A Spark of Time - Ein Treffen in den Highlands - Kira Licht - E-Book

A Spark of Time - Ein Treffen in den Highlands E-Book

Kira Licht

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Beschreibung

Endlich Nachschub für alle Lilly- & Damien-Fans!

Der Besuch bei Jane Austen ist bereits zwölf Monate her, als Lilly und Damien vor eine neue Herausforderung gestellt werden. Ein alter Bekannter offenbart sich ihnen als Zeitreisender und zwingt die beiden, mit ihm in die wilden Highlands ins Jahr 1745 zu reisen. Collin MacLeod sucht dort nach der legendären Perle von Tortuga, der besondere Heilkräfte nachgesagt werden. Auf Burg Dunvegan geben sich Lilly und Collin als frisch verheiratetes Paar aus. Damien hingegen fällt es zunehmend schwer, sich nicht in seiner Rolle als Diener zu verraten. Und während von der Perle jede Spur fehlt und ein Spion einen Überfall der Engländer plant, kommen Lilly und Collin sich immer näher ...

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Seitenzahl: 457

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Inhalt

Weitere Titel der Autorin

Titel

Impressum

Trigger

Widmung

Was bisher geschah ...

PROLOG

Lilly

Kapitel 1

Lilly

Kapitel 2

Lilly

Kapitel 3

Damien

Kapitel 4

Lilly

Kapitel 5

Lilly

Kapitel 6

Lilly

Kapitel 7

Damien

Kapitel 8

Lilly

Kapitel 9

Lilly

Kapitel 10

Damien

Kapitel 11

Lilly

Kapitel 12

Lilly

Kapitel 13

Lilly

Kapitel 14

Lilly

Kapitel 15

Damien

Kapitel 16

Lilly

Kapitel 17

Lilly

Kapitel 18

Lilly

Kapitel 19

Lilly

Kapitel 20

Lilly

Kapitel 21

Damien

Kapitel 22

Lilly

Kapitel 23

Lilly

Kapitel 24

Lilly

Kapitel 25

Damien

Kapitel 26

Lilly

Kapitel 27

Lilly

Kapitel 28

Lilly

Kapitel 29

Lilly

Kapitel 30

Lilly

Kapitel 31

Lilly

Anhang

Inhaltsinformation

Cover

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

Inhaltsbeginn

Weitere Titel der Autorin:

Gold & Schatten – Das erste Buch der Götter

Staub & Flammen – Das zweite Buch der Götter

Kaleidra – Wer das Dunkel ruft

Kaleidra – Wer die Seele berührt

Kaleidra – Wer die Liebe entfesselt

Ich bin dein Schicksal – Dusk & Dawn 1

Wir sind die Ewigkeit – Dusk & Dawn 2

A Spark of Time – Rendezvous auf der Titanic

A Spark of Time – Ein Date mit Mr Darcy

Beauty Must Die

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieses Werk wird vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright ® 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.

Textredaktion: Christiane Schwabbaur, München

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille, Köln

Covermotiv: © janzacekphoto/shutterstock; Nataly Studio/shutterstock; Ak studio and photography/shutterstock; Bogac Erkan/shutterstock; Danut Vieru/shutterstock; irin-k/shutterstock; Copperfield1/shutterstock; Valentyn Volkov/shutterstock; Helenaa/shutterstock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-8383-5

one-verlag.de

luebbe.de

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des Buches.

ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmöglicheLeseerlebnis.

Eurer Team vom ONE-Verlag

Für Andrea Berlauer, die Glücksbärchi-Präsidentin unserer Bubble!Es ist mir Freude und Ehre zugleich, ein Puzzleteil deiner zauberhaften Ideen zu sein.Danke für alles!

Was bisher geschah ...

Lilly deGray betreibt gemeinsam mit ihrem Vater ein Antiquitätengeschäft in New York. Sie sind bekannt dafür, lang verloren geglaubte Gegenstände wieder auftreiben zu können. Was jedoch niemand weiß: Die beiden reisen dafür durch die Zeit und gehören einer Familie von Zeitreisenden an. Als sie finanzielle Schwierigkeiten bekommen und Lillys Vater bedroht wird, ändert sich für die Familie alles. Lilly soll ein wertvolles Collier finden, das sich an Bord der Titanic befindet. Sie reist ins Jahr 1912 und gibt sich als Dienstmädchen einer arroganten Gräfin aus. Während ihrer Mission begegnet sie Ray, einem Passagier der ersten Klasse, für den sie bald Gefühle entwickelt. Doch der Kodex der Zeitreisenden untersagt jegliche Veränderungen der Vergangenheit, und so versucht Lilly, sich von Ray fernzuhalten. Als der Zusammenstoß der Titanic mit dem Eisberg näher rückt, kämpft Lilly mit ihrem Gewissen. Die Ereignisse spitzen sich zu, während die Katastrophe unausweichlich wird. Ray hilft Lilly, das Collier in die Finger zu bekommen und sie schafft es in letzter Minute zurück in die Gegenwart – jedoch ohne Ray. Lillys Herz ist gebrochen. Doch als er wenige Tage später wieder vor ihr steht und sich ihr ebenfalls als Zeitreisender offenbart, steht ihre Welt kopf. Ray heißt in Wahrheit Damien Belmont und verfolgt im Auftrag seines Vaters Grayson ganz eigene Ziele. Lilly fühlt sich verraten und will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Doch als kurz darauf Lillys Vater entführt wird, ist sie gezwungen, erneut mit Damien in die Vergangenheit zu reisen. Denn die Familie Belmont hat es auf eines der Zahnräder abgesehen, mit denen sie durch die Zeit reisen können. Ihre Reise führt sie ins Regency, wo sie sich als entfernte Verwandte von Jane Austen ausgeben – ihr einziger Anhaltspunkt für das fehlende Relikt. Während Lilly mit ihrer Wut und Enttäuschung über Damiens Lügen ringt, wird sie in Jane Austens Haushalt herzlich willkommen geheißen und freundet sich schnell mit der Schriftstellerin an. Doch die manipulativen Pläne Grayson Belmonts zwingen Lilly und Damien schließlich, noch weiter zurück in die Vergangenheit zu reisen, nach Ägypten, in die Zeit von Napoleons Eroberungen. Lilly und Damien versöhnen sich, und gemeinsam stoßen sie in der versteckten Pyramide von Kleopatra auf den Ursprung aller Zeitreisenden. Es handelt sich um ein geheimnisvolles Metall, das die Totenmaske der Königin schmückt. Doch Belmonts Verbündete sind ihnen auf den Fersen, und es kommt zu einer beinahe tödlichen Auseinandersetzung. Nur knapp entkommen Lilly und Damien der Situation, jedoch nicht ohne Konsequenzen. Denn durch die Zerstörung der Grabkammer ist das Schicksal und die Zukunft der Zeitreisenden für immer verändert. Nur die Perle aus der Totenmaske ermächtigt jetzt noch zum Reisen – und diese befindet sich in Lillys Besitz ...

PROLOG

Lilly

20. November 1947, Westminster Abbey, England

Jane Heathcote-Drummond-Willoughby, 28. Baroness von Willoughby de Eresby, schwitzte ganz fürchterlich.

Obwohl der November in England kalt und Westminster Abbey nicht beheizt war, klebte der zarte Stoff ihres Kleides mit dem Kragen an ihrer Haut, und ihr ansonsten so perfekt frisiertes Haar hatte sich im Nacken leicht gekräuselt. Ihre Haltung war steif und aufrecht und verriet die Nervosität der Oberhofmeisterin. Ihr Blick war fest auf ihre Schützlinge gerichtet. Sechs Brautjungfern, alle in langen weißen Kleidern und mit Diadem im Haar, die die Schleppe der zukünftigen Königin von England getragen hatten. Jetzt hatten sich die Frauen paarweise im Mittelgang aufgereiht, während Prinzessin Elisabeth Alexandra Mary Windsor ihrem Philip Mountbatten, Duke of Edinburgh, das Ja-Wort gab.

Einen Moment lang war ich von dem Anblick der Baroness so abgelenkt, dass ich meinen Einsatz fast verpasst hätte. William Neil McKie, verantwortlich für die Musik bei dieser königlichen Hochzeit, hob seine rechte Hand. Der Chor stimmte »Praise, my Soul, the King of Heaven« an, und ich bewegte schnell die Lippen, obwohl mir die ersten Zeilen gerade nicht einfielen.

