Alea iacta est - Peter P. Eckstein - E-Book

Alea iacta est E-Book

Peter P. Eckstein

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Beschreibung

Der Würfel ist gefallen Erstaunliches, Faszinierendes, Skurriles und mitunter auch Mystisches rund um diesen besonderen Spielwürfel zeigt der Autor dem Leser in diesem Buch. Auf dessen sechs Seiten sind keine Augenzahlen, sondern die neutrale Zahl Null, die natürliche Zahl Eins, die irrationale Zahl Phi, die irrationalen Zahlen e und Pi sowie die imaginäre Einheit i vermerkt. Allein anhand der sechs auf diesen ungewöhnlichen Spielwürfel vermerkten Zahlen wird also eine Vielzahl von numerischen Erscheinungsbildern angeboten. Der interessierte Leser muss bei diesen Abhandlungen nicht befürchten, einen schwerverdaulichen Zahlensalat kauen und schlucken zu müssen. Im Gegenteil: Er wird mitunter erstaunt sein, wie vielfältig und faszinierend das Zusammenspiel dieser sechs Zahlen allein in alltäglichen Phänomen und praktischen Anwendungen ist. Die paradigmatischen Betrachtungen umspannen ein weites Wissensfeld, das von mathematischen über statistische, historische, literarische, musikalische, kunstgeschichtliche und sprachwissenschaftliche bis hin zu etymologischen Notizen reicht. Es steht dabei außerhalb jeglichen Zweifels, dass die vermerkten konzertanten Auftritte des Zahlensextetts wiederum nur einen Auszug aus einem schier unerschöpflichen Fundus darstellen.

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Prof. em. Dr. habil. Peter P. Eckstein lehrte bis 2016 am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der HTW Berlin Statistik, Ökonometrie und Empirische Wirtschaftsforschung

Vorwort

Es ist an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft seit nunmehr bereits fünfzehn Jahren eine ehrwürdige und erwartungsgeladene Tradition geworden, jeweils zum Ausklang eines Kalenderjahres sowohl Studierende (die zumindest dem lateinischen Wortursprung nach Wissbegierige sind) als auch interessierte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in das Auditorium Maximum zur sogenannten Weihnachtsvorlesung einzuladen (und stets auch zahlreich begrüßen zu dürfen). Institution und Intention einer sogenannten Weihnachtsvorlesung bestehen vor allem darin, „einmal über den Tellerrand der klassischen und fachbezogenen akademischen Lehre hinaus zu schauen“ und Themen anschaulich aufzugreifen, die entweder von aktueller und/oder gesellschaftlicher Relevanz sind oder einem allgemeinbildenden Ansatz folgen.

Ein bildungsorientierter Ansatz war auch das Leitmotiv für die Weihnachtsvorlesung 2015, die zugleich meine Abschiedsvorlesung an meiner Alma Mater Berolinensis war, an der ich dreiundzwanzig Jahre lehren und forschen durfte. Der mit dem Titel des vorliegenden Essays identische und gewiss nicht alltägliche Vorlesungstitel bediente sich der mehrdeutig interpretierbaren Metapher von einem „Würfel, der endgültig gefallen ist“. Den theoretischen Hintergrund bildete ein Spielwürfel, auf dessen sechs Seiten keine Augenzahlen, sondern die neutrale Zahl Null, die natürliche Zahl Eins, die irrationale Zahl Phi, die irrationalen und transzendenten Zahlen e und Pi sowie die imaginäre Einheit i vermerkt sind. Allein anhand der sechs auf diesem ungewöhnlichen Spielwürfel vermerkten Zahlen wurde eine Vielzahl von numerischen Erscheinungsbildern angeboten, die allgemein Bekanntes, Lehrreiches, Wissenswertes, Bemerkenswertes, Erstaunliches, Faszinierendes, Skurriles und mitunter auch Mystisches augenscheinlich werden lassen. Das einhellige Votum des wissensdurstigen und hochgradig neugierigen Auditoriums kulminierte in der inständigen Bitte, diese Fülle an Informationen in einer essayistischen und „schwarz auf weiß“ gedruckten Form bereitzustellen, um ein nochmaliges Nachschlagen und Nachlesen zu ermöglichen. Dies ist hiermit geschehen.

