Agave - Marie von Ebner-Eschenbach - E-Book

Beschreibung

Agave Marie von Ebner-Eschenbach - 1830 als Freiin von Dubsky auf Schloß Zdislavic bei Kremsier in Mähren geboren, genießt Marie eine klassische geistige Bildung, bereits mit siebzehn unternimmt sie erste literarische Versuche. Nach der Heirat mit ihrem Vetter Moritz Freiherr von Ebner-Eschenbach lebt sie bis 1856 in Klosterbruck in Mähren, danach bis zu ihrem Lebensende in Wien, wo sie 1879 eine Ausbildung als Uhrmacherin absolviert. Nach erfolglosen dramatischen Versuchen, veröffentlicht sie 1876 - ermutigt von Franz Grillparzer - den heute als eines ihrer Hauptwerke bekannten Roman über die Magd »Bozena«, der jedoch zunächst nur zögerlich Anerkennung findet. Ihren Durchbruch erreicht sie 1880 mit »Lotti, die Uhrmacherin«, der die größeren Erzählungen »Das Gemeindekind« und »Unsühnbar«, sowie die »Dorf- und Schloßgeschichten« (darin u.a. »Krambambuli«) folgen. Humanitär gesinnt schildert sie Adel wie Kleinbürgertum in so scharfsinniger wie kritischer Detailtreue. Marie von Ebner-Eschenbach ist als bedeutende Vertreterin des kritischen Realismus eine der großen Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Von der Universität Wien zum Ehrendoktor der Philosopie ernannt und als erste Frau überhaupt mit dem Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet, stirbt sie am 12. März 1916 im Alter von 85 Jahren in Wien.

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Marie von Ebner-Eschenbach
Agave

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Agave

Aus farbloser Hülle, Agave, bist du

In Schönheit erstanden, seltsame du,

Wie Blumen im Märchen durch Zauber erweckt.

Auf zierlichem Schaft, ihn bekränzend, ragst du,

Geworden noch kaum, vollendet doch schon.

Für einen berauschenden Frühling gibst du

Die Kraft eines Lebens, Agave, dahin

Und stirbst im Erblühen – ein Wunder bist du.

1

Zu Beginn des Goldenen Zeitalters Italiens lebte im Städtchen Ariccia, unweit von Rom, der Töpfer Pietro Venesco. Er war ein kleiner, unscheinbarer Mann, der sein mürrisches Wesen nicht einmal seinen besten Kunden gegenüber ablegte. Das brachte aber seinem Geschäfte keinen Schaden. Die Ware, die er führte, war eben von ganz vorzüglicher Art, und daß dem Padrone nicht gerade Frohsinn aus den Augen blickte, nahm ihm niemand übel; es gab dafür schwerwiegende Gründe.

Dieser Venesco hatte eine schöne Frau und einen herrlich schönen Sohn. Wer den Jüngling Antonio daherkommen sah in seiner Pracht über die Piazza oder durch die Gassen des Städtchens, so hochgewachsen, so stark und so schlank, der dachte: Du Gottgeliebter! und folgte dem Beispiel des Höchsten und liebte ihn auch.

Die Frauen und Mädchen ließen es an Zeichen ihrer freundlichen Gesinnung nicht fehlen; Antonio hätte seinen Lebensweg mit zertretenen Weiberherzen pflastern können, machte indessen von seinen Zauberkräften keinen Gebrauch. Nicht etwa, daß er dem jungen Weibervolke aus dem Wege gegangen wäre; er sprach und scherzte und tanzte mit den Schönheiten, an denen Ariccia großen Reichtum besaß, erwies aber keiner von ihnen die geringste Bevorzugung. Wenn die Unterhaltung oder der Tanz aus war, wandte er sich von seinen Partnerinnen so gleichgültig ab wie der Marionettenspieler von seinen Püppchen nach dem Ende der Vorstellung. Sehr oft sah man ihn in die Betrachtung einer hübschen Mädchengruppe am Brunnen oder vor der Kirche, der Osteria versunken. Doch war es kein anderes Betrachten als das eines Bildes an der Wand, und die Gegenstände dieser Aufmerksamkeit fühlten sich durch sie eher beleidigt als geschmeichelt. Er täte besser, meinten sie, einen gar nicht anzusehen als mit so schweigsamen Augen. Sie fingen an ihn geringzuschätzen, zu verspotten und ihm nachzusagen, er sei überhaupt kein Mensch, sondern ein Gebilde aus Ton und könne sich nur für das erwärmen, woraus er selbst gemacht sei. Man betrachte ihn doch, wenn er vor seinem Hause sitzt, ein dummes Stück Lehm in seinen Händen, mit dem er spielt, das er knetet und streichelt. Da fährt ihm die Zärtlichkeit aus allen Fingerspitzen, da flammen ihm die Wangen, da sprüht’s ihm aus den Augen. Die kleine Cencetta, die Tochter des Winzers Vinutelli, dessen Gehöft an den Garten des Töpferhauses stieß, wollte den verrückten Menschen belauscht haben, als er einen eben fertiggewordenen Krug, der den Kopf eines alten Mannes mit einem Ziegenbart und spitzen Ohren vorstellte, hoch emporhielt und lachend und entzückt zu ihm redete.

