Aeneis. Die berühmtesten Stellen - Vergil - E-Book

Aeneis. Die berühmtesten Stellen E-Book

Vergil

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Beschreibung

Ein Seesturm spült verirrte Seefahrer an die Küste Karthagos. Am Hof der Königin Dido erzählt ihr Anführer ihre Geschichte: Er ist Aeneas, der mit wenigen Begleitern aus dem brennenden Troja floh. Nach erneuten Irrfahrten landet er in Italien, und es gelingt ihm, sich eine neue Heimat zu erkämpfen. So wird er schließlich zum Stammvater der Römer. Diese Ausgabe versammelt die berühmtesten Stellen aus Vergils Aeneis. Mit Vorwort und Zusammenfassungen ergibt sich ein wunderbarer Überblick über das Epos. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 143

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Vergil

Aeneis

Die berühmtesten Stellen

Übersetzt von Edith und Gerhard Binder
Herausgegeben von Marion Giebel

Reclam

Die Textauszüge folgen mit geringfügigen Änderungen der Ausgabe: Vergil: Aeneis. Übers. und hrsg. von Edith und Gerhard Binder. Stuttgart: Reclam, 2008 [u. ö.]. (Reclams Universal-Bibliothek. 18918.)

 

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Kampf zwischen Aeneas und Turnus. Gemälde von Giacomo del Po, um 1700. Los Angeles, County Museum of Art (© akg-images)

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962159-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014393-3

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort

1. BUCH · Einführung. Seesturm. Ankunft in Libyen. Dido

2. UND 3. BUCH · Aeneas erzählt: Untergang Trojas. Flucht. Irrfahrt. Tod des Anchises

4. BUCH · Liebe zwischen Dido und Aeneas. Heirat. Jupiters Botschaft. Aufbruch. Didos Selbsttötung

5. UND 6. BUCH · Sizilien. Spiele und Wettkämpfe. Sibylle. Gang in die Unterwelt

7. BUCH · Ankunft in Latium. Latinus. Lavinia. Turnus. Krieg

8. UND 9. BUCH · Bündnis mit Euander. Schildbeschreibung. Turnus greift an. Nisus und Euryalus

10. BUCH · Götterversammlung. Aeneas kommt zum Schlachtfeld. Turnus tötet Pallas. Lausus und Mezentius

11. BUCH · Bestattung der Toten. Heimführung des Pallas. Racheschwur. Diomedes bei den Latinern. Camilla

12. BUCH · Vertragsschluss und Vertragsbruch. Aeneas wird verletzt. Amata tötet sich selbst. Juno gibt auf. Aeneas tötet Turnus

Zehn Lektüretipps

[7]Vorwort

In Homers Ilias ist Aeneas (griech. Aineias) im Trojanischen Krieg die Nummer 2 im Heer der Troer, nach Hektor, dem Stadtbeschirmer, dem Sohn des Königs Priamos von Troja. Er ist der Sohn des Anchises, der auf dem Berg Ida in der Nähe von Troja residiert und aus einer jüngeren Herrschaftslinie stammt, die sich aber stolz auf Dardanos, einen Sohn des Zeus, zurückführt. Seine Mutter ist die Göttin Aphrodite/Venus, die sich auf dem Berg Ida in Liebe mit Anchises verbunden hat. Diese Abstammung erhebt Aeneas über Achill, den Vorkämpfer der Griechen, der die Meergöttin Thetis zur Mutter hat.

Um seine Tapferkeit zu beweisen, muss Aeneas in vorderster Linie gegen die angerückten Griechen kämpfen, auch gegen Achill. Doch es ist ihm bestimmt, das Ende Trojas zu überleben und eine neue Existenz zu gründen, so will es die sagenhafte Überlieferung: Und so lässt Homer die Götter in den Kampf eingreifen – Aeneas’ Mutter, Apollon und Poseidon –, um Aeneas aus Lebensgefahr vom Schlachtfeld zu erretten. Poseidon erklärt, dass die Herrschaft über die Troer einst an Aeneas und seine Nachkommen übergehen werde (Ilias 20,290–308). Zu Homers Zeit, im 8. Jahrhundert v. Chr., [8]bezogen die Fürsten in der Troas, der Landschaft um Troja, diese Prophezeiung auf sich. Sie waren berühmte Pferdezüchter, und man kann vermuten, dass Homer an ihrem Hof sein Epos vorgetragen hat, in dem er den Pferden des Aeneas besondere Aufmerksamkeit widmet (Ilias 5,259 ff.; 319 ff.; 23,499 ff.). Doch ein anderer Zug der Überlieferung sollte bestimmend werden, nämlich der, den Vergil für sein Epos wählt:

