9 Schicksalhafte Arztromane Oktober 2023 - Conny Walden - E-Book

9 Schicksalhafte Arztromane Oktober 2023 E-Book

Conny Walden

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (999) Kann ich wirklich kein Kind bekommen? (Eva Joachimsen/Conny Walden) Eifersucht und 1000 Lügen (Anna Martach) Der lange Weg zu deinem Herzen (Anna M;artach) Hab ich dein Herz für immer verloren? (Anna Martach) Schneeballschlacht und heiße Herzen (Anna Martach) Heiße Liebe - kalte Herzen (Anna Martach) Eine Lawine wird zum Schicksal (Anna Martach) Chirurg im Zwiespalt der Gefühle (Sandy Palmer) Muss ich dir die Wahrheit sagen? (Sandy Palmer) Ein Autounfall bringt Graf Wietershausen und Dr. Tatjana Holldorf in Verbindung. Während des Klinikaufenthalts kommen sich die beiden näher, aber der Graf hütet ein dunkles Geheimnis. Professor Gerstenbach benimmt sich im OP-Saal merkwürdig, seine Kollegen machen sich ernsthafte Sorgen um die Arbeitsfähigkeit des begnadeten Chirurgen. Als er bei einem krebskranken Kind operiert, kommt es zu einem Problem.

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Conny Walden, Eva Joachimsen, Anna Martach, Sandy Palmer

9 Schicksalhafte Arztromane Oktober 2023

UUID: 24468dcc-a7f7-4211-b6d7-569615a8c80e
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

9 Schicksalhafte Arztromane Oktober 2023

Copyright

​Kann ich wirklich kein Kind bekommen?

Eifersucht und 1000 Lügen

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Der lange Weg zu deinem Herzen

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Hab ich dein Herz für immer verloren

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Schneeballschlacht und heiße Herzen

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Heiße Liebe – kalte Herzen

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Eine Lawine wird zum Schicksal |1

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Chirurg im Zwiespalt der Gefühle

Muss ich dir die Wahrheit sagen?

9 Schicksalhafte Arztromane Oktober 2023

Conny Walden, Eva Joachimsen, Anna Martach, Sandy Palmer

Dieser Band enthält folgende Romane:

Kann ich wirklich kein Kind bekommen? (Eva Joachimsen/Conny Walden)

Eifersucht und 1000 Lügen (Anna Martach)

Der lange Weg zu deinem Herzen (Anna M;artach)

Hab ich dein Herz für immer verloren? (Anna Martach)

Schneeballschlacht und heiße Herzen (Anna Martach)

Heiße Liebe - kalte Herzen (Anna Martach)

Eine Lawine wird zum Schicksal (Anna Martach)

Chirurg im Zwiespalt der Gefühle (Sandy Palmer)

Muss ich dir die Wahrheit sagen? (Sandy Palmer)

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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​Kann ich wirklich kein Kind bekommen?

Eva Joachimsen und Conny Walden

Kann ich wirklich kein Kind bekommen?

