Ausstieg - Elfi Hartenstein - E-Book

Ausstieg E-Book

Elfi Hartenstein

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Beschreibung

Jahrzehntelang hat die Berliner Polizei vergeblich versucht, „Einbrecherkönig“ Jens Andersen zu schnappen. Jetzt hat der mittlerweile 80-Jährige seiner schwerkranken Frau Sterbehilfe geleistet. Für die Beamten ein willkommener Anlass, Andersen endlich festzunehmen. Doch Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann weigert sich und stellt sich gegen seine Kollegen. Auch die 23-jährige Remy Straub, die bei einem Drogentoten aufgegriffen wird, lässt er laufen. Als die junge Frau in Zusammenhang mit einem Mord wieder auftaucht, hilft Feldmann ihr unterzutauchen und muss sich endgültig entscheiden, auf welcher Seite er steht. Da erhält er ein überraschendes Angebot …

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

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Die Autoren

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte sind die Autoren verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autoren.

© 2024 Elfi Hartenstein, Horst Vocks · elfi-hartenstein.de

2. komplett neu überarbeitete Auflage

Alle Rechte vorbehalten.

Elfi Hartenstein, c/o easy-shop, Kathrin Mothes, Schloßstraße 20, 06869 Coswig (Anhalt)

Covergestaltung: Edgar Endl · booklab gmbh

Bildquellen: #100995507 | AdobeStock

Foto Autoren: Michael Bry

Satz u. Layout / E-Book: Büchermacherei · Gabi Schmid · buechermacherei.de

Print: 978-3-757-99517-1EBook: 978-3-757-99483-9

1

Wieder ein Totgefixter, dachte Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann, als er aus dem Wagen stieg und am Ufer des Landwehrkanals die Streifenwagen stehen sah. Ich möchte nur wissen, warum sie immer mich holen. Sein Blick glitt noch kurz hinüber zum Maybachufer und zu dem dort ankernden Ausflugsboot, das noch keine Touristen an Bord hatte, bevor er sich einen Ruck gab und auf die Gruppe unterhalb des Café Übersee zuging.

Lou Feldmann nickte den Uniformierten zu, er kannte sie, es waren Fischer und Kramm, zuverlässige, unaufgeregte Kollegen. Er betrachtete die junge Frau, die auf dem Boden hockte, den Kopf des toten Fixers im Schoß. Eine Pietà der anderen Art. Ihre Hände waren mit einer Acht gefesselt. „Warum die Fesseln?“ fragte Feldmann.

Der jüngere der beiden Polizisten hielt ihm den Ausweis der Frau hin. „Nur für den Fall, dass sie es sich anders überlegt“, sagte er. „Remy Straub – sie steht auf der Fahndungsliste.“

Feldmann warf einen Blick auf den Ausweis, ging zu der Frau hin und musterte sie. Schmal, kurze schwarze Haare, ärmelloses T-Shirt, Shorts, Sandalen. Neben ihr ein kleiner gelber Rucksack. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig.

Die Frau sah ihn an. „Darf ich bei ihm bleiben, bis er abgeholt wird?“ Ihre Stimme leise, nicht unangenehm.

Feldmann musterte sie weiter. Offener Blick. Klare Augen. Pupillen normal. Keine Einstichstellen an den Armen. Keine an den Füßen. „Sie selbst hängen nicht an der Nadel“, stellte er fest. „Sind Sie deshalb nicht abgehauen, bevor wir gekommen sind?“

Sie antwortete nicht, hielt nur den Kopf des Toten mit einer ungewöhnlichen Zärtlichkeit umfasst. Feldmann deutete auf den kleinen Rucksack und sah fragend zu Fischer und Kramm. Fischer schüttelte den Kopf. „Nichts“, sagte er, „zwei Taschenbücher, Turnschuhe, ein dünnes Regencape.“

Feldmanns Handy klingelte. Er holte es aus der Jacke, hörte zu, warf einen Blick auf seine Uhr. „Mindestens zehn Minuten, falls ich nicht in einen Stau komme.“ Als er Kramm den Ausweis zurückgab, sagte er: „Lasst sie bei ihm sitzen, bis er abgeholt wird.“

Wider Erwarten kam er glatt nach Friedenau durch. Er musste nicht einmal das Blaulicht aufstecken.

