A Winter's Tale - Vaire J. Variz - E-Book

A Winter's Tale E-Book

Vaire J. Variz

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Beschreibung

Stechender Schmerz schoss durch seinen Geist und Körper. Ein erstickter Schrei beförderte Fæd zurück in die Welt der Lebenden. Überall spürte er unendliche Schmerzen wie tausend stechende Nadeln, die ihm den Verstand zu rauben drohten. Nicht der Winter hat mir meine Frau genommen. Farratir war es, der mich und meinen Jungen Idessas beraubte. Er hat meine liebe Frau langsam dahinsiechen lassen wie ein Tier. Das kann ich ihm nicht verzeihen. Niemals.

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Seitenzahl: 220

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Vaire J. Variz

A Winter's Tale

Der Fluch von Vyntariz

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Titelei

Vorwort

Teil 1: Der Schneekönig

Teil 2: Der Schneeprinz

Teil 3: Die Sommerkönigin

Nachwort

Impressum neobooks

Titelei

Über die Autorin:

Vaire J. Variz, geboren 1990, studierte Germanistik und Verlagspraxis. Mit dieser Complete Edition veröffentlicht sie erstmals alle drei Winter’s Tale-Geschichten in einer Gesamtausgabe mit einem exklusiven fiktiven Vor- sowie Nachwort. Aus ihrer Fantasy-Welt Chronian, zu der sie seit 2005 Erzählungen verfasst, wird es in Zukunft weitere Veröffentlichungen in Form von Kurzgeschichten sowie Romanen geben. Derzeit lebt Vaire J. Variz in der Nähe von München.

Originalausgabe Dezember 2016

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin Vaire J. Variz wiedergegeben werden.

Lektorat: Julia Freyer

Umschlaggestaltung: Vaire J. Variz

Satz: Vaire J. Variz

Ursprünglich gesetzt in: Bookman Old Style

Weitere Informationen zur Fantasy-Welt Chronian

sowie der Autorin Vaire J. Variz findet ihr unter:

Twitter:

https://twitter.com/Vaire_J_Variz

Facebook:

https://www.facebook.com/vairejvariz/

weil selbst nach dem kältesten Sturm irgendwann

die Sonne wieder scheint

und alle Tränen

trocknen

Für Dich, Opa

Eine Wintergeschichte in drei Teilen

Vorwort

Es herrschen dunkle Tage, wahrlich. Krieg und Tod strecken ihre Hände nach jedem aus, der nicht rasch genug flieht. Jeden Tag müssen Vorkehrungen getroffen werden, um dem tosenden Sturm noch ein weiteres Mal zu entkommen. In dieser Stunde, da ein Versteck gefunden und scheinbar alle Waffen ruhen mögen – wenn auch nur für eine kurze Weile –, soll die Zeit genutzt werden, um eine der wohl ältesten Geschichten niederzuschreiben, die mir in den letzten Wochen endlich in voller Gänze zu Ohren gekommen ist und die sich äußerster Beliebtheit erfreut. Lange Jahre war ich auf der Suche nach der Wintergeschichte, nun, da der Winter Einzug gehalten hat, habe ich sie gefunden. Inmitten eines kleinen Dorfes, das sich noch nicht im Visier der Mächtigen befindet und das noch nicht vom Blutvergießen betroffen ist, ist sie Zuhause. Vermutlich erzählt man sich hier die Geschichten aus der kalten Zeit am liebsten, wenn der Schnee fällt und die Kinder des nachts schreien, da die Kälte ihnen den Schlaf raubt. Denn die Wintergeschichte vermag Hoffnung in selbst der dunkelsten Stunde zu spenden.

Jeder kennt sie, die Heiligen der Jahreszeiten, und doch sind ihre Geschichten nicht mehr präsent, verloren gegangen und nur wenige scheinen sich an mehr als die Namen der vier Heiligen zu erinnern. So gilt diese Geschichte als einer meiner größten Funde und mein Herz schlägt höher, wenn ich daran denke, diese ganz besondere Erzählung niederzuschreiben und für die Nachwelt festhalten zu können. In dem Ort, in dem ich gerade Zuflucht gefunden habe, erinnert man sich an die vier Heiligen und gibt sie an die Jüngsten weiter.

