75F - Ein Buch über wahre Größe - Annika Line Trost - E-Book

75F - Ein Buch über wahre Größe E-Book

Annika Line Trost

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Ein großer Busen ist wie ein Kompass, der immer Richtung Irrsinn zeigt" Natürlich hat jede Frau Brüste. Irgendwann sind sie mal gewachsen. Doch was, wenn sie damit gar nicht mehr aufhören? Der Busen von Annika Line Trost füllt Körbchengröße 75F (natürlich, ganz ohne Silikon). Nichts also, was man auf die leichte Schulter nehmen könnte: Wenn in der U-Bahn mal wieder alle glotzen, Blusen plötzlich platzen oder die Brüste beim ersten Date ungefragt Lambada tanzen … Situationen, die jede Frau kennt, werden bei 75F leicht zum Supergau. Humorvoll und gnadenlos ehrlich erzählt Annika Line Trost übers Erwachsenwerden, Frausein und wahre Größe. »Mit dem ersten BH ist das ja so: Manche Mädchen nerven ihre Mütter solange, bis sie ihnen endlich das Geld und die Erlaubnis dafür geben. Manche Mädchen fischen sich heimlich einen aus dem Schrank der großen Schwester, in der Hoffnung sich ihren Schwarm damit zu angeln oder sogar den Schwarm der großen Schwester. Manche Mädchen ziehen mit ihren Busenfreundinnen los und kichern sich durch Wäscheabteilungen, dass die Kabinenwände wackeln. Manche Mütter von Mädchen machen aus der Anschaffung ein rührseliges Mutter-Tochter-Happening und kleben den Kassenbon zwanzig Jahre später in die Hochzeitszeitung. Manche Mädchen brauchen eigentlich gar keinen, wollen aber nicht die einzige ohne sein. Manche Mädchen brauchen unbedingt einen, um ihn mit Klopapier auszustopfen. Für manche Mädchen ist er ein Zeichen an die Welt, dass sie kein Mädchen mehr sind, sondern eine junge Frau, die sie von nun an bereit sind zu stehen. Und dann gibt es eben noch andere Mädchen, so wie ich eines war, die bekommen ihren ersten BH aufgrund einer medizinischen Indikation ärztlich verordnet, wie eine Brille, wie eine Zahnspange oder Anti-Senkfuß-Einlagen. Some boobs are bigger than others. Die Möpse mussten also ins Körbchen.«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 204

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Annika Line Trost

75F – Ein Buch über wahre Größe

FISCHER E-Books

Inhalt

VORBAUWORTEin großer Busen ist wie ein Kompass1 Alles begann mit einem Alf-T-Shirt2 Die Möpse müssen ins Körbchen3 Von A nach B mit Körbchen F4 Glotzen hat viele GesichterDas größte Problem am Busen …5 HopHopHopHopHop6 Brennbälle7 Balljefühle8 Busenkummer lohnt sich nicht, my Darling9 An die Wäsche10 Barbies Brustwarzen11 Brüste im LeerlaufThese boobs are not made for walking.12 Ein Fall von Obst13 Busenbegriffe begreifen, Vol. 114 Auf die Brüste, fertig, los!Busen ist das, was passiert, während …15 Never mind the BooblooksExtreme Differenzen #116 Arschkarte Busen17 Busenkino18 Yo! Popo19 Typus TittentypExtreme Differenzen #220 Ruf! Mich! An!21 Big Business22 22.9.198723 Busenbegriffe begreifen, Vol. 224 Eine Mutter lässt tief blicken25 Last Exit Booblyn26 Hands Off! – Never touch a running system27 80 GExtreme Differenzen #3Plötzlich waren da diese blauen Augen.28 Alles löst sich in Milch auf

VORBAUWORT

Zwei Argumente für dieses Buch:

Erstens ich habe Brüste. Zweitens ich habe viel über sie zu erzählen.

Natürlich hat jede Frau Brüste. Irgendwann sind sie mal gewachsen, taten dabei ein bisschen weh, wurden in Körbchen verpackt, von Verehrern berührt, geknetet, abgelutscht, haben vielleicht Milch gegeben und taten dabei ein bisschen weh. Jede Brust hat also ihre Geschichte. Meine allerdings ist größer. 75 F-größer um genau zu sein.

Ding Dong. 75 F, das ist so groß wie zwei Honigmelonen, so schwer wie vier Hefeweizen und so einfach zu verstecken wie ein rasierter Affe, der Akkordeon spielt. Nichts also, was man auf die leichte Schulter nehmen könnte. Eher zwei Tatsachen, die einem oft zum Hals raushängen.