In der Wielandstraße stellte er seinen Wagen halb auf den Gehsteig. Es war noch Platz genug um vorbeizugehen, aber ein alter Mann hatte es mit der Ordnung und schlug mit seinem Krückstock auf die Motorhaube. Feldmann schaute ihn dabei mit einem so gleichgültigen Blick an, dass dem Alten angst und bange wurde. Kopfschüttelnd ging er schnell weiter. Lou Feldmann dagegen zögerte noch auszusteigen. Er war müde. Er wollte keine Toten mehr sehen. Keine Täter. Keine Opfer. Er wollte keine Fragen mehr stellen müssen. Schließlich stieg er doch aus. Neben einer anscheinend seit längerem geschlossenen Eckhaus-Kneipe stand eine Haustür offen. Ein überraschend helles, breites Treppenhaus, im ersten Stock eine nur angelehnte Wohnungstür. Auf dem Klingelschild stand: Andersen. Er ging in die Wohnung hinein. Gepflegt. Parkett. Alte Möbel. Jugendstilgarderobe. Es roch nach Tod. Im Wohnzimmer machte der Polizeifotograf Michael Klein eine letzte Aufnahme, dann packte er seine Sachen zusammen, nickte Feldmann, der in der Tür stehen geblieben war, zu und zwängte sich an ihm vorbei nach draußen. Jetzt war der Blick frei auf einen alten Mann, der auf einem Stuhl vor einer Jugendstilcouch saß, auf der eine tote alte Frau lag. Joe Becker, der Rechtsmediziner, stand am Wohnzimmertisch, schloss seine Tasche und blickte Feldmann aus gutmütigen braunen Dackelaugen an. „Herr Andersen hat uns selbst gerufen. Seine Frau hat Zyankali geschluckt. Er sagt, er hat es ihr gegeben. Sieht nicht nach Gewaltanwendung aus.“ Er hob wie entschuldigend die Schultern, nahm seine Tasche und verließ die Wohnung.

Lou Feldmann betrachtete die Szene. Die tote Frau Andersen auf der Couch – er schätzte sie auf achtzig Jahre –, ganz entspannt schien sie dazuliegen. Andersen, etwa im gleichen Alter, starrte hinunter auf den chinesischen Seidenteppich, als könne er etwas Neues in den Mustern erkennen.

„Stimmt das?“ fragte Feldmann.

„Was?“

„Dass Sie ihr das Zyankali gegeben haben?“

Andersen brauchte eine Weile um zu antworten. „Sie hat das Morphium nicht mehr vertragen. Sie hat geschrien vor Schmerzen. Sie wollte nicht mehr. Es ging um Tage, vielleicht auch noch Wochen. Ich habe ihr geholfen.“

„Musste es unbedingt Zyankali sein?“

„Ich habe nichts anderes bekommen.“ Andersen stand auf, hielt ihm die ausgestreckten Hände für die Handschellen hin.

Feldmann schüttelte den Kopf. „Nein.“ Er legte eine Visitenkarte auf den Tisch. „Kommen Sie morgen Nachmittag bei mir vorbei. Wir müssen ein Protokoll machen.“

2

„Hier ist eine Zeugenaussage zum Iwanowa-Mord“, sagte Hauptkommissarin Eva Hennings, als sie, in der Hand einen Schnellhefter, Feldmanns Büro betrat. Hennings, eine leicht untersetzte Mittdreißigerin mit glattem kurzen braunen Haar und ungeschminktem blassen Gesicht war seine zuverlässigste Mitarbeiterin. Lou Feldmann stand am Fenster und schaute hinaus. Wie hieß das noch, dachte er: Es ist überall schöner, als da, wo wir sind? Er drehte sich nicht um, bedeutete Eva nur mit einer Geste, dass sie die Papiere auf seinen Schreibtisch legen sollte. Dort lag eine Menge unerledigter Akten. Eva platzierte die Zeugenaussage oben auf den Stapel und verließ wortlos den Raum. Sie hatte in den vergangenen Jahren Lou Feldmann gut genug kennen gelernt, um zu wissen, dass er, wenn er seinen Gedanken nachhing, besser nicht gestört wurde. Ihre Zusammenarbeit wurde dadurch nicht weniger intensiv. In der Tür traf sie mit Hauptkommissar Klaus Winkler zusammen. Eva Hennings ließ den Kollegen vorbei und schloss die Tür hinter ihm. Winkler, der kurzhaarige, früh ergraute Melancholiker, stellte sich neben Lou ans Fenster und blickte wie er hinaus auf die Straße.

„Ist dir dein Kellerloch zu ungemütlich geworden oder gibt’s was Besonderes?“, fragte Feldmann nach einer Weile. Winkler gehörte zu den Kollegen der Polizeidirektion 1, die wegen Umbaumaßnahmen vorübergehend beim LKA in der Keithstraße in die Kellerräume einquartiert worden waren.

„Warum hast du Andersen nicht festgenommen?“ fragte Winkler zurück.

„Bist du extra hierher gekommen, um mich das zu fragen?“

„Warum hast du Andersen nicht festgenommen?“ fragte Winkler noch einmal.