Im Kontext der essayistischen Abhandlungen stehen im ersten Kapitel Betrachtungen eines gewöhnlichen Spielwürfels im Vordergrund. Das zweite Kapitel widmet sich der Darstellung und Erläuterung der auf dem ungewöhnlichen und magisch wirkenden Hexaeder vermerkten sechs Zahlensymbole. Darin eingeschlossen sind neben einer elementaren Darstellung mathematischer und statistischer Sachverhalte vor allem historische Notizen und Wortursprungserklärungen. Das dritte Kapitel, das mit dem Titel „Konzertante Auftritte eines Zahlensextetts“ überschrieben ist, bildet das Kernstück der essayistischen Abhandlungen. Dabei werden die sechs Zahlen in ihrem konzertanten Zusammenwirken auf unterschiedlichen Ebenen und praktischen Sachverhalten näher beleuchtet. Der interessierte Leser muss bei diesen Abhandlungen nicht befürchten, einen „schwerverdaulichen Zahlensalat kauen und schlucken“ zu müssen. Im Gegenteil: Er wird mitunter erstaunt sein, wie vielfältig und faszinierend das Zusammenspiel dieser sechs Zahlen allein in alltäglichen Phänomen und praktischen Anwendungen ist. Die paradigmatischen Betrachtungen umspannen ein weites Wissensfeld, das von mathematischen über statistische, historische, literarische, musikalische, kunstgeschichtliche und sprachwissenschaftliche bis hin zu etymologischen Notizen reicht. Es steht dabei außerhalb jeglichen Zweifels, dass die vermerkten „konzertanten Auftritte des Zahlensextetts“ wiederum nur einen Auszug aus einem schier unerschöpflichen Fundus darstellen.

In diesem Zusammenhang gilt mein besonderer Dank meiner geliebten Gattin, die nicht nur die einzelnen zahlenbezogenen Betrachtungen stets „kritisch beäugen“, sondern auch meine „geistige Abwesenheit“ im Zuge der Ausfertigungen ertragen musste. Gleichsam zu einem herzlichen Dank verpflichtet bin ich Herrn Dr. Jürgen SCHECHLER für die Betreuung des vorliegenden Buches seitens des UVK Verlages sowie meinen verehrten Kolleginnen und Kollegen, die mit mir gemeinsam in jüngster Vergangenheit stets zuverlässig und selbstlos den akademischen Alltag meisterten. Es sind dies die Damen Professor Dr. Monika KUMMER, Professor Dr. Irina PENNER, Professor Dr. Brigitte CLEMENS-ZIEGLER, Diplom-Kauffrau Ramona VOSHAGE, Stud. oec. Michela CICISMONDO sowie die Herren Dr. habil. Manfred MOCKER, Dr. Gerhard BUROW, Dr. Jilla SIASSI, Diplom-Wirtschaftsinformatiker Frank STEINKE, Professor Dr. Friedrich HARTL, Professor Dr. Rudolf SWAT, Professor Dr. Tilo WENDLER, Professor Dr. Wilhelm SCHMEISSER, Professor Dr. Wolfgang SINGER, Professor Dr. Ronald PÖRNER und Professor Dr. Peter SCHWARZER.

Inwieweit allerdings der vorliegende Essay im wahren Sinn des Wortes eine Abhandlung in knapper, geistvoller und allgemeinverständlicher Form darstellt, bleibt dem kritischen Urteil des interessierten Lesers überlassen. Zumindest war es die Intension des Verfassers.

