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Zwei Bestseller von Alexander Groth im exklusiven E-Book-Bundle Für alle, die Führung neu denken wollen: Dieses Bundle vereint zwei der erfolgreichsten Werke von Alexander Groth – »Der Chef, den ich nie vergessen werde« (3. Auflage, 2023) und »Führungsstark im Wandel« (4. Auflage, 2023). Inspirierend, praxisnah und voller klarer Impulse für wirksame Führung – ob in stabilen Zeiten oder im Wandel. Ein Muss für Führungskräfte und alle, die Alexander Groths einzigartige Mischung aus Tiefgang und Verständlichkeit schätzen.
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Seitenzahl: 690
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Impressum
Dieses E-Book ist erhältlich als:
ISBN 978-3-593-45859-5 E-Book (EPUB)
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Zwei Bände:
Der Chef, den ich nie vergessen werde. Wie Sie Loyalität und Respekt Ihrer Mitarbeitenden gewinnen © 2023, 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Campus Verlag
Führungsstark im Wandel. Change Leadership für das mittlere Management © 2023, 4. vollständig überarbeitete Auflage, Campus Verlag
Umschlaggestaltung EBundle: Marlen Frieling
Umschlaggestaltung der Print-Ausgaben: total italic, Thierry Wijnberg, Amsterdam/Berlin
www.campus.de
Campus Verlag®
Alexander Groth
Führungsstark im Wandel
Change Leadership für das mittlere Management
Mit 26 Zeichnungen von Thomas Plaßmann
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Change-Prozesse werden im Topmanagement geboren – mit den Mitarbeitern umsetzen müssen die Maßnahmen aber die mittleren Führungskräfte. Praxisnah, alltagstauglich und schnörkellos trifft Führungsexperte Alexander Groth die neuralgischen Punkte des Change Managements und zeigt, wie Wandel erfolgreich nach unten umgesetzt werden kann. Jetzt vollständig überarbeitet mit neuen Kapiteln und erstmals auch als Hörbuch erhältlich.
Für Anton, Maximilian und Tanja – die der wunderbarste Wandel in meinem Leben sind.
Über das Buch
Inhalt
Vorwort — Die Situation von Führungskräften im Wandel
1.
Die Flutwelle des Wandels — So kommt es zu immer mehr Wandel in immer kürzeren Abständen
Der technologische Fortschritt verläuft exponentiell
Megatrends beeinflussen Ihr berufliches Umfeld
Change Leadership spielt in Zukunft eine Schlüsselrolle
2.
Die emotionale Achterbahn — So verstehen Sie die Logik hinter scheinbar irrationalem Verhalten
Die emotionale Achterbahn hat fünf Phasen mit jeweils einer vorherrschenden Emotion
Erkennen Sie die Phasen an den typischen Verhaltensmustern
Phase 1: Verneinung
Phase 2: Zorn
Phase 3: Depression
Phase 4: Akzeptanz
Phase 5: Integration
Die Hierarchieebenen durchlaufen die Phasen unterschiedlich
Zu viel Wandel führt zu Paralyse
Die Mitarbeitenden durchlaufen den Wandel ungleich schnell
Die Mitarbeitenden durchlaufen den Wandel ungleich intensiv
Die Mitarbeitenden können in vorherige Phasen zurückfallen
Die Mitarbeitenden können in einer Phase stecken bleiben
3.
Wenn alle durchdrehen — So gehen Sie mit Ihren eigenen Emotionen und denen Ihrer Mitarbeitenden um
Stellen Sie sich Ihren Ängsten
Machen Sie den Mitarbeitenden klar, was passieren wird, und setzen Sie kurzfristig erreichbare Ziele
Hinterfragen Sie Ihren Zorn
Stufe 1: Kritik am Verhalten
Stufe 2: Kritik an der Person (oft in Kombination mit Verallgemeinerungen wie »immer«, »nie« oder »jedes Mal«)
Stufe 3: Implizite oder explizite Drohung
Gehen Sie auf zornige Mitarbeitende zu
Trauern Sie bewusst und lassen Sie Belastendes los
Reduzieren Sie bei besonders betroffenen Mitarbeitenden den Druck
Zeigen Sie Ihre eigenen Emotionen authentisch und übernehmen Sie trotzdem die Verantwortung
4.
Wenn keiner mitmacht — So bringen Sie Ihre Mitarbeitenden dazu, das Neue zu tun
Der Verstand entscheidet nicht über die Annahme eines Wandels
Emotionen steuern unser Verhalten im Wandel
Machen Sie das Problem emotional erlebbar
Ihre Einstellung spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg
Emotionale Betroffenheit führt zur Übernahme von Verantwortung
Werden Sie ein radikales Vorbild für den Wandel
Vermitteln Sie Informationen emotional
Machen Sie Veränderungsbedarf im Umfeld sichtbar
Lassen Sie Mitarbeitende die Probleme selbst erleben
Sorgen Sie für Kontakte mit Kunden
Nutzen Sie Best-Practice-Vergleiche
Vermeiden Sie es, Furcht zu verbreiten
5.
Wenn alle auf die Barrikaden gehen — So agieren Sie souverän bei aktivem Widerstand
Mitarbeitende zeigen im Wandel immer Widerstand
Unser Gedächtnis erzeugt Widerstand
Schauen Sie hinter die Fassade der rationalen Argumente
Auch Wahrnehmungseffekte verursachen Widerstand
Wir lieben, was wir haben
Wir nehmen Verluste wesentlich stärker wahr als das, was wir bekommen
Wir fokussieren uns auf das Negative
Die Stärke des Widerstands steigt mit der Höhe der logischen Ebene
Widerstand der Mitarbeitenden zu Beginn ist gut!
Widerstand der Führungskraft ist kritisch
Arbeiten Sie an Ihrer Einstellung
Gehen Sie zu den Widerständlern hin und hören Sie zu
Halten Sie bei kaltem Widerstand das Schweigen aus
Versetzen Sie sich in einen Zustand von innerer Ruhe
Bleiben Sie besonnen und nehmen Sie nicht alles persönlich
Lassen Sie ein reinigendes Gewitter zu
Sprechen Sie tote Zebras an
Holen Sie Feedback ein und beziehen Sie klar Stellung
6.
Wenn alles zusammenbricht — So führen Sie Ihre Mitarbeitenden durch die chaotische Umbruchphase
Jeder Wandel beinhaltet eine Chaosphase
Zeigen Sie deutlich, dass Ihnen das Thema wichtig ist
Stellen Sie ein schlagkräftiges Projektteam zusammen
Würdigen Sie das Alte, aber machen Sie klar, dass es endet
Definieren Sie klare Ziele und Meilensteine
Konzentrieren Sie sich auf Lösungen
Binden Sie Ihre Mitarbeitenden ein, wo immer dies möglich ist
Sorgen Sie für kurzfristig sichtbare Erfolge
Nutzen Sie das Pareto-Prinzip der Unausgewogenheit
Fördern Sie neue Vorgehensweisen
Erliegen Sie nicht der Täuschung, es würde alles funktionieren
Setzen Sie Vorhaben um, die Sie sonst nicht umsetzen könnten
Schützen Sie Ihre Mitarbeitenden in dieser Phase vor zu viel Wandel
7.
Wenn alle zurückmarschieren — So verankern Sie den Wandel bei Ihren Mitarbeitenden
Menschen verändern ihre Gewohnheiten nur unter bestimmten Bedingungen
Beispiel: Die Herzpatienten
Beispiel: Die Strafgefangenen
Finden Sie den kritischen Faktor, der verändert werden muss (research)
Beispiel: Die Herzpatienten
Beispiel: Die Strafgefangenen
Lassen Sie ein Verhalten so oft wiederholen, bis es eine neue Gewohnheit geworden ist (repeat)
Beispiel: Die Herzpatienten
Beispiel: Die Strafgefangenen
Sorgen Sie für positive Emotionen durch Erfolgserlebnisse (rejoice)
Beispiel: Die Herzpatienten
Beispiel: Die Strafgefangenen
Verändern Sie das Umfeld und das Belohnungssystem
8.
Die Psychologie der Gerüchte — So kommunizieren Sie als Führungskraft im Wandel
Kommunizieren Sie zu einem frühen Zeitpunkt
Richten Sie Ihre Kommunikation an die Mehrheit der Mitarbeitenden
Priorisieren Sie Ihre Botschaften und wiederholen Sie die wichtigsten immer wieder
Kommunizieren Sie vorrangig durch Taten
Reden Sie negative Dinge nicht schön
Werden Sie konkret
Kommunizieren Sie kurz- und langfristige Erfolge
Nutzen Sie vermehrt Bilder und Metaphern
Planen Sie Ihre Kommunikation mit den Stakeholdern
Achten Sie auf die besonderen Kommunikationsregeln bei Home-Office
9.
Weltuntergang und ein Meer voller Tränen — So gehen Sie mit den Verlierern des Wandels um
Reden Sie mit den Betroffenen
Führen Sie Kündigungsgespräche immer persönlich
Grundregeln für Kündigungsgespräche
Denken Sie auch an die indirekt Betroffenen
Vergessen Sie sich selbst als Betroffene:n nicht
10.
