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In dem Buch gibt es zwei Handlungen. Sie verlaufen symmetrisch. Die eine Handlung spielt in der Steinzeit. Die andere Handlung spielt in der Neuzeit. Das Buch ist ein Drama und soll durch spannende Momente den Leser begeistern. In der Steinzeit erlebt der Junge Ri verschiedene Ereignisse, die ihn dazu bewegen ein neues Leben zu beginnen und eine ganz andere Welt kennen zu lernen. In der Neuzeit erlebt Sarah ähnliche Lebensereignisse und entscheidet sich auch für einen Neuanfang. Der Tod, tragische Momente und die Suche nach einem neuen Leben sind teil dieser Geschichte.
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Seitenzahl: 249
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Achssymmetrische Welten
Von Alexandra Kutschera
Inhalt
Der Junge namens Ri 2
Die Hütte 7
Die Jagd 11
Der Jagdunfall 14
Der Kranke und die Gruppe 16
Einsames Grab 18
Die Frau namens Sarah Michelle 21
Das Haus der Kindheit 24
Der Tanz 26
Die plötzliche Krankheit 28
Die Todesfolge 31
Die Konstante über Jahre 34
Der große Lauf 38
Die Wanderung 40
Die Freunde 43
Die Zeichen der Natur 45
Der Ausflug 48
New York City 51
Das Dorf 55
Die Heilerin 59
Das Totenfest 61
Die neue Gruppe 65
Der Kampf 68
Die Stille des Waldes 70
Das neue Land 73
Der Laden 76
Der Tanzabend 79
Der Mini Job 82
Die zwei Bären 85
Neues Leben 88
Der Junge namens Ri
Das Feuer brannte vor der kleinen Hütte. Die Nacht war klar. Die Wärme des Feuers gab ihm ein gutes Gefühl. Er dachte an sich und seinen Namen. Seine Eltern nannten ihn nach seiner Geburt Bibu. Bibu bedeutete so viel wie Kleiner. Es war eine liebliche Bezeichnung. Im Alter von fünf Jahren wollte Bibu einen eigenen Namen haben. Er hatte eine Woche überlegt und verschiedene Laute probiert bis er einen Namen hatte, der ihm gefiel. Er ging zu seinen Eltern und sagte ihnen, dass er von nun an Ri heißen möchte. Die Eltern nahmen den Namen an und nannten ihn von nun an Ri.
Ri und seine Sippe lebten zur Zeit der Mittelsteinzeit, auch Mesolithikum genannt. Mit dem Ende der Eiszeit verschwanden die prähistorischen Tiere wie das Mammut. Ri und seine Sippe kannten keine Eiszeit und kein Mammut mehr. Die Jagd beschränkte sich auf die Tiere in den Wäldern und Wiesen. Doch lebten sie noch ganz im Sinne der Steinzeit mit Werkzeug aus Holz, Knochen und Stein. Die Sprache ist noch ganz ursprünglich mit viel Gestik zu den Worten. Es ist eine ganz eigene Welt in die Ri hineingeboren wurde. Doch sind Gefühle und Handlungen so unbekannt für den modernen Menschen? Die Zeit wird es zeigen und Ri wird reifen.
So saß Ri am Feuer und blickte in die Nacht. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen. Zusammen mit seinem Vater war er auf der Jagd gewesen. Die Jagd war erfolgreich. Es gab Geflügel und Beeren. Seine Mutter hatte das Feuer gemacht und eine Sitzecke aus Fellen, Stroh und geflochtenem Material gemacht. Vor Jahren hatte sie festgestellt, dass die junge Rinde von Bäumen sich zum Flechten von kleinen Tüchern eignet.
Wie an so vielen Abenden waren sie alle zusammen am Feuer gesessen. Sie hatten gegessen und geredet. Im Einklang mit der Natur hatten sie sich von den neuesten Erkundungen berichtet. Die Vögel, die nahe der Hütte ihr Nest gebaut hatten, waren fort. Sie waren auf zu neuen Abenteuern geflogen. So dachte Ri. Irgendwann wollte er es den Vögeln gleichtun.
Schon früh hatte er sich für alles in seiner Umgebung interessiert. Besonders neugierig war er auf die große Ferne gewesen. In Gedanken malte er sich die Umgebung aus. Dichte Wälder, geschwungene Trampelpfade, Büsche und grüne Wiesen überflog er in Gedanken. Ob die Ferne wohl wirklich so aussehen möge?
