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Elfi Hartenstein

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Beschreibung

Aus der JVA Tegel sind zwei hochgefährliche Häftlinge ausgebrochen, ein bulgarischer Pate und der russische Auftragskiller Sergej Medwed. Letzterer hatte bei seiner Verurteilung den dafür Verantwortlichen – Lou Feldmann, Eva Hennings und Remy Straub – Rache geschworen und ihnen einen qualvollen Tod angedroht. Nun beginnt eine Jagd auf Leben und Tod, die in Organhändlerkreise nach Bulgarien und wieder zurück nach Berlin führt. Ein blutiges Katz- und Maus-Spiel, bei dem nicht immer klar ist, wer der Jäger und wer der Gejagte ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

PROLOG

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DANK

ELFI HARTENSTEIN, HORST VOCKS

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte sind die Autoren verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autoren.

© 2024 Elfi Hartenstein, Horst Vocks · elfi-hartenstein.de

Originalausgabe.

Alle Rechte vorbehalten.

Elfi Hartenstein, c/o easy-shop, Kathrin Mothes, Schloßstraße 20, 06869 Coswig (Anhalt)

Covergestaltung: Edgar Endl · booklab gmbh

Bildquellen: #100995507 | AdobeStock

Foto Autoren: Michael Bry

Satz u. Layout / E-Book: Büchermacherei · Gabi Schmid · buechermacherei.de

ISBN Print: 978-3-759-21271-9

ISBN E-Book: 978-3-759-21537-6

PROLOG

Als vor etwa drei Jahren Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann eines schönen Tages zwei neue Fälle auf den Tisch bekam, ahnte er nicht, wie sehr die daran Beteiligten sein Leben verändern würden: Die 23-jährige Remy Straub, deren Freund sich totgefixt hatte. Und der 80-jährige Jens Andersen, ein von der Berliner Polizei seit Jahrzehnten gesuchter, niemals gefasster „Einbrecherkönig“, der seiner Frau Sterbehilfe geleistet hatte.

Feldmann stellte sich gegen seine Kollegen, die Remy Straub unter dem Vorwand, sie sei als Junkie-Braut in Beschaffungskriminalität verstrickt und habe Verbindungen zum Organisierten Verbrechen, ins Gefängnis bringen wollten. Und er weigerte sich, Andersen, der seit Jahren im Milieu als Schlichter tätig war, aufgrund der von ihm geleisteten Sterbehilfe wegen Mordes festnehmen zu lassen. Um ihn einem möglichen polizeilichen Zugriff zu entziehen, riet er dem schwer kranken Andersen nicht nur, sich bei einem seiner Freunde in Sicherheit zu bringen, sondern brachte ihn auch selbst nach Dahlem zu Dimitri Cordalis, Besitzer einiger Berliner Kneipen und Geldverleiher, der ihn aufnahm und auch Andersens ärztliche Betreuung durch die junge Krankenhausärztin Sylvie Westphal sicher stellte.

Zur selben Zeit ermittelten Feldmann und Hauptkommissarin Eva Hennings im Mord an Elena Iwanowa, Betreiberin des Café Lilo und eines Hostessenservices. Remy Straub, die für Iwanowa die Buchhaltung geführt hatte, wurde in U-Haft genommen, wo sie kurz darauf nur knapp einem Anschlag entging. Feldmann gelang es, sie dort herauszuholen und bei einem Freund seines Neffen Manu zu verstecken. Als fast umgehend dieser Schlupfwinkel gestürmt wurde, begriff Feldmann, dass ein vielfaches Geflecht von Fäden zwischen dem neuen Pächter des Café Lilo, Sergej Medwed, sowie Haftanstalt, Staatsanwaltschaft und Polizisten-Kollegen existierte.

Die ihm im Lauf seiner Ermittlungen bewusst gewordene Doppelmoral in Polizei und Justiz veranlasste Feldmann, seinen Dienst zu quittieren. Er pachtete Andersens seit längerem geschlossene Kneipe in Friedenau und machte Remy Straub zu seiner Geschäftsführerin. Wenig später starb Andersen. In seinem Testament vermachte er Lou Feldmann nicht nur Haus und Kneipe, sondern er bat ihn auch, seine Rolle als Schlichter im Milieu zu übernehmen.

Feldmanns Kollegin Eva Hennings und der einzige ihm sympathisch gesonnene Kollege vom SEK / PSD Richard „Ricardo“ Mittelberger verfolgten die von ihm aufgezeigten Spuren weiter. Auch Feldmann blieb – wenn auch jetzt sozusagen undercover - am Ball. Nicht zuletzt wegen einer Zeugenaussage von Remy Straub gelang es schließlich, Sergej Medwed als Mörder von Elena Iwanowa zu überführen.

Noch im Gerichtssaal kündigte Medwed an, dass er sich an Lou Feldmann, Eva Hennings und Remy Straub auf eine Art und Weise rächen werde, dass sie wünschten, nie gelebt zu haben.