Von stetigen Veränderungswellen — So machen Sie Ihren Bereich dauerhaft wandelfähig
Schaffen Sie eine Kultur der Veränderungsfreudigkeit
Verhindern Sie Selbstgefälligkeit
Sorgen Sie für positive Erfahrungen mit Wandel
Schaffen Sie ein wandelfreudiges organisatorisches Umfeld
Ihre ersten Schritte zum Change Leader
Anhang
Workshop zum Wandel
Danksagung
Kommentierte Buchempfehlungen
Literatur (Auswahl)
Anmerkungen
Register
Die Situation von Führungskräften im Wandel
Michael, Bereichsleiter in einem großen Konzern, sitzt erschöpft im Büro und starrt auf die gegenüberliegende Wand. Im Meeting mit seinen Abteilungsleiter:innen gab es wieder einmal eine latent aggressive Diskussion über die Ursachen für den Stillstand im aktuellen Wandelprojekt. Er konnte deutlich die allgemeine Ratlosigkeit bei den Führungskräften, die ihm unterstellt sind, spüren. Die weltweite Einführung der neuen Software hat den ganzen Bereich an den Rand des Chaos geführt. Gestern hatte noch dazu seine beste Führungskraft gekündigt. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand von den Guten ging. Wegen des Einstellungsstopps darf er diese Position vorerst nicht neu besetzen. Noch ein Problem mehr auf seiner Liste. Die anstrengenden Ereignisse der letzten Monate, die dauernden Überstunden und der Widerstand in der Belegschaft fordern ihren Tribut. Michael fühlt sich müde und ausgebrannt. Er weiß, dass er als Chef gerade in dieser schwierigen Zeit gegenüber den Mitarbeitenden Zuversicht und Energie ausstrahlen sollte, aber die hat er nicht mehr. Der gesamte Veränderungsprozess scheint festgefahren. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihm, dass er gleich einen Termin mit dem Betriebsrat hat, den er wieder einmal nicht vorbereiten konnte. Er seufzt und fragt sich, wie das Ganze nur weitergehen soll.
So wie Michael ergeht es vielen Manager:innen in Wandelprozessen. Diese werden zwar häufig mit positiven Akronymen wie POWER, WIN und FUN etikettiert, aber das empfindet niemand bei der Umsetzung.
Es sind meist mehrere der folgenden fünf Probleme, mit denen Sie als Manager:in zu kämpfen haben:
Innere Zerrissenheit Ihre Aufgabe ist es, die von oben vorgegebene Veränderung in Ihrem Bereich oder Ihrer Abteilung umzusetzen. Dabei sollen Sie mit beispielhaftem Verhalten und positiver Energie als Vorbild vorangehen. Tatsächlich sind Sie jedoch manchmal selbst nicht von der Idee der Veränderung an sich oder zwar von der Idee, aber nicht von der geplanten Art der Umsetzung überzeugt. Vielleicht ist der Wandel sogar nur erforderlich, weil das obere Management in der Vergangenheit massive Fehler gemacht hat, deren bittere Konsequenzen nun Sie und Ihre Mitarbeitenden tragen müssen. Wie können Sie eine solche Veränderungen glaubhaft und mit Elan vermitteln?
Druck von oben und unten Das obere Management nennt oft unrealistische zeitliche Vorgaben, weil es eben nicht im Detail plant. Auf Verzögerungen reagiert es mit Unverständnis und einer Erhöhung des Drucks auf Sie, um den Prozess zu beschleunigen. Geben Sie diesen Druck ungebremst weiter, reagieren die Mitarbeitenden verärgert und bremsen den Prozess bis zum Stillstand hin aus. Anders herum erwarten die Mitarbeitenden von Ihnen, dass Sie sich bei unrealistischen Vorgaben von oben für Planänderungen in der praktischen Umsetzung und eben einen realistischeren Zeitrahmen einsetzen. Wenn Sie das aber (zu oft) machen, werden Sie von Ihren Vorgesetzten schnell als »umsetzungsschwach«, »Bedenkenträger« oder sogar als aktiver »Bremser« abgestempelt. Das ist eine schwierige Situation. Im Idealfall können Sie mit guter Führung nach oben und unten Vertrauen aufbauen. In der Praxis ist aber viel öfter das Gegenteil der Fall. Das Risiko ist hoch, dass am Ende sowohl »die da oben« als auch »die da unten« sauer auf Sie sind. Wie können Sie das vermeiden?
Massiver Widerstand Maßnahmen, die für die Mitarbeitenden zum Teil nicht nachvollziehbar sind und daher als aufgezwungen erlebt werden, erzeugen Widerstand. Selbst wenn die Veränderung akzeptiert wird, ist in vielen Unternehmen die Arbeitsbelastung bereits im Alltag so groß, dass der zusätzliche Wandel die Menschen überfordert. Die drei typisch auftretenden Gefühle von Angst, Zorn und Trauer sorgen fast immer dafür, dass Mitarbeitende aktiven oder passiven Widerstand leisten. Die Folge ist, dass Sie als Führungskraft keine Ergebnisse erzielen. Wenn Sie Ihre Machtposition nutzen, um sich durchzusetzen, erhöhen Sie den Widerstand gegen das Vorhaben nur noch zusätzlich. Wie also sollen Sie mit den teils starken Emotionen der Mitarbeitenden umgehen?
Fehlende Kompetenz Durch integres Führungsverhalten und eine gute Kommunikation lassen sich Widerstände bereits im Vorfeld reduzieren. Das Wissen, wie man »Führungsstark im Wandel« sein kann, wird aber in der Regel weder an der Universität noch in den meisten Management-Seminaren gelehrt. Das Beste wäre natürlich, ein gutes Vorbild (gehabt) zu haben. Leider gibt es in der Wirtschaft und auch in den sozialen Institutionen immer noch zu wenige Führungskräfte, die Führungsstärke im Wandel vorleben und von denen man es lernen könnte. Welches Wissen brauchen Sie, um Veränderungen erfolgreich umzusetzen?
Erschöpfung Die Entwicklungen der letzten zehn Jahre führten dazu, dass Manager:innen heute auf derselben Position deutlich mehr leisten und mehr Verantwortung tragen müssen, als dies früher der Fall war. Der Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tag ist mittlerweile bei den meisten Manager:innen die Regel, nicht die Ausnahme. Vielleicht arbeiten auch Sie schon seit langem an ihrer eigenen und der familiären Belastungsgrenze. Schlaf, Bewegung und Entspannung sind seit Jahren auf ein Minimum reduziert. Durch den aktuellen Wandel wird der ohnehin schon sehr anspruchsvolle normale Arbeitsablauf massiv gestört. Gleichzeitig ergeben sich neue Aufgaben und viele unerwartete Probleme treten auf. Das bedeutet noch mehr Arbeitsstunden mit zusätzlichem Stress und eine Mehrbelastung für das Privatleben. Kommt dann eine Krise in der Beziehung, Probleme mit den Kindern, kranke Eltern oder ein Hausbau dazu, ist die Überforderung vorprogrammiert. Die Folge können Erschöpfung, Gereiztheit, und psychosomatische Erkrankungen sein. Wie lässt sich das vermeiden?
Sie als Führungskraft müssen mit all diesen Problemen umgehen, obwohl Ihnen – wie den meisten Führungskräften – das spezifische Know-how dazu fehlt. Dieses Buch unterstützt Sie dabei, sich anhand vieler praktischer Beispiele das Wissen anzueignen, das Sie für Ihre Wandelvorhaben benötigen. Es orientiert sich dabei konsequent an den Bedürfnissen und Problemen von Führungskräften. Aus meiner langjährigen Arbeit mit Führungskräften aller Ebenen in tiefgreifenden Wandelprozessen weiß ich, dass die meisten immer wieder dieselben Fragen haben. Jeder dieser zehn zentralen Fragen ist ein Buchkapitel gewidmet:
1.
Wieso gibt es immer mehr Wandelprojekte in immer kürzerer Zeit?
2.
Warum verhalten sich die Mitarbeitenden bei Veränderungen oft irrational?
3.
Wie gehe ich mit meinen eigenen Emotionen und denen meiner Mitarbeitenden um?
4.
Wie schaffe ich es, dass die Mitarbeitenden losmarschieren?
5.
Wie reagiere ich richtig auf Widerstand?
6.
Wie manage ich das Übergangschaos, wenn der alte Zustand nicht mehr und der neue noch nicht funktioniert?
7.
Wie schaffe ich es, dass ein Wandel dauerhaft verankert wird und nicht alle wieder in das alte Verhalten zurückfallen?
8.
Wie kommuniziere ich im Wandel?
9.
Wie gehe ich mit den offensichtlichen Verlierern einer Veränderung um?
10.
Wie mache ich meinen Bereich dauerhaft wandelfähig?
Starten Sie am besten mit dem Kapitel, dessen Thema Sie gerade am meisten beschäftigt. Wenn Sie aktuell unter starkem Umsetzungsdruck stehen, lesen Sie zuerst die Kapitel 5 (Widerstand), 6 (Übergangschaos) und 8 (Kommunikation). Hier finden Sie viele schnell umsetzbare Tipps, wie Sie Ihre Situation sofort verbessern können.
Die einzelnen Kapitel sind so angelegt, dass Sie diese unabhängig voneinander lesen können. Querverweise werden Ihnen das Verständnis erleichtern. Dieses Buch wird Ihnen mit komprimiertem Wissen und praxisnahen Beispielen helfen, Ihre Wandelvorhaben souverän in den Griff zu bekommen. Denn nur, wenn Sie als mittlere:r Manager:in auch in unangenehmen Veränderungsprozessen aktiv die Führung übernehmen, werden Sie als ein gesuchter Change Leader langfristig erfolgreich sein und Karriere machen.
So kommt es zu immer mehr Wandel in immer kürzeren Abständen
Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.
Charles Darwin (britischer Naturforscher)
Die letzten Jahre wahren von dauerndem Wandel und einer gewissen Medienhysterie mit Negativschlagzeilen geprägt. Erst kam die Präsidentschaft von Trump, bei dem man nie wissen konnte, welchen Unsinn er am nächsten Tag begehen würde. Man denke nur an die Wortgefechte mit Nordkoreas »Obersten Führer« Kim Jong-un. Dann kam die Corona-Epidemie mit all ihren Konsequenzen und der »Umzug« vieler Menschen ins Home-Office. Und noch während der Corona-Zeit fing bereits der Russland-Ukraine-Krieg mit anschließender Energiekrise und einer wirtschaftlichen Rezension an.
