Aktenzeichen: Baumhaus - Ein neues Leben - Katharina Mohini - E-Book

Aktenzeichen: Baumhaus - Ein neues Leben E-Book

Katharina Mohini

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Beschreibung

So hatte Thomas sich seine Karriere bei der Polizei nicht vorgestellt. Statt in die Großstadt hat man ihn mitten in die schleswig-holsteinische Pampa strafversetzt. Doch der beschauliche Schein eines Landidylls trügt. Hinter der Fassade einer scheinbar intakten Dorfgemeinschaft verbergen sich alte und neue Querelen unter ihren Einwohnern. Allen voran die zahlreichen Ärgernisse um das neu eröffnete Bordell "Baumhaus", das mit seinen Liebesdamen vielen ein Dorn im Auge ist. Janinas Flucht vor der Rache des Drogenkartells hat sie über viele Wege bis aufs Land verschlagen. Doch der innige Wunsch, dass ihr neues Leben etwas friedlicher verlaufen möge, stellt sich schnell als Traumgespinst heraus. Nicht allein durch den Ärger mit diesen gehässigen, ultrakonservativen Dörflern. Zu allem Überfluss kommt ihr auch noch andauernd dieser junge, selbstsichere Polizist in die Quere, mit dem sie schon bald nicht nur der Zwist um das "Baumhaus" verbindet. Damit nicht genug der Probleme. Bald schon häufen sich die Anzeichen, dass ihre dunkle Vergangenheit sie erneut einzuholen droht und nicht nur ihr Leben in Gefahr bringt.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Katharina Mohini

Aktenzeichen: Baumhaus - Ein neues Leben

Katharina Mohini Aktenzeichen: Baumhaus Band 1 - Ein neues Leben Ein Landhauskrimi

Aktenzeichen: Baumhaus

Ein neues Leben

Die Autorin

Katharina Mohini, Jahrgang 1961, lebt mit ihrer Ehefrau in im südlichen Schleswig-Holstein.

Als freie Autorin in den Genres Adult-Romance und Cosy-Crime hat sie bislang sechs genreübergreifende Bücher veröffentlicht. Den Durchbruch als freie Autorin gelang ihr mit dem im Juli 2020 erschienen Buch "Dünenflimmern – Schleier der Vergangenheit".

Dieses und die folgenden Bücher, die an der dänischen Nordseeküste spielen, sind eine überaus gelungene Kombination von Romantik mit einem spannenden Krimi. Gemischt mit einer gehörigen Portion an Lokalkolorit ist es ihr damit gelungen, nicht nur die Dänemark-Liebhaber in ihren Bann zu ziehen.

Mit dem Titel "Aktenzeichen: Baumhaus – Ein neues Leben" veröffentlicht sie nun ihre erste Serie, die auf mehrere Bücher angelegt ist. Was als Landhauskrimi beginnt, steigert sich im Laufe der Story zum Krimi. Ohne dass dabei die Gefühle der Protagonisten zu kurz kommen. Wie bei all ihren Büchern zuvor, ist bei Katharina Mohini die Thematik "Starke Frauen in außergewöhnlichen Lebenssituationen und der ewige Kampf mit den großen Gefühlen" ein immer wiederkehrendes Element. Dabei würzt sie ihre Geschichten stets mit einer kräftigen Prise Hochspannung und Humor. Des Öfteren stolpern ihre Protagonisten über die Fallstricke ihrer eigenen Handlungen und Taten, oder geraten in bedrohliche Situationen, die praktisch aussichtslos erscheinen.

Katharina Mohini hat sich zu Beginn ihrer Karriere bewusst für den Weg als Selfpublisherin entschieden, um weitestgehend ihre schriftstellerische und vermarktungstechnische Unabhängigkeit zu behalten.

Sie ist als Autorin Mitglied im Selfpublisher-Verband e.V. https://www.selfpublisher-verband.de/ sowie bei den Mörderischen Schwestern https://www.moerderische-schwestern.eu/

Besuchen Sie mich gern auf https://www.katharina-mohini.de/ oder über ihre Facebook-Seite https://www.facebook.com/katharina.mohini

Katharina Mohini

Aktenzeichen: Baumhaus

Band 1 - Ein neues Leben

Ein Landhauskrimi

Impressum

Dieses Buch ist ein Roman. Wie in vielen meiner Bücher habe ich bei einigen der aufgeführten Charaktere lebende Vorbilder, biografische und menschliche Eigenarten übernommen. Dennoch haben die Romanfiguren, ihre Eigenschaften und Handlungen nichts mit den lebenden Personen gemein. Alle Handlungen, Taten und Besonderheiten sind frei erfunden. So auch die im Roman aufgeführte Gemeinde Norder-Holmstedt. Sie und seine Umgebung spiegeln zwar die Landschaft zwischen Schleswig und Friedrichstadt wieder sind aber auf keiner Landkarte zu finden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

Copyright: © 2025 Katharina Mohini

Ulzburger Str. 316, 22846 Norderstedt

Lektorat: Steffi Freyer und H. Riege

Titelbild: © Tom Jay und Christin Strehse

Covergestaltung: TomJay – bookcover4everyone / www.tomjay.de

Verlag: BoD · Books on Demand GmbH, Überseering 33, 22297 Hamburg, [email protected]

Druck: Libri Plureos GmbH, Friedensallee 273, 22763 Hamburg

Die Printausgabe erscheint 12.2025 ISBN-Nr 978-3-6951-3079-5

Von Katharina Mohini folgende Bücher erschienen:

Als Einzelbände:

Das Geheimnis der Stadtchronistin

Pflichtjahr bei Helena

Wandlungen – Das Geheimnis besonderer Frauen

In der Dünenflimmern-Trilogie:

Dünenflimmern

Dünenfeuer – Schatten der Vergangenheit

Dünenbrand

In der Aktenzeichen: Baumhaus-Serie:

Ein neues Leben

geplant sind:

Das Dorf der Verdächtigen

weitere Bände folgen

Für Hildegard

Danke, für deine Freundschaft.

Danke, dass du all die Fehlerchen findest

und sie mir mit einem Augenzwinkern

vor Augen hältst.

Ein kleines Personenregister in alphabetischer Reihenfolge:

Wolfgang Brandt, Polizeiobermeister der Polizeistation Norder-Holmstedt, mit einigen Marotten gesegnet.

Wolf Burmeister, Leiter der örtlichen Sparkasse, ein Skat-Freund von Thomas.

Alfred Clasen, Polizeihauptkommissar und Dienststellenleiter der Polizeistation Norder-Holmstedt.

Anna Dähneke, Großmutter von Thomas Ehlers. Die rüstige Seniorin die von allen nur „Oma Anna“ genannt wird.

Mirja Dombrowski, Freundin und Kollegin von Janina Neuberger.

Thomas Ehlers, ein junger Polizist den das Schicksal nach Norder-Holmstedt verschlägt.

Daniel Ehlers, der siebjähriger Sohn Thomas’, ein aufgewecktes Kerlchen.

Katrin Harmsen, Gemeindesekretärin, eine lebenslustige junge Frau, die ein Auge auf den jungen Polizisten geworfen hat.

Sönke Hüttmann, ein Jungspund, der manchmal die Aufmerksamkeit von Thomas Ehlers weckt.

Janina Neuberger, oder auch Madame Monique, die selbstbewusste Managerin des sogenannten "Baumhauses".

Matthias Petersen, Gastwirt und Besitzer des Lindenkruges, kommt auf die Idee aus seinem wenig lukrativen Appartementhaus das Etablissement "Baumhaus" zu errichten.

Peter Thomsen, Landmaschinenmechaniker, der vierte in der Skat-Runde

Bernd Voß, Landwirt aus Norderstedt, Skat-Freund von Thomas.

Bernhard Voß, Bürgermeister der Samtgemeinde Holmstedt, ein Patriarch.

Johanna Wagenschmidt, Nachbarin der Familie Ehler und erklärte "Dorfzeitung".

Zum Buch, zur Serie und in eigener Sache

Die Idee zum Buch "Aktenzeichen: Baumhaus" kam mir bereits Ende der Neunziger Jahre. Wie alle meine Geschichten schrieb ich auch dieses Buch eigentlich nur für die Schublade. Ohne den Gedanken daran, jemanden teilhaben zu lassen oder sogar etwas zu veröffentlichen.

Damals war es für mich eine Flucht in eine Welt, die ich mir selbst erschuf und die ich ausfüllen konnte. Über alles zu schreiben, was man sich selbst nie wagen würde. Mit Liebe, Leid und vielen Verwicklungen. Mit fiktiven Charakteren, aber auch Personen, die mir im Laufe meines Lebens auf die eine oder andere Weise begegneten. So wuchs unaufhaltsam die fiktive Gemeinde Norder-Holmstedt und entwickelte ein Eigenleben, das mich oft selbst überholte und in seinen Bann zog. Vor allem hatte ich beim Schreiben damals weder auf die Seitenzahl gesehen oder gar im kaufmännischen Sinne gedacht.

Und dann kamen meine lieben Freundinnen aus dem A-Team, die auf ihrer Suche nach immer mehr Mohini-Futter das Manuskript vom "Aktenzeichen: Baumhaus" entdeckten und durch die Bank weg entschieden: "Das musst du unbedingt veröffentlichen!" Ja, und es sollte in die heutige Zeit adaptiert werden, da die Themen immer noch relevant seien. Diese Aufgabe klang im ersten Moment ziemlich leicht. Weit gefehlt!

Die Rückkehr in meine Jungautoren-Zeit war eine Reise mit einem ganz besonderen Reiz. Es war nicht nur, dass sich im Laufe der Jahre der eigene Schreibstil verändert. Nein, es waren die ganz profanen Dinge des Lebens, die es abzuändern galt. Telefonzellen gibt es längst nicht mehr. Ein Handy gar? Weit gefehlt. Damals hatte das längst nicht jeder. Vom Internet ganz zu schweigen. Wir hatten noch die D-Mark und die Polizeiautos waren in Grün und Weiß gehalten. In den Amtsstuben herrschten die Schreibmaschinen vor, und und und.