Die wohlige Wärme des Feuers holte ihn aus seinen Träumereien zurück.
Er rief Mah und legte seine Hand an die Schläfe. Das war das Zeichen, dass er nun schlafen gehen wollte.
Seine Mutter nickte ihm zu und sagte Ri. Danach legte sie ihre Hand auf den Boden und sagte Mah. Ri wunderte es nicht, dass seine Mutter noch bei den anderen draußen sitzen wollte. Sie blieb gern noch bis in die Nacht draußen. Die Nacht über saßen die Familie und die Freunde draußen und erzählten sich gegenseitig Geschichten. Später gingen sie dann auch schlafen. Ri war schon eingeschlafen als sie hinzukamen.
Als Ri wach wurde und noch so halb vor sich hinschlummerte, erinnerte er sich an den Traum, den er die Nacht über gehabt hatte. Wieder träumte er. Wieder überflog er in Gedanken die Ferne. Wieder sah er die dichten Wälder, geschwungenen Trampelpfade, Büsche und grüne Wiesen. Doch diesmal ging es noch weiter. Er sah den Sternenhimmel. Danach einen Bach der hell erleuchtet war durch das Licht des Vollmondes und dann wieder der Sprung zu einem Traumbild am Tag. Es war eine unendlich große freie Wiese durch die er mittig ging. Doch dann sah er Bäume sich im Wind biegen und eine pechschwarze Nacht. So pechschwarz, dass er garnichts mehr sehen konnte. Ihm wurde es unbehaglich. Er begann sich zu drehen und zu wenden. Erhörte einen Blitz doch er sah immer noch nichts. Dann endlich sah er durch die Nacht ein warmes Licht. Er lief drauf zu, doch es dauerte und dauerte bis das Licht endlich größer wurde. Und dann erkannte er es. Ein kleines Dorf. Ein Dorf in warmes Licht getaucht. Er hörte ein Lachen und wachte auf.
Er sah wie seine Mutter den Großen an der Hand nahm. Der Große bedeutete als Laut Bao. Ri sah wie Mah und Bao die Hütte nach draußen verließen. Ri war etwas Besonderes, weil er sich einen Namen gewünscht hatte. Die meisten der Gruppe hatten keinen eigenen Namen. Sie hatten ihm Leben verschiedene Bezeichnungen durch die anderen bekommen. So hieß der älteste der Gruppe Grauer, weil seine Haare grau geworden waren. Auch Ris Mutter hatte mehrere Namen in ihrem Leben schon angenommen. Als Kind hieß sie Biba. Das bedeutete Kleine. Danach Rote wegen ihrer roten Haare. Nach der Geburt ihres Sohnes bekam sie den Namen Mah für Mutter. Es war eine kleine Gruppe von Menschen. Ri begleitete neben seinem Vater Fah auch die Frau vor die Hütte, die erst vor einem Jahr zur Gruppe hinzugekommen war. Sie nannten die Frau Mui. Mui war von dem Grauen vor einem Jahr ohnmächtig im Wald nahe der Hütte gefunden worden. Sie war einfach nur so da gelegen. Der Regen hatte sie nass gemacht. Der Graue, Nua in der Sprache genannt, hatte den anderen berichtet, dass er sie zuerst für tot hielt. Er war eine Zeit einfach nur da gestanden und hatte sie mit einem Stock gestoßen. Doch genau in diesem Moment machte sie einen Laut. Er lief zu ihr zurück und sah, dass sie ihre Augen geöffnet hatte. Wild gestikulierte sie umher und stöhnte als er bei ihr war. Er nahm sie auf den Arm und lief zur Hütte. An der Hütte angekommen rief er sofort alle zusammen. Ri, Mah, Fah kamen sofort aus der Hütte. Mah zeigte auf die Frau und legte ihre Hand auf den Bauch. Sie fragte, ob die Frau eine Wunde am Bauch habe, weil sie sich so krümmt. Nua schüttelte den Kopf und rieb sich die Arme und den Oberkörper. Mah verstand, dass die Frau dringend Wärme brauchte. Sie schürte ein grosses Feuer. Die anderen holten Felle und die geflochtenen Tücher.
Drei Tage verbrachte die Frau an dem großen Feuer gewickelt in Tücher und Felle. Sie sagte in der Zeit kein Wort. Zu Beginn hatte sie noch sehr gestöhnt und sich gewunden. Aber am zweiten Tag war sie schon sehr viel ruhiger geworden. Zu Essen bekam sie Geflügel und Hirsch. Zu trinken gab es Wasser und ein kaltes Getränk aus Beeren, Kräutern und Wasser.
