setz dich in dein Kanu
du darfst nicht länger warten
paddel los
durch unberührte Natur
wer braucht da noch Zoos?
treibt dich deine
kleine
Wohnung in die Enge?
dann öffne einfach
die Vorhänge
mach
dir das Leben nicht so schwer
hier drinnen spuken nur Gespenster
doch schau aus dem Fenster
dort draußen gibt es so viel zu entdecken
grüne Hecken
ein bunter Eisenbahnwaggon
ein Ballon
der aus den höchsten Höhen herunterschwebt
oder eine rankende Pflanze
die an der Fassade gegenüber klebt
die ganze
Welt dort draußen wartet nur auf dich
Dan vollendete das letzte einer ganzen Reihe von Gedichten, zog es aus seiner Schreibmaschine und überflog es noch einmal. Ihm fiel auf, dass da in letzter Zeit ein Hauch von Fernweh in seinen anscheinend willkürlichen Reimen mitschwang. Er ließ seinen Blick über die friedliche Szenerie um seinen Stammplatz schweifen, den Mauerpark im schönen Berlin. Es war ein warmer Herbsttag und der Baum, an dem er lehnte, hatte bunte Blätter, genau wie all die anderen Pflanzen, die sich den hellen Sonnenstrahlen am blauen Himmel über ihnen entgegenstreckten. Ringsumher erschallte Musik und die Zeiten, in denen dunkle Mächte versucht hatten, der Kunst in diesem Teil der Stadt einen Riegel vorzuschieben, schienen inzwischen einer fernen Vergangenheit anzugehören, an die sich Dan nur noch verschwommen erinnern konnte. Er fühlte sich vollkommen glücklich und rundum wohl. Vielleicht ein bisschen zu wohl. Vielleicht ein wenig gelangweilt. Denn irgendwo tief in seinem Inneren gab es diese leise, aber bestimmte Wanderlust, die er einfach nicht loswurde. Vielleicht war es an der Zeit, die Schreibmaschine einzupacken und neue Orte in dieser Stadt zu erkunden. Vielleicht sollte er quer durchs Land ziehen, den Rest des Kontinents bereisen und sich einer Reihe von Prüfungen unterziehen. Eine literarische Heldenreise, die ihn aus seiner Komfortzone herausführen würde, damit er etwas lernen, seinen Horizont erweitern und schließlich als veränderter, besserer Mensch zurückkehren würde.
Isabella, die ihn heute in den Park begleitet hatte, kam vom Flohmarktgelände zu ihm zurückgeschlendert, den kleinen Dackel Sparky im Schlepptau, auf den sie zurzeit aufpasste. Sie gab Dan einen Abschiedskuss und machte sich auf den Weg, um eine weitere Tierbesitzerin zu treffen, deren Katzen Isabella eine Woche lang morgens gefüttert hatte. Jetzt war die Frau aus dem Urlaub zurückgekehrt und Isabella musste ihr den Haustürschlüssel zurückgeben. Während der Pandemie war die Hotelbranche, in der Isabella vorher gearbeitet hatte, komplett zusammengebrochen und so hatte sie stattdessen begonnen, sich um Tiere zu kümmern. Obwohl der Tourismus inzwischen wieder dabei war sich zu erholen, verdiente sie ihr Geld noch immer mit Petsitting, das, wie so viele Jobs heutzutage, über eine App auf ihrem Smartphone lief. Und genau wie Ride-Shares, die eigentlich nur eine zusätzliche Einnahmequelle bieten sollten, war diese Art von Arbeit für viele mittlerweile zu einem Vollzeitjob geworden, Isabella eingeschlossen. Diese Jobs der sogenannten Gig-Economy behielten einen signifikanten Teil der Einnahmen für sich selbst und boten keine Sozialversicherung oder Lohnfortzahlung bei Krankheit. Und sie duldeten keine Gewerkschaften. Außerdem machten diese App-basierten Teilzeitjobs exzessiven Gebrauch von Gamification-Strategien, was sie genauso suchterregend machte, wie die Spiele-Apps, die direkt neben ihnen auf den Touchscreens der Geräte lagen, welche die meisten Menschen praktisch rund um die Uhr bei sich trugen. Sie werden konditioniert mit einem ständigen Fluss von Endorphinen, die der Körper jedes Mal produzierte, wenn die App in leuchtenden Farben aufblinkte oder einen mit einem leisen „Pling“ über ein neues Jobangebot informierte – ein Glockenklang, wie Pawlow ihn bei seinem Hund eingesetzt hatte. Isabella war schon vorher absolut abhängig von ihrem Smartphone gewesen, das sie ständig in die Hand nahm, um Textnachrichten und soziale Medien zu checken. Jetzt war es schlimmer als je zuvor. Als sie wegging, starrte sie auf ihr Handy und bemerkte nicht, wie Sparky sich immer weiter von ihr entfernte und die Leine quer über den Weg spannte, so dass ein Stolperfalle entstand, die einige Leute straucheln ließ und beinahe zu Fall brachte.