Was in der Weltpolitik zu beobachten war, gilt auch für die Unternehmen. Als Führungskraft merken Sie es täglich: Der Wandel bestimmt Ihr Arbeitsleben immer häufiger. Während früher nach einer Neuorganisation für die Mitarbeitenden eine mehrjährige Phase der Stabilität eintrat, steht heute sofort das nächste Projekt in der Warteschlange. Woran liegt es, dass Veränderungen in immer kürzeren Abständen umgesetzt werden müssen? Lassen Sie uns dazu ein paar Entwicklungen der Vergangenheit und der Zukunft anschauen.
Die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung erhöht sich seit Jahrhunderten kontinuierlich. Von der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 bis zur Entwicklung der Dampfmaschine im aufkommenden Industriezeitalter vergingen circa 300 Jahre. Nach der Hälfte der Zeit, also weiteren 150 Jahren, waren viele Haushalte mit elektrischem Strom und Telefon versorgt. Der nächste Sprung bedurfte nur noch einem Fünftel der Zeit, denn 30 Jahre danach wurden bereits Automobile in Serie produziert, die U-Bahn transportierte jährlich Millionen von Fahrgästen unter der Erde, und auch in der Luft bewegten sich jetzt die Menschen mit den ersten Passagierflugzeugen. Aber verglichen mit der Geschwindigkeit, in der heute eine Erfindung die andere jagt, verlief die Abfolge technischer Errungenschaften eher im Zeitlupentempo. Mittlerweile steigt unser Wissen exponentiell an. Folgende Aspekte spielen dabei eine maßgebliche Rolle:
Es gibt weltweit immer mehr Menschen mit einer wissenschaftlich-technischen Ausbildung. Während es um 1650 nur eine kleine Gruppe wissenschaftlich Gebildeter bzw. Studierender gab, stieg die Zahl der Studierenden in den hundert Jahren von 1850 bis 1950 von einer auf zehn Millionen pro Jahr an. Danach explodierte die Zahl der jährlich weltweit Studierenden von 1950 bis 2000 um das Zehnfache auf 100 Millionen.1 Nur 20 Jahre später, im Jahr 2020, hat sich die Zahl der Studierenden noch einmal auf 220 Millionen weltweit mehr als verdoppelt. Die Anzahl der Akademiker:innen wächst also unaufhörlich. In den vergangenen 20 Jahren hat allein China die Zahl seiner jährlichen Absolvent:innen auf heute acht Millionen versechsfacht.2 Die steigende Computerleistung ermöglicht immer genauere Kalkulationen und Simulationen. Ein Supercomputer schafft heute mehrere Billiarden (1 000 Billionen oder 1015) Rechenoperationen in der Sekunde! Eine Xbox 5 für 500 Euro schafft 2022 mit 12 150 GFLOPS (bzw. 12,15 TFLOPS) mehr als die 1 000-fache Rechenleistung des berühmte Supercomputer Deep Blue, der mit »nur« 11,38 GFLOPS Rechenleistung Gary Kasparov im Schach schlug.
Neue Messwerkzeuge erschließen bisher unerreichbare Forschungsdimensionen im Kleinsten wie im Größten. Mikroskope machen bereits Details mit einer Größe von 0,1 Nanometern sichtbar. Ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter! Das James-Webb-Weltraumteleskop, welches 2022 seine Arbeit im Zielorbit aufnahm, kann Licht erkennen, das vor über 13 Milliarden Jahre des 13,8 Milliarden Jahre alte Universum entstanden ist. Mit seiner Auflösung erkennt es einen Fußball in 550 km Entfernung.
Die Weitergabe des Wissens in der weltweiten Forschergemeinschaft erfolgt heute zum Teil in Sekundenschnelle. Früher dauerte es Jahre, bis sich neue Forschungsergebnisse verbreiteten, heute passiert dies zum Teil in wenigen Tagen und Wochen, und jeder kann die Informationen abrufen und damit weiterarbeiten.
Das Tempo, mit dem das Wissen der Menschheit zunimmt, beschleunigt sich unglaublich, wenn immer mehr Wissenschaftler:innen mit immer besserer Technik und höherer Rechenleistung forschen und sich dann noch gegenseitig über die Ergebnisse informieren.
Wir Menschen passen uns dieser Entwicklung der Technik an, ohne uns aber der enormen Veränderungsgeschwindigkeit voll bewusst zu sein. Das liegt daran, dass wir nur einen Ausschnitt einer exponentiellen Kurve betrachten, sodass uns diese als eine Gerade erscheint. Der amerikanische Erfinder Raymond Kurzweil bezeichnet dieses Phänomen als den »intuitive linear view«. Wir nehmen Wandel nur bedingt wahr, wenn wir ihm täglich ausgesetzt sind. Ähnlich geht es uns mit dem Wachstum von Kindern. Eltern nehmen dies kaum wahr. Ein Freund, der einmal im Jahr zu Besuch kommt, staunt dagegen, wie enorm die Kinder in dieser Zeit gewachsen sind. Wie schnell der technologische Wandel tatsächlich vonstattengeht, können Sie beispielsweise an den Dingen des täglichen Gebrauchs nachvollziehen. Vergleichen Sie doch einmal die Fähigkeiten des Handys, das Sie vor zehn Jahren (also fünf Modellgenerationen früher) hatten, mit Ihrem heutigen Smartphone.
Die großen Megatrends haben einen Einfluss auf die Gesellschaft, die Unternehmen und Sie persönlich. Die Megatrends der nächsten Jahre bergen große Chancen für die Menschheit, werden uns aber auch vor erhebliche Herausforderungen stellen. Wichtige Stichworte sind: Digitalisierung, Gender Shift, Gesundheit, Globalisierung 2.0, Individualisierung, Klimawandel, Mobilität, Neo-Ökologie, New Work, Sicherheit, Silver Society, Urbanisierung und Asien.
Wir können heute nur bedingt absehen, wie die Veränderungen der Arbeitswelt aussehen werden. Es lassen sich aber zumindest Tendenzen erkennen. Vor allem drei Entwicklungen ragen heraus.
»Demografischer Wandel« Das Thema wird schon seit über 20 Jahren angemahnt und derzeit als Megatrend »Silver Society« verbucht. Demnächst werden aber die Konsequenzen dieses Wandels zum ersten Mal wahrnehmbar werden, auch wenn man sie schon die ganze Zeit vorhersagen konnte. Was passiert zum Beispiel, wenn das Zahlenverhältnis der Menschen im Erwerbsalter zwischen 20 und 65 zu den über 65-Jährigen in Deutschland 1995 etwa 4 : 1 betrug, 2010 bei 3 : 1 lag und 2030 voraussichtlich bei 2 : 1 liegen wird? Wenn die Menschen dank besserer Ernährung und moderner Medizin immer älter werden, muss jemand deren Lebensunterhalt im Ruhestand bezahlen. Am besten sie selbst. Eine Konsequenz wird sein müssen, dass Politiker das Eintrittsalter für die Rente immer weiter nach oben korrigieren werden. Es ist eine Frage der Zeit, wann die erste Ziffer eine »7« ist, also die Rente ab 70. Gleichzeitig verbessert sich die Arbeitsmarktsituation für ältere Menschen, weil man sie nicht mehr so einfach durch jüngere ersetzen kann wie früher.
Es gibt aber nicht nur »zu viele« Rentner:innen, sondern auch gleichzeitig zu wenige junge Menschen. Das merken auch Sie bereits bei der Einstellung von Mitarbeitenden heute schon deutlich. Nahezu alle meine Vortrags- und Seminar-Kunden sagen im Vorgespräch, dass sie nicht ansatzweise genügend qualifizierte Bewerbungen bekommen und viele sehen das als ein äußerst ernstes Problem an. Was sich aber jetzt schon sagen lässt ist, dass man sich in zehn Jahren an heute zurückerinnern und dabei wohl von den »guten alten Zeiten« sprechen wird, in denen man überhaupt noch gelegentlich gute Leute anwerben konnte. Spätestens ab dem Jahr 2030 werden nämlich jährlich eine halbe Millionen Menschen mehr in Rente gehen als nachrücken.
»Künstliche Intelligenz (KI)« Schon früher führten Erfindungen wie zum Beispiel die Dampfmaschine oder das Fließband zu Umbrüchen, die ganze Wirtschaftszweige vernichteten und neue entstehen ließen. Die Anzahl der entfallenen Arbeitsplätze wurde aber durch die neu hinzugekommenen stets kompensiert. Das könnte dieses Mal anders sein. Viele Revolutionen der Vergangenheit ersetzten die körperliche Kraft der Menschen und zum Teil das strukturierte und systematische Denken oder Rechnen. Die Entwicklung der KI wird in Verbindung mit Biosensoren aber zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit nicht nur die menschliche Körperkraft, sondern auch sein ganzheitliches Denken, seine Kreativität und Empathie im hohen Maße ersetzen können. Das ist ein noch nie dagewesener Schritt, der die Welt radikal verändern wird.
Was dies für den Arbeitsmarkt heißt, zeichnet sich heute schon ab. Berufe im Finanz- und Rechnungswesen, in der IT und der Logistik werden schon erstaunlich zeitnah in großen Teilen von KIs übernommen werden. Aber es geht noch viel weiter. Der Autor Yuval Noah Harari zeigt in seinem Buch »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« sehr glaubhaft auf, dass die KI wahrscheinlich noch viel mehr können wird. Sie wird unter Nutzung von Biosensoren vielleicht besser als ein Mensch Verhandlungen führen können, ansprechende Kunst und Musik schaffen und uns immer mehr die wichtigsten Lebensentscheidungen wie zum Beispiel die Partnerwahl abnehmen. Die KIs werden laut Harari viele Berufe ersetzen oder so ergänzen, dass im Unternehmen für eine Aufgabe 70 Prozent weniger Menschen benötigt werden, weil der Rest von der KI übernommen wird. Harari sieht die Gefahr einer »nutzlosen Klasse«, die keinen Job und keinen Sinn mehr findet und dadurch hochgradig unzufrieden sein wird. Um ein Empfinden dafür zu bekommen, was KI bedeutet, empfehle ich Ihnen die Lektüre.