Nachdem Troja von den Griechen erobert und in Brand gesteckt worden war, gelingt einigen Trojanern die Flucht, darunter Aeneas mit den Seinen. Auf langen Irrfahrten suchen sie eine neue Heimat. Mit diesem Thema hat sich Vergil ein hohes Ziel gesteckt: In seinem Epos will er in der Gestalt des Aeneas Ilias und Odyssee, Kampf und Irrfahrt, miteinander verbinden. Die neue Heimat wird schließlich Rom sein, das Aeneas freilich nur in einer göttlich gewährten Vorschau sehen wird. Ihm bleibt die Aufgabe, seine Gefährten in das von den Göttern verheißene Land, Hesperien/Italien, zu bringen, wo Kämpfe und Kriege sie erwarten.

Das Epos war die vornehmste und zugleich beliebteste Dichtform bei Griechen wie bei Römern, und man wartete in Rom geradezu darauf, dass Vergil nach seinen Hirtengedichten und seinem Gedicht vom Landbau (Eklogen/Bucolica und Georgica) nun nach der Krone der Dichtung greifen werde. Hatte er nicht selbst verkündet, er werde sich gürten, um feurig lodernde Schlachten zu besingen (Georgica 3,46 ff.)? Und sollte es nicht auch ein Preis des Herrschers sein, des Augustus, der sich rühmte, als Großneffe und Adoptivsohn Julius Caesars mit den Ahnen aus Troja verbunden zu sein? Oder hatte Vergil mit solchen Ankündigungen nur die Erwartungen befriedigen und sich seinen Freiraum erhalten [9]wollen? Sein Held ist jedenfalls kein siegreicher Herrscher, sondern ein profugus, ein Flüchtling.

Flüchtlinge gab es viele zu Vergils Zeit – auch im eigenen Land. Seit Caesars Tod 44 v. Chr. (Vergil, geboren im Jahr 70 v. Chr., war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt) lebten die Römer unter einer Militärdiktatur; Marcus Antonius und Octavian, der Erbe Caesars (und spätere Kaiser Augustus), hatten sich in einer unheilvollen Allianz zusammengefunden. Die Soldaten mussten nach den Kriegen mit Landbesitz abgefunden werden, und um genügend Land dafür zur Verfügung zu haben, mussten Besitzer enteignet werden. Auch Vergils Heimat, das Gebiet um Mantua, war von dieser Umverteilung betroffen. Vergil begann seine Dichtung in der hellenistischen Tradition mit den Hirtengedichten, Bucolica – wie bei dem Alexandriner Theokrit zwei Jahrhunderte zuvor sitzen Hirten geruhsam unter einem Baum, spielen Flöte, sind verliebt, und dies in einer idealen Landschaft Arkadien (etinArcadiaego wünschte sich auch später noch so mancher). Doch bei Vergil ist die Idylle getrübt. Tityrus, ein Hirte (bzw. Kleinbauer), sitzt zwar unter einem Baum und übt ein Lied auf der Flöte, zu ihm kommt aber ein anderer, der sein Land verlassen musste, der vertrieben von Haus und Hof ins Ungewisse ziehen muss. Nur mit Mühe bringt er seine Ziegen voran; eine hat ihre gerade geborenen Zwillingslämmchen auf hartem Stein liegen lassen müssen. Ein Vertriebener ist Meliboeus: Er musste sein sorgsam gepflegtes Land einem rohen Soldaten übergeben, der es verwildern lassen wird. Der andere Hirte lädt den Unglücklichen ein, die Nacht über bei ihm zu bleiben, mehr kann er nicht für ihn tun. »Wie kommt es aber«, fragt Meliboeus, »dass du so glücklich hier sitzt, während wir aus unserem Vaterland [10]fliehen müssen?« »Ein Gott hat mir diese Muße geschenkt«, antwortet der andere. »Wie denn?« In Rom war er und hat dort einen geradezu göttlichen jungen Mann gesehen, der ihm sagte: »Weidet nur, ihr Burschen, wie früher eure Rinder, züchtet euch Stiere!« (Ekloge 1,45)

Der junge Octavian war weit entfernt von einer Idealgestalt, vom späteren Friedenskaiser Augustus, doch er hat in der Tat dann dafür gesorgt, dass die Rinder wieder weiden konnten: der Dichter als vates, als Prophet. Als solcher, sogar in christlichem Sinn, galt Vergil ja durch seine 4. Ekloge, die von der Geburt eines göttlichen Kindes handelt, das ein neues goldenes Zeitalter heraufführen wird: ein Hoffnungsbild Vergils, das man mit den Prophezeiungen des Propheten Jesaia in Verbindung gebracht hat, in denen auch bei der Geburt eines göttlichen Kindes Milch und Honig fließen und Friede herrschen wird.