„Warum hätte ich das tun sollen?“

„Er hat seine Frau umgebracht.“

„Er hat ihr beim Sterben geholfen.“

„Auch das ist strafbar.“ Winkler klang seltsam erleichtert, als er hinzusetzte: „Zum Glück. Denn jetzt haben wir endlich was gegen ihn in der Hand.“

„Wieso endlich?“ fragte Feldmann und sah ihn immer noch nicht an.

„Weißt du das nicht? Wo wir doch seit zwanzig Jahren hinter ihm her sind. Andersen ist ein Spitzeneinbrecher, internationales Format. Schmuck, Antiquitäten, Bilder. Er hinterlässt nicht die kleinste Spur. Hausdurchsuchungen bei ihm waren immer erfolglos. Vor ungefähr zwei Jahren hat er anscheinend aufgehört. Jetzt, heißt es, arbeitet er im Milieu als Schlichter.“

„Andersen ist über 80“, sagte Feldmann. „Kein Wunder, dass er aufgehört hat.“ Er machte eine halbe Drehung vom Fenster weg, schaute Winkler, der sich ihm zugewendet hatte, direkt in die Augen. „Wenn ihr über die Jahre vermasselt habt ihn einzubuchten, dann erwarte das jetzt nicht von mir. Ich bin für Mord zuständig. Und für alte Männer, die keinem mehr was tun, ist es das Altenheim.“

Winkler schnaubte auf. „Es war Mord, wenn Andersen seiner Frau Sterbehilfe geleistet hat. Er hat sie umgebracht. Also bist du zuständig. Das kannst du nicht wegdiskutieren.“

„Ich habe nicht vor, irgendetwas zu diskutieren. Mach du deinen Job. Ich mache meinen.“

Ohne Lou Feldmann noch eines Blickes zu würdigen, wandte Winkler sich zum Gehen. Feldmann sah ihm nach. Als Winkler nach der Türklinke griff, fragte er: „Was liegt eigentlich gegen diese Remy Straub vor, die heute Morgen in Kreuzberg aufgegriffen wurde?“

Winkler blieb stehen, drehte sich um, er schien verwundert. „Junkie-Braut. Einbrüche. Beschaffungskriminalität. Strich. Kontakte zum Organisierten Verbrechen. Was interessiert dich denn an dieser kleinen Nutte?“

Lou Feldmann zog die Augenbrauen in die Höhe, hob die Schultern. „Ich finde nur, für eine kleine Nutte hat sie ziemlich viel Format gezeigt. Hat mir imponiert, dass sie sitzen blieb, um ihren toten Freund im Arm zu halten, statt vor uns davonzulaufen.“

Winkler winkte ab. „Vergiss es. Ich bin froh, dass wir sie jetzt aus dem Verkehr gezogen haben. Wieder eine weniger auf der Straße …“ Er öffnete die Tür. „Aber das mit dem Andersen, das lass ich dir so nicht durchgehen. Den wollen wir auf jeden Fall haben. Der hat uns sein Leben lang verarscht.“

Als Winkler fort war, warf Feldmann einen kurzen Blick auf die von Eva Hennings oben auf den Aktenstapel gelegten Papiere, konnte sich aber nicht entschließen, sich damit zu befassen. Der Iwanowa-Mord, entschied er, hatte Zeit bis später. Im Moment ging es erst einmal um einen Mord, der keiner war. Denn wenn er sich um den nicht kümmerte, das wusste er jetzt, gab es in absehbarer Zeit einen absehbaren Konflikt mit absolut nicht absehbaren Folgen. Also griff er nach seiner Jacke und machte sich auf den Weg.

3

Dr. Alfons Berg stand mit dem Rücken zur Tür, als Feldmann nach kurzem Anklopfen den Raum in der Moabiter Pathologie betrat. Er drehte sich um, nickte Lou zu, forderte ihn mit einer Handbewegung auf, näher zu treten. Der Rechtsmediziner, der schon seit Jahren aussah als wäre er längst in Rente, schlug das weiße Tuch zurück, unter dem die tote Frau Andersen auf dem Tisch lag, so dass Kopf und Schultern zu sehen waren. „Schau dir das an“, sagte er zu Feldmann, „dieses schöne Gesicht.“ Sanft strich er mit seinem Zeigefinger darüber. „Diese Falten. Diese Ausstrahlung auch noch im Tod. Das hat sie nicht geschenkt bekommen. Das hat sie sich verdient.“ Er trat einen Schritt zurück und verneigte sich leicht vor ihr: „Chapeau.“

Feldmanns Blick wanderte von der Toten zu Berg. Er nickte stumm. Der Leichengeruch war ihm zuwider. Die Kühle im Raum machte es auch nicht besser. „Und?“ Als Berg nicht sofort antwortete, setzte er nach: „Nun sag schon, Alfons, was hast du herausgefunden?“

„Magenkrebs Endstadium. Muss große Schmerzen gehabt haben. Reine Barmherzigkeit von dem Mann, ihr das Zyankali zu geben. Ich finde es zum Kotzen, dass du da ermittelst. Wenn du mich fragst, ich bin nicht der Meinung, dass er was Unrechtes gemacht hat.“

„Ich darf dich leider nicht fragen“, sagte Lou Feldmann bedauernd. Berg begleitete ihn zur Tür, legte ihm eine Hand auf den Arm. „Ich verstehe, dass du sauer bist. Ich wär’s auch.“ Ein Blick des Einverständnisses zwischen ihnen.