Die Wintergeschichte aus Chronian, die im vorliegenden Band erstmals gesammelt vorliegt, ist eine von vielen Legenden, die rund um die Drei Brüder entstand. Die Drei waren einst die glorreichen Retter Chronians, die Bezwinger Velkirs des Schrecklichen, der die Dunkelheit über das Vereinte Reich brachte und schlussendlich zu dessen Zerfall führte.1 Doch über die Jahre hinweg wurden nicht nur die sagenhaften Kämpfe der Drei Brüder Aquelinor, Doralphin und Shrizkan erzählt, sondern auch jene Geschichten der Frauen und Männer, die im Namen der Drei ihr Leben ließen. So findet sich in der Wintergeschichte aus Chronian, die Legende der vier Jahreszeiten: Der Winterheilige (Seygard/Fæd), die Frühlingsheilige (Keth), der Herbstheilige (Hæleth) sowie die Sommerheilige (Cilda) erzählen eine Geschichte von Zerstörung und Verlust, Liebe und Hoffnung, die die Jahrhunderte überdauert hat.

Nie zuvor wurde die Wintergeschichte in solch detailreicher Ausführung erzählt und zu Pergament gebracht. Jene Erzählungen, die mir in den Jahren zuvor zu Ohren kamen, waren lückenhaft und vermochten nicht mit anderen Erzählungen in Einklang gebracht zu werden. In den Werken der Geistlichen fehlten diverse Szenen, die ich während meines Aufenthaltes in diesem kleinen Grenzgebiet, in dem man mir Zuflucht geboten hat, in Erfahrung bringen konnte. Es scheint, als hätten die Geistlichen die Geschichte bewusst gekürzt und für ihre eigenen Bedürfnisse zurechtgestutzt. Denn nach Aussage der Kleriker sei es einzig und allein die Gnade und Selbstlosigkeit der Götter gewesen, die das Königreich Vyntariz vor dem Untergang bewahrte. Doch in dieser Fassung, jene, die mir das Volk hier überliefert hat, verlieren selbst die Götter ihre Macht, wenn die Menschen sie aufzugeben drohen. Es mag vielen Gläubigen nicht gefallen, wenn ihre Götter in diesem Werk als machthungrige, gar listige Gestalten erscheinen, doch zeigt sie die Vermenschlichung der Drei Brüder, der sie über die Jahrhunderte ausgesetzt waren. Eine der Ursachen für die Variationen der Geschichte mag sein, dass der Mensch und seine Neigung zur Ausschmückung von Geschichten sich dafür verantwortlich zu zeichnen hat. Zudem erfahren nicht alle Menschen Chronians die Gutmütigkeit der Götter und erleben stattdessen die Ungnade der Jahreszeiten, die ihnen Hunger und Tod bringen. Doch – und so habe ich es in diesem beschaulichen Dorf erfahren – zweifelt niemand an der Liebe und Hingabe der Götter zu den Menschen, auch wenn sie in ihrem eigenen Interesse handeln, denn – so sagen viele der Leute – schließlich täten die Könige Chronians und ihre Untertanen nichts anderes. Die Kleriker, die ihre Götter als unfehlbare, allmächtige Gestalten sehen, werden diese Erzählung vermutlich verachten, sie gar als ketzerisch empfinden, und doch, so sage ich, wenn selbst der einfache Mann, die einfache Frau und das einfache Kind Hoffnung schöpft, ist diese Geschichte im Namen der Götter keineswegs fehlgeleitet und keine Ketzerei!

Die Macht der Drei sowie ihre Liebe zu Chronian bleibt ungebrochen, weil die Menschen an sie glauben, ihre Hoffnungen in sie setzen und das selbst in Zeiten des Krieges, des Hungers und des Todes. Denn wie jedes Kind von Anfang an erzählt bekommt: Seit ihrer Ankunft haben die Drei uns, dem Volk Chronians, selbst in den dunkelsten und stürmischsten aller Zeiten zur Seite gestanden und unsereins vor dem Aussterben bewahrt. Mögen sie Chronian auch in den kommenden Zeiten vor der ewigen Dunkelheit behüten und niemand ihre schützende Hand über uns anzweifeln, weil sie selbst einen Moment der Schwäche erlebten!

