Albträume - Manfred Horn - E-Book

Albträume E-Book

Manfred Horn

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Beschreibung

Thomas Martens wird von Albträumen aus seiner Kindheit geplagt. Immer wieder erscheinen die schemenhaften Erinnerungen, die er nicht deuten kann. Seine innerliche Leere wird durch den plötzlichen Unfalltod seiner in Paris lebenden Stiefeltern verstärkt. 
Als eine französische Journalistin Kontakt zu ihm aufnimmt, wird schnell klar – der Unfall war ein geplanter Mord. Gemeinsam mit ihr sowie einem Agenten des französischen Auslandsgeheimdienstes (DGSE) und einem ehemaligen Chef eines Polizeireviers folgen sie einer Spur, die bis in die deutsche Hauptstadt führt. Hier stellen sie fest, dass alles im Zusammenhang mit einem Netzwerk aus Intrigen und sexuellem Missbrauch steht. 
Ein idyllisches Schlösschen in Mitteldeutschland entpuppt sich als Ort einer sektenähnlichen Gemeinschaft. Hier finden sie weitere Antworten zum Mord in Paris sowie zu Martens Albträumen.
Es beginnt eine rasante Jagd durch halb Europa. 

Manfred Horn, geboren 1952 in Aschersleben, einem kleinen Städtchen am Harzrand, war neben seiner Tätigkeit in der Gastronomie und in der Kultur die letzten 24 Jahre seines Arbeitslebens bei einem Zeitungsverlag beschäftigt. 
Neben Kindergeschichten schrieb er zwei Jugendmusicals, die deutschlandweit mit Erfolg aufgeführt wurden. 
Seine Hobbys sind Motorradfahren, Schlagzeugspielen in seiner Hardrock-Band oder das Genießen des Landlebens mit seiner Familie.

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Manfred Horn

 

 

 

Albträume

 

 

 

 

 

 

© 2023 Europa Buch | Berlin

www.europabuch.com | [email protected]

ISBN 9791220135580

Erstausgabe: März 2023

 

Gedruckt für Italien von Rotomail Italia

Stampato presso Rotomail Italia S.p.A. - Vignate (MI)

 

 

 

 

 

 

 

 

Albträume

 

 

 

1

 

 

Die zwei Transportpanzer vom Typ Fuchs bogen links von der Kabul-Bagram-Airport-Road ab und zogen jetzt eine rötlich-gelbe Staubwolke hinter sich her. Der feine aufgewirbelte Sand legte sich zu beiden Seiten der Straße auf die teils verfallenen Hausfassaden. Eine Gemüsefrau an der Ecke schimpfte gestikulierend den bundesdeutschen Militärfahrzeugen hinterher. Eilig legte sie eine Plastikplane auf ihre Auslagen, aber der Staub hatte sich schon genüsslich über Obst und Gemüse hergemacht.

Doch von alledem hatte der Fahrer des ersten Fahrzeuges, Stabsgefreiter Thomas Martens, nichts mitbekommen. Er tat voll konzentriert, obwohl er mit den Gedanken ganz woanders war. Wieder und wieder durchlebte er den Traum, der ihm nun schon unendliche Nächte den Schlaf raubte. Er versuchte auch jetzt die Puzzleteile zusammen zu setzen. Jedoch hatte er damit keinen Erfolg. Er lenkte das Gefährt an der Ahmad-Shan-Babe-Road entlang, stets bemüht, das Zentrum von Kabul weiträumig zu umfahren. War der Verkehr hier schon chaotisch, so steigerte sich dieses Chaos im Zentrum der mollochähnlichen afghanischen Metropole.