„Du würdest es auch tun“, sagte Feldmann. Berg nickte. „Wenn du jemanden wirklich liebst …“

Bergs Worte begleiteten Lou Feldmann auf die Straße hinaus. Was für ein Irrsinn, dachte er, in einem Beruf zu arbeiten, der einen zwingt, selbstverständlichste menschliche Regungen wie Mitgefühl und Liebe als Verbrechen zu behandeln. Wie abgestumpft muss man sein, wie selbstgerecht, um Paragrafen über Empathie stellen zu können. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

4

Vor dem Altbau in der Friedenauer Wielandstraße war ein Parkplatz frei. Feldmann parkte ein. Der Alte mit dem Krückstock war wieder da und auf dem Gehsteig stehen geblieben. Als Feldmann ausstieg, sagte er: „Sie sind lernfähig.“

Sofort ärgerte Feldmann sich, dass er nicht auf dem Gehsteig geparkt hatte. Ohne auf die Bemerkung des Alten einzugehen, ging er zur Haustür und drückte auf Andersens Klingelschild.

Der Alte beobachtete ihn. Er machte ein paar Schritte auf Feldmann zu. „Seine Frau ist gestern gestorben.“

Feldmann klingelte erneut. Als wieder keine Reaktion erfolgte, sah er den Alten an. „Sie kennen sich in dem Viertel aus.“

Jetzt kam der Alte ganz heran. Er strich sich mit der Hand über die Glatze. Seine kleinen Augen funkelten. „Meine Mutter hat mich schon im Kinderwagen hier entlang geschoben. Und hier werde ich entlang gehen, bis ich nicht mehr laufen kann.“

„Das heißt, die Andersens kennen Sie auch?“

„Wie nicht? Die wohnen hier ja auch schon seit Jahrzehnten. Sind immer Hand in Hand gegangen. Überall hin Händchen haltend. Ich weiß nicht, ob ich das rührend finden soll oder peinlich.“ Er schüttelte den Kopf. „Tut mir wirklich leid, dass er jetzt allein ist, der Alte.“ Er stieß mit seinem Krückstock die Haustür auf. „Bestimmt sitzt er in seiner Kneipe.“ Er machte eine Kopfbewegung zu den heruntergelassenen Jalousien neben der Haustür und deutete mit dem Stock in den Flur hinein. „Hintereingang.“

Feldmann nickte dem Alten zu und ging ins Haus.

Jetzt bemerkte er die Tür im Erdgeschoss, die offenbar zur Kneipe führte. Als er gestern zu Andersen in die Wohnung hochgestiegen war, hatte er sie nicht beachtet. Er klopfte. Keine Reaktion. Er öffnete die Tür, die unverschlossen war, und rief: „Herr Andersen?“ Nichts rührte sich. Schwaches Licht fiel von hinten in den Flur, in dem Bierkästen und Fässer gestapelt waren. An ihnen vorbei gelangte Feldmann in eine sauber aufgeräumte Küche und von dort in den Gastraum. Über dem Tresen brannte eine schwache Lampe. Davor saß Andersen auf einem Barhocker. Er schien vor sich hin zu sinnieren, nichts um sich herum wahrzunehmen. Einen Augenblick lang verharrte Feldmann, betrachtete ihn, nicht ohne sich dabei vorzukommen wie ein Eindringling, ein ungebetener Gast. Dann machte er ein paar Schritte vorwärts und stellte sich neben Andersen. „Herr Andersen“, sprach er ihn leise an, fast so als habe er Angst, ihn zu stören, „wenn Sie nicht zu mir kommen, komme ich zu Ihnen.“

Andersen hob den Kopf und sah Feldmann müde an. „Sie wollen mich verhaften?“, fragte er. Seine Stimme war brüchig, tonlos.

