Mission erfüllt - Mark Owen - E-Book

Mission erfüllt E-Book

Owen Mark

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Beschreibung

Die Wahrheit über die Jagd auf Osama bin Laden

Die Welt kennt nur die Bilder aus dem Lagezentrum des Weißen Hauses: Präsident Barack Obama und sein Stab beobachten am Monitor den Zugriff der Navy Seals. Mit aufgerissenen Augen verfolgt Außenministerin Hillary Clinton das Geschehen. Erschrocken schlägt sie die Hand vor den Mund. Es ist der Moment, als Osama bin Laden, der Drahtzieher des globalen Terrors, von einer Kugel in den Kopf getroffen wird.

Was genau der US-Präsident und seine Berater sahen, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Einzig und allein die Männer, die den Auftrag ausführten, wissen, was in Pakistan wirklich geschah. Mark Owen ist einer von ihnen.

Der authentische Bericht über die tatsächlichen Umstände des Todes von Osama bin Laden – die wahre Geschichte über die wohl spektakulärste Mission der Navy Seals.

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Seitenzahl: 353

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Mark Owen

mit Kevin Maurer

Mission

Erfüllt

Navy Seals im Einsatz: Wie wir osama bin laden aufspürten UND zur Strecke brachten

Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Karlheinz Dürr, Hans Freundl, Karin Miedler, Thomas Pfeiffer, Heike Schlatterer und Karin Schuler

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel No Easy Day. The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama Bin Laden bei Dutton, USA.

Copyright © 2012 by Mark Owen

This edition published by arrangement with Dutton, a member of Penguin Group (USA) Inc.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Entwurfs von Anthony Ramondo, Penguin Group (USA)

Umschlagfotos: © NRA Life of Duty/Alamy/Shutterstock Images

Innenfotos: Aus der Sammlung des Autors

Karten: Travis Rightmeyer

Redaktion: Ulrich Mihr

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN: 978-3-641-10344-6

www.heyne.de

The only easy day was yesterday.

Navy SEAL Philosophie

Long live the Brotherhood.

Prolog

Chalk One

Eine Minute vor Erreichen des Ziels schob der Crew Chief des Black Hawk die Luke auf und hielt einen Finger in die Höhe.

Ich konnte ihn kaum erkennen – die Nachtsichtbrille verdeckte seine Augen. Dann sah ich, wie meine SEAL-Teamkameraden das Zeichen durch den Hubschrauber weitergaben.

Die Kabine war vom Dröhnen der Maschinen und dem Geräusch der Rotoren erfüllt, die über uns die Luft durchschnitten. Der Wind zerrte an mir, als ich mich hinauslehnte und in der Hoffnung, einen Blick auf die Stadt Abbottabad zu erhaschen, auf das dunkle Land unter uns hinunterschaute.

Eineinhalb Stunden zuvor hatten wir unsere zwei MH-60-Black Hawks bestiegen und waren in eine mondlose Nacht aufgestiegen. Der Flug von unserer Basis im afghanischen Dschalalabad bis zur pakistanischen Grenze war nur kurz, und von dort aus war es nochmals eine gute Stunde bis zu dem Ziel, das wir seit Wochen auf Satellitenaufnahmen studiert hatten.

Abgesehen von den Lichtern aus dem Cockpit herrschte in der Kabine völlige Dunkelheit. Ich hatte den Flug mit dem Rücken gegen die linke Tür gelehnt gesessen und konnte meine Beine nicht ausstrecken. Um Gewicht zu sparen, hatten wir die Sitze aus dem Hubschrauber ausgebaut, und so saßen wir entweder auf dem Boden oder auf kleinen Campingstühlen, die wir vor unserer Abreise in einem Sportgeschäft gekauft hatten.

Jetzt nutzte ich die Gelegenheit, meine eingeschlafenen Beine durch die offene Tür auszustrecken, damit das Blut wieder zirkulieren konnte. Insgesamt drängten sich in unserer Kabine und der des zweiten Hubschraubers, mich mitgezählt, 24 Angehörige der Naval Special Warfare Development Group, kurz DEVGRU. Ich hatte mit diesen Männern schon Dutzende Operationen durchgeführt. Manche kannte ich seit zehn oder mehr Jahren. Ich vertraute allen vollkommen.