Martens strich sich über seine Magengegend. Immer wenn sie das Camp „Warehouse“ verließen, hatte er so ein ungutes Bauchgefühl. Das internationale Camp war, abgesehen von vereinzelten Raketenangriffen der Taliban, sicher. Zwanzigtausend Soldatinnen und Soldaten aus dreiundzwanzig Nationen leisteten hier ihren Dienst. Es war rundherum hermetisch mit Wachposten abgesichert. Einfahrende Versorgungsfahrzeuge wurden mit einem mobilen Röntgengerät kontrolliert und bei Gefahr mit Wurfketten gestoppt. Er verdrängte seine Gedanken und genoss die Mittagssonne an diesem Apriltag und streckte seinen ein Meter zweiundneunzig langen Körper, soweit es der beengte Fahrgastraum zuließ. Die Strecke kannte er bereits sehr gut und sie verlangte ihm nicht viel ab. Fast täglich fuhr er hier entlang.

Martens trat unvermittelt auf das Bremspedal und brachte den „Fuchs“ schlingernd zum Stehen. „Mertens, sind sie verrückt!“, schnauzte sein Beifahrer, Oberst Klaus Hollstein. Der glotzte seinen Fahrer unverständlich an. Martens deutete wortlos auf den humpelnden Bauern, der ohne Vorwarnung seinen Erntekarren auf die Hauptstraße gezerrt hatte. Statt Reue zu zeigen, drohte der mit der Faust und schrie irgendwelche Worthülsen, die Martens jedoch nicht verstand. Nachdem der Oberst seine Unterlagen aus dem Fußraum des Fahrzeuges aufgesammelt hatte, lenkte der Stabsgefreite das Fahrzeug durch enge Seitengassen und umfuhr so die „bäuerliche Straßensperre“. Doch vorher bekam er einen kräftigen Tritt an die Schulter vom Gefreiten Weinhold, der im Turm des Fahrzeuges stand und bei Gefahr das Maschinengewehr bediente. Schließlich hatte er durch den abrupten Bremsvorgang die Staubwolke voll auf Lunge eingeatmet und spürte nun den feinkörnigen Sand zwischen den Zähnen. Vorteilhaft war Weinholds hundertdreißig Kilogramm schwere und mächtige Statur. Dadurch verschloss er fast hermetisch die obere Einstiegsluke, so dass im Innenraum die Luft clean blieb.

Die engen Seitenstraßen, die sie jetzt befuhren, ließen keinen Raum für Ausweichmanöver. Thomas Martens hasste solche Strecken. Bei Hindernissen gab es kein Anhalten, so hatte man es ihm eingetrichtert. Hätte er den kleinen Bauern einfach überrollen sollen. Natürlich nicht! Doch dieser Umweg hatte es in sich. Bloß nicht zum Stehen kommen. Zwei Tage zuvor gab es einen Tandemanschlag. Die Taliban hatten einen Mercedes-Benz-Jeep der Marke „Wolf“ gerammt, dann krachte ein zweites Fahrzeug mit einer Bombe an Bord in die Unfallstelle. Ein deutscher Kamerad war sofort tot, ein weiterer schwerverletzt.

Endlich hatten sie die Hauptstraße wieder erreicht und Martens beschleunigte sein Fahrzeug. Die Häuser am Straßenrand waren wie überdimensionierte Käse durchlöchert. Die russischen Besatzer hatten damals großen Schaden angerichtet. Über Funk kam eine Warnung vom Geheimdienst, dass die Taliban mit einem gelben Toyota-Taxi einen Anschlag verüben könnten. „So ein Mist!“, murmelte Martens vor sich hin. Alle Taxis waren gelb und die meisten waren Toyotas – und es gab eine Menge davon. Martens überzeugte sich im Rückspiegel, ob der zweite TPz mithalten konnte. Schließlich fuhr er sehr zügig. Auch das hatte man ihm damals bei der Einweisung eingebläut. „Hast du GTA gespielt?“, fragte der einweisende Unteroffizier. Als Thomas bejahte, meinte der: „Genauso musst du in Kabul fahren!“

