AIBOHPHOBIA - Kurt Fleisch - E-Book

AIBOHPHOBIA E-Book

Kurt Fleisch

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Beschreibung

Der angesehene und hochdekorierte Psychiater Dr. H. behandelt einen äußerst interessanten Fall, den Patienten S. Der wird trotz mehrmaliger Selbsteinweisung und starker Medikation von Wahnvorstellungen geplagt und sucht einen Ausweg aus seinen Angstzuständen. Dr. H. erkennt in S. das ideale Forschungssubjekt, um seine bahnbrechende Hypothese zur Erklärung jeder möglichen Geisteskrankheit zu überprüfen. Doch auch Dr. H. verliert mit laufender Behandlung mehr und mehr den Halt in der Realität. Und als er sich selbst nach einer manischen Episode in der Psychiatrie wiederfindet, verschwimmt die klare Trennung zwischen Arzt und Patient – wer ist hier eigentlich der Verrückte, und wer hat die Macht, das festzustellen? Kurt Fleisch lockt mit kurzen, heiteren und unverfänglichen Szenen in eine Geschichte hinein, die sich systematisch verknotet und uns rasch in einem immer wahnwitzigeren, immer gefährlicheren Wirbel mit sich fortreißt, bis Raum, Zeit und handelnde Personen im Auge des Sturms plötzlich in eins zusammenfallen. Überraschend, verstörend und kompromisslos. "Es gibt absolut keinen Grund, an Ihren Geisteskrankheiten zu zweifeln, mein Freund, die sind und bleiben real, trotz aller Widersprüchlichkeit zwischen Ursache und Wirkung."

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Kurt Fleisch

AIBOHPHOBIA

Roman

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

I

Sehr geehrter Herr S.,

es war richtig, dass Sie mir sofort eine Nachricht haben zukommen lassen. Allerdings kann ich Ihrem Wunsch nicht nachkommen, bei Ihnen noch heute eine Lobotomie durchzuführen. Wir sollten diesen Schritt zunächst sehr sorgfältig überlegen, auch wenn ich die Dringlichkeit Ihres Problems gut nachvollziehen kann. Ich verstehe Sie tatsächlich, Herr S., ich sage Ihnen, selten war mein Wunsch, im Irrenhaus zu sein, größer als heute. Es gibt sehr schöne Irrenhäuser hier in Wien, wie Sie wissen.

Ich empfehle Ihnen, täglich die dreifache Dosis Haloperidol einzunehmen, am besten gleich morgens. Vielleicht können wir auf diese Weise von der Lobotomie nochmals absehen. Ich möchte Sie auch inständig darum bitten, auf die Versuche, sich selbst zu lobotomieren, vorerst zu verzichten. Zudem setze ich Sie hiermit davon in Kenntnis, dass ich mit Professor W. gerade eben vereinbart habe, auch in Basel keinen derartigen Eingriff bei Ihnen durchführen zu lassen – dort erwartet Sie also bloß einer: Bismarck!

Ich erwarte Ihren nächsten Bericht,

Ihr Herr H.

Geschätzter Herr S.,

ich bin außerordentlich erfreut, dass die Haloperidol-Therapie bei Ihnen den gewünschten Erfolg zu zeitigen scheint, auch wenn ein Großteil Ihrer Sätze völlig unverständlich ist. Doch das von Ihnen entwickelte Kategoriensystem menschlicher Genitalien interpretiere ich als großen Fortschritt. Wir sind auf dem richtigen Weg! Zu Ihrer Frage: nein, Sie brauchen sich wegen der Dosis keine Sorgen zu machen. Die richtige Dosis ist stets die Überdosis!

Ich erprobe inzwischen einen neuen Ansatz: Ich habe nun seit 93 Stunden nicht geschlafen. Mit bloßem Koffein ist das zu erreichen. Um gleichzeitig die Nerven zu entspannen, würze ich meinen Kaffee mit Benzodiazepinen. Der Mandelkern darf nicht tanzen! Schwäne! Nur einmal musste ich in die Ambulanz, als es gestern aus dem Boden in den Himmel hinauf geregnet hat. Man sagte mir, es sei nicht die Realität, aber ich sage, es gibt gar keine Realität – jedenfalls nicht jene, die wir als solche bezeichnen. Ich hatte mich sicherheitshalber mit schweren Gewichten am Boden fixiert. Nur so konnte ich dem Tod entrinnen. Nach wenigen Stunden wurde ich wieder entlassen. Schwäne: »Alle Verbindungen gelten nur jetzt!«

Entschuldigen Sie bitte meine abermals zu kurze Mitteilung, aber ich habe noch den Plafond aufzuwischen!