Die vorliegende Wintergeschichte ist die ausführlichste und längste, die ich auf meinen Reisen ausfindig gemacht habe. Dennoch sei gesagt, dass es noch unzählige weitere Heilige wie Circariz, Tryr, Gror, Oxariz oder Veyla gibt, deren Geschichten ich – solange ich lebe! – suchen und niederschreiben werde. Mögen die Drei mir die Zeit in Chronian vergönnen, die ich benötige, alles zu verschriftlichen, damit diese Erzählungen niemals in Vergessenheit geraten mögen. Eile ist deshalb geboten, Rauch steigt über den Dächern auf, der Krieg bringt den Tod mit sich. Ich muss weiterziehen. Ich werde gesucht, verfolgt, unentwegt. Mein Vorrat neigt sich dem Ende zu, Pergament ist teuer und die Zeit drängt.

der Weber

Teil 1: Der Schneekönig

„Blut für Blut. Sohn für Sohn.“

Das Blut seines Sohnes spritzte dem Verräter ins Gesicht, als er ihn mit mehreren Stichen in den Rücken tötete. Immer wieder sauste der Dolch in den Körper des Jungen, der diese Attacke nicht hatte kommen sehen. Sein Vater war ebenso überrascht wie der Junge selbst. Keiner von ihnen hatte dieses Unglück kommen sehen. In Seygards Innerem breitete sich eine schmerzhafte Kälte aus, die ihm den Boden unter den Füßen wegriss. Wie fremdgesteuert eilte er seinem Sohn entgegen, dessen Körper schlaff in den Armen seines Mörders hing. Mit einem kraftvollen Schlag brachte er den Verräter ins Wanken, sodass dieser seinen Sohn loslassen musste. Seygard fing den Jungen auf, ehe er zu Boden stürzte. Überall war Blut. Seine Hände färbten sich rot wie die Früchte, die sie noch vor wenigen Minuten gemeinsam zum Nachtisch genossen hatten. Seygard drehte seinen Sohn herum, tastete nach seinem Gesicht. Es war zu spät. Kein Atem. Nur Blut, das aus seinem Mund geflossen und auf seiner Haut geronnen war. Mörder!

Ehe Seygard seinem Zorn freien Lauf lassen konnte, wurde er von einer scharfen, blutigen Klinge gestriffen. Der Mörder seines Sohnes hatte sich aufgerafft und war zum Angriff übergegangen. Seygard musste seinen Sohn zu Boden gleiten lassen, um den folgenden Attacken des Mannes zu entgehen. In Ermangelung einer eigenen Waffe blieb ihm nichts außer auszuweichen. Draußen konnte er hören, wie weitere Krieger versuchten, in den Thronsaal vorzudringen. Die Schreie der Sterbenden ertönten wehklagend in seinen Ohren. Ein Tag des Blutes hatte begonnen.

„Farratir!“, rief Seygard aus, seine Stimme hallte wie ein Donnerschlag durch den Saal, der die Anwesenden erstarren ließ, „Du bist von allen Sinnen. Was tust du?“

Farratir trat über den toten Körper des Königssohnes hinweg und kam mit zielstrebigen Schritten seinem König näher. Ein animalisches Feuer leuchtete in seinen Augen, das kein Regen Chronians hätte löschen können. Bedrohlich erhob er seine Klinge, bereit erneut anzugreifen und seinen König hinzurichten. Seine Worte hallten durch den Thronsaal wie eine drohendes Sturmtief: „Es ist Zeit, diese Farce zu beenden. Das Volk hat genug von Eurer Regierungsweise. Wegen Euch musste mein Erstgeborener sein Leben lassen! Wegen eines Kampfes, den Ihr niemals hättet beginnen dürfen. Sein Tod war völlig sinnlos. Seit dem Tod Eurer Gemahlin seid Ihr zu einem Taugenichts verkommen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass Ihr mit dem Tod Eurer Gemahlin am Ende wärt. Aber ich habe mich getäuscht. Ihr seid zäher, als ich glaubte. Vielleicht hätte ich sie lieber schändlich zurichten sollen, als sie zu vergiften …“

