A Dark and Secret Magic - Wallis Kinney - E-Book

A Dark and Secret Magic E-Book

Wallis Kinney

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Verbotene Magie, düstere Geheimnisse & eine prickelnde Liebesgeschichte Ein Must-Read für alle, die den Herbst und Pumpkin Spice Latte lieben! Kate hat sich in ihrem abgelegenen Hexenhaus ein ruhiges Leben eingerichtet – doch als ihre Schwester sie bittet, das jährliche Halloween-Treffen ihres Zirkels auszurichten, beginnt ihr wohlgeordnetes Dasein zu wanken. Dann taucht Matthew auf, ein Mann aus ihrer Vergangenheit, der ein dunkles Geheimnis verbirgt: Er ist ein Anhänger der verbotenen Magie. Als Kate ein rätselhaftes Buch mit einer verstörenden Nachricht ihrer verstorbenen Mutter findet, steht sie vor der wichtigsten Entscheidung ihres Lebens: Wem kann sie wirklich vertrauen? - Enemies to Lovers – Leidenschaft trifft auf Gefahr - He Falls First – Er verfällt ihr, bevor sie es zulässt Ein magischer, atmosphärischer Romantasy-Roman voller Geheimnisse, dunkler Magie und unwiderstehlicher Spannung. Wallis Kinney feiert mit diesem Buch das Wunder von Halloween – für alle, die sich nach einer verzaubernden Herbstlektüre sehnen! Inklusive der Rezepte der Gerichte aus dem Roman. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 463

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wallis Kinney

A Dark and Secret Magic

Roman

Aus dem Englischen von Jasmin Humburg

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Wallis Kinney

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Wallis Kinney

Wallis Kinney studierte Planetenwissenschaften und Molekularbiologie an der University of Colorado und hat einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Sie ist Präsidentin der Jane Bosart Foundation, einer privaten Stiftung ihrer Familie, die sich auf die Vergabe von Highschool- und College-Stipendien an unterprivilegierte Schüler konzentriert. Sie schrieb »A Dark and Secret Magic« als Geschenk für ihre ältere Schwester, zu Ehren all der Jahre, in denen sie gemeinsam das magische Wunder von Halloween feierten. Wallis lebt mit ihrer Familie in Dallas, Texas. In ihrer Freizeit spielt sie gerne »Dungeons & Dragons« und dreht Videos auf YouTube, die ihren Schreibprozess dokumentieren.

Die Übersetzerin

Jasmin Humburg ist promovierte Amerikanistin, literarische Übersetzerin aus dem Englischen und Literaturvermittlerin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Hamburg.

zur Kurzübersicht

Über dieses Buch

Kate hat sich ein perfektes Leben als Hexe eingerichtet. Sie lebt mit ihrer geliebten Katze in einem abgelegenen Haus. Ihre Einsamkeit gerät aus den Fugen, als ihre ältere Schwester Miranda sie bittet, das jährliche Halloween-Treffen ihres Hexenzirkels auszurichten. Erschwerend kommt hinzu, dass ein gut aussehender Mann aus Kates Vergangenheit auftaucht und um Zuflucht bittet. Matthew ist ein Anhänger der verbotenen Magie. Zu alldem fällt ihr ein altes Buch in die Hände und Kate muss entsetzt feststellen, dass die blutrote Inschrift von ihrer kürzlich verstorbenen Mutter stammt. Ihre Erinnerung an ihre Mutter gerät ins Wanken, und während sie und Matthew sich näher kommen, muss Kate entscheiden, wem sie wirklich vertrauen kann.

#strongFMC #enemiestolovers #forbiddenlove #hefallsfirst

KiWi-NEWSLETTER

jetzt abonnieren

Impressum

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln

Titel der Originalausgabe: A Dark and Secret Magic

Copyright © 2024 by Wallis Kinney

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Aus dem Englischen von Jasmin Humburg

kiwi space

© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach dem Originalentwurf von Scribe Inc.

Covermotiv: © Lucy Rose

 

ISBN978-3-462-31393-2

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt. Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen der Inhalte kommen. Jede unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt.

 

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

 

Alle im Text enthaltenen externen Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Anmerkung der Autorin

01 | Da kommt jemand

02 | Noch sechs Tage bis Halloween

03 | Wenn ein Fremder klopft

04 | Eine uralte Pflicht

05 | Welche Albträume mögen noch kommen?

06 | Noch fünf Tage bis Halloween

07 | Mühe und Unheil

08 | Was wir mit den Schatten tun

09 | Am Styx

10 | Noch vier Tage bis Halloween

11 | Fest des Schreckens

12 | Die Metahexe

13 | Das Böse kommt auf leisen Sohlen

14 | Noch drei Tage bis Halloween

15 | Hexenstunde

16 | Das Grimoire

17 | Noch zwei Tage bis Halloween

18 | Das Stille Ahnenmahl

19 | Geister und Schatten

20 | Noch ein Tag bis Halloween

21 | Eine unheilvolle Nacht

22 | Metamorphose

23 | Halloween

24 | Samhain

25 | Der Dunkle König

26 | Auf Atlas’ Schultern

27 | 1. November

Auszüge aus Hecate Goodwins Herbarium

Teesorten

Chilliges Chili

Tante Sophias Zimtkekse

Bann-Bann-Bananenbrot

Simmer Pot

Gemütlich-warme-Salzkaramell-Schokolade

Schlummer-Schlemmer-Pie

Karamelläpfel der Wachsamkeit

Danksagung

Für meine Schwester Shirley.

Dieses Buch war immer für dich.

Anmerkung der Autorin

A Dark and Secret Magic feiert den Herbst und ist eine Hommage an die Traditionen und Medien rund um das amerikanische Halloween. Im Wesentlichen ist das Buch eine wohlige Reise in eine Welt, die ein wenig magischer ist als unsere. Trotzdem kommen in der Geschichte auch dunklere Elemente vor, deshalb gibt es eine Triggerwarnung für Leserinnen und Leser, die über die Inhalte informiert sein möchten.

Triggerwarnung: Tod eines Elternteils/Trauer, Aderlass, nicht einvernehmlicher Kuss, body horror.

Kapitel EinsDa kommt jemand

Die Übergangsphase beginnt eine Woche vor Halloween. Für mich ist es die schönste Zeit im Jahr, wenn einige Bäume bereits kahl sind und andere noch farbenfrohe Blätter tragen, die leuchten wie glühende Kohlen. Der Garten und der Wald schenken uns ihre letzten Erntegaben, bevor die Winterruhe Einzug hält. Die Luft kühlt ab, aber in den Sonnenstrahlen steckt noch etwas Wärme, und während das neue Jahr naht, wecken all die Traditionen und Feierlichkeiten eine sehnsuchtsvolle Nostalgie in uns. In dieser Woche hat meine Magie am meisten Kraft.

Ich hätte schon vor Stunden ins Bett gehen sollen, aber das knisternde Feuer zu meiner Rechten und der dösende Kater auf meinem Schoß fesseln mich an meinen alten Lesesessel. Die Minuten vergehen, die zufriedene Stille wird nur von leisem Katerschnarchen und der sanften Bewegung des Baumwollfadens an meiner Häkelnadel durchbrochen. Heute arbeite ich an einem kleinen weißen Gespenst mit einem freundlichen Lächeln und roten Wangen. Ich bin im Häkelfieber, seit ich begonnen habe, mein Cottage für Halloween zu dekorieren. Das Wohnzimmer ist schon festlich geschmückt, am Kaminsims hängen orangefarbene und schwarze Girlanden, die Lampen sind mit Spinnennetzen aus Garn verziert und über dem Feuer baumelt ein gusseiserner Kessel. Aber die Küche könnte noch ein paar Akzente für die Feiertage vertragen.

Ich nähe zwei winzige schwarze Filzaugen an das Gespenst und streiche die Ränder mit den Fingern glatt.

»Zu niedlich.« Ich bewundere meine birnengroße Kreation.

Merlin gibt ein leises Maunzen von sich. Er wirft mir einen verschlafenen, leicht verärgerten Blick zu.

»Sorry«, flüstere ich.

Er schüttelt seine Ohren, und das Glöckchen an seinem Halsband klingelt sacht. Nachdem er sich ausgiebig gestreckt hat, hüpft er von meinem Schoß und macht es sich stattdessen auf dem kleinen dunkelgrünen Sofa auf der anderen Seite des Wohnzimmers bequem.

»Du bist ziemlich hochnäsig für einen Kater, der Angst vor Mäusen hat«, sage ich zu der flauschigen Fellkugel.

Er sieht mich konsterniert an, legt seinen Kopf ab und schläft weiter.

Augenrollend nehme ich mein Gespenst mit in die Küche. Es passt perfekt zu den anderen Häkelfiguren auf der Fensterbank: ein Kürbis mit einem geringelten grünen Stiel, ein überdimensionales Candy Corn, und eine kleine schwarze Katze, ein Abbild von Merlin. Mit diesen Figuren und dem selbst gemachten Kranz aus getrockneten Ahornblättern im Fenster nimmt meine Küchendekoration langsam Gestalt an.