Feldmann schüttelte sanft den Kopf. „Nein. Der Staatsanwalt vielleicht. Oder Kollegen. Ich nicht. In meinen Augen haben Sie keine Straftat begangen.“

„Was wollen Sie dann von mir?“

„Sie sollen mir helfen, ein Protokoll zu schreiben.“

Andersen griff über den Tresen, nahm die Whiskyflasche, die dahinter stand, goss sich nach, ließ die Flasche auf dem Tresen, angelte mit derselben Hand neben der Spüle nach einem zweiten Glas und schob es wortlos vor Feldmann hin. „Schreiben Sie doch, was Sie wollen oder was Sie müssen. Wo ist das Problem?“

Feldmann schenkte sich ein. Er hielt das Glas fest, ohne es anzuheben, betrachtete Andersens müdes Gesicht. Wahrscheinlich hat er die ganze Nacht nicht geschlafen, dachte er. Wäre kein Wunder. Seine Frau ist gestern gestorben. Als er sein Glas zum Mund führen wollte, bemerkte er den Briefbogen, der zwischen ihm und Andersen lag. „Schlechte Nachrichten?“, fragte er.

Andersen nahm einen Schluck. „Metastasen überall.“ Er sah Feldmann nicht an. „Drei bis fünf Monate …höchstens. Kann auch schneller gehen. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich nicht nur eine Portion Zyankali besorgt. Dann wären wir wenigstens gemeinsam gestorben.“

Feldmann kippte den Inhalt seines Glases mit einem Schluck hinunter, griff erneut nach der Flasche, schenkte erst Andersen, dann sich wieder ein. „Haben Sie Angst?“

„Angst wovor? Vor dem Knast oder vor dem Sterben?“

Während Feldmann noch Andersens Frage nachlauschte, hörte er jemanden in den Flur hinter der Küche kommen. Eine tiefe männliche Stimme rief: „Andersen, bist du da?“ Dann stand ein untersetzter Mann mit großem, grauen Schnauzbart und borstigen grauen Haaren in der Tür und klopfte gegen den Rahmen.

Andersen machte eine Kopfbewegung zu Feldmann hin. „Darf ich vorstellen? Hauptkommissar Lou Feldmann. Mordkommission. Dimitri Cordalis. Eigentümer mehrerer Lokalitäten und mein Freund. Trinkst du was, Dimitri?“

Dimitri Cordalis musterte Feldmann genau, sah wieder zu Andersen hin, schüttelte den Kopf. „Andersen, das mit deiner Frau tut mir leid. Kann mir ungefähr vorstellen, wie hart das war für dich.“

Wie meint er das, dachte Feldmann, wenn er sagt, ‚wie hart das war für dich‘? Weiß er Bescheid? Oder hat er sich nur im Tempus vergriffen? Könnte ja auch sein.

Als er sich wieder auf das Gespräch konzentrierte, hörte er Cordalis sagen: „Ich brauche dich, Andersen. Wann kannst du kommen?“

Andersen schüttelte den Kopf. „Gar nicht. Ich kann nicht mehr. Ihr müsst euch einen anderen Schlichter suchen.“

„Dein letztes Wort?“ Cordalis’ Blick wanderte erneut von Andersen zu Feldmann und wieder zu Andersen.

„Tut mir leid“, sagte Andersen.

„Mir auch.“ Cordalis klopfte mit dem Fingerknöchel auf die Theke, drehte sich um und ging. Vom Flur her rief er zurück: „Lass mich wissen, falls ich irgendwas für dich tun kann.“

Feldmann trank einen Schluck. „Also kein Protokoll?“

Andersen schüttelte den Kopf. „Macht Ihnen das Probleme?“

Feldmann zuckte die Schultern. „Ihnen vielleicht.“

5

Zurück im LKA steuerte Lou Feldmann sein Büro an, ohne nach rechts und links zu schauen. Er war froh, die Tür hinter sich zuziehen zu können. Aufatmend ließ er sich in seinen Sessel sinken und begann, den Blick auf die von Eva Hennings ordentlich aufeinander gestapelten Unterlagen gerichtet, augenblicklich zu grübeln. Nach wenigen Minuten stemmte er sich wieder in die Höhe, streckte sich, wendete sich vom Schreibtisch ab und stellte sich ans Fenster.

Wann, fragte er sich, hat es angefangen, dass ich ständig aus dem Fenster schaue und dem Schreibtisch lieber meinen Rücken zuwende? Wann habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass ich nur dazu da bin, eine Ordnung aufrecht zu halten, die nur denen nutzt, die eh schon von allem zu viel haben? Wann war ich mir zum ersten Mal nicht mehr sicher, ob es so etwas wie persönliche Schuld überhaupt gibt? Ob ein Täter überhaupt schuldig sein kann? Wann haben sich bei mir die Konturen zwischen Gut und Böse verwischt? Wann kamen die Zweifel?

Antworten fand er keine. Das Einzige, was er mit einiger Sicherheit zu wissen glaubte, war, dass er zwar immer noch Moralist war, dass aber seine Moral nur mehr wenig gemein hatte mit der seiner Kollegen.

„Wollen Sie springen?“ fragte Staatsanwalt Benno Roth, als er, Hauptkommissar Klaus Winkler im Schlepptau, ohne anzuklopfen Lou Feldmanns Büro betrat.

