Acht perfekte Morde - Peter Swanson - E-Book
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Acht perfekte Morde E-Book

Peter Swanson

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Beschreibung

Eine Reihe ungelöster Todesfälle, alle unterschiedlich, doch eine Gemeinsamkeit: Sie alle erinnern an Morde aus der klassischen Kriminalliteratur.

Einst veröffentlichte Malcolm Kershaw, seines Zeichens Buchhändler und Krimi-Liebhaber, eine Liste der perfekten Morde der Literaturgeschichte auf dem Blog des Buchladens »Old Devils Bookstore«. Zehn Jahre später gehört Malcolm die Buchhandlung. Die Liste hat er längst vergessen und ist umso überraschter, als FBI-Agentin Gwen Mulvey bei ihm aufschlägt. Sie ist einer Mordserie auf der Spur, die auf unheimliche Weise an Malcolms Liste erinnert. Doch Agent Mulvey ist nicht die Einzige, die sich für den eigenbrötlerischen Buchhändler interessiert. In den Schatten lauert ein Killer, der jeden Zug von Malcolm beobachtet. Und er weiß um dessen Geheimnis aus der Vergangenheit …

Vielschichtig, unvorhersehbar, mitreißend – der »New York Times«-Bestseller von Peter Swanson ist Krimikost vom Feinsten!

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Seitenzahl: 385

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Buch

Einst veröffentlichte Malcolm Kershaw, seines Zeichens Buchhändler und Krimi-Liebhaber, eine Liste der perfekten Morde der Literaturgeschichte auf dem Blog des Buchladens »Old Devils Bookstore«. Zehn Jahre später gehört Malcolm die Buchhandlung. Die Liste hat er längst vergessen und ist umso überraschter, als FBI-Agentin Gwen Mulvey bei ihm aufschlägt. Sie ist einer Mordserie auf der Spur, die auf unheimliche Weise an Malcolms Liste erinnert. Doch Agent Mulvey ist nicht die Einzige, die sich für den eigenbrötlerischen Buchhändler interessiert. In den Schatten lauert ein Killer, der jeden Zug von Malcolm beobachtet. Und er weiß um dessen Geheimnis aus der Vergangenheit …

Autor

Seine Romane stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten der »New York Times«, der »Sunday Times« sowie vom SPIEGEL und wurden in über 30 Sprachen übersetzt. 2016 gewann Swanson den »New England Society Book Award«. Er lebt mit seiner Frau und einer Katze in Somerville, Massachusetts.

Von Peter Swanson bereits erschienen:

Die Unbekannte · Die Gerechte · Alles, was du fürchtest · Ein Tod ist nicht genug · Angst sollst du haben

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

PETER SWANSON

ACHT PERFEKTE MORDE

THRILLER

Deutsch von Fred Kinzel

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Eight Perfect Murders« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2020 by Peter Swanson

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Bernd Stratthaus

Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de

Umschlagmotive: © Arcangel Images (Roy Bishop, Jarno Saren)

JA · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27209-8V002

www.blanvalet.de

Für die Könige und Königinnen und auch für die Prinzen –Brian, Jen, Adelaide, Maxine, Oliver und Julius

Vorbemerkung: Obwohl alles, was Sie gleich lesen werden, im Großen und Ganzen der Wahrheit entspricht, habe ich einige Ereignisse und Gespräche aus dem Gedächtnis rekonstruiert. Einige Namen und Erkennungszeichen sind geändert worden, um die Unschuldigen zu schützen.

Kapitel 1

Die Ladentür ging auf, und ich hörte, wie sich die FBI-Agentin auf der Fußmatte die Stiefel abtrat. Es hatte eben zu schneien begonnen, und die Luft, die in den Laden strömte, war schwer und randvoll mit Energie. Die Tür schloss sich hinter der Agentin. Sie musste bei ihrem Anruf ganz in der Nähe gewesen sein, denn es waren nur etwa fünf Minuten vergangen, seit ich mich mit ihr verabredet hatte.

Von mir abgesehen, war der Laden leer. Ich weiß nicht genau, warum ich an diesem Tag überhaupt aufgemacht hatte. Ein Schneesturm war vorhergesagt, er sollte am Morgen einsetzen und bis zum Nachmittag des folgenden Tages weit mehr als einen halben Meter Schnee bringen. Bostons Schulen hatten bereits angekündigt, vorzeitig zu schließen, und den gesamten Unterricht für den nächsten Tag abgesagt. Ich hatte die beiden zur Arbeit eingeteilten Angestellten angerufen – Emily für die Vormittagsschicht und den frühen Nachmittag, Brandon für den Nachmittag und den Abend – und sie angewiesen, zu Hause zu bleiben. Dann loggte ich mich in den Twitter-Account des Old Devils Bookstore ein und war im Begriff, einen Tweet zu versenden, dass wir für die Dauer des Sturms schließen würden, aber etwas hielt mich zurück. Vielleicht war es die Vorstellung, den ganzen Tag allein in meiner Wohnung zu verbringen. Davon abgesehen, wohnte ich keine achthundert Meter vom Laden entfernt.

Ich hatte mich also entschieden, zur Arbeit zu gehen. Zumindest würde ich so Zeit mit Nero verbringen, einige Regale ordnen und vielleicht sogar die eine oder andere Online-Bestellung verpacken können.

Ein granitfarbener Himmel drohte mit Schnee, als ich die Ladentür in der Bury Street in Beacon Hill aufschloss. Der Old Devils Bookstore liegt nicht in einer Gegend mit viel Laufkundschaft, aber wir sind auf neue und gebrauchte Kriminalromane spezialisiert, und die meisten Kunden suchen uns gezielt auf oder bestellen einfach direkt über unsere Webseite. An einem typischen Donnerstag im Februar wäre ich nicht überrascht, wenn die Gesamtzahl der Kunden nur mit Mühe einen zweistelligen Wert erreichte, es sei denn natürlich, es ist eine Veranstaltung geplant. Dennoch gab es immer etwas zu tun. Und es gab Nero, den Ladenkater, der es hasste, den ganzen Tag allein zu sein. Außerdem wusste ich nicht mehr, ob ich ihm am Abend zuvor eine Extraration Futter gegeben hatte. Wie sich herausstellte, hatte ich es wahrscheinlich nicht getan, denn als ich die Ladentür öffnete, kam er angerannt, um mich zu begrüßen. Er war ein rötlich brauner Kater unbestimmten Alters, perfekt als Ladenkatze, weil er sich bereitwillig die Liebkosungen Fremder gefallen ließ (oder vielmehr ganz versessen darauf war). Ich schaltete das Licht ein, fütterte Nero und machte mir eine Kanne Kaffee. Um elf kam Margaret Lumm, eine Stammkundin, herein.

»Dass Sie heute aufhaben«, staunte sie.

»Dass Sie draußen unterwegs sind.«

Sie hielt zwei Tüten eines teuren Lebensmittelladens in der Charles Street in die Höhe. »Vorräte«, sagte sie mit ihrer Patrizierstimme.

