A Sky of Dreams - Alina A.E. Maurer - E-Book

A Sky of Dreams E-Book

Alina A. E. Maurer

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Beschreibung

In meinem Kopf lagen zwischen Portland und San Francisco Galaxien. Ganze Lichtjahre, die uns auseinandertreiben konnten, wie auch das Universum sich langsam ausdehnte und alles sich voneinander entfernte . Für Tilda könnte nach diesem turbulenten Sommer alles perfekt sein: Sie hat die Zusage ihrer Traumuniversität und ist mit dem Jungen zusammen, den sie liebt. Wenn Laurie nur nicht das Angebot bekommen hätte, in San Francisco zu malen – einen ganzen Bundesstaat entfernt! Auseinandergerissen von ihren unterschiedlichen Träumen, probieren sie ein zweites Mal eine Fernbeziehung aus. Zwischen Vorlesungen , neuen Freunden und verrückten Mitbewohnern wird es immer schwieriger, Zeit füreinander zu finden … Was bleibt, wenn die Zeit zu schnell vergeht und die Sehnsucht größer wird als die Entfernung? Die Fortsetzung von „A Sea of Starlight“ – „When We Fall“ erzählt von der Kraft der Träume, dem Vertrauen in sich selbst und der Frage, wie viel die Liebe aushalten kann.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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ALINA A.E. MAURER

A

SKY

OF

DREAMS

When We Fall

Originalausgabe

© 2025 Alina A.E. Maurer

c/o Authors' Dreams

Am Krummgewann 22

64625 Bensheim

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Ineke Reichel

Umschlaggestaltung: Nadja Vieweger, unter Verwendung von Motiven von starline/Freepik und Unsplash

ISBN: 9783754656754

Veröffentlicht über tolino media

Für alle, die träumen.

Playlist

Something Great – One Direction

Rocketship – Llunr

Wilderness – Jon Bryant

Lights – BTS

Here with Me – Susie Suh und Robot Koch

Nap of a star – TOMORROW X TOGETHER

Walked Through Hell – Anson Seabra

Fix You – Coldplay

Not That Far To Go – Tommy Ashby

Second Life – SEVENTEEN

i don’t want to watch the world end with someone else – Clinton Kane

my home – AWIN

Before You – Benson Boone

Meant To Be – Ber und Charlie Oriain

ilym (feat. ROSIE) – John K

echo – Alexander Stewart

Time – The Rose

What kind of future – WOOZI

Take Me Back (Home) – Asia Faith

Old Home – beaux

Take Me Down – The Rose

Hold On – Chord Overstreet

Kapitel 1Relativitätstheorie, wie die Zeit für beschleunigte Körper langsamer vergeht, oder wie ich mir mehr Zeit wünschte

Lauries Herzschlag klang wie das Rauschen des Meeres. Jedes beständige, gleichmäßige Pochen war wie das Schieben und Ziehen der Wellen am Strand. Es war das schönste Geräusch der Welt, weil das Meer mich schon immer beruhigt hatte.

Ein Ohr auf seiner Brust, den Arm um ihn geschlungen, hatte ich die Nase in seinem T-Shirt vergraben. Der Sand kitzelte die nackte Haut zwischen meinen ausgefransten Jeans und den Turnschuhen.

Alles an Laurie verschmolz mit allem von mir und dabei hörte ich ihm nur beim Atmen zu, im gleichen Rhythmus wie das Brechen der Wellen am Strand.

Der Wind zupfte an meinen Haaren und Lauries Finger zogen kleine Kreise auf meinem Rücken.

Alles war ruhig und wohlig warm.

»Ich wünschte mir, ich könnte die Zeit anhalten«, flüsterte ich. »Dann würde ich für immer in diesem Moment bleiben.«

Laurie lachte leise auf. Ich spürte das Vibrieren seines Brustkorbs bis in meine Zehenspitzen, ein wohliger Schauer.

»Dann wäre er nicht mehr schön«, sagte er.