Martens schaute auch in seinen Innenspiegel und bemerkte ein fahles Gesicht mit weit aufgerissenen Augen. Das Augenpaar gehörte dem Grenadier Moltke oder Mottke, genau hatte sich Thomas den Namen nicht gemerkt. Der durfte heute eine „Jukuku – Fahrt“ machen, eine Spaßfahrt sozusagen. Die gab es für Bundeswehrangehörige, die nur im Camp beschäftigt waren und somit nichts von der afghanischen Außenwelt mitbekamen. Nach überstandener Fahrt erhielten alle ein Ärmelabzeichen, dessen gesticktes Emblem einen Kuckuck zeigte. Ja und dieses Kuckucksei in ihrem „Fuchs-Nest“ war diesmal dieser Moltke oder Mottke. Der diente bei den rückwärtigen Diensten und strahlte beim Besteigen des Fahrzeuges über beide Ohren. Jetzt sah sein Gesicht nicht mehr so strahlend aus. Als der Bauer vorhin die Straße blockierte, dachte bestimmt an einen Angriff der Taliban. Doch die griffen höchst selten ein gepanzertes Fahrzeug mitten in der Stadt an. Ihre Spezialität war eher das Verlegen von Minen auf den Straßen außerhalb der Stadt. Bei solch einer Attacke hatte Martens vor vier Wochen seinen besten Freund Lünemann verloren. Die anderen Kameraden des Fahrzeuges hatten es zum Teil schwerverletzt zurück ins Camp geschafft. Die ersten Tage nach diesem Zwischenfall fuhr Mertens seinen TPz wie auf rohen Eiern, wenn das mit einem siebzehn Tonnen schweren Fahrzeug überhaupt geht.

Oberst Hollstein hatte nun seine Unterlagen wieder feinsäuberlich in die Kartentasche verstaut. Er bereitete sich gedanklich auf seine Mission vor. Dies war das bevorstehende Gespräch mit dem Warlord eines Gebietes rund fünfzig Kilometer nördlich von Bagram. Die Bundeswehr hatte die Aufgabe, die Beziehungen zu diesen Warlords aufzubauen, um einen Wiederaufbau Afghanistans zu unterstützen. Reine Kampfhandlungen mit den Taliban blieben den amerikanischen Streitkräften vorbehalten.

Sie verließen das Stadtgebiet von Kabul und das war der Zeitpunkt, dem Oberst Hollstein seinen Spitznamen verdankte. Er kramte wie immer seine „AC-DC“-CD hervor, schob sie in den vorgesehenen Schlund des Wiedergabegerätes und drehte die Lautstärke auf Maximal. Er wechselte zügig den Platz mit Weinhold und stand nun nach den Klängen von „Highway to hell“ grinsend am MG. Das brachte ihm den Spitznamen „Oberst Wechselstrom“ ein. Natürlich wusste er davon, aber damit konnte er leben. Er ließ seine grauen Haare im Wind flattern, obwohl sie zum Flattern viel zu kurz waren. Man munkelte, dass er vor dem Militärdienst schulterlanges Haar trug.

2

 

 

Juliette Chabroll fluchte leise vor sich hin, denn beim umständlichen Suchen ihres Wohnungsschlüssels war der Griff der Plastiktüte gerissen und ihre Einkäufe verteilten sich ungleichmäßig auf dem Treppenabsatz. Reichte es nicht, dass sie die vier Etagen treppauf klettern musste. Der Fahrstuhl aus grauer Vorzeit hatte wieder einmal seinen Geist aufgegeben. Sie sammelte das Baguette und die Joghurtbecher auf und fand den als vermisst geltenden Wohnungsschlüssel dort in der Tasche, wo er immer war. Sie betrat ihr kleines Reich. Ihre Wohnung bestand eigentlich nur aus einem Zimmer mit einer Küchenecke und einem Schlafsofa. Ihr größter Luxus war der kleine Balkon. Hier trank sie an warmen Tagen ihren Frühstückskaffee. Wenn sie abends nicht gar zu spät aus der Redaktion nach Hause kam, auch noch ein Glas Beaujolais. Doch heute hatte sie keinen Geist für ein besinnliches Glas Wein. Schuld daran war die nachmittägliche Auseinandersetzung mit ihrem Chefredakteur. Er hatte sie von der Story abgezogen, für die sie bereits zwei Monate recherchierte. Die Geschichte sei zu lang her und außerdem gibt es nichts zu berichten, worüber es nichts zu berichten gibt. So hatte er Juliette in den fünf Jahren ihrer Zusammenarbeit noch nie behandelt. Als sie trotzig erwiderte, trotzdem weiter an der Geschichte zu arbeiten, baute sich der fast zwei Meter große Chef vor ihr auf und blickte auf die fast einen halben Meter kleinere Juliette böse herab. Dabei hatte Pierre Dulax einen seltsamen Gesichtsausdruck, den sie vorher bei ihm noch nie gesehen hatte. Sie verstand die Welt nicht mehr. Schließlich war sie mit der Familie Dulax sogar außerhalb der Redaktion befreundet. Oft schon hatte sie Babysitter für die beiden Kinder gespielt, wenn ihr Chef mit seinem Frauchen einmal Essen gehen wollte.