Wir sprachen über den neuesten Roman von Louise Penny, wobei hauptsächlich sie redete. Ich tat nur so, als hätte ich ihn gelesen. In letzter Zeit tue ich bei vielen Büchern so, als hätte ich sie gelesen. Was ich tatsächlich lese, sind die Besprechungen in den großen Branchenblättern, und ich verfolge einige Blogs. Einer von ihnen nennt sich der Der Lehnstuhl-Spoiler und enthält Besprechungen neu erschienener Titel, in denen deren Ende erörtert wird. Ich verkrafte zeitgenössische Kriminalromane nicht mehr – manchmal lese ich ein Lieblingsbuch aus meiner Kindheit noch einmal – und finde die Bücherblogs deshalb unentbehrlich. Vermutlich könnte ich ehrlich zugeben, dass ich das Interesse an Krimiliteratur verloren habe und dieser Tage hauptsächlich geschichtliche Werke und vor dem Zubettgehen Gedichte lese, aber ich lüge lieber. Die wenigen Leute, denen ich die Wahrheit sage, wollen immer wissen, wieso ich es aufgegeben habe, Krimis zu lesen, und das ist nichts, worüber ich reden kann.

Ich schickte Margaret Lumm mit einer gebrauchten Ausgabe von Ruth Rendells Der Kuss der Schlange fort, da sie sich zu neunzig Prozent sicher war, es nie gelesen zu haben. Dann aß ich das Sandwich mit Geflügelsalat, das ich mir zum Lunch mitgebracht hatte, und überlegte gerade, es für heute gut sein zu lassen, als das Telefon läutete.

»Old Devils Bookstore«, meldete ich mich.

»Ist Malcolm Kershaw zu sprechen?« Eine Frauenstimme.

»Am Apparat.«

»Ah, gut. Hier ist Special Agent Gwen Mulvey vom FBI. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn Sie Zeit haben.«

»In Ordnung«, sagte ich.

»Passt es Ihnen jetzt gleich?«

»Sicher«, antwortete ich und dachte, sie wollte am Telefon mit mir sprechen, aber stattdessen sagte sie, sie sei sofort bei mir und legte auf. Ich stand einen Moment mit dem Telefon in der Hand da und stellte mir vor, wie eine FBI-Agentin namens Gwen wohl aussah. Ihre Stimme hatte am Telefon wie ein Reibeisen geklungen, deshalb dachte ich, sie ginge auf den Ruhestand zu, eine imposante, humorlose Frau in einem braunen Regenmantel.

Einige Minuten später stieß Agent Mulvey die Tür auf und sah ganz anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie war in den Dreißigern, wenn überhaupt schon, und trug Jeans, die in waldgrünen Stiefeln steckten, dazu eine flauschige Winterjacke und eine weiße Pudelmütze. Sie trat ihre Stiefel auf der Fußmatte ab, nahm die Mütze vom Kopf und kam zum Kassentisch. Ich ging um den Tisch herum, um sie zu begrüßen, und sie streckte mir die Hand entgegen. Sie hatte einen festen Händedruck, aber ihre Haut war klamm.

»Agent Mulvey?«

»Ja, hallo.« Schneeflocken schmolzen auf ihrer grünen Jacke und ließen dunkle Flecken zurück. Sie schüttelte kurz den Kopf – die Enden ihres dünnen blonden Haars waren nass. »Ich bin überrascht, dass Sie noch aufhaben«, sagte sie.

»Eigentlich wollte ich gerade schließen.«

»Oh«, sagte sie. Sie hatte eine Ledertasche über der Schulter hängen, zog den Riemen über den Kopf und öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke. »Aber Sie haben noch kurz Zeit?«

»Ja. Und ich bin neugierig. Sollen wir uns in mein Büro setzen?«

Sie drehte sich um und sah zur Eingangstür. Die Sehnen an ihrem Hals zeichneten sich unter der weißen Haut ab. »Können Sie von da aus hören, ob ein Kunde hereinkommt?«

»Ich glaube zwar nicht, dass das passieren wird, aber doch, ja, ich würde es hören. Hier entlang, bitte.«

Mein Büro war mehr eine Nische im hinteren Teil des Ladens. Ich holte Agent Mulvey einen Stuhl, ging um den Schreibtisch herum und nahm in meinem Ledersessel Platz, dessen Füllung aus den Nähten quoll. Ich postierte mich so, dass ich sie zwischen zwei Bücherstapeln hindurch sehen konnte. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich habe Sie gar nicht gefragt, ob Sie es etwas trinken möchten. In der Kanne ist noch Kaffee.«

»Nein danke«, antwortete sie, zog ihre Jacke aus und stellte ihre lederne Handtasche, die eher eine Aktentasche war, neben sich auf den Boden. Sie trug einen schwarzen Pullover mit rundem Ausschnitt unter der Jacke. Jetzt, da ich sie richtig sehen konnte, fiel mir auf, dass nicht nur ihre Haut blass war. Alles an ihr war farblos: ihr Haar, die Lippen, ihre beinahe durchscheinenden Augenlider, selbst ihre Brille mit dem schmalen weißen Drahtgestell wurde fast vom Gesicht verschluckt. Es war schwer, genau festzustellen, wie sie aussah, als hätte ein Künstler mit dem Daumen ihre Züge verwischt. »Ehe wir anfangen, möchte ich Sie bitten, über nichts von dem, worüber wir uns gleich unterhalten, mit jemand anderem zu sprechen. Manches davon ist öffentlich zugänglich, aber manches auch nicht.«

»Jetzt bin ich aber wirklich neugierig«, sagte ich und merkte, dass sich mein Puls beschleunigt hatte. »Und klar, einverstanden, ich sage niemandem etwas.«

»Wunderbar, danke«, erwiderte sie und schien es sich auf ihrem Stuhl bequem zu machen. Sie ließ die Schultern sinken und blickte mich direkt an.

»Haben Sie von der Sache mit Robin Callahan gehört?«, fragte sie.

Robin Callahan war eine Nachrichtensprecherin im Lokalfernsehen gewesen, die man vor anderthalb Jahren in ihrem Haus in Concorde, rund vierzig Kilometer nordwestlich von Boston, erschossen aufgefunden hatte. Seither war das die wichtigste Geschichte in den Lokalnachrichten, und trotz eines verdächtigen Ehemanns war noch niemand verhaftet worden. »Von dem Mord?«, fragte ich. »Natürlich.«

»Und was ist mit Jay Bradshaw?«

Ich überlegte einen Moment, dann schüttelte ich den Kopf. »Ich glaube nicht.«

»Er lebte in Dennis on the Cape. Man hat ihn im August erschlagen in seiner Garage gefunden.«

»Nein«, bekräftigte ich.

»Sind Sie sicher?«

»Ich bin mir sicher.«

»Wie steht es dann mit Ethan Byrd?«

»Den Namen habe ich schon mal irgendwo gehört.«

»Er war ein Student an der University of Massachusetts in Lowell, der vor mehr als einem Jahr verschwunden ist.«

»Ach ja, richtig.« Ich erinnerte mich tatsächlich an den Fall, allerdings wusste ich keine Einzelheiten mehr.

