Abschied ist ein einsamer Weg - Horst Hans Berger - E-Book

Abschied ist ein einsamer Weg E-Book

Horst Hans Berger

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Beschreibung

Irmi, Michaels Frau geht, weil sie Meinungsverschiedenheit mit ihrem Mann hat, noch in der Nacht zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zug nach Köln zu ihrer Mutter zu fahren. Michael nutzt diese Gelegenheit, um eine, Tour durch den Wald in Augarten zu machen. Dabei sieht er eine Spur auf der dünnen Schneedecke, die aussieht, als sei da ein Kartoffelsack von zwei Personen geschleift oder teilweise auch getragen worden. Die Spur endet an einer Hütte, in die Michael eindringt und mit einem Holzknüppel bewusstlos geschlagen wird. Ihm wird seine Kleidung ausgezogen und die Hütte von außen in Brand gesteckt. Michael kann fliehen und es entsteht der Eindruck, das Michael in der Hütte hätte verbrannt werden sollen.

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Seitenzahl: 179

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Widmung

Auch dieses Buch ist meiner Frau Elisabeth gewidmet, die es immer noch nicht aufgegeben hat, zu warten, bis ich die Fehlersuche und sonstigen Korrekturen erledigt habe.

Danke sag ich, vor allem der einen Person, die mich mit ihrem Wissen enorm unterstützt hat, ihren Namen aber nicht genannt haben wollte.

Inhaltsverzeichnis

Irmi ist nach Köln gefahren

Über die Gleise

Das verdammte Ledertäschchen

Das Fahrzeug aus München ist nicht mehr da.

Bei Helga

Im Gebäude der Mitteralm

Auf dem Weg zur Mitteralm

Wir müssen zurück

Wir hätten den Schlafsack mitnehmen sollen

Ich hatte keine andere Wahl mehr

Irmi kommt an

Kathi holt mich in Rosenheim ab

Mit Kathi allein in der Wohnung

Das Loch im Zaun

Wieder auf dem Weg nach Haus

Was ist los in dieser Kneipe

Zu Hause bei Herrn Stief

Ein Brief aus München kommt an

Brief aus Rosenheim nach München

Der Autobrand bei Vogtareuth

Robert Schwarz lebt nicht mehr

Der Tod greift um sich

Wieder greift der Tod Tod nach jemand

Wieder auf dem Weg nach Solln

Ich schreibe Kathi einen Brief

Was reden die Leute da?

Warum ist Dr. Schätner so nervös

Wo ist Marie Luise hin?

Nun ist Irmi wieder bei mir

Die Zeit vergeht und bald wird Weihnachten da sein

Herr Stief kommt zu uns mit seinen Frauen

Über den Autor

1. Irmi ist nach Köln gefahren

Wir waren wieder einmal unterschiedlicher Meinung gewesen, Irmi und ich. Das ist in letzter Zeit öfter vorgekommen. Gerade dann, wenn ich krankgeschrieben bin oder Urlaub habe und ein paar Tage zu Hause bin. Dann endete es meistens damit, dass meine Frau zu ihrer Mutter reiste. Und zwar mit dem ersten Zug, der vom Bahnhof Rosenheim losfährt. Irmi hielt es dann nicht mehr bei mir aus. Da geht sie lieber mitten in der Nacht zum Bahnhof. Ich war dann wieder eingeschlafen und merkte erst später, dass Irmi nicht mehr da ist.

Da entschloss ich mich eine Tour durch den Wald zu machen. Auf der Straße natürlich, bis hinauf zum Parkplatz, wo die Frühaufsteher ihre Fahrzeuge abstellen. Ich habe an dem Tag nicht damit gerechnet, dass es eine Tour wird, die mir viel abverlangen wird, mich herausfordert und vor Probleme stellt, mit denen ich nicht gerechnet habe. Zum Glück war ich allein unterwegs und konnte mich den Überraschungen stellen, denen ich vermutlich nicht gewachsen war und die ich hätte von vornherein vermeiden sollen.