1

Als Kriminalhauptkommissarin Eva Hennings, einekleine, etwas untersetzte Mittvierzigerin, das CLOSED-Schild noch an der Eingangstür des LOU’s hängen sah, parkte sie den Wagen im Hof und betrat das Haus durch den Hintereingang. Die Tür zu Lou Feldmanns Küche war nicht abgesperrt. Niemand da, stellte sie fest, aber der Duft aus den auf dem Herd stehenden Töpfen ließ Eva das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihr hastiges Halbe-Brötchen-Frühstück war wohl doch nicht genug gewesen.

„Was gibt’s heute bei dir?“ rief sie durch den offenen Durchgang in die Gaststube hinein.

„Du bist zu früh.“ Lou Feldmann stand mit einem Notizblock hinter dem Tresen und inspizierte die Spirituosen-Bestände im Glasregal. „Ich muss erst noch einkaufen fahren. Das auf dem Herd sind nur Vorarbeiten.“

Er kritzelte etwas in seinen Block, bevor er sich ihr ganz zuwandte. „Eva. Dass du dich mitten am Vormittag schon nach Friedenau traust.“ Er lächelte sie an, umarmte sie und drückte sie ein wenig. „Du hast schon mal schlechter ausgesehen. Feierst du Überstunden ab, oder was sonst bekommt dir so gut?“

Eva Hennings trat einen Schritt zurück. „Schleimer. Ich war beim Frisör. Vor ungefähr zwei Wochen. Aber seitdem du dich in unseren Kreisen freiwillig nicht mehr sehen lässt …“ Der Stich musste sein. Eva Hennings bedauerte noch immer, dass Feldmann ihr gemeinsames Büro für immer verlassen hatte.

„Sag bloß – früher wäre mir das tatsächlich aufgefallen?“

Er drehte sich um und stellte zwei Tassen unter die Kaffeemaschine. „Du hast doch nichts dagegen?“

Als sie nebeneinander am Tresen saßen und Eva den Zucker in ihrem Kaffee verrührte, sagte er: „Mittags Hühnersuppe mit Pfannkuchenstreifen und abends Coq au vin. Klassisch. In Rotweinsauce. Du bist herzlich eingeladen.“

„Riecht jetzt schon so gut.“ Sie seufzte. „Wahrscheinlich werde ich wieder nicht früh genug aus dem Büro kommen. Ich hab ziemlich viel Unbearbeitetes auf dem Tisch liegen.“

„Vielleicht schaffst du’s ja trotzdem. Wäre schön. Es ist in letzter Zeit etwas einsam hier.“

Eva wusste, dass er nicht von ausbleibenden Gästen sprach. Das LOU’s lief gut. Entgegen allen Unkenrufen aus dem Präsidium bei Feldmanns Ausscheiden. Er hatte es geschafft. Seine Küche war beliebt, das ganze Lokal mit dem großen Tresen, den alten Wirtshausmöbeln und Dielenböden und der Ecke mit dem Billardtisch ebenso. „Hat dein Mieter Ricardo sich mal gemeldet?“

„Was denkst du denn?“

„Naja, es gibt auch auf Südseeinseln Telefone, oder wo sonst treibt er sich rum? Hat er wenigstens gesagt, wann er zurückkommt?“

„Keine Ahnung.“

„Schade. Im SEK würden sie ihn im Moment mit offenen Armen in Empfang nehmen und ihn festketten. Die haben Engpässe wie nie zuvor.“

Feldmann zuckte die Schultern. Als er keinen Kommentar gab, fragte Eva weiter: „Und Sylvie? Lässt sie auch nichts hören?“

„Doch. Viel Arbeit, wie du dir vorstellen kannst. Aber sie stemmt das. Sylvie ist tough.“

Eva nickte. Sylvie Westphal war vor zwei Wochen von der Rettungsstelle des Urbankrankenhauses vorübergehend zu Ärzte ohne Grenzen in den Jemen gewechselt. „Wenn sie sie nur nicht zusammenbomben.“

Um das Thema zu wechseln, fragte Feldmann: „Es war aber nicht etwa doch der Hunger, der dich hergetrieben hat?“

„Da müsste ich lügen. Nein. Eigentlich wollte ich mit Remy sprechen. Und mit dir natürlich auch.“

„Remy?“ Feldmann warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Müsste jeden Moment kommen. Jedenfalls wollte sie hier sein, bevor ich zum Einkaufen fahre.“

„Dann warte ich.“

Feldmann schob seinen Hocker zurück, ging um den Tresen herum und stellte seine Tasse in die Spüle. „Noch einen für dich?“

„Danke.“

Im selben Moment klappte die Tür zum Hinterhof und eine atemlose Remy Straub erschien im Durchgang zur Küche. „Sorry, Chef, bin zu spät aus dem Haus gegangen, und dann ist mir auch noch die S-Bahn vor der Nase davongefahren.“

„Nix passiert“, sagte Lou. „Außer dass wir Besuch haben.“

„Okay“, sagte Hennings, nachdem Remy sich ein Glas Wasser geholt und sich neben sie gesetzt hatte. „Ich bin gekommen, weil ich wissen möchte, ob ihr auch so einen Liebesbrief bekommen habt wie ich.“

Sie kramte in ihrer Tasche, holte ein graues Briefkuvert heraus und entnahm einen zusammengefalteten Zettel.

Remy riss die Augen auf. „Du auch? Und du, Lou, etwa auch?“

Feldmann nickte.