Übrigens durfte Antonio sich nie lange an dem Anblick einer seiner Arbeiten erfreuen. Kaum beendet, war sie auch schon verkauft, und es wurden so viele Nachahmungen verlangt, daß die Werkstätte Pietros bald nicht mehr ausreichte, um allen Aufträgen zu genügen. Sie mußte vergrößert, ein paar Gesellen mußten aufgenommen werden. Die Nachfrage steigerte sich noch, als Antonio begann, die Waren zu bemalen, mit Arabesken, Blumen, einzelnen Figürchen, mit Darstellungen von allerlei komischen oder ernsten Vorgängen im Leben der Leute von Ariccia.

Dem Padrone wuchs die Arbeit über den Kopf. Ihm wäre es recht gewesen, wenn sein Kundenkreis sich verkleinert hätte, und er meinte das Mittel dazu gefunden zu haben, indem er seine Preise erhöhte. Die Käufer schimpften, feilschten – bezahlten. Das Geschäft gedieh, förmlich gegen den Willen seines Besitzers, immer glänzender. Äußerlich stand alles zum besten, im Inneren herrschten Unzufriedenheit und Hader. Der Sohn verlangte hinaus in die Welt, wollte das Handwerk an den Nagel hängen und ein Bildhauer werden oder ein Maler. Der Vater sprach ihm das Talent zum einen und zum andern ab. Es gab Zeiten, in denen sie kein Wort wechselten, dann wieder hörte man Venesco, aufs höchste gereizt durch den kalten Trotz Antonios, bis tief in die Nacht hinein wüten und toben, hörte das Klirren von zerschelltem Geschirr. Am nächsten Morgen lasen die Gesellen die Scherben kostbarer Schüsseln und Schalen vom Boden auf, und Cecilia, die Töpfersfrau, kam noch blasser als gewöhnlich und mit rotgeweinten Augen zur Frühmesse in die Kirche.

Sie zu fragen, was es wieder gegeben habe, wagte nur noch selten jemand. Cecilia wehrte jeden Versuch, sie auszuforschen, so entschieden ab, daß die Neugierigsten sich beschämt zurückzogen, fest entschlossen, dem unnahbaren Weibe nie mehr ein Zeichen der Teilnahme zu geben. Bei jeder solchen Gelegenheit stieg die Abneigung höher, die ohnehin gegen sie herrschte, weil sie glücklicher war, als sie zu sein verdiente, und dabei der Hochmut selbst.

Ihr Mann trug sie auf Händen, er hatte für sie nie ein hartes Wort, kaufte ihr die kostbarsten Kleider, den schönsten Schmuck. Einen so guten und großmütigen Eheherrn wie ihn fand man in Ariccia und wohl in der ganzen Welt nicht wieder. Seelenstark und treu erfüllte er das Gelübde, das er in der furchtbaren Stunde getan hatte, in der Cecilia, von ihrem Verführer verlassen, vor den betrogenen Mann getreten war und ihr Schuldbekenntnis abgelegt hatte: So steht’s um mich, tue, was dir zukommt. Da hatte er ein Messer vom Tisch genommen und es ihr in die Brust gestoßen. Aber beim Anblick der scheinbar tödlich Getroffenen war sein Zorn erloschen und die alte Liebe allüberwindend wieder erwacht. Und er hatte zum Himmel gerufen: Tu ein Wunder, lasse sie mir, und ich will sie halten wie mein treues Weib, und das Kind in ihrem Schoße soll mein Kind heißen.