So einiges musste ich ändern und abwandeln. Ganz besonders die Szenen, in denen wir heute zum Handy greifen würden, mussten umgeschrieben oder im zeitlichen Ablauf glaubwürdig verändert werden. All das war für mich ein völlig neues Abenteuer. Und zurückgesehen, wäre mein Romanprojekt manchmal schneller vorangeschritten, die Idee neu zu Papier zu bringen. Nun, denke ich, kann ich Ihnen ein Werk vorlegen, das heutigen Ansprüchen und Wünschen gerecht wird. Sollte doch einmal eine Diskrepanz auftauen, bitte ich Sie um Nachsicht. Auch das sollte der Spannung keinen Abbruch tun.

Reisen Sie mit mir nach Norder-Holmstedt! Treten Sie ein in eine Welt, wie man sie nicht nur in Norddeutschland antrifft. Ein fiktives Dorf im Herzen Schleswig-Holsteins; auf der "großen, weiten Wiese" zwischen Hamburg und Dänemark. Wo du am Montag siehst, wer am Freitag zu Besuch kommt. Die Geschichte einer Gemeinde, die vor allem den norddeutschen Typus Mensch liebevoll, mit all seinen Facetten, beschreibt. Direkt und gradlinig, teils konservativ und, wenn es sein muss, auch mal stur. Im Kontakt mit Fremden oft maulfaul, leicht introvertiert und doch mit der nötigen Portion Bauernschläue versehen. Ein Dorf, weitab der großen Hauptstraßen, auf dem Weg von der guten alten Zeit in eine Moderne, die das Schicksal seiner Einwohner in vielfältiger Weise beeinflussen und verändern wird.

Prolog

Frankfurt/Main im Oktober, Jahre zuvor.

»Wenn wir dort sind, wirst du deine Klappe halten. Hörst du!« Die raue Stimme des Mannes durchdrang die rauchgeschwängerte Luft des alten Daimlers, ohne dass er die Wahrnehmung der Frau neben sich erreichte. »Ich werde allein mit diesem Fatzke reden.«

Die anmutige Frau reagierte nicht auf seine herablassende Äußerung. Ihr apathisch wirkender Blick hing gebannt auf der Uhr im Armaturenbrett. Verfolgte den unermüdlichen wie erfolglosen Kampf des Sekundenzeigers voranzuschreiten. Nur um immer wieder abzustürzen. Stoisch folgte sie dem Zucken des fragilen Zeigers. Nur darauf bedacht, nicht darüber nachdenken, was auf sie zukam.

Die Stoßdämpfer des Wagens quittierten die Bodenwelle der Einfahrt mit einem Wippen, das an ein Wasserbett erinnerte. Immerhin riss es die Frau in die Realität zurück, aus der sie sich gleich wieder fortwünschte. "Polizeirevier Eschersheim“ stand auf dem blauweißen Schild. In ihr wühlte eine Mischung aus Aufbegehren und Verzagtheit. Gequält sah Sie ihren Chauffeur an. »Muss das alles sein?«

»Ja, das muss es.« Der Mann packte ihr Handgelenk und drückte schmerzhaft zu. »Hör zu. Du willst da raus. Und das hier ist dein verdammtes Ticket. Also vermassle es nicht.« Grob stieß er sie zurück und verließ den Wagen.

»Irgendwann werde ich dir das Genick brechen«, zischte die Frau, die sich Sabrina nannte, unterdrückt. Wohl oder übel folgte sie dem Mann, der sich wirklich einbildete, sie in der Hand zu haben.

Die Szene, in der sie sich wiederfand, drohte sie zu erdrücken. Die zweckmäßige Nüchternheit der Gebäude um sie herum, die in einer Ecke rauchenden Polizeibeamten, die sie längst bemerkt hatten und mit eindeutigen Blicken hofierten. Dazu das geringschätzige Grinsen Bergmanns, dass er ihr über dem Dach des Wagens hinweg schenkte.

Er gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen, und steuerte dem Eingang entgegen, in dessen Nähe die Polizisten standen, die sie nicht mehr aus den Augen ließen. Der schnalzende Laut, den einer der Männer von sich gab, das abfällige Lachen der anderen. All das blieb an ihr kleben.

»Was haben wir hier zu suchen?«, murmelte Sabrina mehr zu sich. Sie versuchte, das Gefühl von Ekel zu ignorieren. So wie jedes Mal in all den Jahren.

Sie folgte ihrem Begleiter über die Treppe in eines der oberen Stockwerke. »Du hast gesagt, das alles geregelt sei.«

»Ich habe dir gesagt, dass du deinen Mund halten sollst. Dieser Staatsanwalt will dich sehen. Das ist alles, was du wissen musst. Tu nur das, was du am besten kannst: hübsch aussehen und lächeln.«

Mit einem »Endlich« wurden sie an der Glastür von einem geschniegelten Anzugträger begrüßt. »Staatsanwalt Dr. Kerner wartet nicht gern.« Er drehte ab, ohne auf den zynischen Kommentar Bergmanns zu reagieren, den dieser ihm hinterherschickte.

»Nun komm schon.« Stefan Bergmann packte das Handgelenk der Frau. Er zog sie unwirsch mit sich und steuerte die Tür an, vor der dieser Anzugträger auf sie wartete.

Sie hatte Mühe, Bergmann zu folgen, ohne auf ihren hochhackigen Schuhen zu straucheln. Beinahe wäre sie auf ihm aufgelaufen, als er abrupt stehen blieb.

»Es ist gut, Christoph.« Der Mann am Fenster bedeutete seinem Mitarbeiter mit einem knappen Handzeichen, den Raum zu verlassen.

Der schloss die Tür hinter sich und ließ die drei Menschen zurück. Die Stille, in der man sich musterte, legte sich schwer über den Raum.

»Frau Neuberger der adrett gekleidete Mann räusperte sich leise und trat unbefangen auf seine Besucherin zu. Seine Hand schwebte zwischen ihnen. »Staatsanwalt Dr. Herbert Kerner«, stellte er sich ihr mit einem angedeuteten Lächeln vor. »Ich wollte mich persönlich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit mir und der Staatsanwaltschaft Frankfurt zusammenzuarbeiten.«

Ein herablassendes Lachen sprang ihr über die Lippen. »Als wenn mir da eine Wahl geblieben wäre.« Der Stoß in ihre Seite ließ sie zusammenzucken. Es war Bergmann, der sie schmerzhaft daran erinnerte, was sie zu tun und zu lassen hatte.

Das Handeln ihres Begleiters blieb dem Staatsanwalt nicht verborgen. »Herr Bergmann, danke, dass Sie mir Frau Neuberger zugeführt haben. Wenn Sie sich nun zu meinem Mitarbeiter begeben würden? Es sind für den anstehenden Einsatz noch einige Fragen zu klären«, wies er ihn an, ohne dass er dabei von seiner Freundlichkeit einbüßte. »Was ich mit Frau Neuberger zu besprechen habe, dürfte Sie wenig interessieren.«

»Aber das geht nicht …«, setzte der Gemaßregelte an, schwieg aber, als er den Blick registrierte, den der Ankläger für ihn übrig hatte. Ein stummes Nicken, ein drohender Blick in Richtung der Frau, die sich sonst vollmundig als Escort Lady bezeichnete. Sichtlich aufgebracht verließ er den Raum.

»Wenn Sie bitte Platz nehmen mögen, Frau Neuberger.«

»Ich möchte lieber mit meinem Künstlernamen angesprochen werden«, unterbrach sie ihn selbstbewusst. »Sabrina, wäre das vielleicht möglich?«

Der Staatsanwalt, der sich ihr mit dem Namen Dr. Kerner vorgestellt hatte, nickte verhalten und deutete einladend auf eine bequem wirkende Sitzgruppe in dem sonst nüchtern gehaltenen Raum.

»Gibt es so viel zu besprechen, das es sich lohnt, hier einzuziehen?« Ihr trotziges Auftreten ihm gegenüber tat ihr gut. Es vertrieb ein kleines Stück der Beklemmung, die sie verfolgte, seitdem Bergmann ihr mitgeteilt hatte, dass der ermittelnde Staatsanwalt sie sprechen wollte.

»Nun, aus meiner Sicht gäbe es einiges, das wir noch besprechen sollten.«

Sein leises Lachen wirkte viel zu sympathisch, stellte Janina, wie sie im wahren Leben hieß, überrascht fest. Selbst wenn sie sich vorgenommen hatte, nichts Derartiges an sich herankommen zu lassen. Schweigend folgte sie seiner einladenden Geste.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Er deutete auf die Getränkeflaschen in der Mitte des ausladenden Tisches und setzte sich ihr gegenüber.

Stumm schüttelte sie den Kopf und richtete ihren verschlossenen Blick auf ihn. Blick auf ihn. Es war ihre Art, fremden Menschen zu begegnen. Ein wichtiger Teil ihrer Überlebensstrategie. Ihr Verhalten schien den Mann keineswegs zu verunsichern. Das war wohl kaum verwunderlich. Schließlich hatte er jeden Tag mit Leuten zu tun, die selten auf der Seite von Recht und Gesetz standen.

»Gut. Bedienen Sie sich gern, wenn sie mögen.« Kerner drapierte seine Unterlagen vor sich auf dem Tisch und langte selbst zu einer Flasche Wasser, um sich einzuschenken. Er schien dabei die Ruhe selbst. Ein kurzer Schluck, dann lehnte er sich bequem in seinem Sessel zurück und suchte mit seinen Blicken ihre Aufmerksamkeit. »Es freut mich wirklich, dass Sie sich bereit erklärt haben, uns tatkräftig zu unterstützen, um dem Drogenhandel hier in Frankfurt einen möglichst schweren Schlag zu versetzen.«

Was für ein Gefasel. Janina versteifte sich unbewusst. Diese Sabrina in ihr hatte erneut die Kontrolle übernommen. Hier ging es um ihre Zukunft, um den Ausstieg und vor allem ein Überleben nach dieser Zeit.