In Ungeduld Ihren Brief erwartend,

Ihr Herr H.

Lieber Herr S.,

ich verstehe Ihre Sorge bezüglich der von mir verordneten Dosis, jedoch sollten Sie, Herr S., den Begriff »Überdosis« nicht in einem letalen Kontext verstehen. Zweifellos verordnen und nehmen wir zwar eine Überdosis, um zu sterben; wir verordnen und nehmen aber auch eine Überdosis, um zu schlafen. Verstehen Sie, Herr S.? Dem Schlaf und dem Tode sei der jeweilige Übergang gemein, denn weder können wir sterben, noch können wir schlafen, ohne unsere Kontrolle abzugeben. Die Fähigkeit zu sterben, geschätzter Herr, unterliegt also derselben Voraussetzung wie die Fähigkeit, einschlafen zu können. Genauer gesagt ist es dieselbe Unfähigkeit, und da sich diese Unfähigkeit aus derselben Ursache ergibt, benötigen wir nicht nur für den Tod, sondern analog auch für den Schlaf eine Überdosis.

Sie mögen Recht haben, geehrter Herr, wenn Sie mir schreiben, der Grat zwischen der (derzeit) unerwünschten tödlichen und der erwünschten, narkotisierenden Dosis sei schmal, doch dürfen Sie auf meine langjährige ärztliche Erfahrung vertrauen – schließlich habe ich unzählige Patienten in verschiedenster körperlicher und geistiger Konstitution diesen Grat entlanggeführt, wobei mir nur in meinen jungen Jahren gelegentlich ein armer Irrer irrtümlich in die falsche Richtung gekippt ist; in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht.

Einerseits besteht die Verschreibung betreffend meinerseits keinerlei Veranlassung zu zweifeln; andererseits jedoch ist die verordnete Einnahme Ihnen überantwortet und insofern könnte Ihnen selbst ein Fehler unterlaufen. Daher möchte ich Ihnen etwas vorschlagen, das mir selbst zur Gewohnheit wurde: Schlafen Sie stets in der stabilen Seitenlage, Herr S., machen Sie es sich zur Regel, stets in der stabilen Seitenlage zu schlafen! Sollten Sie eine höhere als die von mir verschriebene Dosis zu sich nehmen, geehrter Herr, würden Sie durch diese Maßnahme nicht an Ihrem Erbrochenen ersticken, sondern stattdessen in Ihrem Erbrochenen frisch erwachen.

Mit den besten Grüßen,

Ihr Herr H.

Herr S.,

Sie haben Recht – in der Tat habe ich Sie durch amtsärztliche Weisung in die Irrenanstalt bringen lassen. Ich hoffe, Sie verstehen es nicht falsch, weiß ich es doch sehr zu schätzen, dass Sie die Hymne der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vor meiner Türe singen (ja, ich habe sogar mitgesummt), allein, nach drei Tagen und drei Nächten brauchte ich etwas Ruhe. Wie ich ohnehin mit Freude lese, empfinden Sie meine Tat wohl – nicht zufällig habe ich das beste aller möglichen Irrenhäuser für Sie gewählt. Ich freue mich ebenso zu lesen, dass Sie die Zeit im »Schloss der verborgenen Lust«, wie Sie diesen Ort bezeichnen, nutzen, und stundenlang lautstark aus den Schriften Wilhelm Reichs vortragen – vor vielen Zuhörern, wie ich höre, wobei es fraglich ist, ob diese die von Ihnen vorgetragenen Sätze recht verstehen, doch darauf kommt es im Grunde nicht an, meine ich. Außerhalb der Anstalt hätten Sie mit mir nur einen Zuhörer, in dieser Zeit, in unserer Zeit, in der der alte Herr Biedermeier zum neuen Vorbild wiederauferstanden ist.

