Strandliebe und eine Unbekannte: Vier Liebesromane - Conny Walden - E-Book

Strandliebe und eine Unbekannte: Vier Liebesromane E-Book

Conny Walden

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (449) Ein Goldfisch in der Nordsee (Conny Walden/Anna Martach) Die unbekannte Schöne (A.F.Morland) So nicht, mein Freund (A.F.Morland) Deine Nähe macht mich rasend! (A.F.Morland) Kummer, Sorgen und Enttäuschungen scheinen bei Antje Büchner nicht enden zu wollen. Der Vater ihres noch ungeborenen Kindes hat sich von ihr getrennt und will sie niemals wiedersehen. Dann erfährt die junge Frau auch noch, dass ihr Baby nicht gesund auf die Welt kommen wird... Ergreifende Romane!

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A. F. Morland, Anna Martach, Conny Walden

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Inhaltsverzeichnis

Strandliebe und eine Unbekannte: Vier Liebesromane

Copyright

​Ein Goldfisch in der Nordsee

Die unbekannte Schöne

So nicht, mein Freund

Deine Nähe macht mich rasend!

Strandliebe und eine Unbekannte: Vier Liebesromane

A.F.Morland, Conny Walden, Anna Martach

Dieser Band enthält folgende Romane:

Ein Goldfisch in der Nordsee (Conny Walden/Anna Martach)

Die unbekannte Schöne (A.F.Morland)

So nicht, mein Freund (A.F.Morland)

Deine Nähe macht mich rasend! (A.F.Morland)

Kummer, Sorgen und Enttäuschungen scheinen bei Antje Büchner nicht enden zu wollen. Der Vater ihres noch ungeborenen Kindes hat sich von ihr getrennt und will sie niemals wiedersehen. Dann erfährt die junge Frau auch noch, dass ihr Baby nicht gesund auf die Welt kommen wird...

Ergreifende Romane!

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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​Ein Goldfisch in der Nordsee