Dann zum Beispiel, wenn beim Betreten eines Restaurants wieder mal die Gespräche verstummen und alles Richtung Ausschnitt schweigt, ganz so, als hätten die Brüste beim Mantelablegen mit einem Löffel gegen ein Glas geklopft, um eine Rede zu halten. Kling Klong.

Oder dann, wenn beim Versuch, Klamotten zu kaufen, in der Umkleidekabine der blanke Brustfrust hochkommt, weil es unmöglich ist, eine Oberweite mit dem Umfang eines Briefkastens und eine Taille mit dem eines Blumentopfs in dieselbe Bluse zu quetschen, ohne dadurch auszusehen wie die Darstellerin, die am Anfang von Turbotitten Teil 2 die Tür aufmacht und sagt: »Kommen Sie rein. Hier muss unbedingt ein Rohr verlegt werden.«

Und was die Reaktionen der Männer betrifft, die Säuglingsblicke, die Schmatzgeräusche, das Pfeifen, das Johlen, der Greifreflex, irgendwann wurde mir das alles mehr oder weniger titte, wie der Kuh die Fliegen, die um ihr Euter schwirren; keine Last mehr, höchstens lästig.

Das Lästern der Frauen dagegen wiegt schwerer. Das zieht richtig runter. Wenn sie auflachen, mit den Augen rollen, ihre gelben Giftblitze in mein vermeintlich feindliches Dekolleté schießen und der Busenfreundin ins Ohr flüstern, gut hörbar für alle: »Nein, das wäre mir zu viel! Das ist schon nicht mehr schön!« Zisch Zisch. Als wären meine Brüste zwei Mungos, die sich zu dicht an ihre Schlangengrube gewagt haben, Alarmstufe 75 F!

Dabei müssten es Frauen doch besser wissen. Wissen, dass wir uns die Größe unserer sekundären Geschlechtsmerkmale nicht aussuchen können, dass Brüste keine High Heels sind, die man aus dem Schrank holt, um sich aufzudonnern, und wieder reinstellt, wenn einem Auffallen nicht mehr gefällt. Keine von uns wurde je gefragt, wie sie ihre Quarktaschen gerne hätte: Mager, Halbfett oder Doppelrahmstufe, Clutch, Tote oder Shoulder Bag? Außer vielleicht von Dr. Silikon. Aber das zählt nicht. Schummeln ist ja kein Schicksal. Schnipp Schnapp.

Mein Schicksal füllte jedenfalls zwei Körbchen der BH-Größe 75 F. Schon mit 11 ahnte ich: Kein Nippel ist so hart wie das Leben mit Monstertitten. Und, von wegen Null Problemo: Alles begann mit einem Alf-T-Shirt …

Ringring, ringring.

 

– Hallo?

– Ja äh hallo … Spreche ich da mit Annika?

– Ja …

– Ah hi. Na, deine Stimme hätte ich mir ja ganz anders vorgestellt … Ich bin Maurice. Ich habe deine Nummer von Olli.

– Olli …?

– Na der im Dings immer dienstags an der Bar arbeitet …

– Hmmm … wo?

– Na egal, jedenfalls, pass auf: Ich bin Fotograf. Ich mache viel so Newtonzeug, viel schwarzweiß, ich hab zum Beispiel auch schon die Nadine Hinzelstedt fotografiert, als die noch ganz unbekannt war …

– Wen …?

– Na, die Nadine Hinzelstedt, die jetzt bei GZSZ bei Herrn Daniel im Café arbeitet, du weißt schon … Hab die sozusagen entdeckt so’n bisschen kann man sagen … Na ja egal, pass auf, die Sache ist die: Diesen Sonntagnachmittag steht mir eine original echte Corvette C4 zur Verfügung, in metallicblau mit’n bisschen türkis drin … aber Farbe is’ ja egal, wird ja eh schwarzweiß (grunzgrunz) … Auf jeden Fall such’ ich jetzt gerade noch ein Model, was selber auch’n paar PS unter der Haube hat, wenn du verstehst, wie ich meine (grunzgrunz) … Und da meinte der Olli, du wärst da genau die richtige Frau für.

– Also versteh’ ich das richtig … Du möchtest Fotos von mir in einem Auto machen …?

– Ja genau. Im Auto, auf dem Auto, vor dem Auto, neben dem Auto, alles, was geht halt. Schön windschnittig … (grunzgrunz).