Wie ich über den Parkplatz hinaus und den schmalen Pfad nach unten zu dieser Behelfsbrücke ging, fiel mir die Schleifspur auf der dünnen Schneeschicht auf, die vor kurzem hier angelegt wurde und auf der offensichtlich zwei Personen, einen Sack dahin schleifen, der wohl ein Kartoffelsack ist. Hinten eine Person, vorne eine Person. Als die zwei Personen an der Behelfsbrücke angekommen waren. Es muss wohl ca. eine Stunde her sein, dass die zwei Personen diesen Weg hinunter zu der Behelfsbrücke gegangen waren. Den Sack scheinen sie über die Brücke getragen zu haben, weil hier keine Schleifspur mehr zu sehen ist. Sonst hätte ich diese zwei Personen die diesen Sack, den ich irgendwann als einen Kartoffelsack einschätzte, nicht mit ihrem Transport neben mir, der vielleicht fast eine Stunde vorher abgelaufen war, so genau beobachtet. Sondern es wäre mir bald gleichgültig gewesen und wenn nicht an diesem Morgen ein B200 Mercedes, schon älteres Fahrzeug mit einer Münchner Nummer oben auf dem Parkplatz gestanden wäre, auf dem, das muss ich zugeben, fast das ganze Jahr über Autos stehen, aber nicht von so weit her oder schon ganz früh am Morgen. Wenn dann wenigstens Irmi über ihr Smartphone ein paar Mal angerufen hätte.

Auch wenn ich verärgert gewesen wäre, hätte ich mich von dieser Schleifspur neben dem steilen Pfad nach unten zum ersten Wassergraben ablenken lassen. Vielleicht würde ich zu diesem Zeitpunkt irgendwann diesen Transport neben oder vor mir, nicht mehr so wichtig genommen haben und hätte am Ende darauf vergessen, diese zwei Personen mit ihrem Transport auf der dünnen Schneespur so intensiv zu beobachten. Wahrscheinlich wäre ich auch nicht, als die Hütte vor uns war, die etwas erhöht neben dem Weg stand und deren Standort ich ja längst kannte, mich dazu verleiten lassen, auf der Rückseite hochzufahren, um diese Seite aufzusuchen.

Von früher her wusste ich ja, dass dort die Eingangstür schon immer gewesen ist. Ich hätte auf jeden Fall stutzig werden müssen, als ich sah, dass die Türe nur angelehnt war und von drinnen her keine Geräusche zu vernehmen waren. Auf jeden Fall hätte ich mit einem Rufversuch die Situation klären müssen. Ja, und in diesem Moment brach meine Neigung zur Neugierde durch und ich ließ mich dazu verleiten, in diesen dunklen Raum einzutreten, aus dem mir, zu allem Überfluss, sogar ein ganz übler Geruch entgegenströmte.

Den heftigen Schlag auf den Kopf mit einem Holzknüppel hätte ich mir ersparen können. Dass ich von diesem Schlag — oder waren es gar zwei Schläge — sofort das Bewusstsein verlor ist verständlich. Was hinterher geschah, dass ich meiner Kleidung entledigt wurde und zusammen mit dieser Frau, die ich nach wie vor bereits für tot gehalten habe, auf einer Pritsche lag und mich erst wieder aufrichtete, um nach einer Weile, den nächsten Schlag zu erhalten, der mir auch dieses Mal die Besinnung raubte und ich nach einiger Zeit den heftigen Schmerz überwand, weil ich in meiner Verwirrung annahm, dass die Person, die unter der Decke lag, meine Frau ist, die neben mir liegt. Und als ich ihr übers Gesicht fuhr, sofort erkannte, dass es gar nicht meine Frau sein kann und der widerliche Geruch von ihr ausgeströmt wurde. Da machte ich eine heftige Bewegung, die sie samt ihrer Abdeckung hochfliegen lässt und sie am Ende splitternackt auf dem Boden liegt und die Decke mit der sie zugedeckt gewesen ist, neben sie auf den Holzboden der Hütte gefallen ist. Ihr schrecklicher Geruch haftete ihr immer noch an. Ich meine, dass dieser infame Geruch von der Decke kam. Ist das der Geruch einer Leiche? Ich weiß es nicht. Ich habe niemals an einer Leiche gerochen.