Die Uhr auf dem Kamin surrt und schlägt drei leise Töne, als wollte sie mich darauf aufmerksam machen, dass ich immer noch wach bin. Als der letzte Ton verklungen ist, kippt in der Küche plötzlich mein knorriger Hickory-Besen um und kracht auf den Holzfußboden.

Merlin miaut erschrocken, springt vom Sofa und flieht aus dem Wohnzimmer.

Mein Magen zieht sich zusammen. Ich muss an den Satz denken, den meine Mutter immer sagte, wenn ein Besen umfiel.

»Da kommt jemand.«

Ich schüttele den Spruch ab, stelle den Besen wieder an seinen angestammten Platz in der Ecke und schaue mich im vorderen Teil meiner Hütte um. Dunkle Holzwände, eine blitzsaubere Küche, ein unordentlicher Schreibtisch, Kräuter, die sortiert werden müssen. Alles ist so, wie es sein soll. Die Nacht vor dem Küchenfenster ist still. Oben auf dem Hügel zeichnet sich Goodwin Manor vor dem Nachthimmel ab, die funkelnden Sterne spiegeln sich in den großen Fenstern des Herrenhauses. Ich bin schon vor zehn Jahren aus dem Familiensitz ausgezogen, weg von dem liebevollen und immer wachsamen Blick meiner Mutter. Inzwischen wirft das leer stehende Haus einen surrealen Schatten auf meine Kindheit. Mit jedem Tag entgleiten mir diese frühen Jahre mehr, und sie kehren nie zurück. Und doch steht das Gebäude noch, das jeden Moment miterlebt hat. Meine Erinnerungen hallen in den leeren Räumen nach.

Gegenüber vom Hügel und hinter meinem Cottage erstreckt sich der Wald von Ipswich. Die Bäume ragen starr in den Nachthimmel, nicht der leiseste Windhauch umspielt sie. Als warteten sie auf etwas.

Wir Hexen haben unsere Mittel und Wege, um in die Zukunft zu blicken. Miranda, meine große Schwester, lauscht dem flüsternden Meeresglas von fernen Ufern. Meine kleine Schwester, Celeste, deutet ihre Tarotkarten und die Bewegungen der Planeten. Für mich als Heckenhexe sind Vorahnungen in den Nebel der Träume gehüllt. Aber wenn ich wach bin, beobachte ich den Wald. Und heute beunruhigt mich die stumme Nachtwache der Bäume. Einige Meilen hinter dem Waldrand liegt ein Friedhof, der allen Müttern der Familie Goodwin seit vierhundert Jahren als letzte Ruhestätte dient. So auch meiner.

Seit ihrer Beerdigung im Juni bin ich nicht mehr dort gewesen.

Rums.

Ich zucke zusammen, meine Hand schnellt an meine Brust. Der Besen ist abermals umgefallen, und der hölzerne Stiel zeigt genau auf meine Haustür.

»Was willst du mir sagen, du lästiges Ding?«, frage ich, während ich den Besen aufhebe und ihn auf den Küchentisch lege. Vielleicht sind die Borsten verbogen. Ich sollte sie morgen trimmen, wenn ich eine freie Minute habe. Jetzt ist es viel zu spät dafür. Ich werfe einen letzten flüchtigen Blick auf den Wald, wo sich dichter Nebel ausbreitet. Etwas am Waldrand wirbelt die langsam heranrollenden Schwaden auf.

Mein Herz setzt für einen Moment aus. Eine alte Frau in einem langen weißen Nachthemd, das meinem eigenen ähnelt, schreitet durch den Dunst. Stumm beuge ich mich vor und drücke die Nase an das Küchenfenster. Ich atme aus, die Scheibe beschlägt. Ich atme ein, meine Sicht ist wieder frei. Und die Frau kommt immer näher.

Margaret Halliwell.

Eine der Ältesten meines Zirkels und eine Meerhexe, wie Miranda.

Wortlos fluchend schnappe ich mir einen Wollmantel vom Garderobenständer und werfe ihn mir über, bevor ich die Haustür aufreiße und barfuß in die Kälte hinauslaufe.

»Mags? Ist alles in Ordnung?«, rufe ich. Sie bleibt stehen und starrt mich an, ihre grauen Haare tanzen im windstillen Nebel.

»Hecate«, sagt sie. Ihre Stimme ist tonlos und fremd.

»Ich bin hier«, sage ich atemlos, als ich sie erreiche. Ich ziehe meinen Mantel aus und halte ihn ihr hin, aber sie macht keine Anstalten, ihn entgegenzunehmen. »Was ist denn los, Mags? Wie bist du hergekommen? Geht es dir nicht gut?«

Als Heckenhexe gehört es zu meinen Aufgaben, mich um die kranken Hexen im Schlüssel des Atlantiks zu kümmern. So heißt der Zirkel, in den ich hineingeboren wurde. Bei knapp einhundertdreißig Mitgliedern habe ich gut zu tun. Margaret geht auf die achtzig zu, und sie ist schon eine Weile nicht mehr ganz gesund. Alle zwei Monate bekommt sie einen Tiegel Weißdornbalsam von mir, der ihre anhaltende Erschöpfung lindern soll. Ich habe die letzte Lieferung erst vor ein paar Tagen abgeschickt.

»Er ruft nach mir, Hecate. Ich muss gehen«, flüstert sie.

Mir bleibt das Herz stehen.

»Alles ist gut, Mags. Ich bring dich nach Hause«, sage ich sanft. Ihr Mann ist vor einigen Jahren gestorben, und in Margarets Alter verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart gelegentlich miteinander.

Sie streckt ihre faltige Hand nach mir aus. Ich zögere. Ich berühre selten andere Menschen, da die Nähe zu ihnen mehr Unbehagen als Trost für mich bedeutet. Selbst meine Patientinnen sind an meine zurückhaltende Art gewöhnt. Aber es wäre grausam, ihr diesen Moment des Mitgefühls zu verweigern. Ich lächele und lege meine Hand in ihre.

Der Schmerz ist unmittelbar. Ein vakuumartiges Ziehen durchfährt meinen Magen. Die Härchen an meinen Armen richten sich auf, meine Haut prickelt und sticht, und ich spüre einen enormen Druck auf den Ohren. Ich will meine Hand wegziehen, aber Margarets Griff ist eisern, ihre Finger krallen sich um mein Handgelenk. Das Bestreben ihrer Magie umschlingt mich immer enger, wie eine Würgeschlange, und es ist klirrend kalt.

»Mags!«, röchele ich. »Was soll das?«

»Du bist nicht, was du sein solltest, kleines Mädchen.« Es ist nicht ihre Stimme. Es ist ein tiefes, heiseres Zischen. »Das ist überaus enttäuschend.«

»Lass mich los!«, rufe ich und versuche mit aller Kraft, mich von ihr zu lösen. Panik steigt in mir auf. Selbst zu dieser Jahreszeit, wenn ich so stark bin wie nie, reicht meine Magie nicht aus, um mich gegen eine Älteste aus dem Zirkel zu wehren.

Margaret keucht, und der Druck lässt nach, als ihr Blick wieder klar wird.

»Ich habe keine Zeit mehr«, wispert sie mit ihrer eigenen Stimme. »Der Schleier wird dünner, denn bald ist Samhain. Der Dunkle König stellt dich auf die Probe. Finde das Buch deiner Mutter und du erfährst, warum sie dich zur Heckenhexe ernannt hat.«

Der Nebel umschließt uns, und Schatten wabern durch den Dunst. Der Schmerz brüllt wie ein vorbeirauschender Zug in meinen Ohren. Das Stechen fühlt sich an wie ein loderndes Feuer. Ich schreie und reiße mich los. Ein Blitz schlägt gegen meinen Körper, ich fliege nach hinten und werde zu Boden geschleudert.

Kapitel ZweiNoch sechs Tage bis Halloween

Feiner Regen nieselt gegen das Fenster. Der Himmel über Massachusetts schläft noch und der Morgennebel wird sich eine ganze Weile halten. Merlin liegt schnurrend auf dem Kissen neben meinem Kopf, seine kleinen Pfoten berühren meinen Arm. Ich starre auf die Holzbalken an der Decke meines Schlafzimmers und kann mich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Gedankenverloren reibe ich mein Handgelenk. Kein Stechen, keine Striemen auf meiner Haut.

»Der Dunkle König stellt dich auf die Probe …«, murmele ich und denke über den unbekannten Namen nach.

Ich kenne mich mit lebhaften und seltsamen Träumen aus, aber dieser war besonders kryptisch.

