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Weil Träume in Erfüllung gehen, wenn man bereit ist, für sie zu kämpfen.
Auf einer kleinen Insel zu leben ist so gar nichts für die rebellische Penny. Leider kann sie sich allein keinen Neuanfang in einer größeren Stadt leisten, und ihre Großeltern möchten unbedingt, dass Penny das Familienunternehmen übernimmt.
Als plötzlich Liam, ihr bester Freund aus Kindheitstagen, vor ihr steht, verspricht Pennys eintöniges Leben, endlich abwechslungsreicher zu werden. Doch dann merkt sie, dass Liam sie mehr und mehr in seinen Bann zieht. Verzweifelt versucht Penny, die Gefühle für den attraktiven Coastguard zu unterdrücken, denn zwischen ihr und Liam stehen nicht nur seine Familie, sondern auch ihre Vergangenheit ...
Der zweite Band der Coastguard-Reihe in Alaska: Emotional, heiß, packend.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 352
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Weil Träume in Erfüllung gehen, wenn man bereit ist, für sie zu kämpfen.
Auf einer kleinen Insel zu leben ist so gar nichts für die rebellische Penny. Leider kann sie sich allein keinen Neuanfang in einer größeren Stadt leisten, und ihre Großeltern möchten unbedingt, dass Penny das Familienunternehmen übernimmt.
Als plötzlich Liam, ihr bester Freund aus Kindheitstagen, vor ihr steht, verspricht Pennys eintöniges Leben, endlich abwechslungsreicher zu werden. Doch dann merkt sie, dass Liam sie mehr und mehr in seinen Bann zieht. Verzweifelt versucht Penny, die Gefühle für den attraktiven Coastguard zu unterdrücken, denn zwischen ihr und Liam stehen nicht nur seine Familie, sondern auch ihre Vergangenheit …
Der zweite Band der Coastguard-Reihe in Alaska: Emotional, heiß, packend.
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
J O S Y G R E I F E N B E R G
A L A S K A
F Ü R
O C E A N
I M M E R
R E S C U E
M I T D I R
Für meine FamilieIhr habt mich immer der Mensch sein lassen, der ich sein wollte.Erst als Erwachsene habe ich begriffen, was für ein Geschenk ihr mir damit gemacht habt.
Schon wieder riss mich die nervtötende Ladenglocke aus der Konzentration. Wie sollte ich diese verdammte Hausarbeit je fertig bekommen, wenn ich alle drei Minuten unterbrochen wurde?
Ich unterdrückte ein Seufzen, erhob mich und ging in den Verkaufsraum. »Willkommen bei Penn’s.« Obwohl ich mir Mühe gab, freundlich zu sein, klang meine Stimme lustlos. Die Frau, die den Laden betreten hatte, ignorierte mich. Sie war erstaunlich aufgetakelt für die Witterungsbedingungen hier auf der Insel und lief in hochhackigen Schuhen an dem Ständer mit Wanderhosen vorbei. Im Schlepptau hatte sie ein etwa zehnjähriges Mädchen, das ihren übertriebenen Hüftschwung ebenfalls schon bemerkenswert gut draufhatte.
»Ich will unbedingt einen Bären streicheln, Mommy!«
Vielleicht war die Kleine ja doch jünger. So etwas hätte Tanner, der inzwischen elfjährige Ziehsohn meiner Freundin Ruby, jedenfalls mit Sicherheit nicht von sich gegeben.
»… und Lachse springen sehen und eine Rafting-Tour machen.« Das Mädchen zählte alle möglichen und unmöglichen Dinge auf, die man bei uns auf Kodiak Island – der abgelegensten Insel der Welt – machen konnte.
»Das, was Timothy gemacht hat«, sprach sie weiter. Ihre zu laute, nasale Stimme hatte einen anstrengenden Klang, fand ich.
»Ja, Brittany, wir fragen die Verkäuferin, wobei du schon mitmachen kannst.« Die Frau trat an den Tresen und setzte ein überzogenes Lächeln auf. »Meine Tochter würde gern ein paar Abenteuer erleben. Was können Sie uns da anbieten?«
Am liebsten gar nichts, dachte ich leicht verzweifelt, während der Abgabetermin der Hausarbeit weiter in meinem Kopf herumspukte. »Wir bieten in der Tat Bear-Watching-Touren oder Rafting an«, antwortete ich dennoch geduldig und wiederholte damit das, was das Mädchen vermutlich schon auf den Aufstellern draußen vor dem Laden gesehen hatte. »Außerdem begleiten wir Wandertouren zu den schönsten Bergen Kodiaks.«
»Ich will Bären streicheln!«, wiederholte die Kleine ihren abstrusen Wunsch mit fordernder Stimme.
»Der Kodiakbär ist ein gefährliches Wildtier«, erklärte ich ihr. »In Begleitung unserer erfahrenen Guides kann man sie auf der Insel in freier Wildbahn zwar beobachten, aber streicheln kann man die Bären nicht.« Wenn man den Kunden – egal, wie jung sie noch waren – nicht von Anfang an ein realistisches Bild vermittelte, gaben sie uns nur schlechte Online-Bewertungen. Und das war selbst mir nicht ganz egal.
Zum einen finanzierte ich mir mit dem Laden mein Studium, zum anderen hing mein Onkel zu sehr an dem kleinen Geschäft, das er schon seit dreißig Jahren unter den wachsamen Augen meiner Großeltern, die es gegründet hatten, führte. Auch wenn mein Onkel wenig Ahnung vom Internet hatte, so war ich mir doch sicher, dass schlechte Bewertungen heute einen Todesstoß bedeuten konnten. Deswegen kümmerte ich mich um unsere gesamte Online-Präsenz, seit ich als Aushilfe im Laden angefangen hatte. Ich musste gestehen, die Website, die ich uns gebaut hatte, war das Einzige, worauf ich stolz war, wenn es ums Penn’s ging. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, wie immer, wenn ich zu intensiv über das Geschäft nachdachte.
»Dann will ich lieber eine Rafting-Tour machen«, sagte das Mädchen in quengelndem Ton.
Ich betrachtete sie skeptisch. »Kannst du denn schon schwimmen?« Das war die Voraussetzung, damit Ralf, unser Rafting-Guide, Kinder auf die Touren mitnahm.
»Phh. Klar«, antwortete Little-Miss-Sunshine selbstbewusst.
»Brittany, denkst du wirklich, das ist das Richtige für dich? Das Wasser ist bestimmt kalt.« Die Mutter schüttelte sich.