„Farratir!“ Seygard wich weiter zurück. Jegliches Blut wich ihm aus dem Gesicht. Idessa … getötet durch Gift? Von Farratir? Wie hatte er das nicht bemerken können? Wie hatte er ihren Tod für eine natürliche Krankheit halten können? Das ruchlose Handeln seines besten Kriegers ließ ihn erschauern. Nie hätte ich gedacht, dass er ein so kaltblütiger Mörder sein könnte, dachte Seygard verdrossen. Ihm dämmerte, dass Farratir keine beschwichtigenden Worte aufhalten konnten. Der Schmerz über den Verlust seiner Familie nährte die Flammen Farratirs Wut unaufhörlich und ließ ihn jegliche Vernunft vergessen. Seygard dagegen versuchte zu vergessen, was Farratir soeben gesagt und getan hatte, um wenigstens etwas Zeit zu gewinnen und weiteres Blutvergießen zu verhindern.

„Du bist einem Trugschluss erlegen, mein Freund. Du weißt so gut wie ich, dass wir diesen Angriff wagen mussten, um unser Volk zu beschützen. Dass wir in einen Hinterhalt geraten würden, war nicht abzusehen. Erinnere dich daran. Bei den Göttern, dein Sohn hat sich für das Volk geopfert und eine Massenabschlachtung verhindert. Er ist ein Held.“, sagte Seygard nüchtern.

„Wage es nicht, seinen Tod zu beschönigen. Die Drei haben keine Rolle in dieser Schlacht gespielt. Die Drei“, sagte Farratir tobend, „gibt es nicht! Es gibt nur meine Rache.“

„Farratir …“

„Wo nun, Seygard, sage mir, wo nun sind deine Götter im Angesicht des Todes?“

Der Kindsmörder schloss die Lücke zu Seygard und ließ seine Klinge mit all seiner Kraft niedersausen.

Ein markerschütternder Knall brachte den Boden zum Beben. Holzsplitter schleuderten durch den Thronsaal und die riesigen Türflügel wurden aus ihren Angeln gerissen. Seygard stürzte zu Füßen des prunkvollen Throns und erwartete sein Ende. In jenem Augenblick wurde er ruhig, sein Herzschlag beruhigte sich, er schloss die Augen und erblickte seinen Sohn. Die Angst wich von ihm. Da hörte er einen schmerzerfüllten Schrei, den er Farratir zuordnete. Als Seygard seine Augen öffnete, sah er den Verräter seine Schulter halten. Ein Holzsplitter hatte sich hinein gebohrt und verhindert, dass er einen Treffer landen konnte. Bei den Göttern!

Unerwartet kam einer der Berater an des Königs Seite und half ihm dabei aufzustehen. Taumelnd kam Seygard auf die Beine und sah wie Farratir versuchte, das Holz aus seiner Schulter zu ziehen. Trotz der hektischen Geschehnisse, sah Seygard auf einmal alles klar und deutlich um sich herum. In diesem Moment war er unterlegen. Sein gesamter Stab, bis auf wenige einzelne hatten sich gegen ihn gewandt. Farratir hatte seine Untertanen, sein Volk erfolgreich gegen ihn aufgehetzt. Seygard blieb keine Wahl. Er musste fliehen und zurückkehren, wenn er vorbereitet war. So würde er nichts ausrichten können.

„Geored“, rief er dem treuesten seiner Berater zu, der ganz in seiner Nähe verharrte, „Lass uns verschwinden!“

Seygard nutzte die Gelegenheit, um sich in Richtung des Geheimganges aufzumachen, der für genau solch einen Moment errichtet worden war. Nur die Königsfamilie sowie wenige ausgewählte Eingeweihte wussten über diesen Fluchtweg Bescheid. An dem Wandteppich, hinter dem sich der Eingang befand, angekommen, blickte er zurück zu Geored, der mit ausdruckslosem Gesicht auf seiner Position verharrte. Der Mann, der Seygard aufgeholfen hatte, lag mittlerweile von mehreren Pfeilen niedergestreckt, dar. „Geored?“