An einem schönen Frühlingsabend saß das Ehepaar Vinutelli in Gesellschaft des Baders Luigi Fenderigo und einiger anderer Bekannten beim Weine im Garten des Winzers. Fenderigo war eben aus Rom zurückgekehrt und von den Eindrücken, die er dort empfangen hatte, ganz berauscht. Als der Stuhl Petri wieder in der Ewigen Stadt aufgerichtet worden, als mit dem Riesengefolge des katholischen Oberhirten Glanz, Reichtum, Pracht eingezogen waren, hatten sie einen schreienden Kontrast zu dem Trümmerfelde gebildet, auf dem sie sich entfalteten. Nun residierte Oddo Colonna, der erste seit vierzigjähriger Kirchenspaltung einmütig gewählte Papst, als Martin V. im Palaste seines edlen Geschlechtes bei den Santi Apostoli. Kühne und glückliche Condottieri eroberten der Kirche ihren Staat zurück, den Frieden sicherten kluge Verträge. Eine große Bautätigkeit war rege, der verfallene Vatikan, die zerstörten, geplünderten Gotteshäuser erstanden verjüngt wieder. Gelehrte und Künstler wurden an die Höfe des Papstes und der Kardinäle berufen. Neues Leben pulsierte im alten Rom. Eine neue Kunst war seine schönste Blüte. Fenderigo bewunderte und pries sie voll Entzücken. Nirgends aber, meinte er, entfalte sie sich so wundersam wie in San Clemente, in der vom Kardinal Branda di Castiglione gestifteten Katharinenkapelle.

Eben begann der Redselige, was er gesehen hatte, feurig zu schildern, als Pietro Venesco vorüberkam und die freundlichen Grüße, die ihm zugerufen wurden, in seiner trockenen, kurz angebundenen Art erwiderte.

»Der Unglückliche«, sagte Julia Vinutelli, lehnte sich mit ihrer ganzen Wucht in ihren Sessel zurück und kreuzte die Arme und zur Erhöhung der Behaglichkeit auch die Beine. »Am vorigen Sonntag in der Kirche habe ich ihn beobachtet. Da stand er wie eine Säule der Verkündigung gegenüber und erhob kein einziges Mal den Blick. Nun ja – um den Engel nicht sehen zu müssen, dem sein Antonio von Tag zu Tag ähnlicher wird.«

Sie hatte das »sein« spöttisch betont, und man lachte; nur Fenderigo ereiferte sich: »Einbildungen!… Der Engel hat Ringellocken wie aus Draht und ein leeres Gesicht und Gliedmaßen so dünn und steif wie der Lilienstengel, den er in der Hand hält. Der Toskaner – ich habe ihn ja auch gekannt – war glutäugig und seidenweich gelockt – und gebaut! – und eine Gestalt! Der heilige Georg Drachentöter hätte sich ihrer nicht zu schämen gebraucht.«

»Der ganze Antonio«, schaltete Julia ein, indes der Bader lebhaft fortfuhr: »Kann ja sein, daß der schöne Pfuscher beabsichtigt hat, uns außer dem lebendigen noch ein anderes Abbild seiner selbst zu hinterlassen, gelungen ist es ihm nicht.«

»Wieso nicht gelungen?« rief eine weißhaarige Frau, die ein klassisches Gesicht hatte und eine große, zerzauste Frisur. »Aufgeschrien haben wir, wie das Bild enthüllt worden ist: Gott verzeih ihm die Sünde, das schwere Ärgernis – da hat er sich selbst als Verkündigungsengel und seine Geliebte, die Cecilia Venesco, als künftige Heilandsmutter gemalt.«

»Gemalt! Gemalt!« entgegnete Fenderigo, »ich kann das Wort, auf solches Machwerk angewendet, nicht aussprechen hören. Geht nach San Clemente und holt Euch dort einen Begriff davon, was malen heißt. Masolino da Panicale gibt ihn Euch und sein junger Schüler Tommaso Guidi, den sie Masaccio nennen.«

»Kann ihn freuen, das Schwänzlein an seinem Namen! Paßt es auch? Ist er schmutzig und ekelhaft?« fragte die Weißhaarige.

»Besonders gepflegt freilich nicht«, erwiderte der Bader und führte unwillkürlich die Hände über seine Wangen.

»Hättet Euch seiner erbarmen und ihm den Bart scheren sollen«, sagte Vinutelli.