Sie entnahm ihrer Handtasche die Aufzeichnungen der letzten Wochen und sortierte die Fotos hinzu. Viel war auf den Fotos, die die Pariser Polizei nach dem Unfall aufgenommen hatte, nicht zu erkennen. Ein Knäuel aus verbogenem Metall und zersplitterten Scheiben, dazwischen kaum erkennbare menschliche Überreste. Sie gehörten dem deutschen Diplomatenehepaar Hans und Lieselotte Martens. Nun ist normalerweise solch ein Unfall im „Le Monde“ höchstens eine Notiz wert, denn Unfälle passieren nun mal. Doch dieser Unfall hatte etwas Spezielles. Kurz nach dem Unfall erhielt sie von ihrem ehemaligen Schulkameraden Paul Bresson einen Anruf. Seit der Schulzeit hatten sie kaum Kontakt, um so verwunderter nahm sie das Gespräch entgegen. Paul tat erst sehr geheimnisvoll, bis er endlich mit der Sprache herausrückte. Er berichtete ihr von seiner derzeitigen Arbeit in einer Autowerkstatt, in der hin und wieder Unfallfahrzeuge durch die Polizei angeliefert werden. Diese werden nach der behördlichen Untersuchung verschrottet. Deshalb war es für Bresson verwunderlich, dass dieses Diplomatenfahrzeug der Familie Martens sofort auf den Schrottplatz sollte. „Wir bekamen einen Anruf angeblich von ganz oben und sollten umgehend das Auto verschrotten“, berichtete Paul Bresson aufgeregt. „Das kam mir komisch vor und so habe ich mir nach Feierabend das Auto mal allein vorgenommen. An dem Schlitten war so gut wie alles manipuliert, um einen Audi A6 auf seine letzte Reise vorzubereiten. Ab Geschwindigkeit achtzig km/h drehte das Gaspedal durch und beschleunigte die Karre immer weiter. Je schneller das Auto wurde, desto weniger funktionierten die Bremsen. So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Das waren Profis der Sonderklasse, die dort herumgewerkelt haben.“

Juliette musste ihm anschließend versprechen, das Gespräch als vertraulich zu betrachten. Er wolle keinen Ärger mit seinem Chef und schon gar nicht mit den Flics.

Das Telefonat hatte Juliette anfänglich irritiert, denn Paul und sie waren in der Schule nicht gerade die besten Freunde. Sie versuchte sich in seine Situation zu versetzen. An wen hätte er sich sonst wenden können, um seinen Verdacht loszuwerden. Die Polizei wusste mehr als sie zugab und sein Werkstattboss war mit dem Polizeichef vom Polizeirevier des fünften Bezirks befreundet. Deshalb erhielt die Werkstatt auch die meisten Unfallfahrzeuge. Also war Juliette für Paul die einzige Möglichkeit, sein Wissen weiterzugeben.