Zum Glück waren die anderen neunzig Sänger so auf ihre eigene Bestleistung konzentriert, dass es niemandem auffiel. Erleichterung durchflutete mich. Ich war schon so manches Mal fast aufgeflogen, hatte es bisher aber immer erfolgreich geschafft, zu entkommen. Auf dieser geschichtsträchtigen Hochzeit enttarnt zu werden, während die Augen der Welt auf uns gerichtet waren, war jedoch etwas, das ich mir lieber nicht vorstellen wollte.

Bei diesem Auftrag hieß mein Schlupfloch in der Geschichte Timothy Bingham. Der fünfzehnjährige Chorsänger war auf seinem Weg zur Westminster Abbey von einem Industriellen aus Kent angefahren worden, der mit seiner Frau zum Anlass der royalen Hochzeit in die Hauptstadt gekommen war.

Während Timothys gebrochenes Bein im Westminster Hospital geschient wurde, hatte ich seinen Platz im Chor eingenommen. Dank Timothys weichen Gesichtszügen und seiner eher kleinen Statur hatten eine dunkle Kurzhaarperücke und ein paar Sommersprossen auf der Nase genügt, um mich in den schlanken jungen Mann zu verwandeln. Das weite Gewand der Sänger verbarg alle Kurven, trotzdem trug ich ein sehr eng sitzendes Bustier, das mich beim Atmen behinderte.

Der Chor beendete das Lied, und sofort setzte Orgelmusik ein. Das Brautpaar wandte sich vom Bischof von Canterbury ab, um den langen Gang zum Ausgang hinunterzuschreiten.

Elisabeth hatte sich bei Philip untergehakt, und beide strahlten. Ich musste lächeln. Auch wenn ihnen schwierige Zeiten, eine baldige Krönung und so manche Schicksalsschläge bevorstanden, würden sie für den Rest ihres gemeinsamen Lebens glücklich sein. Und sie waren so ein gut aussehendes Paar. Die zierliche dunkelhaarige Elisabeth mit ihrem Philip, ein großer blonder Hüne mit scharf geschnittenen Gesichtszügen.

Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu Damien, und Traurigkeit drohte mich zu überfallen, als mein Blick zur Baroness glitt. Sie hatte ihren Platz verlassen, um die Brautjungfern zu dirigieren. Und da blitzte sie wieder auf, die pompöse Brosche, gefertigt aus indischen Rubinen. Der Grund, weshalb ich in die Vergangenheit gereist war.

Nachfahren der Baroness waren sich sicher, dass sie sie auf der anschließenden Hochzeitsfeier im Buckingham Palast verloren hatte. Mein Dad, Damien und ich hatten in unserem Archiv jedoch Hinweise darauf gefunden, dass die Brosche schon früher am Tag nicht mehr am Kleid der Baroness zu sehen gewesen war.

Es gab Berichte darüber, dass eine Frau beim Verlassen der Kirche mit dem Absatz auf etwas getreten und umgeknickt war. Und ein anderer Gast hatte nach der Trauung einen kleinen roten Edelstein im Leder seiner Schuhsohle entdeckt. Ich war mir sicher, das Schmuckstück ging verloren, noch bevor die Feierlichkeiten im Palast begannen.

Genau deshalb durfte ich die Baroness jetzt nicht aus den Augen lassen. Normalerweise sollte alles einer einstudierten Choreografie folgen, doch die Brautjungfern waren aufgeregt und von dem frisch verheirateten Paar abgelenkt. Als Elisabeth dann auch noch zu einer von ihnen etwas sagte, blieben alle anderen stehen, um zu lauschen. Verwandte und Würdenträger, die dem Paar aus der Kirche folgen sollten, wurden aufgehalten, und der gesamte Ablauf drohte zu stagnieren.

Die Baroness gab sich alle Mühe, im Hintergrund zu bleiben, während sie ihre Schützlinge diskret wieder in die Spur lenkte. Zum Schluss bückte sie sich sogar, weil sich das Kleid von Lady Mary Kathleen Hamilton in ihrem Absatz verfangen hatte. Und da passierte es. Die Rubinbrosche löste sich und fiel zu Boden.

Niemand außer mir bemerkte es, weil das königliche Paar nun den Mittelgang entlangschritt und die ersten royalen Verwandten ihnen folgten. Ich knirschte mit den Zähnen. Von meinem leicht erhöhten Platz aus hatte ich zwar den perfekten Blick, aber kaum eine Möglichkeit, einzugreifen. Der Chor würde geschlossen als einer der letzten die Westminster Abbey verlassen. Doch ich musste schnell handeln, denn wenn wir richtig recherchiert hatten, würde die Brosche noch in der Kirche durch die unzähligen Sohlen der Gäste zerstört werden.

Ich improvisierte. Es war nicht elegant und ein ziemliches Risiko, aber es war die einzige Möglichkeit, jetzt in den Mittelgang zu kommen. Zum Glück wurde ich von zwei Männern des Chapel Royal Chors flankiert, einem der zwei Chöre, die die Sänger von Westminster Abbey zu diesem feierlichen Anlass unterstützten.

Ich tat so, als würde ich wanken. »Die Luft ist so schlecht«, sagte ich und ließ mich gegen den Mann links von mir sinken.

»Junge, alles in Ordnung?« Er rüttelte mich kurz an der Schulter, dann griff er mir unter die Achsel, und ich konnte nur knapp verhindern, dass seine Hand meinen Busen streifte.

»Frische Luft«, murmelte ich und garnierte es mit einem Stöhnen.

»Mr McKie«, zischte der Mann, und seine Stimme ging fast in der Orgelmusik und dem Gemurmel der Gäste unter. Diskret wedelte er mit der freien Hand. »Dem jungen Mann hier ist nicht wohl. Er sagt, er braucht frische Luft.«

Nun wurden auch die anderen Sänger um uns herum auf mich aufmerksam. Ich ließ den Kopf sinken, um mein Gesicht zu verbergen. Hoffentlich würde mein Plan funktionieren.

Der Chorleiter drängelte sich zu uns durch. Er schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als er vor mir stand. »Es sind immer diese schmalen Burschen ...«, brummte er. »Wachsen zu schnell und der Körper verkraftet es nicht.«

Er musste den Kopf abgewandt haben, denn seine Stimme klang nun etwas weiter entfernt. »Die königlichen Verwandten sind fast durch, jetzt folgen die Staatsgäste. Halten Sie sich am Rand, guter Mann, dann fällt es nicht so auf, und geleiten Sie den Jungen ins Chapter House, wenn Sie so freundlich sind.«

»Natürlich, Sir.« Der Mann sprach über meinen Kopf hinweg. »Hilfst du mir, Geoffrey?«

»Gerne«, erklang jetzt eine Stimme rechts von mir. Schon schob sich ein Arm unter meine andere Achsel.

Ich gab mir alle Mühe, in ihrem Griff zu hängen wie ein nasser Sack, während meine Gedanken rasten. Das Chapter House lag im hinteren Teil der Kirche. Ich hingegen musste in die entgegengesetzte Richtung zum Ausgang.

Was nun?

Ich würde erneut improvisieren müssen.

Die Männer führten mich aus unserer Reihe und dann die drei Stufen zum Mittelgang hinunter. Dieser war zum Glück so breit, dass wir den Gästen nicht in die Quere kamen.

Die Brosche hatte sich im Fallen gedreht, sodass die funkelnden Steine nicht zu sehen waren, dennoch entdeckte ich sie sofort.

In diesem Moment machte ein Mann in Militäruniform einen großen Schritt und vergrub das Schmuckstück unter einem seiner schweren Reitstiefel. Ich fluchte innerlich. Sie lag in meiner unmittelbaren Nähe und war bereits etwas verbogen.

Ich musste schnell handeln, wenn ich sie in einem Zustand retten wollte, in dem man sie noch reparieren konnte. Die Männer wollten nach links Richtung Altar abbiegen, wieder machte ich mich absichtlich schwer.

Ich schaffte es, mich noch mehr gen Boden sinken zu lassen und bekam eine Hand frei, ehe meine Helfer reagierten. Ich tat so, als würde ich nach unten sinken und kaum, dass ich den Boden berührte, griff ich nach der Brosche, die in eine Fuge des Steinbodens gedrückt worden war.

Ich zog die Hand zurück. Geschafft. Erleichterung durchflutete mich. Ein paar neugierige Gäste wollten stehen bleiben, doch inzwischen funktionierte das Protokoll einwandfrei, und Diener komplimentierten die Leute weiter, während man uns geflissentlich ignorierte.