Fünf Minuten zuvor war die Kabine unvermittelt zum Leben erwacht. Wir hatten unsere Helme herausgeholt, die Funkgeräte geprüft und unsere Waffen einem letzten Check unterzogen. Meine Ausrüstung wog dreißig Kilogramm, bis auf das letzte Gramm sorgfältig für diese spezielle Operation ausgewählt, über ein Dutzend Jahre und Hunderte ähnlicher Einsätze hinweg verbessert und angepasst.

Das Team, zu dem ich gehörte, war handverlesen, zusammengestellt aus den erfahrensten Männern unseres Squadron. In den letzten achtundvierzig Stunden schien der Marschbefehl immer wieder unmittelbar bevorzustehen, doch er wurde ein ums andere Mal verschoben. Wir hatten unsere Ausrüstung gecheckt und gecheckt und nochmals gecheckt. Mit anderen Worten, wir waren mehr als bereit für diese Nacht.

Das hier war der Einsatz, von dem ich geträumt hatte, seit ich in meiner Kasernenstube auf Okinawa die Angriffe vom 11. September 2001 im Fernsehen mitverfolgt hatte. Ich war gerade vom Training zurückgekehrt und noch rechtzeitig in die Unterkunft gekommen, um zu sehen, wie das zweite Flugzeug in das World Trade Center krachte. Ich konnte den Blick nicht abwenden, als der Feuerball auf der anderen Seite des Gebäudes herausschoss und dichter Rauch aus dem Turm in die Höhe quoll.

Wie viele Millionen Amerikaner zu Hause stand ich da und starrte fassungslos und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung auf die Bilder. Ich konnte mich den ganzen Tag nicht vom Bildschirm lösen, während mein Kopf unablässig versuchte, sich einen Reim auf das zu machen, was da passiert war. Ein Flugzeug, das ins World Trade Center stürzte, konnte vielleicht noch ein Unfall sein. Aber die Nachrichten, die dann kamen, bestätigten, was mir in dem Moment klar geworden war, als das zweite Flugzeug auf dem Bildschirm auftauchte. Ein zweites Flugzeug war ein Angriff, da gab es keinen Zweifel. Ausgeschlossen, dass so etwas zufällig passieren konnte.

Am 11. September 2001 befand ich mich auf meinem ersten Einsatz als SEAL, und als der Name Osama bin Laden fiel, ging ich davon aus, dass meine Einheit am nächsten Tag den Befehl zum Aufbruch nach Afghanistan erhalten würde. Die vorangegangenen eineinhalb Jahre hatten wir für unseren ersten Einsatz trainiert. Wir hatten in Thailand trainiert, auf den Philippinen, auf Osttimor und, in den letzten paar Monaten, in Australien. Als ich nun die Bilder von den Anschlägen sah, wünschte ich mir nur noch eines: nicht mehr hier in Okinawa herumzuhocken.

Ich wollte in die Berge von Afghanistan aufbrechen, Jagd auf die al-Qaida-Kämpfer machen und es ihnen heimzahlen, so gut ich konnte.

Doch der Befehl kam nicht.

Ich war frustriert. Ich hatte nicht so lange und so hart trainiert, um ein SEAL zu werden und mir dann den Krieg im Fernsehen anzuschauen. Meiner Familie und meinen Freunden, die mir schrieben und wissen wollten, ob ich nach Afghanistan ginge, erzählte ich natürlich nichts über meine Enttäuschung. Ich war ein SEAL, und für sie war es nur logisch, dass man uns so schnell wie möglich nach Afghanistan schicken würde.

Ich erinnere mich noch, dass ich zu der Zeit eine E-Mail an meine Freundin schickte, in der ich meinen Frust mit einem Witz zu überspielen versuchte. Wir unterhielten uns über das Ende meines Einsatzes und waren dabei, Pläne für meinen Heimaturlaub vor meiner nächsten Entsendung zu schmieden.

»Ich habe noch ungefähr einen Monat«, schrieb ich. »Ich werde also bald zu Hause sein, es sei denn, ich muss zuerst noch Osama Bin Laden erledigen.« Ein Witz, den man damals oft hörte.