Dan stellte mit Entsetzen fest, dass seine eigene Hand den Weg in seine Tasche gefunden hatte und er nun ebenfalls auf sein Handy starrte. Trotzdem fuhr er damit fort, seinen Account auf einer Social-Media-Seite zu checken, die ihn sofort mit einer großen Dosis Dopamin belohnte, als er eine Nachricht öffnete, die ihm eine einstige Auftraggeberin geschrieben hatte:
„Hi!!! Vor etwa 2 Jahren hast du für meinen Freund und mich ein tolles Gedicht geschrieben. Aber bei unseren mehrfachen Umzügen habe ich das Original verloren und ich bin so traurig darüber. Es ist ein Symbol unserer Liebe und ich würde es gerne bei unserer Hochzeit nächstes Jahr vorlesen.
Könntest du es vielleicht neu schreiben und uns schicken? Schreibst du immer noch im Mauerpark? Wir können direkt zu dir kommen und es abholen.
Ich schicke dir jetzt mal ein Bild davon, mit dem Text.
Ich hoffe, du kannst uns helfen und wünsche dir eine schöne Woche.”
Dan lächelte, schrieb zurück, dass sie ihn heute im Park besuchen könnte und tippte dann das Gedicht mithilfe des Fotos, das sie mitgeschickt hatte:
soon
your honeymoon
might end
but you need to
understand
your love is a fountain
that will never run dry
even if outside forces
may try
to pull you apart
the affection in your heart
won’t just go up in smoke
do have another sip
and take another toke
on your trip
together
for ever …
Als Dan eine weitere Social-Media-App öffnete, erwartete ihn die nächste Überraschung. Ein anderer ehemaliger Kunde von ihm hatte ihn auf einer beliebten Foto-Sharing-Seite gefunden und auch er hatte eine ganz besondere Bitte:
„Ich habe dich letztens im Mauerpark gesehen und habe mir sofort mit einer guten Freundin ein Gedicht bei dir schreiben lassen. Dafür wollte ich mich nochmal bei dir bedanken! Es ist wirklich schön geworden. Bist du zufällig an diesem Sonntag wieder im Mauerpark? Könnte ich dich um einen Gefallen bitten? Ich bin morgen dort mit meiner Freundin, wir haben bald unser einjähriges Jubiläum. Könnte ich dir einen Text schicken und du schreibst ihn mit deiner Schreibmaschine und gibst ihn ihr, wenn sie zu dir kommt?“
Dans Lächeln wurde noch breiter und als er das Gedicht abtippte, wurde ihm ganz warm ums Herz:
Ein Ruf geht durchs Land,
ein Bote ist gesandt,
Vom König, denn der ist auf Suche,
nach einer Prinzessin wie aus dem Buche!
Ist sie noch nicht überstimmt,
Wenn Zweifel überhand nimmt,
Dann soll sie bekommen, ihr Geschenk:
Das Königreich Berlin gewährt Ihnen für Ihren Aufenthalt eine Gutschrift in Höhe von: 50.00 Goldmünzen!
Diese sind für den heutigen Tag auf dem Sonntagsmarkt im Mauerpark gültig!