»Finde das Buch deiner Mutter und du erfährst, warum sie dich zur Heckenhexe ernannt hat.«

Die Tradition im Schlüssel des Atlantiks besagt, dass ein Mädchen bis zu ihrem dreizehnten Geburtstag warten muss, um sich für ihre Magie zu entscheiden. Doch meine Mutter entschied darüber schon am Tag meiner Geburt. Als die Sonne an jenem Halloween unterging, wickelte sie mich in eine waldgrüne Decke, gab mir den Namen Hecate Goodwin, und verkündete stolz, dass aus mir eine Heckenhexe werden würde. Damit würde ich die erste Hexe nach mehr als zwei Jahrhunderten werden, die diese uralte Kunst praktizierte. Im Schlüssel des Atlantiks wurde daraufhin wie wild getuschelt.

Warum hatte Sybil Goodwin diese Entscheidung getroffen?

Was konnte eine einfache Küchenhexe schon mit einer Heckenhexe als Tochter wollen?

Wie sollte ein Mädchen ohne eigenen Willen jemals wirklich ihr Handwerk beherrschen?

Besonders die letzte gewisperte Frage verfolgte mich meine gesamte Kindheit, und während meiner Ausbildung wurde ich von einem andauernden Gefühl des Zweifelns heimgesucht. Da mir keine lebende Heckenhexe als Mentorin zur Verfügung stand, musste ich mich auf das verstreute Wissen meiner Mutter und anderer Mitglieder des Zirkels verlassen. Aber jetzt, mit fast einunddreißig Jahren, habe ich mich an die Heckenmagie gewöhnt, so einsam sie auch sein mag. Wie enttäuschend, dass mein Unterbewusstsein plötzlich alte Wunden aufriss. War ich nicht schon lange darüber hinweggekommen, dass man mich meiner Entscheidung beraubt hatte?

»Samhain naht und bringt seltsame Träume. Nicht gerade das beste Omen für das neue Jahr«, flüstere ich und lasse meine Hand wieder auf die Bettdecke fallen. Merlin schnuppert an meinem Hals, seine Schnurrhaare kitzeln mich. Das Geräusch des Regens an der Scheibe wird stärker. Perfektes Wetter.

Am liebsten würde ich im Bett liegen bleiben, Merlin in den Arm nehmen und mein Buch weiterlesen. Es ist eine dicke Sammlung klassischer Artussagen, in denen ich mich wunderbar verlieren kann. Aber ich habe viel zu tun. Das muss ich mir noch drei weitere Male sagen, bevor ich endlich aufstehe.

In der Vorratskammer im hinteren Teil meiner Hütte steht eine große Glasvitrine mit den neuesten Zubereitungen für das Raven & Crone, die Kräuterapotheke in Ipswich, die mir zur Hälfte gehört. Herbstliches Potpourri, das nach Zimt und Whisky mit Ahornsirup duftet, diverse neue Salben und dreißig Flaschen Heilöl – besonders nützlich, um Spinnenbisse zu behandeln, Wunden zu desinfizieren und Muskelkater zu lindern. Jedes Produkt ist mit einem Preis und unserem Logo versehen.

Ich lade alles in einen Korb, ziehe mir rasch meine Arbeitskleidung an und füttere den hungrigen Merlin. Beim Anblick des Besens auf dem Küchentisch und des Häkelgespenstes auf der Fensterbank bleibe ich wie angewurzelt stehen.

Diese Dinge sind also wirklich passiert? Wann bin ich dann ins Bett gegangen und habe von Margaret geträumt? Irritiert verlasse ich mein Cottage.

Die Luft ist kühl, aber nicht eisig. Trotzdem streife ich mir die Kapuze meiner olivgrünen Regenjacke über den Kopf, um meine Ohren vor der Kälte zu schützen, und radele in die Stadt.

An diesem verschlafenen Morgen kommt mir kein einziges Auto entgegen und ich habe die Straße ganz für mich allein. In den Bäumen über mir leuchtet das Herbstfeuer. Tief hängende Nebelschwaden umschließen einige der Wipfel und verdecken Teile des farbenfrohen Laubs. Mein Fahrrad saust über den Asphalt, meine Regenjacke flattert und knallt im Fahrtwind. Ich kann mir fast vorstellen, wie es sich anfühlt, mehrere Hundert Meter über dem Erdboden auf einem Besenstiel durch dichte, mondbeschienene Wolken zu fliegen. Die Vorstellung gefällt mir so sehr, dass ich laut lachen muss.

Als ich auf der Hauptstraße in Ipswich ankomme, hat sich der Nebel verzogen und die Autos erobern die Straße zurück, sodass ich absteigen und das restliche Stück schieben muss. Helfer dekorieren die Straßenlaternen mit orangefarbenen und schwarzen Kreppbändern und spannen dünne Drähte mit Windlichtern über die Straße. Vor den Restaurants werden Heuballen platziert und die Ladenbesitzer schmücken ihre Schaufenster mit Kürbissen. Ganz Ipswich zieht an einem Strang, sobald es auf Halloween zugeht.

Ich schließe mein Fahrrad an einem Baum in der Nähe der Straße an, nehme den Korb vom Gepäckträger und gehe zum Raven & Crone. Als die Ladentür aufschwingt und das Glöckchen ertönt, bin ich augenblicklich umgeben vom Duft Tausender Kräuter und Kerzen. Rebecca Bennet, die andere Mitinhaberin, steht gerade auf einer Leiter neben der Eingangstür und dekoriert das Fenster. Ich sehe ihr stirnrunzelnd dabei zu, wie sie das Bild eines fröhlichen Weihnachtsmanns an die Scheibe klebt. In einer Ecke des Ladens steht sogar schon ein kleiner Weihnachtsbaum mit filigranem Baumschmuck und einem Stapel Geschenke darunter.

»Müssen wir das Thema jetzt noch mal durchkauen, Rebecca?«, frage ich amüsiert.

Rebecca, im schwarzen T-Shirt und dunkler Jeans, schaut von der Leiter auf mich herab.

»Damit besänftigen wir die Kirchgänger, Kate«, sagt sie grinsend. »Wir dürfen das ganze Jahr der gruselige Hexenladen sein, weil wir uns zu Weihnachten besonders viel Mühe geben.«

Rebecca ist Ende vierzig, ungefähr fünfzehn Jahre jünger als meine Mom. Aber unsere Familien haben sich schon immer sehr nah gestanden. Ihre Mutter, Winifred Bennet, und meine sind … waren beste Freudinnen. Rebecca, eine Gartenhexe, war meine Mentorin in Sachen Kräuterkunde, nachdem das Wissen meiner Mutter ausgeschöpft war. Und als ich achtundzwanzig wurde, eröffneten wir gemeinsam das Raven & Crone. Mit ihren Kenntnissen rund um den Anbau der gesündesten Pflanzen und meinen Rezepten, die diese Pflanzen medizinisch nutzbar machen, hat unsere kleine Kräuterapotheke bereits drei sehr erfolgreiche Jahre hinter sich.

»Ich habe ein neues Potpourri und dreißig Flaschen Heilöl dabei«, sage ich mit Blick auf meinen Fahrradkorb und lasse die Sache mit der Dekoration auf sich beruhen. Es lohnt sich nicht, darüber zu diskutieren.

»Perfekt«, sagt Rebecca begeistert. Sie steigt von der Leiter und nimmt mir die Lieferung ab. »Die haben wir bis Ende der Woche verkauft.«

»Das wäre toll«, sage ich lachend. »Von dem Geld könnte ich so viele Lebensmittel kaufen, dass ich bis Weihnachten versorgt wäre. Merlin hat sich neuerdings auf ein teures Katzenfutter eingeschossen, das mich noch in den Ruin treibt.«

Rebecca schnaubt. »Oder du kaufst dir am Samstag was Schönes zum Geburtstag, anstatt das Geld für deinen Kater auszugeben. Ist ja schließlich ein ganz besonderer in diesem Jahr.« Sie sieht mich erwartungsvoll an, und ich muss mich beherrschen, um keine Grimasse zu ziehen.

Wir Frauen im Schlüssel des Atlantiks erhalten unsere magischen Fähigkeiten durch unsere Ahnenlinien. Aber wenn man die Magie nicht bündelt, wird sie sich irgendwann zerstreuen. Deshalb konzentriert sich jede Hexe unseres Zirkels auf ein einziges magisches Gebiet, für das sie sich mit dreizehn Jahren entscheidet. Je mehr wir praktizieren, desto stärker werden wir. Allerdings sind unsere gesammelten Kräfte im Laufe der letzten Generationen schwächer geworden. Als meine Großmutter noch ein junges Mädchen war, riefen die Ältesten die Eindämmung ins Leben, um dem Schwinden der Kraft entgegenzuwirken. Jede Hexe unterzieht sich an ihrem einunddreißigsten Geburtstag einem Ritual, bei dem ihr alle Magie genommen wird, bis auf die bereits ausgiebig praktizierte. So kann sie sich mit ihrer ganzen Kraft dieser einen auserwählten Fähigkeit widmen und verhindern, dass die Macht des Zirkels weiter abnimmt.