»Reiß dich zusammen, Junge. Gleich wird es dir besser gehen.« Einer der Männer umgriff meine Taille von hinten und stellte mich wieder auf die Füße. Dabei rutschten seine Arme am glatten Stoff des Chorgewands ab und glitten höher, bis sie verdächtige Rundungen streiften.

Oh verflixt.

»Was ...?« Er unterbrach sich, als ich mich hastig losmachte.

»Er hat ...« Wieder konnte der Mann nicht weitersprechen. »Ich meine, sie ... er ist eine Sie. Ich bin mir ...«

Na, herzlichen Glückwunsch, Lilly. Ich war aufgeflogen.

Der andere Mann reagierte blitzschnell und wollte mich packen. Doch ich duckte und drehte mich gleichzeitig, sodass er nur meine Haare erwischte. Oder besser gesagt: meine Perücke. Sie hielt, war jetzt aber leicht verrutscht.

Beide Männer holten bei meinem Anblick erschrocken Luft, fassungslos über die Tatsache, dass sich ganz offensichtlich eine Frau in ihre ehrwürdigen Reihen geschlichen hatte.

Nichts wie weg von hier.

Ich floh den Gang hinunter. Mein enges Bustier schnürte mir die Luft ab, und ich war froh, dass mein Weg nicht lang sein würde, denn natürlich hatte ich mit Damien und Dad alle möglichen Fluchtszenarien ausgearbeitet.

Kurz vor dem Ausgang, wo ich bereits die jubelnden Massen auf dem Vorplatz hören konnte, schlug ich mich durch den Strom der Gäste nach links. Dort gab es eine Tür, die zu den angrenzenden Wirtschaftsgebäuden führte. Hier würde ich die Männer sicherlich abhängen können.

Ich schlüpfte in den schmalen Raum, hechtete zur Tür gegenüber – und musste entsetzt feststellen, dass sie verschlossen war. Hektisch sah ich mich um. Nur der Aufgang zum rechten Turm stand weit offen. Aber selbst wenn ich den Turm bis ganz nach oben erklomm, würde ich dort in der Falle sitzen.

Dann erklangen Schritte vor der Tür. Wenn ich mich wenigstens hier einschließen ... Mein Blick glitt zur Tür. Doch da war kein Schlüssel.

Und ich hatte auch keine Zeit mehr, den magischen Wirbel zu aktivieren.

Mir blieb nur noch eine Möglichkeit.

Ich begann, die Stufen hinaufzurennen und war schon nach wenigen Sekunden aus der Puste. Damien und ich gingen zwar regelmäßig joggen, aber diese Schraubzwinge aus Elasthan, mit der ich meine Brüste versteckte, schnürte mir hartnäckig die Luft ab.

Von unten hörte ich, wie die Männer die Verfolgung aufnahmen.

Ich zog die Chortracht hoch und schob die Brosche in die Tasche meiner Hose, dann riss ich mir das lange Gewand komplett über den Kopf. Hektisch suchte ich nach der Pillendose in meiner anderen Hosentasche. Im Laufen fiel es mir schwer, sie hervorzuziehen, und dann klemmte ihr Deckel auch noch. Ich fluchte laut. Endlich sprang sie auf. Die Dose fiel klappernd auf die steinernen Stufen, aber die kleine Kugel, die ich darin aufbewahrt hatte, rollte auf meine Hand. Ich seufzte vor Erleichterung auf.

Die Muttermale auf meiner Handfläche, die alle Zeitreisenden besaßen, hatten sich einander immer weiter angenähert und waren schließlich zu einem einzigen Punkt verschmolzen. Mein Körper hatte sich dem Metall aus dem Grab von Kleopatra angepasst.

Sofort spürte ich die Magie, als Haut und Kugel sich berührten. Endlich würde ich fliehen können.

»Bleib stehen!«

Mit Entsetzen bemerkte ich, dass meine Verfolger aufgeholt hatten.

Der altbekannte Wirbel baute sich um mich auf, als ich den obersten Absatz des Turms erreichte. Nicht mehr lange und er würde mich zurück in meine Zeit tragen.

Die Schritte der Männer kamen immer näher. In nur wenigen Sekunden würden sie den Absatz erreicht haben und mitansehen, wie ich in einem Wirbel aus Farben verschwand. Das konnte ich nicht zulassen.

Ich stürzte zu einem der schmalen Fenster. Es ging zum Vorplatz hinaus. Dort war alles voller Menschen. Ich rannte zur gegenüberliegenden Seite, wo das Fenster den Blick auf einen kleinen Garten und die Wirtschaftsgebäude preisgab.

Die Türme waren ungefähr vierunddreißig Meter hoch. Würden die wenigen Sekunden für eine Flucht reichen? Ich überschlug die Rechnung nur, denn mir blieb keine Zeit mehr.

Ich sammelte all meinen Mut zusammen.

Sekunden, es waren nur Sekunden, die ich noch brauchte, bis die Magie mich davontrug.

Die schweren Schuhe der Männer kratzten über die uralten Steine der Treppenstufen.

Dann sprang ich.

Der Luftzug zerrte an meinen Kleidern und riss mir die Perücke endgültig vom Kopf. Ich drehte mich in dem Wirbel, schneller und immer schneller. Der Boden kam näher und immer näher.

Panik stieg in mir auf. Ich würde es nicht schaffen.

Ich würde hier sterben.

Ich wollte schreien, doch dann endlich verschwamm die Welt zu einem Meer aus Farben. Ich löste mich auf, alles wurde ganz federleicht, laut und still, wild und friedlich zugleich. Der Wirbel hatte mich verschluckt.

Kapitel 1

Lilly

Die Gegenwart, New York, USA

»Hallo, ihr beiden.« Kühle umfing mich, als ich unser Antiquitätengeschäft betrat, und machte die wärmende Sommersonne, die den ganzen Tag am Himmel über New York gestrahlt hatte, zu einer verblassenden Erinnerung. Es roch schwach nach gealtertem Leder, Holzpolitur und einem Hauch von Bergamotte.

Dad und Ruby hoben den Blick von dem Kassenbuch, das zwischen ihnen auf der Theke lag. Auf das Gesicht meines Dads malte sich ein Lächeln, Ruby erwiderte meinen Gruß und streckte sich dann so elegant, wie es nur angehende Profitänzerinnen vermochten. »Was für eine Hitze da draußen. Wer möchte noch ein Glas von meinem selbst gemachten Eistee?«

Dad und ich nahmen das Angebot dankbar an.

Ruby verschwand im Lager, wo wir einen winzigen Bereich als eine Art Küche abgeteilt hatten.

»Wie war der letzte Tag an der Uni?« Dad klappte das Kassenbuch wieder zu und sah kurz auf seine altmodische Taschenuhr. Da ich jetzt Semesterferien hatte, würde ich ab morgen jeden Tag im Laden helfen, und ich glaubte, er freute sich auf unsere gemeinsame Zeit. Nur die letzten drei Wochen würde ich ein Praktikum bei Sotheby's absolvieren, um noch mehr Erfahrung im Schätzen von Antiquitäten zu sammeln.

Ich grinste ihn an. »Ist nichts mehr groß passiert. Aber ehrlich gesagt bin ich froh über die Auszeit, dieses Semester war echt stressig.« Ich studierte Kunstgeschichte mit dem Ziel, irgendwann unseren Antiquitätenhandel zu übernehmen, weshalb ich mein Studium sehr ernst nahm.

Er nickte mir anerkennend zu. »Du hast wirklich hart gearbeitet und dir die Sommerferien verdient.«

»Haben die Willoughbys die Brosche abgeholt?«

Jetzt war es Dad, der grinste. Er klopfte auf das Kassenbuch. »Sind vor zwei Stunden hier gewesen. Stell dir vor, nur zehn Minuten vor ihrem Auftreten bin ich mit der Reparatur fertig geworden. Es war also eine Punktlandung.«

Ich war erleichtert. In einem alten Haus wie diesem ging ständig etwas kaputt. Geld konnten wir immer gebrauchen. Und da das Antiquitätengeschäft nach wie vor nicht genug abwarf, um davon zu leben, war ich unendlich froh und dankbar, dass ich immer noch die Möglichkeit besaß, durch die Zeit zu reisen. Diese Suchaufträge allein ermöglichten es uns, den Laden zu behalten. Ich wollte meinen Dad anlächeln, aber als ich erneut in sein Gesicht sah, veränderte sich seine Miene. Ich spürte, dass er noch etwas sagen wollte. Aber er biss sich auf die Lippe und senkte den Kopf.

Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, denn ich ahnte, welches Thema er ansprechen wollte. »Ist er immer noch da unten?«

Dad nickte.

Ich wollte gerade etwas sagen, da kam Ruby mit drei Gläsern zurück. »Ich wusste gar nicht, dass es schon so spät ist. Da habe ich ja bald schon frei.«

Ich legte den Kopf schief und wackelte mit den Augenbrauen. »Hast du etwa etwas vor?« Ruby war im letzten Jahr wirklich aufgeblüht. Seit sie nicht mehr unter dem Einfluss ihres tyrannischen Dads Grayson Belmont stand, war sie praktisch zu einem anderen Menschen geworden. Sie war entspannter, gesprächiger und von ihr ging ein innerer Frieden aus, um den ich sie beneidete.

Ruby wurde tatsächlich etwas rot. »Ich habe da jemanden kennengelernt. Wir treffen uns später.«

Dad sah auf die Uhr. »Wir schließen in zehn Minuten und so wie es aussieht, wird jetzt keine Horde Kunden mehr den Laden stürmen. Mach gerne Schluss für heute und nimm dir die Zeit, für die Vorbereitungen deines Dates.«

»Es ist kein richtiges Date«, sagte Ruby hastig. Dann hielt sie inne, nachdem sie die Gläser vorsichtig auf der Theke abgestellt hatte. »Na gut, vermutlich ist es doch ein Date.« Sie sah zwischen uns beiden hin und her und hatte ihre großen Augen aufgerissen. »Oje. Jetzt werde ich doch nervös.«

Ich lächelte sie an. »Du tanzt vor Hunderten von Leuten, aber ein Date mit einem einzigen Mann macht dich nervös?«

Ruby beschloss, nicht zu antworten, stattdessen zuckte sie erst die Schultern und nippte an ihrem Glas.

Dad seufzte gutmütig. »Das wird schon.« Ruby war fast so etwas wie seine zweite Tochter geworden, er kümmerte sich um sie genauso wie um mich. Was für mich total in Ordnung war, denn ich hatte Damiens Schwester von Anfang ins Herz geschlossen. »Und du brauchst wirklich nicht bis Ladenschluss warten. Jetzt ist Lilly da. Sollte es unerwartet voll werden, habe ich sie.«

Ich salutierte gespielt. »Zu ihren Diensten, Sir.«

Wir lachten alle. »In Ordnung. Dann verschwinde ich mal.« Rubys Blick glitt zu mir. »Grüßt du ihn von mir?«

Ich nickte. Auch in ihren Augen erkannte ich Sorge. Obwohl Ruby sich selbst wieder gefangen hatte, besaß sie noch nicht genug Kraft, um sich um andere zu kümmern. Ihre neu gewonnene Kraft reichte gerade für sie selbst.

Als die Tür des Lagers hinter ihr zufiel, wechselten Dad und ich einen Blick. »So geht das nicht weiter.« Seine Stimme klang gepresst. »Er ...«

»Ich weiß«, unterbrach ich ihn. »Ich rede mit ihm.«

»Das sagst du jetzt schon seit ...« Er beendete den Satz nicht. Das musste er nicht. Ich wusste selbst, wie lange ich dieses Gespräch schon vor mir herschob. Nicht Tage, sondern Wochen. Und ja, so ging es wirklich nicht weiter. »Ich gehe mal runter.« Ich schnappte mir das Glas. Etwas belebendes Teein würde mir guttun.

Im Lager kam mir Ruby entgegen. Vielleicht las sie in meinem Blick, dass ich eine Entscheidung getroffen hatte. »Lass dich nicht abwimmeln.«

Ich nickte knapp, dennoch konnte ich nicht verhindern, dass Traurigkeit in mir aufstieg.

Sie zögerte, als würden die nachfolgenden Worte sie Überwindung kosten. »Wenn du mich brauchst ...«

»Nein«, erwiderte ich schnell. »Ich schaffe das schon.«

Ich spürte ihre Erleichterung, als sie mir über den Arm strich und sich dann an mir vorbeischob. Kein Wunder. Ich wollte auch nicht mit mir tauschen. Dennoch zwang ich meine Füße vorwärts. Durch das Lager und durch die Tür, die in den Flur zu unserem Wohnhaus führte. Dann Richtung Keller. Seitdem Damien und ich die Geschichte meiner Familie mit unserem Ausflug ins napoleonische Ägypten für immer verändert hatten, lag die Bibliothek nicht mehr versteckt. Man konnte sie einfach über den Hausflur erreichen.

Ich betrat den durch die Klimaanlage wohltemperierten Raum.

Ich atmete lange aus, als ich Damiens breiten Rücken sah. Er hatte drei Tische in der Mitte des Raumes zusammengeschoben. Diese waren übersät mit Büchern.

Die Klimaanlage brummte rhythmisch, wie ein Herzschlag tief unter der Erde. Das war seine Welt geworden: steriles Licht, gedämpfte Geräusche, Bücherstapel wie Verteidigungsmauern.

Ich nahm einen Schluck von meinem kühlen Tee, als ich auf ihn zuging. Es zog mir das Herz zusammen, als ich ihn betrachtete. Sein T-Shirt war verknittert, sein Haar ungekämmt. Als ich neben ihm stehen blieb, nahm ich einen leichten Schweißgeruch wahr.

Er schreckte zusammen, als habe er mich eben erst bemerkt. »Oh, hey.« Er sah zu mir hoch. Tiefe Ränder prangten unter seinen Augen. Seine Wangen wirkten hohl und eingefallen. Das Weiß in seinen Augen war durchzogen von feinen roten Äderchen.

»Hi«, erwiderte ich und stellte mein Glas auf einem hohen Stapel handgeschriebener Notizen ab. »Möchtest du einen Schluck?«

»Pass auf. Das ist wichtig.« Beinahe unwirsch griff er nach dem Glas und stellte es auf eine der wenigen freien Stellen auf dem Tisch, die nicht übersät waren mit Büchern oder Papieren.

Ich gab mir einen Ruck. Das hier war nicht einfach. »Wir müssen reden, Damien.«

»Ach ja?« Die Missbilligung in seiner Stimme spiegelte sich auch auf seinen Zügen wider. Die gerunzelte Stirn, die leicht zusammengekniffenen Augen, die schmalen Lippen. Ich hebelte an der Tür zu seinem wahren Ich. Sie blieb zu.

»Ja.« Heute würde ich mich nicht abwimmeln lassen. Nein, heute nicht. Mein Blick fiel auf seine Hände. Da, wo die Nagelhaut den Nagel in einem Halbmond umgab, entdeckte ich blutige Stellen. Er zupfte daran, wenn er ganz in Gedanken versunken war. Es sah aus, als müsste es wahnsinnig wehtun.

Sofort regte sich wieder Mitleid in mir, der Wunsch zu helfen, zu unterstützen, einfach an seiner Seite zu sein. Aber dann umrundete ich entschlossen dieses Bollwerk aus Tischen und setzte mich ihm gegenüber auf die andere Seite. Etwas Abstand würde nicht nur meiner empfindlichen Nase guttun.

Damien schien das alles als eine Art Provokation zu werten. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme und sah mich unter tiefliegenden Brauen an.

»Wir müssen reden«, wiederholte ich. Das hier fiel mir schwer, obwohl ich dieses Gespräch in meinen Gedanken schon Dutzende Male durchgespielt hatte. Obwohl ich schon versucht hatte, einen Zugang zu ihm zu finden. Obwohl so vieles im Argen war.

»Und?« Er klang genervt.

Ich seufzte. So sollte es nicht sein. Er sollte es nicht als Vorwurf verstehen. Ich machte mir Sorgen. Wir alle machten uns Sorgen um ihn.

Aber er blockte ab.

Er starrte mich an, und die Wärme, die früher in seinen blauen Augen gelegen hatte, war verschwunden. Es tat so unendlich weh.

»Warum tust du das?«, flüsterte ich.

»Warum tue ich was?« Schon wieder so ein genervtes Funkeln in seinen Augen.