Während die Black Hawks sich unserem Ziel näherten, ließ ich nochmals die letzten zehn Jahre Revue passieren. Seit dem Tag der Anschläge hatte jeder, der meine Uniform trug, davon geträumt, an einer Operation wie dieser teilzunehmen. Der Anführer von al-Qaida verkörperte alles, wogegen wir kämpften. Er hatte Männer mit dem Wunsch beseelt, Flugzeuge voller unschuldiger Zivilisten in Gebäude voller unschuldiger Zivilisten zu steuern. Ein derartiger Fanatismus ist erschreckend, und noch während ich die Türme in New York einstürzen sah und die ersten Berichte über den Angriff auf Washington D. C. und die abgestürzte Maschine in Pennsylvania hörte, wusste ich, dass wir uns im Krieg befanden, und zwar in einem Krieg, den wir uns nicht selbst ausgesucht hatten. Wie ich hatten viele tapfere Männer viele Jahre dem Ziel geopfert, in diesem Krieg zu kämpfen, ohne zu wissen, ob wir jemals die Gelegenheit bekommen würden, zu einer Mission wie in dieser Nacht berufen zu werden.

Ein Jahrzehnt nach den Anschlägen und nach acht Jahren, in denen wir al-Qaida-Führer gejagt und getötet hatten, trennten mich nur noch ein paar Minuten von dem Moment, in dem ich mich in das Anwesen Bin Ladens abseilen würde.

Als ich nach dem Seil griff, das an dem Galgen des Black Hawk fixiert war, fühlte ich, wie endlich Blut durch meine Zehen strömte. Der Scharfschütze neben mir nahm seinen Platz ein; ein Bein hing aus dem Hubschrauber, das andere war angewinkelt aufgestellt, sodass in der engen Luke mehr Platz blieb. Er schwenkte den Lauf seiner Waffe auf der Suche nach Zielen über dem Anwesen. Sein Job war es, die Südseite des Anwesens zu decken, während die Mitglieder des Assault Teams sich in den Hof des Haupthauses abseilten und sich dort entsprechend den ihnen zugewiesenen Aufgaben aufteilten.

Noch vor einem Tag hatte keiner von uns zu hoffen gewagt, dass Washington die Freigabe für die Mission erteilen würde. Aber jetzt waren wir, nach endlosen Wochen des Wartens, weniger als eine Minute von Bin Ladens Versteck entfernt. Alle geheimdienstlichen Informationen bestätigten, dass unsere Zielperson sich hier aufhielt, und ich selbst war auch davon überzeugt, aber vor Überraschungen war man nie gefeit. Wir hatten schon ein paar Mal geglaubt, ihm direkt auf den Fersen zu sein.

2007 hatte ich eine Woche damit verbracht, Gerüchte über Bin Ladens Aufenthaltsort zu verifizieren. Wir hatten Berichte erhalten, denen zufolge er aus Pakistan nach Afghanistan zurückkehren wollte, um nochmals in die Kämpfe einzugreifen. Eine Quelle behauptete, in den Bergen einen Mann in »wehenden weißen Roben« gesehen haben. Doch nach einer Woche der Vorbereitungen entpuppte sich das Ganze als ein aussichtsloses Unterfangen. Dieses Mal hatte ich ein ganz anderes Gefühl. Vor unserem Aufbruch hatte die CIA-Analystin, deren Arbeit wir die Spur nach Abbottabad vor allem verdankten, gesagt, sie sei sich hundertprozentig sicher, dass Bin Laden dort sei. Ich hoffte, dass sie recht behielt, aber meine Erfahrung hatte mich gelehrt, kein Urteil zu fällen, bevor die Mission vorüber war.

So oder so, jetzt war das nicht mehr wichtig. Wir befanden uns nur noch ein paar Sekunden von dem Haus entfernt, und wer immer dort auch lebte, hatte eine höchst unerfreuliche Nacht vor sich.

Wir hatten ähnliche Angriffe unzählige Male erfolgreich abgeschlossen. In den letzten zehn Jahren war ich im Irak, in Afghanistan und am Horn von Afrika im Einsatz gewesen. Wir hatten 2009 an der Mission zur Rettung von Richard Phillips teilgenommen, dem Kapitän des von somalischen Piraten entführten Containerschiffs Maersk Alabama, und wir hatten auch in Pakistan schon etliche Operationen durchgeführt. Taktisch gesehen unterschied sich der Einsatz heute Nacht nicht groß von anderen Operationen; was seine historische Bedeutung anging, hoffte ich, dass dies ganz anders sein würde.