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Jugend von heute keinen Geschlechtsverkehr mehr zu treiben pflegt? Möglicherweise sind ihnen ihre Geschlechtsteile infolge der gesellschaftlichen Verhältnisse bereits abgefallen, was aber jetzt nur eine Idee ist. Wenn es doch einmal zu einem Sexualakt kommt, dann zumeist nur in Form einer passiven Rezeption pornografischer Filme, beziehungsweise deren aktiver Nachstellung, deren Standardpraktiken jedoch zunehmend anale sind, wie meine Habilitationsschrift über die Entwicklungsgeschichte pornografischer Darstellungen belegt. Die sexuellen Verbindungen bilden daher auch nur noch die Wirklichkeit unserer Arbeitsverhältnisse ab, wobei natürlich unter anderen Vorzeichen alle Praktiken zu unterstützen wären.

Nun, mein geschätzter Herr, ich gehe davon aus, wir stimmen überein, dass Ihr Aufenthalt zum richtigen Zeitpunkt stattfindet, auch Ihre wiederholten Forderungen nach der Lobotomie unterstreichen diese Auffassung. Selbstverständlich würde ich im Notfall eine bei Ihnen durchführen, jedoch scheint mir stattdessen in Ihrem Fall, auch bezüglich Ihrer von Ihnen sogenannten Eibohphobie, sowie bezüglich Ihres Wunsches zu vergessen eine chirurgische Entfernung der Amygdala indiziert.

Allerdings musste ich vergangenen Sonntag einsehen, dass wohl wieder eine größere Welle Zwangslobotomien ansteht, als ich den Beichtstuhl einer katholischen Kirche verließ, in dem ich rasch meine Notdurft verrichtet hatte, und völlig außer Fassung geriet, weil dort zwischenzeitlich ein Gottesdienst begonnen hatte und die Bänke tatsächlich mit jungen, ja sogar hübschen Menschen gefüllt waren, die weder zu mir noch zu Ihnen, Herr S., beteten, sondern zu einem Gott! Ob es noch derselbe Gott ist? Man weiß es nicht so genau. Wie Sie sich vorstellen können, musste ich mir sofort 10 mg Lorazepam intravenös spritzen, um den Weg nach Hause antreten zu können. Sie sehen also, Herr S., ich habe Sie nicht in die Irrenanstalt einliefern lassen, sondern ich habe Sie von ihr befreit.

Mit der Bitte, mir formlos Ihre Einwilligung zuzusenden, so ich die Entfernung der Amygdala anordnen soll,

Ihr Herr H.

Verehrter Herr S.,

mit großer Freude habe ich sowohl den Bericht Ihrer Operation, der mir umgehend zugestellt wurde, als auch Ihren Brief gelesen. Retrospektiv darf ich gestehen, dass dieser Eingriff durchaus experimentellen Charakter hatte und ich die durchführenden Chirurgen erst von der Notwendigkeit überzeugen musste. Nun, da ich auf meinem Fachgebiet, wie übrigens auch darüber hinaus in der gesamten wissenschaftlichen Gemeinde, ein gewichtiges Wort habe, wurde meiner Forderung letztlich freilich entsprochen.

Und wie ich lese, geht es Ihnen ganz ausgezeichnet, lieber Herr S., Sie sollen sogar schon in den nächsten Tagen aus dem Irrenhause entlassen werden. Es freut mich tatsächlich, Herr S., nicht nur Ihre drei größten Ängste konnten wir beseitigen oder zumindest deutlich mildern, Sie vermögen sich zudem an Ihre frühere Wahnwelt kaum mehr zu erinnern. Offen gestanden, Ihre Wahnvorstellungen und Ausführungen stellten sich mir zuletzt nur noch als Groteske dar – vollkommen wirre und absurde Ideen, vor allem, was Ihre eigene Vergangenheit betrifft. Nun, geschätzter Herr, wir können uns beide gleichermaßen glücklich schätzen, dass Sie sich nicht mehr daran erinnern und wollen hoffen, dass sich der Eingriff auch nachhaltig als Erfolg erweist, sich Ihr gegenwärtiger Zustand, lieber Herr S., auch entsprechend festigt, sodass Sie tatsächlich ein neues Leben beginnen können. Freilich werden Sie auch weiterhin die Gestalt eines armen Irren darstellen, jedoch konnten wir immerhin Ihrem Wunsche entsprechen, zumindest diese schwerste Wahnidee zu beseitigen, die aus Ihrer eingebildeten Vergangenheit entsprang.