»Du bist doch bereit für deinen Geburtstag, oder?«, fragt Rebecca, nachdem ich zu lange still war.

»Natürlich«, sage ich. »Es ist nur … Es ist der erste Geburtstag ohne meine Mom. Das wird komisch.«

Sie nickt mitfühlend und lächelt mich traurig an.

Damit habe ich ihr jedenfalls einen Teil der Wahrheit gesagt. Mein Zögern hat aber auch mit der Tatsache zu tun, dass ihre eigene Mutter, Winifred Bennet, die Eindämmung durchführen wird. Winifred, das Oberhaupt unseres Zirkels, ist eine Hexe der Metamagie und somit in der Lage, die Magie an sich zu manipulieren. Von allen genehmigten Künsten im Schlüssel des Atlantiks ist Metamagie mit Abstand die gefährlichste, besonders für die praktizierende Hexe selbst. Seit einigen Jahren merkt man Winifred die Anstrengung an. Sie ist zunehmend launisch und unvorhersehbar, und ich würde ein ruhiges, friedliches Halloween bevorzugen.

Rebecca wendet sich von mir ab, als ein älteres Ehepaar den Laden betritt. Während sie die Kundschaft freundlich begrüßt, husche ich nach hinten. Vorbei an Seifen, Kerzen, Salben, Kandiszucker und den spirituelleren Produkten. Räuchersets, Kristalle und Fruchtbarkeitshilfen säumen die hintere Wand des Raumes.

»Ginny.« Rebecca ruft ihre Tochter, die hinten an einem Tisch sitzt. »Räum deinen Kram ein bisschen zur Seite, damit Tante Kate auch Platz hat.«

Ginny, die mit den gleichen dichten schwarzen Locken gesegnet ist wie alle Hexen der Familie Bennet, blickt von ihrem Buch auf.

»Hi, Kate«, sagt sie und sammelt ihre Schultasche, diverse Bücher und jede Menge Schreibutensilien vom Tisch. »Wie hat dir Malorys Schreibstil gefallen?«, fragt sie, als ich mich zu ihr setze.

»Ich bin noch nicht dazu gekommen, das Buch zu beenden.« Ich gebe ihr eine ehrliche Antwort, während ich meinen leeren Korb und die lederne Umhängetasche abstelle. Sie straft mich mit harter, jugendlicher Missbilligung. Sie hatte mir Le Morte D’Arthur vor vier Tagen ausgeliehen. Ginny, die seit zwei Jahren eine praktizierende Bücherhexe ist und die ein Buch bloß in die Hand nehmen muss, um den Inhalt zu kennen, versteht absolut nicht, wie jemand länger als einen Nachmittag für einen Roman brauchen kann. Offensichtlich lässt sie auch bei mir keine Milde walten, obwohl die Artussagen mehr als achthundert Seiten umfassen.

»Aha«, sagt Ginny knapp. »Schaffst du es denn bis Halloween? Eine Freundin von mir will es nämlich unbedingt lesen.«

Ginny droht am liebsten mit dieser ominösen Freundin. Dabei hat sie schon früher, als ich ihre Babysitterin war, mit niemandem ihre Spielsachen geteilt.

»Na klar.« Ich nicke. Ich habe diese Woche so wenig vor, dass mir dieses Versprechen einigermaßen einhaltbar erscheint.

Ich ziehe mein Herbarium aus der Umhängetasche. Dann greife ich erneut hinein und zücke den dunkelblauen Glasfüller mit eingravierten Sternen, ein Geschenk meiner Schwester Celeste.

Ginny schaut über den Rand ihres Buches und beäugt ein wenig neidisch mein ledergebundenes Zauberbuch.

»Grandma weigert sich immer noch, mir eins zu machen«, sagt sie, als sie meinen Blick bemerkt.

»Ja, ich weiß. Das tut mir leid«, sage ich. Winifred erschafft alle Zauberbücher für die Frauen im Schlüssel des Atlantiks. Die Bücher sind durchdrungen von ihrer Metamagie und genau an die Bedürfnisse der jeweiligen Hexe angepasst. Sie dienen uns als Tagebücher, Nachschlagewerke und Aufzeichnungen der eigenen magischen Tätigkeiten. Aber Winifred weigert sich, Zauberbücher für Bücherhexen zu erschaffen und diese Regel bricht sie nicht einmal für ihre eigene Enkelin.

»Deine Großmutter hat mir mal erzählt, dass einige Bücherhexen die schlechte Angewohnheit haben, ganze Romane auf das verzauberte Papier zu schreiben. Sie beenden sie nur leider nie, sondern redigieren so lange daran rum, bis die Seiten über und über mit schwarzer Tinte bedeckt sind.«

Ginny schnaubt verächtlich. »Ich versteh nicht, warum ich für das Verhalten anderer bestraft werde.«

Mein Blick wandert zu ihren Händen. Die tintenverschmierten Finger deuten darauf hin, dass sie gestern Nacht jedes leere Blatt Papier bekritzelt hat, das sie finden konnte. Stirnrunzelnd versteckt sie die Hände unter dem Tisch.

»Ist ja auch egal«, murmelt sie.

Ich verkneife mir ein Lächeln und widme mich wieder meinem Herbarium. Auf dem Buchdeckel ist ein großer Ahornbaum eingraviert, der sich in einem Teich spiegelt, und das braune Leder sieht noch genauso neu aus wie an meinem zwölften Geburtstag, als ich das Buch überreicht bekam. Nach so langer Zeit und Dutzenden Missgeschicken in der Küche, riecht es noch immer wie der Lieblingssessel meines Vaters. Nur der Umfang des Buches hat sich verändert.

»Die Seiten kommen, wenn du sie brauchst«, hatte meine Mutter mir erklärt, als ich Sorge hatte, mir könne der Platz ausgehen. Ich hatte mein neues, schmales Herbarium mit ihrem Rezeptbuch verglichen, das damals viel zu schwer für meine dünnen Ärmchen war.

Jetzt blättern sich die Seiten meines Buches von allein um, bis die gewünschte Seite erreicht ist. Meine tägliche To-do-Liste.

Morgendliche Routine (anziehen, Merlin füttern, etc.)

M. bürsten

Heilöl und Kräuterbündel zum Laden bringen

Vierstündige Schicht im Laden

Tagebucheintrag

Abendliche Routine (jeweils eine Stunde lesen, sticken, häkeln und Kräuterkunde)

Frühstück für morgen vorbereiten (Haferflocken mit Zimt und Obst)

To-do-Liste für morgen schreiben

Ich streiche die bereits erledigten Punkte durch und füge Besen trimmen hinzu.

Ginny blättert kurz in ihrem Buch, aber es dauert nicht lang, bevor ihr Blick wieder auf mich gerichtet ist.

»Was ist denn, Ginny?«, frage ich.

»Wird dir das nie langweilig?«, erwidert sie prompt.

»Was meinst du?« Ich lege den Füller beiseite und schenke ihr meine volle Aufmerksamkeit.

»Diese ständigen Wiederholungen. Jeden Tag dieselbe Liste. Zutaten sammeln, hier im Laden arbeiten, alleine zurück zu deinem Cottage fahren. Du kommst nie raus aus Ipswich, du triffst dich nie mit irgendwem. Macht dich das nicht fertig?«

Teenager sind wirklich die Meister der brutalen Ehrlichkeit.

Ich antworte nicht sofort; eine Kundin sieht sich die Tarotkarten neben unserem Tisch an und so kann ich kurz meine Gedanken ordnen. Ginnys Frage war schonungslos, aber ihr Ton war keineswegs gemein. Sie befindet sich seit einigen Monaten in der Phase des Schmachtens, sie sehnt sich nach der romantisierten Version eines spannenden Lebens weit weg von hier. Die Frage hat mehr mit ihr zu tun, als mit mir.

»Ich finde das nicht langweilig«, sage ich. »Zutaten sammeln, diesen Laden mit Waren füllen – das ist alles Teil meiner Kunst. Ich frage dich ja auch nicht, ob dir das Lesen langweilig wird.« Ich lächele sie freundlich an.

Ginny schüttelt den Kopf, ihr Blick ist zögerlich, aber herausfordernd.

»Aber ich habe mir meine Magie ausgesucht, Kate.«

Und da haben wir es. Das, was mich von allen anderen Zirkelmitgliedern unterscheidet.

»Genau genommen habe ich das auch«, sage ich, während ich mit dem Glasfüller herumnestele. »Als ich dreizehn war, hat sich der Zirkel am Rande von Ipswich Forest versammelt, und ich habe meine Magie verkündet. So wie du.« Die Erinnerung an diesen Tag wird nie verblassen. Das mitleidige Geflüster, als wir den Hügel von Goodwin Manor hinabgingen. Wie ich mich unter den prüfenden Blicken des Zirkels wand. Ich konnte sogar die Ablehnung des Waldes spüren. Die Bäume ragten unheilvoll über uns auf, erkannten mich als eine Blenderin, die bloß so tat, als wäre sie eine Hexe.