– Wie windschnittig … nackt oder was?

– Na ja, schon nackt. Aber mit Schuhen!

– Also nackt.

– Ja, aber voll ästhetisch. Wird ja schwarzweiß.

– Ähhh, also …

– Na, jetzt sei mal nicht so schüchtern … Wie groß sind’n deine Brüste jetzt genau?

– Wie groß ist denn dein Budget genau?

– Budget, Baby …?! Na hör mal, weißt du, was so ’ne geile Karre für’n Nachmittag kostet?! Da bleibt nicht viel nach. Aber du bekommst natürlich ordentlich Abzüge. Kannst du deinem Freund schenken, der freut sich. Und, pass auf, weißt du, was ich mache: Der Nadine schick’ ich auch gleich ’n paar Abzüge, kann sie direkt bei RTL abgeben. Mach’ ich dir alles klar. Was sagst du dazu?

– Hmmm … Ehrlich gesagt, für mich klingt das irgendwie unseriös.

– (Grunzgrunz) Na immer sachte … Mädchen, pass auf, ich sag’ dir jetzt mal was: Am Anfang der Karriere darf man echt nicht so hochnäsig sein. Bisschen Einsatz muss da schon kommen. Alle Großen haben das gemacht: Madonna, Nadine Hinzelstedt …

– Mag sein, aber für mich ist das nix. Tut mir leid.

– Na, das kann’s auch! Selber schuld, wenn aus dir nichts wird. Kannst ja noch mal drüber nachdenken. Ich meld’ mich dann noch mal vor Sonntag.

– Neee …

– Alles klar. Wir gucken.

 

Klack.

Ein großer Busen ist wie ein Kompass, der immer Richtung Irrsinn zeigt.

1Alles begann mit einem Alf-T-Shirt

Morgens hatte es auf meinem Schulranzen gelegen. Daneben eine Banane, zwei Päckchen Vanilletrunk und ein Zettel mit der Schnörkelhandschrift meiner Mutter: Für meine kleine Maus. Hab’ ich gestern in der Altstadt gefunden. Steht dir bestimmt toll. Und nicht vergessen: 14 Uhr 30 Kieferorthopäde! Hab’ dich lieb, Mama. Eigentlich ein guter Anfang.

Aber klassische Horrorgeschichten fangen ja immer gut an: Arztfamilie zieht in Kleinstadtidylle, Jugendgruppe trinkt Dosenbier in Waldhütte, Vater schenkt Sohn ein kulleräugiges Fellknäuel aus einem Antiquitätenshop in Chinatown. Immer ist das Leben gerade Null Problemo, doch dann, kreisch kreisch, geschieht das Unabwendbare: Die Arztfamilie metzelt sich plötzlich untot durch die neue Nachbarschaft, die Jugendlichen fingern im Brausebrand das Tor zur Hölle auf, und das Fellknäuel mit den Kulleraugen verwandelt sich in eine Armee blutrünstiger Killer-Gremlins.

 

Natürlich hatte meine Mutter nichts derart Nippelsträubendes im Sinn, als sie mir, ihrer elfjährigen Anni, im Frühling 1988 vom Bummeln das Alf-T-Shirt mitbrachte.

Wie auch? Eine Mutter kann ja nicht böse. Es nur gut zu meinen ist ihre Natur. Das steckt in ihr drin, genauso wie es in Alf steckt, Scheiße zu bauen und Muschis zu fressen.

Es war also nicht ihre Schuld, dass das mit mir und dem weißen, hauchdünnen Baumwolltextil mit dem extrem hohen Stretchanteil an diesem ziemlich schwülen Frühlingstag so dermaßen in diverse Männerhosen ging.

Wahrscheinlich hatte meine Mutter sogar gedacht, ein T-Shirt mit dem Aufdruck eines Außerirdischen mit Popperpony könnte ablenken von dem, was darunter begonnen hatte hervorzupoppen. Hoffte vielleicht, eine Null-Problemo-Sprechblase auf meinen problematisch immer praller und praller werdenden beiden Mopswelpen könnte diese Entwicklung irgendwie stubenrein halten.

Sie hatte ja keine Ahnung, dass ausgerechnet das gutgemeinte Alf-T-Shirt die Bestie der Busenblicke wecken würde. Das unersättliche Ungeheuer, das mich von diesem Tag an nicht mehr aus den Augen lassen sollte – zumindest nicht aus Nippelsicht.

 

In der Schule war noch alles voll Null-Problemo-mäßig gewesen.