Dass wir in dieser Angelegenheit einen vollen Erfolg verbuchen dürfen, beweisen Ihre Überlegungen, sogar in die Erwerbstätigkeit zurückkehren zu wollen. Natürlich kommen hier für Sie nur niedrige Dienste in Betracht.

Mit den allerbesten Wünschen,

Ihr Herr H.

Geschätzter Herr S.,

ich sage Ihnen, Herr S., seien Sie froh, im Irrenhaus zu sein! Denn hier, in der »wirklichen« Welt, kann man sich seines Lebens nicht mehr sicher sein. Wenn Sie denken, dass sich der Terrorismus auf den öffentlichen Raum beschränkt, dann irren Sie gewaltig. Am gestrigen Dreikönigs-Feiertag (ich wollte gerade den Schwan, der fortwährend »alle Verbindungen gelten nur jetzt« zu mir sagt, schlachten und braten) standen tatsächlich drei Terroristen vor meiner Haustüre – Islamisten. Ein Schwarzer war auch dabei. Ganz richtig, geehrter Herr, Sie lesen recht. Sie trugen eine wohl im arabischen Raum übliche Tracht, wodurch ich sie als dem Islam zugehörig identifizieren konnte, und waren mit einem Speer bewaffnet. Meines Nachbars Eingangstüre hatten sie schon für ihren nächsten Anschlag mit irgendwelchen kodierten, unlesbaren Zeichen markiert. Ich weiß nicht, was Sie gemacht hätten, mein geschätzter Herr S., doch ich habe wohl das einzig Richtige getan. Als die drei Terroristen auch noch zu singen begannen (ich vermute, irgendein Gebetslied), habe ich, wie es in unserem Land üblich ist, das Feuer eröffnet – zuerst auf den Schwarzen, selbstverständlich, den ich auch erschossen habe. Die anderen beiden kamen mit Oberschenkeldurchschüssen davon. Sie können sich vorstellen, Herr S., dass ich danach nicht mehr fähig war, den Schwan zu schlachten. Stattdessen musste ich die fünffache Tagesdosis Alprazolam einnehmen. Alle Verbindungen gelten nur jetzt. Jetzt. Jetzt!

Nun, trotz all dem wünsche ich Ihnen alles Gute für Ihre heutige Entlassung, und natürlich auch viel Glück für Ihr Bewerbungsgespräch für die Stelle als Customer Consent Manufacturing Manager bei Lidl. Ich habe für Ihre Rückkehr bereits alles vorbereiten lassen, die Hausapotheke ist vollständig gefüllt: SSRIs, SNRIs, NDRIs, Benzodiazepine, Neuroleptika, Opiate und Butyrophenone, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Leninbüste steht gereinigt auf Ihrem Nachttisch, die Hanns-Eisler-Platte ist bereits am Plattenspieler positioniert und wartet dort auf Sie.

Ihre Ankunft freudig erwartend,

Ihr Herr H.

Mein lieber Freund Herr S.,

ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der kopflosen Köpfe. Ich kann Ihnen daher nur dringend raten, Ihre tägliche Dosis Haloperidol und Propofol zu verdoppeln, wenn Sie sich nicht wieder der Gesellschaft entziehen und also ins Irrenhaus wollen. Wie Sie wissen, Herr S., ist eine der tragenden und bis heute immer noch gültigen Thesen meiner medizinischen Dissertation, dass die Notwendigkeit von Sedativa im direkten Verhältnis zum Verstandesvolumen der betreffenden Person steht. Die Schwelle, nämlich der Grenzwert der Intelligenz eines Menschen, unterhalb dessen er sich ohne Sedativa in die Gesellschaft, respektive in das Marionettentheater, einzugliedern vermag, ist dabei im Sinken begriffen. Ich möchte Ihnen damit sagen, Herr S., dass wir heute in einer Welt leben, in der selbst der Dumme (etwa der mechanische Mensch, der Automat, die Puppe, der ausführende Arm, und so weiter) häufig eine gewisse Dosis sedierender Gaben benötigt. Wie sollen also Sie, Herr S., ohne die zehnfache Dosis nur einen einzigen Tag überstehen?