„Geored“, rief Farratir unter Schmerzen, „Lasst Seygard nicht entkommen. Bringt ihn mir lebendig!“

Schließlich reagierte der Soldat und zog seine Klinge. Es war eine edle Waffe, gefertigt vom besten Schmied, den Vyntariz in vielen Jahrhunderten gesehen hatte. Es war ein Geschenk Seygards an Geored gewesen, als dieser seine Schwertleite erhalten hatte. Der gestürzte König ahnte, dass er Geored nicht stoppen würde können. Also aktivierte er den versteckten Mechanismus hinter dem Wandteppich, der mit einem Knarzen eine Öffnung in der Wand hervorbrachte. Eilig stolperte er die Stufen in die vollkommene Dunkelheit hinab. Zeit, sich eine Fackel zu besorgen, war ihm nicht geblieben. Hinter ihm konnte er Stimmen hören. Drei an der Zahl, wenn er sich nicht täuschte, und Licht schienen seine Verfolger ebenfalls bei sich zu tragen. Doch Seygard hatte diese Gänge mehrmals erkundet, war sie mit seiner Familie mehrfach durchlaufen, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Nun waren weder seine Frau noch sein Sohn dabei, und er musste alleine den Weg nach draußen antreten. Er würde den Weg auch ohne eine leuchtende Flamme finden. Er musste es.

Unglücklicherweise verlor er viel Zeit, weil er sich blind vorantasten musste. Hinter sich konnte er die lauter werdenden Schritte seiner Verfolger hören. Diese Biegung rechts, dann ein weiteres Mal zur Rechten, ehe dann eine Abzweigung nach links erfolgt. Vorsicht, fünf Stufen, die in die Tiefe führen. Dann geradeaus. Ein Blick über seine Schulter sagte ihm, dass seine Jäger fast aufgeschlossen hatten. Er konnte bereits das Licht der Fackeln sehen, die sie mit sich trugen. Gibt es denn nichts, das als Waffe dienen könnte? Seygard kannte die ernüchternde Antwort darauf bereits.

Ein überraschter Aufschrei erklang, der Seygard dazu brachte, innezuhalten. Eine Stimme erklang dumpf: „Was tut Ihr? Was zur-“

Aber die Stimme erstarb qualvoll, ehe sie den Satz zu Ende bringen konnte. Eine Waffe fiel klirrend zu Boden. Seygard konnte nichts sehen, die Biegung versperrte ihm die Sicht auf das, was dort vor sich ging. Das Licht der Fackel ließ die Schatten wie Geister über Boden und Wände des engen, niedrigen Ganges hüpfen. Seygard wartete angespannt darauf, dass derjenige, der sich dahinter verbarg, vor ihm auftauchte.

„Seygard? Bitte haltet ein, mein König.“

„Geored?“ Seygard erkannte die Stimme sofort. Zögernd kam er seinem Verfolger ein Stück entgegen, als dieser sich offenbarte. Das Licht brachte Geored zum Vorschein. Seine Rüstung war von Blut getränkt. Seygard verstand nicht, was Geored vorhatte. Wollte er ihn nur in Sicherheit wägen, um ihn dann gefangen zu nehmen und Farratir auszuliefern? Oder war es tatsächlich eine Finte, um seinen König noch ein letztes Mal zu sehen? Ihn gar zu retten?

„Mein König, geht es Euch gut?“ Geored kam näher und streckte seine Hand nach Seygard aus. Seine Waffe war längst in seiner Schwertscheide verschwunden. „Farratir wird Euch töten, wenn Ihr zurückkehrt. Wir müssen verschwinden. Er hat meine Frau und Kinder in seiner Gewalt. Seygard, wir müssen etwas gegen diesen Usurpator unternehmen. Er darf nicht ungeschoren davonkommen!“

Seygard wusste, dass Geored in Sorge um seine Familie war. Er entspannte sich und vertraute darauf, dass sein Freund ihn nicht mit einer List hinterging. Als gestürzter König hatte er nichts mehr zu verlieren. Geored aber hatte alles zu verlieren.