Erst eine Woche nach ihrem Erscheinen begann die Frau zu reden. Sie bedankte sich bei allen. Danach sah man, dass sie überlegte was sie sagen sollte. Sie sah die anderen mit einem Lächeln an und überlegte und überlegte. Dann auf einmal legte sie los.
Sie schlug auf den Boden. Legte beide Handflächen aneinander. Danach legte sie eine Handfläche auf den Boden. Dann legte sie wieder beide Handflächen aneinander. Sie schrie verschiedene Laute und war ganz aufgebracht. Sie weinte und deutete an eine große Strecke gelaufen zu sein. Dann legte sie eine Handfläche an ihre Schläfe und deutete zum Himmel. Wieder schrie sie verschiedene Laute und begann zu weinen. Dann deutete sie auf Nua, lachte und setzte sich neben ihn. Sie lächelte und streichelte ihn.
Alle waren geschockt über die Geschichte. Die Frau sprach andere Laute aber sie hatten sie verstanden. Offensichtlich war ihr Mann ihr untreu gewesen und hatte sich dafür entschlossen gehabt sie zu vertreiben. Es hatte einen Kampf gegeben, bei dem ihr keiner ihrer Gruppe geholfen hatte. Sie war verzweifelt geflüchtet. Hatte sich nach einer Zeit hingelegt und dachte, dass sie sterben würde. Sie war sehr lange ganz allein in dem Wald gewesen und war sich nach einer Zeit sicher, dass sie sterben würde. Und dann kam auf einmal Nua. Sie war Nua unendlich dankbar dafür. Sie zeigte, dass sie ihn mochte und fragte am Schluss was sie Gutes für Nua tun könnte.
Nua streichelte sie zurück und verneinte. Mah zeigte ihr, dass die Hütte nun ihr zu Hause sei. Sie lächelte sie an und fragte sie nach ihrem Namen. Die Frau nannte einen Namen aber zeigte, dass sie von nun an anderes heißen mochte. Ri sagte ihr, dass er sich auch für einen eigenen Namen entschlossen hatte. Die Gruppe überlegte und probierte verschiedene Laute aus. Nach einer halben Stunde hatten sie einen Namen, der der Frau gefiel. Von nun ab würde sie Mui heißen.
Über das Jahr hinweg verband Nua und Mui eine tiefe Freundschaft. Sie teilten immer Liebkosungen und Nua zeigte Mui auch die Fertigkeiten der Jagd. Beide verbrachten viel Zeit zusammen. Es war ein ganz zartes Band, das Nua und Mui verband.
Als Ri, Mui und Fah vor die Hütte traten, hatte Mah schon das Frühstück zubereitet. Es gab zerstoßene Beeren und bestimmte Blätter zu essen. Zusammen aßen sie und besprachen die Aktivitäten des Tages. Heute stand keine Jagd an. Es gab noch genug Hirsch zu essen. Es mussten aber die Felle vorbereitet werden und ein paar Jagdwerkzeuge mussten bearbeitet werden. Die Wetzsteine lagen schon bereit. Alle beschlossen mitzuhelfen. Die Frauen hatten für heute und die Tage darauf noch den Wunsch die Hütte zu verschönern. Das hieß Stroh herzustellen um damit den Innenraum und an der Aussenwand einiges auszulegen. Die Männer waren einverstanden. Die Männer signalisierten den Frauen ihre Hilfe.