„Ich warte darauf, dass mir Flügel wachsen“, sagte Feldmann und drehte sich um. „Dann werde ich mit großem Gelächter über diese ganze Trübsal hinwegfliegen.“

„Sie werden fliegen“, sagte der Staatsanwalt trocken, „wenn Sie ihren Job nicht machen.“

Feldmann musterte den Staatsanwalt, den er noch nie hatte leiden können. Der schöne Ehrgeizling – gut zehn Jahre jünger als er, immer korrekt gekleidet, mit dunkler Hornbrille, die seine Wichtigkeit eindrucksvoll hervorhob – gehörte in seinen Augen zu den Menschen, die ihr glattes Babygesicht nie verloren, weil sich nie Konturen in ihren Gesichtern abzeichneten. Weil sie anstelle von Konturen nur ihren Opportunismus hatten. „Können Sie sich der Abwechslung halber mal klar ausdrücken?“ fragte er. „Und verraten Sie mir dabei doch bitte auch, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich meinen Job nicht mache.“

Roth zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wie ich höre, weigern Sie sich, Andersen festzunehmen.“ Wenn es etwas gab, was Feldmann an ihm noch mehr verabscheute als sein Babyface und sein geschniegeltes Äußeres, dann war es diese überaus wohl modulierte Stimme.

„Das sieht Kollege Winkler völlig richtig“, sagte er. „Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun.“

„Es geht nicht um einen Gefallen.“ Der Staatsanwalt entnahm seiner Mappe einen vorgedruckten Bogen und legte ihn auf Feldmanns Schreibtisch. „Aber um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern, habe ich vom Ermittlungsrichter schon mal einen Haftbefehl ausstellen lassen.“

„Tut mir leid.“ Feldmann wandte sich demonstrativ wieder dem Fenster zu. „Ich sehe keinen Grund für eine Festnahme. Wenn Kollege Winkler das anders sieht, dann soll er doch Andersen festnehmen.“

Nicht dass er glaubte, Roth damit loszusein. Er wusste, wie hartnäckig der Staatsanwalt auf seiner Position bestehen konnte. Und in diesem Fall brauchte Roth noch nicht einmal besonders geschickt zu argumentieren, er saß einfach am längeren Hebel. Seine Stimme klang denn auch unüberhörbar zufrieden, als er sagte: „Falsch. Nicht Kollege Winkler wird Andersen festnehmen. Sie werden das selbst tun, Herr Kriminalhauptkommissar Feldmann. Und außerdem möchte ich, dass Sie diese Junkie-Braut Remy Straub vernehmen. Mit uns redet sie nämlich nicht. Nur mit Ihnen, hat sie gesagt. Wir brauchen Informationen über Hintermänner zu den Einbruchserien, in die sie verwickelt ist.“

Feldmann zuckte die Schultern. „Das ist nicht mein Job. Ich bin nicht beim Einbruch.“

„Das ist eine dienstliche Anweisung.“ Roths Stimme wurde schärfer. „Also werden Sie verdammt nochmal tätig. Schönen Tag noch.“

Als die Tür hinter dem Staatsanwalt ins Schloss fiel, drehte sich Feldmann um und nahm Klaus Winkler in den Blick.

Der sah ihn mit einem Anflug von Verzweiflung an. „Warum sperrst du dich so, Lou? Warum kannst du nicht ab und zu von deinen hehren Prinzipien abweichen? Du hast doch schon genug Abmahnungen gekriegt.“

Feldmann hob genervt die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Auf eine mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.“

Winkler schüttelte den Kopf. Er wirkte unentschlossen. Ob er es gut mit Lou meinte oder ihm lieber eins auswischen wollte. „Du weißt doch selbst, dieser Staatsanwalt ist gefährlich.“ Es klang ein wenig hilflos und drohend gleichermaßen. „Der hat schon ganz andere Kollegen geschafft. Also mach dir das Leben nicht unnötig schwer.“

„Kümmere dich um dein Leben, nicht um meins.“ Feldmann war nicht bereit, sich einwickeln zu lassen. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür, öffnete sie und blickte Winkler auffordernd an. „Lass mich in Ruhe.“ Klaus Winkler zuckte bedauernd die Schultern, machte den Mund auf und wieder zu und ging dann doch wortlos an ihm vorbei nach draußen. Lou Feldmann schloss hinter ihm die Tür, ging zu seinem Schreibtisch, hob die Hand, als wolle er die Akten von der Tischplatte wischen, zögerte aber, ließ die Hand wieder sinken und stellte sich erneut ans Fenster. Er drückte die Stirn gegen die Scheibe. Ich muss fliegen lernen, dachte er.

