Ab in den Süden! - Are Kalvø - E-Book

Ab in den Süden! E-Book

Are Kalvø

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Beschreibung

Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2020, Dumont Reiseverlag

Sonne und Meer, freundliche, entspannte Einheimische, mediterrane Traditionen – wer träumt nicht von einem Urlaub mit diesen Zutaten?Jeder wahrscheinlich,außer Are Kalvø! Den Versprechungen der Reisekataloge misstraut der norwegische Comedian genauso wie den verklärten Erzählungen von Urlaubsheimkehrern. Ein Selbstversuch soll helfen, die Süden-Sehnsucht zu verstehen: Auf Mallorca mischt er sich unter feucht-fröhliche Pauschaltouristen, in Griechenland begibt er sich auf die Suche nach unverfälschter Ursprünglichkeit.

  • Feinster norwegischer Humor
  • DIE Lektüre für die Sonnenliege daheim
  • Vom Erfolgsautor von „Frei.Luft.Hölle“

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen… und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!

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Are Kalvø

Ab in  den 

Süden

Aus dem Norwegischen von Wolfgang Butt

 1. Auflage 2020

© 2020 für die deutsche Ausgabe: DuM ont Reiseverlag,  Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buchprojekt wurde vermittelt durch Stilton Literary Agency, Oslo, und Arrowsmith, Hamburg.

Der Verlag dankt NORLA – Norwegian Literature Abroad – für die Förderung der Übersetzung.

Die norwegische Originalausgabe ist unter dem Titel »Syden« bei Det norske samlaget in Oslo erschienen.

Übersetzung: Wolfgang Butt

Redaktion: Annika Krummacher, Katharina Grimm

Umschlaggestaltung: Birgit Kohlhaas

Umschlagabbildungen: Front: javarman/AdobeStock, Artesia Wells/shutterstock (Mitte links), PeskyMonkey/iStock (Mitte rechts), Tupungato/shutterstock (unten); Rücken: javarman/AdobeStock, Long John/shutterstock (oben); Klappe: John Andresen

www.dumontreise.de

»Wir alle sind Sklaven der hektischen Zeit, in der wir leben. Gerade deshalb brauchen wir mehr denn je einen Urlaub, in dem wir uns entspannen können. Stellen Sie sich nur einen weißen Sandstrand unter blauem Himmel vor – und wie Sie eintauchen in die salzigen, kühlen Wellen oder interessante historische Streifzüge unternehmen.«

Aus dem Süden-Katalog von Saga Tours, 1964

Inhalt

Prolog

Süden – Land der Kontraste

Ein paar Fakten zum Süden – Der Süden ist ein anderer Ort – Südisch – ein paar Vokabeln – Gerade als du glaubtest, das Paradies gefunden zu haben, kam Andersen von nebenan – Der Traum eines Norwegers – Der Süden – ein Land mit Benimm – Der große Unterschied – die Sache mit der Bräune – Was man tun kann, wenn man sich im Süden langweilt (Strandversion) – Was man tun kann, wenn man sich im Süden langweilt (Kopfversion) – Der Zauber, der niemals schwindet

Mallorca – Insel der Kontraste

Ein paar Fakten zu Mallorca – Alles, was während des Fluges nicht passierte – Flug SK7883, die ersten Stunden – Sodoma und Gomila – Zehn Lokale in der Nähe der Plaza Gomila – Zehn Lokale, über die sich in der Nähe der Plaza Gomila niemand wundern würde – Auf historisch schweinischem Boden – Erster Anfall von Süden-Paranoia – Aus dem Reisetagebuch – Abendnachrichten mit Promille – Zehn Lokale, die es in Magaluf gibt – Zehn Lokale, über die sich in Magaluf niemand wundern würde – Aus dem Reisetagebuch – Zur selben Zeit – Erwachsene Leute, die sich für den Abend fein machen – Aus dem Reisetagebuch – Ausländisch für Ausländer, Teil 1 – Aus dem Reisetagebuch – Tote Leute in alten Häusern – Aus dem Reisetagebuch – Zweiter Anfall von Süden-Paranoia

Hellas – Land der Kontraste

Ein paar Fakten zu Griechenland – Süden für Linke – Die Sonne spürt den Erwartungsdruck – Dritter Anfall von Süden-Paranoia – Aus dem Reisetagebuch – And a bang on the head, please – Aus dem Reisetagebuch – Ausgeflippt – Zehn Slogans und Angebote, die es auf Ios gibt – Zehn Slogans und Angebote, über die sich auf Ios niemand wundern würde – Aus dem Reisetagebuch – Knut auf Antiparos – Aus dem Reisetagebuch – Und in der nächsten Stunde tanzen wir auf der Theke – Gespräche mit klugen alten Griechen, 1. Versuch – Ausländisch für Ausländer, Teil 2 – Was man tun kann, wenn man sich im Süden langweilt (griechische Version) – Gespräche mit klugen alten Griechen, 2. Versuch – Zehn T-Shirts, die du in Griechenland kaufen kannst – Zehn T-Shirts, die man in Griechenland kaufen können sollte – Aus dem Reisetagebuch – First I was afraid – Aus dem Reisetagebuch

Prolog aus dem Norden

Der Sommer 2020 wurde anders als erwartet. Ein Virus kam. Gesundheitsbehörden und Politiker sagten uns, was wir zu tun hatten. Sie sagten: »Du sollst nicht zur Schule gehen, du sollst nicht in den Kindergarten gehen, du sollst am besten weder zur Arbeit gehen noch zu Sportveranstaltungen oder Kulturevents, du sollst die Leute nicht begrüßen oder sie umarmen, du sollst ältere und kranke Verwandte nicht besuchen. Du sollst, kurz gesagt, das Gegenteil tun von allem, was du gelernt hast. Außerdem sind die Kneipen geschlossen.«

Und wir bemühten uns nach Kräften. Ungewohntes wurde schnell zur Gewohnheit. Wir zuckten zusammen, wenn Menschen im Fernsehen sich die Hand gaben oder umarmten. Schnell hatten wir vergessen, dass Alkohol auch etwas Trinkbares war und nicht nur eine Flüssigkeit, mit der wir uns alle sechs Minuten die Hände desinfizierten.