Ich hob meinen Kopf und musterte ihn. Die Abendsonne tauchte ihn in einen goldenen Schein, verfing sich in den dunklen Strähnen seiner Haare und ließ seine Augen in einem warmen Schokoladenbraun funkeln.

»Wenn der Moment nie enden würde, könnten wir ihn nicht wertschätzen«, erklärte er. »Mit was würden wir ihn sonst vergleichen?«

»Mit allen düsteren Momenten vorher.«

Sanft strich Laurie mir eine Strähne hinters Ohr. Seine Finger waren rau vom Malen, ein einzelner Sprenkler Mitternachtsblau klebte an seinem Handrücken.

»Und was ist mit all den schönen Momenten, die noch kommen?«, fragte er. »Dann würden wir sie verpassen, wenn wir für immer hier blieben.«

»Seit wann bist du eigentlich der Realist von uns beiden?«

Ein Grübchen blitzte hervor. »Seit ich so viel Zeit mit einer angehenden Astrophysikerin verbringe?«

Ich zwickte ihn in die Seite, was mich mit dem zweiten Grübchen belohnte.

»Ich würde dich ja zurückkitzeln, aber ich will den Moment nicht zerstören«, behauptete er.

»Du weißt einfach, dass du verlieren würdest.«

Seine Lippen öffneten sich, als ob er etwas Schnippisches erwidern wollte. Dann schloss er den Mund und zog mich enger an sich. Die Hand, die unter meinem dünnen Pullover auf meinem Rücken ruhte, wanderte weiter meine Wirbelsäule hinauf. Ich entspannte mich in seiner Umarmung und schmiegte mich enger an ihn.

Die einzige Warnung war sein unterdrücktes Kichern, bevor er mich zu kitzeln begann. Es war ein kurzer Kampf, bis er sich windend unter mir lag und um Erbarmen bettelte.

»Okay, okay, du hast gewonnen«, keuchte er, halb atemlos, halb lachend.

»Was du nicht sagst.« Meine Knie lagen links und rechts neben seiner Hüfte im Sand und er zog mich zu sich herunter, bis ich auf seinem Schoß saß. Hitze strömte durch meine Adern, Millionen kleiner Meteoriten auf ihrem Weg, zu verglühen. Egal wie oft er mich berührte, er hatte diese Wirkung auf mich. Wie beim allerersten Mal - prickelnd, warm, aufregend, alles einnehmend.

Ich lehnte mich vor und küsste ihn. Sanft und langsam, als hätten wir alle Zeit der Welt. Er schmeckte nach den Donuts, die wir uns vorhin bei Moira geholt hatten. Süß, wie Laurie eben.

Was als keuscher Kuss begonnen hatte, wurde schnell zu mehr. Er teilte meine Lippen mit seinen, spielte mit meiner Zunge, schob seine Hand meinen Oberschenkel hinauf bis zu meinem Hintern. Ich krallte mich in seine Haare und drängte mich näher an ihn, während er mir entgegen kam. Ich fuhr seine hohen Wangenknochen nach, den scharfen Zug seines Kiefers, seinen Hals hinab, wo sein Puls im Einklang mit meinem donnerte.

Alles in mir glühte und mein Herz flatterte in meiner Brust, herrlich leicht, beflügelt von Lauries Küssen und seiner Härte, die ich mehr als deutlich spürte.

Er löste unsere Lippen voneinander, vergrub aber seine Nase an meiner Wange, um mir weiterhin nahe zu sein. »Scheiße, wenn ich gleich mit meiner Großmutter am Esstisch sitzen will, müssen wir aufhören.«

Ich lehnte mich zurück und ließ mich in den Sand fallen. Laurie folgte mir in die sitzende Position, unsere Beine verschränkt, seine Hand an meiner Hüfte.

»Ist es schon so spät?«, fragte ich, obwohl ich es nicht wollte. Es sollte nicht schon Abend sein. Die Sonne sollte nicht schon hinter mir im Meer verschwinden, sie sollte noch einmal wieder aufgehen. Damit wir wieder unseren letzten Tag in Lunar Creek hatten, bevor morgen der Flieger ging.