Für meine Enkelsöhne Max und Johannes

Schönwalde, Oktober 2016

Peter P. ECKSTEIN

Inhalt

Vorwort

Betrachtungen eines gewöhnlichen Spielwürfels

1.1 Elementare geometrische Einblicke

1.2 Die Augenzahlen und ihre exakten Geheimisse

1.3 Ein ungewöhnliches Geschenk

Ein magisches Hexaeder

2.1 Die neutrale Zahl Null

2.2 Die natürliche Zahl Eins

2.3 Phi, die Zahl des goldenen Verhältnisses

2.4 Die Eulersche Konstante e

2.5 Die Kreiszahl π

2.6 Die imaginäre Einheit i

Konzertante Auftritte eines Zahlensextetts

3.1 Numerische Soli

Null-Soli

Soli der Zahl des goldenen Verhältnisses

3.2 Numerische Duette

Null-Eins-Arithmetik

Standardisierung als Null-Eins-Duett

Anteilsbetrachtungen als Null-Eins-Duette

Wahrscheinlichkeit als ein reellwertiges Null-Eins-Maß

Binärcode als ein Null-Eins-Duett

Phi-Arithmetik

Exponentialfunktion im 1-e-Spiegelbild

Bivariate Korrelation und Regression

Faktorenanalyse mit klangvollem Null-Eins-Finale

3.3 Numerische Terzette

Trigonometrische Betrachtungen am Einheitskreis

Satz des Pythagoras und Euklidischer Abstand

Andrews-Plots als Basis clusteranalytischer Betrachtungen

Inverse Funktion als ein faszinierendes 0-1-e-Terzett

Zeitreihenanalytische Betrachtungen und gedämpfte Oszillation

3.4 Numerische Quartette

Die exakten Geheimnisse einer Normalverteilung

Irrationalität und Transzendenz im Eins-Quadrat

Hängende Ketten und hyperbolische Funktionen

3.5 Numerische Quintette

Eulersche Formel

Komplexe Zahlenebene

3.6 Numerische Sextette

Multiplikative Identität

Diskrete Gleichverteilung

Chi-Quadrat-Anpassungstest auf eine Gleichverteilung

Ein numerischer Absacker

Pareto-Diagramm

Epilog

Index

1 Betrachtungen eines gewöhnlichen Spielwürfels

1.1 Interessante geometrische Einblicke

Ein Bild ersetzt mitunter viele wohlgesetzte Worte: In Anlehnung an die Abbildung 1 stelle man sich einmal vor, ein „alter Germane“ würfe einen solchen eckigen Stein.

Abb. 1: Würfeln

Beachtenswert sind in diesem Kontext zwei Notizen: Zum einen lässt sich in der deutschen Sprache das Verbum „würfeln“ als Tätigkeitswort aus dem Verbum „werfen“ herleiten, da der Konjunktiv II von „werfen“ mit „würfe“ zu vermerken ist. Zum anderen wird der geworfene und mit eingekerbten Augen gekennzeichnete eckige Stein umgangssprachlich mit dem Etikett eines Spielwürfels versehen und in der sogenannten Stereometrie der in der Abbildung 2 plakatierten Familie der fünf sogenannten regulären Polyeder zugeordnet.

Abb. 2: Die fünf regulären Polyeder

In der Stereometrie, die gemäß ihrem griechischen Wortursprung die Lehre von der Messung und Berechnung von Körpern ist, kennzeichnet man die fünf regelmäßigen Vielflächner auch als platonische Polyeder, da sie zum einen von regelmäßigen und deckungsgleichen vieleckigen Flächen begrenzt werden und zum anderen an jeder Ecke gleichviele Kanten zusammentreffen.1

Abb. 3: Spielwürfel

Aufgrund dessen, dass analog zur Abbildung 3 ein gewöhnlicher Spielwürfel durch sechs kongruente und quadratische Flächen getragen wird, kennzeichnet man ihn in Anlehnung an das Griechische hex für „sechs“ und herda für „Fläche“ als ein Hexaeder, das als ein Sechsflächner zudem noch acht Ecken, in denen jeweils drei kongruente Quadrate zusammentreffen, und zwölf Kanten von jeweils gleicher Länge besitzt.

In diesem Zusammenhang erweist sich ein kurzer Blick auf die Briefmarke innerhalb der Abbildung 4 als interessant.

Abb. 4: Polyederformel

Es war im Jahr 1983, als die Post der DDR im Wert von 20 Pfennigen eine Briefmarke in Erinnerung an das 200 Jahre zurückliegende Todesjahr des bedeutenden Mathematikers Leonhard EULER (*1707, †1783) herausgab. Neben der geometrischen Figur eines Ikosaeders als ein Zwanzigflächner ist auf der Briefmarke die leicht zu übersehende Gleichung

vermerkt, die zu Ehren von EULER auch als Eulersche Polyederformel oder als Eulerscher Polyedersatz bezeichnet wird, gleichwohl vermutlich schon der legendäre Mathematiker der griechischen Antike ARCHIMEDES von Syrakus (*ca. 287 v.Chr., † 212 v.Chr.) und mit Gewissheit der französische Mathematiker René DESCARTES (*1596, †1650) den sogenannten Polyedersatz gekannt haben.2 Demnach gilt für platonische oder reguläre Polyeder die folgende Regel: Anzahl der Ecken e minus Anzahl der Kanten k plus Anzahl der Flächen f ist gleich zwei.

