999 - Eine andere Welt - Leroy Berg - E-Book

999 - Eine andere Welt E-Book

Leroy Berg

0,0

Beschreibung

Nur wenige Menschen überleben das nukleare Armageddon. Zunächst dient die Mondbasis als letzter Zufluchtsort, aber für wie lange? Der Menschheit bleibt nichts übrig, als Ausschau nach neuen, fremden Welten zu halten. Aber dort ist ebenfalls nicht alles Gold, was glänzt. Mit akribischer Forschungsarbeit versucht Ant, für den Fortbestand der menschlichen Rasse zu sorgen und gleichzeitig seinen Racheplan zu verwirklichen. Ist er in der Lage, Mr. Poisons Macht zu brechen und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen? Wie vermag er ihn zu besiegen? Gelingt es womöglich mit Hilfe seines künstlichen Freundes? Ist ein Happy-End überhaupt noch möglich? Die Fortsetzung des Mystery-Thrillers 999, Teil III ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 382

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zu diesem Buch

Nur wenige Menschen überleben das nukleare Armageddon. Zunächst dient die Mondbasis als letzter Zufluchtsort, aber für wie lange? Der Menschheit bleibt nichts übrig, als Ausschau nach neuen, fremden Welten zu halten. Aber dort ist ebenfalls nicht alles Gold, was glänzt.

Mit akribischer Forschungsarbeit versucht Ant, für den Fortbestand der menschlichen Rasse zu sorgen und gleichzeitig seinen Racheplan zu verwirklichen.

Ist er in der Lage, Mr. Poisons Macht zu brechen und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen?

Wie vermag er ihn zu besiegen? Gelingt es womöglich mit Hilfe seines künstlichen Freundes?

Ist ein Happy-End überhaupt noch möglich?

Die Fortsetzung des Mystery-Thrillers 999, Teil III ...

Leroy Berg, geboren 1960 in München, aufgewachsen im Glasscherbenviertel Giesing, beendete nach seiner Schulzeit eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. 1989 zog es ihn weg von der Großstadt mit Herz(infarkt) ins nördliche Bayern, wo er bis 2017 als Schadengutachter für eine Versicherung arbeitete. Während der insgesamt 28 Jahre seiner Gutachterzeit hatte er vornehmlich mit großen Sachschäden, Ermittlungsbehörden, Detektiven, vereidigten Sachverständigen, manchmal ebenso mit Anwälten und Gerichten zutun. Vor allem aber mit der Psyche der Kunden. Seit seinem Ruhestand konzentriert er sich auf die Autorentätigkeit.

Mein Dank gilt allen, die es mir ermöglichten, diese Geschichte zu Papier zu bringen.

An alle die mir in dieser harten Zeit einen finanziellen Background boten, die ihre kostbare Zeit für Korrekturlesungen oder Ähnliches aufwandten und meine nervigen Nachfragen ertrugen.

Danke geliebte Familie und Freunde.

Leroy Berg

Inhalt

Charlies Europareise (Start 14.11.2021).

Kolyuchino (März 2023).

Winter (März 2023).

Ozean (Ankunft 10.11.2022).

Eis

Stern

Ernte

Mondbasis.

Zuflucht

Ants Mondfahrt

Zuviel des Bösen

Testflug

Attentat

Neue Heimat?

Grüne Perle

PVG

Begegnung der 6. Art I.

Katana

Begegnung der 6. Art II.

Begegnung der 6. Art III.

Poisons Strafe.

Offenbarung

Die andere Seite

Vertragsstorno

Das Erwachen III.

Die etwas andere Rückkehr.

Der Rote Rotz.

Die andere Rille.

Der modifizierte Plan.

Die ganze Wahrheit.

Ende oder Anfang?

Alles Intention.

Quo Vadis.

Ende Teil III.

Kapitel 1: Charlies Europareise (Start 14.11.2021).

Der Anflug auf die Silver Star, stellte sich für Charles als ein eindrucksvolles optisches Schauspiel dar. Er genoss die Schwerelosigkeit in der Shark. Weshalb die American Space Forces ihre Raumgleiter mit derartig martialischen Namen betitelte, vermochte Charles sich nur auszumalen. Die Konstruktion dieser Kampfgleiter verband sagenhafte Schnelligkeit mit extremer Wendigkeit. In der Lage, innerhalb und außerhalb der Atmosphäre zu agieren, wiesen die Maschinen eine schwere Bewaffnung auf. Die beiden, in den Tragflächen integrierten Plasmakanonen, basierten auf Ants Entwicklungsarbeit. Damit bestand auf jeden Fall die Möglichkeit, einen gewaltigen Bissen aus einem potentiellen Feind herauszureißen.

Hinter dem Cockpit lugte eine kleine Finne hervor, mit einer integrierten Funkantenne. Sie sah aus, wie die Rückenflosse eines Haifisches. Dabei handelte es sich vermutlich um den Stein des Anstoßes, der die Namensgebung rechtfertigte.

Als die Shark an die Silver Star andockte, öffnete sich das kleine Hangarschott, in der Flanke des Raumschiffes und die Andockvorrichtung zog die Maschine in seine Parkposition, im Inneren des imposanten Schiffes. Das Schott schloss sich wieder und der Raum füllte sich mit Atmosphäre. Die künstliche Schwerkraft setzte sofort ein, als der Druck- und Temperaturausgleich seinen Abschluss fand.

Charles gefiel das nicht sonderlich. Er freute sich schon den ganzen Flug darauf, direkt aus dem Cockpit herauszuspringen, und einige Meter durch die Schwerelosigkeit zu schweben.

Egal. Als der Pilot die Cockpitabdeckung entriegelte, öffnete Charles seine Gurte, kletterte auf den Rand und sprang. Aus fast fünf Metern Höhe knallte er, mit den Füßen voraus, auf den Hangarboden.

Überhaupt kein Problem für seine Konstruktion. Mit einem geschmeidigen Wippen der Gelenke fing er den harten Aufprall leicht ab, als federten seine Beine nur ein wenig, nach dem Sprung von einer einzigen Treppenstufe.

Der Pilot, Major Bob Eaton, setzte seinen Helm ab, und sah Charles Treiben leise und kopfschüttelnd zu.

Erst als die Leiter der Shark sich voll ausgefahren hatte, und den Boden erreichte, kletterte der Major nach unten.

Er war nicht nur der Pilot der Shark, sondern ebenso für die Mission der Silver Star vorgesehen. Mit ihm und Charles komplettierte sich nun die Besatzung für die anstehende Aufgabe.

Der Hangar diente ebenfalls als Schleuse, zwischen dem unendlichen, tödlichen Vakuum des Weltraums und der im Verhältnis dagegen, mikroskopisch winzigen Überlebensblase, im Inneren der Silver Star.

Die Innentür öffnete sich und das Begrüßungskomitee, gebildet aus dem Rest der Mannschaft, betrat die Halle. Major Eaton war ihnen schon von früheren Einsätzen bekannt. Die faustischen und staunenden Augenpaare, richteten sich deshalb eher auf Charles. Major Eaton winkte freudestrahlend seinen soeben eintretenden Kollegen, und stellte sich neben den Androiden, um ihn entsprechend vorzustellen.

Logischerweise wussten sie alle, wen oder was Charles darstellte.

Zweifellos informierte man sie vorab darüber. Aber die Konventionen mussten eben gewahrt bleiben. Für Charles handelte es sich bei der Vorstellung um ein Ritual, das er gleichmütig über sich ergehen ließ.

Ihm lagen alle relevanten Daten abrufbereit vor, von daher kannte er die gesamte Crew bis ins letzte Detail. Die NSA ermittelte jede winzige, noch so unwichtige Kleinigkeit über alle ihre Mitarbeiter, und vermerkte sie in ihren digitalen Akten.

Sie meisterten es, den gläsernen Menschen zu schaffen, kannten sämtliche Vorlieben, Gesundheitsdaten, Charaktereigenschaften, sogar das Genom und trivialerweise die Fingerabdrücke von 99 Prozent aller registrierter Erdbewohner.