»Es wächst ihm keiner. Gerade nur ein bißchen am Kinn.«

»Am Kinn – wie einer Ziege?«

»Nein, nein, ganz kurz, und auf der Oberlippe ein Bärtlein wie ein Schatten. Aber sein Gesicht ist männlich und ernst und hat viele Ecken und Hügel.«

»Ecken und Hügel?«

»Über den Augenbrauen zwei große und auch oben auf der Stirn, und alles voll Genie … Und wenn er malt, da hätten die Engel des Gerichtes gut blasen, er würde sie nicht hören. Bei der Arbeit stört ihn nichts und nichts! Und wenn ihn noch so viele umdrängen, Lernbegierige oder bloßes Gaffervolk …«

»Zu welcher Sorte gehörtet Ihr?« fragte Julia, und wieder lachten alle.

»Es gibt auch Leute, die man Kunstfreunde nennt«, erwiderte der Bader, »und es gibt, Gott sei Lob und Dank, noch jugendliche Begeisterung.«

»Bei Euch doch nicht?«

»Warum nicht? – Zum Beispiel die meine für Euch, Schönste, will nicht altern«, sagte Fenderigo galant. »Übrigens dachte ich jetzt nicht an mich, sondern …« Er machte eine Pause, blickte sich mit seinen klugen Augen im Kreise um und sprach: »Hat keiner von euch bemerkt, daß wir den Antonio am Sonntag nicht mehr zu sehen bekommen?«

Julia besann sich, daß ihre Tochter Cencetta es allerdings bemerkt habe und daß die Kleine sich einbilde, der Tonklumpen müsse am Ende doch Feuer gefangen und irgendwo in der Nähe ein Liebchen haben, bei dem er seine Sonntagsfeier halte.

»Ist richtig – bis auf die Nähe«, versetzte Fenderigo. »Er hat eine Geliebte, aber sie wohnt in Rom, und zwei Nächte muß er mit Hin- und Hergehen verbringen, um ein paar süße Stunden hindurch ihren Anblick genießen zu können.«

»Ihren Anblick? – Ach geht – nur ihren Anblick? – Sähe ihm fast ähnlich!« riefen die Männer und die Frauen durcheinander, und es hagelte zweideutige Reden und derbe Witze.

Eine Weile verging, bevor der Bader sich wieder verständlich machen konnte. »Anblick sage ich! Anblick meine ich! Und mehr vermöchte auch der Kühnste nicht von ihr zu erlangen, denn die Angebetete ist die heilige Katharina selbst und von Masaccio an die Wand der ihr geweihten Kapelle gemalt.«

Eine gemalte Geliebte! – Die Enttäuschung war groß.

»Lauter Unsinn!« sagte Julia. »Ihr könnt den Unsinn doch selbst nicht glauben.«

»Was man mit seinen Augen gesehen hat, braucht man nicht zu glauben, man weiß es. Ich habe die Verzückung gesehen, in die der Jüngling vor diesen Bildern versinkt. So merkwürdig ist sie, so schön, daß es sogar dem Maler, dem nichts auffällt, auffiel und daß er neulich, nachdem Antonio sich losgerissen und die Kapelle verlassen hatte, gefragt hat, wer der Jüngling sei, der so bescheiden und inbrünstig zur Heiligen bete. Niemand wußte es«, fuhr Fenderigo, immer mehr in Eifer geratend, fort. »Da trat ich auf ihn zu, verneigte mich wie vor einem Kardinal im Purpur und sprach: ›Ich kenne ihn, er ist der und der.‹ Und – jetzt staunt! bei meinen Worten fliegt eine sehr liebliche Freundlichkeit über seine Züge. ›Der Töpfer aus Ariccia‹, sagt er, ›der die hübschen Vasen und Schüsseln formt und bemalt?‹ Denkt euch das! Weiß der Masaccio von ihm und – schmeichle ich mir – will gern noch weiteres von ihm erfahren. So gibt ein Wort das andere, und ich erzähle …«

»Das kann man sich vorstellen«, rief das dicke Ehepaar wie aus einem Munde, »was Ihr erzählt haben werdet.«

»Was Gott verboten hat, werdet Ihr erzählt haben«, fiel ein bärtiger Geselle ein, der, einen Fiasco Rotwein zärtlich im Arme haltend, hinter Vinutelli stand.