»Man hat ihn rund drei Wochen nach seinem Verschwinden gefunden, in einem Naturschutzgebiet in Ashland verscharrt, von wo er stammte.«

»Ja, natürlich. Es war groß in den Nachrichten. Hängen diese drei Morde denn zusammen?«

Sie beugte sich auf ihrem Stuhl vor und griff nach unten zu ihrer Tasche, dann zog sie die Hand plötzlich zurück, als hätte sie es sich anders überlegt. »Wir waren zunächst nicht dieser Ansicht, wenn man mal davon absieht, dass alle drei Fälle ungelöst sind. Aber irgendwem sind dann die Namen aufgefallen.« Sie hielt inne, als wollte sie mir Gelegenheit geben, sie zu unterbrechen. Dann fuhr sie fort: »Robin Callahan. Jay Bradshaw. Ethan Byrd.«

Ich überlegte kurz. »Ich habe das Gefühl, einen Test nicht zu bestehen.«

»Sie können sich Zeit lassen«, erwiderte sie. »Oder ich verrate es Ihnen einfach.«

»Haben ihre Namen mit Vögeln zu tun?«

Sie nickte. »Richtig. Robin – Rotkehlchen, Jay – Blauhäher, und dann noch der Nachname Byrd. Es ist weit hergeholt, das ist mir schon klar, aber … ohne groß ins Detail zu gehen: Nach jedem Mord hat die nächstgelegene Polizeidienststelle etwas erhalten, was wie eine Botschaft des Mörders aussah.«

»Sie hängen also zusammen?«

»Es scheint so, ja. Aber sie könnten auch noch in anderer Weise zusammenhängen. Erinnern die Morde Sie an etwas? Ich frage Sie, weil Sie Experte für Kriminalliteratur sind.«

Ich blickte kurz zur Decke meines Büros, dann antwortete ich: »Gut, es klingt wie etwas, das sich jemand ausgedacht hat, wie aus einem Serienmörderroman oder etwas von Agatha Christie.«

Sie richtete sich unmerklich auf. »Nach einem bestimmten Roman von Agatha Christie?«

»Was mir auf Anhieb in den Sinn kommt, ist aus naheliegenden Gründen Das Geheimnis der Amseln.«

»Das ist allerdings nicht der, an den ich gedacht habe.«

»Ich würde sagen, es erinnert auch an Die Morde des Herrn ABC.«

Agent Mulvey lächelte, als hätte ich gerade einen Preis gewonnen. »Richtig. Das ist der, den ich im Sinn hatte.«

»Weil es keine Verbindung zwischen den Opfern gibt, außer ihren Namen?«

»Genau. Und nicht nur das, auch dass die Polizeistationen etwas zugeschickt bekommen: In dem Buch erhält Poirot Briefe des Mörders, die mit ABC unterzeichnet sind.«

»Sie haben es also gelesen?«

»Als ich vierzehn war mit Sicherheit. Ich habe fast alle Bücher von Agatha Christie gelesen, also war das wahrscheinlich auch dabei.«

»Es ist eins ihrer besten«, sagte ich nach einer kurzen Pause. Ich hatte diesen speziellen Christie-Plot nie vergessen. Es gibt eine Reihe von Morden, und was sie miteinander verbindet, sind die Namen der Opfer. Erst wird jemand mit den Initialen A. A. in einer Stadt getötet, die mit dem Buchstaben A beginnt. B. B. wird in einer B-Stadt getötet. Und so weiter. Es stellt sich heraus, dass der Täter eigentlich nur eins der Opfer töten wollte, aber er lässt es so aussehen, als handelte es sich um eine von einem geisteskranken Täter begangene Serie von Verbrechen.

»Finden Sie?«, fragte die Agentin.

»Ja. Mit Sicherheit einer ihrer besten Plots.«

»Ich will es noch mal lesen, aber bisher habe ich nur den Wikipedia-Artikel dazu angeschaut, um mir die Handlung wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es gibt auch noch einen vierten Mord in dem Buch.«

»Ich glaube, ja«, sagte ich. »Jemand mit einem D-Namen ist die letzte getötete Person. Und es stellt sich heraus, dass der Mörder nur den Eindruck erwecken wollte, als würde ein Verrückter die Taten begehen, während er die ganze Zeit nur eine bestimmte Person im Visier hat. Die anderen Morde sind im Wesentlichen Tarnung.«

»So stand es auch in der Zusammenfassung. Es war die Person mit dem C-Namen, auf die es der Täter die ganze Zeit abgesehen hatte.«

»Okay«, sagte ich. Ich begann, mich zu fragen, warum sie zu mir gekommen war – etwa nur, weil ich eine Krimibuchhandlung besaß? Brauchte sie ein Exemplar des Buchs? Aber wieso hatte sie dann am Telefon konkret nach mir gefragt? Wenn es ihr nur um jemanden ging, der in einer Krimibuchhandlung arbeitete, hätte sie hereinkommen und mit irgendwem reden können.

»Können Sie mir noch etwas über das Buch sagen?«, fragte sie und fügte nach einem Moment hinzu: »Sie sind ja der Experte.«

»Bin ich das?«, fragte ich. »Eigentlich nicht, aber was genau wollen Sie denn wissen?«

»Ich weiß nicht. Irgendwas. Ich hatte gehofft, Sie würden es mir sagen.«

»Nun ja, von der Tatsache abgesehen, dass jeden Tag ein merkwürdiger Mann hier in den Laden kommt und ein neues Exemplar von Die Morde des Herrn ABCkauft, wüsste ich nicht, was ich Ihnen erzählen könnte.« Sie riss kurz die Augen auf, bis sie begriff, dass ich einen Witz gemacht oder es zumindest versucht hatte. Sie quittierte ihn mit einem müden Lächeln. »Sie glauben, diese Morde hängen mit dem Buch zusammen?«, fragte ich.

»Das glaube ich, ja. Es ist zu absurd, um etwas anderes zu sein.«

»Denken Sie denn, jemand kopiert das Buch, um ungestraft mit einem Mord davonzukommen? Dass jemand zum Beispiel Robin Callahan ermorden wollte, aber dann die anderen Leute tötete, damit es aussieht, als wäre ein von Vögeln besessener Serienmörder am Werk?«

»Möglich«, entgegnete Agent Mulvey, dann rieb sie sich an der Nase. Selbst ihre kleinen Hände waren blass, die Fingernägel unlackiert. Sie schwieg wieder. Es war ein seltsames Gespräch, voller Pausen. Sie hoffte wohl, ich würde die Stille ausfüllen, doch ich beschloss, nichts zu sagen.

Schließlich ergriff sie wieder das Wort: »Sie fragen sich bestimmt, warum ich zu Ihnen gekommen bin.«

»Richtig«, bestätigte ich.

»Bevor ich es Ihnen verrate, würde ich Sie gern nach einem weiteren Fall aus der letzten Zeit fragen.«

»Okay.«

»Sie haben wahrscheinlich nichts darüber gehört. Ein Mann namens Bill Manso. Er wurde in diesem Frühjahr in Norwalk, Connecticut, nahe den Bahngleisen gefunden. Er ist als Pendler regelmäßig mit einem bestimmten Zug gefahren, und zunächst sah es so aus, als wäre er aus dem Zug gesprungen, aber jetzt hat es den Anschein, als wäre er woanders getötet und zu den Gleisen gebracht worden.«

»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Davon habe ich nichts gehört.«

»Erinnert es Sie an etwas?«

»Erinnert mich was an etwas?«

»Die Art und Weise seines Todes.«

»Nein«, sagte ich, aber das stimmte nicht ganz. Es erinnerte mich sehr wohl an etwas, aber ich kam nicht drauf, woran. »Ich glaube nicht«, fügte ich an.