Gemäß Abbildung 3 gilt für ein regelmäßiges Hexaeder in Gestalt eines gewöhnlichen sechsseitigen Spielwürfels

Die Polyederformel kann man sich auch anhand der restlichen vier regelmäßigen Vielflächner verdeutlichen. Während für ein Tetraeder als einen Vierflächner

gilt, gelangt man für ein Oktaeder als einen Achtflächner wegen

für ein Pentagondodekaeder in Gestalt eines Zwölfflächners wegen

und für ein Ikosaeder im Erscheinungsbild eines Zwanzigflächners wegen

stets zu einem gleichen Resultat. In Erinnerung an die eigene Gymnasialzeit hätte der „Mathepauker“ die fünf auf der Polyederformel beruhenden Berechnungen noch mit der Abkürzung q.e.d. geschmückt, die gemäß dem Lateinischen quod erat demonstrandum für den finalen Kommentar „was zu zeigen war“ steht.

1 Zu den fünf regemäßigen Körpern oder Vielflächnern, die vermutlich in Würdigung des griechischen Philosophen PLATON (* 427 v.Chr., † 348/347 v.Chr.) auch als platonische Polyeder bezeichnet werden, gehören das Tetraeder als ein Vierflächner, das Hexaeder als ein Sechsflächner, das Oktaeder als ein Achtflächner, das Pentagondodekaeder als ein Zwölfflächner sowie das Ikosaeder als ein Zwanzigflächner. Vgl. Kleine Enzyklopädie Mathematik, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1977, 8.5 Polyeder, Seite 211 ff und Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Leipzig, Mannheim 2006, Band 21, Seite 558 ff

2 Vgl. Kleine Enzyklopädie Mathematik, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1977, 8.5 Polyeder, Seite 212

1.2 Die Augenzahlen und ihre exakten Geheimisse

Einen weiteren und nicht minder interessanten Einblick in die exakten Geheimnisse eines gewöhnlichen Spielwürfels gewährt das Ensemble der eingekerbten Augen, welche als „Augenmengen“ analog zur Abbildung 5 mit Hilfe der natürlichen Zahlen von eins bis sechs dargestellt und beschrieben werden können.

Abb. 5: Augen(an)zahlen

Beachtenswert ist dabei, dass die innerhalb der Abbildung 5 angebotene Zuordnung der ersten sechs natürlichen Zahlen auf die sechs kongruenten bzw. deckungsgleichen Flächen in Gestalt von sechs Quadraten nur eine von insgesamt 720 möglichen Anordnungen darstellt.

Im Blickwinkel der Kombinatorik, die gemäß ihrem lateinischen Wortursprung die Lehre von der Zusammenstellung von Elementen ist, kann die Anzahl der möglichen Augenzahlanordnungen als eine Permutation von sechs Elementen ohne Wiederholung dargestellt werden, wobei im konkreten Fall

gilt.3 Die verkürzende Notation 6! (lies: 6 Fakultät) in Gestalt des Produkts der natürlichen Zahlen von eins bis sechs geht auf den französischen Mathematiker Christian KRAMP (*1760, †1826) zurück.

Würde man analog zur Abbildung 5 die plakatierte Augenzahlzusammenstellung in Gestalt eines sogenannten Flächennetzes mit einer Schere ausschneiden und die erhaltene Vorlage zusammenfalten, erhielte man ein Hexaeder mit einer beachtenswerten Anordnung der Augenzahlen, die der Anschaulichkeit halber in der Abbildung 6 bildhaft dargestellt ist.

Abb. 6: Augenpaarsummen

Die drei Augenzahlpaare (1; 6) und (2; 5) sowie (3; 4) symbolisieren jeweils zwei sich auf der gegenüberliegenden Seite des Spielwürfels eingekerbte Augenzahlen, deren Summe jeweils sieben ergibt. Jedes Augenzahlpaar ist dabei ein Zahlenbündel, das aus einer ungeraden und einer geraden natürlichen Zahl besteht. In der Mathematik heißen natürliche Zahlen gerade, wenn sie ohne Rest durch zwei teilbar sind. Ansonsten heißen sie ungerade. Der Volksmund würde diesen Tatbestand vermutlich und lakonisch wie folgt verlauten lassen: So wie sich im normalen Leben ein Männlein mit einem Weiblein paart, so paart sich auf einem gewöhnlichen Spielwürfel eine ungerade mit einer geraden Augenzahl.