Fenderigo sprang auf und fuchtelte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger vor der Nase hin und her: »Nichts Verbotenes, nur Gutes! Daß der Antonio ein Künstler werden möchte und wohl auch könnte und nur nicht darf, weil der Alte es nicht will. Meint vielleicht: Stammt von einem Pfuscher, wird nur ein Pfuscher … ›Das ist nicht ausgemacht‹, sagte der Meister und erkundigte sich mit vielen Warum und Wieso derart eindringlich und genau nach all und allem, daß es mich nicht wundernähme, wenn er heut oder morgen an die Tür des Töpfers klopfen und fragen würde: Was ist’s, Padrone? Wollt Ihr Vernunft annehmen und mir den Antonio anvertrauen, damit ich einen großen Maler aus ihm mache?«

»Lauter Unsinn. Das wird ihm einfallen«, sprach Julia.

»Kann man nicht wissen, kann alles sein und alles werden«, entgegnete der Bader. »Kann sogar sein – wenn es auch unbegreiflich scheint –, daß Antonio dereinst seinen Meister überflügelt, wie dieser den seinen jetzt schon überflügelt hat – den Masolino da Panicale.«

»Wie heißt er?« fragte die Weißhaarige herausfordernd.

Fenderigo wiederholte den Namen, ohne zu bemerken, daß sie fieberig war vor Ungeduld. »Einige behaupten – es braucht freilich deshalb nicht wahr zu sein –, daß er seine Arbeiten in San Clemente nur deshalb plötzlich abgebrochen hat, weil er sah, daß sie den Vergleich mit denen seines Schülers nicht bestanden. Es braucht nicht wahr zu sein – ich wiederhol’s! Mir aber würde es einleuchten. Was meint Ihr dazu, weiser Vinutelli?«

»Nichts. Ich meine immer … in derlei Dingen meine ich am liebsten nichts.«

»Jetzt malt der in Florenz, der Meister Masolino, in der Kapelle der Brancacci bei den Karmelitern. An den Gewölben malt er, und Masaccio soll ihm nachfolgen, sobald er seine Bilder in Rom vollendet hat.«

»In Gottesnamen soll er!« fuhr ihn die Weißhaarige an. »Ich kenne den Masolino nicht und nicht Euren schmierigen Masaccio, und Eure Malergeschichten wachsen mir zum Halse heraus.«

»Sancta Sim-pli-ci-tas!« – Der Beredsame war so verwundert, daß er ins Stottern geriet. »So sprecht Ihr, weil Ihr die Werke dieser Wundermänner nicht gesehen habt, weil Ihr keinen Begriff habt von der neuen Kunst. Ihr werdet anders sprechen, wenn Ihr einmal in Rom wart, wenn Ihr die heilige Katharina gesehen habt, wie sie dasteht, kaum dem Kindesalter entwachsen, im Götzentempel. Eine Heidenschar zieht ein unter Tubenschall, das Idol anzubeten. Die Jungfrau aber, von himmlischer Eingebung und von himmlischem Mute beseelt, hebt den Arm so!« Er reckte den seinen empor mit der Grazie eines Elefantenrüssels. »Triff mich, wenn du kannst! spricht sie zu dem Idol; schleudere deine Blitze auf mich herab, die dich verleugnet und verabscheut … – Und noch tausendmal schöner ist sie im Kaiserpalaste, überirdisch und doch irdisch, wie vom Himmel niedergestiegen und doch unter uns wandelnd in Fleisch und Blut. Tief im Hintergrund des Saales thront Maxentius. Zu seiner Rechten eine Reihe Philosophen, zu seiner Linken eine Reihe Philosophen. In der Mitte steht die Heilige und widerlegt ihnen ihre heidnische Weisheit vom A bis zum Z. Die Philosophen schämen sich in ihre gelehrte Haut hinein, und man sieht sie denken: Du hast uns überwunden, du mußt sterben. So deutlich sprechen ihre Mienen, ihre Gesichter, ihre Hände, und alles ist natürlich. Und wenn Masaccio mit seiner Kunst einen Tempel malt, eine Gasse, eine Landschaft, meint man, man könnte eintreten in den Tempel, man könnte spazieren in der Gasse, in der Landschaft. Es ist genau wie in der wirklichen Welt.«