»Warum hast du dich eigentlich dafür entschieden?«, fragt Ginny. Sie ist nicht die erste Hexe, die mich das fragt, und nicht zum ersten Mal höre ich Frage und Anschuldigung zugleich. Warum hatte ich mich nicht gegen die Einmischung meiner Mutter gewehrt? Warum hatte ich mich nicht an die Traditionen des Zirkels gehalten? Leider wird meine Antwort verdeutlichen, dass wir beide eben doch nicht die gleiche Erfahrung gemacht haben.

»Meine Mutter hat es mir befohlen«, sage ich ehrlich und räuspere mich verlegen, als Ginny große Augen macht.

Zuerst hatte ich Widerstand geleistet. Ich wollte aus Protest in den Wald ziehen, bis ich meine eigene Entscheidung würde treffen dürfen. Doch beim ersten Anzeichen von Missachtung hatte meine Mutter meine Hand gepackt, sanft, aber bestimmt, und sie auf den Ahornbaum am Waldrand gelegt.

»Du wirst tun, was ich dir befehle, Hecate«, hatte sie mir ins Ohr geflüstert. Sie war eine der Ältesten im Schlüssel des Atlantiks, und ihre Befehle waren angereichert mit der Magie unserer Ahnen. Man konnte sich ihnen nicht widersetzen, ohne den Zorn des Zirkels auf sich zu ziehen.

Also hatte ich ihren Befehl befolgt. Widerwillig und notgedrungen wählte ich den Pfad, den meine Mutter mir vorgab.

»Wie dem auch sei«, sage ich zu Ginny, »Ich bin froh, dass sie das tat. Ich erfülle die Ansprüche meiner Kunst.« Und aus diesem Grund freue ich mich, trotz Winifred Bennets Teilnahme, auf die Eindämmung. Nach all den Jahren werde endlich ich diejenige sein, die eine Entscheidung trifft.

Ginny verzieht den Mund. Sie ist nicht überzeugt.

»Also fühlst du dich nie einsam?«, bohrt sie weiter.

»Ich habe doch Merlin«, sage ich, woraufhin ich ein Augenrollen ernte. »Ich bin allein, ja. Das ist das Los einer Heckenhexe, sie existiert am Rande des Geschehens und ist nie vollkommen integriert. Aber das ist okay. Ich bin gern mit meinen Gedanken allein.«

Das stimmt nicht ganz. Seit dem Tod meiner Mutter im Sommer bin ich deutlich öfter im Raven & Crone. Ohne den Laden würde ich tagelang mit niemandem sprechen. Und wenn ich zu lange von allem isoliert bin, wird mir extrem bewusst, welche Lücke meine Mutter hinterlassen hat.

»Aber war denn da nie jemand, der die Stille erträglicher gemacht hätte? Jemand, den du mit an den Rand des Geschehens nehmen wolltest?«

Ich sehe sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Du liest gerade eine Liebesgeschichte, kann das sein?«, sage ich. Ginny nimmt häufig Persönlichkeiten an, die in ihre jeweiligen Romanwelten passen. Bevor ich einen Blick auf das Cover werfen kann, schlägt sie ihre tintenbefleckte Hand darauf und verdeckt mögliche Anhaltspunkte. Meine Güte. Sie ist ja schlimmer als Celeste in ihrem Alter war.

»Na gut, wenn du es unbedingt wissen willst«, sage ich. »Es gab da mal jemanden. Einen Mann in meinem Alter, den ich vor etwa zehn Jahren kennenlernte. Charmant, witzig, respektvoll. Er war unfassbar gut aussehend und duftete betörend – nach Zimt und Regen. Wir waren gute Freunde. Und noch bessere Feinde.«

Ginny, im ersten Moment ganz aufgeregt bei dem Gedanken, endlich die Geschichte meiner verlorenen Liebe zu hören, legt verwirrt die Stirn in Falten.

»Ich konnte ja nicht ahnen, dass er dem Tor des Pazifiks angehörte.« Ich betone diesen letzten Satz wie ein Schulmädchen, das ihren Freundinnen eine Gruselgeschichte am Lagerfeuer erzählt. Jeder Zirkel des Landes hat so seine Eigenarten, aber im Tor des Pazifiks sind selbst die abscheulichsten Formen der Magie erlaubt. Magie, die die praktizierende Person zerstören kann. Magie, die eine gefährliche Menge an Kraft oder Opfergaben erfordert – sogar Magie, die aus reiner Boshaftigkeit angewandt wird. Das Tor des Pazifiks ist dem Schlüssel des Atlantiks ein Gräuel.

Ginnys ungläubig entsetzte Miene ist unbezahlbar. Hoffentlich wird sie das in Zukunft davon abhalten, übergriffige Fragen zu stellen.

Sie sieht mich mit schmalen Augen an, da sie mein Grinsen bemerkt hat.

»Ich glaube, du lügst«, sagt sie mit vorgerecktem Kinn.

»Vielleicht tue ich das«, sage ich schulterzuckend und kehre zu den Seiten meines Herbariums zurück.

Nachdem ich mich um meine To-do-Liste gekümmert habe, wird es jetzt Zeit, meinen täglichen Tagebucheintrag zu schreiben. Das Herbarium spürt, was ich vorhabe und schlägt von selbst die richtige Stelle im Buch auf. Eine leere Seite wartet auf mich.

25. Oktober

Hatte letzte Nacht einen merkwürdigen Traum. Nachricht aus dem Unterbewusstsein?

Meine Hand hält inne. Ich sollte Margaret Halliwell im Laufe der Woche einen Besuch abstatten. Träume sind eine komplizierte Angelegenheit und können immer unterschiedlich interpretiert werden, aber trotzdem. Ich reibe mein Handgelenk, erinnere mich an das schmerzhafte Stechen ihrer Berührung und ihre rätselhaften Worte.

»Ginny«, sage ich und lasse den Stift erneut sinken. Sie sieht mich misstrauisch an. »Hast du schon mal vom Dunklen König gehört?« Vielleicht verbirgt sich in einem ihrer tausend Bücher ein Hinweis auf ihn. Ein Faden, dem ich folgen könnte.

Sie denkt nach.

»Spontan fällt mir dazu nichts ein. Soll ich einen Abruf machen?« Ihre Augen leuchten erwartungsfroh. Sie liebt ein spannendes Rechercheprojekt, einen Grund, um ganz tief einzutauchen.

Die Türglocke läutet, als neue Kundschaft den Laden betritt. Rebecca begrüßt alle herzlich, und ich erinnere mich an meine vernachlässigten Pflichten.

»Nein, alles gut«, sage ich rasch.

»Das macht mir gar nichts aus, wirklich. Ich hatte eh vor, das hier schnell wieder zu vergessen«, sagt Ginny eifrig und hält das Buch hoch, das sie zu opfern bereit wäre. Ich hatte recht: Es ist eine Liebesgeschichte.

Bücherhexen besitzen die Fähigkeit, sich an alles zu erinnern, was sie jemals gelesen haben, aber dafür müssen sie einen anderen Teil ihres Wissens hergeben. Wie jede andere Kunst erfordert auch ihre Magie gewisse Opfer. Bei einem Abruf würde sich das Buch in ihrer Hand langsam verbrauchen, die Tinte würde verschwinden, bis jede Seite leer wäre. Ginny würde den gesamten Inhalt vergessen. Ich sehe ihren hoffnungsvollen Blick, wie sie darauf brennt, ihre Kräfte einzusetzen. Aber dazu gibt es keinen Grund, denn höchstwahrscheinlich ist der Dunkle König bloß ein Produkt meiner unterbewussten Fantasie.

»Ein andermal«, flüstere ich, als Rebecca einen Kunden in den hinteren Bereich des Ladens führt. Ginny macht ein enttäuschtes Gesicht. Da sie erst fünfzehn ist, darf sie ihre Magie nur unter Aufsicht einer erwachsenen Hexe nutzen. Ich stehe auf und unterstütze Rebecca an der Kasse. Eine ältere Dame möchte mehrere Tüten mit Kurkumapulver kaufen.

»Vorsicht, damit färben Sie alles ein, was Sie anfassen«, warne ich sie, während ich ihren Einkauf in einer braunen Papiertüte mit unserem Logo verstaue. »Aber Sie können tolles Kürbiskern-Hummus damit zubereiten. Eine wunderbare Beilage in dieser Jahreszeit. Und es ist gut fürs Herz.« Sie bedankt sich lächelnd und zahlt dann bei Rebecca.

»Ach, was würde ich für eine Portion von dem Kardio-Kürbiskern-Hummus deiner Mutter geben«, sagt Rebecca wehmütig. »Ich hatte kein ordentliches Workout mehr, seit mein Vorrat aufgebraucht ist.«

»Ich kann dir welches machen«, biete ich an. Meine Mutter hat mich in Küchenmagie ausgebildet. Sie war der Meinung, jede Hexe solle die Grundlagen kennen, auch wenn keine meiner Schwestern je Interesse daran gezeigt hatte.