Die Gruppe bestand seit Muis Ankunft nur aus zwei Frauen. Zusammen gefunden hatten sie sich in ihrem alten Dorf. Ri war damals noch gar nicht geboren. Es war ein großes Dorf gewesen in dem sie damals lebten. Rund dreissig Leute hatten sich zusammengeschlossen und eine richtige Dorfgemeinschaft gebildet. Als Mah erkannte, dass sie schwanger war, waren noch acht weitere Frauen schwanger gewesen. Der Dorfälteste begann zu hadern. Es waren schon so viele Teil der großen Gruppe. Immer misstrauischer beäugte er die schwangeren Frauen von Tag zu Tag. Er war der älteste und das Oberhaupt seiner Gruppe. Als eine Art Medizinmann hatte er grosse Anerkennung innerhalb der Gruppe erworben. Er hatte mehrere Frauen an seiner Seite und war bei allen Planungen stets zugegen. Niemand wagte es seinem Wort zu widersprechen. Im Gegensatz zu den anderen verstand er es einer ungewollten Schwangerschaft aus dem Weg zu gehen. So hatte er vor Jahren seine Nachkommen gezeugt und sich dann keusch mit der Gesellschaft seiner vier Frauen begnügt. Als so viele auf einmal in dem Dorf schwanger wurden, hatte er Sorge um seine Machtstellung. Vielleicht war es auch eine Reaktion darauf, dass er merkte alt zu werden. Seine körperliche Kraft war nicht mehr die von seiner Jugend und nach einer andauernden Hetzjagd musste er sich danach sofort für ein paar Tage ausruhen. Er rief zu einer Versammlung auf. Alle kamen. Er sagte sofort um was es geht. Er deutet auf alle, die gekommen waren, schlug mit der Handfläche auf den Boden und wischte etwas Erde und Steine beiseite. Danach zeigte er auf die Hütten und schlug wieder auf den Boden. Er untermauerte seine Argumentation durch Laute und drehte sich danach zu seinem Fürsprecher, dem Großen, Bao genannt. Bao verstand. Zuerst schwieg er, doch dann führte er ein paar Argumente auf, die für die Bedenken sprachen. Bis jetzt reichte das Essen von der Jagd gut aus alle zu versorgen. Aber irgendwann würden die Tiere in der Umgebung nicht mehr alle sättigen können. Jetzt war es schon so, dass die Herden begannen den Jagdrouten auszuweichen. Bisher konnten sie sie immer wieder zurückdrängen. Doch was, wenn die Herden irgendwann einmal ausblieben oder zu klein würden? Ausserdem war das Dorf schon recht gross geworden. Bao sah es auch so, dass es an der Zeit war eine weitere Gruppe zu gründen. Als er die Argumente aufgeführt hatte, brach eine wilde Diskussion aus. Alle redeten durcheinander. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis sich alle wieder beruhigten. Die meisten wollten nicht gehen. Sie hatten sich sehr an die Gruppe gewöhnt. Es waren so viele Jahre über, die sie schon zusammenlebten. Sie erzählten die verschiedensten Geschichten um zu betonen, dass die Gemeinschaft nicht zerbrechen dürfte. Doch es half nicht. Im Laufe des Tages wurde immer deutlicher, dass eine Trennung unumgänglich war. Am nächsten Tag meldeten sich vier Freiwillige. Es waren Mah, Fah, Bao und Nua. Mah hatte mit Ihnen geredet und Ihnen gesagt, dass sie gerne gehen würde. Sie nannte ihnen nicht den Grund, aber es war ihr der Stammesführer einfach zuwider. Sie fragte, ob sie sie begleiten würden. Und sie bejahten. Die anderen Frauen wollten das Dorf nicht verlassen und so war die schwangere Mah die Einzige, die den Mut gehabt hatte.
Ri kannte die Geschichte über seine Gruppe. Er war stolz auf seine Mah. Er konnte sich nur schwer an die Zeit zurückerinnern, als sie ohne Hütte umherstreiften. In der Anfangszeit waren sie noch auf der Suche nach anderen gewesen. Doch bald hatten sie die Hoffnung aufgegeben. Ri wurde geboren und sie hatten immer noch keinen festen Ort. Mah genoss das Abenteuer. Zwei Jahre vergingen und dann kamen sie an diesen Ort. Es war ideal mit der Lichtung, einem kleinen Bach in der Nähe und dem Wäldchen. Ri erinnerte sich am besten an die Zeit in der Hütte.
Als alle draussen zusammen saßen, brachten die Frauen das Fell des Hirsches und die Werkzeuge. Dabei waren verschiedene Steinwerkzeuge zum Schneiden und zum Wetzen. Bao überprüfte die Schärfe der Steine und reichte sie den anderen weiter. Mit zwei Steinen, die eine lange Schnittfläche hatten, machten sich Fah, Mah und Mui auf Gras zu schneiden, um daraus Stroh herzustellen. Die Lichtung hatte am Ende, nahe dem Wald, Gras ausreichender Höhe zu bieten. Sie hatten es nicht weit. Dort angekommen teilten sie sich auf und begannen das Gras zu schneiden. Fah stöhnte bei der Arbeit. Er war zwar jünger als Nua, aber das änderte nichts daran, dass er auch nicht mehr der Jüngste war. Mit seiner linken Hand umschloss er ein Büschel Gras und mit der rechten Hand schnitt er das Büschel ab. Das Gleiche taten Mah und Mui. Die abgeschnittenen Büschel legten sie behutsam auf eine Art Karren. Es war ein Karren ohne Räder. Fah hatte ihn vor einem Jahr aus Ästen gebaut, die mit Baumrinde zusammengeschnürt wurden. Es hielt erstaunlich gut und so hatte der Karren schon mehrere Dienste getan.