Die Menschen fingen an zu joggen, um einen Vorwand zu haben, aus dem Haus zu kommen. Sie legten sich die seltsamsten Hobbys zu, um sich drinnen die Zeit zu vertreiben. Backen zum Beispiel. Urbane Großkonsumenten von Kultur, Unterhaltung und Freizeitaktivitäten machten Witze darüber, dass dies ja für die Menschen in Kleinstädten und auf dem Lande kein Problem sein dürfte. Nicht in die Kneipe gehen, nicht ins Restaurant gehen, keine Kulturveranstaltungen besuchen, anderen Menschen aus dem Weg gehen, das Haus nicht verlassen, außer um einzukaufen oder an Orten spazieren zu gehen, wo keine anderen Menschen unterwegs sind? Ist das nicht das Leben, das Provinzbewohner ohnehin die ganze Zeit führen?

Aber die Witze blieben schal, denn wir wussten, dass wir alle betroffen waren. Alle mussten etwas opfern. Und bald kam das größte aller Opfer:

Dies Jahr können wir nicht Urlaub machen, wo wir wollen.

Am besten sollen wir die Ferien in der Heimat verbringen.

Und wieder bemühten wir uns nach Kräften. Wir verbrachten die Ferien im eigenen Land. Und um zu zeigen, dass uns das keine Probleme bereitet, prahlten wir damit, viel, laut und gern.

Doch mit welchen Worten? Was schrieben viele unter die Angeberfotos, die sie aus den Ferien in der Heimat teilten? Die Bilder, auf denen sie in einem etwas zu kalten Biergarten ein etwas zu teures Pils trinken, das sie per App bestellt haben? Auf denen sie in etwas zu kaltem Wasser im hohen Norden baden? Die Bilder, auf denen sie ihr etwas zu hysterisches Lächeln festhielten, um sich selbst und andere zu überzeugen?

Was schrieben sie da? Ja, sie schrieben:

»Wer braucht schon den Süden?«

Selbst jetzt, da wir weltgewandt geworden und überall gewesen sind, selbst jetzt, da wir alles gesehen haben, ist dies der Maßstab dafür, wie gelungen unsere Ferien sind. Über ein halbes Jahrhundert nach Aufkommen des Pauschaltourismus, lange nachdem Gruppenreisen nach Südeuropa zu einem Stereotyp wurden, einem Witz über vulgäre, faule, sonnenverbrannte Menschen am Strand, lange nachdem eine Reise in den Süden so alltäglich wurde wie ein Hüttenwochenende oder der Sonntagsbesuch bei Verwandten, und – in aller Bescheidenheit – achtzehn Jahre, nachdem ich dieses Buch schrieb, selbst jetzt, auch wenn wir es besser wissen, messen wir uns daran, während wir mit der Wolldecke auf dem Schoß im Mindestabstand von einem Meter fünfzig vom Nachbartisch im Biergarten sitzen:

An dem mythischen Land, in dem nichts ist wie bei uns zu Hause – dem Süden.

ERSTER TEIL

Süden – Land der Kontraste

»Hier sind sie − die schönsten Urlaubsziele Europas: liebliche Strände, blaue Berge, vielfältige Landschaften, Dörfer und Städte, wo vergangene Zeiten bis heute die bunte Geschichte der Menschheit mit ihren Licht- und Schattenseiten erzählen. Hier erleben Sie die quirlige Gegenwart, die ewige Sonne, das wunderbare Klima. Hier genießen Sie den Duft der Blumen, den Wein, das süße Nichtstun, eine internationale Atmosphäre, Luxus und Ursprünglichkeit zugleich. Ja, hier finden Sie alles, was das Touristenherz begehrt – Sie müssen sich nur noch für Ihr Urlaubsziel entscheiden!«

Aus einem Reisekatalog von Stjernerejser (1965)

»Eine Urlaubsreise kostet meist genauso viel wie ein Fernseher, eine Gefriertruhe oder eine Spülmaschine. Aber Sie bekommen keine Garantie. Sie können die Reise nicht ausprobieren, bevor Sie sie kaufen. Und Sie können Sie auch nicht umtauschen, wenn Sie nicht zufrieden waren. Das Schlimmste ist: Sie zahlen die gesamte Reise im Voraus, bevor Sie gesehen haben, was Sie für Ihr Geld bekommen. Kaum etwas anderes wird mit so viel blauäugigem Optimismus gekauft.«

Aus einem Reisekatalog von ABC Vingreiser (1974)

Ein paar Fakten zum Süden

Fläche: 10 608 492 km²

Einwohnerzahl: 687 735 000, im Sommer natürlich weitaus mehr

Hauptstadt: Badestrand

Bevölkerung: Einheimische und Touristen

Wirtschaft: Tourismus, Gastronomie, Stadtführungen, Unterhaltung, Tretbootverleih, Organisation von Ausflügen, etwas Fischerei

Sprachen: hauptsächlich Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch und Griechisch, aber auch etwas Englisch und Deutsch sowie an ausgewählten Orten vereinzelte, zum Teil eher derbe Sätze auf Skandinavisch

Währung: Gefälligkeiten, heute vor allem Euro

Religion: überwiegend Sonnenanbetung

Regierungsform: Der Süden besteht aus zahlreichen Kleinstaaten mit einem hohen Maß an innerer Selbstständigkeit, die von Repräsentanten internationaler Reiseveranstalter geführt werden.