»Oh! Würdest du? Ich wollte nicht fragen, aber das wäre großartig.« Sie ist ganz außer sich vor Freude.

»Na klar, kein Problem.« Ihre Begeisterung bringt mich zum Lachen. »Ich habe diese Woche eh nicht viel vor.«

»Außer Le Morte D’Arthur lesen«, mischt sich Ginny ein und stiert mich an.

»Genau«, sage ich nach kurzem Zögern.

Rebecca sieht mich an. »Und dich auf deinen Geburtstag vorbereiten«, erinnert sie mich und schnalzt mit der Zunge.

»Du klingst genau wie Grandma, wenn du dieses Geräusch machst, weißt du das?«, sagt Ginny zu ihrer Mutter.

Rebecca verzieht den Mund und sieht plötzlich aus wie das Spiegelbild ihrer Tochter.

»Wie geht es Winifred?«, frage ich und versuche, nicht zu offensichtlich zu lächeln.

»Sie ist verrückt, wie immer«, sagt Rebecca mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Aber sie würde dich sicher gern mal wiedersehen. Warum gehst du nicht zum Herbstfest?«

Ich schüttele den Kopf. Das Herbstfest in Ipswich findet auf dem Hof der Bennets statt. Ich bin immer gemeinsam mit meiner Mutter hingefahren.

»Ich denke nicht. Zu viele Erinnerungen. Außerdem sehe ich deine Mom doch am Samstag bei der Zusammenkunft des Zirkels.«

»Ja, das verstehe ich.« Rebecca lächelt mich wieder traurig an, bevor sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich ändert und sie für einen Moment die Augen schließt.

»Oh, Kate. Du solltest heute deine Schwester anrufen«, sagt sie.

»Celeste? Warum? Ist alles okay?« Ihr besorgter Blick gefällt mir gar nicht. Als ich zuletzt von meiner kleinen Schwester gehört habe, war sie auf einer Jacht vor Grand Cayman unterwegs, wo sie als persönliche Astrologin für einen hochkarätigen Schauspieler arbeitete, der angeblich viel netter war, als ich dachte. Meine Gedanken entgleiten mir kurz, und ich befürchte das Schlimmste. Vielleicht hatte dort ein Hurrikan gewütet, von dem ich nichts weiß.

Rebecca schüttelt den Kopf. »Nein, nicht Celeste. Miranda.«

»Warum soll ich sie anrufen?«, frage ich erstaunt. Rebecca weiß, dass meine große Schwester und ich kein besonders inniges Verhältnis haben. Sie verzieht erneut den Mund, aber ihre Augen sehen immer noch traurig aus.

»Sie hat bestimmt keinen leichten Tag heute. Ich habe es vor ein paar Stunden von den Ältesten erfahren. Margaret Halliwell ist letzte Nacht gestorben.«

Kapitel DreiWenn ein Fremder klopft

Unheilvolle Wolken brauen sich über dem Wald zusammen, als ich nach Hause komme. Eine Fahrt durch den Regen ist mir erspart geblieben, aber es ziehen weitere Schauer auf. Merlin begrüßt mich, und ich streichele ihn abwesend, während ich am Schreibtisch sitze. Der Tisch ist aus knarzigem Holz und hat Dutzende kleine Schubladen und versteckte Fächer, in denen ich alles aufbewahre, von Schreibzeug bis zu verbotenen Schätzen. Obenauf liegen verschiedene Rezepte, Bestellzettel und andere Papiere. Ich schiebe sie zu einem Stapel zusammen und stopfe diesen dann in eine der Schubladen. Dann schlage ich die To-do-Liste in meinem Herbarium auf und hake meine Schicht im Raven & Crone ab. Aber ich kann mich unmöglich für eine weitere Aufgabe entscheiden. Erste Regentropfen prasseln auf das Dach und dann gießt es plötzlich in Strömen. Das Auf und Ab des Wetters, ein Abbild meines rastlosen Geistes.

Margaret Halliwell ist tot.

Ich kann noch immer ihre knochigen Finger an meinem Handgelenk spüren. Der Schmerz, das Stechen, als ich mich von ihr losriss, hatte sich so echt angefühlt. Hatte mein Unterbewusstsein gespürt, dass sie verstorben war? Warum hätte ich sonst so etwas träumen sollen?

Ich lege den Kopf auf den Schreibtisch, mein Atem streicht über die Ränder meines Herbariums. Das lederne Buch zuckt und blättert zu einem alten Rezept.

»Granatapfel-Glücklichmacher im besonderen Gefäß«, murmele ich, hebe den Kopf und lese laut vor. »Lass das Prickeln dir munden und deine Sorgen sind verschwunden.« Ich lächele. Der Glücklichmacher ist ein köstliches Getränk, das meine Mutter immer für uns anrührte, wenn eine von uns einen besonders schlechten Tag hatte. Es war eines der ersten Rezepte, das ich in mein eigenes Buch übertrug. Celeste hatte nach einer Trennung mal so viel davon getrunken, dass sie fünf Zentimeter über dem Boden schwebte und gar nicht mehr aus dem Kichern herauskam. Mom, Miranda und ich hatten mehrere Stunden gebraucht, um sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

»Danke für den Tipp«, sage ich, »aber ich habe keinen Champagner im Haus.« Außerdem habe ich absolut keine Lust, einen ganzen Kürbis auszuhöhlen und als Gefäß zu nutzen, damit das Rezept überhaupt Wirkung zeigt. Aber das erzähle ich meinem Herbarium nicht; ich will ja niemanden kränken.

Die Seiten blättern weiter, dieses Mal etwas energischer.

»Geistervergrauler-Gin Tonic«, lese ich. »Gegen jede Art von Spuk, ob im wörtlichen oder im übertragenen Sinne.«

Ich verziehe das Gesicht. Selbst wenn ich nicht geträumt haben sollte, Margaret war kein Gespenst gewesen. Geister bewegten sich als ätherische, unsichtbare Kräfte im Schleier zwischen den Lebenden und den Toten. Ich hatte Mags gesehen. Ich hatte ihre Berührungen gespürt.

»Mir gefallen deine Andeutungen nicht«, sage ich. »Und warum willst du mich betrunken machen?«

Ein zitterndes Ächzen und mein Herbarium schlägt sich zu. Die Wucht der Bewegung erschüttert meinen Schreibtisch. Ich beiße mir auf die Lippe, jetzt habe ich es doch gekränkt.

Merlin knabbert liebevoll an meinem Ohr, blickt zur Haustür und miaut alarmiert.

Ich folge seinem Blick und alles um mich herum wird still. Ein fernes Bestreben erreicht mich. Dann ertönt das Geräusch einer Welle, die sich an der Tür bricht.

Ich seufze. Miranda.

Ich gehe zur Tür und öffne sie. Ein kleines, in braunes Papier gewickeltes Päckchen liegt auf meiner Fußmatte. Ein strahlend weißer Umschlag wurde mit Schnüren daran befestigt. Der Brief ist klamm und riecht nach Salz. Es ist ewig her, dass ich von Miranda gehört habe, und es ist besonders seltsam, dass sie sich heute meldet, so kurz nach dem Tod ihrer Mentorin. Ich lege das braune Päckchen auf meinen Schreibtisch und lese den Brief.

Liebste Hecate,

 

da ich weiß, wie sehr du die Abgeschiedenheit in deiner kleinen Hütte genießt, halte ich es durchaus für möglich, dass du nicht auf dem neuesten Stand bist. Es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass unsere Älteste Margaret Halliwell heute früh von uns gesegelt ist. Natürlich hätte es keinen schlechteren Zeitpunkt dafür geben können. Margaret sollte in diesem Jahr die Zusammenkunft an Samhain ausrichten und nun müssen wir alle Pläne über Bord werfen. Sie hat ihren Abgang wirklich ungünstig gewählt. Die Lage ist überaus kritisch. Gott sei Dank wird es keine Beerdigung geben. Sie wurde dem Meer überlassen, wie sie es sich gewünscht hatte. Da sie keine lebenden Nachkommen hat, wurde ihr Buch an das Archiv des Zirkels geschickt. Ihre Angelegenheiten sind geregelt, sie hatte Päckchen für diverse Hexen im Schlüssel des Atlantiks vorbereitet. Du bist eine davon. Es erscheint mir seltsam, dass sie dir etwas hinterlassen hat, aber wie wir beide wissen, war sie zuletzt etwas verwirrt. Wie dem auch sei, das Päckchen liegt diesem Schreiben bei.