Die Inselärzte auf Sylt: Arztroman
von Eva Joachimsen und Conny Walden
Zu Frauenärztin Dr. Olivia Gaubitz wird eine Patientin namens Melanie Schauer geschickt, die ein tragisches Schicksal erlitten hat. Sie hatte bereits sieben Fehlgeburten und ihre Frauenärztin ist ratlos, was noch möglich ist, um der Frau ihren größten Wunsch, ein eigenes Kind, zu erfüllen.
Dr. Olivia Gaubitz hört sich das Schicksal der Frau an. Durch die vielen Fehlgeburten ist auch die Beziehung zu dem Ehemann der Frau sehr angespannt. Schafft Dr. Gaubitz es, der Frau ihren größten Wunsch zu erfüllen?
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Alles rund um Belletristik!
Prolog
Sie schluchzte.
Mit der Hand wischte sie sich über die Augen.
Es war so furchtbar.
Warum ich?, dachte sie.
Warum passiert das ausgerechnet mir? Oder besser gesagt: Warum passiert das ausgerechnet mir nicht.
Tränenüberströmt saß Melanie Schauer vor dem Schreibtisch ihrer Frauenärztin. „Ich kann keinen Grund für Ihre Probleme finden, organisch sind Sie gesund und auch alle anderen Werte sind in Ordnung.”
“Aber, es muss doch eine Ursache geben!”
“Sie sollten einmal eine Pause einlegen, sich eine andere Aufgabe suchen, statt krampfhaft weiter zu versuchen, ein Kind zu bekommen.”
“Sowas sagt sich so leicht.”
“Natürlich…”
“Ich kann das nicht so einfach! Eine Pause einlegen, wie Sie sagen.” Sie schüttelte energisch den Kopf.
“Das würde aber auch Ihrem Körper guttun, dann kann er sich erholen.“
Genau das wollte Melanie überhaupt nicht hören. Nein, davon wollte sie nichts wissen.
Wie viele Frauen bekamen Kinder und dachten sich nichts dabei. Bei denen schien das fast von selbst zu passieren. Nur bei mir klappt es einfach nicht, dachte Melanie. Aber war das denn wirklich zuviel verlangt? Ein Kind im Arm zu halten und eine Familie zu gründen? Sollte sie sich wirklich damit abfinden, dass sie eventuell darauf verzichten musste? Sie weigerte sich innerlich entschieden, diesen Gedanken zu akzeptieren. Aber gleichzeitig stieg die pure Verzweiflung in ihr auf. Ein Kloß saß ihr im Hals und ließ sie kaum Luft holen.
Vor lauter Schluchzen konnte sie kaum sprechen, als sie sagte: „Ich bin schon siebenunddreißig, mir läuft die Zeit davon.“
„Immer mehr Frauen sind Spätgebärende. Sie haben noch ein paar Jahre Zeit und etwas Entspannung würde Ihnen und Ihrem Mann sehr helfen. Manche Paare brauche einfach einmal eine Auszeit von dem Kinderwunsch, damit es klappt.“
Wild schüttelte Melanie ihren Kopf. „Nein, das hilft nicht. Das haben wir nach den ersten drei Fehlgeburten versucht. Inzwischen gibt es keine Entspannung mehr, wir streiten doch nur noch.“
„Machen Sie sich gegenseitig Vorwürfe?“ Die Ärztin, eine ältere Dame, musterte ihre Patientin aufmerksam.
Wieder quollen dicke Tränen aus ihren Augen. „Die ganze Familie meines Mannes setzt uns unter Druck.“
„Ich empfehle Ihnen eine Paartherapie, aber bis Sie da einen Termin bekommen, sollten Sie sich bei Frau Dr. Gaubitz in der Harm-Breding-Klinik untersuchen lassen. Frau Dr. Gaubitz ist eine sehr kompetente Gynäkologin, vielleicht erkennt sie etwas, was ich übersehen habe. Trotzdem sollten Sie sich einen Therapeuten suchen.“ Damit überreichte sie ihrer Patientin die Überweisung, die sie während des Gesprächs geschrieben hatte.
„Meinen Sie, Frau Dr. Gaubitz kann mir helfen?“ Hoffnungsvoll schaute Melanie ihre Ärztin an. Inzwischen griff sie nach jedem Strohhalm.
„Vielleicht, versprechen kann ich nichts. Der menschliche Körper und die menschliche Psyche sind sehr kompliziert. Ich habe Patientinnen, denen von ihren Ärzten völlige Unfruchtbarkeit diagnostiziert worden waren und die inzwischen mehrere Kinder haben. Keiner weiß, warum diese Frauen Kinder bekommen konnten.“
Sie stand auf und reichte der Frau die Hand. „Ich wünsche Ihnen alles Gute.“
“Ich danke Ihnen”, murmelte die Patientin.
Nachdenklich schaute sie der Patientin hinterher, die noch immer niedergeschlagen den Raum verließ. Leider waren Ärzte keine Götter in Weiß, auch wenn sie manchmal so bezeichnet wurden. Für das Ehepaar Schauer wäre es besser, sich mit der Kinderlosigkeit abzufinden, sich eine neue Aufgabe zu suchen, statt die nächste Fehlgeburt zu provozieren. Der Körper von Frau Schauer würde es nicht mehr lange mitmachen, zumal es immer besonders belastende Spätaborte gewesen waren, schlimmer war es aber, dass ihre Psyche längst schlappgemacht hatte.
1
Dr. Olivia Gaubitz stieg vom Fahrrad und stellte es an einer Holzabsperrung ab, um zu Fuß weiterzulaufen. Sie wollte auf die Aussichtsdünen bei List steigen und weiter durch die Dünen herumstreifen. Eine Empfehlung ihres Kollegen Dr. Sören Wiebold. „Wenn das Wetter gut ist, kannst du von dort bis Dänemark sehen. Und die Dünenlandschaft lädt zum Wandern ein“, hatte er gemeint. Der junge Oberarzt sah sehr gut aus und war überaus charmant. Da sie erst seit kurzem auf der Insel lebte, wies er sie immer mal wieder auf lohnenswerte Ausflugsziele hin. Vermutlich mit der Absicht auf ein paar gemeinsame Stunden. Doch obwohl Olivia ihn recht sympathisch fand, hatte sie kein Interesse an einer neuen Partnerschaft. Erst einmal brauchte sie Abstand von ihrer alten. Deshalb hatte sie sich auch nach Sylt beworben. Möglichst weit weg von ihrem Ex.
Als am Morgen auch noch die alte Ladenbesitzerin beim Einkaufen gemeint hatte: „Heute haben wir besonders gute Sicht“, beschloss sie, ihren Hausputz, den sie sich für ihren Tag vorgenommen hatte, zu verschieben und lieber eine Radtour zu unternehmen. Etwas Proviant, Wasser und ihre Kamera hatte sie schnell in einen Rucksack gepackt und sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg nach List gemacht. Jetzt stand die Sonne schon ziemlich hoch und der Aufstieg auf die Düne wurde schweißtreibend, dabei war sie eigentlich gut trainiert, fuhr sie doch regelmäßig Fahrrad oder joggte. Sie war dankbar über die Holztreppe, die Steigung im rutschenden Dünensand zu nehmen, wäre sicher viel anstrengender geworden. Oben wurde sie von einem herrlichen Ausblick belohnt, Sören hatte nicht zu viel versprochen. Die Heidelandschaft zwischen den Dünen mit ihren Wanderwegen sah wunderschön aus. Zum Greifen nah waren die Lister Häuser, die Leuchttürme und in der Ferne war die dänische Insel Rømø noch deutlich zu erkennen.
Wie gut, dass die Digitalkameras so bequem waren und sie keine Rücksicht auf die Anzahl der Fotos nehmen musste. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie ihr Vater, als sie Kind war, immer die Filme wechseln musste. Schon damals hatte er ihr die Liebe zum Fotografieren nahegebracht.
Den ganzen Tag wanderte sie durch die Dünen, kehrte in einem Restaurant ein und fuhr abends müde, aber zufrieden mit dem Fahrrad zurück. Natürlich dauerte die Rückfahrt länger als die Hinfahrt, dabei hatte sie Glück und hatte den Wind im Rücken.
Kurz vor ihrer Wohnung stieß sie auf Chefarzt Dr. Thorben Wiebold, der mit seinem Cockerspaniel von dem abendlichen Spaziergang zurückkam.
„Haben Sie Ihren freien Tag genutzt, um unsere wunderschöne Insel zu erforschen?“, fragte er.
„Ja, Ihr Sohn hatte mir die Lister Aussichtsdüne empfohlen und nachdem die alte Frau Simon meinte, die Sicht wäre heute besonders gut, habe ich kurzerhand umdisponiert und meinen Haushalt Haushalt sein lassen und bin aufs Fahrrad gestiegen.“
„Und? War die Sicht wirklich gut?“, fragte er. Bodo lief auf sie zu und schnupperte an ihren Beinen, dabei wedelte er mit dem Schwanz. So aufgefordert bückte sie sich, um ihn zu streicheln, was ihm sichtlich gefiel.
„So klare Sicht habe ich selten erlebt. Ich konnte Rømø gut erkennen.“
„Zwischen den Inseln gibt es eine Fährverbindung. Wenn Sie alles von Sylt erkundet haben, können Sie auf unserer Nachbarinsel weitermachen“, empfahl er ihr. Anschließend meinte er lächelnd mit einen Blick auf seinen Hund: „Jetzt müssen Sie leider den ganzen Abend weiterstreicheln. Bodo wird nicht müde, seine Streicheleinheiten einzufordern.“
„Oh, das überlasse ich lieber Ihnen, ein bisschen muss ich noch aufräumen, auch wenn ich das Putzen auf einen Regentag verschoben habe.“ Sie richtete sich auf, verabschiedete sich und fuhr weiter. Sie hatte mit ihrem neuen Job wirklich Glück gehabt. Die schöne Insel, die netten Kollegen und besonders natürlich dieser hervorragende Chefarzt. Inzwischen nahm sie ihm nicht mehr übel, sie zu der Fotoausstellung überredet zu haben. Sie hatten damit wirklich eine gute Werbung für die Harm-Breding-Klinik gemacht und der Fotokalender, der dadurch entstanden war, würde Geld für kranken Kinder erlösen.
*
Malte Schauer kam abgespannt von der Arbeit nach Hause. Die Selbständigkeit mit seiner Autowerkstatt wurde von Jahr zu Jahr anstrengender. Wie sehr hatte er sich in der ersten Zeit, nachdem er den Betrieb vom alten Venske übernommen hatte, ins Zeug gelegt, seine beiden Mechaniker hatten am selben Strang gezogen, da sie kurz vor der Rente nicht arbeitslos werden wollten. Außerdem hingen sie nach den vielen Jahren an der Werkstatt. Auch Melanie hatte ihn unterstützt und abends, wenn sie von ihrem Steuerberater kam, noch seine Buchhaltung gemacht. Doch inzwischen waren die beiden zuverlässigen Mechaniker Rentner und auf die neuen Mitarbeiter konnte er sich nicht verlassen. Ständig musste er sie kontrollieren. Weil er Melanie nach den ersten Fehlgeburten schonen wollte, hatte er sich dazu die Qual der Buchhaltung aufgebürdet.