6

Es war früher Nachmittag, als Lou Feldmann neben dem vergitterten Fenster des Besucherraums im Moabiter Frauengefängnis lehnte, Rücken zur Wand, Gesicht zur Tür, und sich zwang ruhig zu atmen. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit hatte er bei Knastbesuchen immer regelrechte Anflüge von Klaustrophobie und Panik gehabt, wenn ein Vollzugsbeamter hinter ihm die Tür abschloss. Dieses Gefühl kannte er heute noch.

Eine kleine, dicke, wendige, nicht mehr ganz junge Vollzugsbeamtin führte Remy Straub herein. Straub trug Gefängniskleidung, ihr Haar war strähnig und ungepflegt.

„Lassen Sie uns allein“, sagte Feldmann. „Bitte.“

Die Vollzugsbeamtin sah ihn an, schätzte ihn ab, nahm Remy Straub in den Blick, zuckte die Schulter. „Ihr Risiko“. Sie verließ den Raum, die Tür wurde hinter ihr abgeschlossen.

Feldmann und die Gefangene musterten sich gegenseitig.

„Sie sind in U-Haft“, sagte er schließlich. „Warum die Uniform?“

„Meine Zivilklamotten sind kaputt gegangen, als ich die Gitter und die Türen sah.“ Remy Straub lachte auf. Ein bitteres Lachen.

Lou Feldmann wollte nicht weiter darauf eingehen. „Sagen Sie mir, warum Sie nicht abgehauen sind, bevor die Polizei kam?“, fragte er stattdessen ruhig.

„Ich konnte nicht weg. Das war mein Freund. Der einzige, auf den ich mich je verlassen konnte.“

„Ist mir neu, dass man sich auf einen Junkie verlassen kann.“

„Es war meine Schuld, dass er an die Nadel kam“, sagte Remy Straub leise. Dann nahm sie sich einen der beiden Stühle, die nebeneinander am Tisch standen – andere Möbel gab es nicht im Raum – setzte sich, legte die Füße auf den Tisch und schaute hinüber zum vergitterten Fenster. „Diese Geschichte geht Sie nichts an.“

Lou Feldmann lehnte noch immer mit dem Rücken an der Wand. Die Frau, wie sie dasaß, wie sie sprach, machte ihn neugierig. Sein Blick ließ sie nicht los. „Man hat mir gesagt, dass Sie mit mir reden wollen.“

„Ich habe gesagt, wenn ich mit jemandem rede, dann mit Ihnen. Aber ich weiß nicht, ob ich überhaupt reden will.“

Feldmann nickte. „Verstehe. Aber warum mit mir?“

Sie antwortete, ohne ihn anzusehen. „Wissen Sie, ich habe acht Jahre auf der Straße gelebt. Da lernt man sehen, ob jemand ein Mensch ist und wem man trauen kann und wem nicht.“

„Wie kommen Sie auf die Idee, Sie könnten mir trauen? Ich stehe doch auf der anderen Seite.“

Remy Straub überlegte einen Moment, entschloss sich dann, nicht weiter auf diese Feststellung einzugehen und sagte stattdessen: „Ihre Kollegen wollen von mir eine Lebensbeichte.“

„Und ich rate Ihnen, die Klappe zu halten, bis Sie einen Anwalt haben.“

Jetzt löste Remy Straub ihren Blick vom vergitterten Fenster und lächelte Feldmann an. „Auch bei Ihnen?“

Feldmann nickte. „Auch bei mir. Selbstverständlich.“

Sie lachte kurz und trocken auf. „Ein Bulle mit Gewissen. Okay. Ich werde Sie nicht anlügen. Ich werde Ihnen einfach nichts sagen.“

„Das ist gut.“

Als die Vollzugsbeamtin Remy Straub wieder abholte, drehte sie sich an der Tür noch einmal kurz um. „Die haben mir übrigens gestern tatsächlich schon einen Anwalt vorbei geschickt“, sagte sie. „Mit so einem Schleimer kann ich nur leider nichts anfangen. Vielleicht verhelfen Sie mir ja zu einem anderen?“

Ohne seine Antwort abzuwarten, ließ sie sich nach draußen führen.