Sie registrierte, wie die Freundlichkeit in seinem Gesicht einem harten Zug wich.

»Es ist doch weiter an dem, oder?« Die Stimme des Staatsanwaltes folgte seiner Mimik. »Wie mir Herr Bergmann versicherte …«

»Bergmann ist ein Arsch«, fiel sie ihm heftig ins Wort. Erneut fragte sie sich, was sie hier zu suchen hatte. Sein beredtes Schweigen ließ sie herunterkommen und gemäßigter fortfahren: »Leider ist er mein einziger Schlüssel, diesen ganzen Irrsinn hinter mich zu lassen.«

Kerners Höflichkeit war einer tiefen Aufrichtigkeit gewichen, als er nach einem Moment des Einhaltens mit einem Nicken fortfuhr: »Ich denke, es erübrigt sich, dass wir uns über die Persona Bergmann austauschen. Lassen Sie uns vielmehr über Sie sprechen. Im Rahmen unserer Ermittlungen ist es nicht verborgen geblieben, dass Sie eine besondere Beziehung zu Herrn José Ferez-Perreira haben.«

»Ach, hören Sie doch auf, um den heißen Brei herumzureden«, unterbrach Janina seine sorgsam gewählten Worte. Alles in ihr verspannte sich und doch war sie weiter bemüht, möglichst cool rüberzukommen. Sie ließ sich in ihren Sessel zurückfallen und schlug leger ein Bein über das andere, ohne darauf zu hoffen, diesen gestandenen Mann dadurch bezirzen zu können. »Warum soll gerade ich José Ferez-Perreira ans Messer liefern? Es gibt genug Leute, die dichter an diesem Mistkerl dran und vor allem mutiger sind!«

»Herr Ferez-Perreira?«

Die Reaktion des Staatsanwaltes war anders, als sie vermutet hatte. Er stutzte merklich, ohne dass es gespielt wirkte. Er ergriff die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag.

»In der Tat wären wir froh, wenn wir diesen feinen Herren im Rahmen des anstehenden Einsatzes ebenfalls aus dem Verkehr ziehen könnten. Das so genannte i-Tüpfelchen. Doch das ist nicht unser Hauptanliegen, und das sollte Herr Bergmann Ihnen dargelegt haben.«

Janina erfasste ein ungeahnter Schwindel, und das lag nicht an der verdrehten Ausdrucksweise des Mannes. Verdammt, in was für eine Sache wurde sie hier hineingezogen? Was für einen Blödsinn hatte Bergmann ihr aufgetischt? Sie setzte sich aufrecht hin und funkelte den Mann vor sich mit glühenden Blicken an. »Hey, Mann. Was habt ihr wirklich mit mir vor? In was für eine Scheiße wollt ihr mich hineinziehen?«

Dr. Herbert Kerner ließ die derben Schimpfworte der Prostituierten an sich abprallen und machte sich seine eigenen Gedanken zum derzeitigen Sachverhalt. Für ihn wurde es immer klarer, dass dieser windige Typ eines V-Mannes die Frau mit Halbwahrheiten abgespeist hatte. Nun galt es mit Engelszungen zu reden, damit Frau Neuberger nicht noch absprang. Sie hatten zu viel an Zeit und Energie investiert, um jetzt alles abzublasen. Vor allem würden sie nie wieder so nah an die Zielperson herankommen.

»Frau Neuberger … Sabrina«, setzte er sanft an und wurde umgehend von der erzürnten Frau unterbrochen.

»Ich will jetzt wissen, warum ich wirklich hier bin! Und ich will es schriftlich haben, dass ich in den Zeugenschutz komme.«

»Okay.« Er hob beschwichtigend beide Hände. »Mir scheint, Herr Bergmann hat Ihnen das Blaue vom Himmel versprochen und Sie nicht über alles in Kenntnis gesetzt. Ich verspreche Ihnen, das wird Folgen für ihn haben.« Dr. Herbert Kerner wagte kaum zu hoffen, dass es ihm jetzt noch gelang, diese Frau auf ihre Seite zu ziehen. Nicht nachdem sie dieser unmögliche Mensch derart im Ungewissen gelassen hatte. »Doch einen alles umfassenden Zeugenschutz können wir nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln.«

Hui, wenn Blicke töten könnten, registrierte Kerner für sich. Zumindest unterbrach sie ihn nicht gleich wieder. Erneut griff er zu der Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. "SOKO Kaufmann" stand in dicken Lettern auf dem grünlichen Pappdeckel.

»Also Klartext, Frau Neuberger. Sie wurden von uns nicht allein wegen Ihres Kontaktes zu Ferez-Perreira angesprochen. Seine Verbindungen zum organisierten Verbrechen sind uns längst bekannt. Uns liegt daran, das Netzwerk um ihn herum zu zerschlagen. Seine Lieferanten und Verbindungen zu den Großabnehmern der Drogen hier im Großraum Frankfurt interessieren uns dagegen sehr. Hier kommen Sie ins Spiel.« Er lehnte sich zurück und tat, als müsse er in der Akte blättern. Dabei las er in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch. In ihm spiegelten sich wohl alle Emotionen ab, zu denen sie fähig war. Drogen – das war der einzige Schlüssel, über den sie bei ihr Zugang fanden. Das war ihm und seinen Ermittlern längst bewusst gewesen. Nun galt es, Frau Neuberger davon zu überzeugen, dass ihr derzeitiger "Gönner" nicht der Saubermann war, für den sie und die ganze Welt ihn hielten.

»Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen?«, brachte die Frau hervor und setzte kämpferisch hinzu: »Ich habe nichts mit Josés Drogengeschäften zu tun. Ja, ich verabscheue dieses grässliche Zeugs. Das sollten Sie wissen, wenn Sie meinen mich so gut zu kennen.«

»Ihre beste Freundin ist an diesem Scheißzeugs verreckt. In Ihren Armen!«, stieß er heftig hervor. Ja, auch ein Herbert Kerner konnte derbe daherreden. Zumindest schien er damit Erfolg bei ihr zu haben. Gemäßigter fuhr er fort: »Sie müssen es mir glauben. Mir liegt sehr viel daran, dieses Teufelszeug von den Straßen zu bekommen. Endlich ist es uns nach jahrelangen Ermittlungen gelungen, an einen der großen Hintermänner zu kommen.« Kerner machte eine Kunstpause und trank einen Schluck. Über den Rand seines Glases erkannte er das Aufglimmen in ihren bemerkenswert dunkelgrünen Augen. »Ein wahrer Saubermann, ein Mitglied der oberen Gesellschaft, integer und ein Freund vieler Politiker. Leider ist dieser Mann sehr zurückhaltend, wenn es gilt, Menschen an sich heranzulassen, oder gar Vertrauen zu entwickeln.«

»Und? Was hat das alles mit mir zu tun?«

»Wir wissen, dass Sie eng mit diesem Herrn befreundet sind. Ihnen würde er vertrauen, wenn sie ihm anbieten, ein Drogengeschäft in die Wege zu leiten. Einen Deal, bei dem wir ihn und seine Partner auf frische Tat überführen werden.«

»Über wen reden wir hier eigentlich?« Janina hatte das Empfinden, in Watte gepackt und zugleich gegen eine Mauer geschleudert zu werden. Das Herumlavieren des Mannes lullte sie ein. Und doch war da etwas in ihr, das längst begriff, was auf sie zukam. Dieser stumme Schrei, der sich in ihr ausbreitete und unaufhaltsam die Kehle hinaufstieg.

»Ich spreche von Ihrem Freund. Dem Unternehmer Claus Friedrich Leberecht.«

Jedes seiner harten Worte erschlug in ihr die Hoffnung, das alles nur ein Traum war. Nein, das durfte nicht sein! Nicht Clausi, ihr wahrer Freund und Gönner. Der einzige Mann, dem sie überhaupt vertraute, sollte ein Verbrecher, viel schlimmer noch, ein Drogenhändler sein? Und doch sagte etwas tief in ihr, dass dieser Staatsanwalt die Wahrheit aussprach.

»Ich kann Ihnen ehrlich nachempfinden, dass Sie das über die Maßen schockiert.« Kerner warf einen letzten Blick in die Akte und reichte sie ihr über den Tisch hinweg. Wortlos erhob er sich, trat an das Fenster und sah wie unbeteiligt hinaus.

Janina saß da und starrte wie paralysiert auf den zitternden Gegenstand in ihrer Hand. Clausi – Drogen – Lügen – und diese Leichtlebigkeit. Alles drehte sich in ihr wie in einem Karussell. Es kostete sie ihre letzte Kraft, durch das Dossier zu blättern. Bilder von Claus und ihr, in allen möglichen Situationen. Gestochen scharf, beinahe so als hätte der Fotograf ganz in ihrer Nähe gestanden. An manch eine Situation konnte sie sich sogar noch erinnern. Es folgten weitere Bilder von Claus. Ohne sie. Vielfach mit anderen Männern, die ihr teilweise nicht fremd waren. Sie erkannte Ahmad Saiidish. Der Clan-Chef war ihr kein Unbekannter. Es waren durchweg Männer, bei denen ihr Instinkt ihr riet, unbedingt Abstand zu halten.

»Sie dürfen mir glauben, Frau Neuberger. Auch ich habe es lange nicht wahrhaben wollen«, wehte die leise Stimme des Staatsanwalts durch das Gefühlschaos in ihr. »Nach unseren Schätzungen sind Leberechts Leute derzeit für die Verbreitung von mehr als zwanzig Prozent des hier im Umlauf befindlichen Kokains verantwortlich.«

»Sabrina«, bestand sie unbewusst auf den Namen, unter dem man sie kannte. Blind vor den stummen Tränen reichte sie die Akte zurück, die ihr mit einem Male bleischwer vorkam. »Ich … ich will alles wissen.«

Kapitel 1

Frankfurt/Main im Dezember, Jahre zuvor.