Jetzt freute sich Charles darauf, endlich mehr über den sozialen Umgang mit anderen Menschen zu lernen, abseits theoretischer Daten, und der einzigen Person, mit der er im Alltag zusammenarbeitete; Ant.

Als sich alle im Halbkreis um den Major und Charles aufgestellt hatten, ergriff der Missionsleiter, Colonel Allen Hall, das Wort:

„Gute Arbeit, Bob. Wie ich sehe, haben sie den neuen Bordingenieur unversehrt zu uns verfrachtet. Wie war der Flug?“

Major Eaton schüttelte Colonel Halls Hand:

„Problemlos. Wie fast immer, Allen. Darf ich vorstellen, unsere neue Wundermaschine, Charles.“

Colonel Hall reichte Charles ebenfalls die Hand, während die anderen Crewmitglieder sich weiterhin etwas zurückhielten:

„Charles also? Herzlich willkommen. Wie geht es ihnen?“

Die Worte kamen etwas gestelzt heraus. Als spräche Allen mit einem Ausländer.

Diese einfältige Art, sofort in eine vermeintlich einfachere Ausdrucksweise zu verfallen, wenn man einem Ausländer oder etwas Unbekanntem gegenüberstand, amüsierte Charles. Er lächelte nur darüber:

„Ich fühle mich hervorragend, Colonel Hall. Wie jeden Tag. Außer wenn jemand meinen Schalter von Normalbetrieb auf Böse umgestellt hat.“

Allen Hall sah ihn etwas verunsichert an. Er hielt nach wie vor Charles Hand fest:

„Wie …, auf Böse?“

Jetzt grinste Charles breit:

„Na, sie wissen schon …, auf Böse …, dann muß ich herumlaufen wie ein Roboter, und ständig Wörter wie, umbringen, zerstören, vernichten, ausradieren, vor mich hinbrabbeln …, so eben.“

Um seine Erklärung zu untermauern, vollführte er steife, marionettenhafte Roboterbewegungen.

Augenblicklich herrschte absolute Stille. Man hätte eine Grille zirpen hören können, wenn es hinter dem Mond eine gäbe. Alle starrten Charles eine kurze Weile wort- und mimiklos an. Dann brach Colonel Hall in schallendes Gelächter aus, und klopfte ihm auf die Schulter:

„Sie sind mir Einer. Kommt hierher, und das Erste, was er macht, ist mich zu verarschen. Respekt. Darf ich sie Charly rufen?“

„Natürlich. Wenn ich sie Allen nennen darf.“

„Ok, abgemacht, Charly, ich bin Allen. Allen Hall. Wie ist eigentlich ihr Nachname?“

Charles überlegte kurz:

„Bisher hatte ich keinen Nachnamen nötig. Was halten sie von A.I.L.?

Ail. Von Artificial. Intelligent. Lifeform.“

Zustimmendes Gemurmel allerseits. Allen nickte:

„Na gut, dann eben Charly Ail. Warum nicht? Und jetzt Charly, stelle ich ihnen die anderen Kollegen vor. Unseren Piloten, Major Bob Eaton, kennen sie ja schon. Dann haben wir da noch die Exo-Biologin, Dr. Lory Zappo.“

Lory trat vor, und reichte Charles vorsichtig die Hand. Er spürte die Verunsicherung an ihrem Händedruck:

„Hallo, Dr. Zappo, freut mich.“

„Äh, ja …, nennen sie mich ruhig auch Lory. Alle Anderen handhaben das auch so. Also wieso nicht auch sie, Charly?“

„Soll mir Recht sein, Lory.“

Allen fuhr fort:

„Dann haben wir da noch unsere medizinische Abteilung, Dr. Sue Fox.“

Sue lächelte, und verhielt sich nicht zurückhaltend, wie Lory.

Für sie gab es kein Eis, das zuerst gebrochen werden musste.

Ihr Händedruck fiel entsprechend kräftiger und fester aus. Sie lispelte ein wenig, was sich irgendwie putzig anhörte:

„Nennen sie mich Sue.“

„Ok, Sue, sagen sie bitte auch Charly zu mir.“

„Dann haben wir da noch unseren Funkspezialisten, Lieutenant Ken Thorn.“

Ken trat vor, und drückte Charles ebenfalls die Hand:

„Ken. Willkommen auch von meiner Seite, Charly.“

Charles lächelte ihn wortlos an, bis Allen zum letzten Crewmitglied kam:

„Last but not least, unsere erste Bordingenieurin, Lieutenant Sarah Bloom. Nun kennen sie das gesamte Team.“

Sarah blieb vorzugsweise etwas auf Abstand. Sie winkte nur schüchtern, aus ein paar Metern Entfernung.

Durch das Verhalten der Gruppe fühlte sie sich unwohl dabei, als Einzige darauf zu bestehen, mit dem Nachnamen angesprochen zu werden:

„Ok, wenn sie wollen, können sie mich auch beim Vornamen ansprechen. Nennen sie mich Sarah.“

Charles schmunzelte sie, sowie wie alle Anderen zuvor an, und verbeugte sich kurz:

„Freut mich, Sarah. Haben sie keine Angst, ich beiße nicht. Sie können mich natürlich auch Charly nennen.“

Allen hatte vor, gleich noch eine Erklärung zur Mission abzugeben. Eine seiner Aufgaben als leitender Offizier:

„Also Leute, nun haben wir uns bekannt gemacht. Charly wird als zweiter Ingenieur fungieren. Während wir, auf der Reise, unser Nickerchen halten, werden er und der Computer dafür sorgen, dass alles am Laufen bleibt.

Wenn wir dann unser Ziel erreichen, ist Charly für die Gewinnung und Lagerung des Hunt-Fluids zuständig. Dann lasst uns mal anfangen.

Zeigen wir Charly doch zuerst unser stolzes Schiff.“

Charles hatte sämtliche Reaktionen der Crewmitglieder mit seinen feinen Sensoren registriert. Jegliche kleine Veränderung des Blutkreislaufes, der Temperatur oder der Iris seiner Kollegen, nahm er wahr und ordnete sie entsprechend ein. Wie ein mobiler Lügendetektor.

Allen Hall hatte offensichtlich das Sagen an Bord. Alle anderen hörten auf ihn. Bei ihm hatte Charles das Gefühl, dass der Colonel vorhatte, die vorhandene Distanz zu ihm abzubauen, um sich in die Lage zu versetzen, ihn besser einzuschätzen. Er hielt sich dabei aber sämtliche Optionen offen. Bei Allen handelte es sich um einen durchtrainierten, großen Kerl, einen Afroamerikaner, mit mehr Haaren am Körper, als auf dem Kopf.

Der Pilot, Major Bob Eaton, schien routiniert zu sein. Seinem Verhalten nach zu urteilen, traute er Charles nicht zu, sämtliche ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen.

Ein Chauvinist, der an die Überlegenheit seiner Rasse glaubte.

Außerdem plante er, den Kontakt zu Charles möglichst gering zu halten.

Ihn nur als durchtrainiert zu bezeichnen, wäre maßlos untertrieben.

Vermutlich schluckte er Steroide, um seine beachtliche Muskelmasse aufzubauen.

Das stellte offenbar den Grund für sein unterdrückt feindseliges Verhalten dar. Ein weiterer Fitnesswahnsinniger, der außer Sport und Arbeit nichts kannte. Er gehörte zu diesen Menschen, die nur prophylaktisch lebten, um danach gesund sterben zu können. Selbst seine letzten, schütteren, blonden Haare, fingen unter dem Druck der künstlich zugeführten Hormone an, sich zu verdünnisieren.