In dem Moment, in dem ich das Seil ergriff, breitete sich Ruhe in mir aus. Wir alle hier hatten die »Eine Minute bis zum Ziel«-Ansage schon unzählige Male zuvor gehört, und in diesem Moment war dies eine Operation wie jede andere. Von der Luke des Hubschraubers aus konnte ich erste Orientierungspunkte auf dem Boden ausmachen, die ich mir beim Studium der Satellitenaufnahmen des Geländes in den Wochen unserer Vorbereitung eingeprägt hatte. Weil ich nicht mit einer Sicherungsleine am Hubschrauber eingeklickt war, hatte mein Teamkamerad Walt eine Hand an der Nylonschlaufe, die am Rückenteil meiner Panzerweste befestigt war. Die anderen drängten sich direkt hinter mir an der Luke, bereit, mir auf dem Weg nach unten zu folgen. Rechts von mir hatten meine Teamkameraden einen guten Blick auf den Hubschrauber mit Chalk Two hinter uns, der seine Landezone ansteuerte.

Sobald wir die südöstliche Mauer überflogen hatten, stellte der Pilot die Rotorblätter stark an, um über unserem festgelegten Einstiegspunkt in den Schwebeflug überzugehen. Aus zehn Metern Höhe konnte ich an einer Leine aufgehängte Wäsche flattern sehen. Der Abwind des Rotors wirbelte Staub auf und hüllte zum Trocknen aufgehängte Matten ein. Müll wirbelte durch den Hof, und in einem angrenzenden Pferch rannten vom Lärm aufgescheuchte Ziegen und Kühe umher.

Den Blick nach unten gerichtet, sah ich, dass wir uns immer noch über dem Gästehaus befanden. Der Hubschrauber schwankte, und mir wurde klar, dass der Pilot Probleme hatte, ihn in die richtige Position zu bringen. Die Maschine schwebte zwischen dem Dach des Gästehauses und dem Durcheinander auf dem Hof. Über die Schulter hinweg sah ich den Crew Chief, der, das Mikrofon seines Funksgeräts dicht an den Mund gepresst, Anweisungen an den Piloten durchgab.

Der Hubschrauber taumelte, als der Pilot versuchte, ausreichend Auftrieb zu erzeugen, um einen stabilen Schwebeflug zu erreichen und die Position zu halten. Die Bewegungen waren nicht heftig, aber ich wusste, dass sie nicht geplant waren. Der Pilot an den Steuerhebeln tat sein Möglichstes, den Hubschrauber zu stabilisieren. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Unsere Piloten hatten solche Einsätze so oft geflogen, dass einen Hubschrauber über ein Ziel zu bringen für sie so einfach war, wie ein Auto einzuparken.

Während meine Augen den Boden absuchten, erwog ich, das Seil einfach hinabzuwerfen, nur damit wir aus dem instabilen Vogel herauskamen. Mir war klar, dass das riskant war, aber wir mussten möglichst schnell auf den Boden kommen. Im Moment konnte ich nichts tun; was ich brauchte, war eine freie Stelle auf dem Boden. Erst dann konnte ich das Seil abwerfen.

Aber ich fand diese freie Stelle nicht.

»Wir gehen außen herum. Wir gehen außen herum«, hörte ich über das Funkgerät. Das bedeutete, dass der ursprüngliche Plan, per Schnellabseilung direkt in das Anwesen einzudringen, abgeblasen war. Nun mussten wir außen herum zur Südseite fliegen, landen und die Mauer von außen her überwinden. Das würde die Operation um kostbare Minuten verlängern und den Leuten hinter der Mauer mehr Zeit geben, zu ihren Waffen zu greifen.

Ich bekam es mit der Angst zu tun.

Bis zu dem Moment, in dem ich den Befehl hörte, außen herum zu gehen, war alles nach Plan verlaufen, und wir hatten unseren Einsatzort unbemerkt vom pakistanischen Radar und der pakistanischen Flugabwehr erreicht. Jetzt aber lief die Sache aus dem Ruder, bevor wir auch nur auf dem Boden waren. Natürlich hatten wir für diese Eventualität geübt, aber es war eben nur Plan B. Wenn unser Ziel tatsächlich vor Ort war, war der Überraschungseffekt entscheidend, und den drohten wir jetzt gerade zu verlieren.