Janina Neuberger stand frierend am Hühnerweg in Richtung Wendelsweg und wartete ungeduldig, dass Stefan Bergmann endlich kam. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie darauf bestanden hatte, dass er sie hier abholte, statt von ihrem Appartement. Wie naiv war sie nur? Ein zynisches Lachen drang ihr die Kehle hinauf und ließ den Passanten, der an ihr vorbeiging, irritiert aufschauen. Eingeschüchtert von dem Blick, den er kassierte, verkroch der Mann sich in sich selbst und beschleunigte seinen Schritt.

Janina schüttelte ärgerlich den Kopf. Fassungslos über ihre eigene Blödheit. Der Staatsanwalt, seine Leute, ja selbst solch ein Vogel wie Stefan Bergmann. Ein jeder von ihnen wusste, wo sie lebte. Bergmann war V-Mann der Polizei. Er kam an alle wichtigen Informationen heran, wenn er wollte. Fröstelnd verkroch sie sich weiter in ihren Wollmantel, unter dem sie gerade mal so viel trug, um auf einer Party zugelassen zu werden. Selbst auf dieses Outfit hatte Bergmann bestanden, stieß es ihr sauer auf. Sie hätte ihrem Sponsor, Ferez-Perreira und den Männern des Drogenkartells eine Augenweide zu bieten, um diese auf andere Gedanken zu bringen. Hatte sie sich schon einmal so schmutzig gefühlt?

Das Hupen neben ihr ließ sie zusammenzucken. Janina schluckte verkrampft und ging auf den Wagen zu, der auf ihrer Höhe stehen geblieben war. Als sie zu Stefan Bergmann in den Wagen stieg, folgte ihr dieses dumme und doch nicht greifbare Gefühl, das sie seit Tagen im Griff hielt, auf dem Fuße.

»Warum kommst du erst jetzt? Ich stehe mir hier die Beine in den Bauch und warte auf dich.« In dem Moment, als die Wagentür zuschlug, war die zweifelnde Frau in die Rolle der Sabrina geschlüpft.

»Wir mussten kurzfristig etwas umplanen. Das hat nun mal gedauert.« Stefan Bergmann schenkte ihr ein herablassendes Grinsen und fuhr mit einem sportlichen Stil an.

»Umplanen?« Da war es wieder, dieses Gefühl. Es überfiel sie stärker als dieser eklige Gestank nach kaltem Zigarettenqualm. Trotz der schwer arbeitenden Innenheizung kroch ein Frösteln durch sie hindurch. »Wie soll ich das verstehen?«

»Unsere Geschäftspartner haben sich vor drei Stunden gemeldet und auf einem neuen Treffpunkt bestanden«, verriet er ihr lapidar.

»Wann hattest du vor, mir das zu sagen?« Hinter Janinas Stirn stolperten die Fragen herum und mündeten in einer beginnenden Panik. »Was ist mit dem Hotel, das ich gebucht habe?«

»Was soll es dich beschäftigen. Du bist nur dazu da, die hübsche Larve zu spielen.«

»Du vergisst, die hübsche Larve muss Leberecht davon überzeugen …«

»Den habe ich informiert«, fuhr Bergmann ihr erneut über den Mund und schob fast entschuldigend hinterher: »Ferez-Perreira und seine Geschäftspartner bestehen auf dem "Montpellier" als Treffpunkt. Deshalb hast Du«, bei diesem Wort setzte er mit den Fingern Ausrufezeichen in die Luft, »dort eine Suite gebucht.«

»Wie, was fällt dir ein?« Janina fuhr herum und registrierte das dreckige Grinsen in seinem Profil. Ein ganz dummes Gefühl machte sich in ihr breit.

Doch Bergmann sah keinen Anlass, seine Beifahrerin mit weiteren Informationen zu füttern. Stumm lenkte er den Daimler in Richtung der Frankfurter City.

***

Sie hatte sich oft gefragt, was einem durch den Kopf ging … Nein, was ihr … Ihre Gedanken wischten auf der Suche nach der Vollendung ihrer Frage umher. Was blieb, wenn man spürte, dass die eigene Lebenserwartung rapide gegen null ging? Nichts, da war nichts mehr, gelangte etwas in ihr zu einer vorläufigen Antwort.

Ihre Blicke verloren sich in der anbahnenden Dunkelheit. Von hier oben, aus dem zehnten Stock des Hotels, breitete sich unter ihr ein glitzernder, farbenprächtiger Flickenteppich aus. Die Lichter der Stadt, die nach und nach aufflammten und doch nichts von dem offenbarten, was sich unter ihrem verlockenden Glanz verbarg.

Das Frankfurter Bahnhofsviertel, auf das sie hinabsah, würde nur einem Ahnungslosen eine Normalität vorgaukeln, die es nicht besaß. Die es nie besessen hatte, fügte dieses dunkle Etwas, das sich Gewissen nannte, spöttisch hinzu. Ein kunterbuntes Gemisch des Wahnsinns … ergänzte die seltsam gleichgültige Beobachterin in ihr. Mit der Desillusion eines Menschen, der längst den Glauben an das Gute in der Welt verloren hatte.

Nervös zuckende Blitze weckten für einen Moment die Aufmerksamkeit der stummen Beobachterin. Blaulicht, das durch die hellen Bahnen aus Licht wischte. Wieder jemand, der mehr Pech als sie hatte. Unwichtige Alltäglichkeiten …

»Wenn man sich von ihrer Schönheit blenden lässt, mag man kaum glauben, dass unsere Sabrina eine bemerkenswerte Taktikerin ist.« Die herausfordernde Stimme aus den Tiefen des Raumes verpuffte wirkungslos an dem Panzer, den Janina Neuberger um sich gelegt hatte. Nur so gelang es ihr, diese starke Frau darzustellen, deren Abbild sich schwach in der Scheibe vor ihr spiegelte. »Wenn sie nur nicht so verdammt eigensinnig wäre.«

Wie aus dem Nichts tanzten plötzlich Schneeflocken vom nachtschwarzen Himmel herab und verschwanden unter ihr. Der erste Schnee in diesem Jahr. Eine längst vergangen geglaubte Seite erwachte in ihr. Bilder aus glücklichen Kindertagen huschten durch ihre Erinnerungen und wurden von den bitteren Gedanken verdrängt, bevor sie sich tröstend in ihr einnisten konnten. Dieser Schnee würde nie die Erde erreichen, flüsterte diese pessimistische Stimme erneut in ihr. Was hier oben unschuldig weiß vom Himmel kam, würde als Regen den verlockenden Glanz der Straßen dort unten nur noch verstärken.

»Sie kann schon mal ein echtes Trotzköpfchen sein.« Die sonore und doch angenehme Stimme des zweiten Mannes strich über ihr aufgewühltes Wesen. »Doch das ist schließlich der Reiz an ihr, oder?«

Das Gespräch der Männer in ihrem Rücken glitt erneut in den Hintergrund. Banalitäten, Machogehabe, Zeitvertreib, bis ihre Geschäftspartner kamen. Janina blendete alles aus und bannte ihren Blick auf die einzelne Schneeflocke dort draußen, die sich länger als ihre Artgenossen gegen ihr unabwendbares Schicksal wehrte. Ihr filigranes Muster offenbarte ihr in der kurzen Zeitspanne einen Hauch vom Sinn des Lebens - ihres Lebens! Allmählich sank das wunderschöne Gebilde in sich zusammen und rann als große Träne die Scheibe herab. Nur eine weitere Schliere, die schon bald von der Masse aufgesogen wurde. So wie das wahre Leben, das sich unter ihr und um sie herum abspielte. So wie die Träume, die sie einmal besessen hatte.

Die Unterstellungen des von ihr verschmähten Chefarztes, ihre angeblichen Verfehlungen und das gehässige Getuschel der Kolleginnen. Der Weg ins Abseits war nur eine Frage der Zeit gewesen. Früher oder später warf man alle Hemmungen über Bord und akzeptierte, dass man mit käuflicher Liebe mehr verdiente, als wenn man eine miserabel bezahlte Krankenschwester blieb. Weit mehr!, hallte die Mischung aus Trauer und Verteidigung in ihr nach. Ja, sie hatte es in ihrem Gewerbe zu etwas gebracht. Sie nannte ein exklusiv eingerichtetes Appartement ihr Eigen, besaß gut gefüllte Sparbücher und hatte einflussreiche Freunde in der besseren Gesellschaft. Also den Kreisen, wo sie "Sabrina" war oder eine "gute Freundin der Familie". Nicht irgendeine Nutte oder die Edelprostituierte, für die sie sich selbst meist ausgab.

Ihr vages Spiegelbild schälte sich aus dem wirbelnden Tanz der Schneeflocken heraus und lächelte sie abfällig an. Schau dich nur an, du in Selbstmitleid badende Poetin! Du bist nicht besser als die, die da unten auf der Straße anschaffen gehen und ihr Geld abliefern.

Das Einzige, was blieb, war die immer wiederkehrende Erkenntnis, dass auch sie längst mit beiden Füßen in dem Sumpf steckte, der ausgebreitet unter ihr lag. Wer hier landete, fand keinen Weg hinaus. Daran würde sich nichts ändern. Selbst wenn sie sich dafür in Lebensgefahr begab und das tat, was man von ihr verlangte.

»Sabrina? Schätzchen.«

Zäh drangen die Worte in die Abgründe ihres Selbstmitleids vor. Das Panorama der Stadt verblasste zu dem grauen, wirren Hirngespinst eines Wesens, das niemand mehr als "göttlich" bezeichnen mochte.

»Sabrina?«

Sie ließ ihren letzten Gedanken fahren und wandte sich dem Mann zu, der hinter sie getreten war.