von Anna Martach & Conny Walden

Die Inselärzte auf Sylt

Der Umfang dieses Buchs entspricht 86 Taschenbuchseiten.
Ein Wettrennen beim Kitesurfen; Dr. Sören Wiebold ist fasziniert von seiner Gegnerin, doch als sie auf dem Brett einen Zusammenbruch erleidet, gelingt es ihm, sie in letzter Sekunde zu retten. Im Krankenhaus entwickelt sich zwischen den beiden eine Romanze. Doch weshalb vermeidet Jule jedes persönliche Gespräch? Und warum versucht ein fremder Mann sie zu finden?
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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Cover: Mara Laue, 2021
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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1
„Du darfst morgen nach Hause, Nadja“, sagte Dr. Sören Wiebold zu dem kaum fünfjährigen Mädchen, und die Kleine strahlte heller als draußen der Sonnenschein. Die Mutter des Mädchens saß neben dem Bett und lächelte den Arzt glücklich an, der neben der Allergologie auch als Internist tätig war. Ein guter Arzt, dachte sie. So zugewandt wünschte man sich einen Mediziner.
„Vielen Dank, Herr Doktor, ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten“, seufzte sie. Ihr Blick drückte aus, dass sie zu jeder, wirklich jeder Danksagung bereit war und sich auch mehr als einen warmen Händedruck vorstellen konnte.
Sie lächelte kurz.
Vielleicht auch etwas verlegen.
Und dabei hoffte sie, dass ihr Kopf dabei nicht so rot wie eine Tomate wurde.
Und wenn schon!, dachte sie. Dann kann ich es auch nicht ändern.
Emily Wicker war alleinerziehend, die Herzschwäche ihrer Tochter, einhergehend mit einer schweren Allergie gegen zahlreiche alltägliche Dinge, Medikamente und Nahrungsmittel, hatte auch andere Organe angegriffen, und die Erkrankung hatte sie sehr schwer belastet. Der kompetente und dazu verflixt gut aussehende Arzt hatte das Herz der jungen Frau vom ersten Moment an schneller schlagen lassen.
Ja, da konnte sie sich durchaus mehr vorstellen.
Sehr viel mehr.
Aber bis jetzt war die Sache zwischen ihnen nicht wirklich in Gang gekommen.
Leider.
Sie hatte bereits mehrfach angedeutet, dass sie ihn gerne zum Essen einladen würde, weil sie ihm so dankbar für die Gesundung ihres Kindes war. Dr. Wiebold hatte stets abgewunken mit der Begründung, dass das ja sein Job sei, Menschen gesund zu machen.
Aber Emily gab nicht so schnell auf…
Sie konnte sehr hartnäckig sein.
Ihre Tochter Nadja Wicker war hier in der Harm-Breding-Klinik erstklassig betreut worden, und nun ging es ihr fast schlagartig besser. Das entsprach ganz und gar den Richtlinien des Klinikgründers Harm Breding, der die Gesundung der Patienten an die erste Stelle gesetzt hatte.
Emily stand auf und machte Anstalten, den Arzt zu umarmen, doch er wich geschickt einen Schritt zurück, drehte sich zu Schwester Laura um und gab noch einige Anweisungen. Lächelnd winkte er dem Mädchen noch einmal zu und verließ dann fast fluchtartig das Krankenzimmer. Schwester Laura folgte ihm Sekunden später.
Draußen auf dem Flur stand Lernschwester Nicole und sortierte die Patientenakten in den fahrbaren Aktenwagen. Von hier aus wurden die Anweisungen zur Behandlung und Medikation übertragen in den täglichen Arbeitsplan. Nicole schmunzelte in sich hinein, hatte sie doch durch die offene Tür gerade den sinnlosen Versuch der Mutter bemerkt, sich auf eine sehr persönliche Art beim Arzt zu bedanken.
Dr. Dr. Sören Wiebold seufzte und warf Nicole einen gespielt drohenden Blick zu. „Wehe, Sie sagen ein Wort darüber. Sie haben nichts gesehen.“
Sie machte große Augen, in denen es vor Vergnügen funkelte. „Was soll ich nicht gesehen haben, Herr Doktor?“, fragte sie mit vorgeblicher Unschuldsmiene. Alle drei lachten daraufhin kurz auf.
So laut, dass man es bis zum Flur hörte.
Es war nicht die erste Angehörige oder Patientin, die ihm schöne Augen machte.
Sowas kam öfter vor.
Einem Mann, dessen heilende Hände manchmal Wunder vollbringen konnten und der so verständnisvoll und einfühlsam, flogen die Herzen sicherlich nur so zu.
Darüber brauchte sich letztlich niemand zu wundern.
Er wusste damit umzugehen und das Ganze erst gar nicht an sich heranzulassen.
Denn das war grundsätzlich einfach besser so.
Alles andere zog nur Verwicklungen und Probleme nach sich.
Und denen wusste er anscheinend geschickt auszuweichen, selbst wenn sie hübsch waren.
Noch vier Patienten, dann hatte er seinen täglichen Durchlauf wieder hinter sich gebracht. Zum größten Teil handelte es sich um sogenannte Routineaufgaben, die natürlich auch erledigt werden mussten. Nach einer guten Stunde war er auch damit fertig. Nun durfte natürlich kein Notfall mehr reinkommen, bis zu seinem Dienstschluss.
„Haben Sie es mal wieder geschafft, Dr. Sören?“
Er wandte sich nach der älteren Frau im Schwesternzimmer um und lächelte sie an. „Die Visite ist beendet, die kleine Nadja ist eine schon fast entlassene Patientin, und nun brauche ich dringend …“
„Eine Auszeit auf dem Board mit dem Lenkdrachen als Zugpferd“, ergänzte Schwester Roswitha, die gute Seele der Klinik.
„Danke”, sagte der Arzt.
„Das war es doch, was Sie sagen wollten, oder nicht?” Schwester Roswitha war etwas verlegen.
„Ja, das war es.”
„Tut mir Leid, ich kann manchmal einfach nicht an mich halten.”
„Ich weiß”, sagte er.
Aber er schien ihr das nicht übel zu nehmen.
Genau genommen konnte man Schwester Roswitha ohnehin nur sehr schwer etwas übel nehmen.
Dafür sorgte schon ihre spontane, offene Art.
Das Hospital hatte sich von der Fachklinik für Allergiker zu einem allgemeinen Krankenhaus mit Schwerpunkt Allergologie entwickelt, besaß sechs Stationen für die unterschiedlichsten Arten von Erkrankungen und nahm auch Patienten von Belegärzten auf. Der Name war geblieben, er stammte von einem berühmten Allergologen, der mit bahnbrechenden Behandlungen vielen Menschen das Leben erleichtert hatte.
Schwester Roswitha arbeitete seit ungezählten Jahren hier, es gab kaum etwas, was dieser Frau entging, und so streng sie auch öfter wirken mochte, so herzensgut war sie im Grunde.
Und das wussten hier auch alle sehr zu schätzen.
Sie kannte Sören, seit er als Kind hier herumgetobt war und sie ihn unzählige Male ermahnt und ausgeschimpft hatte. Mindestens ebenso oft hatte sie in umarmt, getröstet oder ihm kleine Süßigkeiten aus ihrem privaten Vorrat zugesteckt. Sie wusste, wie es in ihm aussah, dass es ihn förmlich nervte, von den Frauen angehimmelt zu werden, es war ihm einfach lästig. Aber davon ließ er sich nach außen hin nichts anmerken.
„Das Wetter ist ein Geschenk, und ich bin froh, dass meine Schicht vorbei ist. Da kann ich losziehen und mir den Wind durch den Kopf blasen lassen“, erklärte er lächelnd. Kitesurfen war seine Leidenschaft, und in jeder freien Minute stand er auf dem Board und ließ sich vom Lenkdrachen mit dem Wind über das Meer ziehen.
Ein herrliches Gefühl war das!
Man brachte schon eine Menge Kraft, Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Routine, um wie Sören auch noch allein zu starten. Er liebte es, mit dem Wind um die Wette zu fahren, um die kunstvollen Sprünge auszudehnen und immer neue Figuren zu probieren. Hier auf Sylt gab es viele, vorwiegend jüngere Menschen, die dem Kitesurfen anhingen und oft spontan einen Wettbewerb austrugen. Schon oft hatte man Sören geraten, an Meisterschaften teilzunehmen, aber jedes Mal winkte er lächelnd ab.
Das war einfach nicht seine Sache.
„Um da mitzuhalten, müsste ich regelmäßig trainieren, und außerdem viel durch die Welt reisen.
Das alles verträgt sich nicht mit meiner Berufung als Arzt.“ Ja, er benutzte bewusst das Wort Berufung, und die stand bei ihm an erster Stelle. Er fühlte sich berufen, zu heilen. Und dieser Berufung hatte er letztlich sein Leben gewidmet - nicht irgendeinem sportlichen Wettkampf. Das war nur Zeitvertreib. Aber als ein Lebensinhalt, dem man sich wirklich mit Haut und Haaren und dem nötigen Ehrgeiz widmete, reichte ihm das nicht. Er wollte etwas wirklich Bedeutungsvolles tun. Und die Heilung kranker Menschen, die Linderung ihrer Leiden war seiner festen Überzeugung nach etwas wirklich Bedeutungsvolles.
„Passen Sie auf sich auf, Doktor, das Wetter kann schnell umschlagen“, riet Schwester Roswitha ihm gutmütig besorgt. Ihre mütterlichen Gefühle für Sören kamen immer mal wieder hervor. Sören mochte Roswitha und empfand ihre fürsorgliche Art nicht als aufdringlich. Er wusste, sie meinte es immer gut mit ihm.
Wirklich.
Der Arzt verließ die Klinik und lief in flottem Trab Richtung Südkap, wo es ideale Bedingungen gab und mittlerweile mehr als eine Kitesurfer-Schule für Nachwuchs in der fröhlichen-bunten Community sorgte.
Die Bedingungen waren ideal.
Traumhaft.
Schon von Weitem sah er die Surfer über die Wellen tanzen. Ja, es sah aus, als würden sie tanzen und einer geheimen Choreographie folgen.
Ein toller Anblick.
Er konnte sich gar nicht sattsehen.
All die bunten Segel der Surfer und Kitesurfer bildeten eine bunten Kulisse vor dem strahlend blauen Himmel, an dem sich nur ein paar Schönwetterwolken verirrt hatten. Der Wind blies beständig, und Sören Wiebold konnte es gar nicht abwarten, endlich auf dem Board zu stehen.
Der Inhaber einer der ältesten dieser Schulen, Jan Peters, war ein Freund von Sören, hier konnte der Arzt seine Ausrüstung deponieren und jederzeit darauf zugreifen. Das ersparte es ihm, jeweils alles von zuhause aus mitbringen zu müssen. Aus Spaß und als Freundschaftsdienst hatte Sören hier auch schon Unterricht gegeben. In letzter Zeit hatte er aber aufgrund der vielen Arbeit nicht die Möglichkeit, Unterricht zu geben.
Dr. Wiebold betrat gut gelaunt in das Geschäft, das zur Schule gehörte. „Jan, wir haben beste Bedingungen.“