Eine Viertelstunde später saß Lou Feldmann im Auto vor einer Ampel, merkte nicht, dass sie längst auf Grün geschaltet hatte, hörte nicht, dass hinter ihm gehupt wurde, und schreckte erst auf, als ein anderer Wagen ihn überholte. Der Fahrer sah zu ihm herüber und tippte sich dabei mehrmals an die Stirn. Er ließ seinen Motor aufheulen, als er davonbrauste. Feldmann biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst zur Ordnung rufen. Dann bog er in die nächste Straße ein, zwängte das Auto in eine Parklücke und ging zu Fuß hinüber zum Spree-Ufer. Gerade als er sich auf eine Bank gesetzt hatte, klingelte sein Handy. Lou schaute auf das Display, bevor er die Gesprächstaste drückte. „Manu? Hallo. Es geht leider gerade nicht. Hab zu tun. Ich ruf dich an.“ Jeden anderen hätte er wortlos weggedrückt. Aber Manu war seit jeher eine Ausnahme. Auch wenn er längst aus dem Alter raus war, wo er wirklich einen Ersatzvater brauchte, fühlte Lou sich noch immer für ihn verantwortlich. Wusste, dass sich das wohl kaum je ändern würde. Er hatte es sich ja selbst ausgesucht, damals, vor über zwanzig Jahren, als er eingesprungen war, um zu verhindern, dass das Kind ins Heim kam. Weil der Vater, Lous Bruder, bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und ein paar Tage später auch die schwer verletzte Mutter verstarb. Sie war gerade noch so lange am Leben geblieben, um ihm, Lou, das Versprechen abnehmen zu können, dass er sich um Manu kümmern würde. Plötzlich hatte Lou, selbst noch keine dreißig und ziemlich am Anfang seiner Polizistenkarriere, einen Zehnjährigen am Hals und noch an mehr zu denken als nur an seinen aufregenden Job.

Er steckte das Handy wieder ein, starrte vor sich hin. Momentan ging es nicht um Manu, momentan brannte es anderswo. Ein Witz, dachte er, ein Wortwitz, es brennt mir unter den Nägeln, es brennt mir auf der Zunge, es brennt mir in den Augen. Er holte den Haftbefehl für Andersen aus der Jacke, faltete ihn auseinander, zündete ihn mit seinem Feuerzeug an, stand auf und ließ das brennende Papier in den Kanal segeln. Es brennt mir vor den Augen. Er lachte. Ihm war, als fiele gleichzeitig mit den zu Asche gewordenen Papierresten ein tonnenschwerer Felsen von seinen Schultern ins Wasser. Er wunderte sich, dass es nicht hoch aufspritzte. Er starrte noch sekundenlang ins Wasser, bevor er sich entschlossen umwandte und zu seinem Wagen ging. Es gab noch mehr, was lieber heute als morgen erledigt werden sollte.

7

Andersen war wieder mit sich allein in seiner durch die heruntergelassenen Rollos vom Tageslicht abgeschirmten, spärlich beleuchteten Kneipe, als Lou Feldmann durch die Küche hereinkam, ihm zunickte und sich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

„Hallo, Kommissar“, sagte Andersen.

Auf dem Tisch standen eine Flasche und zwei Gläser. Andersen schenkte beide voll. „Ich wusste, dass Sie kommen.“

„Haben Sie nicht ein paar Freunde im Ausland?“ fragte Feldmann ohne weitere Einleitung. Er hob sein Glas in die Höhe, hielt es sich vor die Augen, schaute oben über den Rand Andersen ins Gesicht. Der schüttelte den Kopf, zuckte die Schultern.

„Schon. Aber ich will nicht verreisen.“

„Und ich will Sie nicht festnehmen.“

„Da haben Sie ein Problem.“

„Wir werden es gemeinsam lösen.“

Andersen legte den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. „Unter diesen Umständen müsste ich mal telefonieren“, sagte er. Er zeigte auf das Telefon hinter dem Tresen, stand auf, mit der Hand stützte er sich auf die Stuhllehne, sein Gang war wacklig, die Schritte klein, unsicher schlurfend. Feldmann wusste, dass er nicht betrunken war. Es wird nicht mehr lang dauern mit ihm, dachte er.

„Wir haben alle Zeit der Welt“, sagte Lou Feldmann. Er fuhr langsam. „Hübsches Viertel hier.“ Feldmann hatte schon lange nichts mehr in Dahlem zu tun gehabt. Andersen neben ihm nickte. Er schaute angestrengt durch die Scheiben. Schließlich deutete er auf ein Straßenschild: „Im schwarzen Grund“. Feldmann bog ein.

„Da vorne rechts“, sagte Andersen.

Sie hielten vor einer der Stadtvillen. Andersen stieg aus, ging zur Gartentür, klingelte. Nach einer Weile schwang das Einfahrtstor auf. Andersen gab Feldmann ein Zeichen. Der fuhr an ihm vorbei die leicht abfallende Einfahrt hinunter zum Hauseingang. Andersen kam langsam nach. Dimitri Cordalis stand auf der obersten Treppenstufe vor der Haustür und sah ihm entgegen.

Feldmann stieg aus, holte einen kleinen Koffer aus dem Kofferraum und stellte ihn vor Andersen hin.

„Können Sie mir den hinein tragen, bitte?“ fragte Andersen.

Feldmann sah den Koffer an, sah Andersen an, blickte zu Cordalis, schüttelte den Kopf, hob die Schultern und nahm den Koffer hoch.

---ENDE DER LESEPROBE---