Ich hatte meine Banane gegessen, trotz der braunen Stellen, die zwei Päckchen Vanilletrunk mit den dafür vorgesehenen Trinkhalmen getrunken und sogar noch die vanillige Luft herausgesaugt. In Bio hatte ich Kressesamen in feuchte Watte gesetzt, in Mathe mit positiven Zahlen und gemeinsamen Nennern gerechnet und in Deutsch eine Zwei plus für einen Aufsatz zurückbekommen, in dem es darum ging, wie lustig ich mir die Zukunft vorstellte.

In der ersten Pause hatte ich auf den Hofbegrenzungspfeilern balanciert, in der zweiten Smiley-Sticker getauscht und mich dann mit meiner Busenfreundin Tinka Kowalec für nach dem Kieferorthopäden zum C64-Spielen verabredet. Alles also wie sonst und Alf auf meinem T-Shirt immer vorneweg.

 

Dann war es 14 Uhr. Ich stand an der Bushaltestelle Adamstraße und wartete auf den 35er Richtung Dr. Hartmann. Richtung Dr. Hartmann bedeutete die andere Richtung als sonst. Und die andere Richtung als sonst bedeutet, wenn man elf ist, ein komisches Gefühl.

Mein pinkgrauer Schulrucksack, über dessen Füllgewicht sich meine Mutter täglich echauffierte, zwang mich ins Hohlkreuz. Der Erdkundeatlas, das Photosynthesebuch, der Pelikan-Tuschkasten, der Schülerduden zogen meine Schulterblätter zusammen und Alfs Knopfaugen dadurch unvorteilhaft auseinander. Und, wie immer seit dem Matschapfelunfall neulich, begann der Rucksack, in Verbindung mit Sonne, aus der Seitentasche nach Essig zu riechen. Streng und süß. Säuerlich und beißend. Ein bisschen wie das Fell meines Kaninchens Virginia, kurz bevor es gestorben war.

Aber heute stank noch etwas anderes. Gewaltig. Sehr gewaltig. Bis dorthin, wo Virginia wahrscheinlich gerade auf einer flauschigen Wolke von meiner Oma mit Löwenzahn gefüttert wurde. Es stank zum Himmel. Doch nicht allein nach vergorenem Obst in Nylonfaser oder siechendem Streicheltier. Heute lag mehr in der Luft. Streng. Süß. Säuerlich. Beißend. Sehr beißend. Und das, was da biss, biss nicht in der Nase. Nicht in den Augen. Nicht im Rachen. Es biss mich auf Herzhöhe. Direkt. Sehr direkt. Genau in die Brustwarzen!

Was zur Hölle war das?!

Es fraß sich durch meine vom Wachstum geschwollenen und frisch erst erdbeerrosa gewordenen Warzenhöfe. Verschlang jedes einzelne Gramm meiner schon apfelgroßen Mädchenbrüste. Schluckte für eine Sekunde alles, was ich über Obst, das Leben und mich selbst wusste, würgte es wieder hervor und spuckte es besudelt auf den Bürgersteig der Bushaltestelle.

Ekeliges Gefühl.

Ich guckte mich um.

Hoffte, dass niemand gemerkt hatte, was mir da gerade passiert war. Denn, auch wenn ich nicht checkte, was das gewesen sein sollte, schon allein die blanke Tatsache, dass einem etwas passiert, ist, wenn man elf ist, ja wohl total peinlich!

Wie Kacke am Schuh. Nur schlimmer.

Der Gemüsemann schräg hinter mir sortierte summend Salatgurken in seiner Auslage und schnalzte fröhlich mit der Zunge. Nebenan drehte Optiker Ernst sein Türschild auf Mittagspause und verschwand mit einer Hand in der Hosentasche im Halbdunkel seines Ladens.

Ein Glück, dachte ich, die haben schon mal nix gemerkt.

Und während ich dem hupenden Kastenwagen mit den winkenden Handwerkern hinterherschaute, fiel mein Blick auf einen rothaarigen Mann mit Schnurrbart, der, ans Haltestellenschild gelehnt, aufgehört hatte, seine Zigarette zu rauchen. Regungslos ließ er sie zwischen seinen bleichen Fingern runterbrennen, so dass die Kippe fast nur noch aus Asche bestand, die nun drohte, jeden Moment auf seine Wildlederslipper zu fallen.

Er starrte zu mir rüber. Direkt. Sehr direkt. Extrem direkt. Zu direkt. Genau auf mein Alf-T-Shirt.

War der auch Alf-Fan?