Das eben genannte demografische Problem von zu wenig jungen Menschen wird durch KI bis zu einem gewissen Grad abgeschwächt, weil sie Arbeitsplätze ersetzt. Trotzdem wäre es zu simpel gedacht, zu behaupten, die Effekte würden sich ausgleichen. Ein einfaches Beispiel: In unserem Haus wurde vor kurzem ein neuer Heizkessel eingebaut. Der Handwerker sagte, dass sie schon seit vielen Jahren keine Auszubildenden mehr bekommen, weil die Arbeit schwer und schmutzig ist. Kein KI-gesteuerter Roboter wird in den nächsten 20 Jahren einen Heizkessel in den Keller schleppen und anschließen können. Auch in vielen anderen Berufen werden echte Menschen fehlen.
»Digitalisierung« Das Wort »Digitalisierung« kann man kaum noch hören, denn es ist in den letzten Jahren überstrapaziert worden. Tatsächlich ist diese Entwicklung aber noch lange nicht abgeschlossen. Corona hat die Digitalisierung in vielen Branchen sogar beschleunigt. Durch das vermehrte Home-Office mussten Unternehmen ihre Vernetzung und Cloud-Kapazitäten sehr schnell stark ausbauen.
Auch die Digitalisierung ersetzt Arbeitsplätze. Sie ist die Voraussetzung für Industrie 4.0 und die kommende KI-Revolution. Sicher ist, dass die Digitalisierung zu gravierenden Veränderungen ganzer Branchen geführt hat und weiter führen wird. Hier ein paar Beispiele, die wir heute schon als normal akzeptieren:
Der weltweit bekannteste Informationsanbieter erstellt selbst keinen Content (Facebook).
Das weltweit größte Taxiunternehmen besitzt keine Taxis (Uber).
Die weltweit größten Videokonferenz-Anbieter besitzen keine Infrastruktur (Microsoft, Cisco, Zoom).
Der weltweit größte Vermittler von Unterkünften besitzt keine Immobilien (Airbnb).
Der weltgrößte Filmverleiher besitzt keine Kinos (Netflix).
Die Aufzählung, welche Megatrends unsere Welt verändern werden, ließe sich fortsetzen, aber das ist nicht Inhalt dieses Buches. Dieses Kapitel dient dazu, Ihnen eine Idee davon zu geben, dass der Wandel noch weiter zunehmen wird und die Kompetenz zum Umgang damit eine zentrale Fähigkeit von Führungskräften sein muss. Auch wenn uns das Tempo all dieser Entwicklungen nicht dauernd bewusst ist, merken wir doch, dass unser Arbeitsleben immer fordernder und anstrengender wird. Viele Manager:innen klagen, dass der Tag nur noch gefühlte 21 Stunden hat. Wandel ist keine Störung des »normalen« Ablaufs mehr, sondern er ist die Normalität. Auch in Zukunft werden solche Veränderungen einen starken Einfluss auf Ihr Arbeitsleben haben, und Sie werden sich an diese Veränderungen immer schneller anpassen müssen.
Sicher ist, dass der Wandel in Ihrem beruflichen Umfeld weiter zunehmen wird.
Da Sie vermutlich in den letzten zehn Jahren Karriere gemacht und die Position öfter gewechselt haben, glauben Sie vielleicht, der mittlerweile höhere Druck sei auf diesen Aufstieg und die gestiegene Verantwortung zurückzuführen. Dies ist sicher richtig. Dennoch hat sich der Druck auf jeder einzelnen Ebene erhöht. Das spüren nicht nur Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeitenden.
Im internationalen Wettbewerb werden vor allem die Unternehmen und Manager:innen Vorteile haben, die sich dem Wandel nicht nur schneller als andere anpassen können, sondern ihn sogar initiieren. Im mittleren Management wird für Sie die Fähigkeit unabdingbar, Ihre Mitarbeitenden durch Phasen der Veränderungen zu führen. Damit wird Change Leadership zu einem ausschlaggebenden, vielleicht sogar zu dem entscheidenden Thema für Ihre berufliche Karriere als Manager:in. Change Leadership spielt in Zukunft eine Schlüsselrolle.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff »Change Leadership« im Sinne dieses Buches, und was unterscheidet ihn von »Change Management«? Während der Begriff Change Management meist die Begleitung des Wandels auf der Unternehmensebene meint, bezeichnet Change Leadership die Fähigkeiten, mit denen Sie Ihre Mitarbeitenden ganz konkret durch den Wandel führen. In Büchern über Change Management, die sich meist an Personaler:innen und externe Berater:innen richten, können Sie beispielsweise fast immer etwas über die Erstellung einer Vision und den Einsatz von Großgruppenveranstaltungen lesen. Sie als mittlere:r Manager:in bekommen aber häufig die Vorgabe von oben, unangenehme Veränderungen wie zum Beispiel Kostenreduzierungen durchzuführen. Die Empfehlung, dazu eine Vision zu entwickeln oder Großgruppenveranstaltungen durchzuführen geht dann an Ihrer Realität im mittleren Management vorbei. Für Sie sind andere Themen relevant. Deshalb geht es in diesem Buch nicht um unternehmensweites Change Management, sondern um konkretes Change Leadership.
Dieses Buch stellt Ihnen Best Practices zur Verfügung. Sie stammt aus eigenen Erfahrungen in der Begleitung von Veränderungsprozessen, über 20 Jahren Gesprächen mit vielen erfahrenen Manager:innen und dem Studium der deutsch- und englischsprachigen Change Literatur. Das Ziel des Buches ist es, Ihnen konkrete Handlungsempfehlungen für Ihre Praxis zu geben.
Betrachten wir im nächsten Kapitel das Thema Emotionen. Aus der Sicht der Führungskraft reagieren Mitarbeitende bei starken Veränderungen oft sehr emotional und scheinbar unvorhersehbar. Tatsächlich lassen sich aber Muster und auch eine gewisse »Logik der Emotionen« in ihrem Verhalten entdecken. Machen Sie sich zuerst einmal klar, welche Emotionen bei Veränderungen, die als unangenehm empfunden werden, zu erwarten sind und wie Sie sich als Führungskraft sinnvoll verhalten können.
Im nächsten Kapitel erfahren Sie zunächst etwas über mögliche kollektive Emotionen Ihrer Mitarbeitenden.
Zusammenfassung
Der technologische Fortschritt verläuft exponentiell.
Die Megatrends beeinflussen Ihr berufliches Umfeld.
Change Leadership spielt in Zukunft eine Schlüsselrolle.
So verstehen Sie die Logik hinter scheinbar irrationalem Verhalten
Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden.
John Ruskin (britischer Schriftsteller und Sozialreformer)
Wenn im Außen größere Veränderungen stattfinden, versuchen die Unternehmen sich anzupassen, indem sie Veränderungsmaßnahmen planen. Es werden im oberen und strategischen Management Projekte initiiert, die vom Projektmanagement-Team in eine Planung gegossen werden. Alles ist wohlstrukturiert und die geplotteten Gantt-Diagramme an den Wänden der Büros haben sogar eine gewisse Ästhetik. Die Abfolge gleicht einer Eisenbahnfahrt mit einem klar definierten Anfang und Ende. Dazwischen liegen die Meilensteine in Form von Bahnhöfen und am Ende kommen alle auf einer höheren Ebene an, steigen aus, freuen sich über den Erfolg und genießen den wunderschönen Ausblick.
Sie sind ein Mann oder eine Frau der Praxis und deswegen wissen Sie auch, dass es niemals so aussieht bzw. abläuft. Die Planung ist wunderbar, bis sie beim Kontakt mit der Wirklichkeit in sich zusammenfällt, denn im echten Leben entsprechen die Projekte niemals dieser geplanten Reise. Alles dauert länger. Die Menschen verhalten sich im Wandel oft seltsam. Die Mitarbeitenden tun Dinge, mit denen Sie nicht gerechnet haben, handeln teilweise sogar völlig irrational. Fast immer zeigen Einzelne, wenn nicht sogar ganze Gruppen oder Abteilungen Widerstand bei der Umsetzung.
Wie reagieren Menschen eigentlich auf die Neuigkeit einer Veränderung? Mit dieser Frage werden wir uns in diesem Kapitel beschäftigen. Sie lernen die »Logik der Emotionen« kennen, mit deren Hilfe Sie in Zukunft ein irrationales Verhalten Ihrer Mitarbeitenden in vielen Veränderungsprozessen wesentlich besser verstehen und souveräner darauf reagieren können. Dieses Kapitel fällt ein klein wenig theoretischer aus als die restlichen Kapitel des Buches. Aber wie Kurt Lewin, einer der Pioniere der Psychologie, einmal gesagt hat: »Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.« (Hinweis: wenn Sie bereits mitten im Wandel sind, beginnen Sie mit Kapitel 5 zum Thema Widerstand). Das vorgestellte Modell ist die Grundlage für das Verständnis des emotionalen Verhaltens sowohl von Gruppen als auch von Individuen. Viele Führungskräfte bestätigen, dass es ihnen in der Praxis sehr geholfen hat, bessere Entscheidungen zu treffen.
Um die »Logik der Emotionen« zu verdeutlichen, habe ich das Modell der emotionalen Achterbahnfahrt entwickelt.