Kaum klappte die Tür ins Schloss, überfiel ihn Melanie gleich mit ihren Neuigkeiten, dabei war er nur müde und wollte ein kleines Nickerchen machen. „Meine Frauenärztin schickt mich zu einer anderen Ärztin in die Harm-Breding-Klinik“, erklärte sie.
„Dort können sie sicher mehr untersuchen als in so einer kleinen Arztpraxis“, erwiderte er nur, dabei glaubte er nicht mehr an eigene Kinder. Die Ärzte hatten sie doch schon gründlich untersucht, es war halt nicht alles heilbar. Menschen waren eben keine Autos.
„Du hörst gar nicht zu“, warf Melanie ihm vor, da er gleich in die Küche marschiert war und sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holte.
„Doch, doch, du sollst im Krankenhaus weiter untersucht werden. Das ist sicher richtig.“ Er trank gleich aus der Flasche, obwohl er wusste, dass Melanie sich darüber ärgern würde. „Tut mir leid, ich bin müde. Momentan muss ich für zwei arbeiten, da Norbert mit seinem Bandscheibenvorfall im Bett liegt. Und dann noch dieser Kunde! Der Neue hat der Aussage vertraut, dass das Auto laut geworden ist, weil der Auspuff kaputt ist, ihn gewechselt. Der kam nach zwei Tagen wieder, weil das Geräusch immer noch da war. Also habe ich mir den Wagen angeschaut. Zwei Radlager waren hin. Habe ich selbst ausgetauscht, jetzt sitze ich auf den Kosten für den Auspuff. Was meinst du, soll ich den Gesellen rauswerfen?“ Malte ärgerte sich, den Mann eingestellt zu haben. Der Neue war nicht der Hellste, aber er hatte lange suchen müssen, um überhaupt einen Monteur zu finden. Da Melanie nicht antwortete, fragte er nach: „Was meinst du?“
„Behalte ihn, es gibt doch keine Kfz-Mechatroniker in der Gegend. Eigene Schuld, du hättest längst wieder ausbilden müssen“, warf sie ihm vor. An seinen Problemen schien sie nicht sehr interessiert zu sein, dabei lebten sie von dem Geld, das er mit der Werkstatt verdiente.
„Auszubilden schaffe ich momentan nicht. Die Bewerber sind nicht fit genug, da muss ich zu viel Zeit investieren. Du weißt doch, der Letzte hat den Job geschmissen, nachdem er durch die Zwischenprüfung gefallen war und der davor hat schon nach einem halben Jahr aufgegeben, weil die Berufsschule zu anstrengend war.“
Erst nach dem Abendessen kam er noch einmal auf seine Probleme zu sprechen. „Kannst du mir wieder im Büro helfen? Ich komme einfach mit der Arbeit nicht hinterher.“ Das war natürlich nur ein Teil des Vorschlags, aber vielleicht würde es Melanie ablenken, wenn sie aus der Wohnung herauskäme und etwas Sinnvolles zu tun bekäme.
„Du weißt doch, wie schlecht es mir geht. Ich bin krankgeschrieben und mein alter Chef wollte mich nicht behalten, weil ich ständig krank war.“
„Ich weiß, ich will dich auch nicht drängen. Irgendwie wird es schon weitergehen.“ Anschließend schaltete er den Fernseher an, denn er musste sich ablenken.
2
Am nächsten Morgen wartete nach der Visite der stationären Patienten eine Frau in der Ambulanz auf Olivia. Wie sie der Überweisung und dem Krankenbericht, die ihr vorlagen, entnahm, hatte die Patientin schon sieben Fehlgeburten erlitten und ihre Frauenärztin hatte sie ihr überwiesen, weil sie keinen Grund für diesen Zustand gefunden hatte. Als Erstes dachte Dr. Gaubitz bei sich, dass sich das Ehepaar lieber auf etwas anderes konzentrieren sollte, statt verzweifelt Nachwuchs zu bekommen. Häufig lösten sich Fruchtbarkeitsprobleme, wenn das Paar sich von dem krampfhaften Wunsch verabschiedete, dann waren sie entspannt. Manches Paar war nach einer Adoption mit einem eigenen Kind überrascht worden. Aber das alles hatte die Ärztin ihr sicher schon geraten, also würde sie sich mit diesen Empfehlungen zurückhalten. Das Einzige was ihr in den Unterlagen auffiel, war, dass die Schilddrüsenwerte knapp unterhalb der Norm lagen. Allerdings nicht so stark, dass man eingreifen musste. Konnte das der Grund sein? Leider besaß sie nicht die nötige Kompetenz auf diesem Gebiet.
Erst einmal wollte sie die Patientin kennenlernen und sich mit ihr unterhalten. Melanie Schauer wirkte tatsächlich sehr verzweifelt. Einfühlsam tastete sich Dr. Gaubitz voran. Sie fragte Frau Schauer nach ihren Zielen in der Jugend, um einen Eindruck von ihr zu bekommen. Bereits bei der Vorstellung war die Frau in Tränen ausgebrochen. Erst einmal musste sich die Frau beruhigen. „Schon als Kind war mein Herzenswunsch, eine große Familie zu haben, einen netten Mann, mehrere Kinder, ein Häuschen im Grünen. Meinen Traummann habe ich zum Glück schnell gefunden, dann haben wir auf ein Haus gespart und vor ein paar Jahren konnten wir ein altes Haus erwerben und haben es mühsam renoviert und modernisiert. Kurz darauf hat mein Mann von seinem Chef die Autowerkstatt am Ortsausgang übernommen. Anfangs mussten wir uns anstrengen, sie finanzieren zu können. Erst dann konnten wir an Kinder denken. Es hat lange gedauert, bis ich schwanger wurde. Meine Ärztin hat mich immer wieder beruhigt und gesagt, ich solle Geduld haben, das kann dauern, bis es klappt und ich solle nicht in Panik verfallen. Unsere Eltern und Geschwister fragten laufend nach, wann wir endlich Kinder planten. Dabei versuchten wir es doch schon längst. Als ich dann schwanger wurde, waren wir überglücklich und feierten es mit einem Restaurantbesuch.“ Auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln bei der Erinnerung. „Doch leider währte die Freude nicht lange und ich verlor das Kind.“ Wieder fing sie an, herzzerreißend zu weinen. Geduldig wartete Dr. Gaubitz, bis sie sich etwas beruhigt hatte und stockend weitererzählte. „Meine Ärztin meinte, wie sollen mit einem neuen Versuch etwas warten, damit sich mein Körper erholen kann, denn die Schwangerschaft war schon ziemlich weit fortgeschritten. Doch ich war über dreißig, da tickt doch die biologische Uhr. Also haben wir es erneut versucht und ich wurde auch schnell wieder schwanger. Doch auch dieses Kind verlor ich, wie auch die fünf weiteren.“
Dr. Gaubitz tat die Frau leid. So ein großer Kinderwunsch, dann die Schwangerschaft und die Hoffnung und schließlich die Fehlgeburt mit der Verzweiflung. Die behandelnde Frauenärztin hatte in ihren Augen alles richtig gemacht. Leider war das Ehepaar immer zu ungeduldig gewesen und hatte dem Körper der Frau keine ausreichende Erholungszeit gegönnt. „Jetzt bin ich schon siebenunddreißig und habe Angst, dass ich bald zu alt bin.“
„Wie geht es Ihrem Mann?“, fragte Dr. Gaubitz.
„Er ist auch traurig.”
“Verstehe.”
“Nach den ersten drei Fehlgeburten war er sehr aufmerksam und liebevoll. Inzwischen stacheln ihn seine Eltern auf.”
“In wie fern?”
“Sie sagen, dass er die falsche Frau geheiratet hat, die keine Kinder will. Er soll sich scheiden lassen.“ Sie schniefte, putzte sich die Nase und wischte die Tränen mit dem Ärmel weg. Sie konnte kaum sprechen, als sie weitererzählte.
„Was sagt denn Ihr Mann dazu?“, fragte Dr. Gaubitz.
Frau Schauer zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht.”
“Was heißt das: Ich weiß es nicht?”
“Inzwischen besucht er seine Familie allein.”
“Ach, so.”
“Mir sagte er, was sich nicht ändern lässt, lässt sich nicht ändern.”
“Tja…”
“Kinder wären ihm nicht so wichtig. Aber das stimmt nicht. Wir streiten häufig.”
“Ich verstehe…”
“Er hat schon eine Adoption vorgeschlagen, aber ich will ein eigenes Kind haben.“
„Haben Sie mit ihnen darüber gesprochen?“
Melanie schüttelte den Kopf. „Nein, bloß nicht. Das haben sie gesagt, als ihre Nachbarn ein Kind adoptiert haben. Nein, ich will ein eigenes Kind. Ich will die Schwangerschaft erleben, ein Baby im Arm halten, ein Kind stillen und aufwachsen sehen. Seine Eltern sind auch gegen eine Adoption. Sie sagen, wer weiß, was man sich da ins Nest setzt.“
Eine Weile schwieg Dr. Olivia Gaubitz, um ihrer Patientin die Möglichkeit zu geben, weiterzusprechen. Aber auch Melanie Schauer sagte nichts mehr, sie weinte nur noch leise und Dr. Gaubitz reichte ihr die Box mit den Papiertaschentüchern, denn Frau Schauer hielt nur noch ein völlig durchnässtes Tuch in der Hand. Dann schob sie ihr auch noch den Papierkorb hin. Achtlos warf Melanie Schauer die gebrauchten Tücher hinein.
Sie atmete tief durch.
“Es tut gut, das alles mal aussprechen zu können”, erklärte sie dann. “Auch, wenn es furchtbar schmerzt.”
„Am besten untersuche ich Sie erst einmal gründlich. Vielleicht ist etwas übersehen worden“, erklärte sie. Sie musste der Patientin irgendetwas anbieten, obwohl sie nicht daran glaubte, einen anderen Befund zu bekommen als ihre Vorgänger. Da die nächste Patientin schon wartete, ließ sie Frau Schauer einen neuen Termin geben. „Dann habe ich Zeit und untersuche Sie gründlich. Planen Sie ausreichend Zeit ein, nicht dass Ihr Mann sie vermisst, wenn Sie nicht zurückkommen.“
„Der merkt es doch sowieso nicht“, flüsterte Melanie Schauer. Diese Bemerkung ließ Dr. Gaubitz aufhorchen. Da schien noch mehr im Argen zu liegen, aber für heute hatte sie die arme Frau genug gequält, nach ihrem Mann würde sie bei nächster Gelegenheit fragen.
3