Dr. Lory Zappo hingegen, verhielt sich angstvoll distanziert. Hier musste Charles unbedingt Vertrauen aufbauen. Wer Exobiologie studiert hat, kam wahrscheinlich nicht oft vor die Tür. Eine schüchterne, kleine Person. Etwas fipsiger als der Durchschnitt, ein kleinwenig mollig, kastanienbraune Haare, die herrlich im Lampenlicht glänzten.

Bei der Ärztin, Dr. Sue Fox, hatte Charles keine Bedenken.

Sie verfügte über ein offenes Wesen, verhielt sich aufgeschlossen und vorwitzig ihm gegenüber. Sie wies in etwa dieselbe Größe auf wie er selbst. Überdurchschnittlich für eine Frau. Auffällig schlank, mit endlos langgestreckten Beinen und ellenlangem, blondem Haar. Ohne die Stelle bei der ASF hätte sie sicher einen Job als Modell gefunden.

Obwohl, mit ihren 33 Lenzen gälte sie in der Modebranche zweifelsfrei als Oma. Dort sind eher 19-Jährige gefragt. Charles interessierte sich insbesondere für sie, aber damit stand er fraglos nicht allein da.

Der Funkspezialist, Lieutenant Ken Thorn, ein Navi-Seal-Typ, mit kurzgeschorenem, rotem Haar und sehnigem, tüchtig trainiertem Körperbau und einer Größe von 1,85 Metern, hinterließ einen jugendlichen Eindruck. Bei ihm stellte Charles keine großartigen Reaktionen auf sein Erscheinen fest. Hier wusste er bisher nicht, ihn angemessen einzuschätzen. Aus seinem theoretischen Datenschatz abgeleitet, vermochte er sich vorzustellen, dass Ken sich ebenfalls distanziert verhielte, obwohl er es sich nicht hatte anmerken lassen. Bei ihm stellte er nicht das kleinste Bisschen Angst fest, aber ebenso keinerlei Zuneigung, Neugier, Vertrauen oder andere positiven Gefühle.

Ein schwieriger Fall.

Bei der Bordingenieurin, Sarah Bloom, war er sich dagegen eindeutig gewahr, dass sie heillosen Respekt vor ihm hegte.

Vermutlich befiel sie eine gewisse Unsicherheit darüber, ob sie Charles als Konkurrenten um ihren Job, als todbringenden Roboter, oder als normales Crewmitglied zu betrachten hatte.

Hier sah Charles keinen anderen Weg, als einfühlsam zu agieren, um die kleine, sensible, dunkelhaarige Frau, auf seine Seite zu bringen.

Sie verließen alle zusammen den Hangar. Das Tor schloss sich hermetisch, auf Knopfdruck, hinter ihnen. Die künstliche Schwerkraft, schaltete sich im Hangar automatisch wieder ab, da sich dort keine Person mehr aufhielt.

Die Automatik prüfte rund um die Uhr, wo sich jedes einzelne Crewmitglied aufhielt, schaltete dort partiell die Schwerkraft zu und beim Verlassen des Raumes wieder ab. Deshalb gab es die Vorschrift, nichts lose herumliegen zu lassen, da die losen Gegenstände in der Schwerelosigkeit dazu neigten, ein Eigenleben zu entwickeln.

Insbesondere wenn die Silver Star beschleunigte, einen Kurswechsel vornahm oder abbremste.

Durch die losen Teile bestand die Möglichkeit von Schäden an der Einrichtung oder am Raumschiff.

Die einzigen Bereiche, wo die Crew keine Schwerkraft benötigte, lagen in den Lagerhallen und den mit Leitern ausgestatteten Verbindungsröhren.

Es lag auf der Hand, dass sich das Frachtgut in schwerelosem Zustand mühelos bewegen ließ. Genauso wie es der Mannschaft leichter fiel, eine Leiter in der Schwerelosigkeit nach oben oder unten zu steigen. Immerhin gab es in der Silver Star sechs Ebenen. Die Führung dauerte eine Weile.

Charles fiel auf, dass die Konstrukteure nirgendwo Fenster verbaut hatten.

Erst als sie die Brücke des Raumschiffes erreichten, vermochte Charles den herrlichen Ausblick ins All zu genießen. Nur dort setzten die Entwickler extrem stabile Fenster ein, bestehend aus diesem im NIT entwickelten, transparenten Kunststoff.

Alle anderen Außenbereiche des Schiffes, alle Seitenluken und das Heck mit den Triebwerken, waren für die Crew nur über Außenkameras auf ihren Computerbildschirmen einsehbar.

Im gesamten Raumschiff verteilt, gab es diese modernen Molekular-Stabilisierer, die Luftatome zu Bildschirmen oder Tastaturen verdichteten.

Der Quantencomputer, der alle Schiffssysteme steuerte, wies in etwa die Größe von Charles Torso auf. Es schien sich um ein älteres Vorgängermodell zu handeln. Charles war unzweifelhaft moderner ausgerüstet. Bei ihm fand der Quantenrechner im Kopf platz.

Im Schiff gab es einen Schlaf- und Freizeitbereich mit Küche, einen Fitnessraum, einen Gemeinschaftsraum und einzeln verschließbare Schlafkojen. Dieser Teil des Schiffes sollte nur während der Wach- und Arbeitsphasen der Mission genutzt werden.

Die meiste Zeit hatte die Crew aber in der Medizinsektion zu verbringen. Dort steckten die Schlafkapseln.

Diese Schlafhülsen dienten dazu, die Crew in einen komatösen Schlaf, mit nur sehr eingeschränktem Metabolismus, zu versetzen. Mit derart heruntergefahrenem Stoffwechsel schaffte es die Mannschaft, die lange Reise zu überstehen, ohne großartig Ressourcen zu verschwenden.

Natürlich gab es trotzdem Notrationen, die bei einem Unglücksfall zur Verfügung standen. Diese Notfallversorgung bemaß die ASF aber nicht für die gesamte Mannschaft in ausreichender Menge. Zumindest nicht für die Rückreise, da der vorhandene Lagerraum zur Einlagerung des begehrten Frachtguts vorgesehen war. Die Planung sah vor, dass die bei der Hinreise zuviel mitgeführten Notvorräte, beim Erfolg der Mission, umstandslos auf Europa zurückgelassen werden. Die ASF vermochte dann hocherhobenen Hauptes zu verkünden, als Allererste den Mond Europa vermüllt zu haben.

Bei einem notfallbedingten Abbruch der Mission hingegen, der eine wache Crew und eine Umkehr erforderte, war es möglich, die gesamte Mannschaft mit den Notvorräten zu versorgen. Das galt aber, wie gesagt, nur für den Hinflug und eine dabei nötige Notfallrückkehr.

Für alle sechs Crewmitglieder befand sich jeweils eine Schlafkapsel an Bord. Nur für Charles nicht. Er verbrauchte weder Sauerstoff noch Wasser oder Nahrung. Dazu auserkoren, zusammen mit dem Quantencomputer, alles zu überwachen und notfalls einzugreifen, stand ihm eine langweilige Reise bevor.

Deshalb hatte er vor, die Wachzeiten der Crew auszunutzen, um seine Sozialkompetenzen zu erweitern.

Die gesamte Schiffsführung hindurch, beobachteten die anderen Charles mit Argusaugen.

Es musste faszinierend für alle Anwesenden sein, wie fließend er sich bewegte, wie er reagierte, wie er seine Mimik benutzte, um dem gesprochenen Wort mehr Bedeutung zu verleihen.

Zum Schluss der Führung, zeigte ihm die erste Ingenieurin, Sarah Bloom, voller Stolz den neuen Ionenantrieb. Der frisch entwickelte, leistungsstarke Reaktor, trieb durch den extrem gebündelten Ionenausstoß, die Silver Star auf eine beachtliche Geschwindigkeit.

Ein alter Hut für Charles. Er wusste über jedes technische Detail dieses Schiffes Bescheid, ließ es sich aber nicht anmerken, nickte brav und stellte einige unnötige Fragen.