In seinem Epos, an dem er von 29 bis 19 v. Chr., seinem Todesjahr, arbeitete, gibt es eine solche Heilsaussicht allerdings erst in ferner Zukunft: In der »Heldenschau«, beim Besuch des Aeneas in der Unterwelt, weist ihn sein Vater Anchises auf den Helden hin, den oft verheißenen »Augustus Caesar, Sohn eines Gottes: Goldene Zeiten wird er von Neuem für Latium stiften …« (6,791 ff.). Zuerst heißt es vielmehr: TantaemoliseratRomanamconderegentem (1,33) – »so viel Mühe kostete es, das Römervolk zu begründen«, und nur der Weg wird geschildert, nicht das Ziel. Vergil muss die Muse, die alle dichterische Wahrheit bewahrt, fragen, warum seinem Helden Aeneas so viel Leid und Mühen auferlegt wurden – er ist doch von außerordentlicher Frömmigkeit, von Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl Menschen und Göttern gegenüber: insignempietatevirum – der piusAeneas, der [11]freilich nicht »fromm« im Sinne von sanft und friedlich ist, sondern der eben aus seinem Verantwortungsgefühl, pietas, heraus handelt, »ein Vorbild an Ehrfurcht« (Gerhard Binder), »ein Muster der Gottesverehrung« (Werner Suerbaum) und »ein Held der Verantwortlichkeit« (Markus Janka), der dabei auch furens, wütend sein kann. Schon früh, lange vor Vergil, gab es als Abbild solcher pietas Vasenbilder und Statuen, die Aeneas zeigten, wie er aus dem brennenden Troja flieht, den gelähmten Vater Anchises auf den Schultern, der die Götterbilder trägt, und den kleinen Sohn neben sich. Die Gattin Creusa hat er in der Bedrängnis bei einem feindlichen Überfall verloren: Er kehrt um und stürzt sich erneut in das brennende Troja, bis eine Erscheinung Creusas ihm erklärt, dass sie in göttlichem Schutz geborgen hierbleiben wird.

Furor und pietas, Kampfeswut und Pflichttreue, bedingen sich in der Mission des Aeneas. Das zeigt sich besonders im letzten Teil, nach dem gebrochenen Bündnis, und schließlich bei der Tötung des Turnus, der einen Schützling des Aeneas, den jungen Pallas, im Kampf getötet hat: eine vieldiskutierte Stelle des Epos, offenbar schon in der Antike. Der Vergilkommentator Servius (um 400 n. Chr.) schreibt: »Der Dichter möchte, dass Aeneas auf jeden Fall rühmlich dasteht: denn er erscheint als pius, da er den Feind zu schonen gedenkt. Da er ihn tötet, handelt er aber auch aus pietas, denn mit Rücksicht auf Euander rächt er den Tod des Pallas.« Die pietas gegenüber dem jungen, ihm von seinem Vater Euander anvertrauten Krieger und eben gegenüber dem Vater selbst führt ihm die Hand zum Todesstreich, von Furien entflammt und schrecklich in seinem Zorn (12,945–952). Hätte Aeneas wirklich Turnus geschont, wenn ihm nicht der Schwertgurt des Pallas in die Augen gefallen wäre, den dieser nach der Tötung [12]angelegt hatte? Vergil selbst greift kommentierend in diese Szene ein: Nichts wissen die Menschen über das künftige Schicksal – für Turnus wird die Zeit kommen, da er viel darum gäbe, Pallas unversehrt gelassen und dieses Beutestück nicht angelegt zu haben (10,500 ff.). Aeneas zögert in der Tat – bis er eben das Waffenstück des Pallas erblickt.

Es zögerte wohl auch der Dichter, ob er seinen Lesern einen weiterlebenden Turnus zumuten könnte – welche Rolle würde er spielen? König Latinus hatte ihm sedatoanimo, mit bedächtigem Sinn, ein solches Leben vor Augen gestellt: bei seinem alten Vater Daunus, in dem Städtchen Ardea, oder in den Städten dort, und auch andere Mütter haben schöne Töchter … (12,18 ff.) Turnus weist solche gutgemeinten Ratschläge entschieden zurück. Gerhard Binder schreibt in der Einzelausgabe von Buch 11 und 12 (Reclams Universal-Bibliothek 9685, S. 181): »Man stelle sich vor, Turnus wäre clementiae gratia am Leben geblieben. Wäre er auf Rache sinnend ins Exil gegangen, hätte er das beschauliche Leben eines dem Sieger tributpflichtigen Provinzfürsten geführt? Wäre denn ein in die Luxuswelt des Ostens verbannter Antonius samt Kleopatra auf Dauer vorstellbar gewesen? Die zeitgenössischen, bürgerkriegsmüden Leser der letzten Szene des Epos hätten vermutlich den Kopf geschüttelt, wenn Aeneas seinen knienden Gegner im Augenblick einer (den Menschen eines aufgeklärten und kriegsmüden Europa und Amerika sympathischen) ›Schwäche‹ aufgehoben und begnadigt hätte.«