Dr. Sören Wiebold wollte noch einmal das schöne Wetter genießen. Bald würde es zu kalt für den Wassersport sein. Zum Kitesurfen reichte die Zeit vor der Arbeit nicht. Aber eine Runde schwimmen würde guttun. Zum Glück war der Strand nicht weit weg und er hatte erst die Spätschicht. Seine kleine Wohnung hatte er aufgeräumt. Jetzt genoss er Sonne, Wind und Sand. Nach einer ersten langen Schwimmrunde legte er sich in den Sand und beobachtete die junge Familie mit den zwei kleinen Kindern. Die Kleinen buddelten begeistert im Sand, irgendwann stand der Vater auf und grub einen Kanal zum Wasser und mit Hilfe der Kinder einen kleinen Hafen im Sand, dort konnten die beiden ihre Spielzeugboote gefahrlos schwimmen lassen. Als er klein war, hatte sein Vater ab und zu, wenn er sich von der Klinik losreißen konnte, auch mit ihm im Sand Burgen und Häfen gebaut. Leider war es viel zu selten gewesen. Aber seine Mutter war häufig mit ihm am Strand gewesen und hatte mit ihm Ball gespielt und Drachen steigen lassen.
Nach einer zweiten Runde im Wasser verließ er den Strand. Er hatte ausreichend Zeit, sich Sand und Salz abzuduschen, eine Kleinigkeit zu essen und dann seine Schicht zu beginnen. Hoffentlich kamen heute keine schweren Fälle herein. Bei dem schönen Wetter hatte keiner einen Krankenhausaufenthalt verdient. Er lächelte über sich selbst, natürlich hatte auch bei schlechtem Wetter niemand eine Verletzung oder Krankheit verdient.
Im Krankenhaus begegnete er im Flur Dr. Olivia Gaubitz. Sie wirkte sehr nachdenklich. „Moin, ist heute viel los?“, fragte er.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Nein, zum Glück ein ruhiger Tag. Deine Empfehlung, einmal auf die Lister Aussichtsdüne zu steigen, war sehr gut. Ich bin gestern mit dem Fahrrad hingefahren und dann in den Dünen gewandert. Es war herrlich. Die Sicht war klar, ich konnte sehr weit sehen. Und die Dünenlandschaft ist wirklich urig.“
„Hoffentlich hast du viele Fotos gemacht, der nächste Kalender will gefüllt werden“, spottete er gutmütig.
„Du immer mit der Verwertung meiner Fotos. Ich mache es, weil es mir Spaß macht und nicht, um damit Geld zu verdienen.“ Sie zögerte, bevor sie weitersprach. „Obwohl die Einnahmen von dem Kalender einen guten Zweck erfüllen.“
„Sag ich doch. Und die Ausstellung war auch sinnvoll. Heute reicht es leider nicht mehr, wenn Ärzte gute Arbeit leisten, sondern sie müssen bei den Politikern in Erinnerung bleiben, damit sie nicht auf einer Abschussliste landen.“ Gemeinsam liefen sie in Richtung Treppenhaus.
„Das man als Arzt auch noch politische Arbeit leisten muss, habe ich nicht erwartet, als ich anfing, Medizin zu studieren.“
„Dafür ist auch eher der Geschäftsführer und vielleicht noch der Chefarzt zuständig, aber die sind für Unterstützung jeglicher Art immer dankbar.“
„Kann ich verstehen. Die Arbeit ist wirklich hart und hat doch mit Medizin gar nichts zu tun.“
Trotz des schönen Tages und der geringen Urlaubsgäste wartete auf Sören in der Notaufnahme Arbeit. Eine Frau hatte sich beim Teekochen verbrüht. Zum Glück hatte sie gleich richtig reagiert und war sofort unter die Dusche gesprungen, bis der Krankenwagen sie abgeholt hatte. Nach einer Erstversorgung konnte sie deshalb auch wieder nach Hause, musste aber regelmäßig zur Kontrolle und Versorgung der Wunde vorbeikommen.
Der nächste war ein Heimwerker, dem beim Bohren und Anbringen einer Lampe ein kleiner Betonsplitter ins Auge gefallen war. Mit ruhiger Hand entfernte Sören den Fremdkörper und beruhigten den Patienten.
„Sie dürfen nie ohne Schutzbrille solche Arbeiten machen. Diesmal haben Sie Glück gehabt, denken Sie beim nächsten Mal daran“, ermahnte ihn Dr. Wiebold zum Schluss.
Als er aus dem Behandlungsraum hinaus war, meinte er zu Schwester Laura: „Die Leute lernen es nie. Wie lange werden Sicherheitshinweise gegeben, trotzdem hält sich niemand daran.“
„Na ja, wenn man nicht täglich so etwas macht, weiß man es nicht.“ Dann lächelte sie ihn an. „Sonst wären Sie doch arbeitslos.“
„Blödsinn“, er drohte ihr mit dem Zeigefinger. „Die normalen Krankheiten würden uns sicher reichen. Dann hätten wir vielleicht einmal Zeit, in Ruhe mit den Patienten zu sprechen und nicht immer nur zwischen Tür und Angel.“
4
Mit fliegenden Ohren kam Bodo zu seinem Herrchen gerannt. In der Schnauze trug er den Ball, denn Dr. Wiebold geworfen hatte. Er konnte das Spiel stundenlang spielen. Leider hielten seine Menschen es nie so lange aus. Viel zu früh brachen sie das Ballspiel wieder ab. So wie jetzt.
„Komm, Bodo, wir müssen nach Hause, das Abendessen wartet auf uns.“
Essen klang gut, deshalb wedelte Bodo mit dem Schwanz. „Wie gut das ich dich habe, sonst würde ich sicher gar nicht mehr an die frische Luft kommen.“ Dr. Wiebold strich im Hund über den Kopf. „Da hatte Sören die richtige Idee gehabt, als er mir einen Hund verordnete.“ Brav trug der Hund den Ball nach Hause, dort ließ er ihn achtlos fallen, da das Fressen, dass Herrchen in seinen Napf füllte, viel wichtiger war.
Dr. Wiebold nahm sich Zeit, das Essen, das seine Haushälterin zubereitet hatte, aufzuwärmen und in Ruhe zu genießen. Die Haushaltshilfe war ein Glücksgriff, sie war herzlich, fleißig und eine hervorragende Köchin. Die leckeren Mahlzeiten lockten ab und zu auch seinen Sohn an. Nach dem Essen studierte er die Krankenakte eines Patienten ein weiteres Mal, dessen Diagnose schwierig war, deshalb suchte er in den Fachbüchern nach ähnlichen Fällen. Bodo lag währenddessen unter dem Couchtisch und schnarchte laut. Erst spät am Abend klappte Dr. Wiebold seine Bücher zu und ging zu Bett. Bodo wachte dabei natürlich auf und folgte ihm ins Schlafzimmer, dort legte er sich auf den Bettvorleger. Das Bett mitzubenutzen hatte Herrchen ihm mühsam abgewöhnt, nur dass er im Wohnzimmer bleiben sollte, war nicht gelungen. Sören lachte ihn deswegen immer aus. „Bei meiner Erziehung warst du konsequenter.“
„Da bin ich auch noch von deiner Mutter unterstützt worden. – Du hattest mir versprochen, dich um die Erziehung des Hundes zu kümmern“, erinnerte er Sören an das damalige Weihnachtsgeschenk und das Hilfsangebot.
„Habe ich doch auch. Ich habe die Sauberkeitserziehung übernommen, habe ihm beigebracht, an der Leine zu laufen und auf den Namen zu reagieren. Alles andere ist deine Aufgabe.“ Tatsächlich hatte Sören einen Teil seines damaligen Urlaubs damit verbracht, auf dem Sofa zu schlafen und den Welpen mitten in der Nacht in den Garten zu befördern, wenn sein Geschäft zu dringend wurde.
*
Verärgert kratzte Malte Schauer das verbrannte Essen von seinem Teller und warf es in den Mülleimer. „Melanie, du musst dich damit abfinden, dass wir keine Kinder bekommen können. So kann es nicht weitergehen.“ Wütend ballte er seine Hände, als Melanie daraufhin wieder einmal in Tränen ausbrach. Seit langem war mit seiner einst tatkräftigen und lebhaften Frau nichts mehr anzufangen. Alles drehte sich nur noch um ihren Kinderwunsch. Inzwischen war sie in Depressionen versunken. Leider war sie beratungsresistent und ließ sich nicht bewegen, eine Psychotherapie zu machen. Vielleicht hätte so eine Therapie auch schon längst das Kinderproblem gelöst. Mehrere Ärzte hatten sie darauf hingewiesen, aber Melanie versuchte es stur weiter. Schluckte Pillen, Hormone und solchen Kram, aber das Einzige, was sie erreichte, war, dass sie zwar schwanger wurde, die Kinder aber nicht austragen konnte. Vielleicht war das Problem wirklich ein psychisches und kein körperliches. Er war auf jeden Fall am Ende seiner Kräfte. So sehr er seine Frau auch einst geliebt hatte, inzwischen schwankten seine Gefühle zwischen Verantwortungsgefühl, Mitleid, Liebe und Hass. Schon lange überlegte er, ob es nicht für sie beide besser wäre, wenn sie sich trennen würden.
„Aber du willst doch auch Kinder. Früher hast du es immer gesagt. Du wolltest eine ganze Fußballmannschaft haben. Jetzt wären wir dankbar, wenn wir wenigstens ein Kind bekämen“, stieß sie unter Schluchzen hervor. Er musste sich sehr anstrengen, um sie zu verstehen.
„Jetzt wäre ich froh, wenn wir wieder normal miteinander reden könnten. Ohne Schuldzuweisungen, ohne ständige Tränen“, fauchte er gereizt.
„Wie denn, du schaust dich doch nach anderen Frauen um. Du bist kaum noch daheim. Mit niemanden kann ich reden. Dazu deine Eltern, die ständig sticheln, ob wir nicht endlich Kinder bekommen.“ Wieder schossen Tränen in ihre Augen. Die Quelle schien unerschöpflich zu sein.
„Meine Eltern sind keine Unmenschen“, schrie er sie an. „Wenn wir ihnen unsere Probleme erzählen würden, hätten sie Verständnis. Aber du musst es ja geheim halten. Das erhöht den Stress doch nur.“
„Ich will aber kein Mitleid. Außerdem hat deine Mutter doch schon mehrmals angedeutet, dass du dich lieber nach einer anderen Frau umschauen sollst.“
„Sie bekommt nur mit, dass wir unglücklich sind und uns ständig streiten. Da ist es doch naheliegend, eine Trennung vorzuschlagen. Um dich zu schützen, habe ich den Kontakt zu meinen Eltern stark eingeschränkt. Du bist nicht einmal mehr Weihnachten und zu den Geburtstagen im letzten Jahr mitgekommen. Was meinst du, was es dadurch für Gerüchte entstehen.“
„Ich kann nicht mehr, immer diese Hoffnung, wenn ich schwanger bin und dann die riesige Enttäuschung, wenn ich wieder eine Fehlgeburt habe.“
Natürlich tat sie ihm leid und er hatte Mitleid. Er war doch auch jedes Mal enttäuscht, wenn es wieder einmal nicht geklappt hatte. Dabei verbot er sich schon lange, zu hoffen und sich zu freuen, wenn der Schwangerschaftstest eine Schwangerschaft verriet. Er schluckte seinen Ärger hinunter, ging zu ihr und nahm sie in die Arme. „Melanie, ich liebe dich doch. Aber du machst es mir mit deinen Depressionen und Vorwürfen nicht leicht.“
Natürlich hätte er das nicht sagen dürfen. Sofort stieß sie ihn von sich. „Du denkst immer nur an dich. Wie ich mich fühle, ist dir völlig egal.“
