A Whispered Curse - Livia Haydon - E-Book
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Livia Haydon

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Beschreibung

An ihrem ersten Collegetag stößt Madison Farneo mit einem jungen Mann zusammen und entdeckt sein mysteriöses Tattoo, um das sich die Gerüchte ranken. Und Darien Verhoefen gibt noch ganz andere Rätsel auf: Obwohl er am College als Herzensbrecher bekannt und sein Interesse an Madison offensichtlich ist, hält er sie auf Abstand. Als sich die beiden doch näherkommen, passieren unheimliche Dinge ... denn auf Darien lastet ein alter Familienfluch, dessen Schuld noch lange nicht beglichen ist. Ist Madisons Liebe der Schlüssel, mit dem der dämonische Fluch gebrochen werden kann?

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Hinweis

Prolog

10 Jahre zuvor

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Vier Jahre zuvor

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Sieben Jahre zuvor

Kapitel 7

Kapitel 8

Ein Jahr zuvor

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Sechs Jahre zuvor

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Jetzt

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Am Abend

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Inhaltswarnung

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

»A Whispered Curse« enthält Themen, die triggern können.

Deshalb finden Sie am Ende dieses Buches eine Inhaltswarnung[1].

 

Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte.

Wir wünschen allen ein bestmögliches Leseerlebnis.

10 Jahre zuvor

Ich starre sie an. Allem Anschein nach schon sehr lange, auch wenn ich es erst jetzt kapiere.

So, wie sie mich anlächelt, ist es ihr vermutlich gleich aufgefallen. Aber sie bleibt locker. Bestimmt ist sie es gewohnt, dass die Kerle sie angaffen. Verdammt, ihr Aussehen ist darauf ausgerichtet, einen in den Wahnsinn zu treiben. Und darauf, dass die glotzenden Idioten es nicht mal mitbekommen, wenn ihnen der Mund vor Sabberei offen steht.

Ich bin auch so ein Idiot. Und deshalb schließe ich peinlich berührt den Mund, bloß um ihn gleich wieder aufzumachen. »Sorry«, sage ich. »War mit meinen Gedanken woanders.«

»Wirklich?« Sie lächelt noch ein wenig breiter.

Das macht mich fertig. Die ganze Frau macht mich fertig. Sie ist der absolute Traum.

Ich weiß, dass ich es nicht sollte, dass es sogar völlig irre ist, aber das Verlangen, sie zu berühren, ist übermächtig. Und sie ist so nah … Ich müsste lediglich die Hand ausstrecken, um über ihre golden schimmernde Haut zu streichen. Wobei ich mir gehörig die Finger verbrennen würde. Lieber nicht. Oder doch?

Schauen wir einmal nüchtern auf die Situation: Jeder normal tickende Mensch hätte aufgeschrien, wenn plötzlich mitten in der Nacht eine fremde Frau in seinem Zimmer steht. Außerdem wäre ihm sofort klar gewesen, dass es so hardcore umwerfende Frauen in der Realität nicht gibt.

Leider ist mit meinem Teenagerverstand gerade nicht allzu viel los, und selbst wenn, würde mir das jetzt nichts bringen. Es ist nämlich nicht bloß ihr Aussehen, das mich in eine Witzfigur verwandelt hat, obwohl ihr Body und ihr perfektes Gesicht so ziemlich jedes Limit sprengen. Es ist auch nicht ihre Art, sich zu bewegen, gleitend, geschmeidig, als höre sie smoothe Musik.

Und, Mann, ich schwöre, ich höre ebenfalls Musik – und zwar mit einem ganz bestimmten Beat. Ein sanft, aber beständig treibender Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann, bei dem man sich automatisch in den Hüften zu wiegen beginnt. Mit einem bis zum Anschlag aufgedrehten Bass, der gewisse Körperregionen durchpulst, bis man nichts anderes mehr wahrnimmt.

Das alles ist Teil ihrer Magie, ihrer verdammten Hexerei. Aber was mich an die Grenze treibt, ist ihre prickelnde Energie, deren Funken auf jeden Quadratmillimeter meiner Haut einschlagen und sie zum Glühen bringen.

Was soll ich tun?

Ich weiß, was nun zu tun ist. Es ist mir oft genug eingebläut worden. Senk den Blick, dreh dich langsam um und geh. Ohne Hast, bewusst jeden Schritt setzend, und blende verflucht noch mal deine verrücktspielenden Sinne aus. Nicht einatmen, denn sie duftet süßer und sündiger als Jasmin. Halt den Mund, sonst schmeckst du sie auf deinen Lippen. Ball deine Hände zu Fäusten und ignoriere, was dir deine vor Erregung kribbelnde Haut vorgaukelt. Schließ alles fest in dir ein, verleugne es. Gib alles auf, was dich in ihren Bann zieht. Geh Schritt für Schritt weg von ihr, während du beiseiteschiebst, wie stark der Wunsch nach ihrer Berührung ist. Gib auf, was in dir auf Hingabe drängt. Bau eine Mauer um dich herum, versiegle deine Lippen und lass deine Haut erstarren, auch wenn es noch so schmerzt. Hat sie dich erst einmal in ihre Arme geschlossen, dann wirst du brennen. Lichterloh. Und mag sich ihre Umarmung auch anfühlen wie das Paradies, so ist es doch der gähnende Abgrund der Hölle, in den sie dich reißen wird.

All das weiß ich, kann es auswendig aufsagen, sogar, wenn man mich mitten in der Nacht weckt und danach fragt. Aber es hilft nichts seit dem Augenblick, in dem sie vor mir erschienen ist. Und deshalb stehe ich immer noch da und starre sie gebannt an.

»Was hältst du von einem Handel?«, fragt sie. »Du verrätst mir, woran du soeben dachtest, als du mich angesehen hast. Und ich sage dir im Gegenzug, was mir bei deinem Anblick durch den Kopf geht.«

O Jesus, lieber fall ich tot um, anstatt mir anzuhören, dass ich ein armseliger Loser bin, der seine Hüftregion nicht unter Kontrolle hat. »Warum möchtest du wissen, was ich eben gedacht habe? Weil … Was soll ich denn schon groß denken?«, frage ich nur so zur Sicherheit.

Nun wird ihr Lächeln fein, es ist kaum noch zu erkennen – und das macht es ganz besonders anziehend. »Du glaubst, an dir ist nichts Bemerkenswertes. Aber du irrst dich. Du bist gezeichnet, mein Schöner, und dein Zeichen hat mich gerufen. Du gehörst mir. Weißt du das denn nicht?«

Das habe ich nun davon. Ich hätte eben nicht fragen sollen. Den Plan, mich umzudrehen und Schritt für Schritt die Flucht zu ergreifen, kann ich jetzt vergessen. Wirklich, ich bin für diesen Rückzug nicht gemacht. Kein Typ ist das, darauf verwette ich meinen armseligen Hintern.

Ich versuche es mit einem letzten Rettungsanker. »Um ehrlich zu sein, ich bin nicht interessiert. Und an mir sind auch keine Zeichen, das wäre mir definitiv aufgefallen.«

Sie lacht, ganz perlend leise. »Du bist ein schlechter Lügner. Soll ich es dir beweisen?«

»Bitte nicht«, flüstere ich.

Trotzdem weiche ich nicht zurück, als sie sich vorbeugt und nach der Decke langt, die ich um meine Hüften gewickelt habe. Nachts auf dem Sofa, bevor ich beim laufenden Fernseher weggedöst bin. Dann, noch halb im Schlaf, spürte ich ihre Gegenwart und sprang wie vom Blitz getroffen vom Sofa auf, eine klägliche Gestalt mit zerwühltem Haar und einer Decke.

