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Alle reden vom Klima, außer Christin Henkel. So darf es nicht weitergehen! Also macht sie sich auf in die schöne neue Ökowelt. Mit Demeter-Denis und Tantra-Torben erkundet sie den tollen neuen #greenlifestyle. Denn was zählt mehr als ein reines ökologisches Gewissen, so wie es um unseren Planeten bestellt ist? Sie besucht ein Achtsamkeitsseminar, lebt unter Eso-Hipstern in Brandenburg und erfährt von Zero Waste, Golden Milk und Sextoys aus Naturmaterialien. Man zeigt ihr, wie man den Moment lebt und wertschätzend mit sich selbst und mit der Natur umgeht. Lastenfahrrad statt Auto! Sie erzählt heitere Fleckengeschichten aus dem Unverpackt-Laden, von dem heißen Tipp, die Haare mit Roggenmehl zu waschen, von dem phantastischen Vorsatz, Marie Kondo zu folgen, alles auszumisten und reinen Tisch zu machen – um dann doch alles zu behalten. Und schließlich macht ihr die Corona-Krise ein Geschenk: Christin Henkel lernt, wie ihr Leben von heute auf morgen entschleunigt werden kann, auch wenn das Toilettenpapier fehlt. Slow Food, slow sex, greentastic!
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Impressum
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet,
dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.
Eulenspiegel Verlag – eine Marke der
Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage
Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten.
ISBN E-Book 978-3-359-50094-0
ISBN Print 978-3-359-01394-5
© 2020 Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut Berlin,
unter Verwendung von Fotos der Autorin von Emanuel A. Klempa und eines Fotos von tomertu /AdobeStock
www.eulenspiegel.com
Inhalt
Schöne neue Ökowelt
Achtsam am Arsch …
Green Lifestyle früher vs. Green Lifestyle heute
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Ausmisten mit Marie Kondo
Ich finde Chaos voll in Ordnung
Zero Waste im Badezimmer
Du riechst so schön nach Apfelessig
Tantra-Torben und ein Haufen Liebe
Einsam, zweisam, achtsam
Unverpackt
Total verkackt
Achtsame Momblogger
Stoffwindeln mit Montessori-Mathilda
Konsumfrei durch die Weihnachtszeit
Früher war weniger Lametta
Falsche Schönheitsideale
Baby, zieh’ die Alfstrumpfhose an!
Das Achtsamkeitsseminar
Rosinenmeditation für Anfänger
Easy entschleunigen mit Corona
Hilfe! Ich muss jetzt selber kochen
Liebesgrüße aus der Lausitz
Gemeinsam einsamen
Schöne neue Ökowelt
Achtsam am Arsch …
»Wir brauchen das Auto eigentlich gar nicht mehr«, erklärt Mona stolz und streichelt dabei verträumt über den Lenker ihres funkelnagelneuen Lastenfahrrads, mit dem sie bald die kleine Mathilda und den Benedict-Hector vom Hatha-Yoga für Neugeborene abholen kann. Gerade eben hat sie mit ihrem neuen SUV mit Pedalen versehentlich einen E-Roller und zwei Passanten umgenietet, aber das ist nicht so schlimm – immerhin sollen die Fahrradwege im Stadtzentrum bald Lastenradmutti-tauglich erweitert werden. Nach oben und unten ist ja noch massig Platz. Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, bis sie das Monstrum vorm Bahnhof mit sieben Sicherheitsschlössern abgesperrt hat. Den Einwand ihres Mannes, sie blockiere damit eine Feuerwehrzufahrt, hat sie dabei gekonnt ignoriert.
Auch Gatte Manuel verzichtet seit kurzem auf seinen PKW. Obendrein hat er, trotz Tätigkeit im deutschlandweiten Vertrieb einer veganen Hundefutterfirma, all seine Inlandsflüge gestrichen und reist fortan ausschließlich mit der Bahn. Mit einer ordentlichen Portion Glück im Reisegepäck geht das genauso schnell, und er bekommt sogar manchmal einen Sitzplatz.