Der Süden ist ein anderer Ort

1 Beim Lesen von Süden-Reisekatalogen fällt mir auf, dass viele der darin beschriebenen Reiseziele große Ähnlichkeiten mit der Kleinstadt Moltustranda an der norwegischen Westküste haben.

In solchen Reisekatalogen werden griechische Urlaubsorte beispielsweise so beschrieben: »Das kleine Fischerdorf Spinatos besticht durch seine idyllische Lage weit draußen am Meer. Hier hat man es nicht eilig. Hier scheint die Zeit stillzustehen.«

Auch Moltustranda liegt weit draußen am Meer. Man hat es dort definitiv nicht eilig, und ich kenne etliche Leute, die der Meinung sind, in Moltustranda stehe die Zeit still, und zwar schon lange.

Aber keiner käme deshalb auf die Idee, den Familienurlaub oder seine Flitterwochen dort zu verbringen.

Nicht, dass ich etwas gegen Moltustranda hätte. Ganz und gar nicht. Ich kenne sogar ein paar nette Menschen, die aus Moltustranda kommen. Nur ist es eben kein Ort, wo man seinen Urlaub verbringt. Natürlich hängt das mit dem Klima zusammen, mit der geringen Anzahl an Übernachtungsmöglichkeiten und mit Moltustrandas eher begrenztem Gastronomieangebot. In erster Linie aber hat es damit zu tun, dass der Süden ein komplett anderer Ort ist. Ein Ort, an dem ganz andere Regeln gelten als zu Hause, wo ganz andere Dinge als romantisch, exotisch und idyllisch erlebt werden.

Fisch zum Beispiel.

Sprich mehrmals nacheinander das Wort »Fisch« aus.

Fisch Fisch Fisch Fisch.

Was du hörst, ist nicht der Klang von Urlaub. Du hörst nicht den Klang von etwas Exotischem oder Idyllischem. Was du hörst, ist das Gegenteil von Urlaub. Das Gegenteil von Freiheit, Luxus, Partystimmung und Gemütlichkeit.

Fisch Fisch Fisch Fisch.

Prickelnde Spannung, Verliebtheit und flimmernde Hitze klingen anders. Das ist nicht der Klang von sorglosen Tagen, späten Abenden und Wellenrauschen am Sandstrand.

Bei Fisch denkt man nicht an Urlaub. Man denkt nicht einmal an Wochenende. Fisch ist Dienstag. Fisch ist Schulmensa. Fisch ist vernünftig. Fisch ist gut für dich. Fisch, das ist der Klang, der Geschmack und der Geruch von Alltag, an dem es nichts im Fernsehen gibt und nichts zu tun und nichts, worauf man sich freuen kann, und nichts Interessantes zum Abendessen.

Und Fischer?

Sprich das Wort »Fischer« aus, und du denkst an harte Arbeit, hohe See, Fangquoten, leergefischte Meere, geringe Einkünfte und an kleine Küstenorte ohne Supermarkt und ohne Friseur, die von Landflucht bedroht sind. Du denkst an deftigen Humor, aber nicht an Romantik am Strand. Und ganz bestimmt nicht an Sommer und Sonne, ja nicht einmal an gutes Wetter, sondern nur an stinknormales Sauwetter.

Aber wenn du das Wort »Fisch« oder »Fischer« in einem Süden-Katalog liest, denkst du an herrliche Strände, an Ruhe und Entspannung, an paradiesische Kleinstädte mit freundlichen alten sonnengebräunten Menschen in weißen Steinhäusern.

»Fischerdorf« ist eins von diesen Wörtern, die plötzlich etwas Faszinierendes und Romantisches bekommen, wenn es um den Süden geht. Und zwar nur dann. Auch Moltustranda ist ein Fischerdorf. Aber niemand findet Moltustranda faszinierend.

Wann hast du zuletzt an einem Samstagabend zu Hause gesessen und dich gelangweilt, um dich dann zu deiner Liebsten umzudrehen und zu sagen: »Weißt du was, Schatz, lass uns mal einen Fischer besuchen«?

Im Süden wäre das ein ganz normaler Vorschlag. In seinem Katalog für die Kanarischen Inseln lockt ein Reiseveranstalter die Urlauber mit folgendem Angebot:

»Wir besuchen eine sympathische und ganz typische Fischerfamilie. Es wird ein unvergesslicher Abend am Strand bei der Fischerhütte. Die Frau des Fischers bereitet eine landestypische Spezialität zu: Paella und einen herrlichen Salat. Dazu trinken wir Rosé. Zum Tanz wird Kaffee mit Cognac serviert.«

Noch besser, als am Abend einen Fischer und seine Familie zu besuchen, ist es, mit ihm im Boot hinauszufahren. Viele Urlauber aus der Fischereination Norwegen interessieren sich zu Hause nicht nennenswert für das Thema, stehen in den Ferien aber gern um halb fünf morgens auf, um einen echten Fischer bei seiner Arbeit zu erleben.