Der berühmte Mauerpark-Pianist und seine Band erschienen und stellten sich direkt gegenüber von Dan auf. Schnell waren sie von Menschen umringt und viele von ihnen bemerkten Dan, der schon bald wieder ein Gedicht nach dem anderen schrieb:
kommt die Bullerei
im Mauerpark
vorbei
pass auf, dass sie nicht auf dir rumhackt
denn manchmal kann man den Kontakt
halt nicht vermeiden
dann muss man sich entscheiden
ob man sich ihrem Willen beugt
schmerzt es auch in den Eingeweiden
oder ob man Mut bezeugt
sich traut sich öffentlich zu entkleiden
zu betrinken
zu krakeelen
seinen eigenen Weg zu wählen!
die Häuser dieser Stadt sind grau
doch ist der Himmel über ihr blau
hüpft mein Herz voller Freude
wenn ich heraufschau
zur Spitze des Fernsehturms
- ein Traum
ja an solchen Tagen
kann ich mein Glück kaum
fassen
hier leben zu dürfen
inmitten all der Massen
die kaum alle
in die engen Straßen und Gassen
passen
ich quäle
mich schon wieder
in der Quarantäne
verwese
langsam vor mich hin
wie alter Käse
bin eingesperrt in meinen 4 Wänden
und habe das Gefühl
hier werd’ ich elendig verenden
denn sie sind wie Dämme
die mich beschränken
doch ich brauche keine Kanäle
die mich lenken
ich wähle
meinen Weg selbst
denn wildes Wasser muss fließen
man kann es nicht einfach in eine Kanne zwängen
und nach Gutdünken damit gießen
Der junge Mann, der ihm zuvor geschrieben hatte, erschien mit seiner Freundin, die zögerlich an Dan herantrat: „Mir wurde gesagt, ich soll nach ... ‚dem Brief des Königs‘ fragen?!“
Er überreichte ihr das Gedicht, das ihr Freund für sie verfasst hatte, während der junge Mann Dan heimlich ein paar Euro für seine Hilfe zusteckte. Das Mädchen war zu Tränen gerührt, genau wie Dan, der seit der Pandemie noch näher am Wasser gebaut war, als er es ohnehin schon immer gewesen war.
Kurze Zeit später tauchte auch die Frau auf, die ihm auf der anderen Social-Media-Seite geschrieben hatte und Dan war erneut den Tränen nahe, als sie ihm von ihrer bevorstehenden Hochzeit erzählte. Doch als sie schließlich ihrer Wege ging, kehrte das Gefühl der Sehnsucht zurück.
‚Verdammte Harmonie!‘, dachte Dan bei sich. ‚Ich brauche etwas Drama und Abenteuer in meinem Leben!‘
Noch einmal ließ er seinen Blick über die herumtollenden Hippies schweifen, die ihn umgaben. Dann schüttelte Dan energisch den Kopf und packte hastig seine Schreibmaschine ein, wobei er sich schwor, sie beim nächsten Mal auf unbekanntem Terrain aufzustellen.
„Es ist an der Zeit, auf Reisen zu gehen“, verkündete Dan und zog seinen kleinen roten Wagen aus dem Park hinaus, der untergehenden Sonne entgegen.
XXX
in Griechenland
scheint das Leben so leicht
wo das Meer
bis an den Horizont reicht
ist glücklich sein nicht schwer
wo die Sonne
uns erfüllt mit Liebe
und Wonne
dort will ich ewig bleiben
will auf dem Rücken
auf der Wasseroberfläche treiben
voller Entzücken
man kann es kaum beschreiben
dieses Gefühl von Freiheit
lass uns bald wieder dorthin fliegen
zu den Schildkröten und Ziegen!
ich wär
so gern auf einer einsamen Insel
im Meer
wo ich den ganzen Tag lang nur
Mangos verzehr
und Fische fange
mit einem Speer
doch stattdessen steh ich hier
im Feierabendverkehr
und frier
im Regen
ich frag mich
weswegen?