Sie wartete wieder, und ich fuhr fort: »Wollen Sie mir verraten, warum Sie mir diese Fragen stellen?«

Sie zog den Reißverschluss ihrer Ledertasche auf und entnahm ihr ein einzelnes Blatt Papier. »Erinnern Sie sich an eine Liste, die Sie 2004 für den Blog dieses Ladens geschrieben haben? Eine Liste mit dem Titel: ›Acht perfekte Morde‹?«

Kapitel 2

Ich habe seit meinem Collegeabschluss 1999 in Buchhandlungen gearbeitet. Zuerst kurz in einem Borders im Zentrum von Boston, dann als stellvertretender Geschäftsführer und schließlich als Leiter eines der wenigen verbliebenen unabhängigen Läden am Harvard Square. Amazon hatte seinen Krieg um uneingeschränkte Dominanz gerade gewonnen, und die meisten kleinen Buchhandlungen wurden weggefegt wie windige Zelte in einem Hurrikan. Doch der Redline Bookstore hielt durch, zum Teil wegen der älteren Klientel, die für Onlineshopping noch nicht versiert genug war, aber hauptsächlich, weil seinem Eigentümer, Mort Abrams, das zweistöckige Ziegelgebäude gehörte, in dem der Laden untergebracht war, sodass er keine Pacht zahlen musste. Fünf Jahre war ich bei Redline, zwei als Assistent und drei als Geschäftsführer und Teilzeit-Einkäufer. Meine Spezialität war Belletristik und insbesondere Kriminalliteratur.

Während meiner Zeit in dem Laden lernte ich auch meine spätere Frau Claire Mallory kennen, die kurz nachdem sie ihr Studium an der Boston University geschmissen hatte, bei uns als Verkäuferin angestellt wurde. Wir heirateten im selben Jahr, in dem Mort Abrams seine Frau nach fünfunddreißig Ehejahren an den Brustkrebs verlor. Mort und Sharon, die zwei Straßen vom Laden entfernt gewohnt hatten, waren enge Freunde geworden, Ersatzeltern im Grunde, und Sharons Tod war hart, vor allem, da er Mort jeden verbliebenen Lebenswillen raubte. Ein Jahr nach ihrem Tod teilte er mir mit, er werde den Laden schließen, es sei denn, ich wolle ihn auszahlen und die Buchhandlung selbst übernehmen. Ich dachte darüber nach, aber zu diesem Zeitpunkt hatte Claire Redline bereits verlassen und arbeitete beim nichtkommerziellen Lokalfunk, und ich wollte mich nicht unbedingt auf die langen Arbeitszeiten und das finanzielle Risiko eines eigenen Ladens einlassen. Ich nahm Kontakt zu Old Devils auf, einer Krimibuchhandlung in Boston, und John Haley, der damalige Eigner, schuf einen Job für mich. Ich würde als Eventmanager eingestellt, aber außerdem Inhalt für den im Entstehen begriffenen Blog des Ladens liefern, eine Seite für Krimiliebhaber. Mein letzter Tag bei Redline war auch der letzte Tag für das Geschäft. Mort und ich schlossen die Eingangstür zusammen ab, dann folgte ich ihm in sein Büro, wo wir Single Malt aus einer staubigen Flasche tranken, die ihm Robert Parker einmal geschenkt hatte. Ich weiß noch, dass ich dachte, Mort würde es ohne seine Frau und jetzt auch noch ohne den Laden nicht durch den Winter schaffen. Ich irrte mich. Er überlebte den Winter und das Frühjahr, brachte es dann aber fertig, im Sommer in seinem Seehaus in Winnipesaukee zu sterben, eine Woche, bevor Claire und ich ihn besuchen wollten.

»Acht perfekte Morde« war der erste Beitrag, den ich für den Blog von Old Devils schrieb. Mein neuer Boss, John Haley, hatte mich gebeten, eine Liste meiner Lieblingskrimis zu verfassen, aber ich baute die Idee aus und erstellte stattdessen eine Liste perfekter Morde in der Kriminalliteratur. Ich weiß nicht mehr genau, warum es mir widerstrebte, meine Lieblingsbücher öffentlich zu machen, aber ich dachte, es würde vielleicht mehr Resonanz erzeugen, wenn ich über perfekte Morde schrieb. Es war in der Zeit, da verschiedene Blogs an Bedeutung gewannen und ihre Verfasser reich und berühmt machten. Es gab etwa einen Blog darüber, wie jemand täglich ein Rezept von Julia Child nachkochte, aus dem ein Buch und vielleicht sogar ein Film entstand. Ich glaube, ich hegte wohl ein paar größenwahnsinnige Vorstellungen, dass mein Blog mich vielleicht in eine Art Krimipapst verwandeln würde. Claire fachte diese Fantasien noch an, indem sie immer wieder sagte, dieser Blog könne ihrer Ansicht nach wirklich ein Knaller werden und ich würde meine Berufung darin finden – Kritiker für Kriminalliteratur. Die Wahrheit war, dass ich meine Berufung bereits gefunden hatte, zumindest dachte ich das: Ich war Buchhändler, zufrieden mit den tausend winzigen Interaktionen, die das Leben eines Buchhändlers ausmachten. Und am meisten liebte ich das Lesen – das war meine wahre Berufung.

Trotz allem begann ich, meinen – noch ungeschriebenen – »Perfekte-Morde«-Text als wichtiger anzusehen, als er in Wirklichkeit war. Ich würde darin den Tonfall für den Blog vorgeben, zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung treten. Der Beitrag sollte makellos sein – nicht nur was die Sprache, sondern auch was die Liste als solche betraf. Sie sollte eine Mischung aus Altbekanntem und noch Unentdecktem sein. Das goldene Zeitalter sollte repräsentiert sein, aber sie sollte auch einen zeitgenössischen Roman enthalten. Tagelang brütete ich darüber und bastelte an der Liste herum, fügte Titel ein, strich andere und recherchierte Bücher, die ich noch gar nicht gelesen hatte. Ich glaube, ich wurde nur deshalb überhaupt damit fertig, weil John irgendwann zu murren begann, dass ich noch nichts auf dem Blog veröffentlicht hätte. »Es ist ein Blog«, hatte er gesagt. »Schreib einfach eine gottverdammte Bücherliste und stell sie ins Netz. Du wirst nicht benotet.«

Passenderweise erschien der Beitrag zu Halloween. Wenn ich ihn heute lese, krümme ich mich innerlich ein wenig. Er ist überambitioniert geschrieben, stellenweise sogar prätentiös. Ich kann praktisch wahrnehmen, wie gierig ich auf Beifall war. Hier ist der Text, den ich schlussendlich postete:

ACHTPERFEKTEMORDEVon Malcolm Kershaw

In den unsterblichen Worten von Teddy Lewis in Body Heat, Lawrence Kasdans unterschätztem Neo-Noir-Film von 1981: »Jedes Mal, wenn du dich an einem anständigen Verbrechen versuchst, gibt es fünfzig Möglichkeiten, es zu verpfuschen. Wenn du nur auf fünfundzwanzig kommst, bist du ein Genie … aber du bist eben kein Genie.« Wie wahr, doch die Geschichte der Kriminalliteratur ist gepflastert mit zumeist toten oder inhaftierten Kriminellen, die das nahezu Unmögliche versucht haben: ein perfektes Verbrechen zu begehen. Viele von ihnen haben sich am ultimativen perfekten Verbrechen versucht, dem perfekten Mord.

Im Folgenden findet sich meine Auswahl der cleversten, erfindungsreichsten, der idiotensichersten (falls es so etwas gibt) Morde in der Geschichte der Kriminalliteratur. Weder stammen sie aus meinen Lieblingsbüchern des Genres, noch behaupte ich, es seien die besten. Es sind schlicht diejenigen, in denen der Mörder der Verwirklichung des platonischen Ideals eines perfekten Mordes am nächsten kommt.