Unser alter Freund Denis lässt sich gar nicht mehr in der Innenstadt blicken. Er hockt jetzt im brandenburgischen Outback und hantiert im eigenen Garten. Einen Großteil seiner Lebensmittel baut er selbst an. Slow Food und so. Ständig schwärmt er uns von der Ruhe und der malerischen Landschaft vor und endet jedes Mal mit einem ausgedehnten »Ihr müsst uuunbedingt vorbeikommen. Es ist traumhaft hier!«
Mona und Manuel hatte er sofort angefixt. Seitdem sie mit den Zwillingen schwanger sind, suchen sie aktiv nach einem Ort, an dem ihre beiden Bio-Bälger optimal gedeihen können. Ihnen schwant, dass die Drei-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg bald ausgedient hat. Mich hingegen machte die ganze Promotion für Denis’ neuen Lebensmittelpunkt von Anfang an skeptisch. Wenn es da wirklich sooo toll ist, wieso muss man es dann explizit betonen? Das ist wie mit der kleinen Pummelfee, die jedem ungefragt erzählt, wie viel Sport sie treibt. Und warum zur Hölle weiß niemand von diesem paradiesischen Naherholungsgebiet?! Noch nie habe ich Leute sagen hören: »Also, das Karwendelgebirge, naja … Aber die Lausitz, Leute! Die Lausitz! Einfach wow!« Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Und nun verlassen Mona, Manuel und ich mit nur dreiundzwanzig Minuten Verspätung den Ostbahnhof, um Demeter-Denis einen Besuch abzustatten.
Die Entschleunigung beginnt bereits in der Regionalbahn. Keine Ahnung, wie der Tourismusverband der Region das retten will, aber ein Abenteuer ist die Fahrt im Lausitz-Express nicht gerade: Wald – Feld – Wald – Feld – Kuhkaff – wieder Wald – noch ein Feld, und das alles über eine Stunde lang und komplett ohne LTE. Das mit dem Breitbandausbau lohnt sich wahrscheinlich nicht, weil die wenigen Ortsansässigen das Internet gar nicht kennen.
Aber malerisch ist die Landschaft wirklich. Das muss man ihr lassen: hier ein Feld, da ein Baum, noch schnell ein paar Regenwolken – zack! Fertig gemalt. Da hat der Künstler nicht viel Arbeit.
»Meine Lieben, schaut mal! Er wartet schon auf uns!«, unterbricht Mona meine Gedanken, als der Zug in den Bahnhof unserer brandenburgischen Zielmetropole einfährt. Tatsächlich – da steht unser kordhosentragender Ex-Berliner winkend an Gleis 1 (es gibt nur eins), um seine Gäste in Empfang zu nehmen.
»Hier, probiert mal!«, ruft er uns noch vorm ersten Hallo aufgeregt zu: »Das ist Brunnenkresse, frisch geerntet. Kann man prima an den Salat machen.« Sein breites Grinsen verrät, dass Brunnenkresse außerdem super in den Zahnzwischenräumen hängen bleibt. Wir umarmen ihn und freuen uns, dass die alte Gang nach langer Zeit wieder vereint ist. Die Brunnenkresse schmeckt interessant. Ein echt guter Tipp, falls ich mir einmal ein Kaninchen zulegen sollte. »Noch ein kurzer Fußmarsch, dann sind wir da«, erklärt Denis, der neuerdings ein kleines bisschen nach Kompost riecht, und wir folgen ihm auf einer verlassenen Straße in Richtung Gartenidyll. Vierzig Minuten später stapfen wir immer noch querfeldein. Er muss ziemlich viel von seiner Kresse geraucht haben, wenn er tatsächlich glaubt, dass er nah an Berlin wohnt. Mona ist bereits in siebten Monat und kommt richtig ins Schwitzen, aber glücklicherweise erreichen wir das Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit und vorm Einsetzen der Spontangeburt.
Das alte Bauernhaus steht am Rande einer winzigen Ortschaft. Der verwilderte Garten ist riesig und zwischen den urigen Obstbäumen quietscht leise eine Hollywoodschaukel. Es ist wirklich schön hier, das muss ich zugeben.
»Hier, probier mal!«, ruft Denis schon wieder und hält mir dieses Mal einen bis zur Unkenntlichkeit verschrumpelten Apfel unter die Nase. »Das ist der Holsteiner Cox, frisch geerntet. Da sind alle möglichen Vitamine drin. Superfood aus der Region sozusagen.«
»Alles klar! Dachte schon, das wäre Sonya Kraus ohne Make-up«, versuche ich der kulinarischen Belästigung mit einem kleinen Scherz entgegenzutreten. Doch Denis’ Dackelblick verrät mir, dass ich um die Verkostung des runzligen Teils nicht drumherumkommen werde. Hoffentlich zwingt er mich nicht, einen Beutel voll davon mit nach Hause zu nehmen.