Und jetzt: Was ist das für ein heller Schein? Ist da vorne ein Fenster; eine Scheibe, die gerade gesplittert ist? Scherben die auf den Boden gefallen sind und eine Flüssigkeit die entlang des Fußbodens nach hinten rinnt? Ist der Fußboden tatsächlich aus Holz? Ja, der ist aus Holz und die Flüssigkeit rinnt auf dem Fußboden nach hinten. Es riecht nach Benzin; es ist Benzin. Ich muss hier raus. Wenn ich nicht hier raus komme, verbrenn ich wie die Frau, die hier auf dem Boden liegt. Ich muss hier raus. Weiter hinten renn ich gegen die Wand. Die Wand kracht und ein Feuerstrahl fährt durch den Riss in der Wand. Wo ist die Decke? Ich brauch‘ die Decke! Da vorn! Ich schlinge sie um mich und renne ganz hinten gegen die Wand. Die Wand kracht erneut und ich falle mitsamt dieser hölzernen Wand aus der Hütte, stürze zu Boden, rapple mich auf und renne los. Da vorn ist der breite Weg, der nicht unter Feuer steht. Auf den renn ich zu und falle durch ein Gestrüpp, das noch nicht Feuer gefangen hat. Ich komm wieder hoch, renne und renne.

Da ist ein Zaun. Muss ich hier hochklettern? Nein, jetzt weiß ich wo ich bin. Ich renne am Zaun entlang, der erst am Waldrand enden wird. Meine Nacktheit spür ich gar nicht. Über die Straße, ich muss über die Straße. Es geht steil hinauf zu den Gleisen.

Ich richte mich auf und schau mich um. Ja ich hatte es so in Erinnerung. Ein Gleis, wenn ein Zug aus Richtung München daherkommt und eins, wenn ein Zug den Bahnhof Rosenheim verlässt.

Ein weiterer Zug aus Rosenheim zweigt vorher schon ab, der in Richtung Mühldorf-Wasserburg fährt.

2. Über die Gleise

Ich richte mich vollständig auf und schau mich um. Ja ich hatte es so in Erinnerung. Ein Gleis, wenn ein Zug aus Richtung München daherkommt und eins, wenn ein Zug den Rosenheimer Bahnhof verlässt. Ein weiterer Zug zweigt vorher schon ab, der in Richtung Wasserburg-Mühldorf fährt, mit meinem Fluchtweg aber nichts zu tun hat.

Jetzt konzentrier ich mich auf die Geräusche, die vom Rosenheimer Bahnhof herüberwehen. Nachdem ich aus der brennenden Hütte entkommen bin, will ich nicht gleich von einem Zug überrollt werden. Ich renne los. Und jetzt erst denke ich daran, dass auf der anderen Seite des Gleisbettes die Facharbeiter der Bundesbahn eine Mauer aus Fertigteilen aufgestellt haben. Wohl als Schallschutz für die Häuser, die unten im Tal stehen und unser Haus, welches dazugehört, das ganz vorne steht und dessen Haustür zugesperrt ist, weil Irmi zu ihrer Mutter gefahren ist und ich in den Wald gegangen bin und an diesem Tag diese schreckliche Tour machen musste, die mir das Leben beinahe hätte kosten können.

An der Haustür hebe ich das Gitter vom Lichtschacht ab, lehne es an die Wand und bevor jemand um die Ecke zur Haustür hin einen Blick wirft, stehe ich im Lichtschacht. Ich bücke mich und bin verschwunden. Da kommt erneut jemand die Straße entlang. Ach was! Im Schacht sind große Steine. Einer genügt mir. Ich schlage damit gegen die Scheibe des Kellerfensters. Schon ist die Verglasung zu Bruch gegangen. Ich greife durch die Öffnung und stelle den Fenstergriff waagrecht. Das Fenster ist offen. Ich schiebe mich nach vorn, rutsche an der Kellerwand nach unten, schon bin ich im Haus und gleichzeitig im Keller. Da fühle ich meine Nacktheit nicht mehr. Ich laufe die Kellertreppe hinauf und jeder Tritt auf den glatten Stufen gibt mir einen Stich in die Füße, weil jedes Mal ein Stachel der Brombeerstauden, die ich ohne Schuhe an den Füßen durchlaufen musste, etwas tiefer eindringt und mich weiterhin quälen wird, bis ich den Stachel herausgezogen habe.

Und jetzt lege ich mich in mein Bett, ziehe die Decke, die angenehm weich ist über mich. Meine Füße spüre ich nicht mehr. Es dauert ziemlich lange, bis ich eingeschlafen bin. Das hatte ich mir schon gedacht, dass das nicht so schnell gehen wird, mit dem Einschlafen. Aber irgendwann habe ich es doch geschafft. Sonst hätte ich die nackten Füße lieber ins kalte Zimmer gestellt. Ich mache erst mal einen Versuch.