„So?“
„Willst du mitkommen, oder musst du Unterricht geben?“
Jan Peters, blond, schlank, mit bemerkenswerten Muskeln und einen seltsam schiefen Mund, der ein besonderes Lächeln erzeugte, lachte seinen Freund an. „Habe leider keine Zeit, später vielleicht.“
Sören stürmte in die hinteren Räume, wo es Umkleidekabinen gab, und schlüpfte in einen Neoprenanzug, dann nahm er die leichten Schuhe mit, die ihm auf dem Board besseren Halt gaben, und suchte seine Ausrüstung.
„Sind ein paar hübsche Fische draußen“, meinte Jan und schnalzte mit der Zunge.
„Ich bin aber nicht zum Angeln hier, mein Freund. Ich treibe Sport.“
„Ja, ja, ich weiß, dabei könntest du an jedem Finger zehn haben, du musst nicht mal einen Köder auswerfen, und du müsstest sie höchstens unter medizinischen Gesichtspunkten unter die Lupe nehmen. Aber ich gebe nicht auf. Früher oder später wird dir schon das richtige Glück begegnen.“
„Ich habe kein Interesse daran, Jan, nicht, seit Judith …“ Er drehte sich abrupt um und ging hinaus.
Ja, die Sache mit Judith.
Das hing ihm nach.
„Diese verflixte Judith hat nicht nur dein Herz gebrochen, sie hat die Überreste auch noch versteinert oder eingefroren. Aber wir werden ihn schon wieder zurückholen in das Reich der Lebenslustigen.“ Jan schaute dem Freund gutmütig hinterher. Er kannte die Geschichte der unglücklichen Liebe. Judith war ein unglaubliche selbstsichere Frau, die in ihrem Beruf als Architektin aufging, so wie Sören als Arzt.
Auch eine Art Berufung.
Nur eben eine ganz andere.
Und das vertrug sich nunmal nicht.
Keiner der beiden konnte zurückstecken, weder im Beruf noch in der Liebe. So kam es von Zeit zu Zeit zu einer stürmischen Neuauflage der Beziehung, aber sobald sein Dienst rief oder ein lukrativer Auftrag irgendwo auf der Welt die Frau lockte, kam es unweigerlich zum Streit und zur Trennung. Irgendwie war die Liebe bislang immer stark genug gewesen, um den endgültigen Bruch zu verhindern. Doch beim letzten Mal war es anders gewesen, und nun schien es endgültig aus zu sein.
Es gab keinen Weg zurück mehr.
Endgültig, so schien es.
Sören hatte keinen Blick mehr für schöne Frauen.
Der allerdings machte sich jetzt bereit und ließ zwischendurch den Blick schweifen. Es waren mehrere Kitesurfer unterwegs. Die bunten Lenkdrachen tanzten in einer Höhe von rund dreißig Metern und leuchteten auffallend durch den nur wenig bewölkten Himmel, während auf dem unruhigen Wellengang der Nordsee zahlreiche Surfboards mit den Sportlern tanzten. Ein befreites Lachen löste sich aus der Kehle des jungen Mannes, während der Wind ihn schon bei den ersten Metern auf dem Board streichelte.
2
Schon fast eine Stunde hatte Sören Wiebold auf dem Wasser verbracht, als er in unmittelbarer Nähe einen weiteren Kite und darunter ein Board bemerkte. Auf dem Brett stand eine junge Frau mit einer tollen Figur, die ihren Lenkdrachen ausgezeichnet beherrschte. Sie sah ihn fast im gleichen Augenblick und schenkte ihm ein Lächeln, dann blitzten ihre Augen herausfordernd, was man selbst auf die Entfernung bemerken konnte. Die beiden Sportler befanden sich fast auf gleicher Höhe, die Frau nutzte jetzt aber einen winzigen Vorteil und zog davon. Sören ließ diese Herausforderung nicht unbeantwortet, er nahm sie an. Das war pure Lebensfreude, die beide Menschen in diesem Augenblick antrieb, das Gefühl vollkommener Freiheit, Teil von Wind und Wetter zu sein, eins zu sein mit der rauen Natur.
Es war die unbekannte Schöne, die knapp von Sören einen Landepunkt erreichte. Lachend schaute sie ihm entgegen, irgendwie provozierend und doch unglaublich fröhlich. Wiebold war rasch bei ihr und strahlte sie an.
„Das war großartig.”
„So?”
„Sie sind eine Meisterin auf dem Board.”
„Danke.”
„Wollen wir es noch einmal versuchen?”
„Nun…”
„Wer zuerst drüben am Landesteg am Südkap ist, bestellt für den anderen mit.”
„Okay.”
„Bei einem Drink könnten Sie mir erzählen, wo Sie so hervorragend surfen gelernt haben.”
„Abgemacht.”
„Ach, übrigens, ich bin Sören Wiebold.“ Er streckte die Hand aus, etwas zögernd schlug sie ein.
„Ich bin Jule – also gut, gehen wir etwas trinken, wer als letzter ankommt, zahlt.“
Schon hatte sie den Lenkdrachen in den Händen und steckte einen Stab in den Sand, drehte den Drachen in den Wind, legte das Board bereit.
Kaum zwei Minuten später befand sie sich wieder auf dem Wasser. Aber Sören nahm dieses Mal die Herausforderung ernster und ließ sich nicht so einfach von ihr abhängen. Das Südkap von Sylt ist ein beliebter Ort für Kitesurfer, so waren viele der leuchtend bunten Lenkdrachen am Himmel zu sehen, ohne dass die Sportler sich zu nahe kamen. Sören und Jule tanzten und flogen nur so über die Wellen, vollführten elegante und waghalsige Sprünge und spornten sich gegenseitig wortlos an. Doch er bemerkte plötzlich aus dem Augenwinkel, dass der Kite von Jule sich aus dem Wind drehte. Hatte sie einen Fehler gemacht? Das war nicht unmöglich, aber das konnte es nicht sein, wie Sören nun bemerkte. Sie schien sich an den Leinen eher festzuhalten statt sie zu kontrollieren, der schlanke Körper schwankte auf dem Brett, der Drachen drehte sich unkontrolliert in den Wind, begann zu taumeln und stürzte in einer steilen Kurve ins Wasser, wurde zum Spielball der Wellen. Jule konnte sich offenbar nicht mehr auf den Beinen halten, sie sank zusammen, schlug mit dem Kopf auf das Brett und fiel mitsamt den Lenkleinen an den Händen ins Wasser.
„Nein!“ Der Schrei von Sören gellte über das Wasser, aber seine Geschwindigkeit war so hoch, dass er schon längst ein gutes Stück entfernt war, bevor er gezielt reagieren konnte. Er wurde nicht nervös, auch wenn die Zeit drängte. Mit sicheren Griffen zerrte er den eigenen Drachen aus dem Wind, behielt aber genug Geschwindigkeit bei, um nach dem Richtungswechsel im Bogen zur Unglücksstelle zu fahren.
Schließlich entdeckte er Jules Board, ließ die eigenen Leinen los, riss den Helm vom Kopf und hechtete ins Wasser. Wo war Jule?
Nicht zu sehen, aber die Leinen des Kite waren im Wasser versunken, obwohl sie normalerweise obenauf schwammen. Ein guter Anhaltspunkt.
Sören holte die Luft, atmete aus und wieder ein, tauchte dann unter. Zu sehen war kaum etwas, die Nordsee präsentierte sich nicht als blaue Lagune, der man bis auf den Grund sehen konnte. Er tauchte wieder auf und griff nach der Hauptleine, hangelte sich daran nach unten. Tatsächlich bekam er nach einigen Sekunden einen Arm zu fassen. Die Leine hatte sich darum gewickelt. Mit beiden Händen fasste Sören zu und zerrte die leblose Gestalt aus der Tiefe. Er durchbrach die Wasseroberfläche, schnappte nach Luft, Wasser tretend hielt er Jules Kopf über Wasser, dann schaute er sich um. Zum Strand waren es mehr als hundert Meter, ziemlich weit, um eine leblose Gestalt schwimmend hinzubringen. Aber da dümpelte das Brett der jungen Frau.
Irgendwie gelang es Sören trotz des Wellengangs den schlanken Körper auf das Brett zu zerren. Er achtete darauf, dass der Kopf auf der Seite lag, dann überzeugte er sich davon, dass Jule noch atmete und ihr Herz schlug. Eine Beule bildete sich an ihrer Stirn, weitere Verletzungen konnte er nicht erkennen. Hier draußen konnte er als Arzt nicht viel tun.
Mit kräftigen Schwimmstößen bewegte er sich in Richtung Ufer, schob dabei das Board vor sich her. Die hundert Meter schienen kein Ende zu nehmen, es war kräftezehrend und frustrierend, sich mit der Last voranzuschieben, weil der Wellengang offenbar jeden kleinen Fortschritt zunichte machte. Aber mittlerweile hatte man am Ufer bemerkt, dass hier etwas nicht stimmte. Zwei Männer stürzten sich in das Wasser und kamen rasch auf Dr. Wiebold zu.
„Kommen Sie, wir übernehmen das“, sagte der eine und schaute Sören fragend an. „Schaffen Sie es noch allein bis ans Ufer?“
„Ja, danke.“ Das war eine Erleichterung, die Last loszulassen, die restliche Strecke schaffte er nun wieder schneller, war dennoch völlig ausgebrannt, als er endlich den Sand unter den Füßen hatte.
Die beiden Männer hatten das Board ans Ufer gezogen und hoben die junge Frau vorsichtig herunter. Sören atmete schwer, doch sein durchtrainierter Körper wurde mit der Anstrengung gut fertig.
„Ich bin Arzt“, sagte er rasch. „Dr. Wiebold von der Harm-Breding-Klinik. Hat jemand von Ihnen ein Handy und ruft bitte dort an, dass rasch ein Rettungswagen losgeschickt wird?“
Sofort nickte eine junge Frau und fingerte ein Smartphone aus der Strandtasche, ließ sich die Nummer geben und telefonierte. Aber da beugte sich Sören schon wieder über die Verunglückte, maß den Puls, lauschte auf dem Brustkorb nach Lungengeräuschen und prüfte dann die weiteren Vitalzeichen, so weit es ihm möglich war. Jule war nicht lange unter Wasser gewesen, es bestand also kaum die Gefahr, dass sie zu viel Wasser geschluckt hatte. Aber schon der Zusammenbruch auf dem Board warf viele Fragen auf.
Sören wünschte sich seine Notfalltasche herbei, aber das war natürlich sinnlos. Er legte Jule in eine stabile Seitenlage, öffnete den Mund und bat dann die beiden Helfer von eben, die mittlerweile zahlreichen Neugierigen wegzuschicken. Er spürte große Erleichterung, als sein Freund Jan mit einem Strandbuggy angefahren kam. Besorgnis spiegelte sich im Gesicht des blonden Hünen, dann wanderte sein Blick aufs Meer.
„Bist du in Ordnung?“, kam als erstes die ängstliche Frage.
„Ich schon, aber ich fürchte …“ Dr. Wiebold machte eine Handbewegung zum Wasser hin, „die beiden Ausrüstungen eher nicht.“
„Ich sorge dafür, dass die beiden Kites geborgen werden – falls das noch möglich ist.“
„Gib mir Bescheid, wie hoch die Schäden sind.“
Jan winkte ab. „Mir scheint, du hast hier etwas Wichtigeres zu tun, und bei einem Notfall springt sowieso die Versicherung ein.“