»Das stimmt«, sagte ich. »Das Wasser ist hier natürlich relativ kalt, aber auf den Touren werden Sie von uns selbstverständlich mit Neoprenanzügen ausgestattet.« Die bemühte Freundlichkeit schwang in meiner Stimme mit, ich hörte es selbst, doch ich konnte nichts dagegen tun. Im Hinterraum stand mein offener Laptop, und die Hausarbeit für Strategisches HR-Management wartete darauf, fertig geschrieben zu werden, weil morgen der Abgabetermin war. Wenn ich nicht bald weitermachte, würde ich eine Nachtschicht einlegen müssen.
»Und gibt’s auch eine Schutzweste, mit der ich in der Schule zeigen kann, wie gefährlich das hier war?«, fragte Brittany.
»Eine Schwimmweste stellen wir ebenfalls zur Verfügung. Genauso wie einen Helm und Schuhe.«
»Dann möchte ich das machen.« Brittany klang, als wäre die Sache entschieden.
Dennoch sah ich fragend zu ihrer Mutter.
»Na, dein Vater unternimmt so eine Tour bestimmt mit dir«, sagte sie. »Wir buchen zwei Tickets für den nächsten Termin.«
Ich nickte, während ich unseren Terminplaner aus dem Schubfach im Tresen zog.
Ralf würde sich zwar bestimmt bedanken, aber wenigstens konnte Brittany beim Rafting nicht die Bären mit ihrer lauten Stimme verscheuchen und somit den Ausflug für alle Teilnehmenden zum Misserfolg machen.
Ich verkaufte der Frau zwei Karten für die morgige Tour, und als die beiden daraufhin endlich den Laden verließen, atmete ich tief durch.
Nur noch etwa zwei Jahre, Penny, sagte ich mir selbst. Dann würde ich hoffentlich genug Geld gespart und meinen Abschluss in der Tasche haben. Auch wenn das Schneckentempo, in dem ich mein Fernstudium wegen meines Jobs hier im Laden absolvierte, an meinen Nerven zerrte.
Zielstrebig ging ich wieder in den Hinterraum und versuchte, mich auf die Hausarbeit zu konzentrieren. Ich las nochmal den letzten Absatz, den ich geschrieben hatte, und tippte genau einen einzigen neuen Satz – dann bimmelte die Ladenglocke erneut. Es war heute einfach wie verhext!
»Penny, ich bin’s!« Die fröhliche Stimme meiner Mutter drang durch die offene Tür zu mir. Dieses Mal unterdrückte ich das Seufzen nicht, bevor ich mich erhob und zurück nach vorn ging.
»Heute ist bestimmt nicht so viel los, und da dachte ich, ich komme dich besuchen, damit dir nicht so langweilig ist.« Meine Mutter strahlte über das ganze Gesicht, als hätte sie die kreativste Idee des Jahrtausends gehabt, dabei ergab das, was sie sagte, überhaupt keinen Sinn. Wir waren kurz vor der Touristensaison, und da war es nie ruhig im Laden.
»Ich versuche eigentlich gerade, eine Hausarbeit zu schreiben«, murmelte ich. Nicht, dass es meine Mutter interessiert hätte. Meine Familie hielt mein Studium für Zeitverschwendung. Ich brauchte es schließlich nicht, um hier im Laden zu arbeiten, der nicht ohne Grund meinen Namen trug.
»Aber ein bisschen Zeit für deine Mom wirst du doch hoffentlich haben, oder?« Leiser Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit. Ich erwiderte nichts. Das brauchte ich auch nicht. Meine Mutter würde ohnehin erst gehen, wenn sie es wollte. Sie setzte sich unaufgefordert an den Tisch, auf dem wir die Flyer für die Touristen auslegten, und machte es sich bequem.
Missmutig ließ ich mich ihr gegenüber nieder. »Was gibt’s?«, fragte ich, denn irgendeinen Grund musste ihr sonderbarer Besuch ja haben. Meine Mutter kam mich sonst nie in ihrer Mittagspause besuchen.
»Ich wollte einfach mal nach meiner Tochter sehen. Was gibt es denn bei dir Neues?«, fragte Mom mich. Ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass sie mir etwas erzählen, sich die vermutlich bahnbrechende Neuigkeit jedoch noch aufheben wollte.
»Was soll es schon Neues geben?« Ich verzog das Gesicht. Mein Leben war zurzeit einfach nur langweilig. Ich stand fast jeden Tag im Laden und verkaufte immer anderen Touristen den immer gleichen Kram für die typischen Freizeitbeschäftigungen auf unserer Insel: Wandern, Klettertouren, Rafting. Natur gab es hier auf Kodiak zur Genüge. Aber das war auch das Einzige.
»Ich habe Karen gestern beim Einkaufen getroffen«, unterbrach meine Mutter meine Gedanken und sah mich bedeutungsschwer an. »Weißt du, wer zurück auf der Insel ist?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich wusste nicht, wen es nun zurück in dieses Kaff verschlagen hatte, und mich interessierte auch nicht sonderlich, was meine Mutter mit ihrer langjährigen besten Freundin wieder getratscht hatte.
»Liam«, verkündete sie unaufgefordert.
Ich erstarrte. Was hatte sie da gerade gesagt? Das konnte nicht sein … Er war … »Was heißt ›zurück‹?«, fragte ich mit krächzender Stimme und krallte meine Finger in die Tischplatte.
»Er wurde auf die Air Station versetzt.« Meine Mutter sah mich an, als überbrächte sie mir die beste Nachricht des Jahres. »Ist das nicht toll? Jetzt könnt ihr wieder gemeinsam Zeit verbringen.«
»Wir …« Ich brach ab, weil ich keine Worte fand. Er ist wieder da, hämmerte es in meinem Kopf. William Hunter … mein bester Freund aus Kindertagen. Wie lange war es her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten? Zwölf Jahre? Früher waren wir unzertrennlich. Bis …
»Penny, du sagst ja gar nichts«, unterbrach meine Mutter meine Gedanken. »Freust du dich denn gar nicht?«
»Ich … äh …«
»Er ist jetzt Lieutenant bei der Coast Guard.« Bewunderung lag in ihrer Stimme. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass die Coast Guards auf Kodiak allgemein als Helden verehrt wurden, oder ob es sie so begeisterte, wie weit Liam es gebracht hatte.