„Ich verstehe, Geored.“, sagte Seygard und ergriff dessen Hand, „Du musst zurückkehren. Wenn du mir folgst, wirst du nicht nur deine Familie ihrem Schicksal überlassen, nein, du wirst auch auf alle Zeiten ein Gejagter sein. Kehre zu Farratir zurück, sage, du hättest meine Spur in den weitläufigen Gängen verloren, hörst du?“

„Das wird er mir niemals glauben. Hier“, sagte Geored und streckte ihm mit seiner freien Hand einen Dolch entgegen, „Nimm ihn. Ihr müsst mich verwunden. Vielleicht habe ich Glück und er glaubt mir, wenn er sieht, dass Ihr mich verwundet habt.“

„Geored.“

„Macht schon, wir haben nicht viel Zeit. Ich sage ihm, Ihr hättet mich sowie die beiden anderen im Dunkeln überrascht und uns überwältigt.“ Geored wartete darauf, dass sein König die Waffe entgegennahm. Ohne Worte empfing Seygard den Dolch, besah die im Licht schimmernde Klinge und stach damit auf seinen treuesten Gefolgsmann ein. Geored biss sich auf die Unterlippe, konnte ein kurzes Stöhnen vor Schmerzen aber nicht unterdrücken. Die Waffe schnitt tief in seinen rechten Oberarm und blieb dort stecken. Seygard wollte die Klinge wieder herausziehen, da hielt ihn Geored mit seiner Linken davon ab.

„Ich erledige das schon.“, sagte er und mehr Trauer denn Schmerz klangen in seiner Stimme mit, „Flieht. Rettet Euer Leben. Solltet Ihr je so weit sein, dann nehmt Kontakt zu mir auf. Bis dahin werde ich unter Farratir dienen, aber wisset, dass nur Ihr mein König seid. Ich werde auf Euch und die Rückkehr Eures königlichen Geschlechts warten. Mögen die Drei mit Euch sein!“

„Habt Dank“, sagte Seygard. Der Abschied fiel ihm schwer. Die Tatsache, dass er alles hinter sich lassen musste, und sein Freund einem ungewissen Schicksal entgegenblickte, forderte ungeahnte Ängste in ihm zutage. „Mögen die Drei auch Euch und Eure Familie stets beschützen!“

Geored hielt ihm die Fackel hin, stumm nahm Seygard sie und begann seinen Weg durch die gewundenen Tunnel zu suchen. Aus der Ferne hörte er bereits, wie eine Nachhut auf dem Weg war. Er musste sich beeilen. Nachdem er einige Schritte getan hatte und immer tiefer in das unterirdische Labyrinth eindrang, konnte er einen schmerzerfüllten Schrei hören. Geored.

Die unterirdischen Tunnel waren weit verzweigt und ein Todesurteil für jene, die ohne Karte eine Reise in diese Welt wagten. Seygard fiel das Laufen mit jedem Schritt schwerer. In seinem Kopf wiederholten sich die blutigen Bilder, die sich auf ewig in sein Gedächtnis brannten. Der Schmerz seines Verlustes brannte in seiner Brust, doch unterdrückte er die aufkeimenden Tränen. Es war nicht die Zeit, zu trauern. Erst musste er einen sicheren Unterschlupf finden, wo er weitere Schritte überlegen konnte. Dabei wollte sein Herz nur eines: Rache. Ich werde meine Rache bekommen. Nur Geduld.