„Und wie ist es bei dir? Interessierst du dich für meine Gefühle? Du bleibst morgens im Bett liegen, statt dir Arbeit zu suchen, damit du mal auf andere Gedanken kommst. Aber ich muss Aufstehen und den Laden am Laufen halten. Trotz aller Probleme freundlich zu meinen Mitarbeitern und den Kunden sein. Fehler darf ich mir nicht erlauben, denn das könnte tödlich sein.“
Wütend verließ er die Wohnung und rannte lange durch die Braderuper Heide. Wieder einmal war es ihm nicht gelungen, ruhig zu bleiben. Darüber ärgerte er sich sehr. Aber seine Nerven lagen schon seit langem blank. Immer schneller schlug Mitleid in Hass um. Er sorgte sich, dass ihm eines Tages die Hand ausrutschen würde, deshalb suchte er häufig in der Natur nach Ruhe. Freunden mochte er sich nicht anvertrauen, das hätte Melanie garantiert als Vertrauensbruch angesehen.
5
Ein paar Tage nach dem ersten Besuch erschien Melanie Schauer wieder in der Klinik. Diesmal wollte Frau Dr. Gaubitz sie gründlich untersuchen. Da sie viel Hoffnung in die Klinikärztin setzte, war sie ausgeglichener als die Tage vorher. Schließlich hatte noch kein Arzt sich so ausführlich mit ihr unterhalten. Wie aufmerksam die junge Ärztin ihr zugehört hatte! Seit langem fühlte sie sich endlich einmal bei einem Arzt verstanden und gut aufgehoben. Von vielen war sie immer wieder enttäuscht worden. Selbst Malte hatte sie am Morgen in den Arm genommen, sie geküsst und ihr viel Erfolg mit der neuen Ärztin gewünscht. Daher kam sie entspannt im Krankenhaus an und ließ sich von einer älteren Schwester gleich Blut abnehmen.
„So viel?“, wunderte sie sich.
„Ja, meine Chefin will wirklich alles gründlich untersuchen, sie meint, die einfachen Dinge sind bei Ihnen schon längst ohne Ergebnis untersucht worden.“ Während sie das Blut abnahm und in kleine Röhrchen gab, plauderte sie freundlich mit Melanie. Melanie konnte sich gut vorstellen, in dieser Klinik als Patientin zu liegen, wenn alle Krankenschwestern so angenehm und herzlich waren. Bisher hatte sie Krankenhäuser immer mit unangenehmen Erinnerungen verbunden. Als Kind hatten die Ärzte sie nach einem Blinddarmdurchbruch mehrmals operiert und sie hatte lange im Krankenhaus liegen müssen. Seitdem gruselte es ihr davor. Die Aufenthalte nach ihren Fehlgeburten hatten auch nicht geholfen, Vertrauen in den Medizinbetrieb zu gewinnen.
„So, nachdem ich Sie gequält habe, können Sie zu Frau Doktor gehen.“ Die Schwester brachte sie noch an die Tür und reichte Dr. Gaubitz ein paar Unterlagen.
„Guten Morgen, Frau Schauer, wie geht es Ihnen?“, begrüßte die Ärztin sie.
„Danke, etwas besser. Ich setzte viel Hoffnung in Ihre medizinischen Fähigkeiten.“ Melanie Schauer lächelte sie an.
„Leider kann ich keine Wunder bewirkten, auch wenn ich es gern möchte. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich gründlich nach den Ursachen suchen und auch weitere Fachärzte hinzuziehen werden, wenn es nötig ist. Jetzt möchte ich sie erst einmal gynäkologisch untersuchen. Es kann immer mal etwas übersehen werden, manchmal erkennt man Krankheitszeichen auch erst, wenn sie sich weiterentwickelt haben, stärker geworden sind.“
Sie ließ sich Zeit und untersuchte wirklich alles sehr gründlich, nahm einen Abstrich und kontrollierte mit dem Ultraschallgerät die inneren Organe, sogar eine Gebärmutterspiegelung machte sie. Währenddessen erklärte sie ständig, was sie tat und auch die Ergebnisse.
„Wie ich erwartet habe, ich kann keine Auffälligkeiten feststellen“, sagte sie zum Schluss und fügte, als Frau Schauer gleich enttäuscht zusammensank hinzu: „Eigentlich ist es ein Grund zur Freude, wenn man gesund ist. Jetzt werden wir richtig loslegen. Die Ergebnisse der Blutuntersuchungen liegen in ein paar Tagen vor. Lassen Sie sich bitte von Schwester Angelika einen neuen Termin geben.“ Dann schaute sie Melanie Schauer ernst an. „Die Probleme können auch bei Ihrem Mann liegen, deswegen würde ich gern mit ihm sprechen und ihn untersuchen lassen. Das würde dann mein Kollege, der Urologe Dr. Vollmer, machen.“
„Ich weiß nicht, ob er dazu bereit ist.“
„Ist er denn schon mal untersucht worden? Gibt es dazu einen Bericht?“
Melanie schüttelte den Kopf. „Er wollte es immer nicht, er meinte, an ihm kann es nicht liegen, schließlich wäre ich ja schwanger geworden.“
Dr. Gaubitz nickte. „Das klingt logisch, kann aber trotzdem sein. Am besten bringen Sie ihn zu ihrem nächsten Termin mit, dann können wir alles in Ruhe mit ihm besprechen.“
*
Am Abend wollte Melanie ihrem Mann von dem Tag erzählen und auch Dr. Gaubitz Wunsch, ihn zu untersuchen, erwähnen, doch er reagierte gereizt.
„Bitte, ich bin müde, ich will jetzt nichts mehr von Ärzten, künstlichen Befruchtungen und anderem hören. Wir haben schon so oft darüber gesprochen. Das bringt doch nichts“, genervt griff er zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher an, nur um in einer Talkshow zu landen, über die er sonst immer schimpfte.
„Nie hörst du mir zu! Wie sollen wir jemals Kinder bekommen, wenn du mich nie unterstützt“, beschwerte sich Melanie mit einer weinerlichen Stimme.
„Was heißt hier nie unterstützt? Wer bringt das Geld nach Hause? Wer muss den ganzen Betrieb alleine schaukeln, obwohl wir Personalmangel haben. Du könntest mir helfen, dann hätte ich auch mehr Zeit für dich. Aber du pflegst ja nur dein Selbstmitleid. Hast du jemals gefragt, wie es mir damit geht?“
Obwohl sie wusste, dass er wenigstens teilweise recht hatte, machte sie ihm weitere Vorwürfe und wurde immer lauter dabei. Schließlich griff sie wutentbrannt nach ihrer Lieblingsvase, in der ein wunderschöner Blumenstrauß war, und feuerte sie an die Wand. Mit einem Knall zerbrach das Glas, Wasser, Scherben und Blumen fielen zu Boden und verteilten sich dort. Erstaunlicherweise schien das Malte wieder zur Besinnung zu bringen.
„Dir fällt hier die Decke auf den Kopf. Du solltest unbedingt wieder arbeiten gehen“, stellte er fest. Dabei sprach er ruhig und leise.
„Du willst mich nur zwingen, wieder zu arbeiten. Aber das kann ich nicht. Ich will nicht noch einmal wegen Krankheit gefeuert werden. Das ist mir zweimal passiert, das reicht. Wer nimmt schon eine Mitarbeiterin, die ständig krank ist? Außerdem bin ich noch immer krankgeschrieben.“
„Sprich bitte einmal mit deiner neuen Ärztin darüber, ob es sinnvoll ist, daheim zu bleiben. Es ist nur ein Vorschlag von mir. Ich will dich nicht zwingen, aber so kann es nicht weitergehen. Ich will nicht ständig Vorwürfe hören und mit dir streiten. Dazu bin ich abends einfach zu erschöpft. Wenn du arbeitest, kommst du aus dem Haus und wieder unter Menschen. Hier vereinsamst du doch.“
„Das schaffe ich nicht“, flüsterte sie mit gesenktem Kopf.
„Du kannst mit wenigen Stunden anfangen. Ich wäre wirklich froh, wenn du mir etwas von der Büroarbeit abnimmst, nachdem ich nicht genug Personal habe.“ Er griff über den Tisch nach ihrer Hand, drückte sie und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken.
6
Da Sören Wiebold es noch immer nicht geschafft hatte, Olivia Gaubitz zu einem Besuch in der Bonbonmanufaktur zu überreden, versuchte er es diesmal mit einer anderen Taktik.
„Habt ihr nicht Lust, gemeinsam das Erlebniszentrum Naturgewalten Sylt zu besuchen? Wir haben schließlich eine Reihe Neubürger unter den Kollegen und sollten ihnen unsere Heimat näherbringen“, schlug er in einer Kaffeepause vor, wohl wissend, dass natürlich niemals alle daran teilnehmen konnten, da der Klinikbetrieb weitergehen musste.
„Das können wir nicht, irgendjemand muss schließlich arbeiten“, murrte Schwester Laura auch gleich.
Verstehend nickte Sören. „Ich weiß und ich glaube nicht, dass ich meinen Vater überreden kann, dass Krankenhaus für ein paar Stunden zu schließen. Deshalb habe ich überlegt, dass wir den Ausflug in drei Gruppen machen. Natürlich nur, wenn sich genug Interessierte finden.“
„Wie willst du die Teilnehmer einteilen?“, fragte Dr. Behrens, der Internist.
„Natürlich nach den Schichten. Ich wäre bereit, eine Gruppe zu begleiten, vielleicht würdest du mit einer Zweiten gehen?“
Dr. Behrens nickte. „Klar, mache ich gern, obwohl ich kein indigener Sylter bin.“ Er grinste breit über seinen Scherz.
Sören schaute sich suchend um, sein Blick blieb an Schwester Laura haften, doch die schüttelte nur stumm den Kopf. Deshalb suchte er weiter. Frau Schröder von der Anmeldung, eine ältere Dame, nickte ihm zu.
„Dann hätten wir schon drei Fremdenführer: Frau Schröder, Dr. Behrens und meine Wenigkeit. Wir müssen jetzt nur noch geeignete Termine finden, dann machen wir einen Aushang und alle, die daran teilnehmen möchten, tragen sich ein. Sicher gibt es im Erlebniszentrum Gruppenkarten, die günstiger als Einzelkarten sind.“
Frau Schröder, die am Empfang noch den meisten Freiraum hatte, suchte schon am übernächsten Tag passende Termine heraus und hängte eine Teilnehmerliste im Aufenthaltsraum auf.
Eine Stunde später entdeckte Dr. Thorben Wiebold den Aushang. „Das ist eine tolle Idee für den Zusammenhalt der Mitarbeiter, wer hatte die?“, fragte er. Er zückte gleich seinen Kugelschreiber und trug sich nach einem Blick in den Terminkalender in die Gruppe von Frau Schröder ein.
„Wieso? Bekommt derjenige eine Auszeichnung als Mitarbeiter des Monats?“, fragte Schwester Heike. Mit dieser Bemerkung hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.
„Vielleicht.“ Der Chefarzt wirkte nachdenklich.
Schwester Heike grinste breit. „Mitarbeiter des Monats, die Idee sollten wir in den Vorschlagskasten tun.“