»Das war immer sein Traum«, antwortete ich leise. Zumindest das wusste ich noch. Ansonsten … Mein Herz pochte auf einmal wild. Ob er sich sehr verändert hatte? Eigentlich sollte mich das gar nicht interessieren. Schließlich war er es gewesen, der sich nie gemeldet hatte. Steckte heutzutage überhaupt noch irgendetwas von meinem besten Freund in Liam?
»Karen hat uns für morgen Abend zum Willkommens-Barbecue bei sich im Garten eingeladen. Wie in alten Zeiten.« Meine Mutter lachte und klang tatsächlich etwas nervös. Als wäre ihr klar, dass längst nicht mehr alles wie früher war. »Kommst du mit?«, fragte sie trotzdem.
»Ich …« … hatte keine Ahnung. Wollte ich ihn sehen?
Diese Frage musste ich mir nun wohl oder übel beantworten.
In der Nacht lag ich größtenteils wach und wälzte mich von einer Seite auf die andere. Der Regen prasselte laut gegen mein Fenster, und obwohl mich das sonst nie störte, ließ es mich heute nicht schlafen. Aber vielleicht waren es auch eher die Bilder von Liam – dem Liam, den ich gekannt hatte, wohlbemerkt. Bilder, wie wir als Kinder stundenlang am Strand entlangspaziert waren. Wie er mir beigebracht hatte, Steine übers Wasser hüpfen zu lassen. Am Ende war ich dabei sogar besser gewesen als er.
Mit Liam war mir Kodiak nie langweilig vorgekommen. Er hatte in allem das große Abenteuer gesehen. Und irgendwann war er selbst das Abenteuer gewesen. Als auf einmal meine Hand verräterisch gekribbelt hatte, wenn er sie gehalten hatte … Als ich in seine Blicke Dinge hineininterpretiert hatte, die vermutlich nie da waren. Bis …
Ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, während ich darüber nachdachte, was vor seiner Abreise passiert war … oder eben auch nicht passiert war.
Ich schnaubte und stand auf. Wenn ich eh nicht schlafen konnte, konnte ich auch an meiner Hausarbeit schreiben. Vielleicht hielt mich das ja von den verdammten Gedanken ab!
Entschlossen fuhr ich meinen Laptop hoch und öffnete die Datei. Noch vierzehn Stunden bis zur Abgabe. Ich prüfte die Seitenzahl des Dokuments. Drei von zwölf geforderten Seiten. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Um das durchzustehen, brauchte ich erst einmal Koffein.
Also ging ich in die Küche und kochte mir einen extrastarken Kaffee. Während die Maschine ratterte und blubberte, starrte ich mich in dem großen Spiegel in meinem lodgeartigen Wohnraum an. »Du schaffst das, Penny«, sagte ich meinem Konterfei. Ich betrachtete meine kurzen pinkfarbenen Haare, die mir noch vom wenigen Schlaf zerzaust in alle Richtungen abstanden.
Man kann im Leben alles erreichen, wenn man nur genug dafür kämpft. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie Liam verträumt auf den wogenden Ozean gestarrt und diese Worte gesagt hatte. Zwar hatte er damals von sich gesprochen und von seinem Wunsch, Pilot bei der Coast Guard zu werden – wohl wissend, dass es jedes Jahr nur wahnsinnig wenige Ausbildungsplätze dafür gab –, aber er hatte mir damit mehr Mut gemacht, als ihm vermutlich bewusst gewesen war. Denn auch wenn meine Familie mir nach der Highschool keinen Collegeplatz hatte finanzieren können, war ich nie bereit gewesen, den Traum, zu studieren und von hier fortzuziehen, aufzugeben. Mittlerweile war ich achtundzwanzig und hatte meinen Bachelor immer noch nicht abgeschlossen, aber ich hielt verbissen an meinem Fernstudium fest.
»Konzentrieren, loslegen«, motivierte ich mein Spiegelbild. Dann schnappte ich mir die Kanne Kaffee und setzte mich an den Computer.
Charismatische Führungsstile zeichnen sich durch persönliche Ausstrahlung und Überzeugungskraft aus, tippte ich.
Liam hatte auch schon immer eine ganz besondere Ausstrahlung gehabt. Schon in der Schule hatten ihm seine Klassenkameraden stets zugehört. Er war bestimmt ein toller Offizier geworden.
Verdammt noch mal! Ich musste mich konzentrieren. Ich atmete tief durch und fokussierte mich auf meine Hausarbeit über Führungsstile in alaskischen Unternehmen.
Stunden später drückte ich mit zitternden Fingern auf den Senden-Knopf in meinem Mail-Postfach. Die Hausarbeit war wie erwartet eine absolute Katastrophe geworden. Aber die Deadline endete in zehn Minuten. Ich musste die Datei abschicken und beten, dass ich damit irgendwie das Modul bestand. Andernfalls musste ich den Kurs im nächsten Semester wiederholen und würde dann noch weniger Zeit für die anderen Fächer haben.
Und schuld daran war nur Liam. Was musste er auch wieder zurückkommen? Ununterbrochen war er in meinen Gedanken aufgetaucht. Mal so, wie ich ihn noch als achtzehnjährigen Jungen kannte, und dann in unzähligen Versionen, die ich mir von ihm als heute Dreißigjährigen vorstellte. Mein Kopf schaffte es nicht, ein klares Bild zu erzeugen. Seine haselnussbraunen Haare und die moosgrünen Augen mit dem Körper eines erwachsenen Mannes zu verbinden.
Es war einfach zum Verrücktwerden! Natürlich war mir klar, dass er absolut nichts dafürkonnte, dass ich meine Hausarbeit erst einen Tag vor der Abgabe schrieb. Wenn überhaupt jemand die Schuld daran trug, dann war es meine Familie, die mir immer mehr Pflichten im Laden übertrug. Ich seufzte. Wenn ich mich doch wenigstens mal mit anderen Studierenden austauschen könnte! Aber in der Southern New Hampshire University gab es keinen Kontakt unter Studierenden. Man konnte maximal ab und an eine Mail mit einem Dozenten austauschen, wenn überhaupt.
Meistens brütete ich allein über irgendwelchen viel zu teuren Lehrbüchern und versuchte, mich auf seltsame Klausuren vorzubereiten oder Hausarbeiten zu schreiben, bei denen ich keinerlei Informationen über die Erwartungshaltung der Dozenten hatte.
Genug jetzt! Entschlossen klappte ich den Laptop zu und aktivierte mein Handy.
Drei verpasste Anrufe und vier Nachrichten zeigte mir das kleine Gerät an. Alle von meiner Mutter. Klar. Die erste Nachricht hatte sie mir heute Morgen gegen zehn Uhr geschrieben.