Besorgnis stand in seinen Blicken, als er ihre kalten Hände in seine nahm. »Was ist los mit dir? Du bist die ganze Zeit über so ruhig; ja richtig abwesend!«

»Da ist nichts, Clausi.« Sein besorgtes Stirnrunzeln zauberte ihr ein verlegenes Lächeln auf die Wangen. Zärtlich befreite sie ihre Hände aus seinem festen, nicht unangenehmen Griff und bekräftigte ihre Ausrede mit einem: »Es ist alles in Ordnung mit mir. Wirklich.«

»Lüg mich nicht an, Kleines. Ich weiß, dass du nicht von dem begeistert bist, was hier abläuft. Doch du steckst mit drin.« In den Worten des gepflegten und selbstbewusst auftretenden Mannes schwang die gesamte Bandbreite von Entschuldigung bis Drohung mit. »Vergiss nicht, dass auch du bislang von meinem kleinen Nebenerwerb gut gelebt hast.«

»Ich lüge nicht«, widersprach sie ihm matt und sah verstohlen zu dem anderen Mann, der teilnahmslos auf dem Sofa saß und so tat, als interessiere ihn ihre Aussprache nicht. »Hätte ich euch sonst dieses Treffen vermittelt?«

Claus F. Leberecht schluckte den aufkeimenden Unmut herunter und wandte sich der gut bestückten Minibar zu.

»Es ist wirklich nichts, Clausi. Ich habe nur darüber nachgedacht, dass wir schon wieder Dezember haben …«

»… Und du noch immer keinen passenden Pelz gefunden hast, der dich warmhält«, ergänzte der leicht untersetzte und doch drahtig wirkende Mittfünfziger mit einem jungenhaften Lachen.

Das war das Positive bei ihrem "Sponsoren", regte sich die nüchtern kalkulierende Frau in ihr. Claus war nie lange pikiert oder gar nachtragend. Schon gar nicht bei ihr.

Leberecht reichte ihr eines der schlanken Gläser und hauchte der halb so jungen Frau einen Kuss auf die Wange. »Auf einen erfolgreichen Abend, mein Engel der Nacht.« Er erhob sein Glas mit dem perlenden Getränk. »Wenn alles wie geplant verläuft, werden wir gewiss bald etwas Schönes für dich finden.«

Der herbe Sekt verstärkte die Trockenheit, die sich in ihrem Mund zunehmend ausbreitete. Sie betete darum, dass ihr Gegenüber das leichte Zittern des Glases nicht bemerkte. Von all den Männern, die sie kannte, von all ihren Verehrern; warum ausgerechnet Claus?, stieß ihr die Frage erneut auf. Nie hatte er sie von oben herab behandelt oder gar das Gefühl gegeben, nur eine Nutte zu sein.

»Werde jetzt nicht ungeduldig.« Leberecht schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und trat erneut dicht an sie heran. »Bekanntlich dauern solche Geschäfte nicht lange.«

»Das wäre schön«, hauchte sie fröstelnd. Sie stellte ihr Glas beiseite und schenkte ihm den innigen Kuss, den er für sich einforderte.

»Du frierst ja in der Tat.« Leberecht klang amüsiert, siegessicher. Seine Hände wanderten zärtlich über das wallende, rotbraune Haar, das ihr so anmutiges Gesicht umspielte. Er genoss diese Momente in vollen Zügen. Wie sie sich dabei schutzsuchend an ihn schmiegte. Ja, ein wohliges Schaudern kroch ihm über seinen Körper. Sie war sein! Und das nicht nur, weil er, Claus F. Leberecht, die Macht und das Geld besaß, sie sich leisten zu können. Sabrinas Hingabe war nicht gespielt. Das war gewiss. Ja, sie liebte ihn von ganzem Herzen. Oh, wenn dieses Geschäft nur schon gelaufen wäre, dachte er voll Vorfreude auf ihren anschmiegsamen Körper und raunte ihr zu: »Den Rest der Nacht werde ich dich wärmen.«

Ein anhaltendes Husten lenkte die Aufmerksamkeit des Paares auf den Mann, der sich mit ihnen in diesem Raum befand. Ein Fremdkörper, doch für das, was anlag, immens wichtig, sagte Leberecht sich und gab seine Geliebte endgültig frei.

»Lasst euch nur nicht stören!« Das anzügliche Grinsen ging nahtlos in eine weitere Hustenattacke über, die seinen hageren Körper förmlich schüttelte.

»Du solltest mit dem Rauchen aufhören, Stefan.« Die dunkle, melodische Stimme der Frau klang abgeklärt; deutlich frostiger als zuvor.

Als Reaktion gelang Bergmann nur ein spöttisches Schulterzucken. Wie zum Trotz ließ er sein Feuerzeug aufflammen und inhalierte genussvoll den Rauch der nächsten Zigarette.

Um Sabrinas Mundwinkel herum zuckte es verräterisch. Je länger sie Stefan Bergmann kannte, umso mehr Überwindung kostete es sie, einen Hauch von Herzlichkeit vorzutäuschen. Sein eleganter Anzug und das gepflegte Äußere täuschten längst nicht mehr über seine rabenschwarze Seele hinweg. Und solch ein Mensch war V-Mann bei der Polizei.

»So langsam könnten die auftauchen!« Bergmann hatte sie längst ausgeblendet und sah zum wiederholten Mal auf seine Rolex.

Es war das einzige Anzeichen von Nervosität an ihm, stellte Sabrina für sich fest. Auf andere mochte es wie eine Marotte wirken. Genau wie die Eigenart, die nächste Zigarette möglichst an der vorhergehenden zu entzünden. Dabei war er ein eiskalter Hund, der jeden Menschen manipulierte und für seine Spielchen einspannte. Wie blind war sie nur gewesen, auf seine biedere Maske hereinzufallen. Erneut würgten sich die Beklemmungen in ihr hinauf. Es war Bergmann, der sie auf perfide Weise mit einem völlig anderen Bild von Claus F. Leberecht konfrontierte, als jenes, was der erfolgreiche Geschäftsmann in der Öffentlichkeit bot. Es war Bergmann, der sie mit diesem Dr. Kerner zusammengebracht hatte. Für den Staatsanwalt war es im Anschluss ein leichtes Spiel gewesen, sie davonzu überzeugen, dass sich der biedere, über alles geschätzte Claus F. Leberecht mit Drogenhandel im großen Stil ein einträgliches Zubrot verdiente. Und, dass sie die Einzige sei, der er unvoreingenommen vertraute. Man hatte sie beschworen, sie angefleht und zuletzt mit den dunkelsten Kapiteln ihrer eigenen Vergangenheit erpresst.

»Ich würde zu gern wissen, wo du heute mit deinen Gedanken bist, Mädchen?« Ein weiteres Mal brachte Leberecht sich in Erinnerung. In die ehrliche besorgte Miene des Mannes schlichen sich erste Anzeichen von Argwohn.

»Ihr müsst mich kurz entschuldigen.« Sabrina schenkte den Männern ein angespanntes Lächeln und suchte das exklusiv eingerichtete Badezimmer auf. Dort, so hoffte sie, würde sie endlich zu ihrer alten Form zurückfinden.Die Frau, die sie aus dem großen Spiegel anschaute, kam ihr erschreckend fremd vor. Das war nicht sie! Ihre Blicke verrieten sie. Jeder musste die nackte Angst darin lesen. Angst, zu versagen. Angst, nicht heil aus dieser Geschichte herauszukommen. Claus hatte unweigerlich etwas bemerkt. So blind vor Liebe war selbst er nicht.

Janinas Hände lösten sich vom Rand des Waschbeckens und tasteten zitternd nach dem Wasserhahn. Die Kühle an ihren Pulsadern war wohltuend. Dennoch vertrieb sie nicht die Erinnerungen, die erneut in ihr aufstiegen. Die alltäglichen Bilder drogenabhängiger Frauen, vor denen sie sich immer weniger verschließen konnte. Halbe Kinder, die sich für den nächsten Schuss auf dem Babystrich an alte Männer verkauften. Frauen wie ihre Freundin Grace, die zuvor immer stolz darauf gewesen war "Clean" zu sein. Sie selbst hatte sie damals gefunden. Mit einer Nadel im Arm.

Janina presste die Augen zusammen. Und doch gelang es ihr nicht, aus diesem Albtraum aufzuwachen, der sie fest in seinen Bann nahm. Für die Polizisten war Grace nur ein weiterer Junkie, der sich den "goldenen Schuss" gesetzt hatte. Sie wusste es besser. José Ferez-Perreira hatte sie auf dem Gewissen, weil Grace damit gedroht hatte, all seine Machenschaften aufzudecken. Nur wollte ihr niemand glauben. Oder was einleuchtender war, jeder hatte Angst vor dem Mann, dessen Imperium auf Gewalt, gute Kontakte und Erpressung gebaut war. Das war für sie der wahre und einzige Grund gewesen, um überhaupt mit diesem Staatsanwalt zusammenzuarbeiten. Und für die weiße Weste, die man ihr versprochen hatte, fügte diese unbestechliche Stimme in ihr sarkastisch hinzu.

»Sabrina?« Leberechts besorgte Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. »Geht es dir gut?«

Das fordernde Klopfen riss sie erneut aus ihrer Lethargie. Wie lange mochte Clausi schon vor der verschlossenen Tür stehen? »Ja, Schatz«, der Kloß in ihrem Hals ließ sie schier ersticken. »Ich komme gleich.« Sie langte nach dem Frottiertuch und sah in ihr Spiegelbild.

»Sabrina.« Nun war es Bergmanns harte Stimme. Sein Klopfen drohte die Tür zum Bad zu spalten.

Kaum hatte sie sie geöffnet, packte seine Stahlklaue ihren Arm und riss sie zu sich heran. Der ekelhafte Gestank nach kaltem Zigarettenrauch umnebelte sie, entfachte eine noch ärgere Übelkeit in ihr.