»Mmmmh«, raunt uns Mona genüsslich entgegen. Ihr schmecken die Teile offensichtlich köstlich. Sie hat es sich auf der Hollywoodschaukel gemütlich gemacht, knabbert sich tapfer durch ihr Äpfelchen und setzt zu einem mahnenden Vortrag darüber an, was der unachtsame Verzehr eines Lebensmittels, das NICHT BIO ist, für riesige Schäden bei Embryonen anrichten kann. Das könne sie mit ihrem Gewissen absolut nicht vereinbaren. »Mal ganz ehrlich, meine Lieben – wozu bekommt man denn Kinder, wenn man sie dann vergiftet?!« Eine starke Ansage, wenn man bedenkt, dass sich Mona in den ersten drei Jahren ihrer Karriere bei einer namhaften Werbeagentur ausschließlich von Koks, Prosecco und Reisnudeln ernährt hat.
»Hier! Probiert mal!« Denis drapiert jetzt stolz vier Schnapsgläser auf dem Gartentisch. »Yeah, Alkohol!«, gluckse ich in freudiger Erwartung eines kleinen nachmittäglichen Damenschwipses. »Das sind frische Ingwer-Kurkuma-Shots«, werde ich sofort berichtigt. »Hab ich selbst gemacht. Man muss doch nicht immer Alkohol trinken!«
Mona und Manuel sehen das genauso. Sie schauen mich leicht vorwurfsvoll feat. mitleidig an. »Schon okay«, gebe ich klein bei und proste meinen Freunden brav mit der non-alkoholischen Ingwermischung zu. »Boah, ist das scharf!« Reflexartig ziehe ich meine Wasserflasche aus dem Rucksack und trinke einen großen Schluck, um dem Brennen in meinem Rachen entgegenzuwirken.
»Kraaaass!«, ruft Denis fassungslos in die Runde. »Du kaufst noch Plastikflaschen? Das hätte ich echt nicht von dir gedacht.«
»Kaufe ich ja normalerweise auch nicht«, verteidige ich mich sofort, »aber ich habe meine Glasflasche zu Hause vergessen, am Bahnhof gab es nichts anderes, und ich hatte echt riesigen Durst!« Auch Mona und Manuel sind schockiert: »Meine Liebe, warum hast du uns nicht einfach gefragt? Wir haben doch eine Trinkflasche dabei!« Ich bin genervt. Die tun ja gerade so, als sei die Verschmutzung der Weltmeere allein meine Schuld. Dass ich normalerweise keine Plastikflaschen kaufe, ist die Wahrheit, und mich aus Monas und Manuels Mehrweg-Equipment zu bedienen, kann man mir wirklich nicht zumuten. Egal ob Trinkflasche oder Brotdose: Seitdem die beiden all ihre Lebensmittel im Unverpacktladen beziehen, müffelt es im Deuter-Rucksack ganz gewaltig. Mein Mund hat absolut keine Ambitionen, sich deren Trinkflasche auf mehr als zwei Meter zu nähern. »Ach, und was ich dir vorhin schon erzählen wollte, meine Liebe«, fährt Mona fort, »den Rucksack, den du trägst, gibt es jetzt von diesem neuen Fair Fashion Brand auch aus veganem Leder.«
»Also aus Kunstleder?«, hake ich nach.
»Nein, meine Liebe! Aus veganem Leder!«
»Also aus Kunstleder!«
»Nein! Aus VEGANEM!«
Das wird mir echt zu doof. Zeit, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: »Habt ihr eigentlich mal was von Anni gehört?« Nur mit ihr wäre die alte Clique vollständig. Den Großteil unserer Zwanziger haben wir gemeinsam im Rudel verbracht. Aber auch für Denis, Mona und Manuel ist unsere gemeinsame Freundin wie vom Erdboden verschluckt. Seitdem im letzten Sommer Life-Coach feat. Tantra-Lehrer Torben in ihr Leben getreten ist, hat sich alles verändert. Zur anfänglichen Euphorie über die heilenden Kräfte ihres neuen Zauselfreddis gesellte sich schnell ein schaler, polyamouröser Beigeschmack. Tantra-Torben ist mehrgleisig unterwegs – und das aus Überzeugung. Schließlich muss er doch so viele Damen wie möglich mit seinem güldenen Chakra und dem neuen Slow-Sex-Trend beglücken. Alles andere wäre egoistisch. Und Anni, die hoffnungslose Monogamistin, sei natürlich egoistisch und »noch nicht so weit«, wenn sie nachts in ihr Kirschkernkopfkissen heult, weil Torben sich zeitgleich beim Tantra-Festival in Schweden auf irgendeinem Liebeshaufen tummelt.