Die Sonne war längst untergangen, da Seygard den Ausgang des Tunnelsystems erreichte. Die Fackel brannte noch immer, doch auch sie würde bald erlöschen. Als Seygard die letzten Stufen in eine Höhle im nahe gelegenen Grauen Wald erklomm, vernahm er hin und wieder Rufe sowie Hufgeklapper. Seygard ließ die Fackel in den Schatten der Höhle zurück und riskierte einen Blick nach draußen. Der Wald lag still dar. Doch in der Ferne, dort auf den steinigen Felsen, wo die Burg lag, waren hunderte Lichter entzündet worden. Reiter suchten die Umgebung der Burg ab, denn der gestürzte König war geflohen. Seygard war sich sicher, dass sie ihn Tag und Nacht suchen würden. Farratir würde nicht ruhen, ehe er seinen Widersacher zur Rechenschaft gezogen hatte. Nein, Seygard musste für eine Weile verharren, zu einem Geist werden und warten, bis Farratir der Suche müde wurde. Nur so blieb ihm eine Chance, eines Tages den schändlichen Tod seiner Familie zu sühnen. Deshalb zog sich Seygard in die Höhle zurück. Einige Zeit lang lauschte er, ob er verdächtige Geräusche aus den unterirdischen Gängen hörte. Doch niemand tauchte auf. Das bedeutete für ihn, dass seine Verfolger – wenn überhaupt – nur durch Zufall diesen Ausgang finden würden. Eine Karte für das System gab es längst nicht mehr. Es wurde von Vater zu Sohn weitergegeben, damit das Geheimnis sicher blieb. Nun würden die Gänge von Fremden infiltriert und vermutlich würde Farratir eine Karte anfertigen lassen. Doch bis dahin, Seygard war sich sicher, würde er längst fort sein.

Neun Wochen lang harrte Seygard in seinem spärlichen Versteck aus, während der Winter einbrach. Kälte und Schnee legten sich über Vyntariz, als ob sie die brutale Vergangenheit mit einem Schleier verhüllen wollten. Jeden Tag war Seygard auf der Hut, er ernährte sich von den letzten, übriggebliebenen Beeren, die er im Wald auffinden konnte. Diese Nahrungsquelle erlosch, nun da das Wetter umschlug. Seygard hatte viel Gewicht verloren, ihm war ein Bart gewachsen, der sein schmal gewordenes Gesicht abrundete. Die ausgiebigen Suchkommandos von Farratir wurden mit jedem Tag weniger. Sie hatten keinerlei Spur vom gestürzten König erhalten und mittlerweile glaubten sie, er sei erfroren oder verhungert. Dennoch kamen immer wieder Patrouillen durch den Wald geritten. Seygard blieb auf der Hut, ließ sich von den verminderten Sicherheitsmaßnamen nicht hervorlocken. Allabendlich betete Seygard zu den Göttern. Wache über meinen Sohn, Aquelinor. Tröste ihn, wenn er traurig ist, Shrizkan, und heile seine Seele, Doralphin. Behütet meine Gattin und lasst sie wissen, dass ich eines Tages zu ihr stoßen werde und wir wieder vereint sein werden. Bis dahin gebt mir die Kraft weiterzumachen und den Usurpator Farratir zu stürzen. Schandvoll war sein Handeln, grausam seine List. Sein Reich soll durch mein Blut zu Asche und Staub verfallen und nichts von dem soll übrig bleiben, was er geschaffen hat.

Seygard erhob sich in seinem Versteck. Er hatte die Waffe von Geored gut aufbewahrt und hin und wieder war er in das Tunnelsystem eingedrungen. Er wusste von Kammern, in denen Waffen aufbewahrt wurden. In einer davon hatte er sein altes Schwert gefunden, jenes, das er erhalten hatte, als er noch der Prinz des Reiches gewesen war, und als sein Vater über das Land geherrscht hatte. Viele Jahrzehnte war dies nun her, doch war die Klinge noch scharf und brauchbar. Sie muss nicht glatt schneiden. Solange sie Farratirs Ende bedeutet, ist es mir einerlei. Es ist Zeit, den Usurpator in seine Schranken zu weisen, lange genug habe ich mich versteckt und gewartet.

Der Schnee knirschte unter seinen Füßen und klang dabei wie eine alte, morsche Holzdiele, die unter den Schritten eines kräftigen Mannes erzittert. In seinen dicken, roten Umhang gehüllt, stapfte Seygard durch das frische Weiß, das vor nicht allzu langer Zeit im Blut der Toten rot getränkt worden war. Auch an seinem Umhang fand sich noch dunkles, bereits getrocknetes Blut vom Kampf – es war nicht das seine – und der Tod ruhte schwer auf seinen Schultern. Die Gesichter und Leiber der Toten waren kaum noch zu identifizieren. Farratir war brutaler und grausamer als Seygard je geglaubt hätte. Er hatte sie verbrennen, zerstückeln und bis zur Unkenntlichkeit entstellen lassen. Jeder Tote, den er vorfand, war ein treuer Gefolgsmann oder –frau gewesen, ihrem König treu bis in den Tod. Die Erinnerung an diese schrecklichen, grauenhaften Taten führte fast dazu, dass er auf seine Knie fiel. Warum hat es so enden müssen? Kann eine Herrschaft diesen Preis wert sein? Hilfesuchend richtete er seinen Blick gen Gefilde der Drei.