 

3

 

 

Nun lag er schon über vier Stunden in diesem Gestrüpp und die Dornen bahnten sich ihren Weg durch seinen Hosenstoff. Er ignorierte diese Schmerzen, denn schließlich taten ihm seine Ellenbogen viel mehr weh. Doch um unbeobachtet die Vorgänge am Schloss mit dem Fernglas zu verfolgen, machte sich nun mal solch eine liegende Körperhaltung erforderlich. Wieder und wieder setzte Torsten Liebherr das Glas an seine Augen, aber die beiden schwarzen Limousinen mit Berliner Kennzeichen hatten sich bisher nicht bewegt. Auch sonst machte das Schloss den Eindruck, als wäre es menschenleer. Nur der Hausmeister ließ sich einmal bei der Müllentsorgung blicken. Liebherr erkannte ihn sofort an seinem hinkenden Gang und seiner ausgemergelten Figur. Eigentlich sahen alle Bewohner des Schlosses „Hoheneisbach“ ähnlich aus, ob weiblich oder männlich. Vielleicht bekommen sie einfach zu wenig Essen oder müssen zu viel arbeiten. Irgendwo dazwischen musste die Wahrheit liegen, sagte sich Liebherr. Als ehemaliger Polizeichef des Landkreises Mittelsberg kannte er die Hintergründe dieser sektenähnlichen Gemeinschaft. Zwölf bis vierzehn Arbeitsstunden gehörten für die Schlossbewohner zum Alltag. Manche von ihnen schufteten im schlosseigenen Restaurant oder waren im Garten für die Bio-Produkte zuständig. Andere arbeiteten nach wie vor in ihren Jobs als Sparkassenmitarbeiter oder als Angestellte im Öffentlichen Dienst. Den Großteil ihres Einkommens mussten sie jedoch der Schlossherrin, Frau Carmen von Hoheneisbach, abliefern. Dafür hatten sie freie Kost und Logie. Welch ein Privileg! Natürlich hatten alle Bewohner ein Schweigegelübde abgelegt. So konnte die Gemeinschaft bis vor zirka zwei Jahren ihrer Tätigkeit nachgehen, ohne dass jemand davon Kenntnis hatte.

Doch vor fast auf den Tag genau zwei Jahren hatte Liebherr, damals noch Polizeichef, sowie der Landrat aus der Bundeshauptstadt einen Tipp bekommen. Man solle der Familie Hoheneisbach auf die Finger schauen. Nicht umsonst hätten sie bei Nacht und Nebel Berlin verlassen und sind in der Familienresidenz im Landkreis Mittelsberge untergetaucht. Sollte an den Andeutungen auch nur das Geringste wahr sein, so musste gehandelt werden.

Landrat Seichter, ein Politiker aus Baden-Württemberg, der im Osten der Republik sein Glück versuchte und eine politische Karriere anstrebte, rief sofort seinen Stab zusammen. Seichter wollte bedingungslose Aufklärung über die Vorgänge im Schloss Hoheneisbach, zumal die Berliner Kollegen Andeutungen hinsichtlich Kindesmissbrauchs machten. Polizeichef Liebherr und die Jugendamtschefin Vielstetter besuchten gemeinsam das Schloss und befragten die Schlossherrin. Die ließ die Beiden erst einmal eine Stunde warten und nach der sehr unterkühlten Begrüßung führte sie die Besucher durch die Gemäuer. Es gab mehrere Schlafzimmer für eine beziehungsweise zwei Personen, einen Speiseraum für rund zwanzig Personen, einen Beratungsraum und diverse Arbeitsräume. Im Untergeschoss befand sich ein Restaurant mit ungefähr dreißig Sitzplätzen. Die Schlossherrin zeigte nicht ohne Stolz die dazugehörigen Küchenräume. Liebherr bemerkte wohl, dass einige Türen für sie verschlossen blieben. Aber ohne richterlichen Beschluss war hier nichts zu machen.

Eine Woche später wurde dieser Besuch im Landratsamt ausgewertet. Man spürte die Unzufriedenheit des Landrates. Schließlich hatte er selbst drei Kinder und seine Einstellung zu Kindeswohl war alles andere als politisches Kalkül. Das Jugendamt wurde beauftragt, nochmals mit den Berliner Amtskollegen in Kontakt zu treten, um bessere Informationen zu erhalten. Man trennte sich an diesem Spätnachmittag mit dem einhelligen Willen, die Zustände im Schloss „Hoheneisbach“ aufzuklären. Koste es, was es wolle.