Penny, kommst du nun heute Abend zum Barbecue bei den Hunters?
Penny?
Bist du da?
Ich liebte es, wenn meine Mutter so unnötige Fragen stellte. Offensichtlich war ich nicht »da«, wo auch immer das sein sollte, wenn ich nicht antwortete.
Penny Ophelia Moore, es ist unhöflich mich zu ignorieren! Was ist denn nun mit der Party? Es geht heute um 19 Uhr los.
Die letzte Nachricht war keine zwei Stunden alt.
Ich sah auf die Uhr. Inzwischen war es nach achtzehn Uhr.
Ich wollte nicht hingehen. Ich war keine siebzehn mehr und schon ewig auf keinem Barbecue der Hunters gewesen. Andererseits wollte ein Teil von mir Liam sehen. Und gab es eine bessere Ausrede, ihn zu treffen? Andernfalls würde ich vielleicht noch anfangen, im Supermarkt nach ihm Ausschau zu halten.
Lange war ich wütend auf ihn gewesen, doch diese Gefühle waren alt, und meine Neugierde war groß. War er inzwischen vergeben? Brachte er vielleicht sogar Frau und Kind mit nach Kodiak? Bei dem Gedanken wurde mir ganz flau im Magen.
Entschlossen trat ich also in mein Badezimmer, sprang unter die Dusche und machte mich in Ruhe fertig. Pünktlich würde ich eh nicht mehr kommen, daher kam es auf zwanzig Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Ich gelte meine pinken Haare, sodass sie wild in alle Richtungen abstanden, ehe ich mir die Augen mit dunklem Kajal umrandete. Aus meinem Kleiderschrank holte ich mir ein schwarzes Strickkleid und kombinierte es mit meinen kniehohen Boots. Als ich fertig war, betrachtete ich mich kurz im Spiegel. Was ich wohl für einen Eindruck auf Liam machen würde? Vermutlich fand er mich sowieso erbärmlich, weil ich es nicht geschafft hatte, meine Träume zu verwirklichen, und immer noch hier war.
Ich meine, was hatte ich schon erreicht in meinem Leben? Mehr als meinen Highschool-Abschluss und ein wenig Aushilfsarbeiten in Onkel Sams Laden konnte ich nicht vorweisen. Während Liam inzwischen ein verdammter Lieutenant bei der Coast Guard war. Es war also absolut egal, wie ich mich heute kleidete. Neben ihm war ich sowieso ein Niemand.
Nervös klingelte ich bei den Hunters. Im Garten hörte ich die Stimmen vieler Menschen. Sollte ich einfach nach hinten gehen? So vertraut waren wir eigentlich nicht mehr. Aber ich konnte auch schlecht hier stehen bleiben. Immerhin war ich laut meiner Mutter eingeladen.
Ach, sei’s drum! Als auch auf mein drittes Klingeln niemand öffnete, ging ich am Haus vorbei auf die Rückseite. Je näher ich dem großen Garten von Liams Eltern kam, desto lauter wurde das Stimmengewirr. Hatte Karen etwa die halbe Insel eingeladen? Vorsichtig lugte ich um die letzte Ecke. Im Garten waren ein riesiges Zelt sowie mehrere Bierzeltgarnituren aufgebaut worden. Alfred, Liams Vater, hantierte an seinem Gasgrill, und die Leute warteten davor auf ihr Essen.
Auch mein Magen knurrte bei dem Geruch nach Alfreds leckeren Burgern auf einmal vernehmlich und machte mich darauf aufmerksam, dass ich, abgesehen von einigen Litern Kaffee, heute noch nicht viel zu mir genommen hatte.
Trotzdem zögerte ich. Das würde kein vertrautes Wiedersehen werden. Ich hatte so viele Fragen, und nicht alle davon waren freundlich. Doch egal, was zwischen uns vorgefallen war, ich würde Liam keine Szene auf seiner Willkommensfeier machen.
»Hey, Penny, das ist ja eine Ewigkeit her!«, sagte jemand hinter mir. Als ich mich umdrehte, stand ich Liams Tante Luanne gegenüber, die zwei Tabletts voller Burger-Buns in den Händen balancierte.
»Oh, hey. Schön, dich zu sehen.« Liams Tante war mir immer sympathisch gewesen – im Gegensatz zu seiner Mutter.
»Komm rein, komm rein, deine Familie sitzt dahinten, und Alfred hat das Grillfest schon eröffnet.« Luanne lebte eigentlich in Anchorage, der nächstgrößeren Stadt, die man von Kodiak aus mit einem Shuttle-Flugzeug erreichen konnte. Seit Liams Abschiedsfeier hatte ich sie nicht mehr gesehen.
Sie lief mit den beiden Tabletts an mir vorbei und wies mir den Weg zu einem Tisch, an dem tatsächlich meine Familie versammelt war. Mom, Dad und Onkel Sam saßen sich gegenüber und unterhielten sich mit Mrs. Marshmallow. Oder eher: Mom unterhielt sich mit ihr, während Onkel Sam sie nur grimmig anstarrte und mein Dad bereits den ersten Burger verdrückte.
»Pemmy«, begrüßte er mich schmatzend, als er mich erblickte. »Komm her, Kleimes.«
»Hey, Dad.« Ich umarmte meinen Dad, und er rückte sofort zur Seite, sodass ich neben ihm Platz fand.
»Penny, da bist du ja endlich!«, tadelte mich meine Mutter anstelle eines Hallos. »Wo warst du denn so lange?«
»Ich habe meine Hausarbeit fertig geschrieben.« Ich unterdrückte ein Augenrollen, auch wenn es mir schwerfiel, und sah mich möglichst unauffällig um. War Liam hier irgendwo?
»Immer fleißig, die Kleine, nicht wahr?«, fragte Mrs. Marshmallow in einem Tonfall, der sonst alten Omas reserviert war, die über ihre Urenkelchen sprachen. Und das, obwohl sie kaum älter als meine Eltern war. Eigentlich hieß die gute Frau Mrs. Mashburn, aber da sie ständig in den Laden kam, um mit ihrer klebrig süßen Art zu tratschen und um meinen Onkel zu werben, hatte ich sie umgetauft.
»Ich geh mir auch was zu essen holen.« Wenn ich es länger mit den Vieren aushalten wollte, brauchte ich dringend etwas im Magen. Vielleicht hätte ich heute doch einfach ins Joe’s gehen oder mich mit meinen Freundinnen Ana und Ruby treffen sollen. Wobei mich meine Neugierde dann vermutlich umgebracht hätte.