Vor ein paar Monaten habe ich Klartext geredet. Ich habe Anni gesagt, dass der Tantra-Typ ein emotional verkümmerter Vollpfosten ist, der sie unter dem Deckmantel der Erleuchtung geringschätzig behandelt. Das hat Anni dann Torben erzählt, und Torben hat Anni dann wiederum erklärt, dass ich eine schlimme Energieräuberin sei und sie sich dringend von mir lösen müsse. Und weg war sie. Sie war meine beste Freundin.
»Meine Liebe! Gib ihr ein bisschen Zeit. Sie will sich weiterentwickeln, auf eine neue Ebene kommen. Das ist doch gut.« Mona redet mit mir wie mit einem fünfjährigen Kind. Ohnehin scheint mich hier keiner wirklich für voll zu nehmen. Ich habe irgendwie den Anschluss verpasst.
Achtsamkeit, Meditation, Slow Food, Slow Sex, Zero Waste – das alles ist eine verdammt gute Sache und eine durch und durch positive Entwicklung unserer Zeit. Aber wieso muss der neue Trend gleich sektenhaft praktiziert werden, wie es viele tun? Man kann nicht dreißig Jahre lang täglich seinen »Zott«-Joghurt aus dem Plastikbecher löffeln und dann von einem auf den anderen Tag fuchsig werden, nur weil ein unachtsamer Mitmensch die Naturjoghurtmischung nicht brav aus dem Glas schnabuliert.
»Ich glaube, ich pack’s demnächst mal. Vielleicht gehe ich heute Abend noch was trinken«, sage ich in Vorfreude auf meinen baldigen Aufbruch.
»Aber es ist doch grad so schön hier, meine Liebe!«, ruft Mona. »Die Ruhe, die Natur, unser Beisammensein … Sei doch nicht immer so gehetzt. Wir sind gerade erst zwei Stunden hier. Genieße doch einfach die Zeit! Zeit ist das Kostbarste, was wir haben.«
»Vielleicht sollte sie ein Seminar von dir besuchen«, wirft Manuel verschmitzt ein und tätschelt Monas geschwollene Knie. Sie grinst ihn geheimnisvoll an.
»Was für ein Seminar?«, frage ich nach.
»Alsooo …« Mona macht es spannend. »Ich habe in der Werbeagentur gekündigt und mache jetzt eine Ausbildung zum Achtsamkeits-Coach. So kann ich mich selbst verwirklichen und anderen Menschen helfen, bewusster zu leben.«
Oha. Beim Wort »Coach« stellen sich bei mir direkt die Nackenhaare auf. Außerdem kann ich mir Mona einfach nicht dabei vorstellen, wie sie umringt von semi-verzweifelten Muttis andächtig auf einer Klangschale rumgongt und tief ein- und ausatmet. Es ist doch erst knapp ein Jahr her, dass sie auf einer griechischen Partyinsel vier Tage durchgemacht, ein fremdes Boot zu Schrott gefahren und dem Besitzer dann entschuldigend ihre Möpse gezeigt hat. Da wehte noch ein ganz anderer Wind durch ihren Lifestyle. Und jetzt hat sie sich urplötzlich um 180 Grad gedreht? Ich kaufe ihr das einfach nicht ab.
»Was lernt man denn in deinem Seminar?«, will ich es genau wissen.
»Das kann ich dir sagen, meine Liebe! Man lernt, mehr im Moment zu leben und wertschätzend mit sich selbst und der Natur umzugehen. Viele wissen ja gar nicht, was Achtsamkeit überhaupt bedeutet. Es bedeutet, wach zu bleiben und zu wissen, was du gerade machst. Man spürt ganz tief in sich und den Moment hinein.«
Klingt simpel. Ich setze das Gesagte sofort um und begebe mich ganz bewusst in den Moment. Augenblicklich befällt mich eine Spontandepression: Gerade in diesem Moment sitze ich nämlich fernab der Zivilisation in irgendeinem Garten, und meine drei Freunde, die sich im Zuge ihres neuen Lebenswandels einen seltsamen Körpergeruch angeeignet haben, binden mir halb gare esoterische Weisheiten ans Bein— und das auch noch stocknüchtern. Soll ich mich jetzt tatsächlich noch tiefer in die Situation hineinbegeben, oder kann die weg?