Aber das wirkt auf mich noch unangenehmer. Da lass ich solche Versuche sein, ziehe die nackten Füße unter die Decke, damit sie wieder warm werden und bleib lieber so liegen, wie ich vorhin auf dem Sofa gelegen hatte. Ich weiß nicht, was aus dieser Situation werden soll? Ich rechne auch nicht damit, dass sich jemand beschwert, dass hier irgendwo ein nackter Mensch gesichtet wurde, der die Leute erschreckt hat, aber jetzt nicht mehr aufgetaucht ist und in dem friedlichen Ortsteil Augarten keinen Ärger mehr macht. Hoffentlich bleibt es so. Es wäre wohl sehr unangenehm, wenn man die Polizei, die selten in diesem Viertel, mehr als üblich gefordert ist, wegen eines verrückten Menschen, der gern oder aus anderen Gründen nackt herumläuft und die Leute erschreckt und schnell wieder verschwunden ist, wie es manchmal auf Sportplätzen vorkommt und in solchen Fällen ein paar Ordnungshüter einschreiten müssen, weil nackt in der Öffentlichkeit herumlaufen, bei uns, wenn der Ort nicht größer ist als Augarten, nicht gestattet ist. Augarten ist schließlich keine öffentliche Badeanstalt, in der man herumlaufen kann, wie man will. Selbst das Herumlaufen ohne Badehose oder Bikini ist nicht zulässig. Wenn allerdings jemand die Gründe kennen würde, warum ich für ein paar Augenblicke nackt auf der Straße herumstand, hätte eventuell irgendjemand Verständnis dafür und würde nicht sofort Vergleiche ziehen mit öffentlichen Badeanstalten obwohl dort auch niemand splitternackt herumläuft, sondern alle Körperteile bedeckt hält, die in ihm ein Schamgefühl erzeugen könnten. Das ist in jedem Menschen vorhanden, als wäre es angeboren.

Oder es gibt für das Nacktsein einen triftigen Grund, den meistens nur der kennt, der tatsächlich nackt ist. Es sei denn, er ist wie ein Tier veranlagt, denn Tiere kennen den Unterschied gar nicht.

Natürlich hätte ich gleich mit dem Herausziehen der Stacheln beginnen können, aber zunächst musste ich mich etwas ausruhen. Mein Herz raste noch wegen dem Lauf über die Gleise und auf der anderen Seite hinunter zwischen den Haselnusssträuchern, bis ich auf der Straße vor unserem Haus stand. Ja, nackt war ich nach wie vor. Und wenn jetzt irgendwer oder ein Fahrzeug dahergekommen wäre und ich mitten auf der Straße stünde. Das könnte ich so nicht hinnehmen. Deswegen bin ich vorhin gleich im Lichtschacht verschwunden und habe den Weg in unseren Keller gewählt.

Mit der Befreiung der Fußsohlen von den Brombeerstacheln kann ich anfangen, wenn ich ein bisschen geschlafen habe, auch wenn ich zunächst nur nackt entkommen war, meinen Weg erst durch den Wald suchen musste und an meinen Füßen keine Schuhe waren. Es war mir egal, auch wenn ich nackt war.

Irmi, meine Frau, wird längst bei ihrer Mutter in Köln angekommen sein. Ich weiß nicht, ob sie ihrer Mutter erzählt hat, warum sie in der Nacht noch zu ihr gefahren ist. Daran denke ich jetzt. Aber auch das ist mir im Augenblick egal.

Irmi hat ja nicht die geringste Ahnung, was mit mir geschehen sein wird. Sie wird inzwischen bei ihrer Mutter auf dem Sofa liegen und sich von den Strapazen der Reise ausruhen. Ich liege in meinem Bett und habe die Fußsohlen voller Stacheln. Lang dauert es nicht. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus in meinem Bett. Ich habe gar nicht lang geschlafen. Die Stacheln, die in meinen Fußsohlen stecken, machen mir zu schaffen. Sie dringen zwar nicht tiefer in meine Fußsohlen ein, wenn ich einfach hier liegen bleibe, aber ich spüre sie trotzdem, wenn ich mich etwas bewege. Da werfe ich meine Decke ab, strecke meine Füße unter der Decke hervor ins kalte Zimmer. Aber das ist auch nicht gerade angenehm und es scheint mir angenehmer zu sein, wenn ich die Füße zugedeckt lasse.

Ich fange an, jede Stachel einzeln aus meinen Fußsohlen zu ziehen. Es wird ziemlich lange dauern, bis ich meine Füße und Beine stachelfrei haben werde.