Ich schaue kurz auf und betrachte das Päckchen auf meinem Schreibtisch. Margaret hat mir etwas hinterlassen? Wir hatten selten miteinander zu tun, bevor sie letztes Jahr krank wurde; sie hatte immer Miranda oder Celeste vorgezogen. Zögernd entferne ich das Packpapier. Es ist eine Kiste aus Mangrovenholz, auf dem Deckel prangt ein eingraviertes Bild der stürmischen See. Obendrauf klebt ein kleiner gelber Zettel mit meinem Namen, und ich erkenne Margarets elegante Handschrift.

Der Deckel knarrt, als ich ihn anhebe. In der Kiste liegen die sechs Tiegel Weißdornbalsam, die ich ihr im Laufe des Jahres geschickt habe. Allesamt ungeöffnet.

»Ach, Margaret«, flüstere ich traurig. Offensichtlich wollte sie sich also doch nicht von mir helfen lassen. Jammerschade. Ich werde die Tiegel verbrennen müssen. Der Balsam war speziell für sie gemacht. Wenn ich ihn an jemand anderes weitergeben würde, könnten die Kräfte durcheinandergeraten. Meine Hand schwebt über dem letzten Gegenstand in der Kiste. Es ist eine kleine Glasphiole mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit, eine Art trübes Wasser, in dem Bodensatz herumwirbelt.

»Was bist du denn?«, frage ich verwundert, während ich die Phiole aus der Kiste nehme und sie von allen Seiten inspiziere. Ich kann keine Beschriftung entdecken. In der Hoffnung auf eine Erklärung, drehe ich den Klebezettel mit meinem Namen um. Aber die Rückseite ist leer, es gibt keinerlei Hinweise. Wie merkwürdig.

Vielleicht weiß Miranda, wofür die Phiole gedacht ist? Ich lese weiter.

Diese Woche herrscht völliges Chaos. Ich habe dem Zirkel geschrieben und ihnen Goodwin Manor für unser Neujahrsfest angeboten. Mein Vorschlag hat ein paar Wellen geschlagen, aber letztendlich sind alle froh darüber. Natürlich ist es eine sehr zeitraubende Aufgabe, aber ich werde meinen Pflichten als Hexe im Schlüssel des Atlantiks nachkommen.

Bitte bereite alles im Herrenhaus vor. Celeste und ich werden kurz vor der Nacht der Streiche anreisen und uns nach den Halloween-Festlichkeiten wieder verabschieden. Es wird sicher schön, unseren ersten Samhain ohne Mutter gemeinsam zu begehen. Vielleicht helfen unsere alten Traditionen dabei, die Wunden der Trauer zu heilen. Und falls wir noch Zeit haben, können wir auch versuchen, deinen Geburtstag zu feiern.

Lass mich wissen, wie schnell du dich um das Haus kümmern kannst. In ein paar Tagen schicke ich dir die Gästeliste und das Menü.

Ich muss zugeben, nachdem ich nun sowohl Mom als auch Margaret in diesem Jahr verloren habe, kommt es mir manchmal vor, als wäre die ganze Welt gegen mich. Vielleicht haben wir in dieser Woche etwas mehr Rückenwind, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen.

Alles Liebe

 

deine Schwester,

Miranda Helenia Spence Goodwin

Meine Augen werden immer größer, während ich lese. Meine Schwestern kommen am Donnerstag hierher; ich habe nicht einmal fünf Tage Zeit, um ein Samhain nach ihren Vorstellungen vorzubereiten. Sicher erwarten sie die Präsentation der Kürbisse, das Stille Ahnenmahl, die Cocktails, das Festessen an Halloween. Ganz zu schweigen von den Zirkelfeierlichkeiten, die an Samhain nach Sonnenuntergang stattfinden. Es ist unmöglich, das alles rechtzeitig zu schaffen. Ich lege den Brief beiseite und blicke zu meinem Besen auf dem Küchentisch. Da kommt jemand, in der Tat. Ungefähr fünfzig Hexen.

»Danke für die Vorwarnung«, grummele ich. Jegliches Mitleid für meine Schwester hat sich soeben in Luft aufgelöst. Nur Miranda schafft es, den Tod ihrer Mentorin wie ein lästiges Übel dastehen zu lassen, mit dem die Verstorbene sie ärgern wollte.

Ich schiebe alle Gedanken zur Seite, die mit Margarets Erscheinung und dem Päckchen zu tun haben. Ich muss den Kopf freikriegen. Bei dem Sturm, der draußen wütet, wäre es unklug, in den Wald zu spazieren. Also entscheide ich mich fürs Kochen.

Ich bereite eine Pfanne mit Kichererbsen und wilden Pilzen vor, die ich im Ofen rösten werde. Dazu kommen Zitrone, Knoblauch und Rosmarin für den besonders intensiven Geschmack. Ich kann die Stimme meiner Mutter hören, während ich die Kräuter hacke.

»Was ist das hier, Hecate?« Sie deutet auf eine Pflanze mit dürren grünen Nadeln an langen schmalen Stängeln.

»Rosmarin«, sage ich.

»Sehr gut.« Sie nickt. »Und was kann Rosmarin?«

»Er macht, dass die Sauce lecker schmeckt?«, antworte ich nach einer kurzen Pause. Meine Mutter lacht.

»Das ist richtig, ja. Jeder – ob Hexe, Magier oder Sterblicher – kann einem Gericht mit Rosmarin eine wunderbare Note verleihen. Aber es gibt noch einen anderen Verwendungszweck. Rosmarin ist das Kraut des Andenkens. Eine gut ausgebildete Hexe kann Rosmarin nutzen, um ihre Kraft und ihr Bestreben zu verstärken, wenn sie ihrer Ahnen gedenken will. Verstehst du?«

Ich schüttele den Kopf. Meine Mutter nimmt einen Stängel in die Hand, ihre Stimme klingt ruhig und geduldig.

»Dein Bestreben nährt die Magie. Es befeuert den Wunsch, etwas zu tun und die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich passiert.« Sie reicht mir das Kraut, damit ich mir die Nadeln genauer ansehen kann.

»Darin liegt schließlich der Kern von Magie. Wir wenden das Glück zu unseren Gunsten. Verbessern die Chancen auf das gewünschte Ergebnis. Im Schlüssel des Atlantiks ersuchen wir unser eigenes Bestreben und das der Hexen vor uns. Ihre Kraft bleibt, auch wenn ihr Geist bereits gegangen ist. Diese Kraft fließt durch deine Adern.« Sie kitzelt meine Nase mit einem zweiten Rosmarinstängel, und ich lache überrascht auf.

»Aber«, sagt meine Mutter, »um sich an dieser Kraft gütlich zu tun, muss man ein Opfer bringen. Andernfalls würde sie sich an dir gütlich tun.«

Ich sehe sie mit großen Augen an, eine gruselige Vorstellung. Meine Mutter lacht.

»Hab keine Angst, Liebes. Darüber müssen sich nur die Hexen der Metamagie Gedanken machen. Glücklicherweise kann alles in dieser Welt unsere Kraft steigern. Pflanzen, Tiere, Technologie. Wenn du es berühren, sehen oder dir vorstellen kannst, kann es deine magischen Fähigkeiten verstärken. Als Heckenhexe wirst du mit der Natur arbeiten. Kräuter und Pflanzen werden dir helfen, dein Bestreben in die richtigen Bahnen zu lenken. Es ist wichtig zu wissen, wonach du greifen solltest, wenn du deine Kunst ausübst.«

Sie deutet auf die anderen Kräuter.

»Salbei für Weisheit. Getrocknete Rosenblüten für Liebe. Thymian, Petersilie, Oregano. Du findest sie in jeder Küche. Schreib dir das auf, Hecate.«

Das Gemüse und die Kräuter werden zu dunkel, brennen beinahe an, während ich mir die Tränen wegwische. Ich bekomme kaum Luft, denn die Erinnerung an meine erste Lehrstunde hat eine Welle der Trauer in mir ausgelöst. Vier Monate sind vergangen und die Sehnsucht nach der Stimme meiner Mutter ist immer noch so scharfkantig wie zersprungenes Glas.

Schniefend brate ich ein Stück Hähnchenbrust scharf an und gebe Nudeln in kochendes Wasser, so salzig wie die Bucht von Ipswich. Die Kichererbsen sind knusprig und die angekohlten Pilze sind abgekühlt, also fülle ich Nudeln, Fleisch und Gemüse auf einen Teller. Zum Schluss füge ich cremige Burrata, gereiften Parmesan und frische Butter hinzu und beträufele alles mit Balsamico.

Säuerlich und salzig durch den Essig und den Parmesan, frisch durch die Zitrone und die Burrata und erdig durch die Kräuter und Pilze. Obwohl meine Nase vom Weinen noch etwas verstopft ist, schmecke ich die herrliche Kombination der Aromen. Jeder Bissen wie ein perfekt gespielter Ton in einer Sinfonie. Ich muss mich zwingen, den Teller nicht abzulecken, sondern ihn für Merlin auf den Boden zu stellen, der glücklich drauflosschleckt.