es ist richtig
wichtig
eine gute Pflegekraft
zu haben
die es fertigbringt
sich trotz allem nicht zu verausgaben
die wahre Wunder wirkt
und
dich schnell gesund
aus dem Krankenhaus wieder heraus
bekommt
solche Helden verdienen mehr als nur Applaus
in den Minen wo
Crypto
geschürft wird - praktisch imaginäres Geld
da graben wir unser eigenes Grab
und doch hält
der Hype viele weiter in seinem Bann
ich muss nur daran
denken
und ich erschaudere
denn saubere
Energie zu finden ist schwer
es gibt noch immer nicht genug
Windräder
aber unglaublich viel Lug
und Betrug
von Ölfirmen
für ein umweltfreundliches Leben ist der Zug
längst abgefahren …
die Menschen hier unten
auf Erden
rennen schnurstracks
in ihr Verderben
was zum Kuckuck ist bloß mit ihnen los
inzwischen bleibt als letzter Ausweg nur noch
ein Floß
zu bauen
um dann von ihm aus
zuzusehen wie das Grauen
sich langsam ausbreitet
und langsam alles untergeht
bis schließlich selbst in der Schinkenstraße
ein Taifunwind weht
wir können fliegen
es ist kein Spuk
können die Schwerkraft besiegen
in einem Flugzeug gen Süden gleiten
um dort in der Sonne zu liegen
um auf Ponys zu reiten
um einen Hula-Hoop zu schwingen
um zu lachen
und vor Freude in die Luft zu springen
also lass
den Flieger starten
ich will nicht mehr länger warten
Dan erwachte recht früh am Morgen. Er schnappte sich sofort sein Handy, um zu sehen, ob sich die Prognosen zum Ausgang der Bundestagswahl über Nacht bewegt hatten. Dann begab er sich zu Isabella in die Küche, wo sie gerade ihren Laptop zuknallte, um sich eine 15-minütige Pause von ihrem Deutschkurs zu gönnen. Coronabedingt wurde der noch immer komplett online abgehalten, was ihnen diese gemeinsame Reise nach Spanien überhaupt erst ermöglicht hatte, da sie lediglich jeden Morgen die Videokonferenz der Unterrichtsstunde auf dem Laptop aufrufen musste. Sie sah Dan mit müden Augen an, aber als er sie fragte, ob sie heute noch nach Gibraltar fahren wolle, nickte sie langsam. Nach dem Frühstück setzte sie ihren Sprachkurs fort, während Dan hinunter an den Strand ging. Sobald er sich in die kalten Wellen stürzte, verschwanden die Kopfschmerzen, die ihn geplagt hatten. Er ließ sich eine Weile auf dem Rücken treiben und streckte sich dann auf seinem Handtuch in der Sonne aus. In der Ferne ragte der Fels von Gibraltar aus dem Meer und dahinter war die Küste Afrikas zu sehen.
Als es Zeit zum Mittagessen war, ging Dan zurück ins Haus, wo er Nudeln kochte und Pilze schnitt, die Isabella anschließend mit einer edlen Trüffelcreme mixte. Nachdem sie mit Essen und Packen fertig waren, füllte Dan den Kofferraum des kleinen Wagens von Isabellas Mutter und hockte sich dann auf den Bürgersteig daneben, um auf Isabella zu warten. Schließlich kam sie heraus, setzte sich hinter das Steuer und fuhr sie aus der Stadt hinaus. Während sie durch die hügelige Landschaft fuhren, konnten sie die Überreste des Waldes sehen, der vor etwas mehr als einer Woche von einem großen Feuer verwüstet worden war. Es war über die Berggipfel gekommen und hatte beinahe die Tore der Stadt erreicht. Die Linie, an der die Flammen schließlich zurückgeschlagen worden waren, war noch immer deutlich zu erkennen; darüber waren die Hügel schwarz, darunter gab es noch Grün, vermischt mit dem ikonischen roten Felsen, der diesem Landstrich seinen Namen gab. Nach einem weiteren ungewöhnlich heißen Sommer waren die Wälder unglaublich trocken und so hatte die Sierra Bermeja eine ganze Woche lang gebrannt. Für eine geraume Zeit hatten die Feuerwehrleute nicht einmal versucht, das Feuer zu löschen, sondern sich lediglich darum bemüht, es einzudämmen. Sie nannten es „un monstruo hambriento“, etwas, was sie noch nie zuvor gesehen hatten.
Vor etwa 15 Jahren hatte es in der gleichen Gegend schon einmal gebrannt, aber dieses Mal war es anders.
In den dicken, schwarzen Feuerwolken konnten elektrische Stürme wüten. Hin und wieder gab es Eruptionen, die Funken in alle Richtungen sprühten, und immer wieder neue Brände auslösten. Nach sieben Tagen dieser hoffnungslosen Höllenbrunst regnete es endlich und erst danach gelang es den Feuerwehrleuten, das Inferno unter Kontrolle zu bringen, das einem von ihnen das Leben gekostet und unzählige Dorfbewohner aus ihren Häusern vertrieben hatte.