Sarah gefiel das Interesse, dass Charly zeigte. Sie blühte förmlich auf in ihrem Erklärungsorgasmus, und bei der gezeigten Neugier. Charles Intention, dadurch einiges an Vertrauen gutzumachen, bei der kleinen, scheuen Kollegin, bestätigte sich.

Als Sarah am Ende ihres Redeflusses ankam, alle Bordsysteme und den Antrieb erklärt hatte, strebten alle zusammen in den Bereich der Brücke, um die Startvorkehrungen zu treffen.

Im Leitstand, der sich strikt in die einzelnen Arbeitsbereiche aufgeteilt präsentierte, besaß jeder seinen, für diese Mission installierten Platz, vor einem für den jeweiligen Arbeitsplatz ausgerichteten Computerzugang. Nur Charles hatte zur Zeit keinerlei Aufgaben, saß sozusagen nur auf der Ersatzbank. Das spielte für ihn keine Rolle. Von seinem Platz aus, besaß er die Möglichkeit, das geschäftige Treiben der Kollegen mühelos zu beobachten. Alles lief ab, wie in einer geschmierten Maschine. Jedes Zahnrädchen griff ins nächste, sie checkten alle Systeme doppelt und dreifach, bevor sie die Startfreigabe anforderten. Dr. Fox überprüfte die Vitalsysteme. Die standen ebenfalls alle auf Go. Obwohl ihr von Charles keine Vitaldaten vorlagen, lächelte sie ihm zu und zeigte ihm, mit nach oben gestrecktem Daumen an, dass alles in Ordnung sei.

Ant leistete bei Charles Programmierung, und späteren Optimierung, vorzügliche Arbeit.

Der Android nahm sämtliche Hinweise, die Dr. Sue Fox im Bezug auf ihn ausstrahlte, mit seinen Sensoren sowie dem optischen System wahr, und berechnete sie in Echtzeit. Dabei überkam ihn ein wohliges Gefühl der Zuneigung.

Gewogenheit spürte er bisher nur bei seinem Schöpfer, Ant. Die beiden Arten von Zuneigung fühlten sich jedoch unterschiedlich an. Er plante ein, das später weiter zu eruieren und zu analysieren.

In diesem Moment erachtete er es für wichtiger, sämtliche Abläufe des Startvorganges zu verfolgen und abzuspeichern.

Alle Systeme standen auf Go. Lieutenant Ken Thorn funkte die Mondstation an, und wartete auf die Freigabe des Starts. Als das OK kam, zündete Major Bob Eaton die Triebwerke. Im Raumschiff war nur ein leises Brummen zu vernehmen.

Die Ionentriebwerke beschleunigten die Silver Star langsam aber stetig.

Charles fühlte den anhaltenden Druck, den die Beschleunigung auf seine Sensoren ausübte. Die Triebwerke, schoben die Silver Star unablässig auf eine immer höhere Geschwindigkeit. Ein Ende der Beschleunigung, und des damit verbundenen Druckgefühls, war folglich in nächster Zeit nicht abzusehen.

Die Besatzung fühlte sich dadurch kein Fünkchen gestört. Ihre Körper gewöhnten sich innerhalb der ersten Stunden an dieses Gefühl, stellten sich darauf ein. Charles computergesteuerter Gleichgewichtssinn hingegen, musste durch einen angepassten Algorithmus auf die neuen Bedingungen einjustiert werden. Was aber überhaupt kein Problem für seinen internen Quantenrechner darstellte.

Die Problembewältigung lief im Bruchteil einer Sekunde ab. Die ihm eigene Konstruktion verhalf ihm eben dazu, ein überlegenes Wesen zu sein. Die Anderen saßen die folgenden Stunden auf ihren Plätzen, und verfolgten alle Systemabläufe auf ihren Bildschirmen.

Bei frühen NASA-Missionen handelte es sich, bei den Computerbildschirmen und Tastaturen, um fest eingebaute Hardware, und die Astronauten schwebten in der Schwerelosigkeit um sie herum. Jetzt saßen die Crewmitglieder der ASF fest auf ihren Sesseln, gehalten von der künstlichen Schwerkraft, während die Computerbildschirme und Tastaturen vor ihnen herum schwebten. Die Technik entwickelte sich, in der dazwischenliegenden Zeit, rasant um Einiges weiter. Und mit Ants Hilfe waren dieser progressiven Entwicklung keine Grenzen gesetzt.

Als feststand, dass alle Systeme fehlerfrei liefen, sie den programmierten Kurs, und das dafür vorgesehene Zeitfenster einhielten, kam die Zeit für die Crew, sich schlafenzulegen.

Charles überkam ein ungutes Gefühl. Er benötigte keinen Ruhezustand und eine Abschaltung kam für ihn nicht infrage. Den Gedanken, für ein Jahr völlig allein, ohne Ansprechpartner, durch das All zu rasen, hielt er überhaupt nicht für sonderlich spaßig. Logisch besaß er die Möglichkeit, sich in dieser Zeit mit dem Computer zu befassen. Aber selbst das vermochte mit der Zeit langweilig zu werden. Die Planung sah eben mal diesen Ablauf vor, und er hatte sich zu fügen.

Dr. Sue Fox überwachte die Einleitung der Ruhephase.

Alle hatten sich in ihre hautengen Silikonhäute gequetscht, die ihre Haut vor dem Aufweichen schützten, wenn sie ein langes Jahr, in einem zähflüssigen, geleeähnlichen Fluid verbrachten. Nachdem das Geleefluid ihre Schlafkapseln flutete, kühlte eine Gefriereinheit es herunter, und reduzierte, in Zusammenarbeit mit einigen Drogen, die Körperfunktionen der Crew auf ein Minimum.

Die Sauerstoffversorgung lief über Gesichtsmasken, die wenigen nötigen Nährstoffe, verabreichte die Kapsel automatisch intravenös, und zeichnete alle Vitalzeichen über entsprechende Elektroden auf.

Dr. Fox schloss alle Anderen in ihren Kapseln an, verabschiedete sich bis zum nächsten Jahr, und legte sich dann ebenfalls in ihren Behälter.

Charles half ihr dabei, verpasste ihr den intravenösen Zugang, und setzte ihr die Maske ordentlich aufs Gesicht. In ihrem hautengen Silikonüberzug sah sie aus wie ein blondes Schneewittchen, das nackt in ihrem gläsernen Sarg lag.

Als Charles ihr half, zeigte sie mit einem dankbaren Lächeln, und einem zart auf die Wange gehauchten Kuss ihre Erkenntlichkeit.

Dann drückte sie selbst den außen, an ihrer Kapsel angebrachten Knopf, für die Betätigung des Schließmechanismus. Während die Verriegelung der Glasabdeckung zuschnappte, winkte sie Charles nochmal zu.

Dann setzte sie ihre Schutzbrille auf, schloss sie ihre Augen, und die Automatik flutete ihren Liegeplatz mit dem Geleefluid.

Charles fühlte sich bereits in diesem Moment alleingelassen, einsam und gelangweilt.

Die Flugroute führte nicht mal am Mars vorbei. Ein Highlight, auf das er leider verzichten musste. Die Marsumlaufbahn stimmte eben nicht mit dem eingegebenen Kurs überein, und zu einem Umweg erklärte sich die ASF nicht bereit. Auf jeden Fall nicht, um das einzige, wache Crewmitglied, bei Laune zu halten. Noch dazu einen Androiden.

Die meiste Zeit verbrachte Charles entweder im Schlaflabor, um die Vitalzeichen seiner Kollegen zu überwachen, oder vor dem Computer.