Ich schnappte mir ein Bun und beschmierte es großzügig mit Karens hoffentlich immer noch genauso leckerer hausgemachter Barbecue-Soße. Ich belegte das Burger-Brötchen noch mit einer Tomatenscheibe, etwas Röstzwiebeln und einer sauren Gurke, ehe ich mich in die Schlange vor dem Grill einreihte. Immer noch hielt ich Ausschau. Irgendwo hier musste Liam doch stecken. In meinem Magen toste ein nervöser Sturm, weil ich nicht richtig wusste, was ich fühlen sollte, und brachte mich durcheinander. Was war er wohl heute für ein Mensch?
Alfred reichte mir ein Burger-Patty, und ich ging zurück zu meiner Familie. Ich biss gerade das erste Mal in meinen Burger, da sah ich ihn. Mir stockte der Atem. Es war unverkennbar Liam, der gerade auf die Terrasse trat. Nur wirkte er größer. Die Zeit und vermutlich das harte Training der Coast Guard hatten ihm das Schlaksige genommen. Dafür hatte er breite Schultern vom vielen Schwimmen und braun gebrannte Haut. Seine haselnussbraunen Haare standen ihm wuschelig vom Kopf ab.
Er ließ den Blick über die Gäste wandern und wurde fast von einem Mädchen umgerannt, das plötzlich neben ihm auftauchte und ihm um den Hals fiel. Eine Sekunde wirkte er perplex, dann lachte er und wirbelte sie herum. Ein verräterisches Ziehen breitete sich in meinem Magen aus.
»Hast du ihn schon begrüßt?«, fragte Onkel Sam mich. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich sage ihm später Hallo«, nuschelte ich und biss erneut von meinem Burger ab.
»Ach, Quatsch«, fuhr meine Mutter dazwischen. »Er wird sich freuen, dich zu sehen.« Sie erhob sich, und da Dad zwischen uns saß, konnte ich sie nicht davon abhalten. »Liam, Liam! Komm mal her!«, rief sie quer durch den Garten.
Ich verschluckte mich an meinem Burger und hustete augenblicklich. Herzukommen war definitiv ein Fehler gewesen.
»Na, na, langsam, Kleines.« Dad klopfte mir schwungvoll auf den Rücken und machte es damit nur schlimmer. Ich bekam keine Luft und versuchte krampfhaft, nicht das halb durchgekaute Essen auszuspucken.
Natürlich hatte Liam den Ruf meiner Mutter nicht überhört. Genauso wenig wie die halbe Party-Gesellschaft, die nun neugierig zu uns herübersah. Meine Wangen wurden heiß, und mir traten Tränen in die Augen von dem Brot, das sich immer noch zu nah an meiner Luftröhre befand. Onkel Sam reichte mir wortlos ein Glas Wasser, und erst nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, wurde es endlich besser.
Als ich wieder hochsah, stand Liam direkt vor mir – mit funkelnden moosgrünen Augen, die ich nie hatte vergessen können.
»Penn.«
Gänsehaut kroch über meine Arme. Er war der Einzige, der mich je so genannt hatte.
Ich erhob mich umständlich von der Bierbank, unsicher, wie wir uns begrüßen sollten, aber Liam nahm mir die Entscheidung ab. Er schloss mich in eine so kräftige und herzliche Umarmung, als wären wir nicht zwölf Jahre, sondern nur zwölf Tage voneinander getrennt gewesen.
Er roch anders, als ich es in Erinnerung hatte. Deutlich herber, männlicher und nach Meer. Aber als ich seine Umarmung erwiderte, wurde ich trotzdem in der Zeit zurückkatapultiert. Das hier war mein Liam.
Ein Zittern, das ich nicht unterdrücken konnte, ging durch meinen Körper und führte dazu, dass Liam mich noch enger an sich drückte. Dabei war ich mir gar nicht so sicher, ob mir das recht war. Ein Teil von mir wollte ihn wegstoßen und ihm all die Fragen stellen, die ich in den letzten Jahren zwar gekonnt hatte verdrängen, aber nie hatte vergessen können.
Nach einer Ewigkeit, die sich viel zu gut und gleichzeitig furchtbar anfühlte, ließ er mich wieder los und räusperte sich. »Penny, wie geht’s dir?« Er ließ den Blick einmal an mir hinabwandern. Als er die mit Tipp-Ex bemalten Symbole auf meinen Schuhen bemerkte, zuckte ein Lächeln um seine Lippen. Erwartungsvoll sah er mich an.
Und ich? Ich war befangener denn je. Außerdem hasste ich diese Frage. Drei einfache Worte, aber keine einfache Antwort. »Ich …« Ich lachte unsicher.
»Unserer Penny geht’s großartig, nicht wahr, Schatz?«, unterbrach meine Mutter mich. »Sie arbeitet jeden Tag im Laden und übernimmt immer mehr Verantwortung. Wenn Onkel Sam sich eines Tages zur Ruhe setzen möchte, kann Penny das Geschäft übernehmen, ohne dass wir uns Sorgen machen müssen.« Der Stolz in der Stimme meiner Mutter war unüberhörbar. Ich hingegen hatte plötzlich Steine im Magen. Krampfhaft zwang ich mich zu einem Lächeln.
Liams runzelte die Stirn. Schnell blickte ich zur Seite. Erinnerte er sich daran, dass das nie mein Wunsch gewesen war? Was er nun wohl über mich dachte?
»Und du bist jetzt wirklich Pilot?«, fragte ich rasch, um von mir abzulenken.
Das Strahlen in Liams Augen verstärkte sich. »Ja, ich kann es immer noch kaum fassen. Und dass sie mich nun ausgerechnet hierher versetzt haben …« Er schüttelte den Kopf.
»Sie brauchten eben jemanden, der sich mit unserem Wetter auskennt. Das ist doch nur logisch, mein Junge.« Alfred stellte sich zu uns, ebenso wie Karen.
»Ah, Penny, du bist auch hier.« Sie warf mir einen abschätzigen Blick zu und musterte mein Outfit.
»William, habe ich dir eigentlich schon Emily vorgestellt?«, wandte sie sich dann an ihren Sohn. »Ihr Vater ist unser neuer Bürgermeister.« Schon früher hatte sie ihn ausschließlich bei seinem vollen Namen genannt. Karen hakte sich bei Liam unter und versuchte, ihn von unserem Tisch wegzuziehen.
»Ich unterhalte mich ge…«, begann er. Doch Karen schaffte es trotzdem, ihn herumzudrehen.
