Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Vor über 3000 Jahren im heutigen Nürnberger Land ... Bei Sonnenuntergang erscheinen geisterhafte Reiter ohne Kopf und versetzen das Dorf in Angst und Schrecken. Ob ein wertvoller Schatz die schaurigen Gestalten besänftigen kann? Und welches Geheimnis verbirgt sich im sagenumwobenen Ezzelwald? Der 10jährige Aig und sein bester Freund Tarrov nehmen allen Mut zusammen und gehen auf Gespensterjagd.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 79
Veröffentlichungsjahr: 2021
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Die Händler kommen
Ein Missgeschick
Lernen und Läuse
Gespenstergeschichten
Im schaurigen Ezzelwald
Der erste Spuk
Ratlos
Das verlorene Messer
Der zweite Spuk
Der Schatz
Pferdekacke und ein Bindeband
Schmalzohrs Mütze
Auf der Suche
Der geheime Ort
Die gelben Augen
Aswers Nebelhirn
Such, Schweinchen!
Hier spukt´s
Alles gut, oder …
Zu viel ist zu viel
Gergs Grinsen
Bereits in aller Götterfrühe schwang sich Andmar der Halsbrecher auf sein Pferd. Wie jedes Jahr um diese Zeit wollte er in einigen Dörfern nach dem Rechten sehen.
Das war eben zu tun, wenn man der Häuptling der Sippe war.
Der zehnjährige Aig, ein schmaler blonder Junge, freute sich, als er seinen Vater mit flatterndem Umhang auf seinem Prachtrappen aus dem Dorf galoppieren sah.
Endlich ein paar Tage ohne die üblichen väterlichen Wutausbrüche und das dauernde Gebrüll.
Neben Aig standen sein großer Bruder Aswer, der den Vater in den nächsten Tagen vor Ort vertreten durfte und vor Stolz fast platzte, und seine ältere Schwester Gerg, die versonnen ihre Fingernägel begutachtete.
Kaum hatte sich der Staub gelegt, den die Hufe von Andmars Pferd hochgewirbelt hatten, erschienen drei Fremde im Dorf. Sie waren zu Fuß unterwegs und jeder von ihnen trug einen vollbepackten Korb auf dem Rücken, der so groß war wie ein Kälbchen.
Es waren Händler, die von Dorf zu Dorf zogen: ein auffallend hübsches Mädchen namens Maira und ihre beiden Brüder Werlang und Zizi.
Die drei boten Tand an: Kämme und Haarnetze, bunt gemusterte Gürtel, kleine Dosen aus Spanholz, Schminke, Ohrlöffelchen, Pomade für die Haare und so weiter. Vor allem brachten sie Neuigkeiten und jede Menge Tratsch mit.
Die Dörfler liebten so was.
Andmar der Halsbrecher liebte es nicht.
Aber er war ja nicht da, und sein Sohn Aswer hieß die Hausierer im Dorf herzlich willkommen.
Leben in der Bronzezeit
Die Bronzezeit dauerte in Mitteleuropa über tausend Jahre lang, ungefähr von 2200 bis 800 Jahre v. Chr.
Damals lebten die meisten Menschen als Bauern in Dörfern oder Weilern. Städte im heutigen Sinn existierten hierzulande nicht, wohl aber einige größere befestigte Siedlungen.
Man hielt Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen und baute auf den Feldern Getreide an. Vermutlich gab es bereits einige Handwerksberufe, die besondere Kenntnisse erforderten. Dazu gehörten das Verarbeiten von Metall oder das Weben hochwertiger Stoffe.
Händler zogen zu Fuß, zu Pferd oder mit Ochsenkarren durchs Land. Bronze, Kupfer und Zinn, aber auch Bernstein, Salz, Gold, Glas, Stoff oder Pelze waren begehrte Tauschgüter.
Elektrischer Strom war noch unbekannt. Alle Arbeit musste mit der Muskelkraft von Mensch oder Tier verrichtet werden. Das Leben war anstrengender und kräftezehrender als heute.
Eine Schule wie heutzutage gab es nicht. Auch keine Schrift. Die meisten Kinder mussten mitarbeiten. Teilweise war die Arbeit sehr hart. Sogar in einem Salzbergwerk hat man Hinweise auf Kinderarbeit gefunden.
Geschäftig breiteten Werlang, Zizi und Maira ihre Waren auf dem Dorfplatz aus. Sofort kamen die Leute und befingerten alles, was angeboten wurde.