Was dachte er eigentlich? Dass ich ihm Vorhaltungen machen wollte? Mich über ihn lustig machen? Ihn vorführen? »Warum siehst du mich so an?«

»Ich gucke dich einfach nur an.« Sein sachlicher Tonfall tat mir noch mehr weh, als wenn er mich anschreien würde. In diesem Moment war ich mir sicher, dass es aus zwischen uns war. Da war nichts mehr zu retten. Warum wollte ich mir all das antun? Das Gespräch, den Streit, seine Ablehnung? Ich sollte es beenden und ihn ziehen lassen. Ja, ich sollte ihn gehen lassen. Denn sein Herz gehörte mir schon länger nicht mehr. Ich beschloss, ihn jetzt nicht mehr zu schonen.

Ich lehnte mich genau wie er im Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Wann hast du das letzte Mal geduscht?«

Er verdrehte die Augen. »Wenn mein Deo versagt hat, dann sag es mir doch einfach.«

Ich ging nicht darauf ein. »Wann warst du das letzte Mal in der Uni?«

»Du bist nicht meine Erziehungsberechtigte.« Die Kälte in seiner Stimme ließ mich frösteln.

»Wann hast du dich das letzte Mal verabredet? Deine Freunde und Kommilitonen getroffen?«

Seine Brauen wanderten noch tiefer. Er zuckte die rechte Schulter wie ein trotziges Kind.

Meine Stimme klang heiser, weil ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen. »Wann haben wir das letzte Mal zusammen Zeit verbracht? Wann hast du mich das letzte Mal angelächelt? In den Arm genommen? Mich gefragt, wie mein Tag war? Wann hast du mich das letzte Mal wirklich angesehen? Wann, Damien, wann? Sag es mir.«

Seine Miene wurde etwas weicher. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich die Hoffnung, zu ihm durchzudringen. Doch dann war da wieder diese trotzige Maske aus Stein. »Ich bin in letzter Zeit eben sehr beschäftigt. Als meine Freundin solltest du Verständnis dafür haben.«

Ich sprang auf, ich konnte mich einfach nicht bremsen. »Als deine Freundin mache ich mir Sorgen um dich.« Ich schubste die Bücher an, sodass sie ein Stückchen nach vorne rutschten. »All das hier, die Recherchen, die Stunden und Tage in der Bibliothek, dieser Zwang, nach etwas zu suchen, das es nicht gibt ...« Ich tippte mit dem Finger auf den Tisch vor mir. »All das hier hat den Zeitpunkt, an dem ich noch Verständnis hatte, lange überschritten.« Ich sah ihm direkt in die Augen. »Du hast dich darin verloren. Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder. Bitte komm zurück zu mir. Bitte sei wieder der, der du wirklich bist. Ich habe Angst um dich.«

Damien stand nicht auf, aber auch er schubste die Bücher an. Eins davon traf mein Glas und dunkle Flüssigkeit schwappte auf den Tisch. »Ich soll also einfach aufhören? Die Bedrohung ignorieren?«

»Es gibt keine Bedrohung«, schrie ich ihn an. »Versteh das doch. Manchmal kann man Dinge nicht erklären. Du wirst deinen Dad nicht finden. Manchmal ist die Zeit eben unberechenbar. Manchmal gehen Dinge, Menschen, Ereignisse in ihr unter wie in einem Sumpf. Sie verschwinden für immer.« Ich gestikulierte wild. »Ja, ich kann auch nicht erklären, wieso dein Dad nicht hier ist. Wir haben im Regency nach ihm gesucht, ihn aber nicht gefunden. Vielleicht hat er sich mit seinem Schicksal arrangiert, die Gegend verlassen und arbeitet als wandernder Handwerker. Vielleicht ist er aber auch ganz woanders. Fakt ist nur, dass wir eine Bedrohung abgewendet haben, die von ihm ausging und wir froh sein sollten, dass er in unserer Zeit nicht mehr sein Unwesen treiben kann. Das ist alles. Wir sollten erleichtert sein und den Umstand einfach akzeptieren. Manchmal kann man das Universum einfach nicht erklären. Auch die Zeit macht Fehler, so wie alles und jeder auf diesem Planeten, in dieser Milchstraße!« Ich machte eine ausladende Handbewegung. »Nichts und niemand ist perfekt, nichts und niemand ist fehlerfrei. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und dein Dad ist einfach die Ausnahme. Sieh es ein, akzeptiere es. Und dann bitte komm zurück zu mir.«

Er blieb so erschreckend ruhig. Minutenlang starrte er mich an. Dann lehnte er sich ein Stückchen in meine Richtung. »Und wenn ich nicht will?«

Der Schmerz war so heftig, dass ich mich krümmen wollte. Wo bist du, Damien? Wo bist du nur? Ganz tief in dir drinnen muss doch noch etwas von deinem alten Ich sein? Und das möchte ich zurück.

Ich musste mich zwingen zu sprechen. »Wenn du was nicht willst?« Ich stand immer noch, ich war zu aufgebracht, um mich wieder zu setzen.

Er schnaubte, als wäre ich unfassbar schwer von Begriff. »Hör zu, Lilly. Ich kann nicht aufhören, nach ihm zu suchen. Er bleibt eine permanente Gefahr für Ruby und mich. Er hat immer einen Plan. Nein, er hat immer mehrere Pläne. Und wenn der eine nicht klappt, dann hat er den nächsten in der Hinterhand. Er ist irgendwo, ich weiß es.« Er riss die Augen auf, und in seinem Blick lag plötzlich etwas Wahnsinniges. »Ich kann ihn spüren. Seine Gegenwart. Ich kann ihn spüren, er ist noch da. Deshalb kann ich nicht aufhören.« Seine Stimme war in ein abgehacktes Flüstern übergegangen. Fast erwartete ich, dass im nächsten Moment die Lampen flackern und er diabolisch kichern würde. Es kostete mich so viel Mühe, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. Ich hatte Angst um ihn, und gleichzeitig machte er mir Angst.

»Und dann kann ich ihn noch nicht mal suchen gehen. Ich hänge fest und mir bleibt nichts als das hier.« Damien stieß gegen ein paar Bücher und eins rutschte so weit, dass es von der Tischplatte fiel und mit einem Knall auf dem Boden aufkam. Ich zuckte zusammen.

»Mehr bleibt mir doch nicht!«, rief er.

Ich wusste, dass das der zweite wunde Punkt war, der ihn umtrieb. Dass er nicht mehr zeitreisen konnte. Dass er nur noch an meiner Seite Nachforschungen anstellen konnte. Und ich hatte mich diesen Ideen in den letzten Wochen verweigert. Zuerst war er einfach nur enttäuscht gewesen, dann war er böse geworden, ausfallend und gemein. Mir war klar, dass das Allermeiste nur seiner verzweifelten Suche geschuldet war, aber Worte konnte man schwer zurücknehmen. Und all das, was er zu mir gesagt hatte, hatte langsam aber sicher angefangen, mein Herz zu vergiften.

Er hatte mich angeschrien, wenn ich um Mitternacht in die Bibliothek kam und er seit Stunden nichts gegessen hatte und immer noch über den Büchern hockte. Er hatte mich wütend angestarrt, wenn ich vorgeschlagen hatte, mal spazieren zu gehen und vielleicht danach zu duschen. Er hatte Verabredungen abgesagt, auf Nachrichten nicht geantwortet und seine Zeit oben im Laden immer mit der Nase in ein Buch vergraben verbracht. Er hatte immer Ausreden gehabt, um nicht mehr wegen Aufträgen mit mir durch die Zeit reisen zu müssen.

Und er hatte nicht bemerkt, wie er mich Stück für Stück verlor. Oder es war ihm egal geworden.

»Was?«, blaffte Damien, als ich nicht sofort antwortete.

Ich war auf traurige Weise stolz, wie ruhig ich klang. »Ich möchte, dass du gehst.«

Kapitel 2

Lilly

Ein argwöhnisches Lächeln umspielte Damiens Lippen. »Wie meinst du das?«

»Es ist die Bibliothek meiner Familie.« Jetzt zitterte meine Stimme doch leicht. »Es ist unser Haus. Und ich möchte, dass du jetzt gehst.«

In seinen Augen blitzte ein gefährlicher Funke auf. »Du verwehrst mir den Zugang zu dieser kostbaren Bibliothek? Diese Bücher sind vermutlich die einzigen, in denen ich jemals eine Antwort finden kann. Eine Sammlung wie diese gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.«

»Ich weiß«, erwiderte ich immer noch so ruhig. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte alles gefühlt in den letzten Monaten, von Liebe bis Verzweiflung, von Zuneigung und Hilflosigkeit, jetzt war ich nur noch leer.