»Emily ist schon ganz gespannt darauf, dich kennenzulernen.« Mit diesen Worten schaffte Karen es, Liam von mir wegzulotsen.
Zurück blieb nur Alfred, der mich etwas verlegen ansah. »Du bekommst bestimmt später noch Gelegenheit, mit ihm zu reden.«
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, als ich hergekommen war. Und vielleicht war das auch gut so, denn wer keine Erwartungen hatte, konnte auch nicht enttäuscht werden, oder?
Trotzdem machte sich ein flaues Gefühl in mir breit, als ich beobachtete, wie Karen Liam und Emily miteinander bekannt machte und die beiden augenblicklich in ein Gespräch verfielen. Ich versuchte, das Gefühl zu vertreiben, indem ich erneut nach meinem Burger griff. Als ich aufsah, starrte Karen mich an, und es lag ein herausfordernder Ausdruck in ihrem Gesicht.
Liam tauchte den restlichen Abend nicht mehr bei uns auf. Ich sah ihn von Tisch zu Tisch ziehen, und meistens wurden seine Gespräche nach wenigen Minuten unterbrochen, weil jemand anderes seine Aufmerksamkeit forderte.
Erst als wir gerade dabei waren zu gehen, trat Liam plötzlich wieder neben mich.
»Oh, ihr wollt schon los?«, fragte er, und ich bildete mir ein, Enttäuschung in seiner Stimme zu hören.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich muss morgen arbeiten.«
»Liam? Kommst du endlich Mario Kart spielen?« Sein Cousin rannte ihn beinahe um, als er auf ihn zustürzte.
»Du wirst hier gebraucht.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. Liams Familie war extra aus Anchorage angereist. Er sollte ihnen heute wirklich den Vorzug geben, auch wenn ich mir irgendwie schon mehr als die drei Worte gewünscht hätte, die wir gewechselt hatten.
»Lass uns schreiben«, schlug Liam vor.
»Ich habe deine Nummer nicht.«
Wieder wurde er von mir fortgezogen.
»Die hat sich nicht verändert«, rief er.
»Ich hatte sie nie«, murmelte ich kopfschüttelnd, doch Liam hatte sich schon umgedreht und folgte seinem Cousin. Erinnerungen an einen Abend, den ich am liebsten vergessen würde, drängten aus ihrer mentalen Schublade. Ich war noch keine achtzehn gewesen, als Liam seinen Highschool-Abschluss in der Tasche hatte und bei der Coast Guard angenommen worden war. Obwohl Smartphones damals noch nicht so verbreitet gewesen waren wie heute, hatte trotzdem jeder Teenager in meinem Alter ein Handy gehabt. Nur meine Eltern hatten sich dagegen gesperrt. Als ich dann zum Geburtstag endlich ein eigenes Smartphone bekam, war es zu spät. Derjenige, den ich erreichen wollte, war in unerreichbare Ferne gezogen.
Am nächsten Morgen, einem Samstag, saßen Ana und ich im Hinterzimmer des Ladens bei einem späten Brunch zusammen.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass wir Ruby nicht beim Umzug helfen«, gestand ich. Unsere gemeinsame Freundin zog heute mit ihrem Freund und seinem Sohn zusammen.
»Sie hat doch explizit Nein gesagt«, erinnerte Ana mich. »Ich glaube, sie will mit Owen und Tanner dabei allein sein, und weit hat sie es ja auch nicht. Nur ein Haus weiter.«
»Mmh«, machte ich bloß, weil ich gerade von meinem Croissant abgebissen hatte.
»Ich freue mich so für sie.« Ana lächelte.
»Sie hat nichts anderes als die beiden verdient.« Ich stimmte Ana zu und widmete mich wieder dem Essen. In dem Moment klingelte die Ladenglocke. Noch mit vollem Mund machte ich mich auf den Weg nach vorn.
Mrs. Marshmallow hatte den Laden betreten und sah sich suchend um. Als sie mich entdeckte, kam sie lächelnd auf mich zu. »Ah, guten Morgen, Penny. Ist dein Onkel auch da?«
Immer noch kauend, schüttelte ich den Kopf. »Der isch mit Tourischten unterwegs«, nuschelte ich.
»Oh, ach so …« Augenblicklich trübte sich ihr Gesichtsausdruck.
»Aber er isch dieses Mal nischt übersch Wochenende weg«, erklärte ich. Denn oft führte Onkel Sam die Mehrtagestouren mit unseren Kunden durch, während unsere angestellten Guides Ralf und Imogene die Tagestouren leiteten.
»Wann kommt er zurück?« Mrs. Marshmallow wippte nervös auf den Füßen auf und ab.
Ich schluckte erfolgreich den Bissen Croissant. »Ich weiß es nicht genau. Erst am Nachmittag.« Onkel Sam führte an diesem Tag eine kleine Gruppe von Touristen an einen Flusslauf, in der Hoffnung, schon die ersten Bären beim Lachse fangen beobachten zu können. Die Tour war bis fünfzehn Uhr angesetzt, aber ich war mir sicher, dass Onkel Sam nicht scharf darauf war, dass Mrs. Marshmallow ihn dann hier erwartete.
»Aber da habt ihr ja schon zu«, stellte sie fest und wirkte besorgt.
»Das ist korrekt.« Samstags schloss ich den Laden immer schon gegen eins. Eine Fünfeinhalb-Tage-Woche reichte mir definitiv.
»Wie soll ich ihn dann …« Mrs. Marshmallow murmelte etwas vor sich hin. »Könntest du ihm eventuell etwas ausrichten?«
»Selbstverständlich«, gab ich freundlich zurück und strengte mich an, mein inneres Augenrollen nicht zu einem echten werden zu lassen.
Ich bezweifelte, dass Onkel Sam und ich uns heute noch sehen würden, und eine WhatsApp hätte sie meinem Onkel sicher selbst schicken können. Doch Mrs. Marshmallow arbeitete in der lokalen Touristeninformation und empfahl uns immer fleißig. Sie nicht zu vergraulen war mein oberstes Gebot, auch wenn mir das oft sehr schwerfiel.
»Ich … Heute Abend findet eine Tanzveranstaltung im Gemeindesaal statt, und nun ja … Ich habe mich gefragt, ob er vielleicht Lust hat, vorbeizukommen.« Liefen ihre Wangen bei der Frage etwa rosa an?