Auch Aswer, der Vertretungsanführer für die nächsten Tage, schlenderte herum und machte ein sehr wichtiges Gesicht.
Schnell fiel Aswers Blick auf die hübsche Maira, die anmutig auf einer karierten Decke zwischen Kämmen und Haarnetzen saß.
„Habt ihr auch was für Männer?“, fragte Aswer mit tieferer Stimme als sonst, räusperte sich und steckte die Daumen in den Gürtel.
„Natürlich, Herr“, erwiderte Maira und strahlte Aswer aus ihren Bernsteinaugen an. „Vielleicht eine Hülle für ein Rasiermesser? Aus Leder oder aus Holz? Warte, ich bringe es dir!“
Sie sprang hoch, strauchelte und stürzte mit einem kleinen Schmerzensschrei ins Gras. Sofort kniete sich Aswer neben sie hin.
„Hast du dir weh getan?“, fragte er überflüssigerweise und nutzte die Gelegenheit, um seinen Arm um das Mädchen zu legen.
„Mein Fuß“, klagte Maira und sah mit ihren Bernsteinaugen zu Aswer. „Ich glaube, er ist verstaucht.“
Aswer half ihr hoch, aber sie konnte nur auf seinen Arm gestützt stehen. Mairas Brüder kamen mit besorgten Mienen heran.
„Was ist denn los, Maira?“
„Ich habe mir den Fuß verstaucht“, klagte sie.
„Aber wir müssen noch heute weiter über die Pagnisa nach Norden ziehen!“, rief Zizi mit ratlosem Gesichtsausdruck. „Wir werden erwartet.“
„Ich kann nicht gehen“, schluchzte Maira verzweifelt. „Ich kann nicht weiter.“
„Du bleibst einfach hier“, sagte Aswer galant, „und ruhst dich aus.“
„Wir könnten in vier Tagen zurück sein“, meinte Werlang und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Bis dahin ist der Fuß bestimmt wieder in Ordnung“, sagte Aswer. „Wohnen kann Maira bei mir, ich bin ja irgendwie auch schuld an ihrem Sturz. Sie kann das Bett meiner Schwester Gerg haben.“
„Was?“, rief Gerg. „Wieso mein Bett?“
„Gerg schläft dann bei unserem kleinen Bruder“, beschloss Aswer.
„Und wo schlaf ich dann?“, fragte Aig, aber keiner hörte ihm zu, am wenigsten Aswer. Der hob Maira einfach hoch und trug sie zum Haus, als wäre sie eine Feder. Werlang stopfte rasch das Nötigste in ein Bündel und trug es seiner Schwester hinterher.
„Ich fass es nicht“, zischte Gerg. „Das hat sie doch mit Absicht gemacht, die blöde Kuh! Jetzt hab ich sie die nächsten Tage am Hals. Aswer soll nur nicht glauben, dass ich die auch noch bediene!“ Sie zog eine beleidigte Schnute und rauschte davon.
Aig war enttäuscht. Er hatte sich so gefreut auf die Zeit ohne seinen aufbrausenden Vater, dafür mit Aswer, mit dem er sich gut verstand, obwohl er so viel älter war.
Aber nun?
Jetzt hockte diese Maira im Haus, Aswer ging um sie herum wie ein balzender Auerhahn und würde garantiert nichts mit ihm unternehmen, und Gerg schimpfte die ganze Zeit vor sich hin und sollte auch noch sein schönes Bett haben.
So ein Mist.
Und wo steckte eigentlich sein Freund Tarrov?
Allerlei Tand
Ohrlöffelchen sind kleine löffelartige Werkzeuge aus Bronze, die verwendet wurden, um Ohrenschmalz herauszupulen. Da man sich damit leicht im Ohr verletzen kann, geht man heute besser zum Ohrenarzt.
Gerade als Aig seinen besten Freund Tarrov suchen wollte, zog ihn jemand unsanft am Ohr. Es war Rofen, der Dorfälteste, ein zähes Männlein, das noch erstaunlich viel Kraft besaß. Rofen hatte kaum noch Zähne, eine große Nase und noch größere Nasenlöcher, aus denen borstige Nasenhaare herausschauten.
„Zeit für den Unterricht, Aig Andmarssohn!“, nuschelte der Alte streng.
„Aber Vater ist doch gar nicht da“, entgegnete Aig und versuchte sein Ohr aus Rofens Zangengriff zu befreien.