»Und lauter Unsinn«, sagte Julia. »Ein Bild hat ein Bild zu sein, und es soll niemand in ihm spazierengehen wollen; und die Heiligen sollen nicht so gemalt werden, daß junge Männer, die einen Hausstand gründen könnten, sich in eine farbige Figur verlieben statt in ein lebendiges junges Mädchen. Wohin kämen wir? Lauter Unsinn, Eure neue Kunst.«

Der Himmel blaute, und die Sonne schien. Aber rauh kam die Tramontana über das Apenninische Gebirge herübergestrichen, schüttelte die Blüten von den Apfelbäumen und fegte sie zu einem dichten Teppich vor dem Hause des Töpfers von Ariccia zusammen. Ein Fremder, der den Weg dahin erfragt hatte, bückte sich, nahm so viele von ihnen, als er fassen konnte, vom Boden auf, betrachtete sie lange mit liebreicher Aufmerksamkeit, preßte sein Gesicht in die mit Blütenschnee gefüllten Hände und sog den lieblich feuchten Duft tief atmend ein. Dann schritt er vorwärts und zum Fenster der Werkstätte. Einige Tonwaren befanden sich dort, unter ihnen ein auffallend schön geformter Krug. Ein naiv und keck gemaltes Bildchen schmückte ihn: der angetrunkene Silen, der den kleinen Bacchus seinen Pflegerinnen, den Nymphen, entführt. Sie trugen alle, wie die Jungfrauen in Ariccia, Schleier und Halskrausen, Schnüre von Achatsteinen hingen ihnen über die Brust herab, ihre weißen Schürzen waren mit bunten Stickereien, ihre weißen Schuhe mit roten Absätzen geschmückt. Wie sie in dem gegebenen Raume Platz fanden, blieb dem Beschauer ein Rätsel, bis die papierne Dünnheit ihrer Leiber es ihm löste. Aber höchst lebendig waren ihre Gebärden und die Mienen des Schreckens, mit denen sie den Räuber verfolgten. Er raste dahin über Stock und Stein, sehr in Gefahr, eines seiner Beine zu verlieren, das er in der Hast unvernünftig weit von sich geschleudert hatte. Überraschend gelungen war dem Künstler der kleine Olympier. Er saß auf der Schulter Silens, griff ihm mit einer Hand in seine wirren Haare, hob die andere in die Luft und jauchzte; lustig strampelten seine Beinchen gegen die Brust des Alten.

Während der Fremde das Bild ansah, wurde er selbst beobachtet. Von seinem Platz am Fenster aus hatte Venesco ihn erblickt und fragte sich, wer das sei und was der wollen möge, der regungslos im Sturme stehenblieb und einen Krug anlächelte. Ein Händler schien es nicht und auch kein Käufer, am wenigsten ein besonders wünschenswerter. Sein Anzug war ärmlich. Das Barett aus schwarzem Sammet, der braune Mantel aus grobem Mönchstuch zeigten Spuren langer Dienstbarkeit. In dem Äußeren des Mannes lag nichts Gewinnendes. Er war von mittlerer Größe und zart gegliedert. Seine dunklen Haare flossen, hinters Ohr gestrichen, auf den Nacken herab. Die Hagerkeit des Gesichts, der scharfe Schnitt der kurzen, geraden Nase ließen ihn auf den ersten Blick älter erscheinen als er, dem Schmelz der Haut, dem jugendlichen Glanz der tiefblauen Augen nach zu schließen, wohl war. Ihn für einen von den vielen, durch die Wechselfälle der unruhvollen Zeit herabgekommenen Signoris zu halten konnte niemandem einfallen. Zu den geringen Leuten gehörte aber dieser Mensch, der so unscheinbar und ohne Geleite durchs Land zog, gewiß nicht.

Als Venesco auf die Schwelle seines Hauses trat und schroffen Tones fragte: »Was steht Euch zu Diensten?« traf ihn ein Blick aus den Augen des Fremden, der ihn überraschte – und ihn gewann. Ein merkwürdig leuchtender, in die Tiefe schauender Blick.