»Wenn du jetzt anfängst, verrückt zu spielen, werde ich dir das Genick brechen«, zischte er wütend und grub seine Finger schmerzhaft in ihren Oberarm. »Du versaust mir nicht meinen Erfolg, hörst du! Du nicht!«

Bergmann wusste, wie eine Drohung effektiv ihr Ziel fand. Mit aller Gewalt stieß er sie gegen den Türrahmen und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

»Frauen!« Sie hörte ihn zynisch lachen. »Kriegen gleich das Würgen, wenn sie mal ihre Tage haben … oder mal ’nen trockenen Sekt erwischen.«

Irgendwann werde ich dich … Janina verbiss sich den Fluch und wankte zum Waschtisch zurück. Erneut ließ sie das kühle Wasser über ihre Handgelenke laufen. Ein weiterer Blick in den Spiegel und zurück zu den Worten, mit denen der Mann sie gefügig machen wollte. Da war etwas an ihnen … in ihnen.

»Ich fass es nicht«, entrang sich Janina ein Keuchen. Plötzliche, unfassbare Wut verdrängte die Zauderin in ihr. »Oh Gott, wie blöde bist du nur gewesen?« Zorn stieg in ihr auf. Zorn auf sich selbst und darauf, dass ihr erst jetzt die wahren Zusammenhänge bewusst wurden. Es war ihnen nie um ihre Freundschaft zu Claus gegangen. Oder um ihre Verbindung zu José und seinen Hintermännern. Ja, vielleicht für den Staatsanwalt. Doch es war allein Bergmann, der hier sein schmutziges Spiel spielte. Er hatte alle Fäden in der Hand. Es konnte nur so sein. Seine Art, an ihr vorbei Claus’ Sympathie zu erringen und den Kontakt zu José zu suchen. Die kurzfristige Änderung des Treffpunkts. Das Erkennen dieses perfiden Planes drohte endgültig die Beine unter ihr hinfort zu reißen. Ein tiefes Stöhnen stieg ihre Brust hinauf. Du Närrin. Ihr Spiegelbild bewegte mit einem höhnischen Lächeln die Lippen. Du bist weiß Gott nicht die umsichtige, alles durchschauende Überfrau, für die du dich immer gehalten hast.

Erneut flog die Tür auf. Bergmann stand neben ihr, bevor sie überhaupt reagieren konnte. »Du kommst jetzt mit mir. Wir lassen uns nicht von dir kleinen Nutte eine monatelange Arbeit zunichtemachen!« Der Hieb in ihre Seite, dort wo es niemand sah, ließ sie gegen den Waschtisch prallen. »Du funktionierst, oder ich sorge dafür, dass sie dich hier in der Kiste hinaustragen.«

»Sabrina? Geht es dir gut?« Leberechts besorgte Stimme näherte sich.

Die derart Angegangene wagte nicht, sich zu fragen, wie weit Bergmann noch gegangen wäre. Wohl oder übel spielte sie das ihr aufgezwungene Spiel mit. »Aber ja doch.« Es gelang ihr kaum, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Clausis ehrliche Besorgnis zu sehen und doch zu wissen, dass der Mann bereit war, ebenfalls über Leichen zu gehen, war nicht leicht für sie. »Ich sagte euch doch, das mit mir alles in Ordnung ist. Könnt ihr mich mal fünf Minuten allein lassen!«

Beide Männer hoben in gespielter Furcht die Hände und traten den Rückzug an.

Janina presste ihre Hand gegen die geprellte Hüfte. Es ging nicht anders. Sie musste zurück, musste mitspielen und darauf hoffen, dass sie es überlebte. Unter Schmerzen richtete sie sich ihr eng anliegendes Kleid und besserte ihr Make-up aus. Nur nicht wieder zu den Gedanken zurückkehren, die sie nur lähmten. Denken Sie daran, dass die kleinste Unsicherheit oder gar Panik unkalkulierbare Risiken nach sich ziehen würde. Dr. Kerners Worte legten sich wie ein sanftes Tuch über ihre sorgenvollen Gedanken.

»Entschuldigt bitte meine Unpässlichkeit. Es gibt eben Momente, in denen benötigt eine Frau etwas mehr Zeit für sich.« Mit einem unverfänglichen Lächeln kehrte sie in den Wohnbereich zurück und schmiegte sie sich einem wohligen Schnurren an den väterlichen Freund.

»Ich würde jetzt sonst was dafür geben, mit dir allein zu sein«, flüsterte der Geschäftsmann ihr zu und presste seine vollen Lippen auf ihren Mund.

Sabrina ergab sich willig seinen fordernden Küssen und machte ihrem Ruf alle Ehre. Dem solventen Liebhaber das zu bieten, wonach er sich sehnte.

Claus F. Leberecht ließ von der schwer atmenden Frau ab und verfolgte schmunzelnd, wie sie unauffällig das zu richten versuchte, was er soeben in Unordnung gebracht hatte.

Mit einem Hauch von Wehmut spürte er dem sinnlichen Geschmack auf seinen Lippen nach. Wehmut?, erwischte ihn der sehnsüchtige Gedanke. Ja, das traf es annähernd. Alles war und blieb ein Schauspiel zwischen ihnen. Für sie war es ein gut bezahltes, womöglich gar angenehmes Geschäft. Für ihn eine einzige Illusion, wenn er ehrlich sich selbst gegenüber blieb. Vergebens darauf zu hoffen, dass sie ihm eines Tages ein wenig mehr schenkte, als nur Nähe und Zärtlichkeit.

Die Ernüchterung, die sich ihm aufdrängte, ließ Leberecht erneut an die Bar treten. Es war seine Gelegenheit, um ein wenig klarer zu sehen. Eine Frau wie Sabrina besaß man nicht wirklich. Etwas, an das er sich leider nur ungern erinnerte. Nicht einmal ihren richtigen Namen hatte sie ihm in all der Zeit verraten. Das wahre Leben kannte sie unter dem Namen Janina. Wie seine fast gleichaltrige Tochter. Erneut wischte er die Anklage seines bigotten Gewissens beiseite. Es hatte ihn Tausende gekostet, bis er mehr über diese Frau wusste als sie selbst. Nein, er war kein Anfänger. Janina Neuberger mochte ihre kleinen delikaten Geheimnisse hegen, aber sie war nie ihrem guten Ruf untreu geworden. Elegant, gebildet, außerordentlich verlässlich und vor allem sehr diskret. Sonst wäre er dieses Abenteuer mit Stefan Bergmann definitiv nicht eingegangen.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Mann, den er erst durch Sabrina kennengelernt hatte. Es war ein Vabanquespiel und so gar nicht seine Art. Doch gewisse Vorräte waren erschöpft und alte Kontakte leider abgebrochen. Auch der Preis für die Ware, der laut Bergmann im Raume stand, klang mehr als gut. Die Freude auf ein gutes Geschäft ließ Leberechts vorherigen Gedanken verblassen. »Möchte noch jemand etwas trinken?«

»Nein danke, ich vertrage wirklich nichts mehr! Die Säure …« Sabrina sah Leberecht bedauernd an. Sein betretener Blick schmerzte sie und weckte einen Hauch von Traurigkeit. Ob er in den nächsten Jahren noch einmal die Gelegenheit bekam, mit einer Frau ins Bett zu steigen?

»Trinken Sie wenigstens etwas mit mir?« Leberecht visierte Bergmann über den Hals der Flasche an.

»Nein danke, vor solch einem Geschäft möchte ich lieber einen klaren Kopf behalten.«

»Bergmann, Sie könnten mir gefallen. Wenn Sie nur nicht immer so steif wären.«

Die junge Frau vermied es tunlichst, sich am weiteren Gespräch der Männer zu beteiligen. Stattdessen verzog sie sich in die Nähe des Panoramafensters und sah erneut über das Lichtermeer unter ihr.

Die Zeit schlich zäh dahin, doch diesmal gelang es ihr, gelassen zu bleiben. Für einen Rückzieher oder gar eine Flucht war es eh zu spät. Ihre Blicke streiften den Aktenkoffer, der vor den Männern auf dem Glastisch stand. Wie viel Geld mochte er wohl enthalten? Gewiss mehr als eine Million, überschlug sie im Geiste die Summe für die Drogen, die man vereinbart hatte. Genug Kapital, um sich irgendwo auf der Welt ein ruhiges Leben aufzubauen. Angewidert verwarf sie den Gedanken, der kurz in ihr aufblitzte. Drogengeld!

Die leise Unterhaltung der Männer drehte sich weiter nur um dieses verfluchte Zeugs. Reinheit, Vertriebswege und dergleichen. Sie verschloss sich vor den Wortfetzen, die zu ihr drangen. Je weniger sie darüber wusste, umso besser wäre es für ihre Gesundheit. Es reichte, dass sie es war, die den Kontakt hergestellt hatte. Die Erinnerung an José ließ das kalte Grauen wiederkehren.

José Ferez-Perreira war unbestritten der mieseste und rücksichtsloseste Mensch, der ihr in ihrem bisherigen Leben untergekommen war. Schnell hatte sie damals lernen müssen, dass er nicht der schüchterne, kindlich-naive Mann war, den er seiner Umgebung gern vorspielte. Der Ruf, den er sich in kürzester Zeit in gewissen Kreisen - und das nicht nur im Drogenhandel - erworben hatte, brachte nicht nur sie zum Frösteln. Wenn José sie einbestellte, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, verlangte er alles von ihr. Nicht nur das, was sie von sich aus bereit war zu geben. Und solch einen Mann sollte sie nun ans Messer liefern? Da war sie wieder, diese Erkenntnis über Bergmanns mieses Spiel, das er vor allen abzog.