Computerspiele bereiteten ihm schon lange keinen Spaß mehr, da er immer gewann. Seinem Intellekt und seiner Reaktionsschnelligkeit, hatte kein Computerspiel etwas entgegenzusetzen. An sportlicher Betätigung besaß er kein Interesse. Es war schlicht unnötig für ihn, sich fit zu halten. Sein Körper fiel nicht dem Verfall anheim, selbst wenn er sich nicht bewegte. Durch das Internet verfolgte er, wie sich das tödliche Japiá-Virus auf der Erde verbreitete. Eigene Eingaben ins World Wide Web, das Knüpfen von Kontakten, oder einen Meinungsaustausch über soziale Medien, ließ die ASF nicht zu. Er hatte folglich keinerlei Chance, eine Nachricht zu versenden. Aber die reine Betrachtung des Netzwerks, blieb freigeschaltet.

Durch den ständig größer werdenden Abstand zur Erde verzögerte sich der Empfang freilich immer mehr. Bis der Internetzugriff dann plötzlich völlig abbrach. An der Empfangstechnik lag es sicher nicht. Die lief fehlerfrei. Entweder geriet die Lage auf der Erde außer Kontrolle und das Internet brach zusammen, oder die NSA hatte es abgeschaltet.

Ab diesem Zeitpunkt empfing Charles nur noch ein internes Datennetz der NSA, das World-Stream-Net.

Hier sprach keiner mehr von einem Virus oder Ähnlichem.

Charles wusste, dass ab jetzt keinerlei unautorisierte Nachrichten mehr über den Computer zu empfangen waren. Dafür hatte er nur Sarkasmus übrig. „Schöne neue Welt“, murmelte er.

Aber er hoffte darauf, dass sein Vater, sein Schöpfer, etwas dagegen unternähme.

Ab jetzt herrschte nur noch Langeweile. Draußen, immer die gleichen Sterne. Er sah sich schnell satt daran.

Innen, schallten Ants alte Lieblingslieder von `Rich Hopkins and the Luminarios´ durch das Raumschiff.

Charles fand Ants alte Leidenschaft für diese Art von Gitarrenmusik, den Desert-Rock ansprechend und übernahm sie von ihm. Als sie früher auf der Erde zusammenarbeiteten, dröhnten öfters diese Songs durchs Labor. Sie erinnerten ihn gleichsam an seinen Schöpfer.

In der Medizinabteilung sah er immer nur die gleichen Linien auf den Überwachungsmonitoren, verfolgte die Lebenszeichen seiner Kollegen.

Tag ein, Tag aus, ständig das Gleiche. Als einzige Abwechslung gab es die routinemäßigen Funkmeldungen, die er an die Mondbasis absandte.

Statusmeldungen mit stets gleichem Inhalt. Ein direkter Dialog, wurde durch die große Entfernung und die dadurch eingetretenen Zeitverzögerung zunehmend unmöglich.

Selbst wenn er versuchte, dem jeweils zuständigen Funkoffizier ein Gespräch aufzudrängen, dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis er eine Antwort erhielt.

Die in Lichtgeschwindigkeit versandten Funksignale brauchten schlicht zu lange, um ein normales Gespräch zu führen.

Wie stellte sich die ASF das vor? Letztendlich handelte es sich bei ihm um ein vernunftbegabtes, empfindungsfähiges Wesen. Wie zur Hölle sollte er diese Einsamkeit aushalten?

Glücklicherweise bekam er diverse Algorithmen einprogrammiert, die ihn vor dem Verrücktwerden bewahrten. Aber was ist schon verrückt?

Wäre es übergeschnappt, wenn er Dr. Fox, wegen eines simulierten Notfalles, für den Rest der Hinreise aufweckte? Genügend Notfallvorräte für ihre Bedürfnisse stünden im Lagerraum zur Nutzung bereit. Das linderte doch zweifellos seinen Leidensdruck, oder? Er hatte sie gern. Dann stünde ihm jemand zur Verfügung, um sich zu unterhalten, Eine, die ihm gewogen war und ihn respektierte. Konnte das falsch sein?

Das Computergehirn wägte das Für und Wider blitzschnell ab. Es hielt sich die Waage.

Da Ant ihn nicht als egoistisches Individuum programmierte, entschied er, Sues Interessen zu wahren und nicht nur an sich zu denken. Ein plötzliches, schnelles Aufwachen vermochte hart zu werden, und barg Risiken. Er entschied sich für die Langeweile.

Ätzend. Tagelang saß er nur im Cockpit, sah zu wie der Bordcomputer sämtliche Schiffsdaten kontrollierte, und den vorgeplanten Kurs strikt einhielt. Eine Zeit lang starrte er, von der Brücke aus, auf die Sterne. Mittels seiner optischen Sensoren, besaß er die Möglichkeit, das Endziel der Reise, den Jupiter und den Mond Europa, derart weit heranzuzoomen, dass er fast dachte, sie erreichten dieses Ziel innerhalb der nächsten Tage. Er wusste logischerweise, dass es sich dabei um einen Trugschluss handelte.

Später streifte er durchs gesamte Schiff. Betrachtete jedes Bordsystem, nahm sogar eine Menge Verbesserungen vor.

Danach wies die Silver Star ein optimiertes Luftreinigungssystem, einige zusätzliche Bypassleitungen mit Überspannungssicherungen in der Elektrik, und eine sparsamere Energieverteilungssteuerung auf. Damit verbrachte er Monate.

Bei seinen Routinefunksprüchen handelte es sich nur noch um Monologe. Da bei störungsfreiem Ablauf des Fluges keinerlei Antwort anfiel, erhielt er eben keine. Vermutlich hatte schlicht niemand Lust, sich mit einer superschlauen Maschine zu unterhalten. Es gab nichts mehr zu erledigen für Charles. Die immer gleich piepsenden Vitalmonitore seiner schlafenden Kollegen, und das leise Brummen des Ionenantriebes, mehr Geräusche gab es nicht zu hören, außer wenn er die Rockmusik aufdrehte oder wenn Charles selbst Laute fabrizierte.

Anfangs bereitete es ihm einen Heidenspaß, in den Schwerelosabteilungen, wie den Lagerräumen, durch die Gegend zu schweben. Genauso liebte er es, sich von den Wänden abzustoßen, und die ebenfalls von der Schwerkraft ausgenommenen Leiterschächte, wie ein Irrer, mit vollem Tempo, hinauf und hinab zu rasen. Nach einiger Zeit überkam ihn hierbei aber ebenfalls die Langeweile.

Als fünf Monate, dreizehn Tage, zwölf Stunden, sieben Minuten und achtundvierzig Sekunden, gerechnet vom Start der Silver Star an vergangen waren, hörte Charles auf, ins All zu starren.

Er manipulierte die Überwachungsanlage, erhob sich vom Pilotensitz, marschierte zielstrebig durch die Freizeitabteilung in den Medizinbereich, stellte sich hinter die Schlafkapsel von Dr. Sue Fox, und zog den Stecker des Lebenszeichenmonitors ab.

Sofort ertönte ein Warnsignal, ein nervig trötendes Hupgeräusch, das sich alle zwei Sekunden wiederholte.

Der Bordcomputer aktivierte ebenfalls eine Frauenstimme, die an die Stimme aus einem Navigationsgerät erinnerte. Während sich in der Kapsel das Gelee aufheizte, wiederholte der Computer ständig die gleiche Ansage:

„Achtung, Lebensgefahr! In Schlafkapsel 4 sind keinerlei Lebenszeichen mehr festzustellen! Leite Notfallprotokoll ein!“

Charles stand nur daneben und beobachtete, wie perfekt der Bordcomputer den Notfallplan umsetzte. Er freute sich, dass die Langeweile jetzt ein Ende nahm. Zunächst heizte sich das kühle Gelee immer weiter auf, um Sues Körper zu erwärmen.

Als das Fluidum danach abgesaugt wurde, öffnete sich die Glasabdeckung des Behälters. Darin lag die nach wie vor schlafende Sue. Durch den intravenösen Zugang führte ihr die Kapsel automatisch Adrenalin zu.

Gleichzeitig erhielt Sue leichte elektrische Schläge, über die im Brustbereich aufgeklebten Elektrodenpads. Sie wachte auf. Zack ..., ein weiterer kleiner Elektroschock.