Isabellas Familie hatte den Bränden von ihrem Haus aus hilflos zugesehen, während Isabella sich noch machtloser fühlte, da sie die Katastrophe auf dem Fernsehbildschirm im fernen Berlin mitansehen musste. Dan hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich etwas bewirken konnte, indem sie bei den Berliner Bezirkswahlen ein Kreuz für resoluten Klimaschutz machte. Aber dieser kleine Schritt hin zu wirksamer Veränderung schien hohl, vor allem, wenn man bedachte, dass sie wieder einmal ein Flugzeug hierher genommen hatten, weil es einfach viel billiger und schneller war als eine Zugfahrt. Und in diesem Moment fuhren sie mit einem Auto, das Kohlendioxid ausspuckte, weil es entlang der Costa del Sol nicht einmal eine Zugverbindung gab.
Dan wurde aus diesen düsteren Grübeleien gerissen, als der Felsen von Gibraltar vor ihnen auftauchte. Sie näherten sich ihm aus einem ungewöhnlichen Winkel. Von dieser Seite sah er für Dan etwas fremd aus, da drei Berggipfel zu sehen waren statt der gewohnten zwei. Die Abgase der nahe gelegenen Raffinerien erfüllten die Luft mit einem Geruch, der Dan an frisch gepopptes Popcorn erinnerte.
Sie fuhren durch La Linea, die Hauptstadt der Schmuggler, die auf dem Festland vor der Grenze zum Felsen gewachsen war. Dort wurde der billige Tabak jede Nacht über die Zäune geworfen, die das britische Hoheitsgebiet abriegeln sollten. Die spanische Polizei war hilflos gegen die Narcos, die außerdem regelmäßig nach Einbruch der Dunkelheit mit kleinen, schnellen Booten voller Haschischziegel von der afrikanischen Küste herüberkamen. Die Clans beschäftigten Jugendliche und junge Erwachsene, die in der armen Stadt lebten, in der es für sie nur wenige Karrierechancen gab. Sie arbeiteten als Wachposten an zahllosen Straßenecken und machten so Hunderte Euro mehr, als sie jemals als Burgerbrater in irgendeinem Schnellimbiss verdienen könnten.
„Sollen wir das Auto in La Línea stehenlassen und zu Fuß über die Grenze gehen?“, fragte Isabella. „Oder sollen wir diesmal damit reinfahren?“
„Wirklich? Na, du weißt doch, dass ich schon seit langem davon träume, das Auto zu nehmen! Du warst doch diejenige, die immer dagegen war ...“
„Ja, weil ich da so oft in der Schlange gestanden habe ... und sie durchsuchen dein Auto!“
„Aber das ist doch jetzt gar nicht mehr so. Es ist jetzt alles anders, nach dem Brexit. Sie haben hier jetzt auch den ‚Backstop‘, sie kümmern sich um den Zoll am Flughafen und im Hafen. Die Grenze ist im Grunde komplett offen ... angeblich ...“
„Tja, es ist Montag, also wird’s wohl keine langen Autoschlangen geben“, sagte Isabella und es stellte sich heraus, dass sie recht hatte, als sie sich durch die Serpentinen schlängelten, die normalerweise voll von unzähligen wartenden Fahrzeugen waren. Dieses Mal waren nur zwei Autos vor ihnen, als sie sich der Grenze näherten. Dan holte ihre Ausweise hervor, aber letztendlich interessierten sich weder die spanischen noch die britischen Zollbeamten wirklich dafür. Sie warfen nur einen kurzen Blick durch das Fenster und winkten sie weiter.