Janina atmete tief durch und suchte ihre herumirrenden Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken. Ihr Blick bohrte sich in Bergmanns Nacken. In ihren Fingerspitzen spürte sie noch die lange, schmale Narbe, die sich vom Haaransatz bis weit über seinen Rücken erstreckte. So, als würde er in diesem Moment bei ihr liegen und sich sein vermeintliches Recht nehmen, welches er – wie so manch anderer auch – für sich beanspruchte. Unwichtig, und doch löste der Gedanke eine Erinnerung in ihr aus. Was war mit ihrem Verdacht, der ihr im Bad gekommen war? Wo war der Staatsanwalt in den letzten Tagen gewesen? Wo waren die Polizisten, die eingriffen, wenn der Deal über die Bühne ging? Seit dem ersten Zusammentreffen damals, bei dem man sie angeworben hatte, hatte sie niemanden zu Gesicht bekommen; außer eben Stefan Bergmann. Mit der Begründung, ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, hatte er sie von allen abgesondert. Und sie hatte ihm blind vertraut … Blind! Das alles ergab nur einen Sinn, wenn man es aus einem einzigen Blickwinkel betrachtete. Sie war so gut wie tot. Eine lebende Tote!

Ein deutliches Klopfen ließ die Anwesenden aufhorchen. Die Blicke der Männer trafen sich. Wie auf ein geheimes Zeichen hin nahmen sie links und rechts des flachen Couchtisches Aufstellung. Es klopfte erneut. Dreimal. Wie vereinbart.

Bergmanns Rechte huschte flüchtig über das Revers seines maßgeschneiderten Sakkos. »Willst du nicht endlich aufmachen«, knurrte er die Frau ungehalten an, als diese weiterhin an der Fensterfront stehen blieb.

Wie mechanisch durchquerte Sabrina den Raum. Das Gefühl, als würde ihr Geist über ihr schweben, hatte fast etwas Vertrautes an sich.

Drei Männer in hellen, modischen Anzügen standen ihr gegenüber.

»José, wie schön, dass ihr da seid«, empfing sie den sichtlich Jüngsten der Gruppe mit aller Herzlichkeit, zu der sie fähig war. »Wir haben auf euch gewartet.«

»Wir müssen uns absichern«, begrüßte sie der Neuankömmling mit deutlichem Akzent und küsste sie flüchtig auf beide Wangen.

Unsanft wurden sie von dem bulligen Hünen, der sich zuerst im Hintergrund gehalten hatte, beiseite gedrängt. Als Sabrina die schwere Waffe unter dem Jackett des Mannes bemerkte, unterließ sie den empörten Protest, der ihr auf der Zunge lag.

Ohne von den Anwesenden Notiz zu nehmen, hatte der Leibwächter in kürzester Zeit den Wohnraum und die angrenzenden Zimmer überprüft. Erst auf sein Zeichen hin betraten José und sein schweigsamer Begleiter das Appartement.

Sabrina setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. »Darf ich euch Claus und Stefan …«

»Keine Namen!« Die Forderung von Josés Begleiter kam hart und unmissverständlich, wobei er die Begleiter der Frau nicht aus den Augen ließ. Sein knappes Nicken trieb den Bodyguard in eine Ecke des Raumes.

»Dann eben nicht«, entgegnete Sabrina schnippischer, als ihr selbst zumute war. Behutsam, so dass jeder der nervös wirkenden Männer ihre Bewegungen sah, näherte sie sich der Hausbar. »Mag einer der Herren etwas trinken?«

Ihr kam es vor, als rede sie gegen eine Wand. Niemand nahm Notiz von ihr. Wie kleine Jungen, die sich stumm gegenüberstanden und abschätzten, mit wie viel Sand der Andere wohl werfen mochte. Einfach lächerlich! Sie schluckte ein unpassendes Schmunzeln und griff zu einer Flasche Selters. Das Zischen der entweichenden Kohlensäure ließ mindestens zwei Köpfe nervös in ihre Richtung schauen. Die Nerven lagen bei allen bloß. Mit einem verschmitzten Lächeln streckte sie ihnen die Flasche entgegen und erntete dabei zumindest ein stummes Kopfschütteln.

»Buenas Noches, meine Herren.« Claus F. Leberecht bemühte sich redlich, die verkrampfte Stimmung zu lockern. »Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen.«

»Die Freude liegt ganz auf unserer Seite, Señores.« Ferez-Perreira trat einen weiteren Schritt in den Raum hinein und auf die Männer zu.

Leberecht ergriff die für einen Mann zarte, fast feingliedrige Hand des anderen und schüttelte sie übertrieben. »Sabrina hat Sie uns als überaus zuverlässigen Geschäftspartner beschrieben. Ein Mann, dem man bedenkenlos vertrauen kann.«

»So, hat sie das?« Josés kalte Augen musterten die Frau, die sich in Richtung des Panoramafensters zurückgezogen hatte.

»Ganz diskret, versteht sich«, bestärkte Leberecht mit einem Hauch Verunsicherung in der Stimme. »Auf Sabrinas Menschenkenntnis und ihre Fürsprache kann man Fundamente bauen, wie wir Leute vom Bau immer sagen.«

»Sie ist der einzige Grund, mich auf ein Blind-Date mit Unbekannten einzulassen«, gestand Ferez-Perreira offen und fixierte die Frau, die das Treffen in die Wege geleitet hatte. »Meine Geschäftspartner sind da nicht so entspannt. Bitte haben Sie daher Verständnis für unsere kleinen Vorsichtsmaßnahmen.« Trotz des freundlichen Entgegenkommens ließ der wache Ausdruck in seiner Miene keinen Moment nach.

»Unbekannte! Glaubt ihr, wir sind blutige Anfänger?« Bergmanns Empörung wirkte echt.

»Nicht?« Josés Blicke brannten sich auf dem Mann fest. »Sie sollten wissen, dass es in unserem Gewerbe nicht viele gute Freunde gibt.«

»Aber aber, meine Herren«, lenkte Leberecht begütigend ein. »Auch wenn die Nerven ein wenig blank liegen, möchte ich doch vorschlagen, dass wir unser Geschäft auf eine unvoreingenommene und gesunde Vertrauensbasis gründen. Mein Name ist in allen Kreisen bekannt dafür, dass ich ein redlicher Geschäftsmann bin, der zu seinem Wort steht.«

Die stille Zuschauerin der Szene hätte sich angesichts der Ironie fast auf die Lippen gebissen. Im letzten Augenblick erinnerte sie sich daran, dass José ein aufmerksamer Beobachter war und selbst solche Kleinigkeiten seinen Blicken nicht entgingen.

»Ich gehe davon aus, dass wir zu den Konditionen verhandeln, die Sabrina uns übermittelt hat?«, brachte Bergmann sich ein. Seine Stimme klang weiter aufgebracht.

»Stefan! Jetzt halten Sie bitte mal an sich«, zischte Leberecht und entschied für sich, die Verhandlungen zu übernehmen, bevor dieser hochfahrende Junge noch alles Porzellan zerschlug. Er wandte sich an den älteren, distinguierten Herrn; die wahre Größe in dieser Runde. »Ich denke, wir haben das gleiche Ziel. Nämlich zu einem für beide Seiten erfreulichen Geschäftsabschluss zu kommen.«

Leberecht verfolgte, wie Sabrinas Bekannter und sein Begleiter einige Sätze in ihrer Heimatsprache wechselten. Leider waren seine Spanischkenntnisse zu marginal, als dass er dem Gespräch folgen konnte. »Vierzig Riesen für das Kilo«, stellte er nochmals die Summe in den Raum, die Sabrina ihm als Verhandlungsbasis übermittelt hatte. Beträge verstand dieser Indio offenbar in jeder Sprache. Was zu erneuten Diskussionen unter den Südamerikanern führte.

Schließlich nickte Ferez-Perreira ergeben und wandte sich Leberecht zu: »Ich fürchte, dass es da einen kleinen Übermittlungsfehler gegeben hat.«

»Welchen Übermittlungsfehler?«, machte Bergmann mit drohendem Unterton erneut auf sich aufmerksam.

Nun war es an José, beschwichtigend die Arme zu heben. »Ich möchte mich für das Missverständnis entschuldigen, Señores. Es lag vermutlich an mir, dass ich mich Sabrina gegenüber nicht deutlich genug ausgedrückt habe. Vierzigtausend ist der Preis, den meine Geschäftspartner unter sehr guten Freunden für das Kilo verlangen. Da wir aber erst unsere Geschäftsbeziehungen aufbauen, möchten sich meine Partner … ein wenig rückversichern.«

»Ich verstehe«, kam Leberecht seinem Kompagnon zuvor und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

Ferez-Perreira atmete spürbar auf und schenkte ihnen ein entschuldigendes Lächeln. »Sehen Sie es bitte nicht als Wucher an. Mein Partner hat mir versichert, dass man Ihre jetzigen Mehrkosten bei späteren Geschäften anrechnen wird.«

»Und welche "Versicherungsprämie" haben Sie sich dabei vorgestellt?«

Janina bemerkte den leisen Unterton in Clausis Stimme. Sie kannte ihren Sponsor lange genug, um zu wissen, wie sich sein Unmut rasch in Entrüstung wandeln konnte. Sollte es nach Ärger riechen, dann halte dir einen Fluchtweg offen, hatte er ihr vorhin noch scherzhaft zugeflüstert. Seine Worte verstärkten sich zu einer bösen Ahnung. Doch wohin sollte sie sich wenden? Der Weg hinaus war durch den Bodyguard versperrt. Die Toilette? Sie verwarf den Gedanken. Einzig die Tür zum angrenzenden Schlafraum wäre ungehindert zu erreichen. Nur zwei Schritte entfernt. Närrin, urteilte dieses pessimistische Weib in ihr. Als wenn eine Flucht in diese Sackgasse ihr Leben retten würde.

Die kurze Diskussion der Südamerikaner währte nicht lange. Mit einer Unschuldsmiene wandte sich José an Leberecht: »Plus zwanzigtausend auf das Kilo.«

»Zwanzigtausend? Das ist Wucher!« Bergmanns wütende Stimme überschlug sich.

Die Rechte des Bodyguards spielte verdächtig am Revers des Sakkos. Der Blick war auf den Boss gerichtet, um beim kleinsten Zeichen seines Arbeitgebers zu handeln.