Jetzt stand er auch auf. Langsam, beherrscht, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es nur die Ruhe vor dem Sturm war. Er kam zu mir herum, baute sich vor mir auf. Er war nicht gewalttätig, aber wusste offenbar auch nicht um seine Wirkung auf andere. Er war fast einen Kopf größer als ich, seine Schultern waren mehr als doppelt so breit wie meine. »Sag mir das noch mal ins Gesicht, Lilly.«

Ich hatte keine Angst vor ihm, aber sein Mundwerk konnte schlimmere Wunden schlagen als jede Waffe.

»Sag es mir ins Gesicht«, wiederholte er, sein Blick war ruhig, gefasst, eindringlich.

»Geh.« Meine Stimme klang fest, obwohl ich innerlich vor Trauer und Schmerz zerfloss. Ich musste mich selbst schützen. Es war unendlich schwer, aber ich konnte nicht mehr. Ich konnte ihm nicht mehr dabei zusehen, wie er sich mehr und mehr selbst verlor. Er wollte keine Hilfe. Er hatte sie abgeschmettert, jedes einzelne Mal. Rubys Versuche waren zu zaghaft gewesen, sie hatte schnell aufgegeben. Mein Dad hatte es mit logischen Argumenten versucht, ohne jede Wirkung. Ich war die letzte von uns, ich war die, die noch an ihn geglaubt hatte. Die immer noch gehofft hatte, dass er da tief drinnen vergraben war, unter all dem Wahn, der Besessenheit, der Angst.

Aber jetzt zog ich die Notbremse. »Bitte geh. Sofort.«

Einen ewigen Moment lang starrte er mich an. Seine Lippen waren aufgesprungen und trocken, die Haut, die über seinen Wangenknochen spannte, ungesund gerötet.

Wieder tat er mir leid. Wieder wollte ich mir selbst Vorwürfe machen. Dass ich nicht alles versucht hatte, dass ich zu schnell aufgab. Aber ich hatte über Wochen versucht, ihm beizustehen. Ich hatte sogar Therapeuten herausgesucht, angerufen, Termine vereinbart. Ich wollte, dass er Hilfe bekam, ich hätte ihn sogar zu allen Terminen begleitet. Damien hingegen hatte alles von sich gewiesen, mich sogar ausgelacht.

Als er sich nicht rührte, intensivierte ich meinen Blick. Ich deutete zur Tür. »Bitte.« Jetzt klang ich nicht mehr so freundlich.

»Was soll das heißen?« Er legte den Kopf schief. »Ich will nur ganz sichergehen, dass wir die gleiche Sprache sprechen. Meinst du gehen wie ›die Bibliothek verlassen‹ oder machst du Schluss mit mir?«

Seine Worte waren wie eine eiskalte Dusche.

Oh, was hatte ich mich vor der Frage gefürchtet.

Als ich nicht antwortete, passierte das Unerwartete. Da war plötzlich etwas in seinen Augen, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Für einen Moment blitzte der wache Blick von früher auf. Seine Stimme klang mit einem Schlag sanft. »Du machst Schluss mit mir.«

Ja, es wäre besser gewesen, jetzt zu nicken. Aber unter all der Verzweiflung, den Sorgen und den vielen Verletzungen, die er mir durch seine Worte zugefügt hatte, waren immer noch Gefühle für ihn. Sie waren gelähmt, fast verhungert, aber ...

»Bitte geh einfach«, sagte ich wieder und fühlte mich unendlich müde. »Verlass einfach die Bibliothek und ...« Ich brauchte Luft. »Morgen hat Dad frei, und ich werde den Laden alleine am Laufen halten. Wir können ja am Montag telefonieren und dann sehen wir weiter.« Ich hätte mir so gewünscht, dass er jetzt endlich zu reden anfing. Dass er diese Mauern aus Schweigen und Ablehnung niederriss, die er in den letzten Wochen aufgebaut hatte. Aber das tat er nicht. Er schluckte zwar schwer, aber dann nickte er nur und raffte seine Notizen zusammen, die er unwirsch in eine Tasche stopfte, bevor er sich erneut zu mir drehte. »Begleitest du mich nach oben?«

»Natürlich.« Ich schaffte es, ihn kurz anzulächeln, doch innerlich war ich roh und wund. Er kämpfte nicht um uns. Die Erkenntnis riss mich einfach mit sich, wie eine schwarze Welle, die über meinem Kopf zusammenschlug. Er hatte sich nicht nur selbst verloren, er hatte auch uns aufgegeben.

Ich wollte ihn anschreien. Ich wollte ihn schütteln. Ich wollte weinen, weil ich einfach nicht mehr weiterwusste. Dennoch tat ich nichts davon.

Stattdessen sah ich wortlos zu, wie er an mir vorbei in Richtung Tür ging. Schon wieder fing meine empfindliche Nase den leichten Geruch von Schweiß und ungewaschenem Haar auf.

Ich hätte ihn am liebsten unter die Dusche gesteckt, doch seit drei Wochen übernachtete er nicht mal mehr bei mir. Er blieb bis lange nach Mitternacht in der Bibliothek und irgendwann fuhr er nach Hause in die Wohnung, die er sich mit seinem Schulfreund Neil teilte. Ich vermutete, dass er dort nahtlos weiterarbeitete. Neil und ich hatten nicht viel Kontakt, aber er hatte mal so was fallenlassen.

Damien hatte schon die Klinke in der Hand, da ließ er sie los und drehte sich zu mir um. Wieder verschränkte er die Arme vor der Brust. Wieder baute er sich vor mir auf.

»Lass uns das jetzt klären.«

Ich wusste, worauf er hinauswollte, dennoch stellte ich mich dumm. Einerseits hatte ich Angst vor diesem Gespräch, andererseits wollte ich es ihm nicht zu einfach machen.

»Das mit uns«, sagte Damien, als er meinen fragenden Blick auffing. »Du willst mich abservieren, richtig?«

Ich schüttelte den Kopf. »Zwischen der Definition dieses Wortes und meinen Gefühlen liegen Welten. Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass wir aus Ägypten zurückgekehrt sind. Seitdem suchst du nach deinem Dad. Seitdem habe ich dich unterstützt. Aber anders als du habe ich das Offensichtliche eingesehen.«

Er schnaubte, doch ich ließ mich nicht aufhalten.

»Du hingegen hast dich darin verloren, Damien. Und auf diesem Weg hast du auch mich verloren.« Ich hoffte so sehr, dass er die Verzweiflung auf meinem Gesicht sehen würde. »Ich habe dich nicht aufgegeben. Immer und immer wieder habe ich für dich gekämpft, um dich gekämpft. Aber du wolltest das alles nicht, du wolltest mich nicht. Jetzt bin ich nur ein Störfaktor, ein Zeiträuber, wenn es darum geht, jeden noch so kleinen Fitzel an Informationen um den Verbleib deines Dads aufzuspüren und zu bewerten. Du hast mir wehgetan. Nicht nur einmal, sondern viel zu oft.«

Er wollte etwas sagen, doch ich hob die Hand. »Nein, lass mich ausreden. Ja, du wirst sicherlich erwidern, dass wir nicht den einen großen Streit hatten. Das ist richtig. Du hast mir nie die eine große Wunde zugefügt, an der ich verblute. Da hast du recht. Aber auch viele kleinere Wunden können zum Tod führen. Du hast mich immer wieder von dir gestoßen.« Ich holte zitternd Luft. »Weißt du was? Ich bin unendlich traurig. Es tut so weh. Und ja, es ist eine Niederlage, sich das eingestehen zu müssen, aber ich kann nicht mehr.«

Damien rührte sich nicht. Er schluckte schwer, und die Muskeln an seinem Hals arbeiteten.