„Der gleiche Text?“

Remy genügte ein kurzer Blick. „Sehr fantasievoll ist das ja nicht. Dem ist langweilig, oder? Ich hab den Zettel jedenfalls gleich im Müll entsorgt.“

„Ich würde mir auch den Kopf nicht darüber zerbrechen“, sagte Feldmann.

„Na gut, wenn du meinst.“ Eva Hennings stand auf. „Dann fahre ich jetzt zu meinem Schreibtisch. Aber, Remy, falls du nochmal so einen Brief bekommst, lass ihn mir zukommen. Wir sammeln sie. Weiß der Himmel, wofür wir das mal brauchen.“

In der Tür drehte sie sich nochmal um. „Passt auf euch auf.“

Als sie in ihr Auto einstieg, summte sie vor sich hin:

„Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Medwed auch zu dir …“

2

In einem Gemeinschaftsraum der JVA in Berlin-Tegel beugten sich Sergej Medwed und Todor Stoikov über ein Schachbrett. Die beiden rechtskräftig wegen Mordes Verurteilten hatten sich im Gefängnis kennen gelernt und angefreundet. An anderen Tischen saßen andere Schachspieler, auch sie in Gefängniskleidung. Ein Aufsichtsbeamter beobachtete gelangweilt und ohne erkennbare Anspannung die Gefangenen. Es herrschte konzentrierte Stille im Raum, kein lautes Wort fiel, nur ab und zu stöhnte jemand auf, wenn ein Zug missglückt war, oder fluchte leise vor sich hin. Wenn überhaupt, wechselten die Männer nur Worte im Flüsterton.

Auf den durch die vergitterten Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen tanzten Staubkörnchen.

Medwed und Stoikov hatten sich so gesetzt, dass weder der Aufseher noch die anderen Spieler ihr Flüstern verstehen konnten. Von weitem wirkte es, als würden sie über ihre Spielzüge diskutieren.

„Weißt du schon, wann?“, flüsterte Medwed.

„Bald“, sagte Stoikov. Sie sahen sich an und wieder auf das Brett. „Du erfährst es genau an dem Tag, an dem es passiert.“

„Du traust mir nicht“, sagte Medwed.

Stoikov zuckte die Schultern.

Medwed blickte auf die Krücken, die an Stoikovs Stuhl lehnten. „Und wie willst du so schnell auf die andere Seite des Hofes kommen? Besorgst du dir einen Rollator?“

Stoikov grinste. Diese Gemeinheit würde er ihm ein anderes Mal zurückzahlen. „Du trägst mich. Seit du hier bist, machst du jeden Tag Krafttraining. Für irgendwas muss das schließlich gut sein.“ Er setzte einen Springer auf Medweds schwarzen Turm an. Medwed, auf alles andere als das Spiel konzentriert, zog, ohne auf Stoikovs Springer zu achten, einen Bauern nach vorn. Aus den Augenwinkeln hatte er den Aufsichtsbeamten auf ihren Tisch zusteuern sehen. Jetzt stand er neben ihnen und schaute kopfschüttelnd zu. „Du lernst es nie“, sagte er zu Medwed, bevor er weiterging.

„Vielleicht doch“, murmelte Medwed und warf Stoikov einen Blick zu. Als er sicher war, dass der Beamte wieder außer Hörweite war, flüsterte er: „Gebongt. Du wiegst nicht viel mehr als sechzig Kilo. Ich nehme dich Huckepack.“ Erstaunt sah er, wie Stoikovs Springer seinen Turm aus dem Rennen kickte. „Aber dein Angebot steht, dass ich in deine Firma einsteige?“, fragte er.

„Steht.“ Stoikov grinste und deutete auf das Brett. „Ich halte dich für lernfähig. Außerdem brauche ich deine Hilfe, um den Idioten, der sich inzwischen an meine Stelle gesetzt hat, auszuschalten.“

„Alles klar. Aber ich muss hier in der Stadt noch was erledigen, bevor wir die Fliege machen.“

„Was?“

Medwed wandte sich halb um und vergewisserte sich, dass der Aufseher wieder auf seinem Stuhl an der gegenüber liegenden Wand saß. Dann flüsterte er: „Ich hab ein paar Rechnungen offen. Mit den Leuten, die mich hier reingebracht haben.“

„Ich weiß, wen du meinst“, sagte Stoikov. „Lou Feldmann, seine Ex-Kollegin Hennings und deine Intimfeindin Remy Straub. Aber wenn die Sache hier funktioniert, müssen wir in einer halben Stunde über der Grenze sein. Heb dir deine Rache für später auf. Die läuft dir nicht davon. Außerdem kannst du so etwas auch delegieren. Ich gebe dir Leute. Deine haben dich ja wohl fallen lassen.“

Mit einem Blick auf die Uhr hatte sich der Aufsichtsbeamte in die Höhe gestemmt und auf einen Tisch geklopft. „Schluss, Jungs. Aufräumen.“

Mürrisch standen auch die Spieler auf, packten schweigend ihre Schachfiguren in die Schachteln und schlurften zur Tür.