Laurie fischte nach seinem Handy, das in meinem achtlos hingeworfenen Jutebeutel lag.

»Kurz vor acht«, sagte er, die Stimme immer noch etwas kratzig.

Mein Herz war wieder tonnenschwer. Wie konnte man jemanden schon vermissen, der noch bei einem war? Das hatte ich mich damals bei Mum schon gefragt. Wie konnte ich sie vermissen, weinen um ihren Verlust, wenn ich sie im Krankenhaus noch besuchen und ihr schwaches Lächeln sehen konnte? Ich verstand es nicht. Ich verstand nicht, warum Herzen sich die Schmerzen der Zukunft aussuchten und sie zu ihrem Jetzt machten.

»Ich bin bekannt dafür, zu spät zu kommen«, sagte Laurie.

»Ich dachte, du bist okay damit, dass der Moment endet?« Mein Lachen klang selbst in meinen Ohren schwach.

Er hielt mein Gesicht und ich legte mich in die Berührung hinein. Warm und vertraut und beschützend.

»Endet, ja. Aber vielleicht kann er noch etwas länger gehen. Nur ein paar Minuten.«

»Ein paar Minuten«, wiederholte ich leise und senkte meine Stirn gegen seine. Schlang meine Arme um ihn und atmete ihn ein. Meersalz und Fichte, Sommersonne und Laurie.

Die Wellen brachen am Strand und ich wusste nicht, wie ich es die nächsten Monate ohne sie aushalten sollte.

Sein Handy vibrierte. Einmal, zweimal, dreimal, dann erst griff er danach und nahm ab.

»Jo?«

Ich hörte ihre feste Stimme, konnte ihre Worte aber nicht verstehen.

»Ja, wir haben die Zeit vergessen.« Eine halbe Lüge. Wir hatten sie bewusst vergessen, in die Länge gestreckt, damit sie nicht zwischen unseren Händen zerrann wie Sand. »Wir machen uns auf den Weg, sind gleich da.«

Laurie platzierte einen federleichten Kuss auf meinen Lippen, den ich nur zu gern vertieft hätte. »Komm. Wenn wir nicht gleich da sind, quatscht sie uns die nächste halbe Stunde etwas von junger Liebe und Vergesslichkeit vor.«

Er rappelte sich als Erster auf und suchte unsere Sachen zusammen. Die leere Box, in der die Donuts gewesen waren. Mein Buch, das ich gelesen hatte. Seine Kopfhörer, die alten mit Kabel, weil Laurie seine kabellosen ständig verlor. Sein Sketchbook, in dem er vorhin noch mit Bleistift skizziert hatte.

Ich vergrub meine Finger im Sand und versuchte das Gefühl der kleinen, feinen Körner in meine Haut zu graben. Ich wollte es nicht vergessen, während ich in Oregon war, fast vierzig Meilen Luftlinie vom Ozean entfernt.

Eine Hand schob sich in mein Blickfeld. Kurz horchte ich meinem Gravitationsherzen nach, das im Einklang der Wellen schlug. Dann ergriff ich Lauries Hand und lief mit ihm den Strand hinauf zu Jos Haus.

»Ich glaube, der Tisch ist zu klein«, sagte Jo und stemmte die Arme in die Hüfte. Sie hatte die weißen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, ihre Brille hing an einem goldenen Bändchen über dem blauen Leinenkleid, das sie heute trug. Sie hatte ihr Gewicht auf das gesunde Bein verlagert, das andere steckte seit ihrem Sturz von der Leiter vor einigen Wochen in einer Schiene. Ihre Krücke lehnte gegen die Wohnzimmerwand hinter ihr.

»Oder wir haben zu viel Essen mitgebracht«, sagte Dad, eine Schüssel von seinem selbstgemachten Nudelsalat in der einen und eine Platte mit Morassa polo, einem Safranreis mit unterschiedlichen Toppings von Malik, in der anderen Hand.