Und während ich mich noch ein bisschen ärgerte, dass ich zu schüchtern war, ihm den Tipp zu geben, doch mal in der Altstadt zu gucken, ob es da noch Alf-T-Shirts gibt, biss es wieder zu.

Aaarrrghhh!

Aaarrrghhh!

Was passierte hier?! Hatten seine Augen Zähne?!

Ich schaute an mir runter. Vorbei an meinem Schlüsselbein, vorbei an meinem T-Shirt-Ausschnitt, vorbei an der überdehnten Null-Problemo-Sprechblase, in Alfs verzerrtes Penisnasengesicht. Und da sah ich, dass die Alf-Augen plötzlich auf etwas schielten. Und zwar auf das, was sich links und rechts von ihnen durch das transparente Taiwan-Textil drückte: meine Brüste.

 

Ding Dong! Alarmstufe Rosa! Nippel in Sicht!

Die blöde Billigbaumwolle verdeckte nichts! Man konnte alles sehen! Und dank Elastananteil voll in Farbe, Form und Fülle. Jeden drüsigen Kräusel, den nun die Scham über die Warzenhöfe scheuchte.

Zwei sichtbar aufgeregt durchblutete Brustwarzen im Antennenmodus: Diit Dit Dit Diiiit. Diit Dit Dit Diiiit – Möpse an Melmac – Möpse an Melmac – Wir haben ein Problem – Busen ohne Deckung an Bushaltestelle – Brauchen sofort textile Verstärkung!

 

Aber textile Verstärkung? Nix da. Woher denn?!

Wer nimmt schon mit elf bei geilem Frühlingswetter eine Jacke mit zur Schule?! So nur für alle Fälle, auf Nummer sicher, könnte ja frisch werden.

Ich war zwar ein artiges Kind, aber nicht plemplem!

Und selbst wenn ich an diesem Tag zufällig einen adamstraßenfarbenen Tarnponcho dabei gehabt hätte, ich wäre gar nicht in Lage gewesen, das Ding aus dem Rucksack zu fummeln und es mir überzuschmeißen. Weil: Ich konnte mich ja nicht bewegen. Ich war erstarrt durchs Angestarrt-werden. In der totalen Anstarrstarre. Meiner ersten Anstarrstarre.

Blicke können zwar nicht töten, aber sie können beißen. Blicke brauchen Fleisch. Mit der Stumpfheit einer Horde Zombies kennen sie kein Erbarmen.

Ich konnte mich an der Bushaltestelle nicht einfach wegdrehen, mir nicht die Hände vor die Brüste halten, den Rucksack nach vorne schnallen oder nach Mama rufen. Je mehr meine aufgebrachten Brüste versuchten, sich den vor Geilheit triefenden Glotzern des rothaarigen Zippen-Zombies zu entziehen, desto schlimmer wurde es. Desto nippeliger die Nippel, desto kräuseliger die Kräusel, desto durchsichtiger das Alf-T-Shirt.

Scham lass nach, du bist umzingelt! Gefangen im Titten-Traktorstrahl der Busenblickbestie. Ekliges Gefühl. Wie Kacke am Schuh. Nur schlimmer. Weil es keine Bordsteinkante gibt, an der man schmutzige Blicke abstreifen kann. Keine Pfütze zum Abwaschen. Kein Stöckchen, mit dem man das Scheißgefühl wieder abkriegt. Das Profil der Seele ist tiefer als das jedes Turnschuhs. Und so ein Busen ist sensibel. Sehr sensibel. Oft vielleicht zu sensibel. Harte Nippel, weicher Kern.

So ist das.

2Die Möpse müssen ins Körbchen

Plötzlich war da ein Strich. Außen an meiner linken Brust. Rot und so lang wie ein Streichholz. Hat Muschi dich da vielleicht gekratzt?, fragte meine Mutter, und der Gedanke war durchaus naheliegend, denn Muschi kratzte mich täglich. Zu Recht, weil unsere Katze Muschi musste bei meinem Bruder und mir ziemlich was aushalten. Robin-Hood-Hüte aus Filtertüten, Ritterrüstungen aus Alufolie, Krankentransporte per Puppenbett, Flucht über die innerdeutsche Grenze aus Wollfäden im Kinderzimmer, mit Sisaltodesstreifen, Spielzeugkistenwachturm, Schrubbergrenzschranke und Spuckekugelschießbefehl.

Unsere Muschi war für wirklich viel zu haben, aber wenn sie die Katzenschnauze voll hatte, fuhr sie eben ihre Krallen aus.