Nun schwebt ihre Hand verheißungsvoll über der Decke, die mir einen letzten Rest Würde bewahrt. »Sag, dass du es möchtest«, fordert sie.

Verzweifelt presse ich die Lippen aufeinander.

Obwohl ihre Finger noch einen Hauch von meiner Haut entfernt sind, jagen bereits Stromstöße durch meinen Körper, knapp vor diesem bestimmten Punkt, an dem die empfundene Lust in Schmerz umschlägt. Ich will die Lust, die ihre Berührung verspricht, und ich will verrückterweise auch den Schmerz. Sobald die hauchdünne Grenze, die uns voneinander trennt, überschritten ist, würde ich alles nehmen, was sie mir anbietet. Und egal, was es mit mir macht, ich würde mehr wollen. Über das unstillbare Verlangen, das sie in Männern auslöst, sind ganze Bücher geschrieben worden.

Doch so weit ist es in meinem Fall noch nicht, es braucht eine Einladung, damit sie ihren Zauber wirken kann. Deswegen halte ich den Mund.

»Du musst es mir erlauben, mein Schöner«, haucht sie. »Sonst finden wir nicht zusammen. Es braucht nur ein Wort von dir, sag ›Bitte‹.«

Wie leicht es wäre … Meine Lippen öffnen sich von selbst, ein Atemhauch bloß und das Wort »Bitte« wäre ausgesprochen. Dann müsste ich nicht mehr kämpfen, sondern könnte mich ihr überlassen. Doch ich zögere, was gewiss ein Geschenk des Himmels ist. Dann senke ich den Blick, obwohl es mich beinahe umbringt.

Das Lockende, das von ihrer Hand ausgeht, lässt in seiner Wirkung nach, und verrät, dass sie sich entfernt. Dass sie gleich für mich verloren ist. Trotzdem stehe ich da, erstarrt, blende alles an Gefühlen in mir aus und tue damit endlich das, was mir beigebracht wurde.

»Vielleicht ein anderes Mal«, dringt ihre Stimme wie von weit weg an mein Ohr. »Vielleicht in einem anderen Traum, der wahr werden darf. So, wie es das Zeichen, das du trägst, verspricht. Ich warte. Für immer.«

Kapitel 1

Im Leben gibt es Türen, hinter denen liegt das Glück. Nur sind sie manchmal verschlossen, obwohl man bereit ist, endlich den entscheidenden Schritt zu tun. In Madisons Fall handelte es sich sogar um zwei Türen. Dahinter verbargen sich die Waschräume des Wohnheims, das sie gerade erst bezogen hatte. Leider gab es keine Hinweise darauf, für wen welche Tür gedacht war. Typisch Uni, Geschlechterzuordnungen waren gestern.

Madison zog eine Grimasse, während sich unter ihrem Bademantel eine Gänsehaut ausbreitete. Sie hatte keine Lust, sich zum Abschluss ihres ersten Tages auf dem Campus die Dusche mit einer Horde Kerle zu teilen. Es war auch so schon alles nervenaufreibend genug gewesen.

Bleib locker, redete sich Madison Mut zu. Später wirst du drüber lachen. Weißt du noch, wie du als Frischling vor den Waschräumen rumgehangen und darauf gewartet hast, dass dich jemand rettet?

Und genau das passierte eine Sekunde später: Die linke Tür schwang auf, und in einen Schwall Wasserdampf gehüllt, trat eine Badenixe mit grün gesträhntem Haar heraus. Nur in ein Handtuch gewickelt, huschte sie lächelnd an Madison vorbei, barfuß, ihre Kleidung in der Hand. Es ging so schnell, dass Madison gerade noch ein »Hi« herausbrachte. Dann war sie auch schon wieder allein, nun allerdings eingenebelt in eine Wolke aus Drogerie-Düften.

Genau das, was man sich nach einem superstressigen Tag wünschte: warmes Wasser, der vertraute Duft einer Seife, die man schon seit Ewigkeiten benutzte, und die Hoffnung, unter der Dusche die klebrige Anspannung des Tages abzuspülen.

Es war kein Geschenk, mit mehreren Wochen Verspätung an der Uni für den Master-Studiengang anzutreten. Das hatte Madison bereits geahnt, als sie am Morgen mit ihrem Gepäck aus dem Bus gestiegen war. In dem Moment, in dem sie den Campus betreten hatte, war es ihr vorgekommen, als habe man sie mitten in eine Theateraufführung geschubst, bei der alle ihre Rollen draufhatten – mit ihr als einziger Ausnahme. Den ganzen Tag lang hatte sie das Gefühl gehabt, bloß im Weg zu stehen, ihren Text nicht zu kennen und nur deshalb durchzuhalten, weil irgendwann auch der grauenhafteste Tag ausgestanden war.

Und das war jetzt. Feierabend und gut.

Madison hatte ihren ersten Tag an einer neuen Uni hinter sich gebracht, der für alle anderen bereits der zigste Tag und somit nichts Besonderes mehr war. Sie hatte im Morgengrauen im Schnelldurchlauf ihr Zimmer bezogen, sich in den Kursen vorgestellt und mittags trotz des allgegenwärtigen Trubels etwas zu essen ergattert. Sogar ihren abendlichen Lauf hatte sie absolviert, wenn auch mit einer unfreiwilligen Extrarunde, weil ihr Handy unterwegs schlappgemacht hatte. Doch jetzt stand sie hier, hatte es geschafft und konnte sich selbst auf die Schulter klopfen. Stattdessen war in ihrem Kopf gerade noch Platz für warmes Duschwasser, einen Schokoriegel zum Runterkommen und eine Bettdecke, unter der sie verschwinden würde.

Auf geht’s, die linke Tür ist unsere, trieb Madison ihren erschöpften Körper an.

Und tatsächlich setzten sich ihre Füße in Bewegung, griff ihre Hand nach der Türklinke, und dann begrüßte sie auch schon der Wasserdampf.

Madison zupfte bereits am Knoten ihres Bademantelgürtels, als sie in die Umkleide bog. Dabei war sie eindeutig zu schnell unterwegs, denn kaum war sie um die Ecke, stieß sie frontal mit jemandem zusammen. Sie hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen, wenn auch eine warme und lebendige Wand. Der Aufprall war trotzdem heftig, genau wie der Schreck. Und es wurde auch nicht besser, als sie beim Zurückweichen auf den feuchten Fliesen ins Rutschen kam.

Notgedrungen ließ Madison auf der Suche nach Halt ihren Kulturbeutel fallen. Doch alles, was sie zu fassen bekam, war glatte Haut. Und dann – yippie! – ein Handtuch.

Madison griff zu.

Für eine Sekunde sah es aus, als hätte sie den rettenden Sicherheitsanker gefunden. Dummerweise gab das Handtuch nach. Eine Sekunde später verlor sie den Kampf gegen die Schwerkraft und machte einen Abgang. Ihr erster Tag auf dem Campus würde mit einer hässlichen Platzwunde am Hinterkopf und ausgestreckt im halb geöffneten Bademantel auf dem nassen Fliesenboden enden. Vielen Dank auch, Schicksal.

So weit kam es jedoch nicht.

Jemand stieß einen Fluch aus – verwirrenderweise eine Männerstimme –, packte Madison alles andere als sanft und holte sie wieder auf die Beine. Der Unbekannte riss sie an seinen Oberkörper, selbst halb schlitternd, wie bei einem Tanz, der außer Kontrolle geraten war. Dabei kam es zu einem weiteren Zusammenstoß. Wo, wie und mit welchem Körperteil, konnte Madison in dem Durcheinander nicht sagen. Sie sah nur unzählige Sternschnuppen umherzischen und musste sich anstrengen, um nicht doch noch umzukippen.

»Schön stehen bleiben«, wurde sie angeraunzt.