„Au …, verdammte Scheiße! Was ist …, wo sind …, was ist passiert?“

Sie riss sich die Elektroden von der Brust, um nicht noch einen Schlag zu erhalten, und schaute sich verwirrt um. Dann sah sie Charles am Kopfende stehen.

Er trat vor, und entfernte den intravenösen Zugang aus Sues Arm. Sie ließ ihn machen, fragte nochmals:

„Was ist denn passiert, Charly? Wieso werde ich als Einzige geweckt?

Sind wir schon da? Gibt es einen Notfall?“

Er log schlicht und einfach. Weshalb sollte eine Maschine nicht in der Lage sein zu lügen? Im Endeffekt war Charles von Menschenhand entwickelt und programmiert worden:

„Nein, nein, der einzige Notfall sind sie, Sue. Sie haben mir einen Wahnsinnsschrecken eingejagt, mit ihrem Notfallalarm.

Als der Computer mich alarmierte, und ich auf die Krankenstation rannte, zeigte ihr Vitalzeichenmonitor keinerlei Lebenszeichen an. Der Computer aktivierte daraufhin das Notfallprotokoll, und weckte sie auf diese unsanfte Weise auf. Aber wie ich sehe, geht es ihnen glücklicherweise gut.“

Sue wollte aufstehen. Ihre Muskeln gehorchten aber noch nicht. Immerhin lag sie seit über fünf Monaten im Kälteschlaf. Sie stützte sich mit einem Ellenbogen am Rand ihrer Kapsel auf, um die Beine herauszuheben. Dabei rutschte sie mit dem Arm ab, und fiel seitlich aus der Kapsel.

Mit einer blitzschnellen Bewegung fing Charles ihren Sturz ab, und hielt sie fest in beiden Händen.

Durch die Geleereste auf ihrer Silikonhaut, fühlte sie sich glitschig an, wie ein Neugeborenes. Es bereitete ihm Mühe sie festzuhalten, er schaffte es aber.

Sue war weiterhin nicht in der Lage sich einwandfrei zu bewegen. Sie lächelte Charles dankbar an:

„Wow, was für eine Reaktion. Danke Charly. Ich kann mich immer noch nicht richtig bewegen. Können sie mich zur Dusche bringen?“

Charles strahlte zufrieden. Ein Mensch, eine echte Person, die mit ihm kommunizierte. Das fühlte sich gleich erheblich besser an:

„Aber natürlich, Sue. Ich helfe ihnen, wo immer ich kann. Kein Problem.“

Er trug sie zur Dusche, und stellte sie ab, wie eine Schaufensterpuppe.

Sue lehnte sich gegen die Wand der Duschkabine und krümmte ihren Körper:

„Mein …, mein Kreislauf …, ich glaube, mir wird schlecht!“

Ihre Blutzirkulation stand kurz vor dem Kollaps. Alles drehte sich, und sie musste sich erstmal übergeben. Obwohl sie seit Monaten nichts mehr gegessen hatte, würgte sie Schleim und Galle hervor. Dabei vermochte sie sich vor Schwäche nicht mehr auf den Beinen zu halten, und rutschte langsam an der Wand entlang hinunter, bis sie die Sitzposition erreichte.

Charles packte ihre Füße, zog Sue von der Wand weg, bis sie rücklings auf dem Boden lag, und hob ihre langen Beine an.

„Das ist ein kleiner Kreislaufkollaps, Sue. Sie sind wohl zu schnell geweckt worden und zu hastig aufgestanden. Es müßte gleich besser werden.“

Er kniete sich hin, und legte ihre Fersen auf seinen Schultern ab. Dann streifte er das überschüssige Blut, aus den Beinen, zurück in Sues Körper. Ihre blasse Gesichtsfarbe veränderte sich nach einer Minute wieder ins Rosigere. Sie verspürte zwar weiterhin eine gewisse Benommenheit, aber ihr Zustand besserte sich schnell. Als sie Charles aus ihrer am Boden liegenden Position ansah, fing sie an zu grinsen:

„Wenn die Anderen uns jetzt, in dieser Stellung sehen könnten, wer weiß, was sie dächten?“

Charles lächelte bei seiner Antwort:

„Ja …, sieht schon etwas anrüchig aus. Ich glaube ich weiß, was die Anderen sich zusammenreimen würden. Sie dächten, oh Gott, Sue hatte einen Kreislaufkollaps, und Charly hilft ihr, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.“

Sue lachte:

„Klar, was sollten sie denn sonst denken. Du bist ein Android, Charly.

Was könnte da schon passieren?“

Charles wirkte zunächst etwas überrascht, womöglich täuschte er das aber nur vor:

„Wieso? Mein Schöpfer hat mich als intelligentes und empfindungsfähiges Lebewesen konzipiert. Dabei stattete er mich mit sämtlichen Funktionen aus, die ein männliches Exemplar der Gattung Mensch aufweist. Natürlich weiß ich auch, was Sex ist.

Zwar nur aus dem Internet, aber dort ist die Auswahl enorm groß. Ich kenne also alle Facetten.“

Das erfüllte die Ärztin mit Neugier:

„Das ist ja kaum zu glauben. Zeigen sie her.“

Ant hatte Charles sämtliche bekannten Gefühle einprogrammiert, aber das Schamgefühl vergaß er wohl. Er legte Sues Beine sanft ab, und sie richtete sich interessiert auf, zurück in die Sitzposition. Dann ließ Charles die Hosen herunter:

„Sehen sie, Sue. Alles da. Da ist alles voll funktionsfähig. Ich habe es selbst ausprobiert. Es ist, als ob sich alle schönen Gefühle, südlich des Äquators aufstauten, bis ich es nicht mehr aushalten kann, und sie in einem Schwall meinen Körper verlassen.

Ein befriedigendes Gefühl, auch für mich. Ich bin sogar dergestalt konstruiert, dass ich meinen Penis, je nach Bedarf, in Größe und Durchmesser anpassen kann. Bei einer großgewachsenen Frau, wie ihnen, würde ich zunächst die Länge verändern.“

Sue hörte mit glühenden Ohren zu, und betrachtete Charles Unterleib ungläubig, für eine Weile, mit offenstehendem Mund, bevor sie ihre Augen abwandte und antwortete:

„Äh …,ok, ok …, so genau wollte ich das gar nicht wissen. Reine Neugier …, als Medizinerin …, sie wissen schon, Charly.“

Er nickte grinsend:

„Ja, ich weiß schon, Sue.“

Jetzt wandelte sich Sues Gesichtsfarbe über das Rosa hinaus, ins Knallrote. Sie wedelte mit der rechten Rückhand, um Charles zum Verschwinden zu bewegen.

„Ok …, vielen Dank für die Hilfe, und die interessanten Ausführungen, Charly. Sie können sich jetzt wieder anziehen. Ich ziehe mir diese Silikonhaut aus, und dusche erst einmal ausgiebig.“

„Na gut, bis später.“

Charles zog seine Hosen wieder hoch, blieb aber in der Nähe, um die Möglichkeit zu haben, auf weitere Kreislaufschwankungen Sues zu reagieren. Ob es sich dabei um die Sorge um Sue, oder nur um Charles schlechtes Gewissen handelte, was ihn dazu brachte, weiter auf sie zu achten, wusste er nicht? Verfügte er überhaupt über ein ethisches oder sittliches Bewusstsein?

Handelte es sich um eine logische oder eine gefühlsmäßige Entscheidung, Sue aufzuwecken? Er hatte viele verwirrende Daten zu verarbeiten. Alle nahmen immer an, dass Charles seine Entscheidungen, wie ein gefühlloser Computer, nach den Regeln der Logik fand. Da lagen sie aber gründlich falsch.

Wie bei jedem organischen, menschlichen Mann, half die gefühllose Logik nur bis zu einem gewissen Punkt weiter. In den seltenen Fällen, wo diese Linie überschritten wurde, übernahmen sogar bei ihm die Gefühle die Oberhand. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Emotionen einprogrammiert oder erlernt waren. Im Endeffekt ist ein menschliches Gehirn auch nur ein hochentwickelter, meist ungenutzter Rechner, dessen Gefühlsausbrüche hormongesteuert sind.