Schwarze Wolken zogen sich bedrohlich am Himmel zusammen, als wollten sie einen weiteren, heftigen Schneesturm über dem Lande Vyntariz niederlassen. Unter diesen dichten Wolken lag die Burg, deren Mauern verkohlt waren und an denen dutzende von verstümmelten Leichen aufgeknüpft worden waren. Kinder und Frauen gleichermaßen. Es war den Verrätern egal gewesen. Sie hatten jedem das Leben genommen, der sich zwischen sie und ihre Beute stellte. Trotz der eisigen Kälte und der seit der Eroberung verstrichenen Wochen, lagen der Gestank des Todes und der Geruch des Feuers noch immer in der Luft. Niemand wagte es, tief einzuatmen und die rastlosen Seelen der Toten einzusaugen. Der Geruch brachte die Verbliebenen zum Würgen und weckte grausame Erinnerungen. Ein Glück, dass der Sommer in weiter Ferne war und der Gestank sich nicht noch weiter ausbreitete.

Ein schneidender Wind blies ihm ins Gesicht und seine Nase begann langsam taub zu werden. Mit zusammengekniffenen Augen schritt er der Burg entgegen, die im untergehenden Licht in Blut getränkt wurde. In seinen Ohren erklang eine verzweifelte Frauenstimme. Ihre Stimme war rau vom stundenlangen Schreien. Er konnte ihr gebrochenes Herz in ihrer Stimme hören. Fast wäre ihm bei diesem Klang sein eigenes Herz zersprungen. Sicherlich hatte die Frau ebenfalls ihre Liebsten verloren. Vielleicht ihren Mann und ihre Kinder.

Erste Schneeflocken rieselten dem weißen Boden entgegen und zogen eine frische Schneeschicht über die eingetretenen Spuren. Mit der Zeit verschwanden sie, als wären sie niemals da gewesen. Im immer stärker werdenden Schneetreiben schien die Zeit nur halb so schnell zu vergehen und die Schritte des Mannes wurden schwerer und anstrengender. Es fühlte sich an, als würde er erneut durch die tiefen, triefenden Pfützen aus Blut laufen. Blut von jenen Leuten, die für ihn im Kampf gestorben waren. Bei dem Gedanken daran zog er seine Kapuze fester um sein Gesicht und kämpfte sich in Richtung der versengten und nur spärlich reparierten Zugbrücke. Bevor er jedoch darüber hinwegschreiten konnte, entdeckte er zwei Krieger, mit Speer und Schild bewaffnet. Die Waffen sahen verkümmert aus. Das, was nach dem Krieg eben noch übrig bleibt, dachte er sich. Tödlich sind sie noch immer. Vor den Männern kniete eine Gestalt, die er im dichten Schneegestöber nur schwer erkennen konnte. Deshalb stemmte er sich gegen den Wind, bis er nahe genug war, um das Geschehen besser beurteilen zu können. Die beiden Krieger, in dicke Rüstung und Mäntel gehüllt, deuteten auf eine junge Frau, die unbekleidet und mit Tränen im Gesicht um Gnade flehte. Sie bat mit blauen, zitternden Lippen um Einlass in die Burg. Ihr ganzes Hab und Gut sei dort zurückgeblieben und nun habe sie nichts mehr. Die beiden Wächter lachten nur, schubsten die Frau zurück in den Schnee und hießen ihr, sich von dieser Burg zu entfernen, sollte sie nicht – wie der ganze Rest – kläglich an der Burgmauer als Rabenfutter enden wollen. Klagend schrie die Frau ihnen hinterher, doch die beiden Männer kehrten ihr den Rücken zu und marschierten zurück auf ihren Posten. Närrin, das sind Krieger, keine Barmherzigen.