3

Lou Feldmann schlenderte durch die Räume einer großen Galerie und betrachtete die Fotoausstellung, die sein Freund Dimitri Cordalis ihm enthusiastisch empfohlen hatte. Der Fotograf Jakob Laub gehörte für Kenner offenbar zur Crème de la Crème der Zunft. Feldmann kannte sich mit zeitgenössischer Fotografie nicht aus. Die paar Semester seines Kunstgeschichte-Studiums lagen lange zurück, und auch damals war er über rudimentäre Kenntnisse der Entwicklung der Fotografie nicht hinausgekommen. Cordalis’ Urteil stand er skeptisch gegenüber.

Er wusste, dass Dimitri, der, als Geldverleiher und Inhaber mehrerer Kneipen ein nüchterner Rechner, wenn es um Kunst ging, leicht ins Schwärmen kam. Vor Bildern, die nur selten Feldmanns Geschmack entsprachen. Deshalb hatte er den Besuch der Ausstellung vor sich her geschoben, wochenlang, bis Dimitri gestern Abend im LOU’s erschienen war, den Flyer vor ihm auf den Tresen gelegt und mit dem Finger darauf getippt hatte: „Morgen ist der letzte Tag, du darfst dir das einfach nicht entgehen lassen.“

Jetzt stellte er fest, dass diesmal Cordalis nicht zu viel versprochen hatte: Die Fotos waren gut. Sehr gut. Landschaften. Menschen. Portraitaufnahmen. Stillleben. Das vielfältige Oeuvre eines weitgereisten Fotografen. Überall schien er gewesen zu sein: Nicht nur in Europa. Mongolei, Kamtschatka, Island, Südostasien, Afrika, Lateinamerika … Feldmann ging hin und her, blieb hier stehen und dort, schaute lange, überlegte, verglich, ging weiter, kam wieder zurück. Dabei fiel ihm auf, dass unter den meisten Bildern, die ihn besonders ansprachen, kleine rote Punkte klebten – sie waren also bereits verkauft und für ihn nicht mehr zu haben.

Feldmann war kein Sammler. Aber das Bild an der Stirnwand der Galerie – eine Art Triptychon – zog ihn wie magisch immer wieder zu sich hin. Drei großformatige Fotografien. Insgesamt gut drei mal ein Meter. Ein alter Schäfer, rechts und links mit seiner Herde, und in der Mitte das Gesicht. Ein Gesicht voller Furchen. Der Mann sah aus, als habe er alles Elend der Welt gesehen. Und lächelte dabei scheu, fast glücklich.

Kein roter Punkt.

Diese Bilder wollte er unbedingt haben. Für seine Kneipe, das LOU’s.

Feldmann kehrte zum Eingang zurück und betrachtete das Selbstportrait des Fotografen, der mit seinem faltenreichen Gesicht dem Schäfer nicht unähnlich war. Daneben eine Tafel mit seinem Lebenslauf, falls man die dürftigen Informationen so nennen konnte: Jakob Laub, 1935 in Berlin geboren; Ende der dreißiger Jahre mit den Eltern über die Schweiz in die USA geflohen; Fotolehre, Studium in San Francisco; danach freier Fotograf. Weltbürger. Seit 2000 lebte er in Berlin.

Lou Feldmann studierte noch einmal die Preisliste, dann ging er zu der etwa fünfzigjährigen Frau im dunklen Anzug, die Galeristin offenkundig, die an einem Tisch in der Nähe des Eingangs saß und die Wirtschaftsseite einer Tageszeitung las.

„Ich möchte den Schäfer kaufen“, sagte er, „Bild 97.“

Die Frau blickte von ihrer Zeitung auf und sah Lou aufmerksam an. „Ist leider unverkäuflich“, sagte sie bedauernd. „Herr Laub will kein einziges seiner Werke mehr verkaufen.“

„Warum?“, fragte Feldmann. „Stellt er nicht aus, um zu verkaufen?“

Die Galeristin zuckte die Schultern. „Fragen Sie den Künstler.“

„Kann ich seine Telefonnummer haben oder seine Adresse?“

„Können Sie nicht. Er hat uns verboten, sie weiterzugeben.“

Lou Feldmann fischte eine Visitenkarte aus seiner Jacke und reichte sie der Frau. Sie warf einen Blick darauf und sah dann ihn wieder aufmerksam an.

„Sagen Sie ihm, dass ich mit ihm reden muss“, bat Feldmann. „Ich will diesen Schäfer haben. Unbedingt. Ich will ihn in mein Lokal hängen.“

Er nickte ihr zu und ging.

Die Galeristin sah ihm nach, nahm ihr Handy und wählte. Niemand meldete sich. Sie beugte sich wieder über ihre Zeitung. In einer Viertelstunde würde sie es noch einmal versuchen. Und dann noch einmal. Irgendwann würde sie Laub erreichen.

Spätestens morgen, wenn er seine Bilder abhängen musste. Und wenn er nicht kam, würde sie ein paar Studenten von der Arbeitsvermittlung holen, einen Lieferwagen mieten und sie ihm nach Hause liefern lassen. Auf seine Kosten. Unverschämtheit genug, dass er seine Bilder hier ausstellte und die letzten Tage nicht mehr verkaufen wollte. Dabei lief die Ausstellung. Es war kein Verlust für die Galerie. Trotzdem hätten die Gewinne höher sein können.