»Papperlapapp«, sagte Jo sofort.

Dabei stimmte ich im Stillen Dad zu. Der große Esstisch, den Jo die letzten Jahre nie genutzt hatte, weil sie meinte, dass sie sich an so einem großen Möbelstück viel zu einsam vorkam, war vollgestellt mit Tellern, Schüsseln und Platten an Essen. Und Nasia und Malik holten gerade weitere Speisen aus ihren Taschen hervor, wobei sie sehr genau von Kopernikus beobachtet wurden. Unser Pitbull-Mix saß dicht am Esstisch, seine Koboldohren wackelten, während sein Blick dem Pfad des Essens folgte.

Obwohl Jo uns vom Strand weggerufen hatte, war das Abendessen noch nicht fertig. Teddy holte Stühle aus den anderen Räumen, da Jo ihr Set Esszimmerstühle bereits verkauft hatte. Moira wartete in der Küche noch auf ihren Kuchen, der im Ofen buk. Benny versuchte, die Glühbirne davon zu überzeugen, für heute Abend noch ein letztes Mal ihren Dienst zu tun. Laurie und ich standen hingegen nur dort, wo einmal der schwere Perserteppich gelegen hatte, und beobachteten das Geschehen.

»Wir sind ja auch eine große Runde«, sagte Emma. Isaac schlief in der Trage, die sie sich umgebunden hatte, nur sein Haarflaum und hellbrauner Kopf schaute zwischen den Tüchern hervor. Sie wiegte sich langsam hin und her, um ihn bei dem Trubel im Schlaf zu halten.

»Das Essen kommt schon weg«, bestätigte Teddy mit einem Brummen. Er rückte einen Stuhl mit der linken Hand ans Kopfende, den rechten Arm konnte er seit dem Vietnamkrieg kaum noch nutzen.

Jo seufzte und humpelte um den Tisch herum, um Malik und Nasia dabei zu helfen, irgendwie noch weiteres Essen darauf unterzubekommen. Die Arme fest vor der Brust verschränkt, Hände in meinen Pulloverärmeln vergraben, sah ich mich im leeren Wohnzimmer um. Morgen flog Jo zu ihrem Sohn nach Chicago, ihr Haus war nichts mehr als eine leere Leinwand der Vergangenheit. Helle Flecken an den Wänden zeigten, wo einmal Bilder gehangen hatten. Kerben im Parkett deuteten an, wo das Sofa zu viel hin- und hergeschoben worden war in den Jahrzehnten, die sie hier gewohnt hatte. Der Kamin war aus, das Regal darüber leer, die kleinen Figürchen und Objekte, die Jo und ihr Mann auf ihren Reisen gesammelt hatten, verschwunden.

Wären nicht die Menschen hier, die Lunar Creek zu meiner Heimat machten, wäre mir dieses Haus völlig fremd. Nichts erzählte mehr von den Stunden bei Tee und Kartenspielen, die ich mit Jo hier verbracht hatte.

»Vielleicht hätte ich mir die Donuts sparen sollen«, raunte Laurie mir zu. Er lächelte schief, ein offensichtlicher Versuch, mich aufzumuntern. Man konnte mir schon immer jedes Gefühl an der Nasenspitze ablesen, doch diesmal ärgerte ich mich nicht darüber.

»Ich glaube nicht, dass das einen Unterschied gemacht hätte«, sagte ich, dankbar für die Ablenkung aus den wehmütigen Gedanken, die mich seit Tagen immer mehr herunterzogen, je näher sich der Sommer dem Ende neigte. »Süßes geht bei dir doch immer.«

Laurie schnalzte mit der Zunge. »Touché. Denkst du, wenn ich Moira lieb bitte, sichert sie mir ein paar Kuchenstücke, bevor die anderen ihn bekommen?«

»Moira würde dir einen extra Kuchen backen, wenn du sie darum bittest. Sie liebt dich.«

»Nur weil ich ihre Backkünste vergöttere.«

Wie selbstverständlich schlang er einen Arm um meine Hüfte und zog mich zu sich. Und wie selbstverständlich lächelte ich, löste die Arme aus ihrer verkrampften Haltung und legte meine Hand an seinen Rücken. Eben noch etwas verloren, war ich jetzt wieder fest verankert.