Ich musste ein Lachen unterdrücken. Onkel Sam auf einer Tanzveranstaltung war ungefähr so wahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass ein Kodiakbär Walzer lernte. »Ich werd’s ihm ausrichten«, versprach ich trotzdem. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Mrs. Marshmallow schüttelte den Kopf. »Danke, Penny. Aber vergiss es bitte nicht.« Mit diesen Worten verließ sie den Laden.
»Oh Mann, irgendwie ist das zwischen den beiden auch schon ein bisschen süß, oder?«, fragte Ana mit einem verträumten Lächeln, als ich zurück ins Hinterzimmer kam.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Onkel Sam das auch nur im Ansatz erwidert.« Ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen.
»Meinst du nicht?« Ana griff nach dem Honig. »Wenn er es gar nicht erwidern würde, würde er sie doch nicht beinahe täglich in den Laden kommen lassen, oder?«
»Es ist nicht so, dass wir viel dagegen tun könnten.« Ich lachte und wunderte mich, wo Anas Interesse an den beiden auf einmal herkam.
»Mrs. Mashburn und dein griesgrämiger Onkel. Meinst du nicht, die beiden würden zusammenpassen? Warum ist Sam überhaupt single?«
Anstelle einer Antwort hob ich die Schultern. Onkel Sam war seit meiner Kindheit immer allein gewesen. Ich hatte mich schon oft gefragt, ob das an seiner grummeligen Art lag oder ob er so wenig sprach, weil er niemanden an seiner Seite hatte.
»Kleinstadtliebe zur Touristenzeit.« Ana summte die Melodie eines schnulzigen Filmintros. »Das wäre ein perfektes Setting für eine neue Netflix-Serie.«
»Mit meinem Onkel in der Hauptrolle? Was hast du denn heute zu dir genommen?« Lachend knuffte ich sie gegen die Schulter. »Wenn du so dringend eine Liebesgeschichte brauchst, sollten wir vielleicht an deiner eigenen arbeiten.«
»Aber die von anderen sind so viel interessanter.« Ana grinste frech. Bevor ich etwas erwidern konnte, läutete die Ladenglocke erneut.
Ich ging wieder nach vorn und erstarrte.
»Hey, Penny. Ich dachte, nachdem wir gestern keine Zeit gefunden haben, probiere ich heute mal mein Glück.«
»Liam, ich …« Mehr brachte ich nicht hervor. Mein Kopf schien plötzlich leer zu sein. Dafür pochte mein Herz schneller – genau wie damals. Shit!
»Ich hoffe, ich störe nicht?« Unsicherheit stand in seinen moosgrünen Augen.
»Nein, tust du nicht.« Hektisch schüttelte ich den Kopf. »Ana und ich brunchen gerade hinten. Willst du … Willst du vielleicht mit dazukommen?« Unsere Blicke trafen aufeinander und schienen sich ineinander zu verhaken.
»Nur, wenn ich wirklich nicht störe.«
»Tust du nicht, und jetzt kommt, bevor der Kaffee kalt wird«, rief Ana in diesem Moment von hinten.
Schmunzelnd hielt ich Liam die kleine Klapptür auf, die den Kassenbereich vom Rest des Ladens trennte.
In Anas Augen stand pure Neugierde, als wir in den Hinterraum traten. Natürlich hatte ich ihr schon von Liams Ankunft und der Feier am vergangenen Abend erzählt.
»Hi, ich bin Will.« Liam reichte Ana die Hand.
Überrascht betrachtete ich meinen ehemaligen besten Freund.
»Ähm …« Auch Ana schien verwirrt zu sein. »Ich bin Ana«, brachte sie schließlich hervor. »Ich dachte …«
»Liam ist die Kurzform für William«, erklärte ich.
Er grinste schief. »Es ist ewig her, dass mich jemand so genannt hat. Bei den Guards war ich immer Will, aber ich schätze, hier werde ich mich wieder an die alte Abkürzung gewöhnen müssen.«
»Soll ich dich auch …«, setzte ich an.
»Nein!« Liam antwortete mir energisch, noch bevor ich meine Frage beendet hatte. »Ich meine …« Nun fuhr er sich verlegen durch die verwuschelten Haare. »Das wäre seltsam, Penn.«
Da war er wieder … mein Spitzname aus seinem Mund. Wollte Liam etwa einfach da weitermachen, wo wir aufgehört hatten? Also minus der letzten paar Stunden, die wir uns am Tag seiner Abschiedsfeier gesehen hatten.
»Freut mich, dich kennenzulernen. Penny hat mir schon viel von dir erzählt.« Ana sah mich verschmitzt an, und ich funkelte sie an.
»Croissant?« Um von dem seltsamen Gespräch abzulenken, reichte ich Liam den Brotkorb, und er griff direkt zu.
»Ich hatte gehofft, noch etwas abzubekommen.« Liam grinste mich an. »Französisches Frühstück ist genau mein Ding.«
Woher wusste er …? Anscheinend sah man mir meine Verwirrung im Gesicht an, denn Liam begann zu erklären: »Ich war mir heute Morgen meine neue Bleibe ansehen, und Ruby, die gerade auszieht, hat mir erzählt, dass sie mit euch beiden befreundet ist.«
»Oh, dann ziehst du in Rubys Haus ein?«, fragte Ana überrascht.
»Es scheint so.« Liam hob die Schultern. »Auch wenn ich jetzt das Gefühl habe, sie rausgeschmissen zu haben. Ich hätte auch einfach in eine Blockwohnung ziehen können.«
»Es wurde eh Zeit, dass die drei zusammenziehen«, sagte ich, um ihn zu beruhigen. Schon früher hatte er es immer allen recht machen und niemandem zur Last fallen wollen.
»Wenn man überhaupt von ›Umzug‹ sprechen kann«, ergänzte Ana. »Ruby war in den letzten Wochen eh kaum bei sich drüben.«
»Also mach dir keinen Kopf«, schloss ich unsere Erklärung. »Außerdem … so eine Blockwohnung ist doch viel zu klein für den frisch gebackenen Offizier«, stichelte ich, um herauszufinden, wie es sich anfühlte, ihn aufzuziehen. Früher hatten wir uns andauernd gefoppt.
Liam zog eine Grimasse in meine Richtung. »Und ihr zwei«, sagte er dann, »seid ihr zusammen?«
Ana hob beide Augenbrauen und schüttelte dann schnell den Kopf. Doch so überrascht sie war, so warm wurde mir bei der Frage in meinem Inneren. Liam war damals der Erste gewesen, vor dem ich mich als bisexuell geoutet hatte. Und er hatte nicht einen Moment schief geguckt, sondern mich nur in den Arm genommen und sich für mein Vertrauen bedankt.