Als der Pilot versuchte, den Hubschrauber aus dem instabilen Schwebeflug hochzuziehen, schwang die Maschine ruckartig um neunzig Grad nach rechts. Ich konnte spüren, wie das Heck nach links gerissen wurde. Von der plötzlichen Bewegung überrascht, suchte ich nach Halt, um nicht aus der Luke zu rutschen.

Dann spürte ich, wie mein Hintern Bodenkontakt verlor, und eine Sekunde lang fühlte ich Panik in mir aufsteigen. Ich ließ das Seil los und wollte mich in die Kabine zurücklehnen, aber hinter mir drängten sich meine Teamkameraden in der Luke, und so blieb mir kaum Raum, weiter nach hinten zu rutschen. Dann fühlte ich, wie Walt die Nylonschlinge an meiner Panzerweste fester griff, während der Hubschrauber anfing, an Höhe zu verlieren. Mit der anderen Hand hielt Walt die Weste des Scharfschützen fest. Ich lehnte mich so weit zurück wie nur möglich. Walt musste sich praktisch auf mich legen, damit ich nicht hinausrutschte.

»Heilige Scheiße, wir sacken ab«, dachte ich.

Durch die geöffnete Luke des zur Seite ziehenden Hubschraubers sah ich die Mauer des Hofs direkt auf uns zukommen. Über uns jaulten die Motoren laut auf, als der Pilot versuchte, die Maschine in der Luft zu halten.

Als der Hubschrauber auf die linke Seite kippte, hätte der Heckrotor um ein Haar das Gästehaus berührt. Vor dem Abflug hatten wir noch gescherzt, dass unser Hubschrauber am wenigsten Gefahr lief abzustürzen, weil so viele von uns schon einen Hubschrauberabsturz überlebt hatten. Wenn überhaupt, dann würde es den Hubschrauber mit Chalk Two an Bord erwischen.

Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Arbeitsstunden waren investiert worden, um uns hierher zu bringen, und nun drohte die Operation zu scheitern, bevor wir auch nur einen Fuß auf den Boden setzen konnten.

Ich versuchte, die Beine hochzuziehen und mich tiefer in die Kabine hineinzudrängen. Sollte der Hubschrauber mit der Seite aufschlagen, könnte er umkippen und meine Beine unter dem Rumpf einklemmen. Ich lehnte mich so weit wie möglich zurück und zog die Beine gegen die Brust. Neben mir versuchte der Scharfschütze ebenfalls, sein Bein hochzuziehen, aber hinter ihm war einfach kein Platz. Wir konnten nur hoffen, dass der Hubschrauber nicht über die Seite abschmierte und das Bein des Scharfschützen, das über die Luke hinausragte, unter sich zerquetschte.

In diesem Moment wechselte meine Wahrnehmung in eine Art Zeitlupenmodus. Ich verdrängte jeden Gedanken daran, gleich zerquetscht zu werden. Mit jeder Sekunde kam der Boden näher und näher. Ich fühlte, wie sich mein ganzer Körper in Erwartung des unausweichlichen Aufschlags verkrampfte.

Kapitel 1

Green Team

Ich spürte, wie der Schweiß mir den Rücken hinunterlief und mein Hemd durchnässte, während ich mich langsam durch den Korridor des Kill House auf unserem Trainingsstützpunkt in Mississippi vorwärts bewegte.

Das war 2004, sieben Jahre, bevor ich an Bord eines Black Hawk in die pakistanische Stadt Abbottabad fliegen und an einem der spektakulärsten Special-Operations-Kommandos in der Geschichte teilnehmen sollte. Ich absolvierte einen Auswahl- und Trainingskurs für das SEAL-Team 6, auch bekannt unter dem Kürzel DEVGRU, was ausgeschrieben für »United States Naval Special Warfare Development Group« steht. Der neunmonatige Auswahlkurs firmierte unter der Bezeichnung Green Team, und ihn zu bestehen war das Einzige, was mich und die anderen Kandidaten noch von der Aufnahme in die Elite-Einheit DEVGRU trennte.