Nicht nur Fischer wirken im Süden besonders faszinierend. Auch alte Leute sind hier etwas Besonderes. Es tauchen in den Katalogen der Reiseveranstalter zwar nicht viele Fotos von Einheimischen auf, aber die Bilder, die man findet, zeigen häufig sehr alte Menschen. Runzelige Frauen mit Damenbart. Unrasierte Männer mit abenteuerlichen Kopfbedeckungen. Bestimmt gibt es beides auch in Moltustranda, ohne dass wir Kataloge damit füllen würden. Doch im Süden ist alles, was alt ist, idyllisch. Das gilt für alte Menschen ebenso wie für alte Dinge, insbesondere für alte unpraktische Gegenstände, die nicht mehr funktionieren. Im Mallorca-Programm von Star Tours ist unter der Überschrift »Idyllisches Mallorca« über einen Ausflug zum ehemaligen Landgut La Granja Folgendes zu lesen:

»Auf La Granja geht das Leben noch immer seinen Gang wie in früheren Zeiten. Wir machen einen Spaziergang durch den schönen und üppigen Garten, vorbei an prächtigen Blumen und Tomaten. Alles ist so erhalten, wie es früher einmal war. Die Nebengebäude enthalten nicht nur alte Landwirtschaftsgeräte, hier gibt es auch Tiere anzuschauen. Im Wohnhaus können wir unter anderem die Schlafzimmer, den Speisesaal und die Folterkammer besichtigen.«

Eine idyllische Folterkammer ist natürlich absurd. Aber auch so ist dies ein Beispiel dafür, dass wir im Süden Dinge tun, auf die wir zu Hause im Leben nicht kommen würden. Ferien auf dem Bauernhof sind eine Sache. In seinem Urlaub einen stillgelegten und unbewohnten Hof mit leeren Ställen zu besuchen, ist etwas ganz anderes. Welcher Norweger würde schon einen Ferientag in seiner Heimat damit verbringen, einen stillgelegten Bauernhof zu besuchen und alte Kartoffelsetzmaschinen und einen Massey Ferguson ohne Räder zu besichtigen? Und sich als Höhepunkt des Ausflugs die Stelle hinter dem Stall anschauen, wo der Großbauer in alten Tagen ungehorsame Knechte grün und blau prügelte?

Im Süden finden wir ganz andere Dinge interessant als zu Hause. Und wir sind weitaus offener dafür, etwas Interessantes zu erleben, wenn wir im Süden sind. Als ich zum ersten Mal mit meinen Eltern auf Süden-Tour reiste, war ich fest entschlossen, diese Augenblicke, die ich als authentische Süden-Momente empfand, diese kleinen Episoden, die mir das Gefühl gaben, ganz woanders zu sein, in vollen Zügen zu genießen. Ein Mann mit einem Glas Wein in einem Straßencafé. (Zu Hause hätte ich gedacht: ein feister Typ, der am helllichten Tag Alkohol trinkt.) Eine alte Dame, die an ihrem Fenster steht und die Passanten betrachtet. (Zu Hause hätte ich gesagt: »Was glotzt du so, du alte Schachtel?«)

Was mir auf meiner ersten Süden-Tour am besten gefiel und mir wirklich das Gefühl vermittelte, in der großen weiten Welt zu sein, war mein abendlicher Spaziergang zum Strand, wo ich eine halbe Stunde lang aufs Wasser schaute. Ich glaube nicht, dass ich an etwas Besonderes dachte, während ich dastand und aufs Mittelmeer starrte, aber ich weiß noch, dass ich den Eindruck erwecken wollte, ich dächte an etwas Besonderes. Etwas ganz Besonderes. Und Tiefgründiges.

Wasser hatten wir zu Hause auch. Jede Menge sogar. Das war es nicht. Aber ich hatte nie eine halbe Stunde am Fjord gestanden und aufs Wasser hinausgeschaut. Wer sich in meinem Heimatort am ehesten am Wasser aufhielt, waren die Leute, die sich am Kai herumtrieben. Sie hatten Autos und parkten demonstrativ mit dem Wagenheck zum Fjord. Hätte ich mich damals, als frischgebackener Teenager, eine halbe Stunde neben ihre Autos gestellt und auf den Fjord hinausgeblickt, ohne etwas zu sagen, hätten mich die Leute für den Rest meines Lebens als total durchgeknallt betrachtet, so viel steht fest.

Im Süden sind ganz andere Dinge statusträchtig als zu Hause, und dort gilt auch eine vollkommen andere Hierarchie. Wer schon eine Woche in einem Hotel im Süden verbracht hat, steht höher in der Hierarchie als die Frischlinge, die gerade erst mit dem Bus vom Flughafen angekommen sind. Er darf sich am Strand über die Bleichgesichter lustig machen und am nächsten Morgen kichern, wenn die Bleichgesichter keine Bleichgesichter mehr sind, sondern sonnenverbrannt zum Frühstück erscheinen.

Was das betrifft, ist ein Urlaub im Süden dem Militärdienst nicht ganz unähnlich. Auch beim Militär hat derjenige, der am längsten dabei ist, den höchsten Status und darf die Frischlinge mobben, ja, es ist sogar seine Aufgabe. Natürlich gibt es entscheidende Unterschiede zwischen Urlaub im Süden und dem Militärdienst. Bei der Armee sind zum Beispiel wenig Frauen, bei Militärübungen herrschen häufig dreißig Grad minus, und anders als im Urlaub möchtest du beim Militärdienst am liebsten sofort nach Hause. Aber vieles ähnelt sich auch: Eine Gruppe von Menschen, die sich sonst nie begegnet wären, ist an einem Ort versammelt, um Dinge zu tun, die sie zu Hause nicht tun würden. In beiden Szenarien übernehmen die Leute verschiedene Rollen innerhalb der Gruppe. Sowohl in einer Gruppe von Wehrdienstleistenden als auch in einer Reisegruppe kristallisiert sich schon früh heraus, wer der Spaßvogel ist, wer am liebsten Party macht, wer sich gern mal zurückzieht und wer kurz vor Mitternacht unbedingt ein Lied anstimmen muss. Außerdem sind Süden-Touristen und Soldaten uniformiert. Im Süden besteht die Uniform aus Minimalbekleidung.