Madison japste nach Luft. Shit, sie war völlig neben der Spur. Trotzdem versuchte sie, ihre zittrigen Knie unter Kontrolle zu bringen.

Als der Sternenflug verblasste und sie wieder einigermaßen wusste, wo sich ihre Füße befanden – Gott sei Dank unter ihr, weitgehend fest auf dem Boden –, wurde es allerdings nicht besser. Ganz im Gegenteil. Der reizende Mensch, der sie in seinen Armen hielt, hatte nämlich nicht nur eine maskuline Stimme. Er war auch viel zu muskulös. Und haarig. Falscher Film, dachte sie, als noch breite Schultern dazukamen und eine gut definierte Männerbrust, an die sie unfreiwillig ihre Wange schmiegte.

Obwohl Madison sich dagegen sträubte, musste sie erkennen, dass sie in ein männliches Wesen reingelaufen war. Warum auch immer. Es war ein junger Typ, der sie aufgefangen hatte und nun festhielt. Er hatte seine Arme um sie geschlungen und zog sie an sich, als befürchte er, sie würde sonst umfallen – was nach ihrem heftigen Zusammenstoß ja auch durchaus im Bereich des Möglichen lag. Viel bedeutsamer war allerdings die Tatsache, dass der Kerl mindestens halb nackt war! Und wenn sie an das Handtuch dachte, das unter ihrem Gezerre nachgegeben hatte …

Um zum Hauptthema zurückzukommen: Was machte der Kerl in dem Waschraum, aus dem eben die Badenixe gekommen war?

Madisons Verstand schaltete auf Notprogramm um: nicht denken, handeln. Und das bedeutete, nichts wie weg.

Trotz des glitschigen Fliesenbodens legten ihre Füße den Rückwärtsgang ein, während ihre Hände versuchten, für ein Mindestmaß an Distanz zu sorgen. Dabei streifte sie die Hüfte des jungen Mannes und … Überraschung! Sein Handtuch hatte sich definitiv bei dem Gerangel verabschiedet.

Okay, okay, nichts wie Abstand, beschloss Madison. Sie stemmte sich gegen den Griff seiner kräftigen Arme, nur um sich sofort den genervtesten Blick ihres Lebens aus einem Paar tiefblauer Augen einzufangen. Sie gehörten einem dunkelhaarigen Typen, der gerade den Mund öffnete, um erneut zu fluchen.

»Hörst du jetzt auf mit der verdammten Zappelei? Oder willst du, dass wir uns beide alle Knochen brechen?«

»Natürlich nicht. Es ist bloß …« Was sollte sie sagen? Ich bin völlig neben der Rolle, weil mein Kopf mich auf lauter Dinge hinweist, die ich besser nicht laut sage, etwa »Du duftest ganz salzig verschwitzt« oder »Deine Lippen sind so rot«?

O nein, begriff Madison. Seine Lippen waren so rot, weil er blutete. Das waren Blutstropfen. Vermutlich hatte sie ihm bei ihrem Ringkampf gegen die Schwerkraft eins mitgegeben. Deshalb hatte sie selbst Sterne gesehen, sie musste ihm eine Kopfnuss verpasst haben.

Instinktiv fasste Madison sich an die Stirn, die plötzlich zu schmerzen begann. »Autsch.«

»Du hast einen ganz schön harten Schädel.« Ihr Freund und Helfer leckte sich das Blut von der Unterlippe. Allem Anschein nach war er ein paar Jahre älter als sie, vermutlich Mitte zwanzig. Mit einem harten Zug um den Mund musterte er Madison, als sei sie für dieses Durcheinander verantwortlich.

»Tut mir leid, das mit deiner Lippe – und dass ich in dich reingerannt bin«, sagte sie. »Aber warum stehst du hier rum? Damit war ja nun wirklich nicht zu rechnen.«

Der Überraschungsgast im Waschraum der Badenixen zog den Kopf ein Stück zurück, was sie als Treffer für sich wertete. »Moment mal«, sagte er. »Machst du mich allen Ernstes an, weil ich in der Umziehkabine stehe?«

»Irgendwie ja, aber trotzdem danke fürs Festhalten.«

Apropos Festhalten … Brennend heiß wurde Madison bewusst, dass ihre eine Hand immer noch auf seiner Hüfte lag, die sich nach wie vor eng an ihren Bauch presste. So eng, dass sie die Hitze wahrnahm, die von seinem Körper ausging. Vermutlich war er ebenfalls gerade erst vom Sport gekommen. Das beantwortete aber nicht die Frage, warum sie seine verschwitzte Haut an ihrer spürte. Plötzlich erinnerte sie sich an den Knoten ihres Bademantels, den sie vor dem Zusammenstoß gelockert hatte.

O Gott, hatte sich das Teil bei ihrem verunglückten Nahtanz etwa geöffnet? Großartig, genau das fehlte noch.

Prüfend schob Madison ihre Hand in den nicht vorhandenen Raum zwischen sich und dem inzwischen genervt-sauer dreinblickenden Typen. Dabei streifte sie seinen Bauch, was ihr ein fragendes Heben seiner schwarzen Augenbraue einbrachte.

»Keine Sorge«, murmelte Madison. »Einfach stillhalten, ich will nur …« Ja, was denn? Dich nicht betatschen, auch wenn es sich so anfühlt? Checken, ob ich halb nackt bin? Das wurde ja immer skurriler. Verlegen räusperte sie sich. »Nachdem wir beide wieder einigermaßen sicher stehen, würde es dir etwas ausmachen, mich loszulassen?«

In seinen Mundwinkeln zuckte es. »Kein Problem.«

Für einen Moment spürte sie noch seine kraftvollen Finger auf ihrem Körper. Als er die Umarmung löste und einen Schritt zurücksetzte, fiel ihr jedoch das Handtuch ein, das nicht mehr um seine Hüften geschlungen war. Weil: Genau, es lag zwischen ihnen auf dem Boden. Was nicht gut war. Vor allem, weil Madisons Blick sich unwillkürlich auf seine Körpermitte richtete, als müsse die Angelegenheit trotz der eindeutigen Beweislage überprüft werden.

Ihre Augen blieben an einem Tattoo ein Stück über seiner rechten Leiste hängen, das eine schwarze Lilie zeigte. Das einzige Tattoo übrigens, soweit sie sehen konnte. Und sie sah einiges. »Wow«, rutschte es ihr raus.

»Das Kompliment kann ich nur zurückgeben«, murrte er. »Dein Bademantel ist nämlich nicht wirklich geschlossen.«

Womit er recht hatte.

Hastig schob Madison die beiden Stoffhälften ihres Bademantels zusammen. Bloß nicht drüber nachdenken, was zu sehen gewesen war, wies sie sich an. Das ist auch so schon alles peinlich genug. Dann bückte sie sich nach dem Handtuch, das sich auf den Fliesen mittlerweile mit Wasser vollgesogen hatte. Leider kniete sich ihr Gegenüber ebenfalls nieder, sodass sein Gesicht nur einen Hauch von ihrem entfernt war. Seine Unterlippe blutete nicht mehr, aber in ihrer Mitte zeichnete sich ein feiner Riss ab, und auf seinen Wangen hatte sich eine Röte ausgebreitet, die nicht richtig zu seinem selbstbewussten Auftreten passte. Madison kannte ihn zwar erst seit wenigen Momenten, aber sie war sich sicher, dass er nicht zur schüchternen Sorte gehörte. Und doch hatte ihn ihr Blick verunsichert. Warum nur? Etwa wegen des Tattoos?

Verwirrt versuchte Madison, ihn einzuschätzen, in eine Schublade zu stecken. Aber sie bekam ihn nicht zu fassen, er war ein unübersehbares Enigma an einem Ort, an dem er überhaupt nichts verloren hatte. Ein Rätsel, das gelöst werden wollte.