Mein Herz raste, und ich musste mir den Schweiß aus den Augen blinzeln, als ich meinem Teamkameraden zur Tür folgte. Mein Atem ging heftig und stoßweiße, gleichzeitig versuchte ich, jeden ablenkenden Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich war aufgeregt und nervös, und genau das verleitet einen dazu, Fehler zu machen. Ich musste mich unbedingt konzentrieren, aber was auch immer uns in dem Raum erwartete, den wir gleich betreten mussten, es war nichts im Vergleich zu der Phalanx an Ausbildern, die uns von dem Laufsteg über uns aus beobachteten.

Die Ausbilder waren hochrangige DEVGRU-Kampfveteranen. Handverlesene Männer für die Aufgabe, neue Einsatzkräfte zu schulen, hielten jetzt meine Zukunft in ihren Händen.

»Los, das Mittagessen wartet«, munterte ich mich selbst auf.

Das war die einzige Methode, meine Angst unter Kontrolle zu bringen. 1998 hatte ich die Kampfschwimmerausbildung, den meist mit BUD/S abgekürzten »Basic Underwater Demolition/SEAL«-Kurs, vor allem dadurch überstanden, dass ich mich ausschließlich darauf konzentriert hatte, bis zum nächsten Essen durchzuhalten. Es kümmerte mich nicht, wenn ich meine Arme nicht mehr spürte, wenn wir Baumstämme immer und immer wieder über den Kopf stemmen mussten oder ich in der eiskalten Brandung bis auf die Knochen durchgefroren war. Ich wusste, irgendwann würde es vorüber sein. Es gibt da diese Redensart: »Wie isst man einen Elefanten?« Die Antwort ist einfach: »Biss für Biss.« Nur dass meine Bisse durch Mahlzeiten unterbrochen wurden: Halt durch bis zum Frühstück, quäl dich bis zum Mittagessen, beiß die Zähne zusammen bis zum Abendessen. Tag für Tag.

Ich war bereits ein SEAL, aber wenn ich es in die DEVGRU schaffen sollte, wäre das die Krönung meiner Laufbahn. Als Antiterroreinheit der US-Navy führt die DEVGRU Geiselbefreiungen durch, spürt Kriegsverbrecher auf und, seit den Anschlägen vom 11. September 2001, jagt und tötet al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan und im Irak.

Aber wer das Green Team bestehen wollte, musste alles geben. Es reichte nicht, nur ein guter SEAL zu sein. Nur bestehen, das hieß im Green Team durchzufallen, Zweiter zu sein, bedeutete, der erste Verlierer zu sein. Es ging nicht darum, den Anforderungen gerecht zu werden, man musste sie übertreffen. Erfolg im Green Team verlangte, extremen Stress auszuhalten und Spitzenleistungen zu bringen – und zwar pausenlos.

Vor jedem Ausbildungstag mussten wir ein mörderisches Krafttraining absolvieren, Spurts und Dauerläufe, Liegestützen, Klimmzüge und was unseren sadistischen Ausbildern noch so einfallen mochte. Sie ließen uns Autos – und hin und wieder sogar Busse – schieben. Wenn wir ins Kill House kamen, ein spezielles, ballistisch abgesichertes Gebäude voller Flure und Zimmer, das zur Nahkampfausbildung dient, waren unsere Muskeln bereits müde und schmerzten. Ziel und Zweck des Krafttrainings bestanden darin, die Belastung zu simulieren, der wir bei einem echten Einsatz ausgesetzt sein würden, um uns dann in einer anspruchsvollen taktischen Umgebung zu testen.

Auf dem Weg den Flur hinunter blieb mir keine Zeit, einen Blick auf die Instruktoren zu erhaschen. Es war der erste Ausbildungstag, und bei allen waren die Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Wir hatten gerade erst in Arizona einen vollen Monat Fallschirmsprünge aus großen Höhen trainiert. Der Leistungsdruck war auch dort schon enorm gewesen, aber mit der Ankunft in Mississippi hatte er sich nochmals verschärft.

Ich zwang mich, die Müdigkeit und die bohrenden Schmerzen zu vergessen und richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Tür vor mir. Sie bestand aus dünnem Sperrholz und hatte keinen Türknauf. Demoliert und zerbrochen von den Teams, die vor uns hineingegangen waren, konnte mein Teamkamerad sie mit seiner behandschuhten Hand problemlos aufstoßen. Auf der Schwelle hielten wir einen Moment inne und suchten nach Zielen, dann gingen wir hinein.