Wenn Menschen auf die eine oder andere Weise uniformiert sind, passiert etwas mit ihnen. Das fällt mir jedes Mal auf, wenn im Supermarkt nebenan »mexikanische Woche« ist und einer der jungen Verkäufer – ein normalerweise schwarz gekleideter junger Mann mit einem Hang zu richtig düsterer Rockmusik – in einem rosa T-Shirt und mit Sombrero an der Kasse sitzt und darauf hofft, dass niemand in den Laden kommt, der ihn kennt.

Auch wenn Süden-Touristen nicht ganz so auffallend uniformiert sind (außer auf manchen Festen, doch dazu später), so geschieht doch etwas mit den Menschen, wenn man ihnen ihre Alltagskleidung abnimmt. Kein Tourist trägt Bürokleidung oder einen Jogginganzug. Niemand läuft mit einer Aktenmappe herum. Anders als zu Hause kann du den Menschen nicht ansehen, welchen Beruf sie haben. Und selbst wenn es tausend Varianten von Badebekleidung gibt, ändern sich ein paar wesentliche Dinge bei allen Menschen, die wenig anhaben. Niemand – wirklich niemand! – wird es schaffen, in einer Badehose mit natürlicher Autorität aufzutreten. Du kannst es selbst ausprobieren. Wenn du das nächste Mal einen bedeutenden Staatsmann im Fernsehen siehst, wenn ein angesehener Bürger sich voller Betroffenheit zu irgendwas äußert oder wenn dein Chef das nächste Mal die Einführungsworte zu einem Seminar spricht – dann stell dir den Betreffenden in der Badehose vor, und schon ist seine Autorität verschwunden.

In vielen Ratgebern für Menschen, die einen Vortrag oder eine Rede halten müssen, ist zu lesen, dass man sich seine Zuhörer nackt vorstellen soll. Angeblich verliert man dadurch ein wenig von dem übertriebenen Respekt vor dem Publikum und einen Teil seiner Nervosität. Damit der Trick funktioniert, muss der Referent allerdings ausblenden können, dass die Zuhörer sich möglicherweise dasselbe vorstellen, nur auf den Referenten bezogen.

Zuweilen sind Süden-Urlauber wirklich uniformiert, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich zitiere wieder aus einem Reisekatalog für die Kanarischen Inseln:

»Das Schweinefest. Im malerischen Taurotal besuchen wir die Hütte eines Hirten. Die Familie hat das Haus festlich geschmückt. Unter freiem Himmel werden Spanferkel gegrillt, und zu dem leckeren Fleisch werden Wein, Brot und herrlicher Salat serviert. Kanarische Lieder erklingen, es gibt Musik und Tanz. Und am Ende verkleiden sich alle mit Hüten und weiten Mänteln als Hirten.«

Genau wie beim Karneval, auf einer Abiparty oder bei einem Themenfest, das zwei Wochen dauert.

Weil du dich an einem Ort befindest, wo andere Regeln gelten, und mit Menschen zusammen bist, mit denen du nie wieder zusammentriffst, kannst du dich im Süden ganz anders verhalten als zu Hause. Du kannst dir ein ganz neues Image zulegen, wie bei einem Umzug oder einem Schulwechsel. Man hat die Chance, sein altes Image hinter sich zu lassen und ein anderes auszuprobieren, wobei eine Reise in den Süden den Vorteil hat, dass man nach vierzehn Tagen zu seinem alten Image zurückkehren kann, falls das neue sich als Fehlgriff erweist.

Urlaub im Süden ähnelt dem Reality-TV. Oder umgekehrt. Auch in Realityshows ist eine Gruppe von Menschen versammelt, die sich sonst nie begegnet wären. Und sie begegnen sich an einem Ort, der nicht ihr Zuhause ist und eigenen Regeln unterliegt. Der Hauptunterschied ist natürlich, dass Süden-Urlauber nicht miteinander konkurrieren und deshalb nicht gemein zueinander zu sein brauchen. Außerdem ist die Gefahr, aus dem Süden-Urlaub nach Hause geschickt zu werden, wesentlich geringer. Es ist zwar grundsätzlich möglich, aber dazu gehört schon eine ganze Menge.

Trotz dieses wesentlichen Unterschieds ist es kein Zufall, dass der Süden mehrfach als idealer Schauplatz für Realityshows gewählt wurde (Temptation Island – Versuchung im Paradies und Robinson-Expedition spielen beide in südlichen Gefilden). Ebenso wenig ist es ein Zufall, dass Ferienorte beliebte Schauplätze von Kriminalgeschichten sind. Etliche Klassiker von Agatha Christie handeln von Leuten im Urlaub oder auf Reisen. Der Grund ist natürlich, dass gewisse Dinge viel eher passieren, wenn man sich weit entfernt von seiner Heimat an einem Ort befindet, wo andere Regeln gelten. Verschärfend kommt hinzu, dass viele Touristen Teile ihrer Alltagspersönlichkeit zu Hause lassen, wenn der Urlaub beginnt.