„Alle werden mit einem großen Foto im Foyer hervorgehoben!“, spottete Dr. Behrens. „Es war Wiebold Junior“, verriet er anschließend.
Dr. Thorben Wiebold runzelte die Stirn. „Lieber kein großes Foto mit Urkunde im Foyer, eher ein kameradschaftliches Schulterklopfen.“
Die Umstehenden lachten und unterhielten sich dann weiter. Lächelnd verließ der Chef den Raum. Er mochte es, wenn seine Mitarbeiter sich gut verstanden und scherzten. Dabei halfen natürlich gemeinschaftliche Unternehmungen.
*
Zwei Wochen nach dem letzten Arztbesuch erschien Melanie Schauer mit ihrem Mann in der Klinik.
„Schön, dass Sie die Zeit gefunden haben, Ihre Frau zu begleiten“, begrüßte Dr. Gaubitz Malte Schauer. Er wirkte auf sie recht sympathisch. Schade, dass solche Schicksalsschläge viele Paare auseinandertrieben, statt ihren Zusammenhalt zu stärken.
„Meine Frau hat mich sehr gedrängt. Ich sehe den Grund nicht ein, bin aber ihretwegen mitgekommen. An mir kann es nicht liegen, sie ist doch schwanger geworden.“
„Wir wissen nicht, was die Fehlgeburt verursacht hat. Es kann schon sein, dass auch die männlichen Gene dabei eine Rolle spielen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass Sie Ihre Frau weiterhin unterstützen“, versuchte sie ihn zu ermuntern.
Mit Einwilligung von Frau Schauer ging sie im Beisein des Mannes die Ergebnisse der Untersuchungen durch. „Die gynäkologischen Untersuchungen waren wie erwartet in Ordnung und auch die Blutuntersuchungen haben nichts Neues ergeben. Allerdings ist der Schilddrüsenwert im Grenzbereich, wie ihre Frauenärztin bereits festgestellt hatte, da sollten wir noch einmal gründlich drauf schauen, selbst kleine Abweichungen können schon große Auswirkungen haben. Aber erst einmal möchte ich, dass Sie, Herr Schauer, sich gründlich untersuchen lassen. Schwester Heike bringt sie gleich zu unserem Urologen.“ Anschließend bat sie Frau Schauer, sich einen neuen Termin geben zu lassen.
Aber auch die Untersuchungen bei Malte Schauer waren unauffällig.
Dr. Petow, der Urologe, erklärte Malte Schauer: „Bei Ihnen finde ich keine Ursache für die Kinderlosigkeit. Manche Paare müssen sich leider damit abfinden. Selbst Hormonbehandlungen und künstliche Befruchtung helfen nicht jedem. Vielleicht entdeckt Dr. Gaubitz doch noch etwas. Bis dahin können Sie versuchen, andere Ziele für ihr Leben zu finden, möglicherweise klappt es zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Kinderwunsch.“
Malte nickte. „Ich weiß, ich hätte zwar gern ein Kind, aber ich kann mich auch damit abfinden, keins zu haben. Aber meine Frau klammert sich an den Wunsch. Sie ist völlig aufgelöst, weil es immer wieder nicht klappt. Ich bin nicht mehr in der Lage, sie zu trösten. Leider sind unsere Verwandten dabei nicht so hilfreich mit ihren Fragen, wann wir endlich ein Kind bekommen.“
„Bitten Sie Ihre Bekannten, das Kinderthema nicht mehr anzusprechen“ empfahl Dr. Petow. Bedauerlicherweise hatte er keine Zeit, sich länger mit Malte zu unterhalten, deshalb verwies er ihn an Frau Dr. Gaubitz. „Ich empfehle Ihnen eine Psychotherapie. So ein Schicksalsschlag muss verarbeitet werden, dabei kann ein Therapeut helfen, auch bei der Suche nach neuen Zielen im Leben.“
7
Inzwischen hatten sich dreiviertel der Belegschaft für die Ausflüge zu dem Erlebniszentrum Naturgewalten eingetragen. Selbst diejenigen, die von Sylt stammten und schon mit der Schule dagewesen waren, machten mit. Sören Wiebold stellte zu seinem Bedauern fest, dass sich Olivia bei Frau Schröder eingetragen hatte. Etwas tröstete ihn, dass sie nicht Dr. Behrens genommen hatte, sondern die Pförtnerin, denn manchmal hatte er den Verdacht, dass sie Dr. Behrens bevorzugte, was ihn wurmte. Er grübelte lange, ob es nun Eifersucht oder nur gekränkte Eitelkeit war, die ihn so empfinden ließ. Auch wenn er Olivia sehr sympathisch fand, war er doch nicht in sie verliebt. Oder vielleicht doch?
Da Sörens Freunde an seinem freien Tag arbeiten mussten, schnappte er sich sein Fahrrad und Bodo und machte einen langen Ausflug über die Insel. Der Hund durfte neben ihm herlaufen und als er sich ausgetobt hatte, fuhr er im Fahrradkorb mit. Sein Vater hatte einen seiner seltenen Schachabende, deshalb würde er keine Zeit für eine lange Gassirunde haben. Da war es gut, wenn Sören den Hund am Abend abgekämpft ablieferte, in der Hoffnung, dass Bodo anschließend friedlich schlief. Beim Überreichen des Cockerspaniels hatte Sören versprochen, seinen Vater bei der Betreuung und Erziehung des Tieres zu helfen, denn im ersten Augenblick hatte Thorben verlangt, das Tier zum Züchter zurückzubringen. Inzwischen liebte er seinen Bodo zum Glück und verwöhnte ihn reichlich.
Lange hatte Sören mit Bodo geübt, bis der Hund gemerkt hatte, dass er es im Fahrradkorb bequemer hatte. In der Braderuper Heide stellte er das Fahrrad ab und joggte ein Stück, immer darauf bedacht, dass Bodo mithalten konnte und nicht überanstrengt wurde.
„Schwimmen Sie auch noch? Das gehört doch beim Triathlon dazu“, rief ein Wanderer, der ihn eine Weile schon beobachtet hatte, fröhlich zu. Sören stoppte, lachte und erwiderte: „Das Schwimmen spare ich mir für später auf. Ich starte erst im nächsten Jahr beim Ironman auf Hawaii.“ Daraufhin brach der Mann in Gelächter aus und Sören lachte mit. Bodo sah verwundert von einem zum anderen und lief dann zu dem Fremden, um dessen nackte Füße abzulecken.
„Aus, Bodo, komm sofort her“, befahlt Sören streng und entschuldigte sich bei dem Wanderer.
„Kein Problem, ich habe selbst Hunde, die mich ständig ablecken. Vielleicht sollte ich mit ihnen auch für den Ironman trainieren.“
Noch immer lachend winkte Sören ihm zu und lief weiter. Am Strand ließ er sich nieder und schaute eine Weile den Wellen zu, während der Cockerspaniel, als hätte sich noch nicht genug bewegt, herumlief, überall schnupperte und sich schließlich ausgiebig auf einem toten Fisch, der am Strand lag, wälzte.
„Oh nein, jetzt musst du auch noch gebadet werden“, schimpfte Sören, der sich ärgerte, nicht genug aufgepasst zu haben. Erst einmal begnügte er sich damit, Stöckchen ins Wasser zu werfen und von Bodo apportieren zu lassen. Hoffentlich reichte es fürs Erste.
Zurück beim Fahrrad packte er Wasser, Apfel und das belegte Brötchen aus, für Bodo hatte er etwas Trockenfutter und einen faltbaren Wassernapf mitgenommen. Durstig stürzte sich der Hund auf das Wasser und schlapperte es schnell aus. Bei seinem Futter zögerte er lange, wahrscheinlich hoffte er, auch ein Brötchen zu bekommen. Mit treuen Augen schaute er Sören an. „Nix für dich, du Fresssack, du bleibst schön beim Hundefutter“, erklärte Sören und wies mit dem Finger auf das Futter. Er hatte sein Brötchen längst aufgegessen und verzehrte inzwischen den Apfel, als sich Bodo endlich bequemte, sein Futter zu fressen. Auf dem Rückweg hielt Sören noch bei einem Eisstand an und genehmigte sich eine Eiswaffel. Der Kioskbetreiber hatte ein Herz für Hunde und ein Wassernapf aufgestellt, an das sich Bodo hielt. Dabei hatte er die letzten Kilometer wieder im Korb gesessen und neugierig umhergeschaut.
Als beide dann am Abend müde nach Hause kamen, war Sören im Kopf wieder frei. Die Gedanken an die Patienten konnten bis zum nächsten Arbeitstag warten und auch das Ziehen im Bauch bei den Gedanken an Olivia hatte nachgelassen. Im Garten von seinem Vater füllte er schnell eine Plastikwanne mit Wasser und schrubbte Bodo. Der Hund war so müde, dass er nicht wie sonst üblich, darum kämpfte, aus der Wanne zu springen, sondern alles geduldig über sich ergehen ließ.
Das Hundetuch hing wie üblich im Schuppen an der Wand, sodass er Bodo anschließend abtrocknen konnte. Erst, als der Hund wirklich sauber war, traute sich Sören, ihn an seinen Vater zu übergeben, und klopfte an die Terrassentür. Schwanzwedelnd lief Bodo zum Herrchen, holte sich ein paar Streicheleinheiten ab, bevor er sich schnell in sein Körbchen verzog.
„Was hast du denn mit ihm angestellt, dass er so müde ist?“, fragte Thorben.
„Er ist ordentlich gelaufen und nachdem er sich auf einem stinkenden Fisch geaalt hatte, habe ich ihn noch ins Wasser gescheucht.“
„Der Arme“, sagte der Schachpartner seines Vaters im Hintergrund.
„Den Armen hätte ich nicht riechend im Fahrradkorb mitgenommen, dann hätte er laufen müssen. Und Vater hätte ihn sicher nicht ins Haus gelassen.“ Er wünschte den beiden noch viel Spaß bei ihrer Partie und verschwand in seiner Wohnung. Nach dem Duschen setzte er sich mit einem Buch auf den Balkon. Obwohl er alleine unterwegs gewesen war, hatte er den schönen Tag genossen.
8
Wieder einmal war Malte vor den nörgelnden Melanie in die Natur geflohen. Er holte tief Luft. Sehr tief. In Sportkleidung und Joggingschuhe lief er durch die Braderuper Heide. Als sich sein Handy meldete, versuchte er es zu ignorieren. Nein, nicht jetzt!, sagte er sich. Dieser Moment gehörte ihm. Nur ihm. Sicher war es Melanie, die herumquengeln würde, weil er noch nicht zurück war, dabei würden sie doch erst in einer Stunde zu Abend essen. Aber der Anrufer gab nicht auf. Immer wieder klingelte das Gerät. Schließlich zog er es entnervt aus der Tasche. Die Nummer auf dem Display war ihm unbekannt, daher nahm er das Gespräch an. Noch immer etwas kurzatmig meldete er sich mit: „Hallo?“
„Moin, spreche ich mit Malte Schauer?“
Und als er es bejahte, sprach die Anruferin weiter: „Ich bin Franziska Tanner, erinnerst du dich noch an mich?“