In diesem Augenblick regte sich Jule. Nach einem gequälten Stöhnen begann sie zu husten und spuckte Wasser. Sören lächelte erleichtert. Er hielt ihren Kopf und sprach leise auf sie ein.
„Bleiben Sie ruhig liegen, Jule. Ich bin Arzt und werde mich um Sie kümmern. Ein Krankenwagen ist bereits unterwegs. Sie sind vom Board ins Wasser gestürzt. Können Sie sich daran erinnern?“
Veilchenblaue Augen hatte sie, sie standen groß und fragend in dem ebenmäßigen Gesicht. Jule versuchte zu sprechen, begann aber wieder zu husten.
„Nicht reden, alles wird wieder gut“, versicherte er mit sanfter Stimme. In einiger Entfernung war die Sirene eines Rettungswagens zu hören, der gleich darauf vor dem Sandstrand stehenblieb. Zwei Sanitäter, Peer Schmitt und Ole Skamander, kamen mit einer zusammengeklappten Tragbare auf die Menschenansammlung zugelaufen, blieben dann verblüfft stehen.
„Hallo, Dr. Wiebold, sammeln Sie jetzt selbst neue Patienten wie Muscheln am Strand?“, fragte Ole Skamander ironisch. Sören wusste die etwas burschikose Art der beiden zu nehmen.
„Wenn ihr mir nicht genug Nachschub bringen könnt, muss ich eben selbst auf die Suche gehen“, erwiderte er im gleichen Tonfall.
Routiniert wurde die Patientin in den Rettungswagen gebracht. „Kommen Sie nicht mit, Sören – Herr Doktor?“, fragte Jule mit schwacher Stimme.
„Wir sehen uns später.“ Er strich ihr aufmunternd über das Haar und machte sich auf den Weg zur Surfschule seines Freundes, wo er duschen und sich umziehen konnte, bevor er ebenfalls in die Klinik lief.
3
„Ganz ruhig weiter atmen, Frau Brinkhorst. Ja, so ist es gut.“ Die ruhige sonore Stimme von Dr. Thorben Wiebold verfehlte auch in diesem Fall ihre Wirkung nicht.
Jule Brinkhorst atmete ruhig weiter, doch ihre Augen ruhten mit einem ängstlichen Blick auf den älteren Mann, der in seinem Leben schon unzählige Patienten behandelt hatte.
Direkt nach der Ankunft in der Klinik hatte man Jule in Empfang genommen und erste Routineuntersuchungen vorgenommen. Dann traf auch Sören Wiebold ein, er berichtete dem Internisten Dr. Arthur Jablonski, was geschehen war. Die beiden Männer schätzten sich, und so hatte der Internist keine Hemmungen, den anderen zu bremsen.
„Sören, du siehst aus, als wenn du ein persönliches Interesse an der Patientin hättest. Das ist nicht gut. Du solltest Diagnose und Behandlung einem von uns überlassen.“
Sören Wiebold stutzte und runzelte die Stirn. „Wie kommst du auf ein persönliches Interesse? Du lieber Himmel, ich habe die Frau vor gut einer Stunde zum ersten Mal gesehen. Wir sind spontan um die Wette gefahren, das war alles.“
Jablonski sagte kein Wort, er hoffte darauf, dass Wiebold die Bedeutung der Worte und seine eigene Aufregung begriff, so dass er die Vernunft wieder einschaltete.
Ja, wirklich. Sören hielt inne, schaute den Kollegen an und grinste dann verlegen. „Habe ich mich sehr danebenbenommen?“
Arthur lachte leise auf. „Du kommst in deiner Freizeit wie ein Verrückter angerannt und willst dich um eine Patientin kümmern, die du gerade selbst aus dem Wasser gefischt hast. Das lässt zumindest die Interpretation offen, dass da mehr ist als eine flüchtige Bekanntschaft. Es hat dich also entweder schlagartig erwischt, oder du traust uns nicht zu, eine ordentliche Diagnose zu erstellen. Da ich jedoch unsere Fähigkeiten kenne, gehe ich ganz dreist von Ersterem aus.“
Sören lachte auf. „Okay, du leidest nicht an mangelnden Selbstbewusstsein – aber das wohl zu Recht. In Ordnung, ja, ich bin bezaubert von dieser jungen Frau, und du verstehst sicher, dass mir schon etwas daran liegt, sie in den besten Händen zu wissen.“
„Du musst dich nicht entschuldigen, Sören. Bitte doch einfach deinen Vater um die Behandlung. Nach allem, was ich an Hand der Krankenkassenkarte gesehen habe, hat sie ohnehin Anspruch auf Chefarztbehandlung und Privatzimmer. Du hast einen Goldfische aus der Nordsee gezogen.“
Sören Wiebold schüttelte lachend den Kopf und beschloss, dem Rat des Kollegen zu folgen.
Dr. Thorben Wiebold schaute über die Brillengläser hinweg auf seinen Sohn. Eine solche Bitte für eine keinesfalls todkranke Patientin war ungewöhnlich. Sören würde sicher gute Gründe haben, ihn darauf anzusprechen. Also waren die beiden in die Notaufnahme gegangen.
Arthur Jablonski zeigte ein breites Grinsen und erklärte, was er bis jetzt angeordnet hatte. Thorben Wieland wandte sich sofort Jule zu und machte seine eigenen Untersuchungen. Arthur ging an Sören vorbei und raunte über die Schulter: „Ich kann dich fast beneiden.“
Der ältere Arzt blickte nach dem ersten Abhorchen auf das noch sehr übersichtliche Krankenblatt. „Schwester Nicole bringt Sie jetzt zum Röntgen, zum EKG und EEG. Wir werden schon herausfinden, weshalb Sie fast ein nasses Grab in der Nordsee gefunden haben, junge Frau.“
„Und Dr. Wiebold …“, begann sie.
„Sören? Ist mein Sohn, er wird sich schon um Sie kümmern, so weit das nötig ist. Erst einmal sind Sie bei uns gut aufgehoben.“
Es war nicht Schwester Nicole, die Jule Brinkhorst nach oben zum Röntgen fuhr. Schwester Laura Stettner, seit fast drei Jahren hier in der Klinik tätig, übernahm den Transport. Sie gehörte zu denen, die hoffnungslos in den attraktiven Arzt verschossen waren, machte sich aber keine ernsthaften Hoffnungen, dafür war sie zu realistisch. Doch wenn sie ihn schon nicht haben konnte, wollte sie wenigstens ein Auge auf die Frauen werfen, die sich ernsthaft für Dr. Wiebold interessierten – oder andersherum. Jede Frau würde bei Laura durch eine spezielle Kontrolle gehen müssen. Das galt auch, und ganz besonders sogar, für Jule Brinkhorst.
Vom ersten Augenblick an, tatsächlich vom ersten Blick an, hatte die hübsche Schwester Laura eine fatale Abneigung gegen die Patientin verspürt. Es gab keinen bestimmten Grund dafür; weder war Jule unfreundlich gewesen, noch gab es etwas in ihrem Umfeld, was dieses Gefühl hervorrufen konnte.
Es war einfach so etwas wie eine atmosphärische Störung.
Etwas Chemisches.
Eine Abneigung, die schwer zu begründen, aber trotzdem sehr manifest war.
Kurz nach dem Unfall hatte jemand aus der Surfschule von Jan Peters die Tasche mit den persönlichen Habseligkeiten von Jule Brinkhorst in die Klinik gebracht. Da sie ihren Kite bei Jan gemietet hatte, war es leicht festzustellen, wohin ihre Habseligkeiten in diesem Fall gebracht werden mussten. Es waren nur ein unbestimmtes Gefühl, das Laura durchfuhr, als sie die Daten auf der Krankenkassenkarte las; aus Erfahrung wusste sie, was die einzelnen Codes bedeuteten. Privatpatientin mit Anrecht auf Chefarzt! So eine war das also; eine reiche verwöhnte Frau, gewöhnt an jeden Luxus und – sehr persönliche Betreuung durch den Oberarzt, der hier irgendwann Chefarzt sein würde.
Es war ausgerechnet Schwester Roswitha, der gute Geist der Klinik, die die knapp vierundzwanzigjährige Krankenschwester aus den Gedanken riss.
„Wir das heute noch was, Schwester Laura?“, fragte sie scharf, als sie feststellte, dass die junge Schwester mit dem Krankenbett und der Patienten vor dem Aufzug stand und bereits zweimal die geöffnete Tür ignoriert hatte.
„Ich – o ja, natürlich, Schwester Roswitha.“ Hastig schob die das Bett in den wartenden Aufzug und fuhr mit Jule auf die Station.
Roswitha hatte die Unterlagen persönlich abgeholt und die Anweisung für die Spezialbehandlung der Patientin. Eigentlich mochte auch Roswitha Patienten mit einem derartigen Status nicht besonders. Viele von ihnen benahmen sich überheblich und hielten eine Krankenstation für ein Hotel mit 24-Stunden-Service und medizinischer Betreuung. Sie verweigerten jegliche Mitarbeit, hetzten die Mitarbeiter durch die Gegend und waren der festen Überzeugung, dass die Krankheit von Ärzten und Mitarbeiterin geschaffen worden war, um sie aus ihren bequemen Leben zu isolieren und zu quälen. Nun gut, nicht alle waren so, aber gerade hier auf Sylt mit mehr oder weniger prominenten Personen hatte man schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht.
Bei Jule Brinkhorst befürchtete Roswitha derartige Ausfälle jedoch nicht, die junge Frau machte einen netten Eindruck und wirkte im Augenblick sehr dankbar für jede Handreichung. Dass sie eine Sonderbehandlung erwartete und auch bekam, war nur recht und billig, denn die monatlichen Beiträge an die Krankenkasse waren auch dementsprechend teuer.
Schwester Roswitha schaute auf das Krankenblatt, wo Dr. Wiebold die Diagnose und die angeordneten Maßnahmen wie auch den Medikationsplan notiert hatte.
Natürlich war die Geschichte von der unglaublichen Rettung sofort zum Thema im „Buschfunk“ geworden. Sören Wiebold rettete der schönen jungen Frau nach einem Wettrennen mit dem Kite das Leben. Offenbar eine Liebesgeschichte aus dem echten Leben, denn es blieb ja nicht bei den Tatsachen; wie bei der Stillen Post dichtete jeder etwas hinzu. Vermutlich hatte auch Schwester Laura bereits alle möglichen „Details“ mitgekriegt und war in Eifersucht entflammt.
Die Oberschwester wusste recht gut über die hoffnungslose Liebe von Laura zu Dr. Sören Bescheid. Solange die Arbeit davon nicht beeinträchtigt und kein öffentlicher Skandal heraufbeschworen wurde, sollte das eine Privatangelegenheit sein und bleiben. Bisher gab es an der Arbeit und Kompetenz der jungen Schwestern nichts zu kritisieren.
Jule lag total erschöpft im Bett und bekam kaum mit, dass Laura sie in ein hübsches Einzelzimmer brachte. Die Schwester überzeugte sich davon, dass es der Patientin im Augenblick an nichts fehlte. Sie erklärte kurz die Funktionen der Fernbedienung für das TV Gerät, aber Jule war nicht mehr aufnahmefähig.