4

Lou Feldmann stand in seinem Lokal und starrte auf die Wand, an die er die großformatigen Bilder des alten Schäfers gern gehängt hätte. Seit seinem Besuch in der Ausstellung waren vier Tage vergangen. Der Fotograf hatte sich noch nicht gemeldet. Weil es im Telefonbuch keinen Jakob Laub gab, konnte Feldmann von sich aus keinen Kontakt mit ihm aufnehmen. Schade, dachte er, das Bild an dieser Wand hätte was hergemacht. Und der Preis wäre auch in Ordnung gewesen. Aber lässt sich nun mal nicht ändern. Er wandte seinen Blick von der Wand, und sah hinüber zu dem Mann, der hinter dem Tresen die Bierleitungen spülte. Die übliche Prozedur. Kneipenroutine.

Die Tür zu seinem Büro stand offen. Feldmann konnte den Steuerprüfer sehen, der am Schreibtisch hockte und Quittungen und Rechnungen kontrollierte, in den Ablagen nachsah, in Aktenordnern wühlte. Feldmann war sauer. Diese Art von Schnüffelei hatte er auch in seinem Job bei der Mordkommission als widerlich empfunden. Als der Küchenwecker, den er auf den Tresen gestellt hatte, klingelte, ging er in die Küche, öffnete vorsichtig die Backröhre und wich dem heißen Dampf aus. Es roch gut. Er zog das Blech heraus. Sein Metzger hatte ihm all die Lammknochen gegeben, die er für seine Kundschaft auslösen musste. Lou ließ sie in der Backröhre rösten, löschte mit Wasser ab, schob das Blech zurück und schaltete die Temperatur ein wenig herunter. Die Knochen und die Fleischreste daran könnten noch drei Stunden vertragen. Heute Abend würde Dimitri Cordalis kommen. Und Lou hatte ihm Lammhaxen versprochen. Mit dem dunkelbraunen Jus, den er so mochte.

Feldmann ging zurück und stellte den Küchenwecker auf eine Stunde, dann wollte er wieder kontrollieren. Der Steuerprüfer war noch in seinem Büro beschäftigt. Der Leitungsreiniger aber hatte seine Arbeit zu Ende gebracht, stempelte im Kontrollbuch, unterschrieb. Feldmann bezahlte ihn bar. In der Tür stieß der Mann mit Remy Straub zusammen. Sie ließ ihn an sich vorbei, schloss hinter ihm die Tür und kam zu Lou hinter den Tresen. Wortlos schenkte sie sich ein Glas Wasser ein, trank ohne aufzusehen, betont langsam, müde. Auf Lou wirkte sie wie ein geprügelter Hund.

„Ich hab’s versaut“, sagte sie. „Abknickende Vorfahrtsstraße. Und dann hab ich auch noch einen Radfahrer übersehen.“

„Sowas kommt vor, Remy. Du hast noch mehr Versuche frei. Oder suchst du einen Job, bei dem du einen Führerschein brauchst?“

„Vorläufig noch nicht.“ Sie nahm das Kontrollbuch der Schankanlagenreinigungs-Firma, klappte es auf, sah die Unterschrift, klappte es zu, schob es in eine Schublade hinter dem Tresen. „Wer ist das in deinem Büro? Der Steuerberater?“

„Steuerprüfer“, sagte Lou.

„Hab ich mal wieder einen Bullen beleidigt oder einen Beamten vom Finanzamt?“

„Das letzte Mal war es ein Staatssekretär.“

„Ich höre immer, das Finanzamt sei unterbesetzt. Deshalb können sie die Großen nicht greifen. Aber für so etwas wie hier haben sie Zeit.“

Remy stellte sich vor die Kaffeemaschine. „Auch einen?“

„Später“, sagte Lou. „Wenn der da mein Büro wieder freigegeben hat. Jetzt kümmere ich mich erst mal um die Lammhaxen für heute Abend.“ Er sah Remy an, ihr immer noch bedrücktes Gesicht, legte seine Hand auf ihren Arm, hätte gern etwas Aufbauendes gesagt, etwas, was nicht nach Mitleid roch und nicht nach väterlichem Verständnis. „Verdammt“, sagte er, „ich hab vergessen, Schalotten zu besorgen.“

Remys Rücken straffte sich. „Ist es sehr eilig, Chef, oder kann ich erst noch meinen Kaffee trinken?“

„Sehr eilig nicht“, sagte Lou und ging an ihr vorbei in die Küche.

5

Jakob Laub hatte vor einer Woche seinen fünfundachtzigsten Geburtstag gefeiert. Er war gut drauf. Die Treppen zu seiner Altbauwohnung im vierten Stock schaffte er immer noch. Obwohl es – das musste er sich eingestehen – an manchen Tagen mit dem Schnaufen etwas mühsamer wurde. Bestimmt war es an die zwanzig Jahre her, dass er noch zwei Stufen auf einmal genommen hatte. Hier wohnte er seit fünfzehn Jahren. Aber vermutlich würde er ohnehin bald keine vier Stockwerke mehr hoch steigen müssen. Wenn er sich nicht entschließen konnte, Wohngeld zu beantragen. Seine Mittel gingen zu Ende. Er hatte Schulden. Und sein Leben lang noch nie irgendjemanden für sich bezahlen lassen. Schon gar kein Amt. Was drohte ihm schon? Die Parkbank? Er lächelte. Von seinen Auslandsreisen hatte er noch einen guten Schlafsack. Der war bereits in Sibirien mit dabei. Auch in Mexiko, auch in Gegenden, in denen es nachts bitterkalt wurde. In den Wüsten. Noch immer rieselte Wüstensand aus dem Schlafsack, wenn er ihn zum Lüften aufhängte. Er konnte den Sand nicht zurückverfolgen, nicht unterscheiden, wo er herkam. Aus der Sahara, der Gobi, oder aus Namibia? Vielleicht ließ ihn sein Gedächtnis allmählich im Stich. Aber der Schlafsack erinnerte sich.