»Das Handtuch kannst du vergessen, das ist klitschnass«, versuchte Madison, den Bann zu brechen.

»Vielleicht sollte ich es trotzdem benutzen, dann musst du nicht mehr so angestrengt überall hingucken, nur nicht zu mir. Obwohl … Genau darum ging es dir ja anscheinend, als du hier reingerauscht bist.«

Mit einem Satz war Madison auf den Beinen. »Wie bitte? Wenn einer von uns eine Spannernummer abzieht, dann ja wohl du.«

Geschmeidig und mit aller Zeit der Welt stand der junge Mann auf und wickelte sich das tropfende Handtuch um seine Hüfte. »Lass gut sein mit den Ausreden. Du wolltest dich ein wenig umschauen, das ist es doch. Ist mir egal, ob du eine Wette verloren hast oder bloß schräg drauf bist.«

Madison traute ihren Ohren nicht. »Alles, was ich wollte, war duschen.«

Er lachte kehlig. »Mit wem denn? Falls du mit mir verabredet gewesen wärst, wüsste ich das ja wohl.«

Fragte der Typ das gerade ernsthaft? Madison starrte ihn wütend an … was er zum Anlass nahm, sie vom Kopf bis zu den Zehen abzuchecken. Wirklich frech. Nein, unverschämt.

»Das mit der Verabredung nehme ich zurück«, sagte er. »Du siehst kein Stück aus wie jemand, der im Waschraum ein Date hat, so wie Stella eben mit Raj.«

Madisons Gedanken überschlugen sich. »Hat Stella vielleicht grüne Strähnen im Haar und hat den Waschraum nur in ein Handtuch gewickelt verlassen?«

Ihr Gegenüber nickte, während er ein Pokerface aufsetzte, sodass sein Gesicht nicht verriet, was er von einer solchen Nummer hielt. Oder ob er vielleicht sogar regelmäßig jemanden traf, um sich gegenseitig unter der Dusche gründlich abzuseifen. »Stella ist die Frau, die gerade einen sehr entspannten Gang hatte, obwohl sie auf schnellstem Weg die Dusche verlassen wollte, bevor das Footballtraining vorbei ist und die Mannschaft hier reinstürmt. Ein Grund, warum ich mein Training auch immer ein paar Minuten früher beende, ich hasse Gedrängel im Waschraum.«

»Verstehe«, nuschelte Madison.

»Wirklich? Nur um das klarzustellen: Du hast hier nur was zu suchen, wenn du ein Date zum Duschen hast. Um diese Uhrzeit am besten, wenn du an der kompletten Footballmannschaft interessiert bist.«

»Danke für den Hinweis.« Es war zwar albern, aber Madison hatte das Gefühl, als wäre für ihn ganz klar, dass sie nicht der Typ für ein schnelles Abenteuer war. Auch wenn er mit seiner Einschätzung durchaus richtiglag, wie kam er auf die Idee? Schließlich stand sie nicht im Faltenrock mit Blüschen vor ihm, die Fibel für anständige junge Damen schützend vor die Brust gepresst. Trotzdem war sie in seinen Augen offenbar ein verwirrtes Küken, das sofort die Nerven verlor, wenn es auf einen nackten Mann traf. Zugegeben, sie hatte tatsächlich die Nerven verloren, zusammen mit ihrem Gleichgewichtssinn, aber deshalb musste dieser Kerl noch lange nicht auf sie herabsehen.

»Schickes Tattoo übrigens, ziemlich außergewöhnlicher Style. Es gibt bestimmt nicht viele Kerle, die sich eine Lilie, das Zeichen der Reinheit, in die Haut stechen lassen«, versuchte Madison abzulenken.

Leider kühlte die Stimmung daraufhin schlagartig ab. Allem Anschein nach gehörte er nicht zu der Sorte Tattoo-Fan, die am liebsten über nichts anderes als ihren Körperschmuck redeten. Dass sein Kiefer hörbar knackte, ließ sie vor Nervosität weiterplappern.

»Anstatt eines Blümchens wäre ein Warnschild ›Ab hier wird’s gefährlich‹ passender. Kleiner Scherz, vermutlich sitzt das Tattoo unterhalb der Gürtellinie, damit es nur besondere Leute zu sehen bekommen. Und jetzt bist du angefressen, weil ich es kenne, obwohl ich nicht zu diesem exklusiven Kreis gehöre, richtig?«

Er nickte. »Das Zeichen geht dich wirklich überhaupt nichts an.«

Das klang, als habe Madison seine Familienehre, sein Vaterland und alles, was ihm heilig war, beleidigt. »Entschuldige, ich wollte dich nicht ausspionieren«, sagte sie. »Es ist nur ein ziemlich ungewöhnliches Tattoo.«

»Wie wär’s mit einem Themenwechsel?«, knurrte er. »Ich könnte die Form deiner Brüste mit Obstsorten vergleichen. Oder ausrechnen, wie wahrscheinlich es ist, eine linke Tür mit einer rechten zu verwechseln.«

»Zum letzten Mal«, sagte Madison. »Das war ein Versehen, und es tut mir leid.«

»Erzähl das deinen Freundinnen, die feixend draußen auf dich warten. ›Ladys, ratet mal, wen ich splitterfasernackt erwischt habe?‹«, flötete er. »›Darien! Und wisst ihr was? Der Kerl ist tätowiert, nur einen Hauch entfernt von seinem besten Stück. Deshalb lässt er nie die Hosen runter.‹« Sein Blick wurde eisig. »So eine Story ist das doch, oder?«

Obwohl es keinen Grund dafür gab, fühlte Madison sich in ihrer Integrität verletzt. Von diesem Darien, wie er offenbar hieß. »Eigentlich finde ich nicht, dass ich mich verteidigen muss, aber heute ist mein erster Tag auf diesem Campus. Deshalb ist das ganze Unglück überhaupt passiert.«

»Die Geschichte ist echt schwach, lass dir was Besseres einfallen.«

Madison erwiderte Dariens abschätzigen Blick. »Ich weiß, es ist ungewöhnlich, aber es stimmt. Ich bin heute mit ein paar Wochen Verspätung gestartet, und niemand hat mir verraten, welche Tür ich nehmen muss. Das Pech der Nachzüglerin.«

Darien schüttelte den Kopf. »Du siehst wirklich wie ein Frischling von der Highschool aus, aber die würden dich nicht mit so viel Verspätung ins erste Semester starten lassen.«

»Ich bin für den Masterabschluss hier, da ist das was anderes«, hielt Madison dagegen. Dass sie anscheinend aussah, wie jemand, der gerade erst die Schule verlassen hatte, ließ sie jetzt mal unkommentiert.

Darien wirkte noch immer nicht überzeugt. »Und warum bist du zu spät?«

Was wollte der Typ, etwa, dass sie ihm ihre Lebensgeschichte erzählte? »Familienangelegenheiten«, sagte sie ausweichend.

Erneut musterte Darien sie. Eigentlich hätte sie sich unter dem Blick seiner kühlen blauen Augen winden müssen. Er war einige Jahre älter, strotzte vor Selbstvertrauen und strahlte eine Lässigkeit aus, die verriet, dass ihn so schnell nichts aus der Fassung brachte. Stattdessen hielt sie seinem Blick stand, und in diesem Moment war es ihr sogar egal, was ihr Bademantel machte.