Der Raum war rechteckig mit grob gezimmerten Wänden aus alten Eisenbahnschwellen, um die Geschosse der scharfen Munition aufzufangen. Während ich mein Gewehr auf der Suche nach einem Ziel in einem Bogen vor mir schwenkte, hörte ich, wie mein Teamkamerad hinter mir den Raum betrat.

Nichts.

Der Raum war leer.

»Moving«, rief mein Teamkamerad, als er in den Raum trat, um eine Ecke zu sichern.

Instinktiv glitt ich in Position, um ihn zu decken.

Ich hatte mich kaum in Bewegung gesetzt, als ich über mir auf dem Laufsteg Stimmengemurmel hörte. Wir konnten nicht mehr stoppen, aber ich wusste, dass einer von uns gerade einen Fehler gemacht hatte. Eine Sekunde lang schoss mein Stresslevel in die Höhe, aber ich schob das Gefühl schnell beiseite. Wir mussten noch zwei weitere Räume sichern, und ich durfte keine Zeit damit verplempern, jetzt über einen Fehler nachzugrübeln, den ich vielleicht im ersten Raum gemacht hatte.

Wir kehrten in den Flur zurück und betraten den nächsten Raum. Gleich beim Eintreten erblicke ich zwei Ziele. Auf der rechten Seite die Silhouette eines Typen mit einem kleinen Revolver in der Hand. Er trug ein Sweatshirt und sah aus wie ein Gangster aus einem Siebzigerjahre-Film. Auf der linken Seite war der Umriss einer Frau mit einer Handtasche zu sehen.

Sekunden, nachdem ich den Raum betreten hatte, feuerte ich einen Schuss auf den Gangster ab. Volltreffer. Ich ging auf ihn zu und schoss noch ein paar Mal.

»Alles klar«, rief ich und ließ den Lauf meiner Waffe sinken.

»Alles klar«, antwortete mein Teamkamerad.

»Sichern und runter mit den Waffen«, rief einer der Ausbilder von oben herunter.

Nicht weniger als sechs Ausbilder blickten von dem Laufsteg, der sich wie ein Spinnennetz über das Kill House zog, auf uns herab. Sie konnten in aller Seelenruhe über die Stege laufen und zusehen, wie wir einen Raum nach dem anderen sicherten, unsere Leistung bewerten und nach jedem noch so kleinen Fehler Ausschau halten.

Ich sicherte mein Gewehr und ließ es am Riemen an meiner Seite hängen. Mit einem Hemdsärmel wischte ich mir den Schweiß aus dem Gesicht. Obwohl wir fertig waren, hämmerte mir das Herz immer noch in der Brust. Im Grunde genommen waren die Trainingsszenarien ziemlich unkompliziert. Es ging vor allem darum, einen Raum unter denselben Stressbedingungen wie in einer Kampfsituation ordnungsgemäß zu sichern.

Spielraum für Fehler gab es nicht, und in dem Moment war mir nicht ganz klar, was wir falsch gemacht hatten.

»Wo blieb dein Move-Call?«, fragte mich Tom, einer der Ausbilder, vom Laufsteg herab.

Ich antwortete nicht. Ich nickte bloß. Ich war beschämt und enttäuscht von mir. Ich hatte vergessen, meinem Teamkameraden zu sagen, dass er mir in den ersten Raum folgen sollte. Ein klarer Verstoß gegen die Sicherheitsregeln.

Tom war einer unserer besten Ausbilder. Man konnte ihn leicht von den anderen unterscheiden, weil er einen so großen Kopf hatte. Einen riesigen Kopf, so als steckte ein riesiges Gehirn darin. Es war das Einzige an ihm, was auffällig war; wäre der Kopf nicht gewesen, man hätte ihn übersehen, so zurückhaltend und unaufgeregt war er. Gleichzeitig respektierte ihn jeder von uns, weil er ebenso streng wie gerecht war. Wenn man vor Toms Augen einen Fehler machte, hatte man das Gefühl, ihn persönlich enttäuscht zu haben. Dass er von mir enttäuscht war, stand ihm überdeutlich ins Gesicht geschrieben.

Er brüllte nicht.

Er schrie nicht.