Er runzelte die Stirn.
“Franziska?”
“Ja, Franziska?”
“Die Franziska?”
Irgendwie war er etwas schwer von Begriff und schaltete nicht gleich.
Aber es war auch schon so verdammt lange her…
Die Erinnerung meldete sich mit einer gehörigen Verzögerung.
Einen Augenblick überlegte Malte, dann fragte er verblüfft: „Die Franziska aus der Schule?“ Die Schulzeit war schon so lange her und Franziska war irgendwann von der Insel weggezogen.
Und dann hatte er sie aus den Augen verloren.
Sie sagte:
„Ja, genau, auch wenn es ewig her ist, würde ich dich gern wiedersehen und in alten Erinnerungen schwelgen.“
„Bist du nicht gleich nach der Schule ins Ausland gegangen? Nach Spanien? Mallorca!“ Malte hatte Mühe, im Gedächtnis Erinnerungsfetzen hervorzukramen. Während der Schulzeit war er mit Franziska eine Weile gegangen, wie sie damals sagten. Aber nach dem Schulabschluss hatten sie sich aus den Augen verloren. Bei Klassentreffen hatte ihre beste Freundin erzählt, dass sie ins Ausland gezogen war.
„Nee, nicht gleich. Erst einmal habe ich im Hotel Nordsee in Kampen eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht. Erst danach bin ich nach Madeira gegangen. Inzwischen habe ich schon in verschiedenen Ländern gearbeitet, zum Schluss auf einem Kreuzfahrtschiff. Aber jetzt zieht es mich wieder in die Heimat. Deswegen rufe ich an. Kannst du mir bei der Wohnungssuche helfen? Bisher habe ich nichts gefunden.“
„Das wird schwierig, viele, die hier arbeiten, pendeln jeden Tag vom Festland herüber, weil es auf der Insel so teuer ist. Die meisten Häuser und Wohnung werden an Touristen vermietet. Das bringt mehr Geld.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Hat deine Freundin nicht besser Beziehungen?“
„Ich weiß, dass es schwierig ist. Bei Wiebke ist leider die Mutter schwer krank, deshalb kann sie mich nicht unterstützen. Vielleicht kannst du im Bekanntenkreis herumfragen? Das würde mir sehr helfen.“
„Na ja, das kann ich versuchen, aber ich verspreche nichts.“
„Oh, vielen Dank. Ich melde mich wieder. Ich muss einchecken, mein Flieger hebt gleich ab. Tschüs.“
Immer noch erstaunt schaute Malte sein Handy an. Dann steckte er es kopfschüttelnd ein. Mit Franziska hätte er nie im Leben gerechnet. Das war seine erste Freundin gewesen und hatte nicht lange gedauert, sie waren beide noch zu jung gewesen. Außerdem waren ihre Interessen zu unterschiedlich. Er interessierte sich für Fahrzeuge und bastelte an Motorrollern und später Autos herum, sie begeisterte sich für fremde Länder. Englisch und Französisch waren ihre Lieblingsfächer, in denen sie auch immer Einsen hatte, während er froh war, wenn er eine Vier bekam. Er grinste bei der Erinnerung daran. Dafür war er in Physik und Mathematik gut und hatte in beiden Fächern eine gute Zwei, auch Chemie und Biologie lagen ihm. Er half ihr in Mathematik, sie ihm in Englisch. Französisch hatte er gar nicht erst gewählt, sondern Dänisch, was ihm besser lag, da daheim Friesisch gesprochen wurde.
Als sie dann in den Sommerferien nach Frankreich fuhr und er zum Campen mit Freunden nach Rømø, wurden die Unterschiede deutlicher. Kurz vor Weihnachten verplapperte sich ihre beste Freundin und er erfuhr auf diese Weise, dass sie einen Freund in Frankreich hatte, sofort trennte er sich von ihr. Unter ihrer Treulosigkeit hatte noch lange gelitten.
Mit diesen Gedanken erreichte er seine Wohnung. Gut gelaunt schloss er die Tür auf.
„Hast du einen Piratenschatz gefunden?“, fragte Melanie, weil er so strahlte.
„Nein, nur einen überraschenden Anruf. Ich erzähle dir gleich davon, erst einmal muss ich duschen.“
Beim Abendessen, Kabeljau mit Kartoffeln und Dillsauce, berichtete er von dem Telefonat mit Franziska.
„Kennst du jemanden, der eine freie Wohnung hat?“, fragte er zum Schluss. Beim Blick in ihr Gesicht musste er ein Seufzen unterdrücken. Welche Laus war ihr denn schon wieder über die Leber gelaufen?
„Nein, kenne ich nicht“, sagte sie kurz angebunden. „Diese Franziska, das war doch deine Freundin in der Schulzeit.“ Natürlich kannte sie Franziska, obwohl sie zwei Klassen tiefer gegangen war. Franziska war die Schulschönheit gewesen. Endlos lange Beine, lange blonde Haare, strahlend blaue Augen und dazu noch eine super Schülerin. Alle Jungen waren hinter ihr her gewesen. Dass Malte das Rennen gemacht hatte, war kein Wunder, denn er war sportlich, der Fußballstar seines Vereins, sah mit seinem dunklen Lockenkopf und den braunen Augen gut aus, dazu bastelte er mit den Freunden an den Rollern herum. Er war das männliche Gegenstück zu ihr, während Melanie nur ein unscheinbares Mauerblümchen gewesen war.
„Klar, ich habe gar nicht mehr an sie gedacht. Mir ist fast das Handy aus der Hand gefallen, als sie sich meldete und als ich nicht sofort schaltete, wer sie ist, meinte sie noch ob ich mich noch an sie erinnere. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass sie hier länger bleibt, die zieht doch immer in der Welt herum.“
„Vielleicht hat sie hier eine Stelle in einem der großen Hotels angenommen“, vermutete Melanie.
„Wahrscheinlich, aber kann ihr Hotel ihr nicht viel besser eine Wohnung besorgen?“
Da er spürte, dass sie Franziska nicht wohlwollend gegenüberstand, meinte er: „Bei Franziska und mir lagen schon damals Welten dazwischen, ich war nur stolz, dass sie mich genommen hatte. Peer und Jakob hat sie abgewiesen, dabei haben wir überhaupt nicht zueinander gepasst. Sie hat die Nase gerümpft, als ich zelten gefahren bin. Bei ihr musste es mindestens Frankreich sein. Dort hat sie sich auch gleich einen neuen Freund angelacht.“ Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung daran, dann grinste seine Frau an. „Mit dir kann man wenigstens Pferde stehlen, du schimpfst nicht, wenn wir in Schweden zwei Wochen zelten, obwohl es junge Hunde regnet, und sich alles klamm anfühlt. Und notfalls wechselst du selbst einen Autoreifen, statt den Minirock hochzuziehen und Autofahrer anzuhalten.“
Jetzt lachte sie und er umarmte sie. „Dabei hättest du auch Köchin im Sternerestaurant werden können. Dein Essen ist phantastisch.“
*
Obwohl Melanie und Malte einen guten Tag hatten, an dem sie sich verstanden und abends sogar Essen gingen, nagte der Zweifel an Melanie. In der Schule war die Freundschaft zwischen Malte und Franziska damals beobachtet und besprochen worden. Viele Mädchen waren auf Franziska neidisch gewesen und so fragte sie sich, ob die alte Liebe jetzt wieder aufflammte.
Zwei Tage später traf sich ihr Mann mit Franziska und besprach mit ihr die Möglichkeiten einer Wohnungssuche. Obwohl Malte sie gefragt hatte, war sie nicht mitgegangen. Beide Schauers hatten im Bekanntenkreis ergebnislos herumgefragt. Deshalb hatte Malte eine Liste mit Maklern und Wohnungsgenossenschaften zusammengestellt, die er seiner Schulfreundin geben wollte. Mit jeder Viertelstunde, die er weg war, wuchs Melanies Misstrauen. Und als er dann am späten Abend zurückkam und erzählte, dass sie noch auf ein Bier in einer Bar zusammengesessen und über ehemalige Klassenkameraden gesprochen hatten, hörte sie schon gar nicht mehr richtig zu.
„Warum kommt sie ausgerechnet jetzt nach Sylt zurück?“, fragte sie, ihre Stimme klang giftig.
Leider war Malte dadurch nicht gewarnt, sondern antwortete unbedarft: „Sie meinte, sie komme in ein Alter, wo man sich Kinder anschaffen sollte und die sollten hier auf Sylt aufwachsen, wo Kinder noch unbeschwert spielen können und ihre Eltern und Verwandte in der Nähe sind und sie bei der Kinderbetreuung helfen können.“
„Und warum hat sie dann ausgerechnet dich nach einer Wohnung gefragt?“ Schon wieder machte sie ihr Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht, sodass Malte nur mühsam ein Seufzen unterdrücken konnte.
„Keine Ahnung, vielleicht dachte sie, dass ich von meinen Kunden eher so etwas höre“, vermutete er. Natürlich beruhigte das Melanie nicht.
„Will sie denn weiterarbeiten, wenn sie Kinder hat?“, fragte Melanie spitz.
„Weiß ich nicht, danach habe ich nicht gefragt. Noch hat sie ja keine Kinder.“
„Ist sie verheiratet?“, bohrte Melanie nach.
„Das weiß ich ebenfalls nicht.“ Er grübelte. „Einen Ring hat sie nicht getragen. Keine Ahnung.“
Überrascht zuckte er zusammen, als sie auf einmal explodierte: „Sie will dich zurückhaben. Mit ihr kannst du Kinder haben und glücklich sein. Sie ist ja auch so gebildet und lustig, während ich nur die Dumme bin, die nicht von dieser verschlafenen Insel weggekommen ist.“
„Aber Melanie, das habe ich nie gesagt und auch nie gedacht. Ich bin doch auch immer nur auf der Insel gewesen und ich liebe dich.“
„Du weichst mir ständig aus, wahrscheinlich hast du schon längst eine Geliebte, aber jetzt ist es nicht nur eine Geliebte, sondern die Frau deiner Träume, die du heiraten wirst, sobald sie ein Kind hat und wir geschieden sind.“
Im ersten Augenblick war Malte wie erstarrt, doch dann schrie er ebenfalls. „Mit dir ist es im Moment nicht mehr zum Aushalten. Ständig machst du mir Vorwürfe, weinst nur noch, schaffst den Haushalt nicht mehr, sodass ich, wenn ich müde aus der Werkstatt nach Hause komme, auch noch aufräumen, putzen und Wäsche waschen muss. Ich halte deine Anschuldigungen nicht mehr aus. Bisher bin ich dann immer joggen gegangen, auch wenn du es mir nicht glaubst, aber so geht es nicht weiter. Die Ärzte haben uns schon seit längerem eine Paartherapie empfohlen, aber das willst du doch auch nicht. Nein, ich bleibe nicht hier.“ Wütend stampfte er aus dem Zimmer, riss einen Koffer vom Kleiderschrank und warf wahllos seine Sachen hinein. Noch ehe Melanie sich von dem Schock erholt hatte, verließ er die Wohnung.