»Nein, ich bin in keiner Beziehung«, antwortete ich.
Für einen Moment sahen wir uns in die Augen.
»Ich auch nicht«, sagte Liam. Dann schaute er plötzlich verlegen zur Seite, und ich bildete mir ein, seine Ohren wurden rot.
Ana räusperte sich. »Ich glaube, ich mache mich auf den Weg. Vielleicht können Ruby und Owen ja doch noch Hilfe gebrauchen.«
»Nein, warte«, bat Liam. »Ich kann nicht lange bleiben, weil ich gleich bei meinen Eltern zum Mittagessen eingeladen bin. Ich wollte nur …« Er sah wieder zu mir. »… fragen, ob wir uns vielleicht mal treffen wollen, um in Ruhe zu quatschen. Ich bin neugierig, was du die letzten Jahre so getrieben hast.« Liam lächelte mich erwartungsvoll an.
»Nicht viel.« Ich lachte bitter. »Aber ich möchte auch wissen, wie es dir bei der Coast Guard ergangen ist. Also, sehr gern.«
»Dann müssen wir nur noch das Problem mit unseren Handy-Nummern aus dem Weg räumen.« Liam zog besagtes Gerät aus seiner Hosentasche. »Warum hast du meine eigentlich nicht mehr? Ich habe sie nie geändert.«
Ein Stich fuhr in meinen Magen und erinnerte mich an den Grund, warum es nicht so einfach sein würde, wieder mit Liam befreundet zu sein. »Ich hatte sie nie, Liam.« Meine Stimme klang viel zu rau. »Als du weggezogen bist, hatte ich noch kein Handy.«
Auf einmal war alle Leichtigkeit aus seinem Blick verschwunden. Er schluckte hörbar und sah mich aus unergründlichen Augen an. »Ich …« Er fuhr sich durch die Haare, und sein Blick huschte zu Ana, die uns aufmerksam beobachtete. »Du hättest meine Eltern danach fragen können.«
Auf einmal flammte die alte Wut wieder in mir auf, von der ich gedacht hatte, sie wäre inzwischen verbrannt. »Ist das dein Ernst?! Denkst du nicht …« Mit jedem Wort, das ich sagte, wurde ich lauter. Doch ich brach ab. Ana fühlte sich sichtlich unwohl in unserer Gegenwart, und eigentlich war dieses Gespräch auch eins, das ich unter vier Augen mit Liam führen wollte.
»Lass uns das wann anders besprechen«, schloss ich, auch wenn es mich sehr viel Mühe kostete, beherrscht zu bleiben. Hielt er mich für bescheuert? Ging er ernsthaft davon aus, dass ich auf die nächstliegende Idee, seine Eltern zu fragen, nicht selbst gekommen wäre?
»Fuck … Penn, ich …« Liam schien immer noch verwirrt und sprachlos zu sein. »Ich dachte immer …«
»Das sollten wir unter vier Augen klären. Aber nicht jetzt.« Ich erhob mich, um ihm zu signalisieren, dass das Gespräch für mich an dieser Stelle vorbei war. Er konnte nicht nach zwölf Jahren wiederkommen und mir dann als Erstes an den Kopf werfen, unsere Funkstille wäre meine Schuld. Wie lange hatte ich mir die Augen ausgeheult, weil ich ihn nicht mehr erreichte?
Meine Hände fingen an zu zittern, und auf einmal waren all die Gefühle von damals wieder da. Als hätte Liam eine Tür zu einem verschlossenen Raum in meinem Kopf eingetreten. Die Trauer, dass er hatte fortgehen müssen. Die unbändige Wut, dass er sich nicht gemeldet hatte. Wochenlang, monatelang, im Endeffekt jahrelang hatte ich auf ein Zeichen von ihm gewartet. Eine Erklärung für all das. Alles in mir fühlte sich verkrampft an. Übelkeit wallte in mir auf.
»Penny, ist alles okay?« Auch Ana hatte sich erhoben. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und musterte mich besorgt.
»Gar nichts ist okay!«, antwortete ich ihr, sah jedoch weiterhin Liam an.
Dieser fuhr sich erneut durch die Haare. Es war eine unbeholfene Geste. Hatte er etwa die ganze Zeit angenommen, ich wollte keinen Kontakt zwischen uns?
»Ich muss, glaube ich, erst mal … Verdammt«, murmelte er.
»Gib mir dein Handy.« Ich streckte meine Hand fordernd aus.
Eilig reichte er es mir.
Ich tippte meine Nummer ein und drückte ihm das Gerät wieder in die Hand. »Du kannst dich melden … wenn du willst.« Denn er hätte das gekonnt, oder? Er kannte zumindest meine Adresse beziehungsweise – heute – die meiner Eltern.
»Das werde ich«, versicherte Liam sofort.
Meine Augen brannten. Darauf hatte ich viel zu lange gewartet.
»Wirklich, Penn, versprochen. Ich schreibe dir, und dann treffen wir uns.«
Ich nickte nur. Alles an dieser Situation überforderte mich. Dass es ihm nicht anders ging, half nicht. Ich brauchte Zeit, um mich zu sammeln.
Rückwärts verließ Liam den Raum. Als wüsste er selbst nicht so recht, ob das eine gute Idee war.
Erst als die Ladenglocke verkündete, dass er wirklich verschwunden war, ließ ich mich auf den Stuhl fallen. Es fühlte sich an, als sackte mein ganzer Körper in sich zusammen. Ich vergrub das Gesicht in den Händen.
An ihren Bewegungen hörte ich, dass auch Ana sich wieder setzte. »Ich glaube, da gibt es noch ein bisschen mehr zu erzählen als das, was du mir vorhin anvertraut hast, oder?«, fragte sie mit sanfter Stimme.
»Mhh«, nuschelte ich hinter meinen Fingern. Es dauerte noch eine ganze Weile, ehe ich bereit war, mich wieder aufzurichten.
Am Montagmorgen hockte ich gemeinsam mit Onkel Sam im Laden. Meine Laune war absolut im Keller. Liam hatte sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Ich versuchte krampfhaft, nicht minütlich auf mein Smartphone zu starren, ob nicht doch endlich eine Nachricht angekommen war. All das fühlte sich viel zu sehr nach einem Déjà-vu an. Auf einmal war ich wieder die siebzehnjährige Penny, die stundenlang neben dem Festnetztelefon gesessen und auf einen Anruf gewartet hatte. Nur, dass dieser nie gekommen war.