Das lässt sich schon auf dem Flughafen Gardermoen beobachten. Norweger, die auf Charterreise gehen, fangen bereits auf dem Flughafen an, sich zu unterhalten. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, dass sie Urlaub haben, doch mit diesem Ausgangspunkt gelingt es ihnen oft, erstaunlich viel übereinander in Erfahrung zu bringen, noch bevor das Flugzeug abhebt, und für vierzehn Tage eine Urlaubsfreundschaft zu schließen. Bei Norwegern auf einem Inlandlinienflug kommt so etwas nicht vor. Im Süden-Urlaub scheinen viele Norweger die Gelegenheit zu nutzen, einen neuen Ersteindruck zu machen oder so zu leben, wie sie es zu Hause nicht können. Sei es, weil sie sich nicht trauen, sei es, weil es ganz einfach zu blöd aussehen würde.

Nur im Süden tanzt der Bankangestellte auf dem Tisch, redet der schweigsame Einzelgänger wie ein Wasserfall in selbstgebasteltem Englisch, lebt der ewige Junggeselle vom hintersten Hof im Tal vierzehn Tage lang als knisternd schwuler Charmeur. Nur hier lässt das höfliche alte Fräulein auf dem Marktplatz laut einen fahren, und sogar die hippsten Typen tanzen und singen zur Musik von ABBA.

Dass die Menschen Seiten ausleben, die sie zu Hause nie ausleben würden, ist natürlich nicht zwingend positiv und sympathisch. Ein Freund von mir war einmal auf Süden-Urlaub und beobachtete mit steigendem Interesse einen rotgesichtigen Norweger mittleren Alters, der vom ersten bis zum letzten Tag sternhagelvoll war. Bald nachdem mein Freund nach Norwegen zurückgekehrt war, traf er diesen rotgesichtigen Mann wieder. Beim Zahnarzt. Er war der Zahnarzt.

Im Süden leben Norweger jedoch nicht nur Seiten ihres Wesens aus, von denen sie sonst nur träumen oder die sie im Alltag verbergen müssen, sie leben auch Seiten von sich aus, von denen sie vorher nicht die geringste Ahnung gehabt haben. Ein ehemaliger Reiseleiter hat mir von einer Veranstaltung zum norwegischen Nationalfeiertag im türkischen Alanya erzählt, bei der die Touristen des Festzugs aufgefordert wurden, sich an einem Spiel namens »Krokodilla« zu beteiligen. Wenn die Reiseleiter ein Pfeifsignal gaben, sollten sich alle auf die Straße legen und Krokodil spielen. Die Leute hielten das für eine gute Idee, und niemand stellte eine Frage. Hätte das Ganze nicht im Süden stattgefunden, hätte ganz sicher jemand gefragt: Warum sollen wir uns auf die Straße legen und Krokodil spielen? Der Festzug bewegte sich vorwärts, die Reiseleiter bliesen in ihre Pfeifen, und alle Gäste legten sich auf die Straße und vollführten ihre Krokodilimitationen, so gut sie konnten. Während die Reiseführer danebenstanden und sich wahrscheinlich über sie lustig machten.

Es wundert einen nicht, dass einsame, frustrierte, verschlossene, eingeschneite, wetterkranke Norweger sich nach Urlaub sehnen und der Möglichkeit, all dem zu entkommen. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass Norweger im Winterhalbjahr zu Hause sitzen, in Katalogen blättern, finster in den Regen hinausschauen und denken: Wenn ich Urlaub habe, lege ich mich auf eine türkische Straße und tue so, als wäre ich ein Krokodil.

Der Süden hat auch seine eigene Sprache. Die Sprache einer vergangenen Zeit. Die Süden-Kataloge sind voll von solchen Wörtern, die die wenigsten von uns in der Alltagssprache benutzen. Städte sind »pittoresk« oder »genuin«. Und wenn es um diese wahnwitzigen Partyhochburgen geht, in denen du nicht mal vier Meter die Hauptstraße entlanggehen kannst, ohne dass dir jemand Alkohol vor die Nase hält und dich in einen Club nötigt, heißt es in den Katalogen: »Genau das Richtige für alle, die es prickelnd und ausgelassen mögen!« Das klingt wie der Slogan auf einem schlecht kopierten DIN-A4-Plakat, der für die Party im Jugendheim oder die alkoholfreie Jugenddisco des Sportvereins wirbt. Nur selten hört man junge Leute heutzutage sagen: »Ich geh mal an einen Ort für alle, die es prickelnd und ausgelassen mögen.« Das hört man ungefähr genauso häufig wie den Satz: »Ich geh heute aus, um ein paar andere Teenager zu treffen und moderne angloamerikanische Populärmusik zu hören und Brause zu trinken.«

Im Reisekatalog wirken die größten Partystädte im Süden wie triste Jugendzentren, wo jeansbekleidete pickelige Teenager mit halblangen Haaren in Lokalen mit hässlichen Gardinen grüppchenweise zusammenstehen und Limo trinken, während die anderen im Nebenraum Billard und Tischtennis spielen. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass einer der coolsten Jungs den schon reichlich ramponierten Flipperautomaten mit Fußtritten traktiert. Auch wenn wir in unseren zynischen kleinen Hirnen wissen, dass in Lokalen wie diesen die Chancen nicht schlecht stehen, statt Würstchen und Limo Bier und Kurze serviert zu bekommen.