„Was für eine Erleichterung!“, sagte Dan, als sie über die riesige Betonplattform fuhren, die sie vom Felsen trennte. „Ich muss die Schreibmaschine nicht den ganzen Weg über das Flugfeld tragen! Naja, meinst du, das Parken wird am Ende mehr kosten als der Bus zum Casemates Square?“
„Wahrscheinlich ...“, antwortete Isabella, und nachdem sie eine Weile im Kreis gefahren waren, landeten sie schließlich in einem Parkhaus. Dan folgte Isabella zurück nach draußen, den grünen Koffer mit der alten Olivetti ihrer Mutter in der einen Hand, einen kleinen Plastikhocker in der anderen. Sie gingen an einem glatzköpfigen Straßenmusiker mit schiefen Zähnen vorbei, der im Schatten einer großen grauen Mauer auf seiner Gitarre spielte, und betraten einen kleinen Tunnel. Am anderen Ende traten sie auf einen großen Platz hinaus. Sie überquerten ihn und Dan setzte sich vor ein paar klassische rote, britische Telefonzellen. Er benutzte eine Betonbarriere, die wie der Fels von Gibraltar geformt war, als Sitz und stellte seine Schreibmaschine auf dem Kopfsteinpflaster vor sich auf. Isabella machte sich auf den Weg, um ihren Kater von der Hochzeitsfeier, die sie gestern besucht hatten, mit einem starken schwarzen Tee und ein paar Scones zu kurieren.
Es dauerte nicht lange, bis der erste Passant stehen blieb und nach einem Gedicht fragte. Ein junger Brite gab ihm drei Worte und fügte dann hinzu: „Bist du noch eine Weile hier? Ich gehe nur einen Happen essen und komm dann später wieder, um es abzuholen!“
Neben seiner Schreibmaschine bot Dan einen selbstgedruckten Gedichtband an, da er noch immer keinen Buchvertrag unterschrieben hatte. Der Mann nahm eines der dünnen Heftchen, bevor er ging, und reichte Dan einen 10-Pfund-Schein mit den Worten: „Behalt’ den Rest!“
Dan betrachtete das Bild der britischen Königin auf der Banknote, die ihm noch immer unglaublich kostbar erschien, und schrieb dann:
you look cute
no one would take you for a brute
with your pigtails and your freckles
you’re not someone who yells and heckles
but every once in a blue moon
there comes a time
when you like to commit
a crime
and because you look so innocent
-you get away with it
people are hard to understand
it takes cunning and wit
many mistook
you for a saint
but don’t judge a book
by its cover!
Bald darauf folgten weitere Passanten mit Herz für Poesie und so tippte Dan Gedichte wie:
please
girlies
if you’re in the mood
for some solitude
go out into nature
switch from haute couture
to shorts and boots
you can bring some wine
that’s fine
but promise me, you will unwind
disconnect yourself
from the hive-mind
climb up onto a high shelf
and just breathe in
let go of all that modern sin!
Vater und Sohn
waren zusammen schon
an unzähligen Orten
die Pforten
von so vielen Städten haben sie
durchschritten
und fanden sich inmitten
verschiedenster Kulturen
egal wo sie hinfuhren
jeder Trip war
etwas Besonderes
ganz klar
denn sie waren zusammen da!
even if the winds
are sometimes rough
I love
Gibraltar
that beautiful
shining star
in the sea
where we
speak English
and drink tea
surrounded by fish
and with the monkey
as our patron saint
you could not find
even one complaint
Die rauen Winde von Gibraltar wurden immer heftiger. Als Isabella mit einer großen Plastiktüte voller Tabakwaren zurückkam, beschloss Dan, für heute Schluss zu machen. Sie holten ihr Auto wieder aus den Eingeweiden des Parkhauses und manövrierten es durch die engen Straßen und Tunnel. Alles kam Dan unglaublich eng und vollgestopft vor, die Gebäude dicht an dicht, die sich zu ihrer Linken an den Felsen klammerten, und zu ihrer Rechten die Miniaturtankstellen neben der Straße und die ehemals aktiven, riesigen grünen Maschinengewehre, die noch immer auf Sockeln zum Meer hin montiert waren. Als sie bemerkten, dass die Sonne in den spanischen Hügeln jenseits des Ozeans versank, fuhr Isabella an den Straßenrand, von wo aus sie die letzten Strahlen genossen. Hier war das Parken kostenlos und so ließen sie das Auto stehen und gingen hinunter zur Strandpromenade. An ihrem Ende führte eine Eisenleiter direkt in die schäumenden weißen Wellen und Isabella rief erstaunt aus: „Hier gehen echt Leute schwimmen?!“