„Drücken Sie einfach hier den großen Knopf“, sagte die und schob den Nachtschrank direkt ans Bett. „Falls Ihnen etwas fehlt, oder wenn es Ihnen nicht gut geht … es ist immer jemand in der Nähe.“
„Danke“, hauchte Jule und schloss die Augen. Sie war noch immer völlig erschöpft, spürte ihr Herz rasen und dachte mit Entsetzen an die letzten Sekunden auf dem Board, an die sie sich noch erinnern konnte. Vom eigenen Herzen aus war ein entsetzlicher Schmerz durch den ganzen Körper gezuckt, die Beine hatten begonnen zu zittern, Übelkeit hatte sie förmlich überschwemmt, und dann war das Wasser immer näher gekommen. Sie hatte noch versucht, sich an irgendetwas festzuhalten, aber außer der Steuerleine war nichts dagewesen. Danach waren ihre Sinne geschwunden.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie das besorgte freundliche Gesicht von Sören über sich. Er hatte sie aus dem Wasser geholt, ihr das Leben gerettet, und sich dann auch weiter um sie gekümmert.
Jule Brinkhorst dämmerte in einen heilsamen Schlaf hinüber, aber selbst jetzt lächelte sie bei dem Gedanken daran, wie besorgt und zärtlich Dr. Wiebold sich um sie gekümmert hatte, besser hätte sie es nicht planen können. Ob er wohl morgen kam, um nach ihr zu sehen? Ihre Gedanken verwirrten sich, und noch ehe Laura von außen die Tür geschlossen hatte, war Jule eingeschlafen.
4
„Guten Morgen. Sie sind Frau Brinkhorst, nicht wahr? Ich bringe Ihnen das Frühstück und Ihre Medikamente. Nachher kommt der Doktor zur Visite … Frau Brinkhorst?“
Praktisch jede Stunde hatte die Nachtschwester einmal in das Zimmer hineingeschaut und alles in Ordnung gefunden. Als jetzt die Schwester der Frühschicht, Anja, das Frühstücktablett abstellte, sah sie, dass Jule schweißbedeckt war und um Atem rang, während die Hände fahrig und unbewusst über die Bettdecke tasteten.
Anja steckte den elektronischen Stift, mit dem sie draußen die Anwesenheit signalisierte, in die Öffnung für den Notfall. Sofort gab es draußen auf dem Flur und im Schwestern zum Alarm. Anja riss die Bettdecke weg und öffnete das Nachthemd, gleich darauf kam die Stationsschwester Lea herein, dicht gefolgt von Dr. Lukas, dem noch sehr jungen Assistenzarzt. Er horchte hastig den Brustkorb ab.
„Hat sie schon ihre Medikamente bekommen?“
„Nein, ich habe sie gerade gebracht.“
„Sofort EKG, Eiltempo bitte.“
Lea nickte Anja zu, und die packte Jule, die nicht mehr ansprechbar war, wieder unter die Decke und fuhr das Bett hinunter in den Untersuchungstrakt.
Sehr bleich und irgendwie klein lag Jule Brinkhorst gegen Mittag wieder in ihrem Bett. Noch während des EKG war sie wieder zu sich gekommen, angesichts der Umgebung und der Verkabelung bekam sie zunächst Angst und riss alles herunter, bevor es zwei Schwestern gelang, sie wieder zu beruhigen. Schließlich begann sie zu weinen.
„Großer Gott, bin ich denn so schlimm krank?“, heulte sie. „Was ist das denn? Muss ich vielleicht sogar sterben?“
Das war der Augenblick, in dem Sören Wiebold hereinkam, der sich eigentlich auf der Station nach dem Befinden der besonderen Patienten erkundigen wollte. Man hatte ihn zum EKG geschickt. Mit zwei raschen Schritten war er bei ihr und umfasste sanft ihre Schultern.
„Du wirst natürlich nicht sterben, Jule“, erklärte er mit fester Stimme und ging ganz selbstverständlich zum Du über.
„Aber – ich fühle mich – ach, so schrecklich – weshalb bin ich immer wieder …“ Tränen liefen in Strömen über ihr Gesicht, und sie klammerte sich mehr als nur haltsuchend an Sörens Händen fest. „Du darfst mich jetzt nicht verlassen – bitte, bleib bei mir“, flehte sie. Ihre großen blauen Augen ließen den Arzt kaum zur Ruhe kommen, er hatte keine Chance unbeeinflusst nachzudenken.
„Ist schon gut, Jule, ich bleibe hier, wenn dir so viel daran liegt.“
Die Untersuchungen waren recht schnell erledigt, und Sören konnte nichts neues beunruhigendes entdecken. Da sein Vater jedoch die Anamnese der Vorerkrankungen und andere Einzelheiten aufgenommen hatte, wollte er sich nicht einmischen und voreilig etwas sagen.
Zum Erstaunen der Stationsschwester brachte Sören die Patientinnen selbst auf die Station zurück und suchte dann seinen Vater im Sprechzimmer auf.
„Was machst du schon hier, du hast doch gar keinen Dienst“, wunderte sich der Senior, lächelte dann aber. „Kann es sein, dass eine hübsche junge Dame eine bemerkenswerte Anziehungskraft besitzt?“
Sören zuckte verlegen die Schultern. „Ich habe sie aus dem Wasser gezogen und fühle mich in gewisser Weise für sie verantwortlich. Vielleicht wäre es gar nicht zu diesem Zusammenbruch gekommen, hätte ich die Wettfahrt …“
„Nun reicht es aber“, unterbrach der Ältere energisch. „Es ist mir neu, dass du dich mit Schuldvorwürfen quälst – noch dazu, wo die vollkommen überflüssig sind. Dieser Zusammenbruch war ebenfalls völlig überflüssig.“
Er warf einen Blick auf die Daten der aktuellen Untersuchungen, verglich sie mit den bisher erhobenen Ergebnissen und brummte gutmütig.
„Nicht lebensbedrohlich, das hast du sicher auch schon gesehen. Herzrhythmusstörungen nach einer akuten Influenza. Frau Brinkhorst hat sich zu früh zu viel zugemutet, demnach hat ihr Körper auf dem Brett einfach gestreikt – beziehungsweise tut er es noch. Nun, komm, mein Junge, wir gehen gemeinsam zu ihr und berichten ihr, dass sie mit einigen wenigen Medikamenten, vorsichtiger Krankengymnastik und viel Ruhe schon bald wieder auf den Beinen ist. Das Kitesurfen kann sie sich allerdings für wenigstens vier bis sechs Wochen abschminken.“
Sören war erleichtert, diese Diagnose deckte sich mit dem, was auch er aus den Daten gelesen hatte. Trotzdem lag es in der Pflicht des behandelnden Arztes Jule auf die Gefahren einer Überlastung hinzuweisen. Als die beiden Ärzte im Krankenzimmer eintrafen, erschrak Jule zunächst, doch der ältere Doktor lächelte beruhigend und machte eine abwehrende Handbewegung.
„Keine Sorge, Frau Brinkhorst, und bitte auch keine zusätzliche Aufregung. Ihre Erkrankung müssen wir ernst nehmen, aber es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Wir kriegen das gemeinsam in den Griff.“ Er schaute die junge Frau über seine Goldrandbrille hinweg an, bemerkte, dass deren blaue Augen den Blick von Sören festhielten und freute sich ein wenig, dass sein Sohn doch endlich mal Interesse für eine andere Frau als Judith zeigte. Auf den ersten Eindruck legte er in der Regel viel Wert, und Jule Brinkhorst wirkte intelligent und sympathisch, auch wenn er sie nicht so recht einordnen konnte. Nun, das musste Sören selbst wissen.
Dr. Thorben begann zu erklären, was seine Diagnose bedeutete.
Er hob die Augenbrauen.
„Ich schlage vor, dass Sie zunächst hier in der Klinik bleiben, es gibt hier alle Möglichkeiten für die Reha, und außerdem kann dadurch sichergestellt werden, dass bei einem nochmaligen Notfall Hilfe vor Ort ist. Allerdings dürften die Medikamente einen weiteren Anfall verhindern.“
„Ja, natürlich bin ich damit einverstanden“, sagte sie rasch und lächelte Sören an, der gerade ein strenges Gesicht machte.
„Du warst ziemlich leichtsinnig“, warf er ihr vor. „Dein Hausarzt, oder zumindest der behandelnde Arzt bei der Influenza muss dich jedoch gewarnt haben, zu früh wieder mit dem Sport zu beginnen. Da hätte selbst ein ausgedehnter Waldlauf zur Gefahr werden können. Kitesurfen ist ein kräftezehrender Sport. Ich will mir gar nicht vorstellen, was hätte passieren können, wenn du allein draußen gewesen wärst.“
„Nun, ich – der Doktor sagte …“
„Wer war denn Ihr behandelnder Arzt? Wir brauchen unbedingt Ihre Krankenakten, damit wir die Medikation an Ihre bereits erhobenen Daten anpassen können.“
Erschrecken flog über ihr Gesicht, aber so kurz, dass Dr. Wiebold glaubte, sich getäuscht zu haben.
„Ich – äh – Dr. Meinberg heißt er, glaube ich“, erwiderte sie lahm.
„In Hamburg?“
„Nein, in – in …“
Nun runzelte der Arzt die Stirn, sie bemühte sich um ein verlegenes Lachen. „Bitte entschuldigen Sie, ich habe da was verwechselt. Dr. Meinberg war früher mein Hausarzt, in Hamburg hat mich ein Dr. Streiter behandelt. Ich werde ihn gleich anrufen, dann kann er die Unterlagen hierher schicken.“
„Das geht von uns aus viel einfacher, weil wir eine direkte gesicherte Leitung benutzen können“, bemerkte Doktor Thorben und war erstaunt, weil sie heftig den Kopf schüttelte.
„Das möchte ich nicht“, erklärte sie energisch. „Muss das denn unbedingt noch heute und sofort sein?“ Jule regte sich sichtlich wieder auf, und das würde ihrem Herzen gar nicht gut bekommen.
Dr. Wiebold zog ein missmutiges Gesicht, aber Sören lächelte aufmunternd und legte ihr sanft eine Hand auf den Arm.
„So wichtig ist das doch wirklich nicht, Vater, oder?“
Thorben sah, dass sein Sohn offenbar zarte Gefühle entwickelte und stellte ihm zuliebe die Dringlichkeit zurück, die Sören unter anderen Umständen vermutlich selbst befürwortet hätte. Er nahm sich jedoch vor, später unter vier Augen mit seinem Sohn darüber zu reden. Persönliche Gefühle sollten einen Arzt nicht daran hindern, seiner Berufung nachzugehen.
„Nun gut, Frau Brinkhorst, dann rufen Sie bitte selbst an und bitten den Kollegen um die Übersendung der elektronischen Krankenakte. So geht es am schnellsten. Denken Sie bitte daran, dass bei Ihrer Behandlung die Vorgeschichte unbedingt wichtig ist.“
Sie produzierte ein kleines Lächeln. „Danke, Herr Doktor.“
Er nickte. „Ich gebe meine Anweisungen an die Schwestern weiter, man wird Ihnen einen Terminplan geben, so dass Sie wissen, wann Sie wohin gehen sollen.“ Noch immer verstimmt reichte er ihr die Hand und ging.
Sören setzte sich auf die Bettkante.
„Ich habe mich noch gar nicht angemessen bei dir bedankt“, sagte Jule mit warmer Stimme und streckte gleich beide Hände aus, die er etwas verlegen ergriff.