»Ha, ich bin ja doch nicht zu spät«, tönte meine Schwester von der Haustür. Sie machte sich nicht die Mühe, ihre schwarzen Stiefel auszuziehen, die sie bei jedem Wetter trug, oder die Tür vernünftig zu schließen. Mit einem Fußstoß fiel sie hinter ihr zu.

Jo sah vom Esstisch auf, wo sie anscheinend schwierige Flächenkalkulationen durchgeführt hatte, so gefurcht wie ihre Stirn eben noch war. »Mae, Liebes, hast du die Limonade dabei?«

Mae hielt stolz das Sixpack Limoflaschen hoch, Jo klatschte in die Hände. »Dann haben wir ja alles! Und wegen des Essens habe ich auch schon eine Idee.«

Keine fünf Minuten später saßen wir alle am Esstisch. Umzugskartons standen neben unseren Stühlen, auf denen die restlichen Gerichte standen. »Für irgendetwas müssen die Dinger ja gut sein«, hatte Jo gesagt. Es wurde wild über den langen Esstisch gerufen und Platten und Schüsseln einander angereicht.

Ich hatte mir von allem, was vegan war, ein bisschen was auf den Teller gelegt und wusste nicht, was ich zuerst probieren sollte.

Kopernikus’ Kopf lag zwischen meinen Oberschenkeln und er sah mich hoffnungsvoll aus seinen Knopfaugen an.

»Wann genau beginnen deine Kurse, Tilda?«, fragte Moira mich und brach etwas Pitabrot ab, das sie in Hummus tunkte.

»Erst nächste Woche«, sagte ich und merkte, wie mein Herz etwas schneller schlug. Aufregung und Furcht wanden sich in meinem Magen so eng beisammen, dass ich sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. »Aber die Einführungsveranstaltung für die neuen Studierenden ist übermorgen.«

»Das wird bestimmt toll.«

Ich nickte und hoffte, dass ich dabei zuversichtlich aussah. In Wirklichkeit konnte ich schon seit Tagen nicht mehr richtig schlafen, weil mich die abstrusesten Szenarien wachhielten: Ich würde mich direkt blamieren, weil ich über meine Schnürsenkel stolperte und all meine Unterlagen auf dem Boden verteilte. Oder ich verschlief die Einführung und alle starrten mich an, weil ich zu spät kam. Oder ich fand mich auf dem Campus nicht zurecht, bis ich irgendwo in einer Ecke weinte. Oder alle fanden sich direkt super sympathisch, mich aber einfach nur komisch – wer fing denn schon mit einundzwanzig noch an zu studieren?

Laurie verschränkte unter dem Tisch seinen kleinen Finger mit meinem. Anscheinend hatte Moira noch weitergesprochen und er hatte das Gespräch an meiner Stelle fortgeführt.

»Ach, fliegst du mit nach Portland?«, fragte Benny gerade überrascht.

»Ja, ich helfe Tilda beim Ankommen«, sagte Laurie. »Ich war damals echt dankbar, dass meine Eltern an meinem ersten Tag dabei waren.«

»Ich wäre auch mitgeflogen, aber ich kann den Laden nicht so lange zu lassen«, grummelte Dad, der am Kopfende saß. Sein Teller war so voll, als ob er plante, fürs Frühstück noch mitzuessen.