Andere so genannte Change-Kurven-Modelle, die auf den ersten Blick zwar ähnlich aussehen, konnten mich inhaltlich und in den fehlenden Ableitungen nicht überzeugen. Als Grundlage dienten mir die Einsichten von Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) über die Reaktionen von Menschen, die den extremsten Wandel erleben mussten, den sich ein Mensch überhaupt vorstellen kann. Sie führte für ihre Forschungsarbeit Interviews durch und begründete ein Phasenmodell. Für ihre bahnbrechende Arbeit bekam sie insgesamt 20 Ehrendoktortitel verliehen. Das Nachrichtenmagazin TIME zählte sie 1999 zu den »100 größten Wissenschaftlern und Denkern« des 20. Jahrhunderts.
Was hat sie untersucht? Eines ihrer Bücher heißt »Interviews mit Sterbenden«. Kübler-Ross ist eine der Begründerinnen der modernen Sterbeforschung. Sie hat sich die Frage gestellt, wie Menschen reagieren, wenn sie plötzlich mit ihrem bevorstehenden Tod konfrontiert werden. Sie fand fünf Phasen mit typischen Verhaltensmustern, die Sterbende bei der Bewältigung dieses letzten Lebensabschnitts durchleben. Stellen Sie sich vor, der Arzt oder die Ärztin würde Ihnen nach einer Standarduntersuchung überraschend mitteilen: »Es tut mir wirklich sehr leid. Ich habe eine schlimme Nachricht. Sie sind unheilbar krank und werden mit großer Wahrscheinlichkeit in wenigen Wochen oder Monaten sterben.« Wie würden Sie darauf reagieren? Kübler-Ross beschreibt fünf Phasen. Bei drei habe ich Emotion hervorgehoben, denn diese Grundemotionen finden Sie auch bei jeder größeren Veränderungsmaßnahme in der Wirtschaft:
1. Nicht-wahrhaben-Wollen (Denial)
Der Patient glaubt, seine Krankenakte sei vertauscht worden oder der Arzt/die Ärztin habe einfach eine falsche Diagnose gestellt. Er weigert sich, die Nachricht zu akzeptieren, und verspürt gleichzeitig starke Angst, sie könnte sich bestätigen.
2. Zorn (Anger)
Die betroffene Person akzeptiert nach weiteren Bestätigungen den Befund. Sie verspürt Zorn auf Gott oder die Ungerechtigkeit des Lebens: »Warum trifft es mich? Warum nicht meinen immer schlecht gelaunten Nachbarn?« Hinzu kommt nach einiger Zeit der Zorn auf sich selbst, nicht intensiver gelebt und zu vieles verpasst oder auf später verschoben zu haben.
3. Verhandeln (Bargaining)
Wenn der Weg aussichtslos erscheint, bietet der Sterbende dem lieben Gott einen stillschweigenden Handel an: »Lass diesen Kelch an mir vorübergehen, dann werde ich nur noch Gutes tun, Geld spenden, eine Wallfahrt machen, et cetera.«
4. Depression (Depression)
Wenn eine Person stirbt, die man sehr liebt, ist es für jeden Menschen schwer, dies zu verarbeiten und loszulassen. Der Sterbende muss sich aber nicht nur von einer Person trennen, sondern von allen Angehörigen und Freunden. Der Verlust so vieler geliebter Menschen und Orte gleichzeitig führt zu einer tiefen Trauer oder anders gesagt, zu Trennungsschmerzen.
5. Akzeptanz (Acceptance)
Die sterbende Person nimmt das Schicksal an, nachdem sie die starken Emotionen der Angst, des Zorns und der Trauer durchlebt hat. Sie findet ein gewisses Maß an Akzeptanz.
Auch wenn Ihnen das Beispiel des Sterbens im Vergleich zu Veränderungen in Unternehmen oder im Privatleben wahrscheinlich etwas übertrieben erscheinen mag, bildet es doch genau dieselben Phasen ab, die in jedem Wandelprozess entstehen. Schauen wir uns die Emotionen von drei der Phasen an, ob sich das auf »normale« Veränderungen übertragen lässt.
1. Angst Zuerst einmal haben Menschen vor Veränderungen häufig Angst. Die wenigsten im Unternehmen sagen: »Jawoll, endlich mal wieder neue Herausforderungen, Chancen und eine bestimmt steile Lernkurve bei mir. Super!« Üblich ist es eher ein: »Nicht schon wieder.« Mitarbeitende fragen sich: »Was bedeutet der Wandel für mich? Wird es Nachteile geben? Kann ich das und will ich das?« Diese Fragen werden normalerweise nicht beantwortet, deshalb gehen die Mitarbeitenden im Zweifelsfall erst einmal eher von einer Verschlechterung als von einer Verbesserung aus. Das führt zu einer Verneinung. Entweder im Sinne der Ablehnung des Wandels als solchen oder im Sinne der Ablenkung mit Sätzen wie »Es wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird.«, »Vielleicht betrifft es ja mich nicht.«, »Das muss ja noch durch den Betriebsrat.« Die Angst aber bleibt.
2. Zorn Im Wandel gibt es fast immer eine Chaosphase, weil das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht funktioniert. Selbst, wenn etwas an einem Tag umgestellt wird und auch funktioniert, wie zum Beispiel die Umstellung auf ein neues EDV-Programm, dann findet das Chaos eben in den Köpfen der Mitarbeitenden statt. Außerdem führen Veränderungen zu einer Mehrbelastung. Die Mitarbeitenden bekommen ja nicht gesagt: »Den Donnerstag und Freitag hast du jetzt frei für Change.« Im Gegenteil: Veränderungsvorhaben müssen fast immer noch on top zu einer sowieso schon hohen Belastung geleistet werden. Zu viele Aufgaben führen dann zur Überlastung und damit oft zum Zorn. Dieser ist stärker als der Ärger, aber im Gegensatz zur Wut noch kontrolliert. Fast immer richtet sich der Zorn erst einmal nach außen, zum Beispiel auf Sie als Führungskraft. Im Außen etwas zu suchen ist nun mal der leichteste Weg. Wenn jemand aber selbstreflektiert ist, erkennt die Person nach einiger Zeit, dass sie auch etwas beigetragen hat zu der Situation, indem sie zum Beispiel schon lange nichts mehr für die eigene »employability« gemacht hat, also die eigene Attraktivität als Arbeitnehmer:in auf dem Arbeitsmarkt.
3. Trauer Diesen Begriff verbindet man häufig mit einem Todesfall, deswegen spreche ich lieber von »Trennungsschmerz«. Die meisten Veränderungsprozesse beinhalten aber tatsächlich einen kleinen »Sterbeprozess«, denn oft müssen sich Menschen von etwas Liebgewonnenem final und unwiederbringlich verabschieden. Dazu gehören zum Beispiel Gewohnheiten, Illusionen, Menschen, Umfelder, Orte oder Aufgaben.
Die drei Grundemotionen Angst, Zorn und Trauer und die damit verbundenen Phasen der Veränderung lassen sich also ganz allgemein beobachten. Auch die Phase der Akzeptanz für die Veränderung tritt meistens irgendwann ein. Von den fünf Phasen nach Kübler-Ross habe ich daher vier übernommen. Die Phase des »Verhandelns« mit Gott entfällt bei weniger finalen Veränderungen. Dafür wird das Modell um eine nachfolgende Phase der Integration ergänzt, denn nach der Akzeptanzphase geht das Leben ja zum Glück noch weiter:
4. Akzeptanz In der Akzeptanz ist das wahrgenommene Gefühl der Gleichmut, laut Duden ein »ruhiger, leidenschaftsloser Gemütszustand«. Man rennt nicht mit Begeisterung den Berg hoch, aber man ist auch nicht mehr im Widerstand oder in der Depression. Es ist der Zustand, der sich nach dem Durchleben von den Emotionen Angst, Zorn und Trauer einstellt.
5. Integration Hier hat man sich an den neuen Zustand gewöhnt. Er ist jetzt Alltag und man verspürt eine innere »Zufriedenheit« beziehungsweise vielleicht sogar das darin enthaltene Wort »Frieden«.
Das wegen der starken emotionalen Aufs und Abs »emotionale Achterbahn« genannte Modell können Sie auf alle Wandelvorhaben im Unternehmen und auch in Ihrem Privatleben anwenden. Beispiele für letzteres sind das Ende einer Beziehung, das Elternwerden oder ein Umzug.
Während eines Wandels durchlaufen sowohl die Führungskräfte, als auch die Mitarbeitenden diese Achterbahn und die damit verbundenen Emotionen. Sie trifft für Einzelpersonen ebenso zu wie für Gruppen. Sie gilt für unangenehme wie auch erstaunlicherweise für eigentlich angenehme Veränderungen.
Die emotionale Achterbahn
Schauen wir uns zur Vertiefung des Modells noch ein weiteres Beispiel einer Situation an, die Sie kennen und bereits selbst erlebt haben. Für Sie war es wahrscheinlich ein ganz besonderer Moment in Ihrem Leben. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Sie sich dieses Ereignis gewünscht und sogar darauf hingearbeitet. Und eines Tages war es endlich soweit: Ihre Führungskraft kam auf Sie zu und hat Ihnen verkündet, dass Sie demnächst neue Visitenkarten bekommen. Sie wurden zur Führungskraft befördert.
1. Verneinung (Angst): Endlich kommt der große Tag. Ihre Führungskraft teilt Ihnen mit, dass Sie demnächst Chef oder Chefin werden. Ein Traum wird wahr. Sie fahren abends begeistert nach Hause und trinken mit Schatzi eine Flasche Sekt oder Champagner. In den darauffolgenden Tagen kommen die ersten Selbstzweifel: »Werden die Kolleg:innen mich als Führungskraft akzeptieren? Und wie ist es mit dem einen Kollegen, mit dem ich sowieso immer Probleme habe?« Diese Ängste werden zum Teil verneint beziehungsweise mit Selbstmotivation negiert: »Ich habe schon ganz andere Sachen gemeistert. Das wird schon werden. Nicht umsonst haben sie dich zur Führungskraft gemacht. Du bist halt schon wirklich gut« Die Angst im Hinterkopf bleibt.