„Ich habe nur getan, was jeder andere auch gemacht hätte. Du warst in Not, in Seenot sogar, und ich freue mich, dass ich helfen konnte.“
„O je, ich hatte im Laden die Ausrüstung nur geliehen, der Besitzer des Geschäfts wird ganz schön sauer sein.“
„Glaube ich eher nicht. Jan ist ein Freund von mir, und ich habe ihn noch vom Strand aus angerufen. Er hat die beiden Ausrüstungen mit dem Motorboot eingesammelt – zumindest das, was noch brauchbar war. Ich hoffe jedenfalls, dass alles zu finden war. Für die Schäden stellt er eine Rechnung auf, die kann seine Versicherung übernehmen, schließlich handelte es sich um einen Notfall. Es gibt keinen Grund, aus dem Jan sauer auf dich sein sollte.“
Sie nickte zerstreut. „Die Versicherung, ja, natürlich, daran habe ich gar nicht gedacht.“
„Was bist du eigentlich von Beruf?”
„Wieso?”
„Wir müssen deinen Arbeitgeber benachrichtigen.”
„Ah, ja…”
„Kannst du mir die Anschrift aufschreiben?“
„Nun…”
„Wie lautet sie?”
Sie schüttelte den Kopf, anstatt ihm eine Antwort zu geben.
„Völlig unnötig.”
„So?”
„Ich bin mein eigener Herr und bin in – in der Investmentbranche tätig.”
„Also selbstständig.”
„Ja.”
„Das ist natürlich etwas anderes.”
„Wie gut, dass ich mir einige Tage Urlaub gegönnt habe, so kommt es nicht zu Terminproblemen. Aber genug jetzt von solch ernsten Themen.”
„Meinetwegen.”
„Komm, erzähle mir was von dir.”
„Von mir?”
„Du bist Arzt und arbeitest hier mit deinem Vater zusammen?”
„Das stimmt.”
„Das stelle ich mir spannend vor.”
„Naja…”
„Oder kommt es bei euch zu Reibereien?“
Sören lachte auf. „Es kommt durchaus vor, dass wir bei einem Patienten unterschiedlicher Meinung sind, aber das tragen wir nicht nach Hause.“ Er berichtete nur kurz, dass sein Vater die Klinik leitete und versuchte dann seinerseits, etwas mehr über Jule zu erfahren, doch sie wich jeder Frage geschickt aus und lenkte ihn immer wieder ab. Von Zeit zu Zeit erklang Gelächter durch die Tür bis auf den Flur.
Gerade hatte Schwester Laura ihren Dienst angetreten und hörte natürlich zu. Ihr Gesicht versteinerte, aber sie machte ihre Arbeit sorgfältig und gewissenhaft. Schwester Roswitha entging es allerdings nicht, dass Laura immer wieder missmutige Blicke in Richtung des fraglichen Patientenzimmers warf. Diese unerfüllte Liebe war hoffnungslos, aber Roswitha hoffte, dass es nicht zu Schwierigkeiten kam. Mehr als kameradschaftliche Freundlichkeit hatte Sören der Krankenschwestern nie entgegengebracht, und mehr konnte sie auch nicht erwarten.
Leider.
Sie seufzte jedesmal, bei diesem Gedanken.
Aber sie war auch realistisch genug, um sich keine weitergehenden Hoffnungen zu machen.
Tat sie auch nicht. Weil ihr jedoch viel an ihm lag, trachtete sie ganz einfach danach, ihn zu beschützen.
Diese Frau, Jule Brinkhorst, war eine Gefahr für Sören. Noch immer konnte Laura diese Abneigung an nichts festmachen, sie wusste einfach, dass es so war, und sie akzeptierte dieses Gefühl. Also konnte sie Jule nur im Auge behalten.
Als sie mit ihren Überlegungen soweit gekommen war, flog ein Lächeln über ihr Gesicht, was sie für einen Moment ausgesprochen hübsch machte. Aus dem langweiligen Dutzendgesicht wurde eine beeindruckende Erscheinung. Gleich darauf wechselte der Ausdruck wieder, Laura wurde erneut zu einem Durchschnittsmädchen, das nur wenigen Männern einen zweiten Blick wert war.
Auch diese kleine Veränderung hatte Schwester Roswitha bemerkt. „Das Mädchen braucht einen Freund, damit es auf andere Gedanken kommt“, seufzte sie vor sich hin.
5
Sören Wiebold hatte sich schon lange nicht mehr so locker und fröhlich gefühlt wie in der Gegenwart von Jule Brinkhorst. Sein Lachen klang befreit, und er konnte mit ihr über Gott und die Welt reden, ohne dass ihnen jemals die Themen ausgingen. Ihm fiel nicht auf, dass Jule es geschickt vermied, auf persönliche Dinge zu sprechen zu kommen. Nach ihrer eher vagen Auskunft zu ihrem Beruf hatte sie weitere Fragen stets abgelenkt. Als Sören dann auf die Uhr schaute, durchzuckte es ihn heiß.
„Mein Dienst fängt an“, sagte er ein wenig enttäuscht.
„Aber du wirst doch heute Abend nach dem Dienst noch einmal hereinschauen?“, fragte sie eifrig.
„Wenn es dann nicht schon zu spät ist.”
„Zu spät?”
„Nicht immer habe ich pünktlich Feierabend, und die Arbeit geht vor. Gerade hier auf der Insel, wo es viele Touristen gibt, kann es immer wieder passieren, dass Notfälle gleich im Dutzend auftauchen.“
„Ja, ich glaube, das kann ich verstehen.“
Er lächelte.
„Das wäre schön, denn meine Berufung ist es tatsächlich, anderen Menschen zu helfen, da muss manchmal das Private hinten anstehen.”
„Wirklich? Muss das so sein.”
„Ich fürchte ja.”
„Das ist schade.”
„Und nun habe ich wirklich keine Zeit mehr.“ Er winkte ihr zu und lief mit raschen Schritten hinaus, prallte fast mit Schwester Laura zusammen und hielt sie fest, damit sie nicht fiel. Schon war er weg, Laura blickte ihm unglücklich hinterher.
Jule hingegen spürte, dass ihre Kräfte sich langsam wieder aufbauten, und das lag mit Sicherheit auch an dieser sehr speziellen Betreuung durch Sören Wiebold. Der alte Doktor hatte wohl recht gehabt, sie war viel zu früh wieder auf das Board gestiegen. Ein so kräftezehrender Sport wie Kitesurfen, nach einer schweren echten Grippe, einer Influenza, war tatsächlich leichtsinnig gewesen, aber sie hatte eine Chance gesehen, Dr. Wiebold Junior kennenzulernen und wollte sie nutzen.
Schon vor mehreren Tagen hatte sie Sören Wiebold zum ersten Mal gesehen, ihr war gleich die exzellente Beherrschung des Lenkdrachens aufgefallen; auf ihre Nachfrage bei Jan Peters hatte sie den Namen des Sportlers erfahren – zunächst ohne den Zusatz Doktor. Sie fand ihn vom ersten Augenblick an aufregend und wollte ihn um jeden Preis kennenlernen. Mit einer so dramatischen Entwicklung hatte sie nicht rechnen können, aber im Grunde war es ein Glücksfall, dass Sören sie gerettet hatte. Nun fühlte er eine moralische Verpflichtung, sich noch länger um ihr Wohlergehen zu kümmern.
Wohlergehen, das richtige Stichwort. Sie war hier Privatpatientin und hatte Anspruch auf eine umfassende Rundum-Betreuung. Nach all der Aufregung und dem überaus erfreulichen Gespräch mit Dr. Wiebold Junior war es nun an der Zeit, sich etwas verwöhnen zu lassen.
Jule klingelte nach der Schwester, um ihre Wünsche zu äußern.
6
Lisa Seybold aus der Verwaltung kam mit einem ganzen Stapel Unterlagen auf die Station. Das war nicht ungewöhnlich, für jeden Patienten gab es eine Unzahl an Dokumenten, die ausgefüllt, archiviert, weitergeleitet und der Statistik zugeführt werden mussten. An diesem Tag hatte Anna noch ein anderes Anliegen.
„Laura, kannst du bitte mit dieser Patientin reden? Die Krankenkassenkarte wird nicht akzeptiert. Bei einer Privatpatientin erstellen wir ja sowieso eine Rechnung, die von ihr bezahlt werden muss, aber die Krankenkasse verweigert die Karte, so dass es hier unklare Verhältnisse gibt.“
Laura runzelte die Stirn. „Sprichst du von Jule Brinkhorst?“
„Ja, woher weißt du das?”
„Naja…”
„Ich habe doch noch gar keine Namen genannt.“
„Ach, nur so ein Gedanke, weil wir ja im Augenblick nicht besonders viele Private haben“, erwiderte Laura schnell.
„Ja, das finde ich ein bisschen seltsam. Mit dieser Krankenkasse kann man bei einem Klinikaufenthalt auf Wunsch auch direkt abrechnen, ohne dass die Patienten in Vorleistung treten müssen.
„Hm…”
„Aber wenn die Karte nicht akzeptiert wird …“
„Und was sagen die, warum das nicht geht?“
„Angeblich ist Frau Brinkhorst kein Mitglied.“
„Wie bitte?”
„Ja, so war die Auskunft.”
„Aber sie hat doch die Karte …“ Laura unterbrach sich. Das ungute Gefühl in ihr verstärkte sich, aber Lisa gegenüber wollte sie kein Wort darüber verlieren. Sie nahm der Kollegin die Papiere ab und blätterte sie durch. „Ich werde versuchen das zu klären“, sagte sie dann entschlossen. Danach kamen die beiden jungen Frauen noch ein bisschen ins Erzählen, aber im täglichen Betrieb eines Krankenhauses bleibt nur wenig Zeit für Persönliches.
Laura wollte Jule Brinkhorst sofort aufsuchen, doch die war zur Krankengymnastik gegangen und würde erst später zurückkommen.
Zwei Notfälle kamen herein und mussten versorgt werden, Patienten mussten zu weiteren Untersuchungen gebracht werden, die übrigen Patienten brauchten ebenfalls ihre tägliche Versorgung, und natürlich gab es auch noch viel Büroarbeit, und die tägliche Medikation musste auch noch vorbereitet werden. Das alles fraß eine Menge Zeit, auch wenn es sich dabei um Routinearbeiten handelt. Darüber vergaß Laura zunächst die Nachfrage bei Jule Brinkhorst.
Als sie am Ende der Schicht erschöpft die Klinik verließ, bemerkte sie einen Mann, der sich an der Pforte nach einer Patientin erkundigte. Das war nichts Ungewöhnliches, aber offenbar gab es schon beim Namen Unstimmigkeiten. Natürlich bekam ein Fremder keine Auskunft, Datenschutz und Privatsphäre wurden strikt eingehalten, sie galten ebenso wie die ärztliche Schweigepflicht als Grundvoraussetzung.
Laura schüttelte den Kopf, es war schon seltsam, auf welch verrückte Ideen manche Leute kamen. Vermutlich lag wieder irgendein Prominenter auf einer der Stationen, und es gab immer wieder Fans und Reporter, die nach der Devise „Frechheit siegt“ vorgingen, um ein Autogramm, ein Selfie und ein Interview zu erzwingen. Laura schüttelte noch einmal den Kopf und ging weiter, lächelnd atmete sie draußen tief die frische Luft ein, dann dachte sie daran, noch einmal zurückzugehen, um mit Jule Brinkhorst zu sprechen. Aber der Tag war lang genug gewesen, sie verschob das Gespräch auf den nächsten Tag.
7