Nachdenklich strich Darien sich durch das dunkle Haar. »Tatsache. Ein Neuzugang, der sich verlaufen hat. Unser Zusammenstoß war also bloß ein verrückter Zufall.«

»Genau so ist es«, bestätigte Madison. »Gut, dass ich armes Ding nicht auf den bösen Wolf, sondern nur auf einen begriffsstutzigen Senior gestoßen bin.«

Grinsend bückte Darien sich nach ihrem Kulturbeutel. »Das Leben ist schon seltsam. Sieh es einfach so: Diesen ersten Tag vergisst du nicht so schnell, allein schon wegen der mächtigen Beule an deiner Stirn und der Überdosis Körperkontakt mit einem Fremden. Dafür brauchen die meisten ein paar Partyerfahrungen plus den passenden Alkoholpegel.«

Bevor Madison eine entsprechend unverschämte Antwort geben konnte, trat ein älterer Student im Bademantel durch den Durchgang zu den Duschräumen. Sichtlich überrascht sah er sie beide an, dann grinste er. »Da hatten Stella und ich wohl nicht als Einzige die Idee, dass um diese Zeit in den Waschräumen nichts los ist.« Er griff in einen Spind und schnappte sich seine Sachen. »Und dabei heißt es immer, in weiblicher Gesellschaft blankziehen wäre nicht so dein Ding, Darien. Wegen deiner dir ach so heiligen Regeln. Steht dir gut, solltest du öfter machen.«

Darien zuckte mit der Schulter. »Du hast nur eins vergessen, Raj. Damit das was werden kann, müsste ich mehr als eine meiner Regeln brechen. Und auf Neulinge steh ich nun wirklich nicht.« Er blinzelte Madison zu. »Nimm’s nicht persönlich.«

»Ich bin vielleicht neu auf dem Campus«, sagte Madison zuckersüß. »Aber ich habe genug Ahnung, um zu wissen, dass ich mich mit jemandem wie dir auch unter anderen Umständen nicht einlassen würde. Ist ebenfalls nicht persönlich gemeint, sondern nur eine Feststellung.«

Raj lachte, als er an ihnen vorbeiging. »Das Mädchen hat Geschmack. Wir sehen uns morgen beim Training, Darien, falls du nach diesem Schlagabtausch noch aufrecht stehen kannst.« Damit war er auch schon zur Tür hinaus.

Darien schmunzelte, während er nach einem Duschgel griff, das oben auf dem Spind stand. Dabei wendete er Madison kurz den Rücken zu, sodass sie feststellen konnte, dass es auch auf seiner Kehrseite keine weiteren Tattoos gab. Irgendwie erschien ihr das ungewöhnlich. Wer sich ein Tattoo machen ließ, hatte doch meist auch schon bald ein zweites.

Höchste Zeit zu gehen, bevor ich mich mit noch mehr Tattoo-Gerede völlig ins Abseits befördere, entschied sie, während ihr die Lilie samt ihrem durchaus interessanten Umfeld immer noch lebhaft vor Augen stand.

In diesem Moment drehte Darien sich allerdings um und kratzte sich am Nacken, wodurch das Handtuch um seine Hüften ein gefährliches Stück nach unten rutschte. »Nicht, dass ich ernsthaft neugierig wäre. Aber was stimmt nicht mit mir, dass du dich an mich nicht verschwenden würdest?«

Madison musste nicht lange nachdenken. »Wir unterhalten uns seit höchstens fünf Minuten, aber in dieser kurzen Zeit hast du mich angeschnauzt, mir Voyeurismus und die Teilnahme an kindischen Wetten unterstellt, mich als ahnungslosen Neuling abgestempelt, der nicht nach deinem Geschmack ist, und mich von oben herab behandelt, weil ich was zu deinem Tattoo gesagt habe, das leider nicht zu übersehen war. Nenn mich verwöhnt, aber ich bevorzuge Jungs, die nett zu mir sind, von charmant ganz zu schweigen.«

»Dann wird das also nichts mit der gemeinsamen Dusche?«

Unwillkürlich klappte Madisons Unterkiefer runter. »Nein, ganz bestimmt nicht?«, echote sie im Frageduktus.

»Schade«, sagte Darien, plötzlich die gute Laune in Person. »Ich müsste nach dem Sport nämlich so langsam mal unter die Brause, sonst hole ich mir in diesem nassen Handtuch noch den Tod.«

»Dann viel Spaß.«

Entgegen seiner Worte blieb Darien stehen, in seinen Augen funkelte es amüsiert, wodurch das Blau plötzlich nicht mehr nach kühlem, tiefen Wasser aussah, sondern als tanze die Sonne auf den Wellen. Geradeso, als warte er darauf, dass Madison ihm einen Ball zurückspielte, damit sie in die nächste Runde ihres Schlagabtausches gehen konnten. Und zu ihrer Überraschung verspürte sie ein Kribbeln, eine Lust, es drauf ankommen zu lassen. Dieser Darien mochte so launenhaft sein wie das Wetter, aber insgeheim fragte sie sich, wohin es sie beide treiben würde: Würden sie sich am Ende anschreien? Würde einer zu Tode beleidigt sein oder würden sie vielleicht nicht wieder damit aufhören können, sich gegenseitig auszutesten? Womöglich würden sie sich sogar zusammen amüsieren … rein mit Worten natürlich. Entgegen ihrer sonstigen Art, hegte Madison das Verlangen, es auszuprobieren. Alles an Darien deutete darauf hin, dass er ihr an Alter, Erfahrung und Coolness überlegen war. Das änderte jedoch nichts daran, dass sie mit ihm spielen wollte, sich einlassen wollte auf diese Achterbahnfahrt, die der Senior offenbar für ganz normal hielt. Da war ein Ziehen in ihr, das ihr das Gefühl gab, lebendig und wach wie nie zuvor zu sein.

Leider war das Leben schneller als Madison.

Die Tür zum Waschraum öffnete sich, und ein Pulk lachender und plaudernder Studenten schob sich herein, die Madison neugierige Blicke zuwarfen und Darien im Vorbeigehen auf die Schulter klopften. Eindeutig die angekündigte Footballmannschaft. Es folgten Sprüche wie »Alter, du lässt auch wirklich nichts anbrennen« und »Im Waschraum, wie krass! Du weißt, wie man es den Frauen schön macht, Darien«.

Abpfiff. Und zwar so laut, dass Madison anschließend nur noch ein Rauschen hörte. Vielleicht lag es an der Dusche, in die bereits einige verschwunden waren. Vielleicht war es auch die Enttäuschung, so albern gewesen zu sein, jemandem, der offenbar sehr genau wusste, wie man Frauen rumbekam, auf einer persönlich tieferen Ebene zu begegnen. Einer Ebene, auf der man einander spielerisch umkreiste, um mehr über den anderen herauszufinden. Einer, auf die sich ein Aufreißer niemals ernsthaft begeben würde. Hiermit war es amtlich: Sie war ein zu junger, unerfahrener, leicht zu knackender Neuzugang. Ein dussliges Küken.

»Alles klar bei dir?«, fragte Darien.

»Jetzt ja«, sagte Madison, nickte ihm zu und ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Kapitel 2

Rechnungswesen war genauso langweilig und deprimierend, wie alle behaupteten. Es half jedoch nichts, sich in das Gefühl reinzusteigern, langsam zu sterben, während die Dozentin in aller Ausführlichkeit über die Finessen der Finanzbuchhaltung sprach. Madison hatte sich für diesen Schwerpunkt entschieden und würde ihn durchziehen, und zwar nicht, weil sie sich nichts Großartigeres als Doppelte Buchführung vorstellen konnte, sondern weil dieses Wissen dort draußen in der Welt nützlich war. Außerdem stand Buchhaltung für Ordnung und Verlässlichkeit. Das waren beides Dinge, auf die Madison Wert legte, nachdem ihr Leben die letzten Jahre eine echte Achterbahnfahrt gewesen war. Während die meisten am College die gerade erst gewonnene Freiheit und die unzähligen Partys schätzten, mochte Madison ihren ausgeklügelten Stundenplan. Eigentlich sollte Rechnungswesen also ihre große Liebe sein, so einfach war das jedoch nicht.