Am nächsten Tag waren zwei weitere Striche auf meiner linken Brust zu sehen und einer auf der rechten. Muschi war also entlastet und meine Mutter sehr besorgt. Wir-müssen-zum-Arzt-Gesicht. Das ist bestimmt nichts Schlimmes, Anni, aber ich möchte das lieber abgeklärt wissen. Ab zu Herrn Dr. Miller also. Wieder mal. Und wieder wegen meinen Brüsten.

Da saß ich. Auf einem der knallorangen Ministühle des Wartezimmers unter einem gerahmten Großformatfoto eines mampfenden afrikanischen Jungen mit Reisbreischüssel. Und während sich um mich herum Impfbabys und Keuchhustenkinder um abgegrabbeltes Bazillenspielzeug und Bilderbücher mit Kotzflecken stritten, wartete ich darauf, mich oben ohne auf einen der als Eisenbahnwaggon dekorierten Behandlungstische zu setzen und Herrn Dr. Miller, meinem Kinderarzt, meinen Busen zu zeigen.

Und das war viel mehr Busen als letztes Mal.

Da waren es nämlich nur geschwollene Brustwarzen gewesen.

Ich war morgens aufgewacht, und sie taten weh. Waren hart, als hätte jemand über Nacht, während ich die Träume einer Zehnjährigen träumte, von Welpen und Cherry-Coke-Dosen, von Höhlen im Wald und Pierre Cosso, mir jeweils links und rechts ein Fünfmarkstück implantiert. Autsch! Meine Mutter hatte gesagt, sie wolle das lieber abgeklärt wissen, und Herr Dr. Miller – nach gründlichem Abtasten –, dass es sich nicht um beidseitigen Brustkrebs handele, sondern um ganz normales präpubertäres Wachstum meiner Milchdrüsen, und sie könne mir ja Quarkwickel machen, dann würden die Brustwarzen vielleicht wieder abschwellen.

Diesmal war es aber offensichtlich, dass hier härtere Bandagen angelegt werden mussten als in Geschirrhandtuch gewickelter Magerquark.

Tja, deine Brüste wachsen ganz schön schnell, Seppel.

Herr Dr. Miller fand es immer noch lustig, mich Seppel zu nennen.

Er kannte mich ja schon mein ganzes Leben. Auch in der Zeit, in der ich darauf bestanden hatte, kein Mädchen zu sein, sondern ein Junge und Seppel zu heißen, wie der Kumpel von Kasper aus Der Räuber Hotzenplotz. Herr Dr. Miller hatte es sogar so lustig gefunden, mein kindliches Gender-Bender-Gebaren ernst zu nehmen, dass er auf meiner Karteikarte den Vornamen Annika von seiner Sprechstundenhilfe durchstreichen und durch Seppel ersetzen ließ. Und selbst jetzt, wo mein Kurzhaarschnitt schon dermaßen rausgewachsen war und ich nun mit Haarreif, Pferdeschwanz und prallem Busen vor ihm saß, konnte er von so einem tollen Praxis-Insider wie dem Seppel Line Trost einfach nicht lassen.

Deine Brüste wachsen so schnell, Seppel, dass dein Bindegewebe da nicht mitkommt. Deshalb ist an den Stellen, wo du jetzt die roten Striche siehst, er fuhr mit seinem Zeigefinger die Außenseite meiner linken Brust entlang, deine Unterhaut gerissen. Und damit sie nicht weiterreißt, ist es jetzt sehr, sehr wichtig, er hob mit beiden Händen meinen Busen etwas an und drückte ihn mit einem leichten Ruck zusammen, dass wir deine Brust stützen.

Seppel, du bekommst einen BH.

 

 

Die Möpse mussten also ins Körbchen.

 

Mit dem ersten BH ist das ja so:

Manche Mädchen nerven ihre Mütter so lange, bis sie ihnen endlich das Geld und die Erlaubnis dafür geben.

Manche Mädchen fischen sich heimlich einen aus dem Schrank der großen Schwester, in der Hoffnung, sich ihren Schwarm damit zu angeln oder sogar den Schwarm der großen Schwester.

Manche Mädchen ziehen mit ihren Busenfreundinnen los und kichern sich durch Wäscheabteilungen, dass die Kabinenwände wackeln.

Manche Mütter von Mädchen machen aus der Anschaffung ein rührseliges Mutter-Tochter-Happening und kleben den Kassenbon zwanzig Jahre später in die Hochzeitszeitung.