Es war spät am Abend, der Mond stand hoch am Himmel, die Nordsee rauschte unablässig, und der strenge Duft nach Meer und Salz erfüllte die Luft. Die Schritte des Mannes, der hier am Strand entlang ging, wurden von den unaufhörlichen Geräuschen der Nordsee verschluckt. Dies hier war eine wenig bekannte Bucht, die in der Nähe der Harm-Breding-Klinik lag, sie war der bevorzugte Ort für Dr. Thorben Wiebold, um Ruhe zu finden und abzuschalten. Das gesamte große Grundstück befand sich im Privatbesitz, und außer dem Eigentümer, der nur selten auf Sylt war, gab es nur wenige Menschen, die hierher kamen. Thorben und sein Sohn waren zwei davon.
Es war schon nach zweiundzwanzig Uhr, und Thorben machte mit seinem Hund, dem übermütigen Cockerspaniel Bodo, den letzten Spaziergang des Tages. Das war ein Ritual, von dem er nur dann abwich, wenn es einen Notfall in der Klinik gab. Das kann zwar immer wieder einmal vor, aber jeder wusste, dass Dr. Thorben diese langen Spaziergänge brauchte, um mit der harten Realität fertig zu werden. Um den überaus aktiven Hund zu necken warf er Steine oder Muscheln ins Wasser, denen Bodo schwanzwedelnd hinterherrannte, ohne sie jemals zu finden. Mit aufgestellten Ohren und gelegentlichem Bellen beschwerte sich Bodo darüber, dass er Gegenstände aus dem Wasser nicht apportieren konnte, aber er kam jedes Mal fröhlich aufgeregt zu seinem Menschen zurück, nur um im nächsten Augenblick erneut nach einem Stein zu suchen.
Der stetige Wind drückte Hose und Jacke gegen den schlanken Körper des Arztes, die leicht ausgestellten Rockschöße eines englischen Jacketts wirbelten bei jedem Windstoß mit. Thorben Wiebold hatte eine Vorliebe für den englischen Stil mit dem bequemen Schnitt von Tweed-Stoffen, zahllosen Taschen und kontrastierenden Flicken an den Ellenbogen. Zufrieden hielt er das Gesicht in den Wind und genoss den Geschmack von Salz auf der Zunge. Ab und zu warf er einen Blick auf den Zugang zur Bucht, wo er hoffte, seinen Sohn Sören zu sehen. Es kam oft vor, dass Vater und Sohn gemeinsam diesen Abendspaziergang machten, aber heute hatte Thorben extra darum gebeten, dass sein Sohn nach dem Dienst zu ihm kam.
Die Schicht war schon einige Zeit zu Ende, Thorben vermutete, dass Sören zunächst noch Jule Brinkhorst aufsuchte. Genau darüber wollte er mit ihm reden. Seiner Meinung nach ging das alles viel zu schnell. Sollte aus der Lebensrettung eine dauerhafte persönliche Verantwortung werden?
Nun endlich kam Sören im leichten Joggertrab angelaufen. Er war nicht mal außer Atem, als er seinen Vater erreichte und sich dann niederbeugte, um Bodo eine Portion Streicheleinheiten zu geben.
„Ist alles in Ordnung, oder gab es noch besondere Vorfälle?“, erkundigte sich der Klinikleiter.
„Nichts Auffälliges, nichts Besonderes, nein. Das ist schon fast unnormal. Wahrscheinlich kommt es in den nächsten Tagen dann knüppeldicke“, erwiderte Sören lächelnd. „Aber du wolltest noch mit mir sprechen, Vater. Ist irgendetwas passiert? Gibt es etwas Wichtiges? Oder können wir das auf morgen verschieben?“
„Ich nehme an, du möchtest noch eine Art Hausbesuch machen?“
„Ja, du hast recht, ich möchte noch zu Jule.“
„Genau darüber möchte ich mit dir reden.“
Sören runzelte die Stirn. „Stört es dich, dass ich sie sehr sympathisch finde? Magst du sie nicht? Was stimmt denn deiner Meinung nach nicht mit dir?“
„Ich finde Frau Brinkhorst durchaus sympathisch“, gab Thorben zu und begann langsam wieder an der Wasserlinie weiterzugehen.
„Da kommt doch noch ein aber?“
„Ja, du hast recht, mein Junge. Bei aller Sympathie erscheint mir die junge Dame doch etwas merkwürdig. Ihre Auskünfte und Antworten sind vage und ausweichend.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, ihre Aussagen hörten sich für mich so an, als müsste sie erst überlegen oder wären rasch erfunden. Schon bei der Frage nach dem Hausarzt wurde ich stutzig, und die etwas lahme Auskunft hat mich auch nicht überzeugt, so dass ich im Ärzteverzeichnis nachgesehen habe. Ich konnte keinen Kollegen dieses Namens finden. Allerdings hatte sie in der Tat eine Influenza und muss demnach medizinisch versorgt worden sein.“
„Das alles muss aber doch nichts zu bedeuten haben“, erwiderte Sören leichthin. „Sie wird sich geirrt haben, du meine Güte. Ich finde nichts dabei, schließlich war sie gerade dem Tod von der Schippe gesprungen. Nein, Vater, ich finde das jetzt nicht ungewöhnlich oder merkwürdig. Worauf willst du eigentlich hinaus?“
„Ach, ich weiß es selbst nicht genau, das ist nur ein Gefühl“, gestand der Ältere. „Es macht mich nur stutzig, und ich möchte nicht, dass du enttäuscht wirst, nachdem schon …“
„Nachdem Judith mich ins offene Messer laufen ließ“, vollendete Sören den Satz.
„So drastisch wollte ich das jetzt nicht ausdrücken. Ihr hattet unterschiedliche Ansichten, die immer wieder aufeinandergeprallt sind, obwohl ihr beide euch durchaus bemüht habt, Kompromisse zu finden. Aber Judith ist eine Frau mit sehr festen eigenen Ansichten. Du wünscht dir eine Familie und eine Frau, die für dich da ist. Judith will ihren Beruf ausleben, an Projekten in der ganzen Welt arbeiten und nicht wirklich sesshaft werden. Eine Familie ist für sie etwas Abstraktes. Sie braucht keinen Ruhepol, sie will nur eine Art Stützpunkt. Oh – ich zweifle nicht daran, dass sie viel für dich empfindet – empfunden hat – und ich fand sie immer sehr sympathisch …“
„In der Tat, sehr sympathisch, wenn ich mich nicht irre“, warf Sören ein. „Du hast sie schon früher als Schwiegertochter ins Auge gefasst, und ich fürchte, du siehst es als persönliche Beleidigung, dass sie nicht bereit ist, ihre Vorstellungen den unseren anzupassen.“
„So weit würde ich nicht gehen, aber ja, ich bin enttäuscht. Doch ich habe die Probleme zwischen euch nie ignoriert. Ihr seid erwachsene Menschen und müsst eure eigenen Entscheidungen treffen. Das gilt nun auch für dich und Jule, ich will und werde mich nicht einmischen, du solltest nur darüber nachdenken, was ich gesagt habe. Ich will nicht, dass man dir wehtut, niemand sollte das tun.“
„Ich glaube, du siehst ein wenig zu schwarz, Vater. Ich bin sicher, Jule kann das alles aufklären“, meinte Sören beschwichtigend.
„Nun, wahrscheinlich hast du recht, und ich reagiere ein bisschen zu heftig. Lass uns nach Hause gehen, Anna wird sich schon wundern – ach nein, ich gehe nach Hause, und du machst einen sehr speziellen Hausbesuch.“
Thorben schmunzelte und winkte Sören zum Abschied zu. Der setzte sich wieder in Trab und lief auf die Klinik zu, wo Jule hoffentlich noch auf ihn wartete.
8
Es wurde Nachmittag am folgenden Tag, ehe Schwester Laura dazu kam, an das aufgeschobene Gespräch mit Jule Brinkhaus zu denken. Sie nahm die Krankenkassenkarte und die Anmeldeunterlagen, entschied sich dann aber spontan anders. Sie rief zunächst selbst bei der Krankenkasse an und bekam einen überaus freundlichen Mitarbeiter zu sprechen, dem sie die ganze Geschichte erzählte, um dann noch einmal nachzufragen.
„Es tut mir leid, Frau Stettner, aber unter dem Namen Jule Brinkhorst haben wir kein Mitglied.“
„Aber ich habe doch eine korrekte Karte hier vor mir, die sieht wirklich nicht gefälscht aus“, beharrte Laura seufzend.
„Ach, das muss gar nichts bedeuten, mittlerweile kann man gefälschte Karten aller Art dutzendweise auf dem Schwarzmarkt oder im Internet kaufen, mit Foto und allem. Erst wenn die Abrechnungen zu uns kommen, fällt es auf, und dann ist es oft schon zu spät. – Sagen Sie, Ihr Oberarzt hat tatsächlich die Frau aus dem Wasser gerettet? Der ist ja ein richtiger Held.“
Unwillkürlich lachte Laura auf. „Das Wort würde er sich verbitten. Er ist Arzt aus Berufung, und Lebensrettung sein tägliches Brot, wenn auch nicht immer so spektakulär. – Schauen Sie doch bitte noch einmal nach, aber dieses Mal nur nach der Nummer, nicht nach dem Namen“, schlug sie beharrlich vor.
„Na gut, weil Sie es sind und so freundlich bitten. Also, ich höre …“
Laura gab die Nummer durch und hörte gleich darauf einen scharfen Pfiff durch das Telefon.
„Die Nummer gibt es tatsächlich, aber die gehört zu einer Maria Antonia Simon, und die Dame ist zweiundachtzig Jahre alt. Trifft das auf Ihre Patientin zu?“
„Nein, ganz sicher nicht.“
„Frau Stettner, ich kann Ihnen nur raten, die Polizei zu rufen und Anzeige zu erstatten. Ich kann das nicht tun, weil ich offiziell von gar nichts weiß und uns kein Schaden entstanden ist.“ Seine Stimme war ernst geworden, nicht nur Krankenkassen litten darunter, dass gefälschte Mitgliedskarten aller Art in Umlauf und die finanziellen Schäden doch immens waren. Sein Rat war unter diesen Umständen realistisch.
„Danke erst einmal für den klugen Rat. Darüber werde ich mit meiner Vorgesetzten reden. Auf jeden Fall danke ich Ihnen herzlich für Ihre Auskünfte.“ Sie legte auf und wirkte plötzlich geistesabwesend.
Während des Gesprächs war sie ans Fenster getreten, das nach vorne auf den Haupteingang zeigte. Mehrere Leute gingen ein und aus, Besucher, Patienten, Lieferanten, Mitarbeiter. Nur wenige blieben vorne stehen, wenn es nicht gerade stürmte und alle einen geschützten Platz suchten. Nur die notorischen Raucher standen dort und frönten ihrer Sucht, auch wenn die meisten vom medizinischen Personal das gar nicht gerne sehen. Doch ausgerechnet der Chefarzt hatte darauf bestanden, dass ein Glasdach über der Raucherecke angebracht wurde.
„Wir wollen unsere Patienten nicht noch kränker nach Hause schicken, als sie hergekommen sind. Und wer die Finger noch nicht von den Zigaretten lassen kann, muss nicht unbedingt auch noch in schlechtem Wetter stehen. Aber es ist unsere Aufgabe, den Leuten das Rauchen auszureden und ihnen bei der Therapie zu helfen.“