Hier ist sie also, meine persönliche Liste »perfekter Morde«. Seien Sie vorgewarnt, ich habe mich zwar bemüht, größere Spoiler zu vermeiden, war dabei aber nicht hundertprozentig erfolgreich. Wenn Sie also eins der Bücher noch nicht gelesen haben und ins kalte Wasser springen wollen, schlage ich vor, Sie lesen das Buch zuerst und meine Liste danach.

Das Geheimnis des roten Hauses (1922) von A. A. Milne

Lange bevor Alan Alexander Milne sein bleibendes Vermächtnis schuf – Pu der Bär, falls Sie ihn noch nicht kennen –, schrieb er einen einzigen Roman über ein perfektes Verbrechen. Es ist ein Landhaus-Krimi; ein verschwunden geglaubter Bruder taucht plötzlich auf, um Mark Ablett um Geld zu bitten. Ein Schuss löst sich in einem verschlossenen Raum, und der Bruder wird getötet. Mark Ablett verschwindet. Es gibt einige absurde Tricksereien in dem Buch – darunter verkleidete Charaktere und einen Geheimgang –, aber der Plan des Mörders ist in seinen Grundelementen außerordentlich gerissen.

Vorsätzlich. Die Geschichte eines gewöhnlichen Verbrechens (1931) von Anthony Berkeley Cox

Berühmt als der erste »auf den Kopf gestellte« Kriminalroman (wir erfahren auf der allersten Seite, wer der Mörder und wer das Opfer ist), ist das Buch im Wesentlichen eine Fallstudie darüber, wie man seine Frau vergiftet und damit durchkommt. Es hilft natürlich, dass der Mörder ein Landarzt mit Zugang zu tödlichen Substanzen ist. Seine unerträgliche Frau ist lediglich sein erstes Opfer, denn wenn man erst einmal einen perfekten Mord begangen hat, ist die Versuchung groß, einen weiteren in Angriff zu nehmen.

Die Morde des Herrn ABC (1936) von Agatha Christie

Poirot ermittelt gegen einen »Verrückten«, der – anscheinend vom Alphabet besessen – zuerst Alice Ascher in Andover tötet, dann Betty Barnard in Bexhill usw. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie man einen konkret geplanten Mord inmitten einer Vielzahl weiterer versteckt, weil man hofft, dass die Ermittler einen Irren am Werk vermuten.

Doppelte Abfindung (1943) von James M. Cain

Mein Lieblingsbuch von Cain, hauptsächlich wegen des grimmigen, fatalistischen Endes. Aber der Mord im Zentrum des Buchs – ein Versicherungsagent verbündet sich mit der Femme fatale Phyllis Nirdlinger, um deren Ehemann zu beseitigen – ist brillant ausgeführt. Es ist ein klassisch inszenierter Mord: Der Mann wird in einem Auto getötet und dann auf die Bahngleise gelegt, damit es so aussieht, als wäre er aus dem Raucherwagon am Ende des Zugs gefallen. Walter Huff, der Versicherungsagent und Liebhaber, spielt den Ehemann und stellt auf diese Weise sicher, dass Zeugen die Anwesenheit des Ermordeten im Zug bekunden.

Zwei Fremde im Zug (1950) von Patricia Highsmith

Meine Wahl für das genialste Verbrechen von allen. Zwei Männer, beide mit Mordabsichten, tauschen die Morde, damit der andere für die Tatzeit jeweils ein Alibi hat. Da es null Verbindung zwischen den beiden Männern gibt – sie unterhalten sich nur kurz in einem Zug –, sind die Morde nicht aufzuklären. Theoretisch, natürlich. Und trotz des brillanten Plots war Highsmith mehr an Überlegungen zu Zwang und Schuld interessiert, daran, wie ein Mann dem anderen seinen Willen aufpresst. Der abgeschlossene Roman ist faszinierend und bis ins Mark verdorben zugleich – wie das meiste von Highsmiths Werk.

Madonna der sieben Sünden (1963) von John MacDonald

MacDonald, meine Wahl für den unterschätzten Meister der Krimiliteratur zur Mitte des Jahrhunderts, hat sich selten mit Whodunits abgegeben. Er war viel zu sehr an der Psyche des Verbrechers interessiert, um seine Schurken bis zum Ende geheim zu halten. Madonna der sieben Sünden ist also ein Ausreißer, und ein guter dazu. Der Täter oder die Täterin ersinnt eine Methode, seine oder ihre Opfer so zu ertränken, dass es wie ein Unfall aussieht.

Todesfalle (1978) von Ira Levin

Kein Roman natürlich, sondern ein Theaterstück, auch wenn ich dringend empfehle, es zu lesen und sich außerdem den ausgezeichneten Film von 1982 anzuschauen. Sie werden Christopher Reeves danach mit anderen Augen sehen. Es ist ein brillantes, komisches Krimi-Kammerspiel, dem es gelingt, ernst und satirisch zugleich zu sein. Der erste Mord – an einer Frau mit einem schwachen Herzen – ist in seiner Anlage clever, aber auch idiotensicher. Herzinfarkte sind eine natürliche Todesursache, auch wenn sie nicht auf natürliche Weise herbeigeführt werden.

Die geheime Geschichte (1992) von Donna Tartt

Wie Vorsätzlich ein auf dem Kopf stehender Krimi, in dem eine kleine, elitäre Gruppe von Studenten der Altphilologie an einer Universität in Neuengland einen der Ihren tötet. Wir kennen das Wer lange vor dem Warum. Der Mord selbst ist in seiner Ausführung einfach: Bunny Corcoran wird während seiner gewohnheitsmäßigen Sonntagswanderung in eine Schlucht gestoßen. Was die Tat herausragen lässt, ist die Erklärung, die Rädelsführer Henry Winter für sie findet – sie würden »Bunny erlauben, die Umstände seines Todes selbst zu bestimmen«. In meinen Augen ist das jedoch weniger eine Erklärung als eine Möglichkeit, den Tod zufällig und nicht geplant wirken zu lassen. Sie kennen nicht einmal die genaue Route, die Bunny für diesen Tag geplant hat, warten jedoch an einer wahrscheinlichen Stelle. Was folgt, ist eine packende Erforschung von Reue und Schuld.

Die Wahrheit ist, dass es schwer war, die Liste zusammenzustellen. Ich hatte es mir wenigstens einfacher vorgestellt, Beispiele perfekter Morde in der Literatur zu finden, aber es war nicht einfach. Deshalb habe ich Todesfalle mit aufgenommen, obwohl es ein Drama ist und kein Roman. Ich hatte Ira Levins Originaltext ursprünglich nicht einmal gelesen oder auch nur das Stück auf der Bühne gesehen. Ich war nur ein Fan des Films. Wenn ich jetzt auf die Liste zurückschaue, wird mir außerdem klar, dass Madonna der sieben Sünden – ein Buch, das ich wirklich liebe – eigentlich nicht dorthin gehört. Die Mörderin lauert mit einer Sauerstoffflasche auf dem Grund eines Teichs und zieht ihre Opfer in die Tiefe. Es ist eine witzige Idee, aber in hohem Maß unwahrscheinlich und wohl kaum narrensicher. Woher weiß sie, wo sie warten muss? Was, wenn noch jemand am Teich ist? Nach geglückter Tat dürfte es zwar tatsächlich ein Mord sein, der wie ein Unfall aussieht, aber ich glaube, ich habe das Buch nur deshalb auf die Liste gesetzt, weil ich John D. MacDonald so sehr liebe. Vermutlich wollte ich außerdem etwas eher Unbekanntes dabeihaben, etwas, was nicht verfilmt wurde.