Vergil hätte vielleicht noch an ein Triumvirat Aeneas-Latinus-Turnus denken können; eine solche unheilige Allianz mit Caesar und Pompeius hatte freilich in blutigen Bürgerkriegen geendet, wie es Anchises in der Unterwelt warnend beklagt (6,826 ff.; 883 ff.). Doch wie dieser Blumen streuen [13]will zur Trauer um den früh dahingehenden Marcellus, so gewährt Vergil dem toten Turnus homerische Ehren. Am Schluss seines Epos steht nicht das Happy End im Himmel, wo sich Juno und Jupiter versöhnen (12,791 ff.), sondern der Vers, mit dem Homer Hektor in die Unterwelt gehen lässt. Und Turnus ist, wie Aeneas, einer der Anführer, der Helden, aus Vergils Grabspruch: Cecini pascua, rura, duces. – »Ich sang von Weiden, Feldern und Anführern.«

[15]1. BUCH · Einführung. Seesturm. Ankunft in Libyen. Dido

1,1–33

Von Krieg singe ich und dem Helden, der als Erster von Trojas Küste durch Schicksalsspruch, ein Flüchtling, nach Italien kam und zum Gestade Laviniums: Weithin wurde er über Länder und Meere getrieben durch der Götter Gewalt wegen des unversöhnlichen Zorns der grausamen Juno und erlitt auch viel durch Krieg, bis er endlich seine Stadt gründen und seine Götter nach Latium bringen konnte; daraus gingen hervor das Latinergeschlecht, die Väter von Alba und die Mauern des hochragenden Rom. Muse, berichte mir von den Beweggründen: Welches göttliche Wollen war verletzt, was schmerzte die Königin der Götter, dass sie den Helden, ein Vorbild an Ehrfurcht, dazu trieb, so viel Unglück zu bestehen, so viele Mühen auf sich zu nehmen. Sind denn die Herzen der Himmlischen fähig zu solch gewaltigen Regungen des Zorns?

Es war einmal eine alte Stadt, von tyrischen Siedlern bewohnt, Karthago, Italien gegenüber und der Tibermündung in weiter Ferne, reich an Schätzen und überaus grimmig in ihrem Kriegseifer. Sie, so heißt es, habe Juno allein vor allen Ländern geliebt, sie sogar Samos vorgezogen; hier lagen ihre [16]Waffen, hier stand ihr Wagen; dass von hier die Völker beherrscht würden, wenn das Fatum es irgend zuließe, war schon damals Sinnen und Trachten der Göttin. Doch sie hatte gehört, es entstehe ein Geschlecht aus trojanischem Blut, dazu bestimmt, einst die tyrische Burg zu stürzen; von dort werde ein Volk kommen, weithin herrschend und stolz im Krieg, Libyen zum Untergang: So sei das Gespinst der Parzen [Schicksalsgöttinnen]. Dies fürchtete die Tochter Saturns und gedachte des vergangenen Krieges, den sie allen voran bei Troja für das ihr teure Argos [Griechenland] geführt hatte; auch waren die Ursachen ihrer Erbitterung und die grausame Kränkung noch nicht aus ihrem Herzen gewichen; tief in ihrem Gedächtnis haftete das Urteil des Paris, die beleidigende Verachtung ihrer Schönheit, das verhasste Geschlecht, der Raub und die Auszeichnung des Ganymedes [von Zeus seiner Schönheit wegen zum Mundschenk berufen]; in ihrem Zorn darüber hielt sie die über das ganze Meer verschlagenen Troer, die von den Danaern und dem grausamen Achilles verschont geblieben, fernab von Latium. Und viele Jahre lang irrten sie, vom Fatum getrieben, auf allen Meeren umher. So viel Mühe kostete es, das Römervolk zu begründen.