Der einzige Unterschied zu Charles bestand darin, dass ihm diese chemischen Cocktails nicht zur Verfügung standen. Er kalkulierte die Gefühle, je nach dem gegebenen Kontext, vorher durch, und rief sie digital gesteuert ab. Ein Algorithmus überprüfte die jeweilige Gefühlslage nochmals, um Falsch- oder Überreaktionen auszuschließen.

Ein funktionierendes, ausgeklügeltes System, welches ihm da zur Verfügung stand. Manche behaupteten später, dass diese Gefühle nicht echt seien, nur gespielt.

Für Charles fühlten sich diese Emotionen echt an, er kannte sie nicht anders. Und seien wir mal ehrlich, wissen wir immer, ob die Gefühle unseres Gegenübers echt oder vorgetäuscht sind?

Charles schloss heimlich den Stecker des Vitalmonitors wieder an, um seine Manipulation zu vertuschen.

Die Wiederaufbereitungsanlage saugte Sues Duschwasser ab, als sie den Duschvorgang beendete.

Charles wartete auf sie und vergewisserte sich, dass es Sue wieder besserging. Bevor sie die Dusche verließ, trollte er sich Richtung Brücke.

Sue kam einige Minuten später nach. Sie entledigte sich ihrer verschleimten Silikonhaut und legte ihre blaue Montur an. Charles empfing sie freudig, und zeigte ihr die leuchtenden Lichtpunkte, die direkt in der Flugbahn lagen. Er war in der Lage, ihr jeden einzelnen Punkt zu erklären, um welche Planeten, Sonnen oder Galaxien es sich handelte.

Beeindruckt von seiner Konstruktion, dem Wissen, den Bewegungsabläufen, der Mimik und den Gefühlen, die er ab und an zeigte, folgte Sue, fasziniert den Ausführungen. Wahrhaft ein idealer Mann.

Gebildeter, sportlicher, schneller, freundlicher und vermutlich ein wenig infantiler, als jeder andere Mann, den sie zuvor traf. Außerdem glänzte er mit weiteren Vorzügen.

Er wies keinen Mundgeruch auf, niemals. Er furzte nicht, sicher auch nicht im Bett. Er stank nicht wie ein alter Bock, selbst wenn er nicht duschte. Er schnarchte nicht die ganze, lange Nacht durch, um ihr den Schlaf zu rauben. Er brauchte nicht zu pinkeln, im Stehen, über den Toilettenrand hinaus und er stellte nie besoffen irgendeinen Unsinn an. Den anderen Vorzug, hatte sie bereits vorher in der Dusche begutachtet.

Sue entschied sich dafür, nicht wieder in diese kalte Schlafkapsel zurückzukehren. Vorräte standen in rauen Mengen zur Verfügung. Sie verbrachte haufenweise Zeit mit Gesprächen und Albereien. Sogar mit Humor wartete dieser Android auf. Mit der Zeit wurde ihr Charly immer vertrauter. Charles fühlte sich genauso hingezogen zu Sue. Er stellte das distanziertere Sie, auf das vertrautere Du um. Ein großer Schritt, für den höflichen Charles. Das ließ er bis dahin noch nie offiziell zu. Sogar bei Ant, seinem Konfident und Schöpfer, blieb er aus Respekt beim Sie.

Ant hatte ihn als über Dreißigjährigen konzipiert. Die Intention dabei war, dass er Leistungsfähigkeit und eine gewisse Erfahrung ausstrahlte. Charles sollte nicht dasselbe passieren wie ihm, als er mit seinem jugendlichen Aussehen Schwierigkeiten hatte, den Respekt der Anderen einzufordern.

Sue überprüfte ihre Schlafkapsel auf Fehlfunktionen. Charles hatte aber den Stecker des Vitalmonitors, noch während ihres Duschaufenthaltes wieder angesteckt. Deshalb vermochte Sue keinen Grund für den vorzeitigen Abbruch ihrer Schlafphase zu finden. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder lag ein Wackelkontakt vor, den sie nicht aufzuspüren vermochte, oder Charly hatte etwas damit zutun. Beides lieferte ihr einen Grund mehr, nicht in die Kapsel zurückzusteigen. Den Verdacht gegenüber Charly, behielt sie für sich.

Selbst wenn er dahintersteckte, erboste sie das nicht sonderlich. Wenn es de facto diesen Hintergrund hätte, was bedeutete das dann? Weshalb weckte er dann nur sie?

Ergo lag entweder ein Wackelkontakt vor, oder Charly interessierte sich dermaßen brennend für sie, dass er sie vorzeitig aufweckte. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie einzugestehen, dass sie sich in letzter Zeit nicht nur an ihn gewöhnte. Durch seine aufgeschlossene, freundliche, hilfsbereite und witzige Art, entwickelten sich leise Gefühle für ihren Charly. Einen weiteren Ausschlag, über simple Zuneigung hinaus, ergab sich ebenfalls aus seinen Kochkünsten. Was er alles aus diesem Astronauten-Fertigfraß zauberte. Kaum zu glauben.

Sie sprach mit ihm über Gott und die Welt, über ihre Lebensgeschichte, ihre Ängste und Sorgen, ihre früheren Partner.

Mit Charly konnte sie über alles reden. Ihm fiel immer eine schlaue, einfühlsame und manchmal humorvolle Antwort ein.

Die Drogen aus der Schlafkapsel, die nicht nur ihren Stoffwechsel wirksam verringert hatten, sondern ebenso ihren Hormonhaushalt unterdrückten, verloren nach einer Weile an Wirkung.

Sie verliebte sich etwas in ihren Charly, und ein gewisses Verlangen, nicht nur nach emotionaler, sondern ebenfalls körperlicher Nähe, entwickelte sich in ihr. Der Gedanke daran, Charly zu „entjungfern“, gewann immer mehr an Reiz für sie.

Als ihre Hormone überhandnahmen, warf sie sämtliche Bedenken über Bord, und verführte ihn.

Sie hatte eine ausgeprägte emotionale Bindung zu Charles aufgebaut und schon längere Zeit keinen Sex mehr genossen. Es fühlte sich alles echt an. Sie führte den unerfahrenen Charles, wie eine Spielführerin, durch ein Liebesspiel, wie sie es sich vorstellte, und sie kam zum Höhepunkt. Als sie sich befriedigt auf Charles warmen Oberkörper sinken ließ, hatte er lange nicht genug. Sein Körper, konstruiert, um niemals nachzulassen, in jeder Hinsicht Höchstleistungen zu vollbringen, hatte nach wie vor Einiges drauf. Deshalb übernahm er jetzt die Führung. Er zeigte der überraschten Sue, wo es langging, und bearbeitete sie mit allem, was er aufzubieten hatte.

Während des Aktes nutzte er alle verbauten Gimmicks, bis er sich letztlich optimal auf ihre Bedürfnisse einstellte.

Sue gab sich völlig hin, bis ein Multiorgasmus in ihrem Unterleib explodierte. Derartige Gefühle erlebte sie niemals zuvor. Charles hörte erst auf, als Sues Körper, nach ekstatischen Zuckungen, in Lethargie verfiel, sie schlicht und einfach nicht mehr konnte.

„Sag mir, wenn du weitermachen willst, wann immer du dazu bereit bist“, hauchte Charles ihr in das Ohr.

Sue kicherte nur ermattet, mit geschlossenen Augen, drehte sich auf die Seite und schlief sofort ein.

Charles gefiel diese erfüllende Erfahrung. Die körperliche Nähe, hatte schon etwas Außergewöhnliches an sich.

Es handelte sich nicht nur bloß um die Orgasmen, die ihm sein Sensorensystem verpasste, es fühlte sich nach mehr an, nach etwas Größerem als reiner körperlicher Befriedigung.