»Das ist auch richtig so«, sagte ich sofort. Diese Diskussion hatten wir in den letzten zwei Wochen öfter geführt. Dad wollte mit mir an die Pacific University für die ersten paar Tage kommen, wie es sich für Eltern gehörte. Das war sein Wortlaut gewesen, nicht meiner. Erst hatte er sogar gesagt, er würde mich die sieben Stunden mit dem Auto fahren. Doch ich hatte ihn davon überzeugen können, dass es wichtiger war, den Antiquitätenladen offen zu lassen. Als ich meinte, dass Mae ohne uns vermutlich das Haus abfackeln würde beim Versuch, sich Spiegeleier zu machen, hatte er schließlich eingelenkt.

»Lass das die jungen Leute allein machen«, stimmte Benny zu. »Fliegen macht so einen schrecklichen Rücken.«

Moira verdrehte die Augen. »Jeder würde Rücken bekommen, wenn er so versteift wie du mehrere Stunden dasitzt.«

»Ich vertraue diesen Blechbüchsen nicht«, sagte er gereizt. Seiner Frau zuliebe war er letztes Jahr mit in ihre Heimat Kenia geflogen, um ihre Familie dort zu besuchen. Er hatte noch Monate danach über die lange Reise geflucht und gleichzeitig hatte so viel Liebe in seiner Stimme gelegen, dass es ihm keiner so wirklich abgenommen hatte.

»Wir fliegen ja zum Glück nicht lang«, sagte Laurie.

»Wann geht es für dich weiter nach San Francisco?«, fragte Moira.

Lauries kleiner Finger zuckte, eine scheinbar unbewusste Bewegung. Jo fragte ihn, ob er ihr das Chili sin Carne reichen könnte, wofür er beide Hände brauchte. Danach legte er seine Hand nicht zurück auf meinen Oberschenkel.

»Nächstes Wochenende«, sagte er. Seine Stimme klang völlig ruhig. »Ich hätte das Zimmer sowieso nicht früher beziehen können, meine Vormieterin zieht dann erst aus.«

Ich musste mir das Zucken nur eingebildet haben.

»Eine Künstler-WG stelle ich mir ja spannend vor«, klinkte sich Emma in unser Gespräch ein. Sie saß zwischen Benny und ihrer Frau, Isaac lag an ihrer Brust und trank. »So viel kreative Energie auf einem Haufen.«

Laurie lachte auf. »Wohl eher chaotische Energie. Mrs. Monroe meinte, dass es ein ziemlicher Trubel sei.«

Ich wollte lächeln wie die anderen, interessiert nicken, mich für ihn freuen. Ein Teil von mir tat es auch. Laurie hatte es verdient, seinen Traum leben zu dürfen: Miete und Taschengeld von einer Mäzenin bezahlt zu bekommen, damit er sich einfach dem Malen widmen konnte. Im Gegenzug stellte sie seine Werke in ihrer Kunstgalerie aus und bekam Provision auf die verkauften Werke. Es war das, was Laurie sich gewünscht hatte.

Warum also musste mein verräterisches Herz sich zusammenziehen und meine Mundwinkel sich so verkrampft anfühlen? Wir hatten uns entschieden, dass keiner von uns den eigenen Traum aufgeben sollte. Ein Mäzen fand sich nicht einfach mal so und das Angebot von Mrs. Monroe war zu gut, um es auszuschlagen. Sie hatte Laurie bei der Eröffnung von Alberts Hotel angesprochen, weil ihr sein gemaltes Bild über der Rezeption so gut gefallen hatte. Und ich hatte nun mal keine Zusage für eine Uni in San Francisco bekommen, sondern für eine in Portland.

Einen Bundesstaat und zwei Flugstunden voneinander entfernt.

Kein Vergleich zu den über sieben Stunden nach Chicago damals, je nachdem wie lange man in San Francisco umsteigen musste.

Ich wusste, dass es dieses Mal anders war. Näher. Einfacher, weil wir keine Schüler mehr waren und mittlerweile über unser eigenes Geld verfügten. Doch in meinem Kopf lagen zwischen Portland und San Francisco Galaxien. Ganze Lichtjahre, die uns auseinandertreiben konnten, wie auch das Universum sich langsam ausdehnte und alles sich voneinander entfernte.