2. Zorn (Zorn): Irgendwie hatten Sie sich das anders vorgestellt: leichter! Einer Ihrer Exkolleg:innen lässt Sie deutlich spüren, dass er Sie als Führungskraft nicht anerkennt. Das führt in Meetings zu unangenehmen Situationen. Überhaupt scheinen viele Ihrer neuen Mitarbeitenden etwas schwer von Begriff zu sein, weil sie Ihre Anweisungen immer wieder fehlerhaft umsetzen. Sie stoßen an die Grenzen Ihrer Möglichkeiten. Sie fühlen sich wie ein Nichtschwimmer, den man ins kalte Wasser gestoßen hat und der sich planschend über Wasser hält. Sie sind zornig, zuerst einmal nach außen, auf das Unternehmen. Warum hat man Sie nicht besser vorbereitet und ausgebildet? Das hätte man Ihnen alles beibringen müssen. Nach etwas Selbstreflexion wird Ihnen aber bewusst, dass viele der Situationen mit Ihrer Persönlichkeit zu tun haben. Es fehlt Ihnen noch an Standing und Rückgrat. Da hätte Sie auch kein Seminar gerettet.
3. Depression (Trauer): Sie fühlen sich einsam, denn Sie haben keine Peer-Group mehr. Zu den Mitarbeitenden gehören Sie nicht mehr. Bis gestern haben Sie mit den Kolleginnen und Kollegen wunderbar darüber diskutiert, was für einen Quatsch die sich da oben mal wieder ausgedacht haben. Heute betreten Sie die Kaffeeküche und die Hälfte der bisherigen Kolleg:innen stellt den Kaffee ab und geht. Die andere Hälfte starrt schweigend in die Tasse. Es ist ganz klar: Hier gehören Sie nicht mehr dazu. Aber auch als Führungskraft sind Sie bei den neuen Kolleg:innen noch nicht akzeptiert. Sie sitzen im Führungskräfte-Meeting zusammen mit den Zwölfendern, also den Hirschen mit den großen Geweihen, die schon erfahrene Führungskräfte sind. Für die sind Sie der kleine Rehbock oder schlimmstenfalls sogar Bambi mit den großen Kulleraugen. Bei einer hitzigen Diskussion wollen Sie etwas sagen, aber niemand macht eine Pause, denn alle denken sich: »Was will Bambi schon beitragen?« All das löst ein starkes Gefühl der Niedergeschlagenheit und Trauer aus.
4. Akzeptanz (Gleichmut): Sie akzeptieren den Zustand, wie er ist, und hadern nicht mehr mit Ihrem Schicksal. Ihr Gefühl in dieser Phase ist Gleichmut, ein ruhiger leidenschaftsloser Zustand. Es ist, wie es ist. Sie wissen jetzt, was Sie können und was eben (noch) nicht. Sie beschließen, das Beste daraus zu machen, und akzeptieren die neue Rolle. Sie treffen die Entscheidung, Menschen führen zu wollen und das merkt man Ihnen an.
5. Integration (Zufriedenheit): Mittlerweile sind Sie nicht mehr nur der:die hierarchische Vorgesetzte, sondern eine echte Führungskraft geworden. Die Mitarbeitenden haben irgendwann gemerkt, dass Sie innerlich in der neuen Rolle angekommen sind und diese ausfüllen. Sie wirken souverän, und das Führen von Mitarbeitenden ist Teil Ihres Alltags geworden.
Dieses Beispiel zeigt, wie auch eine Einzelperson die Change-Achterbahn mit ihren Höhen und Tiefen durchlaufen kann.
Genaue Betrachter der Grafik »Die emotionale Achterbahn« sehen, dass das Aktivitätsniveau am Ende des Prozesses höher liegt als am Startpunkt. Ein Kapitän der Kriegsmarine hat mir mal gesagt: »Wenn ich neue Matrosen bekomme, ist das keine Mannschaft. Erst, wenn wir einen wirklich großen Sturm durchfahren haben, ist es eine Mannschaft.« Ein großer Sturm bedeutet übrigens, dass man in der sehr breiten Fensterfront der Brücke abwechselnd entweder fast nur noch schwarzen Himmel oder aber fast nur noch Wasser sieht. Gemeinsame schwere Zeiten schweißen Teams oft erst richtig zusammen, und so finden sie zu einer bis dahin nicht da gewesenen Produktivität.
Ein gemeinsam durchlebter Wandel bringt das Aktivitätslevel und die Produktivität der Mitarbeitenden aber noch aus einem anderen Grund nach oben. Viele Mitarbeitende haben am Ende eines Wandels tatsächlich neue Fähigkeiten erworben. Das können konkrete Techniken, neue Verhaltensweisen oder auch Sichtweisen und mentale Einstellungen sein. Es gibt jedoch auch ein Risiko. Führt die Führungskraft im Wandel ängstlich, übertrieben hart oder sehr formell und mit wenig Einfühlungsvermögen, büßt sie massiv Vertrauen ein. Schlimmstenfalls machen die Mitarbeitenden danach Dienst nach Vorschrift. In diesem Fall endet die emotionale Achterbahn auf einem niedrigeren Aktivitätsniveau als sie gestartet ist.
Das Wissen über diese Muster ermöglicht Ihnen, das Verhalten Ihrer Mitarbeitenden bei Veränderungen besser vorauszusehen und entsprechend vorzugehen, um extreme Reaktionen zu vermeiden.
Jede Phase ist durch typische Verhaltensmuster gekennzeichnet. Auf den folgenden Seiten finden Sie erste Antworten auf jeweils drei zentrale Fragen, mit denen die Phasen charakterisiert werden können:
Welches kollektive Gefühl dominiert bei den Beteiligten in der jeweiligen Phase?
Welche Gedanken bewegen Ihre Mitarbeitenden in dieser Phase?
Welches Verhalten zeigen die Mitarbeitenden typischerweise in dieser Phase?
Eine erste Orientierung, in welcher der sechs Phasen sich Ihre Mitarbeitenden befinden, gibt Ihnen deren aktives oder passives Verhalten (siehe die y-Achse der Grafik »Die emotionale Achterbahn«). In der Verneinungs- und Trauerphase verhalten sich die Mitarbeitenden deutlich wahrnehmbar passiv, in der Zorn- und Integrationsphase dagegen besonders aktiv und in der Akzeptanzphase eher normal.
Emotion
Angst
Gedanken
»Das kann nicht sein.«
»Das betrifft mich nicht.«
»Das wird schon nicht so schlimm werden.«
Verhalten
Die Mitarbeitenden sind schockiert und desorientiert.
Sie suchen nach Gründen, weshalb nichts passieren wird, warum sie nicht betroffen sind oder warum es nicht so schlimm sein wird.
Sie verhalten sich passiv und abwartend.
Emotion
Zorn
Gedanken
»Das ist eine Sauerei.«
»Nicht mit mir/uns.«
»Die … sind schuld.«
Verhalten
Die Mitarbeitenden sind aufgebracht.
Sie zeigen aktiven und passiven Widerstand.
Es werden Schuldige gesucht.
Emotion
Trauer
Gedanken
»Es wird nie wieder so werden wie früher.«
»Früher war alles besser.«
»Ich will nicht mehr.«
Verhalten
Die Mitarbeitenden realisieren emotional (»mit Bauch und Herz«), welche Konsequenzen der Wandel für sie persönlich hat.
Bereits entstandene und noch zu erwartende Verluste rücken in den Mittelpunkt der Wahrnehmung.
Trauerarbeit findet statt.
Emotion
Gleichmut
Gedanken
»Es ist, wie es ist.«
»Machen wir das Beste daraus.«
»Gehen wir es an.«
Verhalten
Es entsteht wieder Energie.
Erste neue Verhaltensweisen werden ausprobiert.
Erfahrungen werden gesammelt, Fehler gemacht, aber auch erste Erfolge erzielt.
Emotion
Friede
Kommentare
»Wie schnell man sich daran gewöhnt.«
»War es schon mal anders?«
»Letztendlich ist es gut so!«
Verhalten
Der Humor ist zurückgekehrt.
Die Mitarbeitenden sind entspannt und fühlen sich wieder sicher.
Zum Teil sind sie sogar stolz auf die vollbrachten Leistungen.
Hier sind wir bei einem Hauptproblem, das Sie als mittlere:r Manager:in sehr deutlich zu spüren bekommen. Change-Vorhaben werden häufig im Topmanagement beschlossen und gestartet. Deshalb durchfährt die Geschäftsführung (GF) oder der Vorstand die Change-Achterbahn zuerst. Grundsätzlich gilt, dass alles, was wir selbst beschließen uns nicht so schwerfällt. Deswegen durchfährt die GF die Achterbahn schnell und vergleichsweise leicht.
Ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollen mehr Sport machen und beschließen, morgens eine Stunde früher aufzustehen, 30 Minuten zu joggen und danach noch Liegestütze zu machen. Sie fangen an, mit dem was Sie können und steigern sich dann langsam auf 50 Wiederholungen hoch. Anschließend duschen Sie und dann ab ins Büro. Wenn Sie sich das selbst auferlegen, ist es schon hart. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, Ihre Firma verlangt das von Ihnen. Sie dürfen morgens als bezahlte Arbeitszeit Sport machen. Sie dürfen aber nicht nur, Sie müssen! Sie erhalten eine Tracking-Uhr, die genau erkennt, ob Sie das sind, oder ob Sie diese dem morgendlich joggenden Nachbarn mitgeben. Sie müssen den Sport machen! Jeden Morgen! Können Sie sich vorstellen, was da los wäre? Entscheidungen, die wir selbst treffen sind okay, aber von außen auferlegte finden wir nicht witzig.