Dass die Summe aller sechs Augenzahlen eines gewöhnlichen Spielwürfels wegen ergibt, ist offensichtlich und leicht nachvollziehbar.

Was beim Betrachten der Abbildung 6 vermutlich nicht sofort augenscheinlich wird, ist ein faszinierendes und allgemeingültiges Konstruktionsprinzip, das dem bedeutenden deutschen Mathematiker Carl Friedrich GAUß (*1777, †1855) zugeordnet wird und daher in der Mathematik auch unter dem Begriff „Gaußsche Summenformel“ firmiert.

Der Legende nach soll ausgangs des 18. Jahrhunderts im ärmsten Viertel der Stadt Braunschweig im Herzogtum Hannover ein gern prügelnder Schullehrer namens BÜTTNER seinen Schülern am liebsten Rechenaufgaben gestellt haben, an denen sie lange arbeiten mussten und die kaum ohne Fehler zu lösen waren, so dass es zum Schluss einen Anlass gab, den Schlagstock hervorzuholen, da ihm das Zuschlagen Spaß machte. Eine dieser Aufgaben bestand darin, die Zahlen von eins bis einhundert zusammenzuzählen. Zu des Lehrers Entsetzen soll nach gerade einmal drei Minuten der kleine und schüchterne Schüler GAUß mit seiner Schiefertafel, auf der nur eine einzige Zeile geschrieben war, vor dem Lehrerpult gestanden haben: „50 mal 101 macht 5050“.4

Abb. 7: Fünfzig mal einhunderteins

Einmal unterstellt, dass in Anlehnung an die Abbildungen 6 und 7 der kleine GAUß auf seiner Schiefertafel lediglich drei Zahlenzeilen vermerkt hätte, indem er einfach in der ersten Zeile die natürlichen Zahlen von eins bis fünfzig und in der zweiten Zeile in umgekehrter Richtung, also von rechts nach links, die natürlichen Zahlen von einundfünfzig bis einhundert notiert hätte, dann wird augenscheinlich, dass deren spalten- und paarweise Summation stets das in der dritten Zeile vermerkte Ergebnis von einhunderteins liefert, so dass sich das Endergebnis auf fünfzig (bzw. hundert Halbe) mal hunderteins gleich fünftausendfünfzig beläuft.

Spätestens an dieser Stelle leuchtet die nachfolgend notierte und allgemein übliche Darstellung der Gaußschen Summenformel

ein, wobei n eine beliebige natürliche Zahl und S die Summe der natürlichen Zahlen von 1 bis n symbolisieren.

die Summe der ersten hundert natürlichen Zahlen fünftausendfünfzig.

3 Eine elementare und paradigmatische Einführung in die Kombinatorik findet man unter anderem bei ECKSTEIN, Peter P.: Repetitorium Statistik, Deskriptive Statistik – Stochastik - Induktive Statistik, 8., aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer Gabler Wiesbaden 2014, Seite 176 ff.

4 Vgl. KEHLMANN, Daniel: Die Vermessung der Welt, Roman, Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg 2005, Kapitel „Der Lehrer“, Seite 53 ff

1.3 Ein ungewöhnliches Geschenk

Der interessierte Leser wird bereits an dieser Stelle die Vermutung nicht los, dass mit den bisher angebotenen elementaren mathematischen Einblicken die Mannigfaltigkeit von Spielwürfelbetrachtungen bei weitem noch nicht erschöpft ist.

Bereits eine flüchtige Betrachtung der Abbildung 8 bekräftigt die vage und mit dem Stoßseufzer „bloß nicht“ akustisch verstärkte Vermutung.

Abb. 8: Ein ungewöhnlicher Spielwürfel

In Erinnerung an die Abbildung 1 stelle man sich nunmehr vor, ein „alter Germane“ würfe (historisch zweifelhaft und nicht plausibel begründbar, dafür aber vermutlich biertrunken) einen solchen eckigen Stein, der ein kleines und doch so interessantes Geschenk „vom Töchterchen für‘s Väterchen“ war.