Ich saß mit meinen Lieblingsmenschen an einem Tisch, Laurie direkt neben mir. Nur in meinem Kopf waren wir schon weit entfernte Himmelskörper.

Kapitel 2 Voyager 1, das erste von Menschen geschaffene Objekt außerhalb unseres Sonnensystems, oder wie ich mein Zuhause verließ

»Habe ich mein Ladekabel auch eingepackt?«, fragte ich und wühlte mich durch das Chaos auf meinem Schreibtisch. Wie konnte ich morgen fliegen und mein Zimmer sah aus, als wäre mein Leben darin explodiert? Überall lagen Klamotten und Papiere, mein Bücherregal sah aus wie ein zerrupftes Huhn und meine Sachen waren verteilt auf kleine Haufen, die ich noch einpacken wollte. Auf einem lag Kopernikus zusammengerollt und ich traute mich nicht, die Klamotten darunter wegzunehmen.

»Schon in deinem Rucksack«, sagte Laurie. Er lag in Jogginghose und ausgewaschenem T-Shirt auf meinem Bett und beobachtete mich seit einer Stunde dabei, wie ich hektisch durch mein Zimmer schwirrte.

Seine Reisetaschen standen seit Tagen gepackt in meinem Zimmer, nur sein Kulturbeutel hing noch im kleinen Bad nebenan. Für ihn war es ein Leichtes - immerhin war er mit gepackten Taschen nach Lunar Creek gekommen. Ich im Gegenzug musste mir zum ersten Mal in meinem Leben überlegen, was ich wirklich brauchte. Was war wichtig genug, um es in den einen Koffer zu packen, den ich an die Uni mitnahm? Vielleicht hätte ich doch Dads Angebot annehmen sollen, mich zu fahren. Dann hätte ich zehn Koffer packen können, sie hätten ohne Probleme auf die Ladefläche unseres Pick-ups gepasst.

Fahrig sah ich in meinem Rucksack nach und fand das Laptopladekabel, das ich eben noch verzweifelt gesucht hatte, ordentlich zusammengerollt neben einem Federmäppchen und einem Notizblock.

»Denkst du, ich brauche einen Locher?«

»Du hast deinen Laptop dabei.«

»Und wenn sie uns Papiere austeilen?«

»Dann hat die Uni einen Locher.«

So liefen unsere Gespräche schon die ganze Zeit. Es war weit nach Mitternacht, wir hatten noch lange bei Jo zusammengesessen, in alten Zeiten geschwelgt, geredet und gelacht. Nur widerwillig hatte ich ihr Wohnzimmer verlassen, was gar nicht mehr ihr Wohnzimmer war. Hatte mich von Menschen verabschiedet, die ich mein Leben lang fast jeden Tag gesehen hatte. Ich hatte nicht geweint, obwohl ich mich davor gefürchtet hatte. Da war nur Leere unter meinen Rippen gewesen. Nein, eher konnte ich das Gefühl dort nicht benennen. Wusste nicht, ob es Schmerz, Vermissen, Abschied, Verlust war. Also nannte ich es Leere, wie die Wissenschaft die Kraft im Universum, die wir durch gravitative Auswirkungen feststellen, aber durch keine unserer gängigen Methoden sehen können, dunkle Materie nannte.

Ein Platzhalterwort, das ich seit unserer Rückkehr mit hektischem Packen und rasenden Gedanken füllte.

Ich schob mir unruhig die nassen Haarsträhnen hinter die Ohren, wo sie einfach nicht bleiben wollten. Lief zu meinem Koffer, der schon überquoll und sah mir zum hundertsten Mal an, welche Pullover ich eingepackt hatte.