»Ich kann nicht mehr ...«, wiederholte ich und meine Stimme verebbte zu einem Flüstern. »Ich habe keine Kraft mehr.«

Damien ging nicht auf meine Worte ein. Er nahm mich auch nicht in den Arm. Stattdessen hatten seine Augen jetzt jenen kalten Glanz, den ich immer öfter bei ihm gesehen hatte. »Du kennst meinen Dad nicht. Wenn ihm etwas wichtig ist, dann sichert er sich ab. Nicht nur einfach, sondern doppelt oder sogar dreifach. Und hier ging es um die verdammte Weltherrschaft.« Wieder wurde seine Stimme laut. »Die. Verdammte. Weltherrschaft!«

Ich wollte etwas erwidern, aber er schnitt mir das Wort ab. »Nein, jetzt hörst du mir zu. Das war sein Lebenswerk. Und dass er ein absolut skrupelloser Mistkerl ist, das muss ich dir nicht erklären. Du warst dabei. Du hast neben mir gestanden, als mein bester Freund versucht hat, mich zu töten.« Seine Stimme wurde noch lauter. »Er hat Brantley instrumentalisiert, um mich aufzuhalten. Das hat er geschafft. Uns verband eine lebenslange Freundschaft, und er kannte seinen wunden Punkt. Er wusste, dass Brantley alles dafür tun würde, um mit Ruby zusammenzukommen. Das war sein größter Schwachpunkt, seine Achillesferse. Die unerwiderte Liebe zu Ruby. Soll ich dir mal erklären, wie oft mein Dad Brantley gesehen hat? Wir waren nicht die Sorte Kinder, die besonders oft Freunde zum Spielen einladen durften. Mein Dad hat Brantley vielleicht fünf Mal gesehen. Und dennoch hat er ihn so gut durchschaut, dass er wusste, wo er angreifen musste. Brantley war sein Plan B, für den Fall, dass es meinem Dad nicht gelingt, uns im Regency abzupassen. Er hat meinen besten Freund manipuliert, um an sein Ziel zu kommen. Er ist für Brantleys Tod verantwortlich. Das alles hat er billigend in Kauf genommen. Jemand wie er hat nicht nur einen Plan B, er hat auch einen Plan C und sogar D.« Er löste die verschränkten Arme und kam auf mich zu. »Ich kenne ihn.«

Leicht zuckte ich zurück, als er die Hände ausstreckte und sie sanft um meine Schultern legte. »Ruby kann sich all dem nicht widmen. Es macht ihr Angst. Sie verdrängt die Gefahr, die immer noch über uns schwebt. Deshalb muss ich seinen Plänen auf die Schliche kommen. Und ich werde ihn finden.«

Mein Herz krampfte sich zusammen, als seine Augen wieder diesen fiebrigen Glanz bekamen. Ich spürte das Gewicht seiner Hände auf meinen Schultern. Ich sah die Verblendung, ich fühlte sie wie eine überpräsente Aura, die ihn langsam aber sicher auffraß. »Und was hast du in all dieser Zeit, in den vielen Monaten, ja fast ein Jahr, herausgefunden?«

Seine Hände sackten von meinen Schultern. Jetzt stand er einfach nur da. Er wirkte fürchterlich hilflos, und alles in mir schrie auf vor Schmerz. Ganz langsam wandte er mir den Rücken zu und ging zur Tür. Wieder legte er die Hand auf die Klinke, wieder drehte er sich im letzten Moment zu mir um. »Weißt du was?« Jetzt klang er ruhig und beherrscht, zu ruhig.

Eine fürchterliche Gewissheit stieg in mir auf.

»Du möchtest mich abservieren, aber du schaffst den endgültigen Schritt nicht? Nun, dann komme ich dir zuvor.«

Meine Knie waren wie Pudding, alles in mir zerfloss. Das war er. Der Punkt, an dem wir schon lange angekommen waren.

»Ich will dich nicht abservieren«, stieß ich hervor. »Aber ich kann nicht mehr. Ich habe so lange bedingungslos hinter dir gestanden, dich unterstützt, bis klar war, dass wir die Spur zu deinem Dad im Strudel der Zeit verloren haben. Ich habe wochenlang jede freie Stunde neben der Universität und meiner Arbeit im Laden an deiner Seite verbracht, um nach Hinweisen zu suchen. Aber irgendwann muss man einsehen, dass die Fakten eben sind, wie sie sind. Ja, dein Dad hatte Alternativen. Aber vermutlich ist so viel schiefgelaufen, dass er keine Bedrohung mehr für uns ist und auch nicht irgendein Ersatzplan mehr greift. Auch Genies scheitern, bitte versteh das doch.« Ich kämpfte mit den Tränen. »Die Fakten sprechen für sich. Und genau dabei haben sich unsere Wege entzweit. Ich habe die Fakten akzeptiert, du nicht. Und auf deinem weiteren Weg hast du mich nicht nur von dir gestoßen, sondern du hast mich auch immer wieder verletzt.« Schon wieder begann meine Stimme zu zittern. Gerne hätte ich mich hingesetzt, aber ich wollte jetzt stark sein. »In einer Beziehung kommt man manchmal an einen Punkt, an dem man den anderen nicht mehr schützen kann, weil man sich selbst schützen muss. Und deshalb schlage ich vor, dass wir eine Pause machen. Ich flehe dich an, dir Hilfe zu suchen. Wir haben die ganze Geschichte doch schon besprochen. Es ist die Geschichte, die die Welt kennt. Dein Dad ist bei einem Wanderausflug in den Rocky Mountains verschwunden und gilt seitdem als vermisst. So kannst du über deine Gefühle reden, ohne die Wahrheit erzählen zu müssen. Die Presse war voll davon, als die skrupellosen Geschäfte deines Dads ans Licht kamen. Jeder kennt deinen Namen, jeder weiß, wer du bist. Und wirklich alle Menschen dieser Welt haben Verständnis dafür, dass du in ihm nach wie vor eine Bedrohung siehst. Lass dir helfen, und wenn du deinen Weg wiedergefunden hast, dann lass uns noch mal neu anfangen. Du hast klargemacht, dass du diesen Weg der Heilung nicht mit mir zusammen gehen willst. Aber lass uns doch wieder aufeinandertreffen, wenn es dir besser geht. Du bist mir genauso wichtig wie zuvor, und ich sehe den Mann, der in dir steckt, der aber jetzt verborgen ist unter dem Schmerz und der Angst. Ich will dich nicht abservieren, ich will dich eine Zeit lang freigeben, damit du genug Raum hast, dich ganz auf dich zu konzentrieren.«

Einen ewigen Moment lang hing eine bedeutungsschwere Stille zwischen uns. Damiens rechte Hand lag immer noch auf der Türklinke, jetzt drückte er so fest zu, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sein Mund wurde zu einer geraden schmalen Linie, als er mich betrachtete.

»Bitte sag etwas.« Das Flehen in meiner Stimme war unüberhörbar.

Er sah mich immer noch an. Und dann, zu meinem großen Entsetzen, lachte er leise.

Ich starrte ihn an.

»Weißt du was?« Er flüsterte, aber jede Silbe war messerscharf und bereit, mein Herz zu zerreißen. »Ich habe genug von deinen Vorwürfen.« Er beugte sich leicht in meine Richtung. »Mein Plan steht schon länger. Und jetzt setze ich ihn um. Das Geld meines Dads macht mich unabhängig. Ich werde mein Studium schmeißen und um die Welt reisen, um nach Hinweisen zu suchen. Eure Bibliothek mag beeindruckend sein, aber was ist das Wissen der Welt dagegen? Das mit uns hat nicht funktioniert. Sehen wir's ein. Und ganz ehrlich, das ganze Drama geht mir ziemlich auf den Keks. Wenn ich so viel Gejammer und bedeutungsschwere Blicke will, schaue ich mir mit Ruby eine von ihren rührseligen Netflix-Serien an.«

Es fühlte sich an, als habe er mich in den Bauch getreten. Ich wollte mich krümmen, mir war schlecht und einen Moment lang glaubte ich, mich übergeben zu müssen.

Damien wartete nicht auf meine Reaktion, er drehte sich um und verließ die Bibliothek.

Ich war immer noch wie gelähmt, bis ich bemerkte, dass er stehen geblieben war, um mir die Tür aufzuhalten. Die Kälte, die Ungeduld und Distanz in seinem Blick ließen mich aufschluchzen.

»Und jetzt auch noch Tränen ...« Seine Worte waren wie Klingen, sie verletzten mich, aber sie rüttelten mich auch wach. Ich war stark, das sagte ich mir zumindest.

Also straffte ich mit letzter Kraft die Schultern und erwiderte seinen kühlen Blick. »Dann los.« Ich schlüpfte durch die Tür und gemeinsam gingen wir die Treppe hinauf. Entschieden wischte ich die Tränen weg und kämpfte das übermächtige Gefühl, einfach nur noch weinen zu wollen, mit all meiner verbliebenen Kraft nieder.

Ich dachte, er würde den Weg durch die Haustür nehmen. Doch Damien wandte sich in Richtung Laden. »Ich habe noch ein Buch unter der Theke, das ich mitnehmen will.«

Ich nickte nur. In meinem Kopf jagten die Gedanken, ohne dass ich sie ausbremsen konnte. Das war's jetzt. Er hat dich abserviert. Du hast ihn genervt, also ist er dich losgeworden. Er wollte deine Hilfe nie. Niemals. Du warst immer nur im Weg.