Ich bedanke mich für Ihren ergreifenden Brief und möchte Ihnen sagen, dass der Schritt aus dem Irrenhaus immer sehr schmerzhaft ist. Es ist, als würde man von einem Freudenhaus direkt ins Zuchthaus geworfen. Das Irrenhaus ist wahrlich ein Freudenhaus, und das Freudenhaus ein Irrenhaus. Wir sind aber ausgesperrt, eingesperrt im Zuchthaus. Sperren Sie sich ins Klo ein, Herr S. Ich sperre mich gerne ins Klo ein, das Klo ist ein wenig wie das Irrenhaus. Sämtliche Zustände und Regungen des Gemüts, die ich mit dem Klo verbinde, sind positiv gefärbt. Das Klo ist ein äußerst angenehmer Ort. Sperren Sie sich ins Klo, Herr S., niemand wird Sie stören. Wenn Sie jemand anrufen will, müssen Sie nicht abheben, wenn Sie gerade am Klo sitzen. Am Klo gibt es keinen Bildschirm, bestenfalls auch kein Fenster, keine Geräusche, keinen Text, keine Bilder, und hier, am Klo, müssen Sie nur eines, wenn Sie müssen, Sie müssen sich erleichtern, vom Dreck, der Ihnen tagtäglich hineingestopft wird, und sonst müssen Sie nichts. Es gibt tatsächlich Menschen, die den Rest ihres Lebens eingesperrt im Klo verbringen, insbesondere wenn ihnen der Zugang zur psychiatrischen Medizin verwehrt ist. Zuerst zwanzig Jahre Darsteller im Marionettentheater, dann vierzig Jahre Scheißen am Klo.

Nun, falls Sie doch wieder ins Irrenhaus wollen, fahre ich Sie gerne jederzeit hinauf. Hinauf – wie bei der Himmelfahrt! In der Hoffnung, dass Ihnen meine Ratschläge Erleichterung bringen, muss ich meinen Brief jetzt schließen, da ich aufs Klo muss, aber freue mich bereits, wie immer, auf Ihren nächsten Bericht.

Ihr Freund,

Herr H.

Lieber Herr S.,

ich möchte Ihnen von ganzem Herzen zu Ihrer erfolgreichen Einstellung bei Lidl gratulieren. Um ehrlich zu sein, hatte ich Bedenken, ob Sie so kurz nach Ihrem Aufenthalt in der Anstalt als funktionierende, sogenannte »gesunde Person« aufzutreten vermöchten. Doch in meiner Absprache mit Ihren behandelnden Ärzten konnten wir wohl die richtige Medikation finden, um in Ihrem Falle das Bild einer sogenannten »normalen Existenz« zu zeichnen.

Daher gratuliere ich Ihnen wirklich, geschätzter Herr. Sie werden sehen, lieber Freund, dass Ihnen diese Tätigkeit wohl bekommt. Jede sinnlose Tätigkeit ist nicht nur dem Geisteskranken zuträglich. Die Tätigkeit an sich ist es (ob nun sinnvoll wie die meine, oder sinnlos wie die Ihre), die von den Umständen der jeweiligen Existenz ablenkt – Ablenkung von Ihrer geisteskranken Existenz, Herr S. Im Grunde ist alles eine Ablenkung, anders wäre überhaupt keine Existenz erträglich – selbst meine Existenz nicht, mein guter Herr S., hier mache ich gar keinen Unterschied zwischen uns beiden.

Nun, ich möchte Sie nicht zu lange von Ihren Vorbereitungen für Ihren ersten Arbeitstag abhalten, gebe Ihnen jedoch noch den Rat, ausreichend Psychopharmaka zu sich zu nehmen, damit Sie Ihrem Arbeitgeber Ihre Leistung erbringen können, schließlich hat dieser nicht nur Ihre Zeit, Ihren Geist und Ihren Willen gekauft, sondern auch Ihr Arschloch, wie wir seit meiner Habilitationsschrift über die Proportionalität zwischen ökonomischen Verhältnissen und Pornografie wissen. Schlucken Sie dies am besten mit der Dosis, die ich bereits mit Ihren Ärzten abgesprochen habe, wie üblich hinunter.

Viel Erfolg,

Ihr Herr H.

Sehr verehrter Herr S.,