Aber im Süden heißt es nicht Bier und Kurze. Es heißt prickelnd und ausgelassen. Ein abgeschirmter, unschuldiger Ort, der der Entspannung dient. Wie der brasilianische Urlaubsort Pipa, der in einem Katalog von Star Tours wie folgt beschrieben wird:

»Pipa ist die moderne Antwort auf Bullerbü. Du sollst andere nicht quälen, du sollst nett und freundlich sein und ansonsten einfach nur entspannen − wie, das entscheidest du allein. Die Atmosphäre lädt zum totalen Abschalten ein: bunte Hütten aus Stein und Bambus, kreideweiße Strände und eine Hauptstraße. Stress ist verboten, man nimmt alles, wie es kommt – wenn es denn überhaupt kommt.«

Ein früherer Reiseleiter hat mir erzählt, wie er einmal feststellte, dass ihm zwei Touristen fehlten, die mit dem Bus vom Flughafen hätten ankommen sollen. Er suchte. Er wartete. Schließlich fand er die beiden auf einer Bank gleich neben dem Gepäckband. Sie saßen eine Stunde nach der Landung noch ganz ruhig da und warteten darauf, abgeholt zu werden. Sie waren weder verärgert noch verängstigt. Ihr Sohn hatte ihnen nämlich vor ihrer Abreise erzählt, dass sich im Süden immer jemand um einen kümmert.

Und damit hatte er recht. Der Süden ist ein problemfreier Raum, wo nichts Unangenehmes vorkommen soll. Natürlich kommen im Süden trotzdem unangenehme Dinge vor, doch glücklicherweise ist der Süden ein sehr übersichtliches Gemeinwesen, wo man immer weiß, an wen man sich wenden kann, wenn es Probleme gibt. Im Süden ist immer jemand für dich verantwortlich. Deshalb kannst du dich beim Hotelbesitzer beschweren, wenn zu wenig Sonne auf dem Balkon ist, wenn du dich an einer Muschel am Strand geschnitten hast oder wenn die Dusche nicht genug Druck hat. Bei den Leuten, die im Süden Beschwerden entgegennehmen, und bei denen, die zu Hause Klagen von Chartertouristen bearbeiten, treffen viele Beschwerden ein, die verraten, in welchem Ausmaß die Leute erwarten, dass der Süden eine ideale, problemfreie Welt sein soll. Selbstverständlich haben viele einen guten Grund, sich zu beschweren, weil sie nicht bekommen haben, was sie bestellt haben, aber es gibt auch Menschen, die sich beschweren, weil sie sich auf dem Hotelgelände den Fuß verstaucht haben oder weil sie im hoteleigenen Supermarkt nicht ihren Lieblingskaffee finden konnten. Eine eher exotische Klage kam von einem Mann, der einen Aufpreis für ein Zimmer mit Balkon bezahlt hatte und nach dem Urlaub das Geld zurückverlangte, weil auf dem Balkon die ganze Zeit Sonne war.

Wenn du nicht von dir aus etwas sagst, wirst du auf jeden Fall am Ende des Urlaubs aufgefordert, dich zu äußern. Im Flughafenbus am letzten Urlaubstag sollst du den Bewertungsbogen ausfüllen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass solche Bewertungsbögen nicht nur gelesen, sondern auch sehr ernst genommen werden. Wenn bestimmte negative Beurteilungen sich über einen gewissen Zeitraum wiederholen, können Reiseleiter gefeuert werden, oder Hotels verlieren gewisse Reiseveranstalter als Kunden. Daran sollten wir alle denken, wenn wir uns immer mal wieder beim Ausfüllen der Bewertungsbögen einen Spaß erlauben.

* * *

An dieser Stelle erscheint es mir angebracht, die große Diskussion aufzugreifen, wo denn der Süden eigentlich liegt. Ist Brasilien der Süden? Oder bilden nur ein paar Länder Südeuropas den Süden? Die Antwort muss wohl lauten, dass der Süden überall sein kann. Süden ist Süden, egal ob es sich um Spanien, Marokko oder die Dominikanische Republik handelt. Hauptsache, es gibt dort Hotels, Essen, Sonne und Strände.

Beim Lesen von Süden-Katalogen kann man feststellen, dass die Ähnlichkeiten häufig stärker betont werden als die Unterschiede. Um welches Land mag es sich wohl im folgenden Zitat aus einem Katalog des Reiseveranstalters Apollo handeln?

»Eines unserer beliebtesten Reiseziele, zu dem viele Urlauber Jahr für Jahr zurückkehren. Die Menschen, das Essen, die Strände, die Ausflüge, die Shoppingmöglichkeiten – ein traumhafter Urlaub ist garantiert.«

Oder in folgendem Zitat aus demselben Katalog:

»Ein Kontinent in Miniatur mit herrlichem Klima und einem großen Angebot an allem, was Urlaub ausmacht.«

Im ersten Zitat ging es um Thailand, im zweiten um Gran Canaria. Aber es könnte auch umgekehrt sein. Der Süden umfasst immer mehr und immer entferntere Reiseziele. Doch sie werden genauso beschrieben wie die Süden-Klassiker. In Süden-Katalogen wimmelt es nur so von unpräzisen Formulierungen wie: »eine faszinierende Mischung aus Alt und Neu« oder: »Es gibt viele Gründe, warum die Menschen Jahr für Jahr hierherkommen: die Einwohner, das Essen, das Klima, die Atmosphäre, die Kultur.« Auf Atmosphäre und Kultur hinzuweise ist ungefähr so präzise wie zu sagen, dass du dein Lieblingsbuch magst, weil es Wörter enthält. Von was für einer Atmosphäre ist die Rede? Ist sie gemütlich? Hektisch? Gruselig? Und was für eine Kultur ist gemeint? Ist sie muslimisch? Postmodern? Satanistisch?