Als sie fertig waren, zog Fah den Karren zurück zur Hütte. Er stellte den Karren mittig zwischen zwei sich gegenüberstehende Baumstämme. In der Zeit, in der die anderen mit dem Gras beschäftigt gewesen waren, hatte Nua zwischen den Baumstämmen Platz gemacht. Er wartete auf die Anderen auf einem der Baumstämme und klatschte laut in die Hände als er sie erblickte. Mah, Fah und Mui breiteten das frisch geschnittene Gras aus um es zu trockenen. Danach gesellten sie sich zu Nua. Es dauerte nicht lange und alle waren sich einig, dass es an der Zeit war etwas zu essen. Mui und Mah holten etwas Fleisch, dass sie vor wenigen Tagen auf dem Feuer gegrillt und trocken in der Hütte aufbewahrt hatten. Als die Frauen das Fleisch brachten, kam auch Ri dazu. Er hatte die Zeit über im Bett gelegen und wieder in Gedanken die Ferne erkundet. Er hatte einen Tag Pause sich gönnen wollen und die anderen hatten ihm nicht widersprochen.
Nach dem Essen begutachteten die Männer die Steinwerkzeuge. Mit einem Wetzstein konnten manche an der scharfen Kante geschärft werden. Sie waren etwas weicher, weswegen die scharfe Kante nicht so lange hielt und auch nicht so stabil war. Für das Schneiden von Holz waren andere Steinwerkzeuge geeignet. Sie waren härter. Aber ihre scharfen Kanten konnte nur im Bruch des Steines entstehen. Fah war sehr geübt darin und ein wahrer Experte. Heute war einer der Tage, an dem er zusammen mit seinem Sohn sich an dem Steinwerkzeug erproben wollte. Ri sollte sein eigenes Steinwerkzeug machen. Ein Steinwerkzeug zum Schnitzen.
Enthusiastisch setzte er sich neben Ri. Er streckte Ri die Hand entgegen und machte die Hand auf. Darin war ein runder Stein. Beide setzten sich fern der Gruppe, damit keine abgebrochenen Steinteile jemanden verletzen konnten. Fah erklärte Ri die Bedeutung des Steines. Er zeigte auf Einschlüsse, die von Aussen zu erkennen waren. Dann nahm er sich weitere Steine, die flach waren und formte einen Kreis, in dessen Mitte eine Kule war. Er legte die anderen Steine immer wieder neu aus nachdem er zuvor mit dem Stein, den er bearbeiten wollte, die Position geprüft hatte. Ri passte auf und beobachtete genau die Bewegungen seines Vaters.
Nach einer viertel Stunde war die Position der Steine geklärt. Mit einem geflochtenen Tuch seiner Mutter überdeckte Ri den Steinhaufen. Dann sahen sich Fah und Ri gebannt an. Vater Fah holte aus und traf mit aller Kraft den Stein. Es tat einen Schlag. Unter dem Tuch sah Ri, dass der Stein genau an der Stelle, die sie besprochen hatten, in zwei Hälften zersprungen war. Nun galt es den zweiten Schlag auszuführen. Fah lächelte stolz seinen Sohn an. Sie nahmen das Tuch weg und diskutierten wieder an die fünfzehn Minuten über Position und Lage der Steine. Danach legte Ri wieder das Tuch über den Steinhaufen. Gebannt und etwas nervös sah er seinem Vater in die Augen. Fah sah ihn erwartungsvoll an und sagte Ri. Das war der Moment wusste Ri, holte aus und traf mit voller Wucht den Stein. Wieder tat es einen Schlag. Gespannt nahm Fah das Tuch beiseite. Der Schlag war gar nicht so schlecht gewesen. Fah musste nur noch mit einem zusätzlichen Schlag eine Kante etwas ausbessern. Dann überreichte er Ri sein erstes eigenes Steinwerkzeug.