Nachdem ich die Liste gepostet hatte, sagte Claire, dass ihr mein Schreibstil gefalle, und John, mein Boss, war einfach nur erleichtert, dass der Blog gestartet war. Ich wartete auf Kommentare und erlaubte mir kurze Fantasien, in denen der Beitrag hohe Wellen im Internet schlug und Leser ihre eigenen Lieblingsmorde debattierten. NPR, der nichtkommerzielle Rundfunk, würde anrufen und mich bitten, zu einem Gespräch über das Thema auf Sendung zu gehen. Am Ende gab es zwei Kommentare zu dem Blogpost. Der erste stammte von einer Sue Snowden, die schrieb: Wow!! So viele neue Bücher für meinen Stapel!!, und der zweite war von ffolliot123, der schrieb: Wer eine Liste perfekter Morde verfasst, die nicht wenigstens einen John Dickson Carr enthält, hat offensichtlich keine Ahnung von irgendwas.

Die Sache mit John Dickson Carr ist, dass ich einfach keinen Zugang zu seinen Büchern finde, auch wenn der Kommentator wahrscheinlich recht damit hatte, ihr Fehlen zu monieren. Carr ist auf sogenannte Locked Room Mysterys spezialisiert, unmögliche Verbrechen. Es erscheint jetzt lächerlich, aber damals störte mich diese Meinung, wahrscheinlich weil ich ihr bis zu einem gewissen Grad zustimmte. Ich erwog sogar einen Folge-Post, etwas wie »Weitere acht perfekte Morde«. Stattdessen bestand mein nächster Post aus einer Liste meiner Lieblingskrimis im abgelaufenen Jahr, und ich schrieb das ganze Ding in rund einer Stunde. Ich fand außerdem heraus, wie man die Titel der Bücher mit unserem Onlineshop verlinkte, wofür mir John außerordentlich dankbar war. »Wir wollen hier nur Bücher verkaufen, Mal«, erinnerte er mich, »nicht Debatten auslösen.«

Kapitel 3

Agent Mulvey hielt mir eine ausgedruckte Seite hin. Ich nahm sie, warf einen Blick auf die Liste, die ich geschrieben hatte, und sagte: »Ich erinnere mich daran, aber es ist lange her.«

»Wissen Sie noch, welche Bücher Sie damals ausgewählt haben?«

Ich sah wieder auf die Liste, mein Blick fiel auf Doppelte Abfindung, und plötzlich wusste ich, warum sie hier war. »Ach so«, sagte ich. »Der Mann auf den Bahngleisen. Sie denken, dem könnte Doppelte Abfindung zugrunde liegen?«

»Ich halte es für möglich, ja. Er war ein Pendler. Obwohl er woanders getötet wurde, sollte es so aussehen, als wäre er aus dem Zug gesprungen. Als ich davon hörte, musste ich sofort an Doppelte Abfindung denken. An Frau ohne Gewissen, wie die Verfilmung hieß, meine ich. Das Buch habe ich nie gelesen.«

»Und kommen Sie zu mir, weil ich das Buch gelesen habe?«, fragte ich.

Sie blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich komme zu Ihnen, weil ich auf Google eine Suche mit Doppelte Abfindung plus Die Morde des Herrn ABC gestartet habe, als mir klar wurde, dass dieses Verbrechen möglicherweise einen Film oder ein Buch nachgeahmt hat. Und dabei bin ich auf Ihre Liste gestoßen.«

Sie stellte Blickkontakt her und sah mich erwartungsvoll an. Ich bemerkte, wie ich unwillkürlich von ihren Augen zu der breiten Fläche ihrer Stirn und dann zu den beinahe unsichtbaren Brauen sah. »Verdächtigen Sie mich?«, fragte ich und lachte.

Sie lehnte sich ein wenig zurück. »Sie stehen nicht offiziell unter Verdacht, nein. In diesem Fall wäre ich nicht allein hier, um Sie zu befragen. Aber ich untersuche sehr wohl die Möglichkeit, dass alle diese Verbrechen vom selben Täter begangen wurden und dass dieser Täter bewusst Verbrechen aus Ihrer Liste imitiert.«

»Meine Liste kann doch nicht die einzige sein, in der sowohl DoppelteAbfindung als auch Die Morde des Herrn ABC vorkommen, oder?«

»Ehrlich gesagt, ist sie es so ziemlich. Jedenfalls ist Ihre die kürzeste, die beide enthält. Beide Bücher waren auch zusammen auf anderen Listen, aber die sind wesentlich länger, wie zum Beispiel ›Hundert Krimis, die Sie vor Ihrem Tod lesen müssen‹ oder dergleichen, aber Ihre sticht heraus. Es geht bei ihr um den perfekten Mord. Acht Bücher werden genannt. Sie arbeiten in einer Krimibuchhandlung in Boston. Alle Verbrechen sind in Neuengland geschehen. Hören Sie, ich weiß, es ist wahrscheinlich alles nur Zufall, aber ich dachte, ein wenig nachzuforschen kann nicht schaden.«

»Ich kann nachvollziehen, dass jemand offenbar durch die ABC-Morde inspiriert wird, aber eine Leiche, die in der Nähe von Bahngleisen gefunden wurde? Es scheint mir weit hergeholt zu behaupten, das hätte etwas mit Doppelte Abfindung zu tun.«

»Erinnern Sie sich gut an das Buch?«

»Ja. Es ist eins meiner Lieblingsbücher.« Das stimmte. Ich hatte es mit etwa dreizehn gelesen und war so begeistert gewesen, dass ich mir Frau ohne Gewissen, die Verfilmung mit Fred MacMurray und Barbara Stanwyck von 1944, besorgte. Dieser Film führte mich zu einer ganzen Reihe weiterer Films noirs, die ich verschlang, sodass ich meine Teenagerjahre in Videoläden verbrachte, die klassische Filme vorrätig hatten. Von all den Films noirs, die ich wegen Frau ohne Gewissen gesehen habe, übertraf keiner diese erste Seherfahrung. Manchmal glaube ich, Miklós Rózsas Musik zu dem Film hat sich für alle Zeiten in mein Gehirn eingebrannt.

»An dem Tag, an dem man Bill Mansos Leiche auf den Gleisen fand, war eins der Notausstiegsfenster des Zugs eingeschlagen worden.«

»Dann kann es also sein, dass er tatsächlich gesprungen ist?«

»Ausgeschlossen. Die Spurensicherung hat festgestellt, dass er woanders getötet und erst nachträglich zu den Gleisen gebracht wurde. Und der amtliche Leichenbeschauer hat bestätigt, dass er durch den Schlag mit einem stumpfen Objekt gegen den Kopf starb, wahrscheinlich war es eine Art Waffe.«

»Verstehe«, sagte ich.