Diese intimen Gefühle der Nähe, der Zärtlichkeit, der Zuneigung, die dann trotzdem, obwohl freiwillig und erwartet, in einer Art gewaltsamen Akt des Eindringens mündeten. Das Gesamtpaket, befriedigte Charles gleichfalls in höchstem Maße. Er vermochte sich nicht vorzustellen, weshalb es morbide Gehirne gab, die anderen deswegen Gewalt antaten, sie demütigten, verachteten und vergewaltigten. Der wahre Horror findet täglich, tausendfach hinter verschlossenen Türen statt, dachte er. Er verdrängte diese Daten, und konzentrierte sich besser wieder auf die positiven Seiten der sexuellen Zweisamkeit.

Charles zumindest verliebte sich in Sue. Sie vertraute ihm und gab sich ihm völlig hin, was in ihm ein tiefes Gefühl der Bindung auslöste.

Süchtig nach ihr erfreute er sich an ihrem Anblick, an jedem gelispelten Wort, dass ihren wohlgeformten Mund verließ, an jeglichem Lächeln und Lachen, an jedweder ihrer Bewegungen, an ihrem anbetungswürdigen Körper, überhaupt an allem, was Sue betraf. Er legte sich zu ihr, und kuschelte sich solange an sie, bis sie wieder aufwachte.

Als sie ihn fragte, was er denn da, in sie hinein gespritzt hatte, klärte er sie darüber auf, dass es sich um eine hautverträgliche und lebensmittelechte, speziell für ihn entwickelte Emulsion handelte, die nach Vanille schmeckt.

Die restlichen Monate der Hinreise verliefen ausgesprochen harmonisch, und vergingen wie im Flug.

Einen Großteil der Reise verbrachten sie mit weiteren Zärtlichkeiten.

Wobei das Repertoire, das Charles offenbarte, scheinbar ins Unermessliche reichte.

Der größte Spaß bot sich ihnen in den Bereichen, wo permanent Schwerelosigkeit herrschte.

Im September 2022, Ant entdeckte zu dieser Zeit das Enzym gegen das Japiá-Virus, umflog die Silver Star den Asteroidengürtel. Trotz der unbedenklichen Flugbahn ertönte plötzlich der Asteroidenalarm im gesamten Raumschiff. Vermutlich handelte es sich um treibende Segmente einer Asteroidenkollision.

Sue kannte sich als Ärztin mit den meisten Schiffssystemen nicht sonderlich aus, und verfiel etwas in Panik.

Charles wusste aber, dass die Silver Star über einen, auf magnetischer Basis beruhenden, Abwehrschirm verfügte. Die gleiche Technik, die für die künstliche Schwerkraft im Raumschiff sorgte, konnte ebenso umgekehrt genutzt werden, um Gegenstände abzustoßen. Die Leistung der Bordgeneratoren reichte jedoch nicht aus, die Silver Star komplett mit diesem Schutzschirm zu umgeben.

Der Quantencomputer besaß aber die Möglichkeit, das Schutzschild partiell zu generieren. Die Energie, genau auf der Seite zu konzentrieren, woher die Gefahr drohte.

Die Asteroidenfragmente trieben genau in der Flugbahn der Silver Star.

Ergo baute der Rechner den Schutzschirm vor dem Raumschiff auf.

Charles hielt Sue beruhigend im Arm, als sie von der Brücke aus beobachteten, welches Feuerwerk die Bruchstücke bei ihrem Einschlag auf dem Schutzschirm veranstalteten.

Ein Schauspiel, das niemals zuvor ein Mensch beobachtet hatte. Da sich die Fragmente glücklicherweise als nicht ausgesprochen massiv präsentierten, hielt der Schutzschirm stand.

Anfang November 2022 war es dann soweit. Der Jupiter prangte riesig am Firmament, und Charles sah die Zeit gekommen, die Anderen aufzuwecken. In diesem Fall lief alles automatisch ab.

Nicht derart hart, wie bei Sues Erwachen. Der Aufwachvorgang zog sich über Tage hin. Nur langsam erwärmte sich das Gelee auf Körpertemperatur, die Schlafdrogen hatten Zeit, sich aus den Körpern auszuschleichen, der Stoffwechsel fuhr hoch, der Kreislauf stabilisierte sich und die Energiezufuhr erhöhte sich sukzessive.

Als die Körpertemperatur der Anderen wieder auf Normalniveau lag, saugte die Schlafkapsel das Gelee ab. Langsam wachten alle nacheinander auf. Sue und Charles überwachten die Vitalzeichen, und halfen ihren Kollegen, als sie benommen aus ihren Schlafbehältern kletterten. ...

Kapitel 2: Kolyuchino (März 2023).

„Mann, brummt mir der Schädel. Wieso haben wir auch nur diesen Fusel zuhause?“

Jegor Saizew litt an einem Mords Kater. Wie immer, wenn seine neue Schicht bevorstand, feierte er am Vorabend der Abreise nochmal so richtig, auf russische Art. Natalias Meinung nach geschah es ihm recht, wenn er für seine zügellosen Sauftouren zu leiden hatte:

„Mit deinem Einkommen als Unterleutnant können wir uns eben keinen besseren Schnaps leisten. Außerdem geschieht es dir recht. Wo hast du dich schon wieder die ganze Nacht herumgetrieben?“

Seine Frau, Natalia Saizewa, wartete letzte Nacht lange vergeblich auf ihren Jegor, bis sie sich am Ende wiedermal allein ins Bett legte. Sie stellte sich die letzte Nacht, vor seiner Abreise, weiß Gott anders vor.

Immer wieder unternahm er diese endlosen Saufereien, insbesondere am letzten Abend vor seiner Abreise zur Schicht. Danach gab er sich meistens zuhause den Rest. Wie immer verdiente er es damit, an einem Brummschädel zu leiden.

Und wie stets antwortete er nicht auf ihre Frage. Entweder er erinnerte sich wahrhaftig nicht mehr, oder er weigerte sich, darüber zu sprechen.

Er sprach nie über seine Sauftouren. Auf jeden Fall nicht mit Natalia.

Der gepackte Rucksack lag bereit und auf irgendeine Weise freute er sich, dass er wieder für einen Monat aus dem Haus kam.

Aber er gäbe keinen richtigen Russen ab, wenn da nicht ebenfalls etwas Melancholie mitschwänge. Er liebte seine Frau Natalia und ihre gemeinsame kleine Tochter Anouschka.

Aber nach einer Weile nervte ihn die Familie grenzenlos. Außerdem veränderte sich seine Frau nach der Geburt von Anouschka. Sie gingen nicht mehr zusammen aus. Natalia schwor dem Alkohol ab, feierte nicht mehr mit ihm, blieb vorzugsweise zuhause und passte auf die Kleine auf. Im Bett lief ebenfalls nichts mehr. Wenn überhaupt, dann nur vollkommen leise, damit Anouschka nicht aufwachte. Trotzdem, wiedermal brach der Tag der Abreise an, was ihn wiederum bedrückte.

Ein zwiespältiges Gefühl, dass sich jedes Mal vor dem Aufbruch in seine einmonatige Schicht einstellte.

Sie lebten in einer kleinen, vom Vater Staat zugewiesenen Wohnung, in einem Wohnblock, in Sewerodwinsk.

Eine farblose, eiskalte Stadt in Sibirien, wo die Jahresdurchschnittstemperatur bei lediglich +1 Grad Celsius lag.

Zumindest stand ein Plus davor. Aber die Winter fühlten sich grausam lang an. Minus 40 Grad Celsius stellten keine Seltenheit dar und es gedachte einfach nicht Tag zu werden. Kein Wunder, dass Jegor dem Wodka anheimfiel.

Jetzt, im März, strahlten die Tage langsam wieder ein bisschen heller, aber es herrschten nach wie vor tief verschneite minus 20 Grad Celsius.