Die Hütte
Ri erinnerte sich kaum an die Zeit vor der Hütte. Er war noch recht klein gewesen. Das meiste über diese Zeit hatte ihn der große Bao erzählt. Bao hatte sich freiwillig gemeldet das Dorf zu verlassen, weil er den Alltagstrott leid gewesen war. Er sehnte sich nach Abenteuern, die seiner Stärke gerecht wurden. Er war der Stärkste im Dorf gewesen. Und durch seine grosse Statur hatte er auch eine gewisse Machtstellung inne gehabt. Das hatte oft zu Streitigkeiten mit dem Medizinmann geführt. Bao war den Konflikten immer aus dem Weg gegangen. Er hatte kein Interesse an einer Machtstellung gehabt. Für ihn zählte die Jagd mit ihren Abenteuern.
Als der Moment gekommen war das Dorf zu verlassen, hatten die Frauen um ihn geweint. Die Frauen des Dorfes mochten ihn. Doch keine von ihnen war in der Lage gewesen ihn zum Bleiben zu überreden. Sie zerrten an ihm als er das Dorf verliess. Der Graue, Nua signalisierte, dass er auch mitkommen wollte, doch zögerte er aus irgendeinem Grund sich zu den anderen zu stellen. Und so standen da nur Fah und Mah. Er mochte die schwangere Mah schon lange. Und er war sich sicher, dass das die richtige Gemeinschaft für ihn war.
Alle gingen zusammen aus dem Dorf. Sie nahmen nichts mit ausser der Bekleidung, die sie am Leibe trugen. Zunächst wanderten sie den alten Trampelpfad entlang. Das war der Trampelpfad, den sie auch gingen, wenn sie zur Jagd aufbrachen. Nach zwei Stunden schwächelte Mah etwas. Ihre Schwangerschaft war weit fortgeschritten. Sie war im siebten Monat und bald würde der achte Monat folgen. Sie machten für Mah eine Pause. In der Zwischenzeit erkundete Bao die Umgebung. Er stieg abseits vom Trampelpfad auf eine kleine Anhöhe. Nun konnte er in die Ferne blicken. Er sah eine große Waldfläche, hinter der wieder eine Anhöhe war. An der Anhöhe entlang schlängelte sich ein Fluss. Er stand eine Zeit nur so da. Atmete tief ein und aus. Dann war er sich sicher seinen Weg zu kennen. Er kam zu den anderen zurück und zeichnete in die Erde was er gesehen hatte. Lange diskutierten sie, ob sie den Trampelpfad verlassen sollten. Schliesslich waren sie Baos Meinung. Sie würden den Trampelpfad verlassen und so auch den Weg zum Dorf hinter sich lassen. Sie würden etwas ganz Neues beginnen. Vielleicht würden sie auf andere Menschen treffen. Das war Baos Hoffnung und das Abenteuer, das er sich herbeisehnte.
Sie diskutierten so lange, dass sie nicht bemerkten wie weit der Tag voranschritt. Am Ende der Diskussion waren alle Baos Meinung. Sie würden den Flusslauf folgen. Der Abend stand bevor und so zogen die beiden Männer los um einen Unterschlupf zu bauen. Mah hingegen sammelte Beeren und Blätter um sie zum Abendessen zu reichen. Als die Männer zurückkamen begannen sie sofort den Unterschlupf zu bauen. Sie hatten Äste und große Blätter besorgt. Sie schichteten die Äste zu einem kreisrunden Zelt. Mit einem jungen Trieb, den ziemlich elastisch war fixierten sie die Äste an der Zeltspitze. Die grossen Blätter steckten sie so in die Aussenwand des Zeltes, sodass es dicht wurde. Mah legte den Innenraum mit gerupftem Gras aus. Das war ihre Behausung für die erste Nacht. Alle schliefen zusammengekauert. Sie wärmten sich gegenseitig.
Als der nächste Morgen anbrach, waren sie noch am Schlafen. Zuerst wurde Bao wach. Er ging vor das Zelt und streckte sich. Er zog los um wieder die Umgebung zu erkunden. Nach einer Zeit kehrte er wieder zurück und sah Mah das Frühstück vorbereiten. Es gab wieder Beeren und diesmal ein paar Wurzeln. Mah hatte die Zeit, in der Bao weg war genutzt die Umgebung nach einer bestimmten Pflanze abzusuchen, deren Wurzeln essbar waren. Mit einem dicken Ast, der spitz abgebrochen war, hatte sie die Wurzeln freigeschabt. Fah hingegen hatte die Zeit über noch geschlafen. Er wachte erst auf als das Frühstück da war. Alle assen zusammen und besprachen, dass sie nach dem Frühstück sogleich aufbrechen wollten. Doch noch während des Frühstücks begann es auf einmal zu regnen. Sie flüchteten in das Zelt zurück. Dort blieb es eine Zeit trocken bis der Regen auf einmal stärker wurde. Der Zeltboden begann sich zu nässen. Bao eilte heraus und begann mit dem Ast von Mahs Wurzelgraberei einen kreisrunden Graben um das Zelt zu graben. Er versuchte sich zu beeilen. Doch wurde er vollkommen durchnässt. Nass ging er in das Zelt zurück. Die anderen bedankten sich mit einer Umarmung. Als sie bemerkten wie durchnässt er war, zogen sie ihn aus. Mah hatte zum ersten Mal Bao nackt gesehen. Einen ganzen Tag brachten sie so zu, da der Regen nicht abnahm.