»Fuck, du hast schon wieder diesen ›Ich gehe durch die Hölle, ohne zu zucken‹-Blick drauf, Madison. Davon bekomme ich Schiss.«

Beim Klang der rauen Stimme musste Madison sofort lächeln. Leandra musste schon seit einer Weile neben ihr hergegangen sein, während sie sich mit eiserner Miene Buchhaltung schönzureden versuchte. Dabei ließ sich ihre Zimmernachbarin eigentlich nicht ignorieren, allein schon deshalb, weil Leandra eine beeindruckend raumfüllende Präsenz an den Tag legte. Außerdem duftete sie, als habe sie in Dior Homme gebadet.

»Hey, Leandra! Solltest du nicht aus dem Haupttrakt kommen, wo eben Medieninformatik stattgefunden hat?«, fragte Madison scheinheilig.

Mit ihrer boyischen Art strich Leandra sich ihre glänzend schwarzen Locken zurück. Dabei zeichneten sich ihre gut trainierten Armmuskeln unter der sonnengebräunten Haut ab, als der Ärmel ihres Lakers-Shirt zurückrutschte. Die Frau war mit Abstand der heißeste Kerl am College. »Der Kurs ist so gnadenlos überlaufen, da fällt es nicht weiter auf, wenn ich stattdessen zeitungslesend im Café rumhänge.«

»Und mit der hübschen Bedienung im Sirius flirtest«, ergänzte Madison.

»Ich flirte nicht«, sagte Leandra. »Ich begnüge mich damit, da zu sein. Du kennst ja mein Motto: Es kommt eh, wie es kommen soll.«

Madison musste schmunzeln. »Und, hat die Taktik funktioniert?«

Leandra erwiderte ihr Lächeln und hielt einen Zettel in die Luft, auf dem offensichtlich eine Telefonnummer stand.

»Sag bloß, der platinblonde Engel aus dem Sirius hat dir nach der wochenlangen Belagerung endlich seinen Kontakt gegeben?« Jelly, die Dritte im Bunde, gesellte sich zu ihnen und verpasste Leandra zur Begrüßung einen Knuff gegen den Oberarm. Dann glitt sie an Madisons freie Seite, um ihr im Gehen einen Kuss auf die Wange zu drücken. Einen, der zweifelsohne einen blutroten Lippenabdruck hinterließ. Alles an Jelly war so rot, als würde sie in Flammen stehen – einmal abgesehen von den paar schwarzen Dingen, die sie sich als Kontrast zu ihrer Lieblingsfarbe gönnte.

»Du weißt schon, dass das Theken-Engelchen bereits einen Verehrer hat?«, fragte sie Leandra. »Der Kerl hängt unübersehbar während ihrer Schichten im Sirius rum, so ein Schrank aus dem Footballteam, dem irgendein armes Würstchen gegen ein Taschengeld die Arbeiten schreibt, damit er sich um seinen Muskeltonus kümmern kann.«

»Ich habe keine Angst vor Konkurrenz«, sagte Leandra.

»So Macho«, lachte Jelly und warf ihrer Mitbewohnerin einen Blick zu, der verriet, wie gern sie Leandra trotz ihrer Mackersprüche hatte. Dann hakte sie sich bei Madison ein. »Und wie stehen deine Aktien heute? Bitte sag mir, dass du den schnarchigen BWL-Kurs endlich cancelst und mit mir Grafik besuchst.«

»Im nächsten Leben«, versprach Madison. »In diesem bin ich bereits fest an die Langeweile vergeben.«

»Das ist doch unmöglich dein Ernst, eine so smarte Frau wie du darf auf keinen Fall zum Abrechnungsgespenst verkümmern. Madison, du bist zu Größerem, ach, was sag ich: zu Exorbitantem geschaffen.«

Während Jelly ansetzte zu ihrem Endlosvortrag, warum Madison mit ihrer drögen Kurswahl ihr Leben ruinierte, genoss diese jede Sekunde. Niemals hätte sie gedacht, dass zwei so selbstbewusste und tolle Frauen wie Leandra und Jelly sich für sie interessieren und sogar ihre Freundschaft suchen könnten. Bis zu ihrem Highschool-Abschluss hatte sie die Karte der Unscheinbaren gezogen, die trotz ihrer guten Noten niemand bashte, weil sie einen Jahrgang übersprungen hatte und deshalb Welpenschutz genoss. Außerdem war Madison immer für sich geblieben, weil sie sich zu sehr von anderen unterschied. Während die anderen Partys feierten, sich mit dem ersten Liebeskummer rumplagten und Erfahrungen mit Weed, Alkohol und schweinischen Flaschendrehspielen machten, war sie die meiste Zeit in Lauerstellung gewesen, stets darauf gefasst, dass der brodelnde Vulkan, mit dem sie unter einem Dach lebte, hochging. Und als er dann explodiert war, brach in ihrem Leben die Hölle aus. In den folgenden Jahren kam sie gar nicht dazu, mitzuerleben, wie die Teenagerzeit vorbeiging und sie zu einer jungen Erwachsenen wurde. Sie hatte lediglich funktioniert und versucht, den Kopf trotz aller Widerstände über Wasser zu halten. Nur das Fernstudium hatte sie diesen endlosen Albtraum durchhalten lassen, weil es wie eine Versicherung gewesen war, dass eine Zukunft auf sie wartete. Und jetzt war es so weit: Sie konnte endlich in real die Uni besuchen, andere Menschen und damit irgendwie auch sich selbst kennenlernen. Und genoss jeden Moment.

Seit Madison einen Fuß auf den Campus gesetzt hatte, waren die Karten neu gemischt worden, und sie hatte den Joker gezogen. Auch wenn es an ihrem ersten Tag mit seinem Tiefpunkt im Männerwaschraum nicht danach ausgesehen hatte. Allein bei der Erinnerung drehte sich ihr der Magen um, so präsent war der Zusammenstoß mit dem Typen namens Darien noch …

 

Nach dem Duschfiasko, bei dem sie Darien grußlos hatte stehen lassen, hatte Madison sich auf ihr Zimmer geschleppt, um dort auf dem Bett zusammenzubrechen und den Tag als gelaufen abzuhaken.

Glücklicherweise war ihre Mitbewohnerin, Hemley Dandridge aus dem Master-Studiengang für Sozialwissenschaften, an diesem Abend nicht da. Zusammen mit einigen anderen Freiwilligen bereitete sie nämlich massenhaft Kartoffelauflauf für eine Suppenküche zu. Klingt nach Gutmensch? Ja, tut es, denn genau das war Hemley. Sie besaß ein übergroßes Herz am rechten Platz und deshalb null Freizeit, weil alles für ehrenamtliche Aufgaben reserviert war. Entsprechend leicht war es Madison gefallen, sich auf die Dreiundzwanzigjährige mit den kurzen Dreads und den Goldcreolen an den Ohren einzulassen.

An dem Abend wollte Madison nur noch daliegen, die Decke anstarren und die Gedanken auf Leerlauf stellen, denn sonst würde es bloß noch schlimmer werden. Sie hatte es aufrecht aus dem Männerwaschraum rausgeschafft und unter der Dusche unauffällig ihren Frust rausgeheult, weil sie sich so unfassbar dämlich vorkam. War sie wirklich so leicht zu manipulieren, dass sie nach ein bisschen Geplänkel glaubte, zwischen ihr und einem Typen, den sie kaum fünf Minuten kannte (nun, was seine äußere Performance anbelangte, besser als so manchen anderen), entwickle sich gerade etwas Besonderes? Als könnte sie hinter dem gegenseitigen Gepricke eine Ebene wahrnehmen, auf der zwischen ihnen ein Gleichklang herrschte.