Am Ende waren dann die Brombeersträucher. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste da durch. ... und was hätte ich machen sollen? Schuhe hatte ich auch keine an.

Am Ende habe ich eine Zeitlang richtig geschlafen. Aber nun kann ich vernünftige Kleidung anziehen und werde hinterher in die Stadt fahren, zur Polizei gehen, und dort melden, was mir geschehen ist und eventuell fragen, ob das Feuer bereits gelöscht wurde?

Ich höre das Geräusch eines Zuges der bereits in Rosenheim gestartet ist und bald da sein wird. Und ich jedoch immer noch keine Tür erreicht, hatte. Da ist der Zug da und ich presse mich an die Wand, weil ich keine Ahnung hab, wie knapp der Zug an mir vorbeirauschen wird. Aber ich habe Glück gehabt. Der Zug berührte mich nicht. Und, als er an mir vorbei ist, sind es noch höchstens 10 Schritte, bis ich eine Türe erreicht hätte, die ins Freie geführt haben würde.

Für die paar Schritte hätte es auch noch reichen können. Aber es ist ja nichts passiert. Jetzt nur noch den steilen Hang hinunter, der hauptsächlich mit Haselnusssträuchern bewachsen ist. Da hinunter und schon steh ich auf der Straße vor unserem Haus. Ich muss ins Haus kommen, irgendwie. Meine Frau, wenn die zuhause wäre, hätte sie längst die Haustüre geöffnet, um mich reinzulassen.

Aber ich weiß ja, dass sie weggefahren ist. Und ich bin allein hier und stehe eine Zeitlang nackt auf der Straße. Da kommt jemand die Fahrbahn entlang. Es scheint ein Motorrad zu sein, mit dem einer die wenig befahrene Straße entlangfährt. Vermutlich hat er da vorne umkehren müssen, weil der Durchgang nur für Fußgänger offen ist und niemand das Bahngleis überqueren darf, wenn ein Zug daherkommt, der Richtung Mühldorf fährt. Ein Stück weiter ist eine Haltestation, damit die Züge, die in Richtung Wasserburg—Mühldorf fahren die Schüler aufnehmen können, die in Rosenheim auf die Hochschule für Holztechnik gehen und hier zusteigen wollen.

Ich muss hier weg. Meine Idee ist, schnell in einem der Lichtschächte zu verschwinden. Vorn, neben der Haustür, hebe ich das Gitter vom Lichtschacht ab, lehne es an die Wand und bevor jemand einen Blick um die Ecke zur Haustüre hin wirft, stehe ich im Lichtschacht. Ich bücke mich und bin verschwunden. Da kommt erneut jemand die Straße entlang. Ach was! Im Lichtschacht sind große Steine; einer genügt mir. Ich schlage damit gegen die Scheibe des Kellerfensters. Schon ist die Verglasung zu Bruch gegangen. Ich greife durch die Öffnung und stelle den Fenstergriff waagrecht. Das Fenster ist offen. Ich schiebe mich nach vorn, rutsche an der Kellerwand nach unten, schon bin ich im Haus und gleichzeitig im Keller. Da fühle ich meine Nacktheit nicht mehr.

Ich laufe die Kellertreppe hinauf und jeder Schritt auf den glatten Stufen gibt mir einen Stich in die Füße, weil jedes Mal ein Stachel der Brombeerstauden, die ich ohne Schuhe an den Füßen durchlaufen musste, etwas tiefer eindringt und mich weiterhin quälen wird, bis ich den Stachel herausgezogen habe.

Und jetzt lege ich mich in mein Bett, ziehe die Decke, die angenehm weich ist, über mich. Meine Füße spüre ich nicht mehr. Es dauert ziemlich lange, bis ich eingeschlafen bin. Das hatte ich mir schon gedacht, dass das nicht so schnell gehen wird, mit dem Einschlafen. Aber irgendwann habe ich es doch geschafft. Sonst hätte ich die nackten Füße lieber ins kalte Zimmer gestellt. Ich mache zuerst mal einen Versuch. Aber das wirkt auf mich noch unangenehmer. Da lass ich solche Versuche sein, ziehe die nackten Füße unter die Decke, damit sie wieder warm werden und bleib lieber so liegen wie ich vorhin auf dem Sofa gelegen hatte. Ich weiß nicht was aus dieser Situation werden soll?