Den zweiten Tag verbrachten sie damit die Kleidung von Bao zu trocknen. Es dauerte, da der Regen zwar wieder aufgehört hatte, aber die Luft noch feucht war. Fah hatte in der Zeit sein Oberteil Bao gegeben. Und Mah hatte eine sonnige Stelle gesucht um Baos Kleidung zu trockenen.
Sie beschlossen zuerst hier zu bleiben um das Nötigste zusammenzustellen. Fah kümmerte sich um ein Werkzeug aus Stein und Bao ging auf Erkundungstour Wild zu erlegen. Als Bao zurückkam stand Fah schon da um zur Jagd aufzubrechen. Er hatte zwei Speere angefertigt. Er überreichte einen an Bao. Beide brachen auf und Mah blickte sorgenvoll auf sie zurück. In der Regel gingen Männer auf die Jagd. Mah machte sich Sorgen, dass etwas passieren könnte. Sie hatte einmal einen Jagdunfall im Dorf mitbekommen und die Schreie bis zu dem Tag nicht vergessen können.
Für Mah vergingen die Minuten wie Stunden. Sie wartete und wartete auf das Zurückkehren der beiden Männer. Dann auf einmal nahm sie ein Rascheln auf dem Trampelpfad wahr. Gespannt blickte sie auf den Trampelpfad. Sie wunderte sich, weil die Männer doch in die Gegenrichtung aufgebrochen waren. Dann erblickte sie einen einzelnen Mann in der Ferne. Es war weder Bao noch Fah. Es war der Graue, Nua. Erstaunt lief sie in seine Richtung. Mit einer Umarmung begrüsste Nua Mah. Er signalisierte ihr, dass er gekommen war um zu bleiben. Mah nickte und umarmte Nua erneut. Später erzählte er, dass er von Beginn an schon mitkommen wollte, doch wegen dem Medizinmann gezögert hatte. Er war dann einfach so heimlich aufgebrochen und den Spuren gefolgt. Doch als der Regen kam hatte er die Spur verloren. Er berichtete, dass er große Angst gehabt hatte sie nicht zu finden. Erneut umarmte er Mah. Mah verstand und freute sich, dass sie nun zu viert unterwegs waren. Das war schon besser als nur zu dritt und schwanger ein neues zu Hause zu finden.
Dann kamen Fah und Bao von der Jagd zurück. Sie hatten einen Hirsch erlegt. Sie sahen Nua und begrüssten ihn sofort. Sie liessen das Wild fallen und rannten zu Nua. Mit einer kräftigen Umarmung hiessen sie ihn willkommen. Kurz darauf machten sich Nua, Fah und Bao daran Feuer zu machen. Sie suchten nach trockenem Holz und getrocknetem Gras. Mit einem Stock und einem gespalten Holzspalt versuchten sie über Reibung eine Glut zu entfachen. Es dauerte und dauerte, doch dann hatten sie es geschafft. Zuerst war das Feuer recht klein doch alsbald loderte es wie wild und alle wärmten sich an dem warmen Feuer. Mah machte sich daran das Wild zuzubereiten. Mit dem Steinwerkzeug schnitt sie grosse Fleischstücke heraus. Sie holte mit einem Stock etwas Glut zur Seite und legte das Fleisch darauf. Die Feuerstelle hatte noch keine Konstruktion um das Fleisch über dem Feuer zu grillen. Mah beschloss, dass es für das erste auch so ging und bereitete das Fleisch zu. Als es fertig war, spülte sie die Asche mit etwas Wasser herunter und reichte es den Männern. Alle assen sich erstmal kräftig satt. Die Beerenkost der letzten Tage hatte sie hungrig gemacht.