Ich öffnete die Stahltür, die vom Treppenhaus ins Lager und weiter ins Ladengeschäft führte, obwohl ich mich unendlich leer fühlte.

Er wollte deine Hilfe nie. Wie konnte es so wehtun?

Aus dem Verkaufsraum erklang die Stimme meines Vaters. Ich hörte die ungewöhnliche Anspannung darin und mir war klar, dass etwas nicht stimmte. Sofort war ich in Alarmbereitschaft, noch bevor ich die Miene meines Dads sah.

Ihm gegenüber vor der Theke stand ein großer Mann Mitte zwanzig. Er lächelte knapp in meine Richtung. Ich betrachtete ihn verstohlen, wachsam und neugierig zugleich, während ich auf ihn zuging. Er hatte rabenschwarzes Haar, auffallend grüne Augen, hohe, gemeißelte Wangenknochen, ein eckiges Kinn. Ein Gesicht so perfekt geschnitten wie eine griechische Statue. Doch dann hielt ich inne.

Moment mal.

Eine vage Erinnerung kam in mir hoch ... ein Bild formte sich ... Kenne ich dich?

»Hallo, Lilly, hallo, Damien«, sagte er. »Ich bin Plan C.«

Kapitel 3

Damien

Warum kommst du mir bekannt vor? Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Mein Kopf war immer noch beschäftigt mit dem Drama, das Lilly und mich fest im Griff hatte.

Wer bist du?

Der Typ grinste, und sein Blick ruhte einen Moment zu lange auf Lilly, bevor er zu mir schweifte. Noch mal betrachtete ich ihn forschend. Er war ungefähr so groß wie ich, vielleicht zwei, drei Jahre älter und ...

»Na? Klingelt es?« Der Typ sah wieder zu Lilly. Ein süffisantes Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Mein Blick glitt weiter zu Lilly. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, der Kopf ein wenig schief gelegt.

»Du ... du bist der Chauffeur«, stieß sie hervor. »Aber da warst du ...« Sie brach ab und sah stirnrunzelnd zu ihrem Vater. »Aber da warst du doch ...«

»Blond, richtig.« Der Typ grinste schon wieder so selbstgefällig. »Hatte zu der Zeit eine Werbekampagne für Nike. Die wollten unbedingt mich, aber nur in blond.« Er zwinkerte ihr zu. »Und wenn Nike anruft, dann machst du, was Nike will.«

Bei seinen Worten klingelte es nicht, aber als er jetzt das Gesicht ein wenig drehte, wusste ich plötzlich, woher ich ihn kannte. Alles in mir wurde ganz still. Das konnte nicht sein. Er konnte es nicht sein.

Ich erkannte das Gesicht wieder. Es war nur ein flüchtiger Blick gewesen, nur ein Antlitz in der Menge ..., aber ich erkannte ihn wieder.

Diesen Mann hatte ich auf dem Fest des Murad Bey gesehen. Er war der Assistent einer der Wissenschaftler dort gewesen. Aber wie ...?

Der Typ senkte den Kopf, um kurz auf seine Armbanduhr zu sehen. Das Haar fiel ihm in die Stirn, und plötzlich hatte ich ein weiteres Bild vor Augen. Die intimen Fotos, die mein Vater mir gezeigt hatte. Die wohlhabende Mrs Fortune und ihr ... Chauffeur. Verdammt!

»Entschuldigen Sie, Mr deGray, ich sollte mich vorstellen.« Der Typ streckte die Hand über die Theke. »Collin MacLeod alias Jamie Fallons, der Chauffeur der Fortunes, alias Christian Rhoden, der Assistent.«

»Guten Tag«, erwiderte Thaddeus vorsichtig und klang so überrumpelt, wie ich vermutlich aussah. »Was können wir für Sie tun? Wie geht es ihren Arbeitgebern? Und was meinen Sie mit Plan C, wenn ich fragen darf?«

Ob er nicht bemerkt hatte, dass der Typ sich mit drei Namen vorgestellt hatte? Thaddeus war zwar ein unermüdlicher Quell des Wissens, was die Vergangenheit anging, aber in der Gegenwart wirkte er oft zerstreut und in Gedanken versunken. War es ihm wirklich nicht aufgefallen?

Collin seufzte übertrieben. »Sie dürfen. Ich habe gekündigt. Mein Auftrag war vorbei. Jetzt habe ich einen neuen Auftrag.«

Erst da wurde mir bewusst, dass weder Lilly noch ihr Vater gesehen hatten, was ich gesehen hatte. Oder täuschte mich meine Erinnerung an die Feier bei Murad Bey?

»Und der wäre?« Thaddeus rang sich ein freundliches Lächeln ab. »Haben Sie einen neuen Arbeitgeber? Wurden wir weiterempfohlen? Das würde mich freuen.«

Oh no, Thaddeus. Ich mochte Lillys Vater wirklich sehr, aber manchmal kam er echt nicht mit.

»Nein«, erwiderte Collin leichthin. »Mein Arbeitgeber ist immer noch der gleiche. Er hat sich nie geändert.«

Thaddeus runzelte die Stirn. »Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wenn Sie nicht im Auftrag der Familie Fortune hier sind, dann ...«

»Die Fortunes waren nie meine wahren Arbeitgeber.« Collin lächelte ihn breit an. »Sie waren mein Auftrag.«

Auch Lilly wirkte ratlos, was mir bestätigte, dass die zwei keine Ahnung hatten.

Collin reckte arrogant das Kinn. »Ich schlage vor, Sie schließen ihren hübschen kleinen Laden jetzt ab und wir begeben uns alle in Ihr Büro, Mr deGray, um das in Ruhe zu besprechen.«

Thaddeus wirkte so perplex, dass er nichts erwiderte. Lilly hingegen murmelte plötzlich: »Plan C ...« Es klang, als sei ihr nicht bewusst, dass sie das laut ausgesprochen hatte.

Collin nickte. »Richtig, Plan C.«

Lillys gesamte Haltung, ja sogar ihre Stimme, veränderte sich blitzschnell. Hatte sie vorher wachsam und neugierig gewirkt, so sah sie jetzt aus, als wäre sie kurz davor, Collin an die Kehle zu springen. Sie fixierte ihn, als wollte sie ihn allein mit ihrem Blick außer Gefecht setzen. »Ihr Arbeitgeber ist Grayson Belmont.«

Was. Zur. Hölle? Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein eiskalter Schauer die Wirbelsäule hinabjagte. Nein, ich hatte mich nicht verhört. Sie hatte den Namen meines Vaters gesagt. Noch mal: Was zur Hölle?

Thaddeus gab ein entsetztes Keuchen von sich. Collin nickte scheinbar tiefenentspannt. »Gut kombiniert.« Er wandte sich an Thaddeus. »Seien Sie so gut und schließen Sie den Laden ab. Wir haben Wichtiges zu besprechen.«

Was hatte mein Vater damit zu tun? Ein Gefühl von Horror, von einer subtilen Angst, die man einfach nicht beherrschen konnte, machte sich ganz langsam in meinem Kopf breit, streckte sich über mein Bewusstsein und hielt es mit aller Kraft fest.

Mein Vater.

Ich hatte es gewusst.

Jetzt war der Moment gekommen.

»Seien Sie so gut und machen Sie einen Termin aus. Wir haben jetzt Feierabend.« Thaddeus schien wieder in der Realität angekommen zu sein. Es wirkte nicht so, als würde er all dem viel Glauben schenken. Er sah Collin kühl an. »Bitte haben Sie Verständnis, es war ein langer Tag.«

»Ich glaube, Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.« Collins Stimme war eine Oktave tiefer geworden. Er lächelte, aber dieses Mal fehlte alle Freundlichkeit. Sein Blick schoss zu mir. »Vielleicht kann Damien Licht ins Dunkel bringen?«

Alle sahen mich an.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen. Dieses Gefühl von Ohnmacht, das ich so oft in der Gegenwart meines Vaters empfunden hatte, hielt mich mit gnadenlosem Griff gefangen, mischte sich mit der Angst und gewann dadurch noch an Kraft. Trotzdem schaffte ich es, ein abschätziges Gesicht zu ziehen. »Ich habe dich auf der Feier des Murad Bey gesehen.«

Die Stille danach konnte man schneiden. Thaddeus hatte die Stirn gerunzelt.

Lilly war ganz bleich. »Er war da? Bist du ganz sicher?«