Erneut lag es an Leberecht, die aus dem Ruder laufende Verhandlung in ruhigeres Fahrwasser zu bekommen: »Was halten Sie davon, wenn wir erst einmal die Qualität der Ware überprüfen? Wenn es rein und unverschnitten ist, werden wir uns gewiss über den Preis einigen.«

Ferez-Perreira dolmetschte seinem Landsmann, der nach kurzem Überlegen würdevoll nickte.

Behutsam und für jeden sichtbar ergriff Leberecht seinen Aktenkoffer und stellte ihn vor sich auf den Tisch.

»Das sind vierhunderttausend mehr, als wir vereinbart haben«, zischte Bergmann. Seine Miene verfinsterte sich zusehends. »Verdammt, wo bleibt da unser Gewinn?«

»Beruhigen Sie sich, Stefan. Das mit dem Geld lassen Sie erst einmal meine Sorge sein.« Claus F. Leberecht nahm sich fest vor, dass es das erste und letzte Mal war, dass er mit diesem Hitzkopf gemeinsame Geschäfte machte.

»Im Gegenzug erhalten Sie von uns die beste Qualität, die derzeit in Europa auf dem Markt ist«, ging Josés Tadel an Bergmann. »Wenn Sie ein wenig Ahnung vom Geschäft hätten, würden Sie wissen, dass Ihre Gewinnspanne groß genug sein wird.«

»Wir haben den Markt«, beendete Leberecht die sich erneut anbahnende Kontroverse und ließ die Schlösser des Aktenkoffers aufschnappen. »Sorgen Sie für die entsprechende Ware.«

Janina schluckte schwer, als ihr Blick auf die zahllosen Geldbündel fiel. Was es sonst nur im Film gab, lag plötzlich real und greifbar in ihrer Nähe. Clausi entnahm seinem Koffer ein Etui und schloss den Deckel. Aus der Unterhaltung der Kolumbianer schnappte sie Worte wie »Misstrauisch« und »Vorsichtig« auf. Zudem war die unablässig zuckende Rechte des abseits stehenden Leibwächters wenig beruhigend. Sie musste sich zwingen, nicht schreiend das Weite zu suchen. Ob sie schneller wäre, wenn sie sich ihre Pumps abstreifte?

Mit einem »Prüfen Sie bitte die Ware« reichte Leberecht Bergmann das Etui.

»Worauf Sie sich verlassen können!« Bergmann und er tauschten verstehende Blicke.

Janina setzte ihre Flasche an die Lippen. Warm und schal rann die Flüssigkeit ihre trockene Kehle hinab.

»Die Menge der Ware ist gleich geblieben? Oder unterlag das etwa auch einem ihrer Übermittlungsfehler?«

Die Kolumbianer horchten auf, als Leberecht einen härteren Ton anschlug.

»Zwanzig Kilo für eins Komma zwei Millionen. Sollten Sie nicht genug Geld bei sich haben …« Ferez-Perreira behielt sich unter Kontrolle. »Wir können Ihnen gern auch eine Teilmenge überlassen.«

»Wissen Sie, José. Ich darf Sie doch so nennen, oder?« Leberechts schmeichelnde Stimme widersprach seinem kalten Blick. »Mit Ihren Spielchen habe ich fast gerechnet.«

»Ich mag Männer mit Humor, Clausi.« Die spöttische Stimme des Kolumbianers sank auf Gefriertemperatur.

»Das freut mich.« Leberechts Lächeln versteinerte zusehends. Er beugte sich vor und hob erneut den Deckel seines Aktenkoffers an. »Im Grunde genommen habe ich mit einer noch dreisteren Forderung von Ihnen gerechnet.«

Bergmann, der den Aufbau des Testbestecks abgeschlossen hatte, sah verwundert auf. Kleine Schweißperlen glänzten auf der Stirn des V-Mannes. Vor lauter Anspannung war ihm selbst der Raucherhusten abhandengekommen. »Wenn ich dann um eine Probe bitten darf?«

»Nachdem wir einen Blick auf das Geld geworfen haben!« Ferez-Perreira behielt sich unter Kontrolle, fand aber für Leberecht einen Blick, der Böses erahnen ließ.

Der Geschäftsmann drehte den Koffer so, dass die Kolumbianer die Geldbündel sehen konnten.

Nach Josés zustimmendem Nicken gab der Südamerikaner seinem Leibwächter ein Zeichen. Dieser beugte sich herab und griff in die Sporttasche, die neben ihm am Boden stand.

Eines der Päckchen flog auf Bergmann zu, so dass dieser sich strecken musste, um es aufzufangen. Schnell hatte er es geöffnet, um es auf seine Qualität hin zu überprüfen.

Mit einem Male geriet der einsilbige Drogenhändler in Bewegung. Und das in einer Geschwindigkeit, die niemand dem behäbig wirkenden Mann zugetraut hätte. Seine dunkel behaarte Hand klatschte energisch auf das Päckchen, dass es nur so staubte. Ein aufgebrachtes Fauchen in Richtung Ferez-Perreiras, wobei er Bergmann am Kragen packte und diesen wie eine Puppe in die Höhe zog. Das Hemd des V-Mannes zerriss mit einem trockenen Geräusch. Sein einziger Fehler bestand darin, dass er den sich bislang aufbrausend gebenden Weißen für einen unerfahrenen Stümper hielt und ihm keinerlei Sprachkenntnisse zugetraut hatte. Seine gebellte Warnung an die Komplizen brach mit einem erstickten Gurgeln ab.

Das Heft des Metallspatels, mit dem Bergmann die Qualität prüfen wollte, ragte plötzlich surreal aus dem Kragen des Gegenübers. Dessen Wut verwischte sich zu Unglauben. Seine Hände, die eben noch den Gegner gepackt hielten, fuhren krampfend an den eigenen Hals.

Dem entsetzten Schrei, der explosionsartig aus Sabrina hervorzubrechen suchte, gelang es nie, ihr über die Lippen zu kommen. Wie gelähmt registrierte sie die Pistole, die urplötzlich in Clausis’ Hand lag. Von einem Augenblick auf den anderen barst die Welt um sie herum.

Das blanke Entsetzen mochte gewiss nur wenige Sekunden andauern. Und doch lief es für die Escort-Lady in Slow Motion ab. Ohne dass es ihr gelang zu reagieren, geschweige denn die Kraft aufzubringen, sich in Sicherheit zu bringen. Die Waffen in den Händen der Männer spuckten ihre tödlichen Geschosse durch den Raum. Ein jeder schoss auf jeden. José, der auf Bergmann schoss, doch nur den sterbenden Kompagnon traf, den er wie ein Schutzschild vor sich hielt. Ohne zu zögern richtete Claus seine Waffe auf José. Die Wucht der Geschosse ließ diesen zurücktaumeln und aus ihrem Blickfeld entschwinden. Ihre ganze Wahrnehmung wurde urplötzlich von Clausis Statur allein ausgefüllt. Mit seltsam ruckenden Bewegungen taumelte er auf sie zu. Etwas in ihr wunderte sich noch über die kleinen, dunkelroten Blümchen, die auf dem Seidenhemd ihres Gönners aufblühten und sich rasant vergrößerten. Es wirkte für einen Moment so, als wollte er sie mit einem seiner albernen Späßchen zum Tanzen auffordern.

Das Rauschen in ihrem Rücken musste von der großen Fensterscheibe kommen, die jählings in sich zusammenfiel. Tosende, entfesselte Naturgewalten stürmten in den Raum hinein und schleuderten sie dem schwankenden Mann entgegen. Clausi … Er brauchte ihre Hilfe. Verzweifelt streckte Janina ihm die Arme entgegen, um ihn aufzufangen. Doch das Gewicht des Sterbenden ließ sie mitsamt ihrer Last zurücktaumeln und den Halt verlieren. Ihr Kopf schlug hart gegen etwas an. Kurz bevor sie zwischen all den Scherben zu Boden ging. Stechende Schmerzen … Rote und schwarze Wellen zerflossen vor ihren Augen. Diffuser Nebel, der sie einhüllte und in die Tiefe zog. Nur zu gern wäre sie diesem gnädigen Ruf gefolgt. Doch die unerbittliche Stimme in ihr zerrte sie immer wieder ins Leben zurück. Nicht aufgeben … nur nicht aufgeben … Clausi …

Eine erschreckend unwirkliche Stille breitete sich um sie herum aus. Erneut wurden die Augenlider schwer. Sich fallen lassen … Clausi folgen, der ihr in die Dunkelheit voranging.

Etwas kitzelte sie im Gesicht, berührte sanft ihre Lippen und schmolz kühl auf ihnen dahin. Die Erinnerung an eine sterbende Schneeflocke schob sich in den Vordergrund. Lebte sie noch? Konnte das sein? Ein klarer Gedanke glomm auf und suchte nach plausiblen Gründen für diese irrige Annahme. Der eklige, metallische Geschmack auf ihrer Zunge, in ihrem Rachen. Es gelang ihr nicht, sich zu bewegen. Voller Panik riss Janina ihre Augen auf und sah in die starren, vorwurfsvoll verdrehten Augen ihres Liebhabers … Da, da war eine Bewegung hinter ihm. Eine Person, die wie in Zeitlupe auf sie zu kam. Sie suchte zu schlucken und hatte dabei das Gefühl zu ersticken.

»Verräterin … du Elende. Ich habe dir vertraut …« Wie die Schläge einer Totenglocke hallten die abgehackten Worte in ihr wider. Mühevoll öffnete Janina ein weiteres Mal ihre Augen und starrte in ein dunkles, nach verbranntem Pulver stinkendes Loch.

Josés Stimme klang gepresst. Und doch war klang eine unverrückbare Entschlossenheit in ihr. »Sprich dein Gebet … und fahr zur Hölle!«

»Ich bete nie.« Eine seltsame Ruhe überkam Janina, als sie ihre Augen schloss und dabei sogar so etwas wie eine tiefe Erlösung verspürte.

Der Knall trug sie in eine Finsternis hinüber, die alles Gewesene verschluckte.

Kapitel 2