Danach bürste ich sein Fell ausgiebiger als sonst, während ich wie hypnotisiert auf das Feuer starre, bis die flackernden Flammen meine Traurigkeit wieder verdrängt haben. Als ich fertig bin, ist Merlins Schnurren in sanftes Schnarchen übergegangen, seine Pfoten kneten mein Bein, während er tiefer in den Schlaf sinkt. Ich nehme Ginnys Buch vom Beistelltisch und wuchte es zu mir herüber. Merlin wacht davon auf, springt von meinem Schoß und rollt sich direkt vor dem Kamin zusammen.

»Du sengst dir noch das Fell an, wenn du nicht aufpasst«, warne ich ihn. Er wirft mir einen müden Blick zu und wendet seinen Kopf dann in Richtung des Feuers.

»Wie du willst.« Ich schmunzele und schlage das Buch auf. Ich lese eine Stunde lang, gemütlich eingekuschelt in meinem Ledersessel.

Um zwanzig Uhr abends bereite ich mein Frühstück für den nächsten Tag vor. In einer Ecke der Küche steht das Rezeptbuch meiner Mutter. Wieder hallen Margarets Worte in mir nach.

»Finde das Buch deiner Mutter und du erfährst, warum sie dich zur Heckenhexe ernannt hat.«

Ich stelle die Haferflocken in den Kühlschrank und nehme das Rezeptbuch von seinem angestammten Platz. Es liegt schwer in meinen Händen, die Prägung des blubbernden Kessels auf dem Buchdeckel sieht inzwischen schon etwas mitgenommen aus.

»Sei nicht eifersüchtig«, sage ich zu meinem Herbarium auf dem Schreibtisch, während ich das Rezeptbuch durchblättere. Seit meine Mom weg ist, hat das Buch seinen Charakter verloren. Falls es hier etwas zu entdecken gibt, muss ich es selbst finden. Seiten voller Wörter, die ich seit Juni schon viele Male gelesen habe. Rezepte, To-do-Listen, Tagebucheinträge. Genau wie bei mir. Nach einer halben Stunde schlage ich das Buch frustriert wieder zu. Der einzige Unterschied zwischen unseren Büchern sind die medizinischen Zubereitungen, die in meinem enthalten sind. Und die Tatsache, dass bei meiner Mutter einige Einträge im Tagebuchabschnitt fehlen.

Hier und da fehlt ein Tag, scheinbar willkürlich, und kaum mehr als zwei pro Jahr. Es ist sonderbar, denn sie war eine gewissenhafte Tagebuchschreiberin. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es Tage gab, an denen sie vor lauter Arbeit nicht zum Schreiben kam. In den vorhandenen Einträgen finde ich jedenfalls keine große Antwort, keinen Grund dafür, warum ich eine Heckenhexe wurde.

»Es war bloß ein Traum«, sage ich zu Merlin. »Und nicht jeder Traum ist eine Prophezeiung.«

Ich stelle das Buch meiner Mutter zurück und mache es mir wieder in meinem Sessel am Kamin gemütlich. Ich beschließe, dass ich nach dem gestrigen Abenteuer erst einmal genug gehäkelt habe und widme mich lieber dem Sticken. Zurzeit arbeite ich an einem Halstuch mit aufgestickten Silbersternen, das ich Celeste zum Geburtstag schenken will. Einundzwanzig Uhr, zweiundzwanzig Uhr, dreiundzwanzig Uhr. Meine Augen werden schwer, und mein Handgelenk ist schon ganz steif, als ich meine letzten Stiche zähle. Als ich gerade den letzten Silberfaden kappe, wird Merlin schlagartig wach und macht einen Satz in Richtung Haustür.

»Hat dich irgendwas da draußen erschreckt, mein kleiner Zauberer?«, frage ich müde. Er hat die Ohren aufgestellt, legt den Kopf schief und maunzt leise. Plötzlich wird das Heulen des Sturms von einem lauten Klopfen durchbrochen.

Mein Blick zuckt zum Besen auf dem Tisch und ich denke angestrengt nach. Soweit ich weiß, bekommt heute niemand in der Stadt ein Baby – jedenfalls keine Frau, die sich eine Geburtshelferin gewünscht hätte. Eine kranke Person würde vermutlich warten, bis der Regen nachlässt. Könnte es Miranda sein, die wissen will, warum ich noch nicht auf ihren Brief geantwortet habe? Nein. Nicht einmal sie ist so ungeduldig.

Leise stehe ich auf und greife nach dem spitzen Schürhaken neben dem Kamin. Dann ziehe ich ein Seidensäckchen mit Weinkraut aus einem der Fächer meines Schreibtischs und stecke es in meine Tasche. Ich gehe zur Haustür und werfe einen Blick durch das schmale Sichtfenster. Draußen auf den Stufen steht eine groß gewachsene Gestalt, in Schatten gehüllt und tropfnass vom Regen. Ich öffne die Tür einen Spaltbreit und schaue hinaus. Das Kaminfeuer wirft ein mattes Licht auf das Gesicht der Schattengestalt. Ich schnappe nach Luft, als mir der Duft von Zimt in die Nase steigt und ich den Mann vor meiner Tür erkenne.

»Hecate Goodwin.« Grinsend steht er im Regen. »Genau die Hexe, die ich gesucht habe.«

Kapitel VierEine uralte Pflicht

Ich habe Matthew Cypher seit zehn Jahren nicht gesehen. Wenige Tage vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag hatten sich die führenden Köpfe verschiedener Zirkel in Ipswich versammelt, um über die gefährliche Hexerei einer Gruppe Jugendlicher im Mittleren Westen zu beratschlagen. Sie waren für eine Woche in Goodwin Manor untergebracht, während sie darüber diskutierten, wie man mit den skrupellosen Mitgliedern der Michigan Sechs umgehen solle. Ich hatte in diesen Tagen gut in der Küche zu tun, wo ich nach den Rezepten meiner Mutter kochte, während sie die Zusammenkunft, gemeinsam mit Margaret und Winifred, leitete.

Am dritten Tag waren Matthew und sein Vater, Malcolm Cypher, als ungebetene Gäste dazugestoßen. Ich wusste noch nicht, wer Matthew war, und wir wurden schnell Freunde, weil wir die einzigen jungen Leute in der Gruppe waren. Ich nahm ihn heimlich mit hinunter zu dem – damals noch – verfallenen Cottage, das am Rande unseres Grundstücks stand und früher als Pförtnerhaus gedient hatte. Wir teilten uns eine Flasche Zimt-Met aus der Vorratskammer meiner Mutter, und ich erzählte ihm, wie ich das Cottage zu meinem eigenen kleinen Zuhause umbauen wollte, sobald ich einundzwanzig werden würde.

Als meine Mutter uns angetrunken in der staubigen, verlassenen Hütte entdeckte, war sie rasend vor Wut. Sie klärte mich auf: Matthew war kein harmloser Magier aus dem Süden oder aus den Rocky Mountains; er gehörte dem Tor des Pazifiks an. Er war der Erbe des Zirkels. Ich werde sein selbstgefälliges Lächeln nie vergessen. So lächelt er mich auch jetzt an.

»Willst du mich nicht hereinbitten?«, fragt er, und sein Grinsen wird noch breiter, als er mein erschrockenes Gesicht sieht. Sein dunkelbraunes Haar wirkt in der regnerischen Nacht fast schwarz, aber seine Augen, gletscherseeblau, sind genauso strahlend, wie ich sie in Erinnerung habe.

»Was willst du?«, frage ich durch den Türspalt, den Schürhaken immer noch fest umklammert.

»Zuflucht«, sagt er freiheraus.

Ich schnaube verächtlich. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Bist du eine Heckenhexe oder nicht?«

»Das ist eine uralte Pflicht«, protestiere ich. Auf keinen Fall werde ich jemandem vom Tor des Pazifiks Unterschlupf und Schutz gewähren. »Was hast du überhaupt hier in der Gegend zu suchen, Matthew?«

Er hebt den Kopf, ein überraschtes Lächeln huscht über sein Gesicht.

»Lass mich rein und ich erzähle es dir.« Wieder diese Selbstgefälligkeit. Ich funkele ihn aus schmalen Augen an.

»Ich denke nicht«, sage ich entschieden. Der Geist meines zwanzigjährigen Ichs nickt zufrieden, als ich ihm die Tür vor der Nase zuschlage.

Ich kann meinen kleinen Sieg jedoch nur kurz auskosten, denn ich höre das Rascheln von Buchseiten auf meinem Schreibtisch. Mein Herbarium tut wie immer seine Meinung kund und präsentiert mir die unbequeme Wahrheit.

Die Pflichten einer Heckenhexe

Wenngleich sie am Rande der Gesellschaft und des Zirkels lebt, spielt die Heckenhexe für beide eine maßgebliche Rolle. Als Quelle der Heilung, Zuflucht und Hoffnung, gehört es zu ihren Pflichten, anderen Schutz zu gewähren, Hilfe zu leisten und stets ein offenes Ohr zu haben.