»Schenkt mir Gehör, Meister Venesco. Ihr seid es doch?«

Pietro nickte und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Sie stiegen über ein paar Stufen in einen Vorraum, der zu der Werkstätte führte, einem länglichen, dämmerigen Gelaß mit niedriger, aus Balken gefügter Decke. Auf breiten Borden an den Wänden lagerte der Vorrat an Geschirr. Drehscheiben, schwere Tische, die den zubereiteten Lehm und allerlei Werkzeug trugen, eine Wasserkufe standen auf dem ziegelgepflasterten Boden umher. In der Tiefe der Werkstatt, dem breiten Fenster gegenüber, das auf die Straße ging, befand sich ein kleineres mit der Aussicht in ein Gärtchen. Helles Sonnenlicht drang von dort herein, bildete einen blendend goldigen, scharf abgegrenzten Streifen und ließ die ganze Umgebung grau erscheinen. Wie eine Glorie aber lag es auf dem Haupte des Jünglings, der im weißen Arbeitskittel, ein weißes Mützchen auf dem lockigen Scheitel, am Fenster saß. Er war eifrig mit dem Bemalen einer Schüssel beschäftigt und hob den Blick nicht beim Eintreten der beiden Männer.

Um so mehr Interesse schenkte der Besucher ihm. Er stand und betrachtete das schöne Menschenbild, das ihm da wie in einen Lichtmantel gehüllt erschien, mit freudigem Wohlgefallen. »Euer Sohn Antonio«, sprach er.

»Ihr kennt ihn?«

»Und er mich – fragt ihn nur.«

Antonio hatte aufgehorcht. Nun sprang er empor. Die Schüssel entsank seinen Händen und lag in Stücken. Und er stürzte vor und dem Fremden zu Füßen. »Tommaso Guidi! Tommaso Guidi!« schrie er. »Ihr, Meister!… Ihr bei uns!…«

»Du hast mich oft aufgesucht, wie ich höre, nun komme ich einmal zu dir … zu euch – um seinetwillen«, verbesserte sich Masaccio, das Wort zugleich an Venesco und an seine Frau richtend, die aus dem anstoßenden Zimmer getreten war. Groß, fast überschlank, eine königliche Erscheinung in ihrer reichen Tracht.

»Mutter, meine geliebte, süße!« rief Antonio, »das ist Meister Tommaso Guidi – er selbst – er kommt zu uns!«

Sie verneigte sich mit einer eigentümlich schüchternen Hoheit, und Masaccio dachte an seine Madonna am Fuße des Kreuzes, und sie kam ihm unedel vor im Vergleiche zu dieser herrlichen Matrone.

»Steh auf!« herrschte Pietro den Sohn an, der schweigend gehorchte. »Um seinetwillen kommt Ihr, Herr Guidi? Was soll er?«

»Mein Schüler werden, wenn Ihr es gestattet, mir folgen nach Florenz, wohin Masolino mich ruft.«

Ein Jubellaut drang aus Antonios Brust: »Nach Florenz, dem gebenedeiten!… Mit Euch, Meister …«

»Beruhige dich«, unterbrach ihn Pietro finster. »Meint Ihr einen Maler aus ihm machen zu können?«

»Er ist es, halb und halb.«

Pietro lachte höhnisch: »Halb und halb – und was er ist, wird er bleiben.«

»Wie könnt Ihr das wissen! Seine Malereien auf Euren Schüsseln und Schalen versprechen mehr, als Ihr ahnt.«

»Gut, gut, er erfülle die Versprechungen – an anderen Schüsseln und Schalen.«

»Damit Euer Geschäft gedeihe«, fiel Antonio ein, fahl vor Grimm und Qual. »Ob ich darüber zugrunde gehe, danach fragt Ihr nicht … Aber Ihr, Mutter«, er wandte sich an sie, »Ihr, die mich liebt – helft mir, ich bitte Euch, Mutter, helft!« Ein glücklicher Einfall schien ihm plötzlich gekommen: »Ihr könnt es! Hat er nicht neulich gesagt: ›Nimm ihn! Verfüge über ihn! Ich überlasse ihn dir.‹ So verfügt denn, Mutter – meine geliebte –«

»Nicht so, nicht so«, unterbrach sie ihn mit sanftem, inbrünstigem Flehen und streckte die Hand abwehrend gegen ihn aus. »Dein Vater sprach die Worte im Zorn, sie sind nicht gesprochen. Berufe dich nicht auf sie, Antonio.«

»Also nein!« Er stieß heftig mit dem Fuß gegen den Boden, zerbiß die Lippen, und Tränen, heiß wie Feuerfunken, schossen ihm in die Augen. »Auch bei Euch kein Erbarmen. Ihr verlaßt mich wieder, wie Ihr mich verlassen habt, als Lucca della Robbia um mich schickte. Also nein! Aber wißt – es ist aus! Hier zurückhalten lasse ich mich nicht mehr, sperrt mich ein, bindet mich, ich entkomme Euch doch. Darf ich nicht mit Euch gehen, Meister Guidi, so folge ich Euch nach, und Euch will ich gehorsam und untertänig sein. Den Weg zu meinem Meister finde ich, das schwöre ich Euch, Mutter, und – Euch!« mit unaussprechlichem Haß schleuderte er das letzte Wort dem Padrone zu, der verächtlich an ihm vorübergeblickt hatte und nun zusammenzuckte.