Was passiert jetzt im Wandel? Weil die Geschäftsleitung oder der Vorstand das Projekt selbst initiiert hat, ist der eigene Widerstand gering. Die emotionale Achterbahn wird schnell durchfahren. Die mittlere Führungsebene erfährt den geplanten Wandel zeitlich versetzt. Sie beginnt also später mit der emotionalen Achterbahnfahrt. Das mittlere Management hat die Idee nicht selbst entwickelt, kann aber zumindest die Umsetzung noch beeinflussen. Das Durchfahren der Achterbahn dauert länger als bei der GF. Die Achterbahn streckt sich optisch in die Länge. Die Mitarbeitenden an der Basis der Pyramide werden als Letzte eingeweiht und steigen lange nach dem Topmanagement in den Achterbahnwagen. Da sie weder die Idee hatten, noch meist die Umsetzung wirklich mitbestimmen können, wird der Wandel auf der Ebene als besonders unangenehm empfunden. Er fühlt sich völlig fremdbestimmt an, was zu einer deutlichen Verlängerung der einzelnen Phasen und damit der Achterbahnfahrt führt.
Die Konsequenz dabei ist folgende: Die verschiedenen Hierarchieebenen durchlaufen die Phasen zu unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlich schnell. Interessant ist jetzt die erste senkrechte Linie in der Darstellung auf der nächsten Seite. Wo sind da die einzelnen Gruppen? Schauen Sie einmal nach. Diese Konstellation ergibt sich nämlich tatsächlich bei fast jeder Veränderung irgendwann.
Sie sehen: Das Topmanagement ist bereits bei der Integration angelangt. Die sind geistig durch und beschäftigen sich bereits mit anderen Projekten. Der Wandel ist mental schon abgehakt, kommt aber im echten Leben nicht in die Umsetzung. Die Folge ist irgendwann heftige Ungeduld der GF und damit Druck von oben auf die mittleren Manager:innen.
Die Hierarchieebenen durchlaufen die Phasen nicht gleichzeitig
Das mittlere Management wiederum ist gerade in der Depressionsphase. Man hat genug Zeit gehabt, sich mit der Sache zu beschäftigen und versteht, was da jetzt an Mehrbelastung auf einen selbst und die Mitarbeitenden zukommt. Vielleicht hat man dem oder der Partner:in zuhause gerade erste versprochen, endlich mal mehr Zeit für die Beziehung zu haben, aber das wird man nicht einhalten können bei dem, was da anrollt.
Die Mitarbeitenden sind zu diesem Zeitpunkt noch in der Zornphase und haben keine Lust, das jetzt auch noch machen zu sollen. Das mittlere Management bekommt also zu diesem Zeitpunkt Druck von oben (»Schneller!«) und von unten (»No way! Nicht mit uns!«), während es selbst kaum Energie hat. Mit diesem berühmten Sandwich-Druck müssen Sie dann für Wochen und Monate leben (siehe auch Kapitel 9: »Vergessen Sie sich selbst als Betroffene:n nicht«).
Die zweite senkrechte Linie zeigt: Wenn die mittleren Manager:innen dann endlich auch bei der Integration angekommen sind, also das Neue aktiv umsetzen wollen, durchlaufen deren Mitarbeitende wiederum gerade die Depressionsphase. Das führt dazu, dass die unterschiedlichen Ebenen die Emotionen, Bedürfnisse und das Verhalten der anderen Ebenen meistens nicht nachvollziehen können. Konflikte sind vorprogrammiert.
Heutzutage erleben wir eine Veränderung nach der anderen. Wenn Ihre Mitarbeitenden zu vielen Veränderungen ausgesetzt werden, führt dies zur Erschöpfung. Die Abfolge der emotionalen Achterbahnen ist so, dass nach Angst, Zorn und Trauer zwar die Gleichmut und die Zufriedenheit folgen würden, die normalerweise positiv erlebt werden, sie haben aber keine aufbauende Wirkung mehr. Der Grund ist, dass die Mitarbeitenden zeitgleich schon wieder die Phasen Verneinung und Zorn eines neuen, für sie unangenehmen Wandels durchlaufen. Passiert dies mehrfach hintereinander, fahren die Mitarbeitenden in einer gefühlten Endlosschleife aus Angst – Zorn – Trauer – Angst – Zorn – Trauer …
Die Endlosschleife negativer Emotionen bei zu häufigem Wandel
Wenn Sie als Führungskraft mit Ihren Mitarbeitenden mehrere Change-Prozesse hintereinander durchlaufen, ist es trotz Zeitknappheit und Stress sehr wichtig innezuhalten, erzielte Erfolge zu würdigen und am besten auch zu feiern. Wenn Sie das nicht tun, verpufft der Erfolg in der Wahrnehmung der Mitarbeitenden. Die Aufwärtskurven in der Grafik werden psychologisch ausgeblendet. Wahrgenommen wird nur noch eine einzige Talfahrt. Ich empfehle Ihnen eine kleine Feier während der Arbeitszeit zu machen. Alles außerhalb der Arbeitszeit ist für die Mitarbeitenden eine Zusatzbelastung (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel). Richten Sie morgens ein gemeinsames Frühstück aus oder bestellen Sie mittags für alle einmal Pizza und Pasta beim Italiener oder organisieren Sie für eine Nachmittagsbesprechung einen leckeren Kuchen. Wenn Sie dann alle zusammensitzen, halten Sie eine kleine Rede, in der Sie aufzeigen, was alles gemeinsam erreicht wurde. Gerne können Sie auch einzelne Teams für ihre Arbeit und den besonderen Beitrag loben. Vielen Führungskräften und auch Mitarbeitenden wird tatsächlich erst in einem solchen Moment bewusst, dass man überhaupt etwas geschafft und abgeschlossen hat.
Ebenso wichtig ist, dass Sie sich Ihren Humor und Ihre gute Laune beibehalten. Ich habe mal einen Manager mit einem sehr stressigen Berufsumfeld gefragt, wie er das schafft, nicht darin zu versinken. Seine Antwort war: »Man darf seinen Humor nicht verlieren. Trotz Anspannung und Zeitdruck gehe ich immer mal durch die Firma und mache mit den Leuten Scherze. Auch im Stress ist immer Zeit für eine kurze freundliche menschliche Begegnung.« Auch das ist ein Teil von Führung.
Diese beiden Folgekurven waren die wichtigsten für Ihr Verständnis. Der Vollständigkeit wegen zeige ich Ihnen jetzt noch ein paar weitere. Diese habe ich bewusst kurzgehalten.
Bei einem Wandel innerhalb eines Bereichs oder einer Abteilung durchlebt der größere Teil der Gruppe die emotionale Achterbahn meist gemeinsam. Aber Sie werden beobachten können, dass einige Menschen in Wandelprozessen die emotionale Achterbahn bei gleicher Betroffenheit anders erleben als ihre Kolleg:innen. Manche durchfahren sie mit angezogener Handbremse, andere dagegen im Höchsttempo. Das bedeutet, dass Sie nicht alle gleich behandeln können. Wo die Mitarbeitenden sich aufhalten, erkennen Sie am beobachtbaren Verhalten (siehe y-Achse der Grafik auf S. 37).
Position der Mitarbeitenden beim Durchlaufen der Phasen
Wenn Sie einen organisatorischen Wandel umsetzen, sind die Mitarbeitenden unterschiedlich stark betroffen. Während der eine beispielsweise seinen geliebten Titel und damit deutlich an Ansehen verliert, muss der andere nur den Ablauf einer gewohnten Tätigkeit verändern. Dementsprechend werden Ihre Mitarbeitenden die Phase der Verneinung, des Zorns und der Depression unterschiedlich stark erleben.
Hinzu kommt der biografische Hintergrund der einzelnen Menschen, welche Erfahrungen sie mit Wandel bisher gemacht haben.
Ausprägung der einzelnen Phasen bei den Mitarbeitenden
Ihre Mitarbeitenden durchfahren die Achterbahn manchmal nicht in einem Rutsch bis zum Ende, sondern sie drehen Schleifen und durchlaufen vorherige Phasen erneut. Es kann zum Beispiel sein, dass einer Ihrer Mitarbeitenden in der Phase der Depression seine Trauer als zu intensiv empfindet. Wenn dieses Gefühl übermächtig wird, lenkt er es in Zorn um und kehrt somit in die vorangegangene Phase zurück. Dieser Rückfall kann für Sie sehr überraschend sein; jemand, der Ihnen gestern noch wie ein Häufchen Elend erschien, wirkt am nächsten Tag latent aggressiv. Es ist auch möglich, dass erfolglose Lernversuche in der Phase der Akzeptanz zur Rückkehr in die Depression führen. Hier können Sie dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin neuen Mut zusprechen.
Zurückfallen in vorherige Phasen
Es kann passieren, dass einzelne Mitarbeitende länger in einer Phase verweilen. Die Verneinungsphase wird normalerweise nach einer bestimmten Zeit allein dadurch abgeschlossen, dass der Wandel voranschreitet, weil er umgesetzt wird. In der Zornphase bleiben die meisten auch nicht länger, weil es dort zu anstrengend ist und auch die Kollegen und Kolleginnen irgendwann signalisieren, man solle mal einen Gang rausnehmen. Es passiert daher am ehesten, dass Mitarbeitende dauerhaft in der Depressionsphase verbleiben. Sie steigen an dieser Stelle aus der Achterbahn aus und kommen nie bei der Akzeptanz an, weil zum Beispiel einer der eigenen Werte verletzt wurde. Was dann folgt, ist oft innere Kündigung beziehungsweise Dienst nach Vorschrift. Hier sollten Sie ein Gespräch mit der Person führen, in dem Sie ihr klar mitteilen, wie Sie sie wahrnehmen und welche Konsequenzen ihr Verhalten langfristig haben wird. Manchmal ist es auch so, dass Mitarbeitende eine neue Ausrichtung oder Kultur nicht mehr mittragen wollen oder können. Von diesen müssen Sie sich dann notgedrungen trennen. Vorher sollten Sie aber erst einmal ernsthaft versuchen, den Menschen für die Sache zu gewinnen.