Dieser ungewöhnliche und in einem ersten Augenblick magisch erscheinende Spielwürfel, der auch mit den Etiketten „Mathewürfel“ oder „Math-Dice“ versehen und angeboten wird, soll in Anlehnung an das biblische Gleichnis vom „köstlichen Eckstein“ nunmehr den markanten und „tragenden Grundstein“ der weiteren essayistischen Abhandlungen bilden.5

Betrachtet man den in der Abbildung 8 plakatierten Sechsflächner mit all seinen symbolhaft etikettierten Flächen etwas näher, dann erscheint im Hinblick auf das zweite Kapitel die indizierte Kapitelüberschrift vom „magischen Hexaeder“ durchaus als gerechtfertigt, zumal etwas Magisches seinem griechischen Wortursprung gemäß ein geheimnisvolles und zauberhaftes Etwas kennzeichnet.

Im Unterschied zu einem gewöhnlichen Spielwürfel werden bei diesem ungewöhnlichen Sechsflächner die sechs quadratischen Flächen nicht mit sechs verschiedenen Augenanzahlen, sondern mit sechs verschiedenen Symbolen geschmückt:

mit dem Symbol 0 zur Kennzeichnung der neutralen Zahl Null.

mit dem Symbol 1 zur Kennzeichnung der ersten und kleinsten natürlichen Zahl Eins.

mit dem Symbol φ zur Kennzeichnung der irrationalen Zahl des goldenen Verhältnisses Phi.

mit dem Symbol e zur Kennzeichnung der irrationalen und transzendenten Eulerschen Zahl e.

mit dem Symbol π zur Kennzeichnung der irrationalen und transzendenten Kreiszahl Pi.

und schlussendlich mit dem Symbol

i

zur Kennzeichnung der sogenannten imaginären Einheit.

Zumindest ist damit vorerst einmal geklärt, was in einem wahren Sinn des Wortes die „schwarz auf weiß“ auf dem sechsseitigen und ungewöhnlich erscheinenden Spielwürfel vermerkten Symbole im Einzelnen kennzeichnen.

Vor allem im Hinblick auf erhaltene Geschenke hat der Volksmund eine Empfehlung parat, die sich mitunter, aber nicht immer als hilfreich erweist: „Einem geschenkten Gaul guckt man nicht in´s Maul.“ Doch hier ist analog zur Abbildung 8 im Sinne einer explorativen, also einer erforschenden und ergründenden Betrachtung genau das Gegenteil geboten: Sich auf der Suche nach überzeugenden und erhellenden Antworten auf die Frage, welche exakten und zugleich faszinierenden Geheimnisse hinter diesen Symbolen verborgen liegen, sogar einer Lupe zu bedienen.

Dabei stehen neben historischen Notizen und etymologischen6 Hinweisen vor allem elementare mathematische und statistische Erläuterungen sowie anschauliche praktische Anwendungen im Vordergrund der essayistischen Abhandlungen. Dass die angebotenen Abhandlungen nur als punktuelle Betrachtungen eines weiten und schier unbegrenzten Feldes angesehen werden können, liegt dabei auf der Hand und bedarf eigentlich keines weiteren Kommentars.

5 „Darumb spricht der Herr HERR, Sihe, Ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewerten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wol gegründet ist, Wer gleubt, der fleugt nicht.“, in: LUTHER, Martin: Bibel „Die gantze heilige Schrifft“, Der komplette Originaltext von 1545 in modernem Schriftbild, Band 2, Der Prophet Jesaia, Psalm XXVIII, 16, Seite 1210.

6 Die angebotenen Wortursprungserklärungen beruhen auf WAHRIG, Gerhard: Deutsches Wörterbuch, 6., neu bearbeitete Auflage, Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln, Bertelsmann Lexikon Verlag Gütersloh 1997

2 Ein magisches Hexaeder

Auf einen ersten Blick hin wird man die nachfolgenden und im Sinne eines Prologs einführenden und anregenden Worte vermutlich als eigenartig und theatralisch zugleich deuten. Wenn dies so ist, haben sie ihren Zweck erfüllt.

In Anlehnung an die Studierzimmerszene im „Faust – Der Tragödie ersten Teil“ des sprachgewaltigen Genius der deutschen Dichtkunst Johann Wolfgang von GOETHE (*1749, †1832) soll einmal der folgende modifizierte Dialog zwischen Faust und Mephistopheles stattfinden:7

Mephistopheles.

Gesteh´ ich´s nur, dass ich hinausspaziere,

Verbietet mir ein kleines Hindernis,

Der Würfel dort auf Eurer Schwelle …

Faust.