Damit war die Entscheidung gefallen, das Thema war beendet, der Chef hatte ein Machtwort gesprochen. Wenn man bedachte, dass der Chef nie geraucht hatte, so hatte er doch erstaunlich viel Verständnis für die Bedürfnisse der Raucher.
Nun aber stand dort unten der Mann, den Laura am Tag zuvor schon an der Pforte bemerkt hatte, als er sich nach jemandem erkundigte. Wollte er jetzt womöglich warten, bis die Angebetete oder der Superheld – wer auch immer der gesuchte Prominente war – herauskam? Viel Aufwand, um ein Autogramm oder ein Selfie zu ergattern.
Aber nein, irgendwie sah dieser Mann nicht aus, als würde er jemanden so verehren, dass er sich durch endloses Warten zum Narren machte. Dieser Mann hatte nach Lauras Ansicht einen guten Grund, um jeden, der ein und aus ging, aufmerksam zu mustern. Na ja, egal, sollte er ruhig da stehen, sie hatte andere Sorgen.
Laura zerbrach sich den Kopf, ob sie jetzt zuerst mit Jule Brinkhorst, Schwester Roswitha oder Doktor Wiebold sprechen sollte. Mit den Senior natürlich, denn Sören war in diesem Fall persönlich involviert.
Es bestand noch immer die Möglichkeit, dass es sich um einen Irrtum oder ein Missverständnis handelte, daher war sicher das erste Gespräch mit Jule Brinkhorst vorzuziehen. Oder – Laura lächelte plötzlich, als sich ihre Gedanken in eine völlig verrückte Richtung entwickelten – vielleicht war Jule Brinkhorst eine Zeugin für die Polizei, und man hatte sie unter neuer Identität hierher gebracht? Dann wäre den Beamten allerdings ein dicker Fehler unterlaufen.
Laura lachte über sich selbst. So etwas gab es nur im Film. Sie beschloss, mit Schwester Roswitha zu sprechen, bevor sie irgendetwas unternahm. Die Oberschwester besaß auch die Autorität, mit der Patientin im Zweifelsfall mit sehr deutlichen Worten zu reden. Die alte erfahrene Fachkraft würde sicher einen Rat wissen, es gab wohl kaum etwas, das sie noch nicht erlebt hatte.
In diesem Augenblick kam der Pfleger Fynn angelaufen.
„Laura, wir müssen heute allein fertig werden. Schwester Roswitha wurde in den OP gerufen, sie muss für eine der Schwestern einspringen, die sich beim Sport verletzt hat.“
Laura seufzte. Das war nicht das erste Mal, das Roswitha einspringen musste, sie hatte viele Jahre als OP-Schwester gearbeitet, bis ihr die Arbeit zu stressig geworden war. Dr. Wiebold rief sie jedoch auch heute noch, wenn Not am Mann war. Das hieß aber auch, dass Laura heute wohl kaum noch mit der Oberschwester reden konnte. Nun gut, die Sache hatte sicher noch bis zum nächsten Tag Zeit, Jule Brinkhorst würde sicherlich nicht in der Nacht einfach davonlaufen.
Laura ging mit Fynn gemeinsam an die Arbeit, und als das Ende ihrer Schicht nahte, war sie rechtschaffen erschöpft.
9
„Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie so direkt anspreche.“
Laura zuckte zusammen, sie war in Gedanken nach dem Ende ihrer Schicht hinausgegangen, jetzt sah sie sich dem merkwürdigen Fremden gegenüber. Höflich, aber distanziert blieb sie stehen und schaute ihn an. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Das hoffe ich doch sehr. Sehen Sie, ich bin fremd hier und auf der Suche nach einer Frau.“
„Im Krankenhaus? Wäre da nicht eine Annonce in der Zeitung besser geeignet?“, erwiderte sie schlagfertig.
Er stutzte und lachte dann verlegen. „Nein, danke, in dieser Hinsicht bin ich bereits bestens versorgt. Nein, ich suche diese Frau, aber es kann sein, dass sie einen andern Namen benutzt als den eigenen.“ Er hielt Laura ein Bild entgegen, darauf war eine Frau zu sehen, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Jule Brinkhorst besaß. In diesem Augenblick kam einer der Ärzte aus dem Haupteingang. Laura schob die Hand mit dem Bild zurück.
„Tut mir leid, ich kenne die Frau nicht. Im Übrigen schützen wir die Privatsphäre unser Patienten, wir würden niemals Informationen herausgeben, egal über wen. Vielleicht sollten Sie bei der Polizei nachfragen.“
Der Arzt spürte, dass hier etwas nicht stimmte und kam näher. „Belästigt dieser Mann Sie?“, fragte er und musterte den Fremden.
„Nein, Doktor, der Herr hat sich bloß allgemein erkundigt“, sagte Laura rasch. „Vielen Dank für Ihre Besorgnis, bis morgen.“ Sie lief rasch davon, um keine weiteren Fragen beantworten zu müssen. Das Rätsel um Jule Brinkhorst hatte sich um ein weiteres Puzzleteil erweitert, aber nichts davon ergab einen Sinn. Wer war der Fremde, und warum suchte er sie?
Und vor allem: Was hatte er von ihr gewollt?
Zuhause in ihrem kleinen Apartment im Schwesternwohnhaus, in dem natürlich auch andere vom Personal wohnten, bereitete sie sich einen Tee, kam aber innerlich nicht zur Ruhe. Wenn sie ihrem Gefühl folgte, dann war Jule Brinkhorst nicht ganz koscher, während ihr der fremde Mann durchaus sympathisch erschienen war. Das Lachen in den rundlichen Gesicht unter der fast vollständigen Glatze hatte so echt gewirkt, Kleidung und Benehmen deuteten auf Intelligenz und gehobenen Mittelstand, er machte nicht den Eindruck eines Stalkers. Nein, dieser Mann hatte einen wichtigen und guten Grund, um sich nach Jule Brinkhorst zu erkundigen. Aber auch ihn schien ein Geheimnis umgeben, denn er machte auf den ersten Blick mit seiner stämmigen Figur einen gemütlichen Eindruck, allerdings bewegte er sich wie eine Raubkatze auf Samtpfoten.
Laura schüttelte über sich selbst und ihre absurden Gedanken den Kopf. Ihre überragende Fantasie ging offenbar mit ihr durch. Wahrscheinlich löste sich das alles durch eine Nachfrage bei Jule Brinkhorst in Wohlgefallen auf, und sie musste aufpassen, diesen Unsinn nicht auch noch auszusprechen. Dennoch ließ ihr die Sache keine Ruhe. Statt sich also gemütlich in die Ecke zu setzen und die Füße hochzulegen, ging sie unter die Dusche und zog sich um, dann marschierte sie wieder zurück in die Klinik, entschlossen, jetzt ein paar Antworten auf ungelöste Fragen zu bekommen.
10
In Jules Einzelzimmer stand Sören Wiebold und studierte das Krankenblatt. „Deine Werte sehen schon viel besser aus“, stellte er fest.
„Ich bin hier doch ans Bett gefesselt und muss demnach ein braves Mädchen sein“, behauptete sie keck.
„Das sollte auch noch ein paar Tage so bleiben. Ruhe, gutes Essen und regelmäßige, vorsichtige Krankengymnastik – dann kannst du in drei oder vier Tagen zurück in dein Hotel.“
„Ich habe eine Ferienwohnung, meinen Vermieter habe ich schon angerufen, und er hatte mir auch noch einige Sachen gebracht.“
„Nun, dann wirst du den Rest deines Urlaubs im Liegestuhl am Strand verbringen. Du darfst gelegentlich Besucher empfangen, spezielle Hausbesuche von deinem behandelnden Arzt – von mir.“ Die Augen von Sören strahlten so lebhaft und glücklich wie lange nicht mehr. Diese Veränderung war auch nach außen hin sichtbar, so dass sich die meisten Menschen, die ihn kannten, für ihn mitfreuten. Schwester Laura gehörte nicht dazu, und sie glaubte gute Gründe für ihr Misstrauen zu haben.
Sören Wiebold hatte während der Dienstzeit keine Zeit für ausgedehnte Privatgespräche, er war Arzt mit Leib und Seele, eine Vernachlässigung seiner Arbeit würde ihm nie in den Sinn kommen. So hielt er sich auch bei dieser Visite nur kurz auf und freute sich darauf, später am Abend ganz privat zu Jule gehen zu können. Sobald in der nächsten Woche seine Schicht wechselte, hätte er auch tagsüber Zeit, um mit Jule mal in ein Café zu gehen oder einen langen Spaziergang zu machen.
„Du wirst dir für die nächste Zeit das Kitesurfen aus dem Kopf schlagen müssen“, erklärte er mit Bedauern in der Stimme. Noch immer spürte er die Erregung, die er bei dem Wettrennen mit Jule empfunden hatte, fühlte den Wind, die Gischt, die unbändige Lebensfreude im Wettstreit mit einer ebenbürtigen Gegnerin. Nun, das war eine absehbare Zeit der Rekonvaleszenz, dann konnten sie wieder beide auf das Board steigen und erneut gegeneinander antreten. Sören beugte sich vor und küsste Jule sanft auf die bebenden Lippen, sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, drückte ihn an sich und erwiderte den Kurs mit einer Heftigkeit und Intensität, die Sören überraschte. Schließlich löste er sich sanft von ihr, drehte sich an der Tür noch einmal um und schenkte ihr ein glückliches Lächeln.
Jule kuschelte sich in ihre Bettdecke und war mit sich selbst sehr zufrieden. Noch vor ein paar Tagen, als sie auf Sylt angekommen war, hatte sie nur eine vage Vorstellung davon gehabt, was sie tun wollte. Dann war ihr der äußerst attraktive Mann aufgefallen, und nach einer ersten Erkundigung wollte sie unbedingt seine Bekanntschaft machen. Die Ereignisse hatten sich dann förmlich überschlagen, keinesfalls hatte sie damit gerechnet, dass ihr die eigene Gesundheit einen Strich durch die Pläne machen könnte. Noch viel weniger war vorauszusehen gewesen, dass ausgerechnet ihr Lebensretter Sören Wiebold wurde, auf denen sie es in gewisser Weise abgesehen hatte. Besser hätte es niemand planen können, und sie war sehr zufrieden mit sich. Seit dem Aufwachen am Strand hatte sie sich alle Mühe gegeben, Sören zu betören und für sich einzunehmen – es sah ganz so aus, als wäre ihr das gelungen. Ein wenig gelangweilt griff sie nach einem Buch, das war nicht wirklich interessant, aber es war eine willkommene Ablenkung. Und im Moment konnte jede stärkere Belastung zu erneuten Herzproblemen führen.
Es klopfte kurz an der Tür. „Ja, herein.“
Die Tür öffnete sich, eine Gestalt huschte herein.
„Schwester Laura?“
„Hallo, Frau Brinkhorst, ich bin nicht im Dienst, kann ich trotzdem kurz mit Ihnen sprechen?“
„Aber natürlich, ich bin froh, wenn es ein bisschen Ablenkung gibt. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, Laura.”
„Gut.”
„Haben Sie Mitleid mit mir, oder gibt es einen bestimmten Grund, dass Sie mich aufsuchen? Nein, sicher nicht. Ich wüsste jedenfalls keinen.“