Manche Mädchen brauchen eigentlich gar keinen, wollen aber nicht die Einzige ohne sein.

Manche Mädchen brauchen unbedingt einen, um ihn mit Klopapier auszustopfen.

Für manche Mädchen ist er ein Zeichen an die Welt, dass sie kein Mädchen mehr sind, sondern eine junge Frau, die sie von nun an bereit sind zu stehen.

Und dann gibt es eben noch andere Mädchen, so wie ich eines war, die bekommen ihren ersten BH aufgrund einer medizinischen Indikation ärztlich verordnet, wie eine Brille, wie eine Zahnspange oder Anti-Senkfuß-Einlagen.

Some boobs are bigger than others.

Na toll. Aber zum Glück war ich ja im Verbummeln von Körperkorrekturkram mittlerweile ein Vollprofi. Diese Sachen, die einem angeblich helfen sollen, das Leben zu verbessern, in Wirklichkeit aber alles bloß kompliziert, peinlich und scheiße machen, konnte ich meisterlich verschwinden lassen.

Das Aquarium zum Beispiel war für meine Brille ein absoluter Top Spot. Sechs Tage lang hatte meine Mutter jedes Kissen der Wohnung umgedreht, Schubladen ausgeräumt und sogar einen Brille-verloren-Zettel an das schwarze Brett des Kiosks unserer Straße geklebt. Meine Zahnspange mit der dazugehörenden Kinnklappe, die mit Stahlhaken in ein Kunststoffstirnband eingehängt wurde, tarnte ich oft erfolgreich als alte Lampenfassung mit Lüsterklemme im Werkzeugkasten meines Vaters.

Und so war ich mir sicher, als ich mit meiner Mutter die Rolltreppe zur Unterwäscheabteilung von Hertie-Spandau hochfuhr: Auch für den bescheuerten Kack-BH würde ich schon die geeignete Sofaritze finden.

 

Aber erst mal fand ich mich zwischen einer dicken Verkäuferin mit Turmfrisur und meiner Mutter vor dem neonbeleuchteten Spiegel einer Anprobekabine wieder.

Schon wieder oben ohne.

Na Kleene, du bist ja och nich’ gerade aus Bergisch Glattbach, wa?

Hä, woher …???

Mit kaltem Kunststoffmaßband wurden erste Zahlen eingeholt. Die Vermessung meiner neuen Welt der äußeren Werte hatte begonnen.

Dit sind 70 Zentimeter Unterbrust und 86 Brust.Differenz also 16.Wird wohl ’ne jute 70 B sein. Ick bring’ aber zur Sischerheit lieber och noch ein, zwei Cs mit.

70 – 86 – 16 – B – C – Bahnhof!

Das toupierte Fachkraftorakel verschwand durch den Kabinenvorhang. Meine Mutter schaute mir durch den Spiegel auf die Brüste. Alles-ist-gut-Gesicht.

Weißt du was, Anni, wenn wir hier gleich fertig sind, gehen wir noch in den ersten Stock in die Musikabteilung, und dann kannst du dir eine Schallplatte aussuchen. Okay?

Klar okay.

Vorhang auf für die Verkäuferin. Schächtelchen öffneten und schlossen sich. Bügel baumelten. Brüste blitzten. Wie wild wirbelnde Wäsche. BH-Parade.

Häkchen in Ösen, Justieren der Träger, griffiges Gezuppel, Frauenfinger mit langen Lacknägeln schoben sich unter Gummibänder, anziehen, loslassen, schnapp.

Da müssen immer zwei Finger dazwischen passen.

Dit darf nich’ einschneiden.

Oh, hab’ ick dich jekratzt?

Einmal Arme hoch, bitte.

Umdrehen.

Gerade stehen, Püppi.

Nee, dit is tatsächlich schon ’n C-Körbchen.

Hätt’ ick mit Schmetterlingsschleifchen und Glitzerstein.

Oder och immer praktisch is’ ja ein französischer Verschluss. Der sitzt vorne. Muss man sich nich’ beim An- und Ausziehen hinterm Rücken so verrenken.

Aber für den Anfang is’ wahrscheinlich ein Sport-BH dit Beste. Der ist zwar nich’ chic, aber hält jut.

 

Welcher BH war mir Jacke wie Hose.

Vielleicht wollte ich Schmetterlingsschleifchen und Glitzerstein, ohne es zu merken, vielleicht wollte ich einfach nur Raupe bleiben. Vielleicht wollte ich den französischen Verschluss, ohne es zu merken, oder einen unkomplizierten polnischen Abgang. Es könnte sogar sein, dass ich lachte und staunte, ohne es zu merken, über den großen Tittenzirkus, der nun in mein Leben zog, vielleicht weinte ich auch.