Und was soll eine Aufzählung wie: »die Einwohner, das Essen, das Klima«? Dass ein Ort über Einwohner, Essen und Klima verfügt, dürfte man wohl als Mindestanforderung betrachten. Aber im Süden versteht sich der Rest von selbst. Die Einheimischen sind liebenswert, das Essen ist gut und das Klima stabil und sonnig.

Auch die Fotos in den Katalogen ähneln sich auffallend. Man sieht meistens ein Hotel, fast immer weiß, einen Pool mit Liegestühlen und vielleicht ein bisschen Meer. Die Ausnahmen sind ganzseitige Bilder mit Postkartenmotiven von jedem Reiseziel, oft ein vereinzeltes Holzboot auf einem leeren Strand oder ein Häuschen mit Meerblick. Oder ein Foto von jemandem, der lächelt. Oder es sind, wie schon erwähnt, Fischer oder hundertjährige runzelige Frauen mit Damenbart abgebildet.

Der Süden existiert unabhängig von Staatsgrenzen, Kontinenten und politischen Entwicklungen. Viele von uns kennen Menschen oder haben von welchen gehört, die im Süden Urlaub gemacht haben, ohne ganz genau zu wissen, in welchem Land sie eigentlich waren. Darüber kann man natürlich lachen, doch es fragt sich, ob nicht diese Leute das eigentliche Prinzip des Phänomens Süden erfasst haben. Auch in den Süden-Katalogen ist es unwichtig, in welchem Land das Urlaubsziel liegt. Es ist ein Unterschied, ob man nach Korfu reist oder nach Griechenland, selbst wenn Korfu zu Griechenland gehört. Wenn man nach Griechenland reist, kann es ebenso gut sein, dass man einen Städteurlaub in Athen macht (das wiederum nicht Süden ist). Ebenso ist es ein Unterschied, ob man nach Bali oder nach Indonesien reist, selbst wenn Bali zu Indonesien gehört. Indonesien ist ein großes muslimisches Land, das Osttimor besetzt hat. Bali ist ein Inselparadies auf der anderen Erdhalbkugel.

Das beste Beispiel dafür, dass Süden ein anderer Ort ist als die Länder, in denen der Süden liegt, ist Sri Lanka. 1972 wurde Ceylon in Sri Lanka umbenannt. In manchen Süden-Katalogen hieß die Insel bis in die Achtzigerjahre weiterhin Ceylon. Zu diesem Zeitpunkt war Sri Lanka der Name eines Landes am Rande des Bürgerkriegs. Ceylon war weiterhin der Name eines Traumziels im Süden.

Als einmal eine Maschine mit Chartertouristen nicht auf Lanzarote landen konnte, lieferte die Fluggesellschaft die Touristen kurzerhand auf Teneriffa ab. Sie kamen auf jeden Fall in den Süden.

Manchmal kann es erhellend sein, die Dinge aus der Perspektive eines Kindes zu betrachten. (Bisweilen kann es auch ziemlich verwirrend sein, wie wir alle wissen, doch das lassen wir hier mal beiseite.) Die Kinderbuchautorin Marit Nicolaysen brachte es in ihrem charmanten Buch Sven & Schulze. Ab in die Ferien ziemlich gut auf den Punkt, als die Mutter ihren Söhnen Sven und Magnus erklären soll, was der Süden ist:

»Wir fahren in den Süden«, sagte ich. »Hast du nicht gehört, was Mama gesagt hat?«

»Süden? Was ist denn das?«, fragte er.

»Was das ist? Du weißt nicht, was Süden ist?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Der Süden«, sagte ich, »das ist ein Land, wo das Wasser immer warm ist. Da wohnst du im Hotel mit Swimmingpool und Sandstrand. Und man muss mit dem Flugzeug dahin fliegen. Fliegen, Magnus. Wir fliegen mit dem Flugzeug!«

»Toll!«, rief Magnus.

»Gran Canaria«, sagte Mama. »Wir fliegen auf eine Insel bei Afrika, die Gran Canaria heißt.«

»Ja, aber du hast doch Süden gesagt«, sagte ich.

»Ja, genau, Sven. Süden, das ist einfach überall, wo man Urlaub machen kann, wo die Sonne scheint und wo es warm ist. Gran Canaria gehört dazu. Genau wie Kreta. Und Rhodos. Oder die Algarve. Das sind verschiedene Orte und Länder. Aber alles ist Süden. Denn wir fahren Richtung Süden.«

Wenn man Urlaub machen will, muss man in den Süden. Wer nach Norden reist, ist auf sportliche Höchstleistungen aus, nicht auf Urlaub, oder er hat dort oben Verwandte. Meine Urlaubsträume haben sich im Lauf der Jahre immer weiter nach Süden verschoben. In meiner Kindheit waren wir in Südnorwegen. Da sah ich meinen ersten Surfer. Er war unglaublich schlecht und fiel mindestens zweimal pro Minute ins Wasser. Aber er gab nicht auf. Er machte die gesamten Sommerferien nichts anderes, ohne dass ich den Eindruck hatte, dass er besser geworden wäre. (Ich selbst brauchte mindestens genauso lange, um schwimmen zu lernen, aber ich habe nicht vor, mich an dieser Stelle weiter darüber auszulassen. Dies ist schließlich mein Buch.) Später fuhren wir nach Schweden und Dänemark, und dann endlich: nach Süden.