 

Jupiters Gemahlin Juno verfolgt die Trojaner mit ihrem Hass wegen des Parisurteils: Der trojanische Königssohn Paris hatte ihr nicht den Preis der schönsten der Göttinnen zuerkannt – sondern Venus. Die hatte ihm als Lohn Helena versprochen. Paris raubte Helena, die Gattin des Griechenfürsten Menelaos, was wiederum der Grund war für den Kriegszug der Griechen gegen die Trojaner.

Göttlicher Zorn ist hier bei Vergil Movens der Geschichte, ein Erklärungsversuch, warum erst nach so viel Leid und Kämpfen ein Zusammenleben der Völker ermöglicht wird. Karthago war die [17]große Gegnerin Roms; beide kämpften um die politische und wirtschaftliche Vormacht im westlichen Mittelmeer. Nach drei blutigen Punischen Kriegen wurde Karthago zerstört (146 v. Chr.), doch zu Vergils Zeit wurde es wiederaufgebaut, und es sollte eine blühende Stadt des Handels und der Kultur werden, in der Einheimische und Römer gemeinsam lebten.

1,34–156

Kaum fuhren sie [Aeneas mit seinen Gefährten], Sizilien aus den Augen verlierend, frohgestimmt aufs Meer hinaus und durchpflügten die Gischt der Salzflut mit erzbeschlagenem Bug, da sprach Juno dies bei sich, die ewig offene Wunde tief im Herzen nährend: »Soll ich, geschlagen, von meinem Vorhaben ablassen und den König der Teucrer nicht von Italien fernhalten können? Freilich, die Fata verbieten’s mir. Konnte nicht Pallas [Athene] die Flotte der Argiver durch Feuer vernichten und ihre Mannschaft im Meer versenken, um so zu strafen Schuld und Rasen einzig des Ajax, Oileus’ Sohn? Sie selbst schleuderte den sengenden Feuerstrahl Jupiters aus den Wolken, zerschmetterte die Schiffe und wühlte das Meer im Sturm auf, und ihn, der aus durchbohrter Brust Flammen spie, packte sie in einem Wirbel und spießte ihn auf eine spitze Klippe. Doch ich, die ich als Königin der Götter einhergehe, als Jupiters Schwester und Gattin, führe mit einem einzigen Volk so viele Jahre Krieg. Und ist da noch einer, der Junos Gottheit anbetet oder hinfort demütig Opfergaben auf ihre Altäre legen wird?«

Während sie solches in ihrem entflammten Herzen bewegt, kommt die Göttin in die Heimat der Stürme, eine Gegend reich an tobenden Südwinden, nach Aeolien. Hier hält König Aeolus in einer riesigen Höhle die widerspenstigen [18]Winde und tosenden Unwetter mit seiner Befehlsgewalt nieder und bändigt sie mit Ketten und Riegeln. Sie aber lassen empört unter lautem Brausen des Berges die Wände ringsum erdröhnen. Hoch oben sitzt Aeolus auf der Festung, in der Hand das Zepter, besänftigt den Unmut und beschwichtigt den Zorn. Täte er es nicht, Meere, Länder und den hohen Himmel rissen sie mit sich fort und wirbelten sie durch die Lüfte. Doch der allgewaltige Vater sperrte, dies befürchtend, sie in dunkle Höhlen, türmte Steinmassen und hohe Berge darüber und gab ihnen einen König, der nach fester Abmachung verständig die Zügel auf Geheiß anziehen oder lockerlassen sollte. An ihn wandte sich nun Juno flehend mit folgenden Worten:

»Aeolus, dir hat doch der Vater der Götter und König der Menschen die Macht gegeben, die Wogen zu besänftigen und durch Wind aufzupeitschen – ein mir feindliches Volk befährt das Tyrrhenische Meer, bringt Ilium nach Italien und die besiegten Penaten: Verleihe den Winden Kraft und versenke die Schiffe spurlos im Meer oder treibe die Männer hierhin und dorthin und zerstreue ihre Leiber übers Wasser. Ich habe zweimal sieben Nymphen von vortrefflichem Wuchs; von ihnen hat die schönste Gestalt Deiopea: Sie will ich dir in dauernder Ehe verbinden und zu eigen geben, auf dass sie für solche Verdienste all ihre Jahre mit dir verbringe und dich zum Vater trefflicher Nachkommen mache.«

Aeolus erwidert so: »Deine Sache, Königin, ist es, herauszufinden, was du wünschst, mir ist geboten, deine Befehle auszuführen. Du verschaffst mir all meine Herrschaft hier, du gibst mir das Zepter und gewinnst Jupiter für mich; du lässt mich am Mahl der Götter teilhaben und gibst mir die Macht über Stürme und Wetter.«

[19]