Ich entscheide mich für das Vogel-Strauß-Prinzip und verabschiede mich. Mona und Manuel bleiben noch.
»Eine gute Rückfahrt! Und ein bisschen mehr Achtsamkeit, meine Liebe«, ruft mir die schwangere Coaching Queen säuselnd hinterher.
»Achtsam am Arsch«, entgegne ich frech, werfe meinen Eso-Hipstern ein versöhnliches Grinsen zu und begebe mich auf den Rückweg.
Boah, wohnt der weit weg vom Schuss. Es dauert ewig, bis ich den Bahnhof erreiche. Der Weg ist voller Schlaglöcher, in meinem Kopf dreht sich alles. Haben meine Freunde recht? Bin ich wirklich zu unachtsam mit mir und meiner Umwelt? Musste die Plastikflasche heute wirklich sein? Gibt es nicht zahlreiche Gewohnheiten, die ich in meinen Alltag integrieren kann, um bewusster zu leben?
Ich fasse einen Entschluss: In den kommenden Wochen soll sich mein Leben von Grund auf verändern. Weniger Waste, mehr Meditation. Was die können, kann ich auch. Und obendrein werde ich beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, die Erde zu retten und dabei gut zu duften.
Kurz bevor ich in den Regio einsteige, höre ich meinen abgehetzten Freund Denis laut rufen: »Warte! Ich hab noch was für dich!« Er rennt auf mich zu, und bevor die Türen schließen, drückt er mir eine Tüte voll mit schrumpligem Fallobst in die Hand. »Hier! Für dich! Selbst geerntet. Ganz köstlich«, japst er. Ich sage lieb Danke und küsse ihn auf die Wange. Es liegt mir fern, die Gefühle eines jungen, ambitionierten Biobauern zu verletzen.
Der Zug fährt endlich los, und meine Äpfel und ich freuen uns wie verrückt auf die laute, wuselige Großstadt.
Tipp 1: Wenn dich deine Eso-Hipster-Freunde in ein idyllisches, altes Bauernhaus ins WUNDERWUNDERSCHÖNE Brandenburg einladen – sei schlau! Fahr lieber ins Karwendel.
Tipp 2: Ein einfacher Tipp zur Müllvermeidung im Alltag ist die Verwendung einer hübschen Mehrwegtrinkflasche, die du jederzeit mit Leitungswasser wieder auffüllen kannst. Solltest du diese Trinkflasche einmal im Bus vergessen haben,vor dir liegt noch ein weiter Fußmarsch, es sind 35 Grad im Schatten, und der einzige Kiosk weit und breit hat keine Glasflaschen im Angebot – dann ist der Kauf einer Plastikflasche absolut in Ordnung.
Green Lifestyle früher vs. Green Lifestyle heute
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Die Landschaft zieht an mir vorbei. Ich lasse die Lausitz hinter mir und verbuche den Ausflug auf den posturbanen Hipster-Bauernhof als nette Erfahrung, die man nicht unbedingt wiederholen muss. Es ist mir nach wie vor schleierhaft, wie Leute, nur weil sie jetzt irgendwas mit dreißig sind, plötzlich »Juhu« schreien, wenn irgendwo ein Baum steht, an dem etwas Essbares hängt. Alle sehnen sich nach Ruhe und vielen, vielen Einweckgläsern, die mit unbehandelten Köstlichkeiten aus dem eigenen Bestand befüllt werden wollen. Die Öko-Kiste ist nicht mehr gut genug. Der Inhalt muss aus dem eigenen Garten stammen.
Einige machen auch vor einer hauseigenen Getreidemühle nicht halt, um sich fortan den Gang zum Bäcker zu sparen und obendrein die persönliche Insta-Story mit einem »einfachen« Brötchenrezept und einem fetzigen Dinkel-Bumerang zu füttern. Wer richtig kreativ ist, sucht sich draußen noch ein paar neckische Zweige, drapiert sie in einer schlichten Vase und stellt seinen Kindern Naturfarben aus Zwiebelschalen und roter Beete zur Verfügung, damit sich die kleinen Racker an der Ostereierfront mal so richtig austoben können und den Eltern beim Content über #daseinfacheleben ein bisschen unter die Arme greifen. Zum Dank ernten sie zahlreiche lobende Kommentare von anderen Öko-Neulingen, die auch Kinder und Eier zu Hause haben. Als »ganz fantastische Idee« und »zauberschöne Naturdeko« werden die bräunlichen Dinger dann von der Community betitelt. Maßlos übertrieben, wenn man bedenkt, dass dies die Beschreibung für ein paar völlig unspektakuläre Hühnereier ist. Mich kann man mit dem In-Szene-Setzen von Grundnahrungsmitteln auf jeden Fall nicht hinterm Ofen vorlocken.