Das Hexaeder macht Dir Pein?

Ei, sage mir, du Sohn der Hölle,

Wenn das dich bannt,

wie kann das sein?

Doch warte! Zu deinem Trost gesteh´ ich Dir,

wahrlich, da bist Du nicht allein!

Zumindest hat man mit der Metapher vom ungewöhnlichen Spielwürfel und vom magischen Hexaeder eine originelle und nachvollziehbare Begründung für die Kapitelüberschrift gefunden.

7 Bei GOETHE steht kein Würfel, sondern ein Drudenfuß, auch Pentagramma genannt, in Gestalt eines fünfzackigen Sterns im Zentrum des originären Dialogs:

Mephistopheles.

Gesteh´ ich´s nur, dass ich hinausspaziere,

Verbietet mir ein kleines Hindernis,

Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle …

Faust.

Das Pentagramma macht Dir Pein?

Ei, sage mir, du Sohn der Hölle,

Wenn das dich bannt,

Wie kamst du denn herein?

Vgl. Goethe - Faust, Der Tragödie erster und zweiter Teil, Urfaust, Herausgegeben und kommentiert von Erich Trunz, 16., überarbeitete Auflage, Verlag C. H. Beck München 1996, Studierzimmerszene, Seite 48 ff.

2.1 Die neutrale Zahl Null

Die nachfolgenden Betrachtungen im Kontext dieses Kapitels können als eine kurzgefasste Laudatio auf eine omnipräsente und dabei oft verkannte sowie missachte Zahl interpretiert werden.

Allein in unserer Alltagsprache wird zum Beispiel mit der Redewendung „null und nichtig“ die Zahl Null als „Maß des Nichts“ eher herablassend als würdigend erwähnt. Und dies, wie sich zeigen wird, zu Unrecht.

Nicht umsonst wird analog zu den Abbildungen 8 und 9 der Zahl Null auf dem in Rede stehenden und aus mathematischer Sicht elitär anmutenden Hexaeder eine eigene Fläche eingeräumt und zugewiesen.

Abb. 9: Null

Selbst in äußerst interessanten und notablen Essays und Büchern werden die historischen und exakten Geheimnisse der Zahl Null sowohl faszinierend als auch würdigend dargestellt und erhellt.8

Allerdings ist aus historischer Sicht das Erscheinungsbild der Zahl Null als der Ziffer bzw. der Zahl des Nichts mitunter verwirrend und nur bedingt belegbar.

Im Blickwinkel der Geschichte der Zahl Null sollen einmal nur zwei Persönlichkeiten eine würdigende Erwähnung finden: zu einen der choresmische Universalgelehrte Muhammed Ibn Musa AL-CHWARIZMI (*um 780, †um 850) und zum anderen der italienische Kaufmann Leonardo FIBONACCI (*um 1175, †1241).

Es war im Jahr 1983 als die sowjetische Post anlässlich des (historisch nicht verbrieften) 1200-jährigen Geburtsjubiläums von Muhammed AL-CHWARIZMI die in der Abbildung 10 dargestellte Briefmarke im Wert von vier Kopeken herausgab.

AL-CHWARIZMI, der seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in arabischer Sprache schriftlich fixierte, gab mit dem arabischen Begriff as-sifre in seiner wörtlichen Übertragung als „das Leere“ nicht nur der Zahl Null, sondern auch mit dem Begriff al-dschebr in seiner Übersetzung „getrennte Teile verbinden“ der Algebra ihren Namen, die auch als Buchstabenrechnung bezeichnet werden kann. Zudem ist der Ursprung des Wortes Algorithmus im Sinne einer buchstaben- und symbolhaften Rechenvorschrift im Namen des Universalgelehrten zu finden.

Abb. 10: „AL-CHWARIZMI“

Aus dem Arabischen as-sifre ist wiederum der lateinische Begriff zephirus entlehnt, der eine Ziffer als ein Leerzeichen kennzeichnet, woraus sich sowohl das französische Wort zeró als auch das englische Wort zero für die Zahl Null erklären lassen. Das deutsche Zahlwort null ist dem Lateinischen nullus bzw. dem Italienischen nulla entlehnt, die wörtlich mit keinerlei bzw. nichts übersetzt werden können. Angesichts der Abbildung 9 gilt es hier noch als eine interessante Randglosse zu vermerken, dass das ovale Symbol „0“ für die Zahl Null in seiner Form mit dem ersten Buchstaben des griechischen Wortes oudén in seiner Übersetzung mit dem „Nichts“ übereinstimmt.