»Das bedeutet, jemand – vermutlich der Mörder selbst oder ein Komplize – war im Zug und hat das Fenster eingeschlagen, damit es so aussah, als wäre er gesprungen.«

Zum ersten Mal seit dem Beginn unseres Gesprächs empfand ich ein wenig Beunruhigung. In dem Buch, genau wie im Film, verliebt sich ein Versicherungsagent in die Frau eines Ölmanagers, und sie schmieden einen Plan, ihn zu ermorden. Sie tun es füreinander, aber auch des Geldes wegen. Walter Huff, der Versicherungsagent, fälscht eine Unfallversicherungspolice für Nirdlinger, den Mann, den sie ermorden wollen. Die Police enthält eine Klausel, nach der sich die auszuzahlende Summe verdoppelt, wenn der Tod in einem Zug geschieht. Walter und Phyllis, die treulose Ehefrau, brechen dem Ehemann in einem Auto das Genick, dann gibt sich Walter als Nirdlinger aus und steigt selbst in den Zug. Er trägt einen falschen Gips am Bein und benutzt Krücken, da sich der echte Nirdlinger kurz zuvor das Bein gebrochen hat. Walter hält den Gips für eine glückliche Fügung, weil sich andere Passagiere an ihn erinnern werden, ohne sich notwendigerweise sein Gesicht zu merken. Er geht zum Raucherwagon am Ende des Zugs und springt ab. Dann legen Walter und Phyllis den Toten neben die Gleise, damit es aussieht, als wäre er aus dem Zug gestürzt.

»Sie behaupten also, alles wurde definitiv so arrangiert, dass es wie der Mord in Frau ohne Gewissen aussah?«

»Das behaupte ich, ja«, erwiderte sie. »Ich bin allerdings die Einzige, die von diesem Zusammenhang überzeugt ist.«

»Was waren das für Leute?«, fragte ich. »Die Ermordeten?«

Agent Mulvey warf einen Blick zur abgehängten Decke im Hinterzimmer des Ladens, dann sagte sie: »Soweit wir feststellen konnten, verbindet sie nichts außer der Tatsache, dass sich alle Todesfälle in Neuengland ereignet haben und dass anscheinend Morde aus literarischen Quellen imitiert wurden.«

»Von meiner Liste«, ergänzte ich.

»Richtig. Ihre Liste ist eine mögliche Verbindung. Aber es gibt noch eine … nicht wirklich eine Verbindung, mehr ein Bauchgefühl meinerseits. Alle Opfer … sie waren nicht wirklich böse, aber es waren auch keine guten Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob irgendwer von ihnen wirklich beliebt war.«

Ich überlegte einen Moment. Im Hinterzimmer des Buchladens wurde es allmählich dunkler, und ich sah automatisch auf meine Armbanduhr, aber es war noch immer erst früher Nachmittag. Ich blickte zum Lagerraum, wo zwei Fenster auf die rückwärtige Gasse hinausgingen. Vor beiden türmte sich inzwischen der Schnee, und der Ausschnitt der Außenwelt, der noch zu erkennen war, erschien düster wie die Dämmerung. Ich schaltete meine Schreibtischlampe ein.

»Bill Manso, zum Beispiel, war ein geschiedener Börsenmakler«, fuhr Mulvey fort. »Seine erwachsenen Kinder hatten ihn nach Aussage der ermittelnden Detectives seit zwei Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen, er sei nicht gerade der väterliche Typ gewesen. Es sei klar geworden, dass sie ihn nicht mochten. Und Robin Callahan war ziemlich umstritten, wie Sie vielleicht gelesen haben.«

»Frischen Sie mein Gedächtnis noch mal auf.«

»Sie hat wohl vor einigen Jahren die Ehe eines ihrer Kollegen zum Scheitern gebracht und in der Folge ihre eigene. Dann schrieb sie ein Buch gegen Monogamie – das ist noch gar nicht so lang her. Viele Leute mögen sie nicht. Wenn Sie ihren Namen googeln …«

»Na ja …«, sagte ich.

»Stimmt. Jeder hat heutzutage Feinde. Aber um Ihre Frage zu beantworten, ich halte es für möglich, dass alle bisher Getöteten als Menschen nicht gerade leuchtende Beispiele waren.«

»Sie glauben, dass jemand meine Liste von Morden gelesen und dann beschlossen hat, die Methoden darin zu kopieren? Und die Getöteten sollen den Tod irgendwie verdient haben? Ist das Ihre Theorie?«

Sie presste die Lippen aufeinander, was sie noch farbloser erscheinen ließ, als sie ohnehin schon waren, dann entgegnete sie: »Ich weiß, es klingt lächerlich …«

»Oder glauben Sie, dass ich diese Liste geschrieben und dann beschlossen habe, die Morde selbst zu begehen?«

»Gleichermaßen lächerlich«, erwiderte sie. »Ich weiß es. Aber es ist doch auch unwahrscheinlich, dass jemand den Mordplan aus einem Agatha-Christie-Roman kopiert und gleichzeitig jemand einen Mord in einem Zug inszeniert, wie in …«

»Einem Roman von James Cain«, half ich aus.

»Richtig.« Meine Schreibtischlampe hat eine gelb getönte Birne, und in ihrem Schein sah die Agentin aus, als hätte sie seit drei Tagen nicht geschlafen.

»Wann haben Sie die Verbindung zwischen diesen Verbrechen denn bemerkt?«, fragte ich.

»Sie meinen, wann ich Ihre Liste entdeckt habe?«

»Ja, das meine ich wohl.«

»Gestern. Ich habe bereits alle Bücher bestellt, und von allen eine Zusammenfassung der Handlung gelesen, aber dann habe ich beschlossen, direkt zu Ihnen zu gehen. Ich dachte, dass Ihnen vielleicht etwas einfällt, dass Sie weitere ungelöste Verbrechen mit Ihrer Liste in Verbindung bringen könnten. Ich weiß, es besteht nur eine vage Chance …«

Ich warf einen Blick auf den Ausdruck in meiner Hand und rief mir die acht Bücher, die ich ausgewählt hatte, in Erinnerung. »Bei manchen von denen könnte man die Morde nicht genau nachahmen«, erklärte ich dann. »Oder man könnte es, aber sie wären schwer zu entdecken.«

»Wie meinen Sie das?«

Ich überflog die Liste. »Todesfalle, zum Beispiel, das Stück von Ira Levin. Kennen Sie es?«

»Nicht so genau.«

»Die Ehefrau stirbt, nachdem sie zu Tode erschreckt wird und einen Herzinfarkt erleidet. Der Ehemann und sein Geliebter fädeln es ein. Es ist natürlich ein perfekter Mord, weil man niemals beweisen könnte, dass jemand, der einen Herzinfarkt hatte, in Wirklichkeit ermordet wurde. Aber nehmen wir an, jemand wollte ihn nachstellen. Zunächst einmal ist es ziemlich schwer, einen Herzinfarkt bei jemandem auszulösen, und noch schwerer wäre es für Sie dahinterzukommen. Ich nehme nicht an, dass Sie ein verdächtiges Herzinfarktopfer gefunden haben, oder?«

»Tatsächlich habe ich eins gefunden«, erwiderte sie, und zum ersten Mal, seit sie den Laden betreten hatte, entdeckte ich einen Schimmer Selbstzufriedenheit in ihren Augen. Sie war wirklich überzeugt, an einer Sache dran zu sein.