Ein Strauch mit Himbeeren, ein Bund frische Petersilie oder ein Kartoffelbeet ist doch nichts Aufregendes, sondern ganz alltäglich. Im Gegensatz zum Großteil der Lifestyle-Umweltschützer wurde ich auch nicht urplötzlich von der Tatsache überrascht, dass wir mit überflüssigen Verpackungsmaterialien den Planeten zumüllen, und mir ist wahrlich nicht neu, dass Upcycling und Tauschgeschäfte eine umweltfreundliche Alternative zur westlichen Konsumgeilheit sind. Diese Grundregeln einer nachhaltigen Lebensweise sind mir seit über dreißig Jahren geläufig. Dafür haben meine Eltern gesorgt.
Es begann 1989. Kaum war die Mauer gefallen, schon versuchten sich Mutti und Vati in der Rettung der Erde. Es gab immer was zu tun: Die Autobahn musste verhindert, die Kröten über die Straße getragen und die Einwegverpackung vermieden werden. Sie waren die allerersten Ökos auf weiter Flur, und die Flur war wirklich verdammt weit, weil wir aus einem klitzekleinen Kaff in Thüringen stammen. Hätte man meinen Oldies ein Handy gegeben, einen Instagram-Kanal eingerichtet und sie in die heutige Zeit gebeamt, wären sie mit Sicherheit Greenfluencer des Jahres geworden. Louisa Dellert und ihre Haarbürste hätten alt ausgesehen. Chapeau vor dieser Weitsicht.
Aber leider war die Gesellschaft damals noch nicht sensibilisiert dafür, und Ökö sein auf dem Land war in erster Linie eins: sehr, sehr peinlich! Man dachte sofort an Jesuslatschenträger, die ihre lange, ungepflegte Mähne mit Eidotter waschen und kratzige Pullover tragen. Was soll ich sagen? Diese Beschreibung war zutreffend. T-Shirts mit niedlichen Micky-Maus-Motiven oder der pinkfarbene Badewasserzusatz mit Sprudel sind nur zwei der vielen Kindheitsfreuden, die mir verwehrt blieben. Zwar hatte ich früh verstanden, dass man bewusst mit seiner Umwelt umgehen muss, war täglich im Wald und liebte Tiere und Pflanzen, aber ich hätte eben auch mal gern eine Capri-Sonne getrunken.
Sehnsuchtsvoll blickte ich in den Hofpausen auf das Trinkpäckchen und den Kinder Maxi King des Banknachbarn, während ich in mein leberwurstbeschmiertes Graubrot biss, das immer nach Boskop schmeckte, da es die ersten drei Schulstunden dicht an dicht mit zwei bräunlichen Apfelschnitzen in einer kleinen, muffligen Brotdose verbringen musste. Überhaupt wusste ich nie so recht, ob ich gerade in den Apfel oder ins Brot biss, denn die Leberwurst hatte auch auf dem heimischen Obstsnack ihre Spuren hinterlassen. Es war deprimierend. Wenn alle Kinder glückselig die Schokoladenmilch aus dem Tetrapack schlürften, musste ich den selbst gemachten naturtrüben Apfelsaft (mit Betonung auf trüb) aus einer uralten Trinkflasche süffeln. Niemals verirrte sich eine Bifi oder gar ein Überraschungsei in meinen beigen Lederschulranzen der Marke Waschbär. Mein Flehen nach Naschereien dieser Art wurde stets mit dem Satz »So einen Plastikmüll kaufen wir nicht!« abgelehnt. Da diese Phrase zu Hause als Universalantwort auf quasi alle meine Wünsche erwidert wurde, haben es auch Barbies Traumhaus, der Einkaufspalast von Polly Pocket oder das niedliche Sticker-Album mit den Glitzeraufklebern nie in mein Kinderzimmer hinein geschafft.