Doch die dürren Finger krallten sich wie Wolfszähne an Aigs Ohrmuschel fest.
„Papperlapapp! Es gibt noch viel für dich zu lernen, mein Junge. So will es dein Vater.“
Rofen bedachte Aig mit einem unbarmherzigen Blick aus steingrauen Augen.
„Ich zwing dich nicht, Bub. Wenn du nicht lernen willst, geh auf den Acker und klaube Steine wie dieser arme Tropf Tarrov.“
„Tarrov ist mein Freund!“ „Werd ich nie verstehen, dass gerade ihr Freunde seid. Du bist ein Sohn des Häuptlings. Tarrov dagegen lebt mit seiner Mutter von der Hand in den Mund. Und wer sein Vater ist, weiß auch keiner“, meinte Rofen kopfschüttelnd und ging Richtung Haus. Missmutig trottete Aig hinter dem Alten her. Als er Rofen hinter dessen Rücken die Zunge herausstrecken wollte, drehte der sich unvermittelt um und warf Aig einen wissenden Blick zu. Schlagartig fühlte Aig sich unbehaglich. Hatte Rofen hinten etwa ein unsichtbares, geheimes Auge?
Tarrov stand unterdessen zusammen mit anderen Kindern bei Zizi, der drei Äpfel kunstvoll jonglierte und dabei lustige Grimassen schnitt. Außerdem trug Zizi eine ziemlich drollige Zipfelmütze.
Sie war aus dem Fell eines Schafs gemacht. Genauer gesagt, aus dem Hintern einschließlich des Schwanzes, der nun hinten runter hing wie ein langer Zipfel und auf Schritt und Tritt hin- und herwackelte.
Die Kinder waren begeistert. Vor allem Tarrov, ein grobknochiger Junge mit riesigen Händen und Füßen, kriegte sich kaum ein vor Lachen.
„Gefällt´s dir, Junge?“, fragte Zizi und zwinkerte Tarrov zu.
Tarrov strahlte. „Und ob. Die ist lustig.“
Schwungvoll zog Zizi die Mütze vom Kopf, wobei das eine Bindeband riss, was Zizi nicht weiter störte.
„Willst du sie mal aufsetzen? Kannst du ruhig. Läuse holst du dir von mir nicht.“
„Aber du dir von Tarrov“, krähte eines der Kinder, „der wäscht sich nämlich nie.“
Alle lachten laut, deuteten mit dem Finger auf Tarrov und schrien höhnisch: „Läuse-Tarrov, Läuse-Tarrov!“ Tarrov presste die Lippen aufeinander und rannte schluchzend weg.
Bis nach Mittag musste Aig unter Rofens Aufsicht üben, wie man den Lauf von Sonne und Mond in Einklang bringen konnte. Die stinklangweilige Lernerei wurde nur unterbrochen durch das Hinunterwürgen einer Schale voll mit angebranntem Hirsebrei, den Gerg vorbeigebracht hatte.
Als Aig dann endlich gehen durfte, tat es auf einmal einen gewaltigen Schlag, der Rofens ganzes Haus erzittern ließ.
Rofen merkte auf. „Was war das?“
Aig zuckte mit den Schultern. „Kam von draußen, glaub ich.“ Er klopfte gegen die Wand. „Von da. Wo dein Anbau ist.“
„Lass uns nachschauen, Aig Andmarssohn“, sagte Rofen beunruhigt und stiefelte steifbeinig voran.
Sie umrundeten Rofens Häuslein. Auf der Rückseite befand sich ein windschiefer Anbau, in dem Rofen die unmöglichsten Dinge hortete. Er liebte es, Sachen zu sammeln. Umso ungewöhnlicher und vergilbter, desto besser.
Vorsichtig öffnete Rofen nun die Tür des Anbaus. Sofort kam ihm sturzbachartig eine Flut aus Gegenständen entgegen: Ein halbkaputter Schlitten, Körbe voll mit brüchigen Stoffbändern, Holzstäbe mit seltsamen Kerben, Geweihe in allen Größen, Spanschachteln voller grau gewordener Kräuter, getrocknete Schlangen, Mäuse und sonstiges Getier, Klauen und Krallen, kleine Säckchen gefüllt mit toten Mistkäfern, altmodische Steinbeile und klobige Klingen aus Feuerstein, Geschirr mit merkwürdigen Mustern, unglaublich viele Seile und Schnüre aus Bast und alle