Adoleszenz eines Philosophen - Thomas Climacus - E-Book

Adoleszenz eines Philosophen E-Book

Thomas Climacus

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Beschreibung

Pompöse Ideen bestaunten seine Seelenverfeinerungen, als Thomas Climacus gesenkten Hauptes dem Herbstwind eines grauverschleierten Novemberhimmels entgegen schritt. Träge bewegten sich seine Beine auf dem porösen Untergrund des Weges. Misslaunig erinnerte er sich des Geschehnisses, das Stunden oder Tage zuvor sich ereignet hatte.

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EPUB

Seitenzahl: 47

Veröffentlichungsjahr: 2016

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„I’m in the corner and I want to dance“

Jamaican Dancehall Reggae Vol.2

Inhalt

Berufung

Entsagung

Ahnung

Deutung

Berufung

Langsam, Schritt für Schritt, stieg Thomas Climacus die marmorierten Stufen zu seiner Wohnung im vierten Stock empor. Das Treppenhaus war vollständig in Weiß gehalten: die gerauhten Wände, die glänzenden Treppenstufen, die mattschimmernde Decke und die dumpfweißen Wohnungstüren aus Holz. Einzig das kalte und metallische Grau des Geländers verlieh dem Treppenhaus eine ernüchternde Färbung. Nachdem er die Treppenstufen bewältigt hatte, trat er an seine Wohnungstür und öffnete sie. Durch den schmalen Flur hindurch ging er geradewegs auf den großen, hölzernen Schreibtisch zu und hievte die schwere Tasche, die er mit sich trug, auf das hölzerne Plateau. Es war Sonntagabend und er war spät in seiner Studentenwohnung angekommen. Ermattet löschte er das Licht und ließ sich auf das Bett fallen, das gegenüber dem großen Fenster stand. Liegend sah er hinaus in die mit einzelnen Sternen erleuchtete Schwärze der Nacht.

Er dachte daran, dass früher alles besser gewesen sei. Er erschreckte über diesen klischeehaften Ausdruck und wunderte sich über sich selbst. Noch nie war ihm dieser Gedanke gekommen. Er empfand ihn wie eine grausame Verunreinigung seines Geistes, wie einen schmerzenden Fremdkörper in seiner Seele. Und noch grausamer und tiefer stach der Schmerz über diese Verunreinigung und Entfremdung, als er erkannte, dass dieser Gedanke ein Symbol dessen war, was mit ihm geschehen war in den vergangenen zwei Jahren: Er hatte sich selbst verloren.

Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und streckte die Beine willenlos von sich auf die Matratze. Er sah starr in Richtung des Fensters, das die klamme Dunkelheit der Nacht in ein schwarzes Viereck gliederte. In seinem Zimmer herrschte völlige Dunkelheit und Ruhe.

Er forschte in seiner schmerzenden Seele nach Erinnerungen an seine frühere Identität. Nach und nach drangen sie an die Oberfläche: Er sah die ursprüngliche Reinheit des Geistes, in der er früher gelebt hatte. Er konnte die gedankliche Individualität spüren, die ihn einst, wie er nun erkannte, wie eine schützende Sphäre umgab. Er sah die ungebrochene Harmonie seiner Selbstwahrnehmung, die nun verloren und zerstört schien. Und er fühlte noch das Urvertrauen in sich, das er früher für die Welt und sich selbst empfunden hatte. Und er sah, wie heute an die Stelle dieses Urvertrauens die Entzweiung getreten war. Wie die Kritik an sich selbst und an der Welt überhand genommen hatte. Kraftraubende künstliche Probleme hatten ihn nach und nach von sich selbst entfremdet.

Dann dachte er an die Zukunft und wie er selbst am Spiel der Welt teilnehmen musste. Er sah, wie er zur Betäubung den Tag durch lange Arbeit hinbrachte. Wie er ohne Individualität im Strom der Masse unterging. Er spürte die Zwänge, die ein solches Leben mit sich bringen musste. Er sah bildlich vor sich, wie er vom Gewöhnlichen und Konventionellen erdrückt wurde. Und er empfand Ekel, grausam quälenden Ekel bei dieser Vorstellung.

Plötzlich stand er auf und ging zum Fenster. Die mondlose Nacht wurde nur durch wenige künstliche Lichtquellen erhellt. Der blasse Schein einer Straßenlampe fiel auf den Rand des Gehwegs. Der Schmutz und der Abgasstaub hatten das Glas der Lampe mit einem Beschlag versehen, durch den das Licht nur noch trübe hindurch scheinen konnte. Auf der Straßenseite gegenüber erhellte eine zuckende Leuchtschrift die Straße und den Gehweg in chaotischen Abständen.

Er legte sich wieder ins Bett und beobachtete die Schatten, die von der Straßenbeleuchtung in das dunkle Zimmer geworfen wurden. Seine Bettdecke vor ihm wurde mit bizarren Schattenspielen bemustert. Der rechteckige Rahmen des Fensters wurde verzerrt als enges Trapez an die Wand geworfen.

Er dachte daran, dass er morgen aufstehen musste, um rechtzeitig im Seminar zu sein. Er spürte bereits die Ermüdung, die durch das monotone Reden des Dozenten entstehen würde. Das Gewöhnliche und Künstliche dessen Gedankenwelt ließen ihn eine tiefe Abneigung verspüren. Das Künstliche und Unechte erschien ihm wie das Wesentliche an allen Lehrenden der Universität. Er sah sie vor sich, wie sie mit großer Geste Fachausdrücke in den Raum warfen, um Eindruck zu schinden und sich selbst zu erhöhen. Und er sah und fühlte den Betrug und die Lüge, die in diesem Verhalten lagen. Er spürte, wie beim Gedanken daran eine mächtige Verzweiflung in seiner Seele aufkam, die im Begriff war, ihn innerlich zu verzehren.

Dann musste er unwillkürlich an seine Beziehung denken. An seine Beziehung, die er wie einen Trümmerhaufen in seiner Seele mit sich schleppte. Er stellte Sie sich bildlich vor Augen und empfand Ekel vor ihren körperlichen Unvollkommenheiten. Er fühlte, wie ungeheuer kraftraubend und zwangbeladen das Aufrechterhalten ihrer Beziehung geworden war. Und er verspürte Abscheu vor der Wollust, die sie beide aneinander gekettet hatte.

Seine Gedanken schienen wie durch einen düsteren Sog hinfort gerissen zu werden. Er fühlte, wie seine unruhige Seele die Entzweiung mit sich selbst verdrängen wollte. Er wollte schlafen. Die Sehnsucht nach Schlaf und Vergessen übermannte ihn. Er wollte schlafen und an einem Ort aufwachen, der ihm Heimat bedeutete. Aufwachen an einem Ort, an dem er zurückkehren konnte zu seinem früheren Ich, zu seiner früheren Identität.

Und so marterte sich seine Seele selbst. Noch lange Stunden quälten ihn seine Gedanken, und mit jeder Stunde quälten sie ihn mehr. Er wälzte sich von der einen auf die andere Seite und versuchte vergeblich, den heilsamen Schlaf zu finden. Schweißausbrüche klebten ihm den Stoff der Bettdecke an die Haut. Hätte er sich im Spiegel sehen können, so hätte er eine bleiche Grimasse gesehen, deren grünleuchtende Augen den Wahnsinn in sich trugen. Er hörte sein Herz schneller schlagen, mit jeder Minute schien es unruhiger zu hämmern. Seine Gedanken erschienen ihm nurmehr wie zuckende Blitze, die seine Seele entzweiten und ihn sinnlos peinigten.