Es klingelte.

Jakob Laub ging an den gegen die Wand gelehnten Stapeln seiner Bilder, die da standen, seitdem der Studentenservice sie von der Galerie abgeholt und zurückgebracht hatte, vorbei und drückte auf den Türöffner. Wahrscheinlich war es wieder eine Briefträgerin von einem privaten Zusteller, die keinen Schlüssel zu den Haustüren hatte.

Dann ging er ins Badezimmer und seifte seinen Dreitagebart ein.

Es läutete erneut. Diesmal definitiv an seiner Wohnungstür. Wer sollte ihm schreiben? Wer sollte ihm ein Paket schicken? Er ging hin und öffnete die Tür. Zwei Männer standen da, dreißig, vielleicht fünfunddreißig Jahre alt. Durchtrainiert. Kein überflüssiges Fett an den Hüften. Keine Bierbäuche. Keine Schwimmringe. Jakob Laub kannte solche Figuren. Er wollte die Tür zuschlagen. Doch da war ein Fuß dazwischen. Die Tür wurde gewaltsam aufgedrückt, so heftig, dass Jakob gegen die Wand flog und hinfiel.

Einer der Männer reichte ihm eine Hand, um ihm aufzuhelfen. Nach einigem Zögern nahm Jakob sie. Ich muss höllisch aufpassen, dachte er. Ich bin nicht mehr schnell genug. Und meine Knochen sind brüchig. Er wollte seine Hand zurückziehen, aber der Mann hielt sie fest.

„Mein Chef hat dir Geld geliehen für deine Ausstellung. Damit du die überhaupt machen kannst. Er war vor einigen Tagen dort und hat gesehen, dass unter vielen Fotos rote Punkte klebten. Du bist nicht billig. Also hast du gut verkauft und eine Menge Kohle gemacht. Warum bezahlst du dann nicht deine Schulden?“

„Ich werde mit ihm reden. Er wird es verstehen“, sagte Jakob vorsichtig. Er wollte seine Hand wiederhaben.

„Er will nicht reden. Er will sein Geld. Ihr habt einen Termin verabredet, der ist vorbei. Mein Chef ist großzügig. Er gibt dir noch drei Tage.“ Der Mann drückte Jakobs Hand fest zusammen. Sehr fest. Jakob stöhnte auf. Der Mann ließ los. Jakob sank erneut zu Boden.

„Drei Tage“, sagte der Mann leise, „sonst drücke ich dir auch noch deine andere Hand. Dann musst du deinen Hintern mit den Füßen abwischen.“

Sie gingen und ließen die Tür offen stehen.

Jakob hielt die schmerzende Hand mit der gesunden fest und versuchte aufzustehen. Dazu brauchte er eine ganze Weile. Er schloss die Wohnungstür und ging zurück ins Bad, betrachtete seine rechte Hand. Damit konnte er sich in der nächsten Zeit nicht rasieren. Und mit der Linken ging es nicht. Er wischte sich den Rasierschaum ab. Er würde sich einen Bart wachsen lassen.

6

Lou Feldmann hielt beim Schälen der Schalotten inne und wandte den Kopf, um durch die ausgehängte Tür zur Gaststube zu sehen, wer gekommen war. Ein älterer Herr, groß und hager, der mit dem Rücken zu ihm am Tresen stand und sich, ohne Remy zu beachten, prüfend umsah. „Kann ich was für Sie tun?“, fragte Feldmann und kam hinter den Tresen. Der Mann wandte sich zu ihm um, nahm nun ihn in den Blick und nickte. „Lou Feldmann? Ich bin Jakob Laub. Man hat mir gesagt, Sie wollen meinen Schäfer in Ihr Lokal hängen.“ Er sah sich noch einmal um. „Wohin?“

„An die Wand, auf die Sie gerade schauen.“

„Guter Platz“, sagte Laub zustimmend. „Manuel, so hieß der Schäfer, hätte sich gefreut.“

„Ist er tot?“

„Anzunehmen. Ich war noch jung, als ich das Foto gemacht habe. Damals habe ich mehr begriffen als heute.“

„Möchten Sie was trinken?“, fragte Remy. Der Gast imponierte ihr. Vielleicht achtzig. Hager. Gerader Gang. Charisma, dachte sie.

„Einen Whisky“, sagte Laub trocken und sah sie dabei an.

Feldmann bedeutete Remy mit einer Handbewegung, dass sie warten sollte, und ging in sein Büro.