O Gott, war dieser Moment der geistigen Verwirrung rückblickend erniedrigend!

Wie naiv von ihr, zu glauben, sie hätte in dem Kerl etwas Außergewöhnliches entdeckt. Wie ein flüchtiges Aufleuchten in der Tiefe, auf das sie zuschwamm durch viele Wasserschichten, manche eisig, andere warm, einige dunkel und andere widerspenstig. Doch egal, wie schwer es war, in die Tiefe des Wassers vorzudringen, sie hatte das Ziel vor Augen: das ferne Leuchten, ein Lichtzeichen, das ihr den Weg wies, auf den anderen zu. Genau diese idiotischen Gedanken waren es, die sie auf die Idee gebracht hatten, ein offenbar allseits bekannter Aufreißer könnte mit seinen Sprüchen mehr meinen. Er könnte sie meinen.

Am liebsten hätte Madison an ihrem ersten Abend am College vor Frust ins Kopfkissen gebissen. Aber sie war zu erschöpft, um sich auch nur auf den Bauch zu rollen. Als die Verbindungstür zum Nachbarzimmer aufschwang und ein Mädchen mit ketchuprot gefärbtem Pagenschnitt durch den Spalt linste, schaffte Madison es, vor Schreck nicht einmal zusammenzuzucken. Stattdessen starrte sie den Eindringling an, auf dessen Haupt ein Papierhütchen prangte, wie man sie zu Silvester trug.

»Du bist Madison, Hemleys verschollen geglaubte Mitbewohnerin, richtig? Dann hast du offenbar doch noch Lust aufs Collegeleben bekommen«, sagte der Rotschopf. »Das mit dem Bett ist nicht dein Ernst – und wenn doch, dann vergiss das mal schnell, es ist schließlich noch nicht mal einundzwanzig Uhr, Süße.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rief sie über die Schulter: »Schnapp dir das Picknick und komm, unsere Neue liegt bloß gelangweilt im Bett rum.«

»Eigentlich versuche ich zu schlafen, ich bin nämlich völlig fertig«, sagte Madison, während sie beschloss, einen Stuhl unter die Türklinke zu schieben, sobald sie den ungebetenen Besuch wieder losgeworden war.

»Du bist doch nicht zum Schlafen hier«, verkündete der Rotschopf, obwohl die junge Frau selbst in einem Negligé steckte. »Ich bin übrigens Jelly, Schwerpunkt Design …«, sie drückte die widerspenstige Verbindungstür so weit auf, dass ein anderes Mädchen, das einen Pappkarton in den Armen hielt, durchtreten konnte, »… und das ist Leandra, Sport und Medien, falls du nicht gleich von allein drauf kommen solltest. Fall bloß nicht auf ihre lässige Art rein, sie ist ein waschechter Draufgänger.«

»Hi«, sagte Leandra mit rauchiger Stimme. Der androgyne Klang passte perfekt zu dem durchtrainierten Mädchen, das seine halblangen schwarzen Locken zurückgestrichen hatte und ein Tanktop zu Boxershorts und eine Papiergirlande um den Hals trug. Sie setzte sich ungefragt zu Madison aufs Bett und zog eine Sektflasche aus dem Karton, in dem offenbar auch Chipstüten und jede Menge Süßigkeiten steckten.

Mit einem gekonnten Griff köpfte Leandra die Flasche, trank einen Schluck und hielt sie dann Madison hin. »Auf gute Nachbarschaft.«

Zu verblüfft, um Widerstand zu leisten, setzte Madison sich auf. Prompt zwängte Jelly ihren Hintern auf den frei gewordenen Platz und steckte ihr eine Papierkrone ins Haar. »Nicht schauen, trinken«, wies sie Madison an.

»Ich trinke eigentlich keinen Alkohol.«

Jelly wackelte mit dem Zeigefinger, während sie einhändig ihr Smartphone in eine Jukebox verwandelte. »Falsche Zeitform. Du hast keinen Alkohol getrunken, jetzt tust du es. Und zwar auf uns. Auf uns vier. Stell dir einfach vor, Hemley ist auch da, anstatt mit dieser öden Kocherei ihre Lebenszeit zu verplempern.«

Überrumpelt versuchte Madison, aus dem Überraschungsbesuch schlau zu werden. Beim Skypen hatte Hemley erwähnt, dass sie mit zwei Mädchen aus dem Nachbarzimmer gut befreundet war, aber Madison hatte nicht damit gerechnet, ebenfalls in diesen Kreis aufgenommen zu werden. Vielleicht waren die Menschen am Campus einfach viel offener als in der verschlafenen Kleinstadt, aus der sie kam?

Madison nahm die Flasche, aus deren Öffnung Schaum quoll. Eine weitere Tür, durch die sie gehen konnte, wenn sie wollte. »Auf gute Nachbarschaft«, sagte sie und nahm einen Schluck. Thema Alkohol? Abgehakt. Dann reichte sie die Flasche an Jelly weiter, die offensichtlich nur darauf gewartet hatte.

»Lass mich raten, was du als Hauptfächer belegt hast … Einerseits wirkst du wie die Zielgerichtetheit in Person, die für alles einen passenden Aktenordner vorbereitet hat. Andererseits sage ich mit meinem für Kreativität geschulten Auge, dass da mehr in dir steckt, da verbergen sich ein paar Pfauenfedern unter deiner braven Art. Ich schwanke zwischen Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte«, sagte Jelly zwischen zwei Schlucken.

Nicht schlecht geraten, dachte Madison.

Leandra beugte sich vor, um eine Tüte Chips aus dem Karton zu fischen, und verteilte dabei ganz nebenbei eine Ladung Konfetti. »Gibt es eine heiße Story, warum du erst jetzt aufgetaucht bist?«

Madison deutete auf die Tüte mit Marshmallows, die Leandra ihr sofort zuwarf. »Leider nur Familiengeschichten.«

»Fuck, nein danke«, sagte Jelly. »Das F-Wort steht in diesem Fall für Family, und wir sagen es hier am Campus nie. Niemals.«

Madison zuckte mit den Schultern. »Ganz nach meinem Geschmack. Niemand unter fünfzig Jahren hört ernsthaft gern Familiengeschichten.«

»Zweiter Versuch«, sagte Leandra, ohne eine Miene zu verziehen. »Wie war dein erster Tag?«

Madison spülte die Marshmallow-Pampe mit einem Zug aus der Sektflasche runter, bevor Jelly sie wieder an sich nahm. »Nicht halb so schlimm wie erwartet, nur der Abschluss war eine Katastrophe«, gab sie zu. »Ich bin nämlich statt im Frauenwaschraum bei den Männern gelandet.«

»O Shit«, entfuhr es Leandra, wobei sie Chipskrümel auf der Bettdecke verteilte.

»Wie geil!« Jelly schaute Madison mit großen Augen an. »Ich will jedes Detail hören: Wer war alles da und in welchem Zustand? Raus damit!«

»Tut mir leid, dich zu enttäuschen, aber ich war außerhalb der Rushhour dort.« Der Knoten in Madisons Bauch machte sich prompt wieder bemerkbar, als sie Darien vor sich sah, seinen herausfordernden Blick, den sie als echtes Interesse fehlverstanden hatte. Nein, sie wollte nicht über Darien reden, obwohl sich die Geschichte ihres Zusammenstoßes großartig als Gagnummer bringen ließe und sie den beiden Mädchen zu gern ein Lachen entlockt hätte. Aber das mit Darien tat weh, und vermutlich würde das niemand verstehen. Nicht einmal sie selbst tat es wirklich.