Ich rechne auch nicht damit, dass sich jemand beschwert, dass hier irgendwo ein nackter Mensch gesichtet wurde, der die Leute erschreckt hat, aber jetzt nicht mehr aufgetaucht ist und in dem friedlichen Ortsteil Augarten keinen Ärger mehr macht. Hoffentlich bleibt es so. Es wäre wohl sehr unangenehm, wenn man die Polizei, die selten in diesem Viertel, mehr als üblich gefordert ist, wegen eines verrückten Menschen, der gern oder aus anderen Gründen, nackt herumläuft und die Leute erschreckt und schnell wieder verschwunden ist, wie es manchmal auf Sportplätzen vorkommt und in solchen Fällen ein paar Ordnungshüter einschreiten müssen, weil nackt in der Öffentlichkeit herumlaufen bei uns, auch wenn der Ort nicht größer ist, als Augarten, nicht gestattet ist

Augarten ist schließlich keine öffentliche Badeanstalt in der man herumlaufen kann wie man will. Selbst da ist das Herumlaufen ohne Badehose oder Bikini nicht zulässig. Wenn ich allerdings die Gründe genannt hätte, warum ich für ein paar Augenblicke nackt auf der Straße herumstand, hätte man eventuell Verständnis dafür und würde nicht sofort Vergleiche mit einer öffentlichen Badeanstalt ziehen, obwohl dort auch niemand splitternackt herumläuft sondern alle Körperteile bedeckt halten würde, die ein Schamgefühl in mir auslösen könnten.

Das ist in jedem Menschen, so, als wäre es angeboren oder es gibt für das Nacktsein einen triftigen Grund, den meistens nur der kennt, der tatsächlich nackt ist. Es sei denn, er ist wie ein Tier veranlagt, denn Tiere kennen den Unterschied gar nicht.

Natürlich hätte ich gleich mit dem Herausziehen der Stacheln beginnen können, aber zunächst musste ich mich etwas ausruhen. Mein Herz raste noch, wegen dem Lauf über die Gleise und auf der anderen Seite hinunter zwischen den Haselnusssträuchern, bis ich auf der Straße vor unserem Haus stand. Ja, nackt war ich nach wie vor. Und wenn jetzt irgendwer oder ein Fahrzeug dahergekommen wäre, und ein nackter Mann mitten auf der Straße stünde. Das konnte ich so nicht hinnehmen und deswegen bin ich vorhin gleich in dem Lichtschacht verschwunden und habe den Weg in unseren Keller gewählt.

Mit der Befreiung der Fußsohlen von den Brombeerstacheln kann ich anfangen, wenn ich ein bisschen geschlafen habe. Auch wenn ich zunächst nur nackt entkommen war, meinen Weg erst durch den Wald suchen musste, und an meinen Füßen keine Schuhe waren. Es war mir egal, auch wenn ich jetzt nackt war.

Irmi, meine Frau, wird längst bei ihrer Mutter in Köln angekommen sein. Ich weiß auch nicht, ob sie ihrer Mutter erzählt hat, warum sie in der Nacht noch zu ihr gefahren ist. Daran denke ich jetzt, aber auch das ist mir im Augenblick egal. Irmi hat ja nicht die geringste Ahnung, was mit mir geschehen sein wird. Sie wird inzwischen bei ihrer Mutter auf dem Sofa liegen und sich von den Strapazen der Reise ausruhen.

Ich weiß auch nicht, ob Irmi den Kartoffelsack erwähnen wird, den zwei Personen etwa vor einer Stunde die ganze Zeit auf meinem Weg neben mir auf der dünnen Schneespur dahingeschleift haben. Ich glaube nicht, dass ihre Mutter interessiert sein wird, was Leute in einem Kartoffelsack durch die Gegend schleifen.

Es wäre mir auch gleichgültig gewesen, welche Fahrzeuge hier auf dem Parkplatz abgestellt werden. Welchen Treibstoff sie benötigen, ob Benzin oder Diesel. Sie wird sich auch nicht dafür interessieren und wäre auf diese Weise ein zufriedener Mensch geblieben. Ich jedenfalls hätte vielleicht ein Liedchen gesungen und hätte meinen Tag auf fröhliche Weise verbracht, wie ich es häufig mache, wenn die Sonne scheint und keine Gefahr besteht, dass schon bald der Winter beginnt. Es wäre zu dem ein Tag geworden, der mich glücklich gestimmt hätte und ich hätte nicht befürchten müssen, dass die Welt sich in Augarten verändert, und dass wir nicht mehr gewusst hätten, wo wir zuhause sind.