»Ich weiß nicht viel darüber«, fuhr sie fort, »aber es gab eine Frau namens Elaine Johnson aus Rockland, Maine, die letzten September in ihrem Haus an einem Herzinfarkt gestorben ist. Sie hatte eine Herzschwäche, deshalb hat es nach einem natürlichen Tod ausgesehen, aber es gab Anzeichen dafür, dass bei ihr eingebrochen worden war.«

Ich rieb mir das Ohrläppchen. »Ein Raubüberfall?«

»Das ist der Schluss, zu dem die Polizei gekommen ist. Jemand ist in ihr Haus eingebrochen, um sie zu berauben oder zu überfallen, aber sie hat einen Herzinfarkt erlitten, sobald sie den Einbrecher sah, und dieser hat daraufhin das Weite gesucht.«

»Es wurde nichts aus dem Haus gestohlen?«

»Richtig. Es wurde nichts gestohlen.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich zweifelnd.

»Überlegen Sie doch«, beharrte sie und rutschte ein wenig auf ihrem Stuhl hin und her. »Angenommen, Sie wollen jemanden ermorden, indem Sie bei dieser Person einen Herzinfarkt verursachen. Zunächst wählen Sie ein Opfer, das bereits einen hatte, was bei Elaine Johnson der Fall war. Dann schleichen Sie sich in das Haus, wo sie allein lebt, schlüpfen in irgendeine furchterregende Verkleidung und springen sie aus einem Schrank heraus an. Sie fällt tot um, und Sie haben einen Mord begangen, genau wie in Ihrem Buch.«

»Und wenn es nicht funktioniert?«

»Dann rennt der Täter aus dem Haus, und sie kann ihn nicht identifizieren.«

»Aber sie würde es doch sicher melden, oder?«

»Natürlich.«

»Hat jemand ein solches Vorkommnis gemeldet?«

»Nein. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Aber das bedeutet nur, dass es beim ersten Mal funktioniert hat.«

»Stimmt«, räumte ich ein.

Sie schwieg einen Moment lang. Ich hörte ein leises Tapsen, als Nero über den Holzboden auf uns zukam. Agent Mulvey, die es ebenfalls hörte, drehte sich um und sah den Ladenkater an. Sie ließ ihn an ihrer Hand schnuppern und kraulte ihn geübt am Kopf. Nero legte sich schnurrend auf die Seite.

»Sie haben auch Katzen?«, vermutete ich.

»Zwei. Geht die hier mit Ihnen nach Hause, oder bleibt sie immer im Laden?«

»Es ist ein Kater, und er bleibt hier. Für ihn besteht das ganze Universum aus zwei von Büchern gesäumten Räumen und einer Reihe von Fremden, von denen ihn einige füttern.«

»Hört sich nach einem guten Leben an.«

»Ich denke, es geht ihm gut. Die Hälfte der Leute, die hier hereinspazieren, kommen nur, um ihn zu sehen.«

Nero stand auf, streckte seine Hinterbeine eins nach dem anderen und trottete in den vorderen Teil des Ladens zurück.

»Was genau wollen Sie nun von mir?«, fragte ich.

»Na ja, wenn jemand tatsächlich Ihre Liste als Orientierung benutzt, um Morde zu begehen, dann sind Sie der Experte.«

»Ich weiß nicht.«

»Ich meine, Sie sind der Experte für die Bücher auf Ihrer Liste. Es sind Ihre Lieblingsbücher.«

»Vermutlich«, gab ich zu. »Ich habe diese Liste vor langer Zeit geschrieben, und manche dieser Bücher kenne ich sehr viel besser als andere.«

»Trotzdem kann es nicht schaden, Ihre Meinung zu hören. Ich hatte gehofft, Sie würden sich einige Fälle ansehen, die ich zusammengestellt habe, eine Liste nicht aufgeklärter Morde der letzten Jahre in Neuengland. Ich habe sie letzte Nacht rasch zusammengestellt, im Großen und Ganzen nur Zusammenfassungen« – sie zog einen Stapel Blätter aus ihrer Aktentasche –, »und ich habe gehofft, Sie würden sie durchgehen und mir Bescheid geben, wenn irgendwelche davon etwas mit den Büchern auf Ihrer Liste zu tun haben könnten.«

»Sicher«, erwiderte ich und nahm den gehefteten Stapel entgegen. »Sind die ebenfalls … vertraulich?«

»Die meisten Informationen darin sind öffentlich zugänglich. Wenn Sie bei irgendwelchen der Verbrechen einen Zusammenhang für möglich halten, sehe ich sie mir genauer an. Ich fische hier, ehrlich gesagt, im Trüben. Ich bin sie schon durchgegangen. Es ist nur so, da Sie die Bücher gelesen haben …«

»Einige werde ich auch noch einmal lesen müssen«, sagte ich.

»Dann helfen Sie mir also?« Sie setzte sich ein wenig auf und schenkte mir ein schwaches Lächeln. Sie hatte eine schmale Oberlippe, und ich konnte ihr Zahnfleisch sehen, als sie den Mund öffnete.

»Ich werd’s versuchen«, versprach ich.

»Danke. Und da ist noch etwas. Ich habe alle diese Bücher bestellt, aber wenn Sie welche davon hierhaben, könnte ich früher mit dem Lesen anfangen.«

Ich schaute in meinem Computer im Inventarverzeichnis nach. Es verriet mir, dass wir jeweils mehrere Exemplare von DoppelteAbfindung, Die Morde des Herrn ABC und Die geheime Geschichte hatten, dazu ein Exemplar von Das Geheimnis des roten Hauses. Wir hatten auch ein Exemplar von Zwei Fremde im Zug, aber es war eine Erstausgabe von 1950 in einwandfreiem Zustand, die wenigstens zehntausend Dollar wert war. Wir hatten eine verschlossene Vitrine hinter der Kasse, die alle unsere Bücher im Wert von mehr als fünfzig Dollar enthielt, aber dort war sie nicht. Sie befand sich in meinem Büro, in einem ebenfalls abgesperrten Glasschrank, in dem sich die Bücher befanden, von denen ich mich noch nicht so recht trennen konnte. Ich hatte einen Hang zum Sammeln, was nicht unbedingt günstig für jemanden ist, der in einer Buchhandlung arbeitet und dessen Bücherregale in der eigenen Dachwohnung bis zur Grenze ihres Fassungsvermögens voll sind. Fast hätte ich Agent Mulvey erklärt, wir hätten das Buch von Highsmith nicht, aber dann entschied ich mich, einer FBI-Mitarbeiterin gegenüber besser nicht zu lügen, zumindest nicht wegen einer Belanglosigkeit. Ich erklärte ihr, was das Buch wert war, und sie sagte, sie wolle auf ihre Taschenbuchausgabe warten. Damit blieben noch Madonna der sieben Sünden, das ich mit Sicherheit zu Hause hatte, und Vorsätzlich, von dem ich glaubte, ich könnte es ebenfalls zu Hause stehen haben. Ich hatte definitiv keine Textausgabe von Todesfalle, weder hier im Laden noch in meiner Wohnung, aber ich wusste, dass eine existierte. Das alles teilte ich der Agentin mit.

»Ich kann sowieso nicht acht Bücher in einer Nacht lesen«, sagte sie.

»Fahren Sie zurück nach …«

»Ich bleibe hier, im Flat of the Hill Hotel. Ich hatte gehofft, nachdem Sie die Liste durchgegangen sind, könnten wir uns … vielleicht morgen früh wieder treffen und sehen, ob Ihnen etwas eingefallen ist.«

»Natürlich«, willigte ich ein. »Ich weiß nicht, ob ich den Laden morgen aufmachen werde, wenn dieses Wetter …«

»Sie könnten zum Hotel kommen. Das FBI spendiert Ihnen ein Frühstück.«

»Klingt gut.«