Steckenbleiben in einer Phase
Sie haben sich nun mithilfe dieses Kapitels einen Überblick darüber verschafft, wie Menschen und Gruppen auf Veränderungen reagieren. Sie kennen erste empfehlenswerte Reaktionsweisen für die einzelnen Phasen und die damit verbundenen Emotionen. Das folgende Kapitel bietet Ihnen nun konkrete Praxistipps, wie Sie mit kollektiven und individuellen Gefühlen von Angst, Zorn und Trauer bei sich selbst und bei den Mitarbeitenden umgehen können.
Zusammenfassung
Teams und Einzelpersonen erleben in einem Wandel starke Gefühlsschwankungen.
Die emotionale Achterbahn hat fünf Phasen mit jeweils einer vorherrschenden Emotion.
Erkennen Sie die Phasen an den typischen Verhaltensmustern.
Die Hierarchieebenen durchlaufen die Phasen unterschiedlich.
Zu viel Wandel führt zu Paralyse.
Die Mitarbeitenden durchlaufen den Wandel ungleich schnell.
Die Mitarbeitenden durchlaufen den Wandel ungleich intensiv.
Die Mitarbeitenden können in vorherige Phasen zurückfallen.
Die Mitarbeitenden können in einer Phase stecken bleiben.
So gehen Sie mit Ihren eigenen Emotionen und denen Ihrer Mitarbeitenden um
Die Hälfte aller Fehler entsteht dadurch, dass wir denken sollten, wo wir fühlen, und dass wir fühlen sollten, wo wir denken.
John Churton Collins (britischer Professor und Literaturkritiker)
Dieses Kapitel spricht die zentrale Problematik der meisten Manager:innen an. Die Mitarbeitenden empfinden im Wandel Angst, Zorn und Trauer, doch in der Praxis zeigt sich, dass viele Manager:innen große Probleme haben, damit richtig umzugehen. Wer als Führungskraft seine eigenen unangenehmen Gefühle verdrängt, wegdrückt und nicht wahrhaben will, wird auch auf die Emotionen der Mitarbeitenden nicht angemessen reagieren. Das jedoch ist notwendig, wenn Sie Ihre Ziele erreichen wollen. In diesem Kapitel werden wir uns deshalb mit beiden Seiten beschäftigen. Im ersten Schritt geht es jeweils darum, wie Sie für sich mit einem der drei Gefühle umgehen können, um Ihrer Vorbildrolle als Vorgesetzte:r gerecht zu werden. Im zweiten Schritt werden Sie erfahren, wie Sie darauf reagieren können, wenn Ihre Mitarbeitenden in den einzelnen Phasen einer Veränderung diesen starken Emotionen ausgesetzt sind.
Auch Manager:innen haben Angst! Doch sie geben das nicht gern zu, noch nicht einmal sich selbst gegenüber. Viele Führungskräfte verdrängen ihre Ängste, sie sind ihnen also zum Teil gar nicht bewusst. Wie ich an anderer Stelle erläutert habe3, werden die meisten Jungen so erzogen und von ihrer Umwelt geprägt, dass sie unangenehme Emotionen, die mit dem Gefühl von Schwäche verbunden sind, systematisch verdrängen. Dazu gehören Angst und Trauer. Vielen Männern fällt es daher schwer, sich der eigenen Angst bewusst zu werden und sich diese einzugestehen.
Ich habe diese Verdrängung selbst einmal vor 20 Jahren sehr deutlich erlebt, als mich mit nur 32 Jahren auf eine Empfehlung hin eine sehr renommierte und elitäre Institution beauftragte, eine zweitägige Weiterbildungsveranstaltung abzuhalten. Diese verpflichtete sonst eher namhafte Universitätsprofessor:innen, bekannte Top-Redner:innen und DAX-Vorstände. Damals hatte ich noch nicht die Erfahrung von heute. Die Trainer der anderen Module in der Reihe waren alle 50+. Mein Publikum bestand aus gestandenen Manager:innen, die mindestens zehn Jahre älter waren als ich. Ich war also die jüngste Person weit und breit. Noch dazu wusste ich, dass zwei mir gut bekannte, sehr erfahrene Dozenten in ähnlichen Veranstaltungen an dieser Institution »durchgefallen« waren. Nachdem die Evaluation der anspruchsvollen Zielgruppe nicht exzellent gewesen war, hatte man sie aus dem Dozenten-Pool sofort dauerhaft ausgemustert. Der Verantwortliche für das Programm war nun trotz meiner sehr guter Referenzen besorgt, ich könnte mit meinen 32 Jahren zu unerfahren sein und kündigte seine durchgehende Teilnahme als kritischer Beobachter meines Seminars an, um gegebenenfalls sofort einschreiten zu können. Mir wurde gesagt, dass, wenn ich nicht performen würde, er eine Notfallnummer eines anderen Trainers hätte, der mich dann zur Mittagspause ersetzen würde. Natürlich war ich nervös und bereitete mich akribisch vor. Wenige Tage vor der Veranstaltung wachte ich in einer Nacht zweimal schweißgebadet auf. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nicht nur etwas nervös war, wie ich bis dahin geglaubt hatte, sondern große Angst hatte. Die Chance, sich zu blamieren, erschien mir riesig. Diese Angst, die ich mir vorher nicht eingestehen wollte, ließ sich nicht mehr leugnen. Sie raubte mir den Schlaf. Ich war verblüfft, wie ich sie die ganze Zeit über verdrängt hatte. Ich überlegte sogar für einen kurzen Augenblick, das Ganze abzusagen. Da kam mir ein Spruch von Mark Twain in den Sinn: »Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Überwindung derselben.« Dies war meine Chance, Mut zu zeigen. Ich beschäftigte mich mit meiner Angst und überlegte, welche Konsequenzen ein Versagen schlimmstenfalls haben könnte. Nachdem ich die möglichen Folgen akzeptiert hatte, machte ich mich daran, mich mental auf die Feuerprobe vorzubereiten. Ich war bereit anzutreten und zu verlieren, wenn es denn sein sollte. Das Ende vom Lied: Der Programmleiter verließ nach zwei Stunden Beobachtung entspannt die Veranstaltung. Das Feedback nach den zwei Tagen war exzellent und das beste von den vier Modulen des gesamten Managementprogramms.
Angst vor solchen Risiken zu haben, ist normal. Wenn Sie sich diese aber nicht eingestehen und mit ihr umgehen, sondern sie stattdessen verdrängen, bleibt sie bestehen, und Sie strahlen das aus. Hätte ich mir meine Angst vor der Veranstaltung nicht bewusst gemacht und sie akzeptiert, wäre sie zu Beginn der Veranstaltung wahrscheinlich hochgekommen. Die erfahrenen Manager:innen hätten sie gespürt und mir dies durch Mikrosignale in ihrer Mimik gespiegelt, was zu noch mehr Unsicherheit geführt hätte. Es wäre wahrscheinlich ein Fiasko geworden.
Manager:innen in Veränderungsprozessen haben ebenfalls Angst.
Ich erinnere mich an den Personalabbau in einem großen Konzern, den ich als externer Berater und Trainer begleitete. Unter anderem sollte ich in einer Veranstaltung »meinen« Führungskräften vermitteln, wie man wertschätzend und professionell Trennungsgespräche führt. Das Auswahlverfahren für den Sozialabbau sah vor, dass sowohl jüngere als auch ältere Mitarbeitende, sowohl Best- als auch Minderleister in eine Auffanggesellschaft übergeleitet werden sollten. Das spezielle Verfahren konnte dazu führen, dass eine Führungskraft einem 55-jährigen Mitarbeiter, der seit vielen Jahren der Bestleister der Abteilung war, kündigen musste. Wenn eine Führungskraft diesen Mitarbeiter nun seit zwei Jahrzehnten kennt und weiß, dass er Alleinverdiener der Familie ist und zwei studierende Kinder hat, dass das Eigenheim noch nicht abbezahlt ist und die Wiedereinstellungschancen aufgrund des Alters gering sind, ist das Überbringen einer solchen Nachricht enorm belastend. Erschwerend kam hinzu, dass an einem anderen Standort des Konzerns ein Mitarbeiter direkt nach seinem Kündigungsgespräch vom Gebäude gesprungen und am Unfallort verstorben war. Jeder hatte davon gehört und fürchtete sich vor einer Wiederholung einer solchen Verzweiflungstat.
In dem Workshop ließen sich die geballte Angst der Manager:innen vor diesen Gesprächen und die ohnmächtige Trauer über die Trennung von verdienten und persönlich geschätzten Kolleginnen und Kollegen mit Händen greifen. Nicht wenige hatten feuchte Augen und eine belegte Stimme, wenn sie sprachen. Bezeichnend war aber, dass niemand das Wort »Angst« in den Mund nahm. Man sprach sehr sachlich von »Bedenken« ob der Reaktion und von »Respekt vor der Aufgabe«. Erst als ich verständlich machte, dass Angst ein Teil unseres Lebens und völlig normal ist, öffneten sich die Manager:innen und konnten sich selbst eingestehen, dass auch sie Angst verspürten. Dieses Wahrnehmen und Zugestehen von Angst baut Druck ab. Zu sehen, dass es auch anderen so geht, hilft Führungskräften, mit der Situation und der eigenen Hilflosigkeit umzugehen. Wir sprachen dann darüber, dass es erlaubt ist, auch in einem Trennungsgespräch mit verdienten Mitarbeitenden Emotionen zu zeigen. Ein Mitarbeitender darf durchaus sehen, dass es der Führungskraft nicht gleichgültig ist. Das Zeigen von Emotionen und eine professionelle Gesprächsführung schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.