»Tilda«, setzte Laurie schwach an, doch ich unterbrach ihn sofort: »Denkst du, ich brauche mehr T-Shirts?« Ohne seine Antwort abzuwarten, lief ich zu meinem Kleiderschrank. »Ich brauche mehr T-Shirts. Was ist, wenn es plötzlich warm wird?«

Im Herbst. In Oregon. Dem Pacific Northwest, einer Region der USA, die für ihren Nebel und Regen bekannt war. Ein hysterisches Lachen blubberte meine Kehle nach oben, doch ich schluckte es hinunter.

»Tilda!«

Das war nicht Laurie. Die Stimme war klar und laut und eindeutig aufgebracht.

Ich spähte hinter meinem Kleiderschrank hervor, einen Stapel T-Shirts in den Händen, die ich seit Jahren nicht mehr angezogen hatte.

Meine Schwester stand im Türrahmen, ihre pazifikblauen Augen ein Sturm, die kastanienbraunen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie trug ihre Haare nie offen. Außer, wenn sie schlief.

»Ich hab dich sehr lieb, Tillie«, begann sie. Sie versuchte nicht einmal, ihre Stimme zu kontrollieren. »Und ich hoffe, dass du mich auch liebst. Denn wenn du nicht sofort mit deinem Herumgetrampel aufhörst und schlafen gehst, muss ich mich für meine mentale Gesundheit aus dem Fenster werfen.« Sie sagte es todernst, Wut schwang in jedem ihrer Worte mit. »Und dann werde ich als dein persönlicher Poltergeist zurückkommen!«

»Tut mir leid, Mae.« Schuldig zog ich die Schultern hoch, als ob ich mich so vor ihrem Blick verstecken könnte.

»Es ist zwei Uhr nachts. Da mache ich gern andere Dinge, als von einem nervösen Elefanten wachgehalten werden.«

»Was für andere Dinge?«, fragte Laurie neugierig. Er hatte sich auf den Bauch gedreht, auf eines meiner vielen Kissen abgestützt, und sah Mae an.

»Als ob ich dir das sage«, fauchte sie.

Laurie schmunzelte. »Also die Art von Dingen.«

Ich warf ihn mit einem T-Shirt ab. »Hey! Das ist meine kleine Schwester!«, rief ich empört.

Abwehrend hob er die Arme. »Ich dachte an heimliche Liebesbekundungen per SMS, die unglaublich tragisch sind. Ich weiß ja nicht, woran du denkst.«

Hitze schoss mir ins Gesicht und ich öffnete meinen Mund für eine schlagfertige Erwiderung, die mir nur noch nicht eingefallen war.

»Alles okay da oben?«, erklang Dads Stimme von unten.

»Sag Tillie, dass sie endlich schlafen gehen soll! Sie macht mich wahnsinnig!«, schrie Mae die Treppe hinab.

Dad gähnte. »Geh schlafen, Sternchen. Du hast alles, was du brauchst.«

Mae reckte ihr Kinn, so wie sie es schon früher getan hatte, wenn sie einen Streit gewonnen hatte. Als jüngeres Geschwisterkind kam das nur vor, wenn sie petzte und Mum oder Dad ihr Recht gaben.

Ich seufzte. Laurie stand vom Bett auf und reichte mir das T-Shirt. »Die beiden haben recht. Du hast alles, Tilda.«

Er drückte meine Schulter, eine sonst beruhigende Geste, die jetzt meinen Brustkorb noch weiter zuschnürte.

»Okay«, gab ich mich dennoch geschlagen.

Dabei hatte ich nicht alles. Ich würde nie alles haben. Man konnte keine einundzwanzig Jahre Leben in einen Koffer packen. Von Dad und Mae ganz zu schweigen oder Kopernikus, der schläfrig den Kopf hob. Auch nicht den Geruch von Kiefern, wenn ich mein Fenster öffnete, und das Rauschen des Meeres, das man so gut wie überall in Lunar Creek hören konnte. Nichts davon konnte ich mitnehmen.

Nichts, was wirklich Bedeutung hatte.

»Halleluja«, sagte Mae theatralisch. »Gute Nacht.«

---ENDE DER LESEPROBE---