„Könnten Sie den Stuhl einen halben Meter nach links rücken?“, fragte er den Steuerprüfer, „ich muss da ran.“ Er deutete auf ein Seitenfach seines Schreibtischs. Der Prüfer rutschte den Stuhl zur Seite. Lou öffnete das Fach und nahm eine Flasche heraus.

Der Steuerprüfer betrachtete das Etikett. „Zwanzig Jahre alter Malt-Whisky.“ Er fuhr mit dem Zeigefinger eine Liste entlang. „Der ist hier nicht aufgeführt.“

„Der ist privat. Der geht Sie nichts an.“

Feldmann ging zurück, nahm die Gläser vom Tresen, die ihm Remy hingestellt hatte und setzte sich mit Laub an einen Tisch.

Laub kostete vorsichtig, was Feldmann ihm eingeschenkt hatte, nickte. Die beiden stießen an, tranken.

Laub hielt das Glas ein wenig ungeschickt in der linken Hand und sog den Whisky auf einen Zug ein, als hätte er lange Zeit nichts mehr zu trinken bekommen. Er schmeckte im Gaumen nach. Er blickte auf die Flasche. Sie war noch halb voll. „Sie geben mir den Whisky und ich gebe Ihnen mein Bild.“

„Ich gebe Ihnen den Whisky und ich bezahle Ihnen das Bild zum Listenpreis.“

„Ich bin mit der Hälfte zufrieden. Die Listenpreise sind Galeriepreise. Galerien nehmen fünfzig Prozent, manche mehr.“

Feldmann schenkte ihm nach.

„Haben Sie deshalb nicht mehr in der Galerie verkauft?“

„Nein. Die fünfzig Prozent waren eine klare Abmachung.“

Laub wollte mit der rechten Hand nach dem Glas greifen, zögerte, nahm die Linke und führte damit das Glas zum Mund, ließ einen weiteren großen Schluck auf der Zunge und im Rachen zergehen.

„Was ist mit Ihrer Hand passiert?“, fragte Feldmann.

Laub kniff die Augen zusammen, wollte abwehren. Das ging niemanden etwas an. Aber er war fertig. Und er brauchte Hilfe. An einen Gott, der ihm beistehen würde, glaubte er nicht. Doch manchmal geschah ein Wunder und es tauchten Menschen auf, die halfen. Jetzt saß ein Mensch vor ihm. Mit einem Whisky, wie er ihn selten in seinem Leben getrunken hatte. „Es hat mir jemand ein wenig zu fest die Hand gedrückt“, sagte er.

In Lou Feldmann wurde der Bulle wach, der er einmal gewesen war. Der Instinkt, der ihn nicht verlassen konnte. Er musterte Laub, spürte seine Verzweiflung und seine Kümmernis. „Der Händedruck war nicht freundlich gemeint.“

Laub hatte keine Lust zu reden. Er nahm das Glas, trank noch einen kleinen Schluck.

Lou Feldmann spürte, dass Laub seine Wut, seinen Ärger zurückhielt. Dieser alte Mann hatte seine Hochachtung, aber nun war er neugierig geworden. „Warum haben Sie nicht mehr verkaufen wollen? Was ist passiert?“, hakte er nach.

Laub seufzte leise, dann gab er sich einen Ruck. „Ich musste einen Kredit aufnehmen für die Vergrößerungen, die Rahmen und Passepartouts. Die Ausstellung musste ja etwas hermachen, sonst hätte ich nicht ausstellen dürfen. Die Bilder haben sich gut verkauft. Ich hätte locker meine Schulden bezahlen können. Doch dann kam das Finanzamt. Da ich von früher noch Steuerschulden hatte, haben die mein Geld sichergestellt. Das heißt, die Galerie darf ihre Provision behalten, aber alles, was mir gehört, nimmt das Finanzamt. Mit den Verkäufen in der Galerie habe ich keinen einzigen Cent gemacht. Noch nicht einmal meinen Kreditgeber konnte ich bezahlen.“

„Ein privater Geldverleiher?“

„Ich habe kein Konto auf einer Bank.“

„Wie zahlen Sie Ihre Miete?“

„Bar. Aber die nächste Miete kann ich nur zahlen, wenn Sie mir den Schäfer abkaufen.“

„Wer ist dieser Kreditgeber?“

„Wozu wollen Sie das wissen?“

Feldmann sah hinüber in sein Büro, in dem noch immer der Steuerprüfer über den Belegen und Akten hockte und sich wichtig vorkam. „Er heißt nicht zufällig Cordalis?“, fragte er leise. Immerhin hatte Dimitri Cordalis ihn auf diese Ausstellung aufmerksam gemacht.

Laub nickte. „Doch.“ Er sah auf sein Glas. Lou schenkte ihm nach.

„Sie kennen ihn?“, fragte Laub vorsichtig. „Woher?“

Feldmann nickte. „Er war mit dem Mann befreundet, von dem ich dieses Haus geerbt habe.“ Er nahm einen kleinen Schluck aus seinem Glas. „Kann ich das Bild heute noch haben?“

„Wie soll das so schnell gehen?“, fragte Laub unsicher. Das Bild war in Wedding, bis er da war, würde eine Weile vergehen und wie sollte er das Bild hierher bringen. Er hatte nicht das Geld für einen Transporter.