Sie verbrachten noch zwei Tage an dieser Stelle und bauten noch ein zweites Zelt, in dem Bao und Nua schliefen. Zudem bereiteten sie sich auf ihr zukünftiges Nomadenleben vor. Sie fertigten einen Karren ohne Räder auf dem sie das Fell des Hirsches und die restlichen Habseeligkeiten transportieren konnten. Das war Nuas Idee gewesen. Bao hatte ihm dabei geholfen. Nach den zwei Tagen besprachen sie die Strecke und brachen auf zu neuen Abenteuern entlang des Flusses.
Wenige Monate später stand der große Tag unmittelbar bevor. Mah erwartete Ris Geburt. Sie hatte kaum noch Kraft. Alles schmerzte. Deswegen hatten sie direkt neben dem Fluss ein neues Lager aufgeschlagen. Nua kümmerte sich von nun an um das Sammeln von Essen. Er war schon zuvor durch die Frauen im Dorf in das Sammeln von Beeren, Wurzeln, Blättern und Pilzen eingewiesen worden. Er hatte keine Mühe damit. Irgendwie gefiel ihm die neue Aufgabe. Es war nicht so gefährlich wie die Jagd.
Die Tage vergingen und Mah ging es immer schlechter. Die Wehen setzten ein. Bao, Nua und Fah wurden immer nervöser. Bald würde es soweit sein. Das Kind würde kommen. Alle drei fühlten sich nicht bereit bei der Geburt beizustehen. In ihrem Dorf war das stets Aufgabe der Frauen gewesen. Die Frauen gebaren die Kinder, die Männer gingen auf die Jagd. Mah hatte versucht die drei Männer zu beruhigen. Es wäre ganz leicht. Sie müssten sie nur versorgen und bei der Geburt halten. Mah war sich sicher das alles gut gehen würde. Als die Wehen immer schlimmer wurden, rief sie nach Bao. Der Große kam sofort angerannt. Mah legte ihren Arm um Bao und deutete mit Lauten auf den Fluss. Bao trug sie in den Fluss. Zwischen zwei Steinen setzte er sie im Wasser ab. Fah und Nua rannten hinterher.
Gebunden wie ein Stück Knäul fand sich Mah alsbald in den Armen von Bao und Nua. Beide umschlungen und streichelten sie. Fah kniete zu ihren Füßen um das Kind in Empfang zu nehmen. Mah keuchte und schrie bei jeder Wehe. Der Wald war ganz still geworden. Man hörte keinen Vogel singen. Es schien so als ob die Welt gebannt auf die Geburt wartete. Immer wieder presste Mah. Sie ertrug die Schmerzen gerade so. So etwas hatte sie bisher noch nie gefühlt. Sie sehnte den Moment herbei, an dem alles wieder vorbei sein würde. Die Zeit verging so garnicht und die Stunden wurden zur Ewigkeit. Der Tag wich der Nacht und der Vollmond strahlte auf den Fluss. Und dann wieder eine Wehe und wie wild begann sie zu pressen. Fah wurde auf einmal ganz aufgeregt. Er konnte schon einen Teil des Kopfes sehen. Blut begann das Wasser rot zu färben. Stunden über Stunden vergingen bis es endlich geschafft war. Fah hielt mit einem Mal den Kleinen in der Hand. Mah stöhnte und begann zu lächeln. Mit grossen Augen sahen Bao und Nua auf das Kind. Es war mittlerweile wieder hell geworden. Die Vögel begannen wieder zu singen. Fah durchtrennte die Nabelschnur und gab das Kind seiner Mutter. Mah konnte ihre Gefühle nicht mehr bändigen und begann laut zu weinen. Sie liebkoste ihren Kleinen und war überglücklich.
So verweilten sie eine Zeit am Fluss bis sie wieder weiter zogen. Die Jahre vergingen mit dem Kleinen im Schlepptau. Fah brachte ihm das Laufen bei. Mah wies ihn in die Sprache und Gestik ein. Bao und Fah spielten mit dem Kleinen. Sie hatten sich berufen gefühlt die Heiterkeit in das Leben des Kleinen Bibu zu bringen. Bibu war sehr gesellig. Er spielte viel und machte oft Spass mit der Gruppe. Er hing an seiner Mutter genauso wie an seinem Vater. Stolz betrachtete Ma ihren Sohn. Sie konnte sich schon gar nicht mehr an die Schmerzen erinnern, die es bedeutet hatten ihn zur Welt zu bringen. Mit zwei Zelten und einem Karren ohne Räder verbrachten sie zwei Jahre am Flussufer. Immer dem Fluss entlang.