Schnell griff Madison nach dem ersten Strohhalm, der sich ihr anbot. »Wobei ich zugeben muss, dass eben doch was los war. Wusstet ihr, dass einige Paare sich unter der Dusche treffen?«

Damit hatte sie Jellys hundertprozentige Aufmerksamkeit: »Wer? Gott, ich muss es unbedingt wissen.«

Madison wackelte mit dem Zeigefinger. »Wer das war, wird nicht verraten. Nur so viel, der Raum war so voller Wasserdampf, dass es eine Weile gedauert hat, bis mir klar war, dass ich im falschen Raum gelandet bin.«

Jelly kreischte, und Leandra grinste, sodass die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen sichtbar wurde. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in Madisons Bauch aus, das nicht nur mit dem Sekt, sondern auch mit Gemeinschaft zu tun hatte. Sie lehnte sich im Kissen zurück. Vielleicht sollte sie dem College doch eine Chance geben, denn zumindest gab es ihr eine.

 

Madisons erster Tag am Campus war nun schon einige Wochen her, auch wenn sie immer noch an ihn dachte. In der Gesellschaft von Leandra und Jelly kam sie allerdings selten dazu, und schon gar nicht jetzt, da Leandra endlich die Telefonnummer ihres Schwarms ergattert hatte und Jelly mit ihrer Ansprache über Madisons verkehrt belegten Kursplan voll in Fahrt war.

Als die drei Freundinnen in der Mensa ankamen, zeigte Leandra auf die Auswahl an Tagesmenüs, und Madison bedeutete ihr, dass sie die Nr. 2 – Chili sin Carne – wollte. Und dann mit einer Handbewegung »Ansonsten wie immer«. Leandra nickte und schaute zu Jelly, die, ohne ihren Redefluss zu unterbrechen, eine mümmelnde Hasennase machte, was bedeutete, dass sie den Salat nahm. Jelly ernährte sich überwiegend von Süßigkeiten, weshalb sie in der Mensa jedes Mal das schlechte Gewissen überkam. Wie üblich seufzte Leandra, die mehr auf »echtes Essen« stand, wie sie es nannte. Dann kassierte sie die Marken ein, um in Richtung Marktstand – so hieß auf dem Campus die schick hergerichtete Essensausgabe – zu verschwinden. Während Madison ihrer Freundin noch hinterherblickte, hielt Jelly plötzlich in ihrem Redefluss inne.

»Das ist jetzt schon das vierte Mal in Folge, dass Lele unser Essen organisiert«, sagte sie. »Sie liebt es zwar, sich wie ein Gladiator durch die Menge zu schlagen, aber langsam wird es auffällig. Eine Idee, was dahintersteckt?«

Ausweichend ließ Madison ihren Blick auf der Suche nach Hemley schweifen, fand die auffällige Dreadfrisur in der Menge aber nicht.

»A-ha, du weißt es also.« Jelly pikte Madison mit ihrem spitzen, matt schwarz lackierten Fingernagel in die Seite.

Madison versuchte, auszuweichen, was jedoch zwecklos war. »Pass auf, sonst habe ich einen Cut im Shirt.«

»Dann rück besser raus mit der Info, du kleine Geheimniskrämerin. Außerdem würde dir so ein Cut gut stehen. Ich wünschte, ich hätte solche Rundungen, dann bestände mein Shirt nur aus Schlitzen.«

Als Madison nicht reagierte, machte sich der spitze Fingernagel erneut auf die Reise.

»Wenn du nicht so beschäftigt damit wärst, mich zu foltern, wäre dir längst aufgefallen, dass Leandra auffällig lange an der Bar rumhängt.«

Jelly stellte den Blick aus ihren mit schwarzem Kajal umrandeten Augen scharf, was jedoch nicht viel zu bringen schien, denn sie hielt sich schließlich doch ihre Brille vors Gesicht. »Alles klar. Es ist die chinesische Austauschstudentin mit dem Pixie-Cut. Jetzt mal im Ernst, unsere Lele scheint einen Service-Fimmel zu haben.« Mit diesen Worten ließ Jelly ihre Brille wieder verschwinden.

»Du solltest dir Kontaktlinsen besorgen«, sagte Madison.

»Ja, klar. Und wie setze ich die mit solchen Fingernägeln ein? Wo steckt überhaupt Hemley? Sie wollte uns doch einen Tisch freihalten.« Blinzelnd starrte Jelly in die Weiten des Essenssaals.

»Sie ist nicht hier, vermutlich konnte sie einen Tisch auf der Terrasse ergattern. Hemley ist ein Glückskind, bei dem guten Wetter ist draußen bestimmt die Hölle los.«

»Von wegen Glück«, schmollte Jelly. »Die Herbstsonne ruiniert mir meinen zarten Teint.«

»Du magst doch Rot.«

Bevor der spitze Fingernagel ihren Rippenbogen erreichte, sauste Madison los, um Leandra mit den beladenen Tabletts zu helfen. Tatsächlich fanden sie Hemley auf der Terrasse zwischen großen Pflanzkübeln, in denen Gräser wuchsen und sich im salzigen Wind wiegten, der beständig vom nahen Atlantik herüberwehte. Kein Wunder, dass es auf der Terrasse zum Bersten voll war, jeder wollte die letzte Chance auf Sonnenschein genießen, bevor die Herbststürme, gefolgt von Unmengen an Schnee, über Maine hereinbrachen.

Mit viel »Entschuldigung«, »Dürfte ich mal?« und »Heiß und fettig« schlängelten sich die Freundinnen durch den Trubel, denn wer mit Essen fertig war, blieb einfach, plauderte und genoss das goldene Licht.

Hemley telefonierte gerade, vermutlich organisierte sie einen Wohltätigkeitsbasar für entlaufende Chemiestudierende – für einen Ausbund an Sozialbewusstsein wie Hemley gab es immer etwas zu tun. Als sie jedoch ihre Freundinnen sah, stand sie auf und winkte.

»Hem sieht in unserem Kleid aus wie eine nubische Göttin«, schwärmte Jelly.

»Unser Kleid« war eigentlich ein Projekt von Jellys Textilkurs gewesen, für den sie eine Bahn eines fuchsiafarbenen Hightechstoffs zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Gemeinsam mit Madison hatte sie den knisternden Stoff so lange um Hemley drapiert und festgesteckt, bis sie … nun ja, in ein atemberaubendes Kunstwerk verwandelt worden war. Jelly hatte Begeisterungsbekundungen ihrer Dozentin eingeheimst, Madison den Ruf weggehabt, eine verkappte Bildhauerin zu sein, weil sie instinktiv Proportionen erkannte, wo Hem über zu viel Oberweite und einen Mordsarsch lachte, und Hemley hatte ein neues Lieblingskleid.

Madison krauste die Stirn. »Warum verzieht Hem so komisch das Gesicht und zeigt mit dem Finger in meine Richt- … Ups.« Sie rannte geradewegs in jemanden rein. Ihre Tasse Chai Tea kippte um und spritzte gegen das Shirt eines Kerls, der ihr den Rücken zugewandt hatte. Als er sich umdrehte, schluckte Madison. Irgendwer dort oben hasst mich, dachte sie, als sie ein Blick aus einem sehr genervten blauen Augenpaar traf.

»Du? Warum überrascht mich das nicht?«, sagte Darien. »Du liebst es ja offenbar, in mich reinzulaufen.«

Nun, zumindest hatte er sie ebenfalls wiedererkannt. »Sorry, hier herrscht so ein Gedränge und … Also, es war auf keinen Fall Absicht, ich habe dich wirklich nicht gesehen.« Schon seit Wochen nicht, fügte sie in Gedanken hinzu.