9
Erst saß Melanie wie erstarrt da, dann erfasste sie ein Weinkrampf, erst nach ein paar Stunden kam sie wieder zu sich. Sie sah das Brotmesser auf dem Tisch liegen und griff es, wie in Trance setzte sie es an ihre Pulsader am Handgelenk, doch dann kam sie zur Besinnung. In einem, was Malte gesagt hatte, hatte er recht. Sie brauchte dringend Hilfe. Also setzte sie sich so, wie sie war, mit Pantoffeln und ohne eine Jacke überzuziehen, auf ihr Fahrrad und fuhr bei strömenden Regen zu der Harm-Breding-Klinik nach Westerland.
Klitschnass kam sie dort an, lehnte ihr Fahrrad an einen Laternenmast und lief ins Gebäude. Der Empfang war nicht mehr besetzt. Tränenüberströmt stürzte sie die Treppe zur Ambulanz hoch. Natürlich war sie so panisch, dass sie sich verlief und durch die Krankenhausgänge irrte, bis eine Krankenschwester sie ansprach.
„Was suchen Sie? Hier dürfen Sie gar nicht hinein“, hielt die junge Frau sie auf. Und als sie nicht antwortete, fragte sie: „Ist etwas passiert? Sind Sie verletzt? Haben Sie einen Unfall erlebt?“
Doch Melanie war nicht in der Lage zu antworten. Die Schwester nahm sie am Arm und führte sie ruhig auf sie einsprechend zur Notaufnahme.
„Die Dame lief in der Intensivstation herum, sie ist leider so verwirrt, dass sie mir keine Auskunft geben konnte, wen oder was sie sucht“, mit diesen Worten übergab sie Melanie an die Schwester in der Notaufnahme.
„Hallo, ich bin Schwester Laura. Können Sie mir Ihren Namen sage?“ Noch immer wurde Melanie von einem Weinkrampf geschüttelt. „Sind sie verletzt?“ Wieder antwortete Melanie nicht. „Ist ein Angehöriger verletzt?“ Inzwischen holte Laura Handtücher aus einem Schrank und reichte sie Melanie. „Gab es einen Autounfall?“ Doch Melanie reagierte nicht, sie war wie erstarrt. Also fing Laura an, sie mit einem Handtuch abzutrocknen, das Gesicht, die Arme und Hände, die Haare. Am liebsten hätte sie sie unter die Dusche gestellt, aber erst einmal sollte der Chef sich die Patientin ansehen. „Wurden sie überfallen?“ Beim besten Willen konnte Schwester Laura nichts von der Frau erfahren. Erleichtert atmete sie auf, als Dr. Thorben Wiebold seinen Patienten behandelt hatte, den ihre Kollegin inzwischen im Krankenbett auf die Station schob.
„Die Dame war wohl auf der Suche nach der Notaufnahme. Schwester Marina hat sie in der Intensivstation aufgegriffen und zu uns gebracht.“
„Bringen Sie eine Decke“, wies Dr. Wiebold sie an. Er selbst führte Melanie Schauer zu einem Stuhl, prüfte ihren Puls und ihren Blutdruck, dann zog er eine Spritze auf und gab sie ihr. Während Laura mit einer Decke zurückkam und Melanie einhüllte.
„Sie sind leicht unterkühlt. Sie sollten gleich warm duschen, aber erst einmal erzählen Sie mir, was Sie so aufgeregt hat.“ Er nahm ihre eiskalte Hand und hielt sie in seiner warmen. Geduldig wartete er, bis das Beruhigungsmittel half.
„Wer sind Sie?“
„Melanie Schauer, ich wollte zu Frau Dr. Gaubitz.“
„Die hat leider heute Nacht keinen Dienst. Wie kann ich ihnen helfen?“ Dr. Wiebold strahlte wieder einmal seine ruhige Autorität aus. Häufig konnte er aufgeregte Patienten mit seiner Gelassenheit beruhigen.
Anscheinend wusste die Frau nicht, was er für sie tun konnte.
„Können Sie mir sagen, weswegen Sie bei Dr. Gaubitz in Behandlung sind?“
„Meine Frauenärztin hat mich überwiesen. Ich hatte sieben Fehlgeburten und will doch unbedingt Kinder haben.“
„Und meine Kollegin hat Sie bereits untersucht?“
Melanie nickte. „Aber Sie hat nichts gefunden.“
„Warum wollen Sie jetzt mitten in der Nacht mit ihr sprechen?“ Die Frau schien unter Schock zu stehen.
Diesmal hatte er Erfolg, als hätte er eine Schleuse geöffnet, sprudelte Melanie mit den Ereignissen der letzten Zeit heraus. Mit den Streitereien mit ihrem Ehemann, mit ihrer Verzweiflung, seinem ständigen Verschwinden. „Er sagt, er joggt, aber das sind alles Lügen, er hat eine andere Frau“, schrie sie plötzlich.
Geduldig hörte Dr. Wiebold ihr zu. „Heute hatte er Kontakt zu seiner Jugendliebe, sie war lange im Ausland und kommt jetzt auf Sylt zurück, weil sie Kinder möchte, die hier aufwachsen sollen. Die will ihn doch zurückhaben.“
„Hat Ihr Mann Ihnen davon berichtet?“
„Ja, vorgestern kam er gut gelaunt von seiner angeblichen Joggingrunde zurück und erzählt, dass sie ihn angerufen hat und um Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung gebeten hat, weil sie zurückziehen wollte. Heute haben sich die beiden in einer Bar getroffen.“
„Vielleicht hat sie einen Ehemann oder Partner?“, schlug er ihr vor.
Mit beiden Händen fuhr sie sich über das Gesicht, dann streifte sie ihre nassen Haare zurück, „Ich weiß es nicht, aber warum ruft sie Malte an? Sie haben doch angeblich seit der Schulzeit keinen Kontakt mehr miteinander.“
„Ihrem Mann gehört die Autowerkstatt, oder?“ Und als sie nickte, fuhr er fort. „Vielleicht hat sie sämtlichen Kontakt zu ihren alten Bekannten verloren und hat die Telefonnummer Ihres Mannes einfach im Internet gefunden.“
Mit großen Augen schaute sie ihn an, schwieg aber. Wahrscheinlich musste sie das erst einmal verdauen.
„Bevor Sie weiter grübeln, sollten Sie sich mit Ihrem Mann aussprechen. Sicher ist das hilfreich, wenn ein Mediator Ihnen dabei hilft, damit Sie sich nicht wieder in gegenseitigen Anschuldigungen verirren.“ Nach ein paar weiteren beruhigenden Worten winkte er Schwester Laura, sich um sie zu kümmern.
Das Beruhigungsmittel half inzwischen, die Patienten hatte sich beruhigt und ließ sich von Schwester Laura in ein Patientenzimmer führen, wo sie warm duschte, einen heißen Tee erhielt und sich schlafen legte. Laura fragte sie nach Ihrer Telefonnummer, damit sie Ihren Mann benachrichtigen konnten und er sich keine Sorgen machen musste. Kurz zögerte Melanie, doch dann gab sie der Schwester die Nummer.
Nachdenklich schaute Dr. Thorben Wiebold der Patientin hinterher. Mindestens dieser Zusammenbruch war eindeutig psychisch verursacht. Ob die Fehlgeburten auch in der Psyche begründet waren? Oder passten die beiden Ehepartner genetisch nicht zusammen? So etwas kam vor, wie auch das Gegenteil, dass ein Partner, dem Unfruchtbarkeit diagnostiziert worden war, doch noch Kinder bekam. Wissenschaftler vermuteten, dass ein besonders fruchtbarer Partner das Defizit ausgleichen konnte. Er nahm sich vor, am nächsten Tag gleich mit ihrem Mann zu sprechen. Wer weiß, wie die zweite Seite aussah. Sicher belastete diese Situation beide Partner, auch der Mann litt, wenn sich sein Kinderwunsch zerschlug. Bestimmt hätte er nicht so frei von seiner Jugendfreundin erzählt, wenn er mit ihr eine Beziehung hätte oder sie sogar bald heiraten wollte.
*
Malte war vor Wut erst zur Werkstatt gefahren, hatte dort den Koffer in sein Büro gebracht. Allerdings war er noch viel zu aufgeregt, um zur Ruhe zu kommen, deshalb fuhr er weiter nach Kampen, dort lief er über das rote Kliff und irrte lange Zeit herum. Irgendwann fand er sich in der Kneipe wieder, in der er sich früher mit seinen Freunden getroffen hatte.
Der Wirt Fiete kannte ihn noch immer sehr gut. „Na, du bist ja völlig durchnässt, da brauchst du wohl einen Grog!“
Erst jetzt merkte Malte, wie durchnässt er war. Er war so mit seinen Problemen beschäftigt gewesen, dass er nicht einmal gemerkt hatte, wie stark es regnete. Trotzdem setzte er sich an die Bar und nickte Fiete zu. „Ein Grog kann nicht schaden, obwohl noch gar nicht die richtige Jahreszeit ist.“
„Passend ist sie bei Regen immer“, gab der Wirt trocken zurück, bevor er in die kleine Küche verschwand, um das Getränk zuzubereiten. „Oder willst du den Rum pur?“, rief er aus dem Hintergrund.
„Nee, dann wärmt er nicht so“, gab Malte zurück und lachte. Erstaunlich, dass er nach dem Theater, das Melanie ihm in den letzten Monaten, nein, eigentlich schon Jahren, aufführte, noch lachen konnte. Die ganze Zeit während er durch die Gegend irrte, hatte er hin und her überlegt, was die beste Lösung wäre. Sollte er sich wirklich trennen, so wie Melanie ihn verdächtigte? Natürlich würde er nicht mit Franziska zusammenziehen. Die lebte doch in einer ganz anderen Welt, sie reizte ihn nicht mehr, selbst wenn sie noch immer so schön wie früher war. Nein, er liebte Melanie, auch wenn es ihm manchmal schwerfiel, das zu erkennen. Natürlich konnte er ihre Verzweiflung begreifen, aber es half doch nichts, ständig in der Wunder herumzuwühlen, dann könnte sie doch nie verheilen. Melanie sollte unbedingt eine Therapie machen, aber das wollte sie nicht. Die Ärzte hatte es ihr schon mehrmals vorgeschlagen und auch er hatte es ihr einmal nahegelegt. Da war sie wie eine Rakete in die Luft gegangen. „Du hältst mich wohl für verrückt!“, hatte sie ihn angeschrien. Seitdem hatte er das Thema nie wieder erwähnt. Vielleicht würde sie ja mitmachen, wenn er hinginge. Das musste er ihr unbedingt vorschlagen, denn so, wie es jetzt war, ging es nicht weiter. Er war am Ende seiner Kräfte. Selbst wenn die neue Ärztin etwas fand, was sich behandeln ließe, wie würde es dem Kind dann gehen, wenn Melanie noch immer an Depressionen litt? Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die so einfach mit der Geburt eines Wunschkindes verschwanden.
„Na, gibt es daheim Probleme?“, fragte Fiete leise.
Erstaunt schaute Malte ihn an.