Seine Frau trat an seine Seite und berührte leise und beschwichtigend seine Schulter. »Laß ihn ziehen, Pietro«, sagte sie, »laß ihn in gutem ziehen.«

Er sah sie an. »Du willst es? Du willst dich von dem Lichte deiner Augen trennen?« fragte er mit grausamem Spott.

»Es ist Zeit. Ich bin, wenn er bei uns bleibt, weiter von ihm getrennt als durch Berge und Seen.«

Eine Weile noch kämpfte er, den Blick starr zur Erde gesenkt, die krampfhaft geballten Fäuste zusammengepreßt. Dann raffte er sich auf und sprach hart: »Die Folgen über ihn und dich! Er gehe. Er werde, was zu werden der Teufel ihn treibt, von dem er besessen ist. Ein Halber, der sich ein Ganzer dünkt und anderen weismacht, daß er es ist … Ein Gaukler nur und lebt auf Borg, aber gut, Borgen kennt kein Ziel. Die Zukunft zahlt, die große Zukunft, die er hat … Ja der! was der noch leisten wird. Wartet … wartet nur! Und daraufhin stiehlt er und raubt, stiehlt Hochachtung und Bewunderung und das Vertrauen der Männer und die Liebe der Frauen …«

Ein fast unhörbares Wimmern, ein Flehen um Gnade zitterte auf den Lippen seines bleichen Weibes, und plötzlich, als hätte ein Peitschenhieb ihn getroffen, hielt Pietro inne.

Antonio trat auf seine Mutter zu und schloß sie in die Arme. Sie lehnte sich an seine Brust und sah voll Leid und Liebe zu ihm empor. Masaccio war ganz vertieft in ihren Anblick. Er betrachtete die feinen Linien ihres edlen Profils, und vor sein malendes Auge trat ein Bild voll hoher und rührender Schönheit, dessen Mittelpunkt und Glanzpunkt das emporgerichtete vergeistigte Angesicht der wundervollen Matrone war.

»Merkt Euch Eure Worte!« rief Antonio über das Haupt der Mutter hinüber dem alten Manne zu. »Der Tag kommt, an dem Ihr sie bereuen werdet. Merkt Euch Eure Worte, ich vergesse sie nie!«

Außerhalb der Stadtmauer von Florenz, unfern des zypressengekrönten Monte Oliveto, stand ein schmutziggelbes Haus mit schmaler Eingangstür und breiter, niedriger Loggia. Es hatte die Form eines großen Würfels, auf dem ein kleiner thronte: der nicht mehr ganz wetterfeste Turm. Von den ärmlichen, wie aus der Wildnis emporgewachsenen Häusern in seiner Nachbarschaft unterschied es sich vorteilhaft durch seinen wohlgepflegten Garten. Eine üppig wuchernde Rosenhecke umgab ihn, und er bildete gegen den Monte Oliveto hin ein ziemlich ansehnliches Grundstück, aber nur einen Streifen zwischen dem Hause und der Straße zur Porta San Frediano, deren massigen Bau man von der Loggia aus betrachten und bewundern konnte. Das wurde redlich von der Herrin des Villino besorgt, schon aus Familienstolz. Zählte doch der Erbauer der Porta zu ihren Ahnen, war sie doch eine Pisano und durfte sich rühmen, dem Geschlecht zu entstammen, das der Welt die großen Bildhauer und Architekten dieses Namens geschenkt hat.

Ihre Vermögensverhältnisse waren bescheiden, erlaubten ihr aber ausschließend zu sein in der Wahl ihrer Mietsparteien. Sie nahm überhaupt nur Künstler bei sich auf, am liebsten Maler, weil sie diesen so manche launige und sogar wertvolle Ausschmückung ihrer kahlen Stubenwände verdankte.