Ohne, dass es meine Mutter oder die Turmfrisur gemerkt hatte, war ich nämlich längst hinter der Scheibe. Dort wo das Brausen, die Fanfaren, das Knallen der Peitsche in der Manege der Beklopptheiten weniger hallen, aber auch jedes Halt! erstickt, bevor es etwas aufhalten könnte. Ich war mein Spiegelbild-Ich.

Das Spiegelbild-Ich ist eine Möglichkeit, sich rauszuziehen, wenn einem Situationen zu dicke kommen. Es ist wie eine Schutzmeditation. Ein Halbschlaf. Ein gepolsterter Platz auf dem Zuschauerrang der Selbstvorstellung. Mit Sicherheitsabstand beobachtet man sich in seiner Unsicherheit.

Man sollte das Spiegelbild-Ich aber nicht mit der Anstarrstarre verwechseln. Es ist selbstgewählt und alles andere als starr. Das Spiegelbild-Ich kann zum Beispiel an Konversationen teilnehmen, Sport treiben, schwere Maschinen bedienen und, sofern es einen Führerschein besitzt, auch Autofahren. Es hält immer sicher die Spur, aber es wird einem nie sagen, wo es langgeht, U-turnen oder rechtzeitig eine Vollbremsung hinlegen.

 

So wie zum Beispiel beim Friseurbesuch Ende der letzten Sommerferien, als mein Spiegelbild-Ich zusah, wie ich von einer Friseusen-Tussi voll die Frisur versaut bekam.

Ich hatte es ihr erklärt, sie hatte mich verstanden: Ich wollte einen Irokesen, der aussieht wie herausgewachsen. An den Seiten kurz geschnitten, vom Pony bis in den Nacken zehn Zentimeter lang breit gelassen und mit Stu … Stu … Stu … Stu … Studio-Line-Gel von L’Oréal hochgestylt. Eine geniale Übergangslösung bis zum Pferdeschwanz, die, so hatte ich es genau geplant, meine Individualität unterstreichen, meine Mitschüler am ersten Schultag schocken und die Kumpels meines älteren Bruders beeindrucken würde.

Die totale Hitfrisur! David Beckham sollte mir eines Tages recht geben, allerdings erst viele Jahre später … Denn der Mecki, den mir die Schnippelkuh dann mit scheißfreundlichem Lächeln verpasste, hätte noch nicht mal Pierre Littbarski aus den Stulpen gehauen:

Den Nacken hatte sie mir einfach ausrasiert, die Seiten angestuft, oben alles über die komplette Fläche fluffig hochgeföhnt. Ich sah aus wie ein im Wäschetrockner verendetes Igelbaby!

Meiner Mutter, die mich irgendwann endlich abholte, steckte sie dann noch ihre volle Absicht: Ich konnte dem Kind doch keinen Iro schneiden!, und fühlte sich in ihrer Ignoranz und dieser gewissen Fiesheit, die nur Friseure unter dem Scheitel tragen, wahrscheinlich sogar noch als Heldin der haarigen Geschichte.

Und anstatt zu rufen: Halt!So doch nicht!, hatte ich mir als Spiegelbild-Ich die ganze Zeit über nur in die verzweifelten Augen geguckt und zugesehen, wie, schnipp schnapp, aus der coolen Übergangsfrisur So! eine untergangsmäßige Hirni-Frisur wurde.

 

Ein anderes Mal hatte mein Spiegelbild-Ich sogar zugesehen, wie ich eine Dreiviertelstunde Gruppenkrankengymnastik gegen Knickwirbelsäule mit zwei gebrochenen Zehen zu Ende turnte. Anstatt zu schreien: Aua! Halt!, nachdem ich bei der Gleichgewichtsübung volle Kanne mit dem rechten Fuß von unten gegen die Holzsitzfläche der Turnbank gedonnert war, balancierte ich weiter.

Selbst bei den Sit-ups mit gestrecktem Bein, den Kniebeugen und den Liegestützen sah mein Spiegelbild-Ich mich ohne Mucks die Zähne zusammenbeißen.

Meiner Mutter, die mich irgendwann endlich abholte, steckte ich dann im Auto, dass wir sofort zu Herrn Dr. Miller fahren müssen, zum Fuß-Röntgen.

Seppel, du hast dir zwei Zehen gebrochen.