Leonardo FIBONACCI, dessen eigentlicher Name Leonardo von Pisa war und der als Sohn des Bonacci in einer verkürzten Notation von Filius Bonacci den Beinamen Fibonacci erhielt, wird im Unterschied zu den mittelalterlichen Wissenschaften heutzutage als ein Überbringer der indisch-arabischen Zahlen im Allgemeinen und des Rechnens mit Dezimalzahlen im Speziellen sowie der Zahl Null in die abendländische Kultur gewürdigt.

Die Abbildung 11 enthält eine phantasievoll gestaltete Statue, die sich im Kreuzgang des historischen Friedhofes Camposanto in Pisa befindet und dort mit der Inschrift A Leonardo Fibonacci Insigne Matematico Pisano del Secolo XII zu Ehren „des berühmten Pisaner Mathematikers des 12. Jahrhunderts“ versehen ist. Die Abbildung wurde zudem noch durch die nach ihm benannte Fibonacci-Zahlenfolge in Gestalt einer Muschelspirale ergänzt.

FIBONACCI reiste ausgangs des 12. Jahrhunderts als Kaufmann durch Sizilien, Ägypten, Syrien und Griechenland. Alle seine durch vergleichende Beobachtungen erheischten Erkenntnisse eines vorteilhaften Rechnens mit arabischen Zahlen, die wiederum auf dem sogenannten Dezimalsystem basierten, fasste er in einem Buch mit dem Titel Liber Abaci, Buch des Abakus, zusammen.

Abb. 11: Fibonacci-Statue mit Fibonacci-Zahlen

Einem Mathematiker gleich kreiert er unter anderem im Bestreben, die Vermehrung von Hasen unter idealisierten Bedingungen mit Hilfe von arabischen Zahlen rechnerisch zu beschreiben, die nach ihn benannte und in der Abbildung 11 als eine Muschelspirale plakatierte Zahlenfolge, welche im gegebenen Fall die Zahl Null zum Ausgangspunkt hat und wegen

die Summe zweier benachbarter natürlicher Zahlen stets die nächstfolgende natürliche Zahl in der sogenannten Fibonacci-Zahlenfolge ergibt.9

Doch der Siegeszug des Rechnens mit Dezimalzahlen und einer damit verwobenen Anerkennung der Zahl Null erwies sich im Blickwinkel der abendländischen Geschichte als zäh und holprig. Ohne den Ausführungen im Kontext des Kapitels 2.2 vorzugreifen, sei angesichts der Abbildung 12 an dieser Stelle einmal nur vermerkt, dass im Gefüge der römischen Zahlen, die bei den „alten Römern“ und im Mittelalter als die übliche Basis des Zählens und Rechnens omnipräsent waren, kein Zeichen für das Nichts und daher auch keine Zahl Null existierte.

Abb. 12: Römische Zahlen

Dass dieser scheinbar simple Sachverhalt nicht nur zu rechnerischen Irritationen, sondern auch zu blasphemischen Interpretationen führte, soll anhand Abbildung 13 kurz erläutert werden. Das Adjektiv blasphemisch kann gemäß dem Griechischen blasphemia, der Lästerung, in diesen Zusammenhang durchaus auch mit „gotteslästernd“ übersetzt werden.

Es war im Jahr 1982, als analog zur Abbildung 13 die Deutsche Bundespost eine Briefmarke im Wert von 60 Pfennigen in Erinnerung an das 400-jährige Jubiläum zur Einführung des sogenannten Gregorianischen Kalenders in Umlauf setzte.10

Man schrieb nach der heute noch gültigen und verbindlichen Zeitrechnung das Jahr 1582 in der damals üblichen Art und Weise MDLXXXII mit Hilfe römischer Zahlen, als Papst Gregor XIII, der Dreizehnte, nach langen Mühen mit einer Bulle den nach ihm benannten Gregorianischen Kalender als die „neue Zeitrechnung“ dekretieren, also „päpstlich verordnen“ ließ.

Beachtenswert ist dabei, dass im Gregorianischen Kalender gemäß der päpstlichen Festlegung anni ab incarnatione domini die „Kalenderjahre ab der Geburt Jesu Christi“ gezählt werden und mit dem Fixum