Der Küchenwecker auf dem Tresen klingelte.

Feldmann stand auf. „Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen.“ Er ging in die Küche, überprüfte die Fleischknochen im Herd, goss Rotwein nach und Wasser, schloss die Backröhre, ging zu einem Kühlschrank, entnahm aus dem Butterfach eine Geldbörse, steckte sie ein, ging in die Gaststube zurück, stellte den Küchenwecker neu, setzte sich wieder zu Laub. Er nahm die Geldbörse, zählte Scheine ab, legte sie vor ihn hin, legte einen weiteren Schein oben drauf. „Der ist für Ihr Taxi. Fahren Sie nach Hause. Ich schicke Ihnen meinen Neffen vorbei. Er wird Ihr Bild holen.“

Laub zählte die Scheine. Es gibt doch noch Wunder, dachte er. Das reicht für drei Mieten. Er sah Lou an. „Ich heiße Jakob.“

Feldmann sagte: „Lou.“ Er sah zu Remy, die hinter dem Tresen stand und Gläser polierte. „Remy, rufst du ein Taxi, bitte, und wenn du schon dabei bist, ruf auch gleich Manu an. Oder nein, das mache ich, mit dem rede ich selbst.“

„Wollen wir das begießen?“, fragte Laub. Er konnte sein Glück immer noch nicht fassen.

„Jetzt nicht“, sagte Feldmann, „nehmen Sie die Flasche mit. Sie geben mir Ihre Adresse, fahren nach Hause und warten auf meinen Neffen, der den Schäfer abholen wird.“

7

Manu Feldmann stand am Tresen und sah hinüber zu dem Zweier-Tisch, an dem Dimitri Cordalis und Lou unter dem Bild des Schäfers, das er mit einem Leihwagen bei Jakob Laub abgeholt und hier aufgehängt hatte, saßen. Nachdem er den Wagen zurückgegeben hatte, war er eiligst nach Dahlem gefahren, um Dimitri Cordalis abzuholen und hierher zu bringen. Er war sein Chauffeur. Die Schulden, die er bei Dimitri gehabt hatte, waren längst abgearbeitet. Aber Dimitri hatte ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte. Manchmal, wenn es ihm in den Kram passte, konnte Cordalis großzügig sein.

„Tolles Foto“, sagte Cordalis und sah immer wieder zu dem Bild hoch, „und ein toller Platz.“

„Ein toller Fotograf, den du mir da empfohlen hast“, sagte Feldmann.

„Mich hat er ein wenig enttäuscht. Oder vielleicht habe auch ich mich in ihm getäuscht“, antwortete Cordalis.

Remy Straub kam aus der Küche und servierte Lammhaxen mit Rosmarinkartoffeln. Cordalis ließ sich einen Löffel bringen und kostete die dunkelbraune, sämige Soße. Ein Leuchten ging über sein Gesicht. „Aydin?“, fragte er.

„Gemeinschaftsarbeit“, sagte Feldmann bescheiden, „wir lernen voneinander.“ Tatsächlich war er Remy immer noch dankbar, dass sie ihm Aydin damals als Küchenhilfe angebracht hatte. Ganz davon abgesehen, dass die beiden Freundinnen ein Superteam waren, auf das er sich hundertprozentig verlassen konnte.

Cordalis kostete von der zarten Lammhaxe, schmeckte, kostete die Rosmarinkartoffeln, deutete eine Verbeugung an. „Einsame Klasse. Die beste Lammhaxe und die besten Rosmarinkartoffeln von Berlin.“

Feldmann fing an zu essen. Ihm schmeckte es auch.

„Freut mich, dass es dir schmeckt, Dimitri, freut mich, dass dir das Bild gefällt“, sagte er. „Aber warum hat dich der Fotograf enttäuscht?“

„Ich hab ihm diese Ausstellung ermöglicht. Ich hab ihm das Geld dafür gegeben. Geliehen, meine ich. Er hat gut verkauft. Aber er zahlt mir mein Geld nicht zurück.“

„Er kann nicht, Dimitri. Das Finanzamt hat die Finger drauf. Die Galerie hat verdient. Aber er keinen Cent.“

Cordalis sah Feldmann an. „Das wusste ich nicht.“ Er klang ehrlich.

„Du hast ihm deine Geldeintreiber geschickt.“

„Ich habe ihnen gesagt, sie sollen mit dem alten Mann zart umgehen. Haben sie das nicht getan?“

„Sie haben ihm die Hand gegeben. Vielleicht hat er sich dabei ein paar Knöchel gebrochen.“

„Verdammt nochmal, warum hat er mich nicht einfach angerufen. Er hat meine Nummer.“

„Vielleicht hat er sich einfach nicht getraut. Er kennt deinen Ruf.“

„Also soll ich das Geld abschreiben“, sagte Cordalis, legte das Besteck hin und sah Feldmann an. „Wenn ich das tue, lachen mich alle meine Schuldner aus. Keiner wird mehr seine Schulden bezahlen.“

„Iss weiter“, sagte Feldmann. Er aß auch. Er schenkte Cordalis aus der Rotweinflasche nach, die auf dem Tisch stand.

---ENDE DER LESEPROBE---