Er sah mich nur an.

Von oben herab sah ich, wie er mir diesen Blick zuwarf, diesen »Hey Mann, echt? Hast du das gerade echt verbockt?«-Blick.

Ich wollte etwas sagen, eine Erklärung wenigstens andeuten, aber ich wusste, dass sie nichts von mir hören wollten. Wenn sie sagten, du hast einen Fehler gemacht, dann hast du einen Fehler gemacht. So, wie ich da unter ihnen in dem leeren Raum stand, gab es nichts zu erklären oder zu rechtfertigen.

»OK, verstanden«, sagte ich schließlich, wehrlos und wütend auf mich selbst, weil mir ein so elementarer Fehler unterlaufen war.

»Wir brauchen was Besseres als das!«, sagte Tom. »Und jetzt verzieh dich. Ab auf die Leiter.«

Ich schnappte mein Gewehr, rannte aus dem Kill House und sprintete zu der Strickleiter, die rund dreihundert Meter weiter von einem Baum herunterhing. Mit jeder Sprosse, die ich mich hochzog, fühlte ich mich schwerer. Aber das lag nicht an meinem schweißgetränkten Hemd oder den dreißig Kilogramm, die die Panzerweste und die Ausrüstung wogen, die ich am Leib trug.

Es war meine Angst vor dem Versagen. Bis zu diesem Tag hatte ich in meiner Laufbahn als SEAL kein einziges Mal versagt.

Als ich sechs Jahre zuvor zu meinem BUD/S-Training nach San Diego kam, hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass ich es schaffen würde. Viele Kandidaten, die den Kurs mit mir antraten, wurden ausgemustert oder schmissen hin. Manche hielten die brutalen Dauerläufe am Strand nicht durch, andere gerieten beim Tauchtraining in Panik.

Wie viele andere BUD/S-Kandidaten wusste ich früh, mit dreizehn, dass ich ein SEAL werden wollte. Ich las jedes Buch über die SEALs, das ich in die Finger bekommen konnte, sog während der Operation Desert Storm begierig jede Meldung über sie auf und träumte von Hinterhalten und davon, bei Kampfeinsätzen aus dem Wasser über den Strand zu stürmen. Ich wollte all die Taten vollbringen, über die ich als Jugendlicher in Büchern gelesen hatte.

Mit dem Abschluss von einem kleinen College in Kalifornien in der Tasche meldete ich mich zum BUD/S-Kurs an und bekam 1998 den SEAL-Trident verliehen, das Qualifikationsabzeichen für das erfolgreiche Absolvieren des Kurses. Nach einem sechsmonatigen Einsatz in der Pazifikregion und einem Kampfeinsatz im Irak 2003/2004 war ich bereit für etwas Neues. Bei meinen ersten beiden Einsätzen hatte ich immer wieder von einer Einheit namens DEVGRU gehört. Die DEVGRU, das sind die Besten der Besten aus den Reihen der SEALs, und ich wusste, ich würde mir nicht mehr in die Augen schauen können, wenn ich mich nicht zumindest für den Auswahlkurs anmeldete.

Die Antiterroreinheit der Navy wurde im Kielwasser der Operation Eagle Claw aufgestellt, der von Präsident Jimmy Carter 1980 angeordneten und so kläglich gescheiterten Kommandoaktion zur Rettung der 52 Amerikaner, die in der US-Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran gefangen gehalten wurden.

Nach dem Fehlschlag erkannte die Navy die Notwendigkeit einer speziellen Einheit, die in der Lage war, solche extremen Einsätze erfolgreich durchzuführen. Sie beauftragte Richard Marcinko, eine der Navy unterstellte Antiterroreinheit mit dem Namen SEAL Team 6 zu entwickeln. Das Team trainierte die Infiltration von Krisengebieten und Feindländern sowie von Schiffen, Marinestützpunkten und Ölplattformen. Mit der Zeit wurde der Aufgabenbereich der Einheit auf die Geiselrettung, Personenschutz und Einsätze gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen erweitert.

Zu der Zeit, als Marcinko das Kommando aufbaute, gab es nur zwei SEAL-Teams, die Zahl sechs sollte den Sowjets vorgaukeln, dass die Navy über mehr Teams verfügte. 1987 wurde SEAL Team 6 in DEVGRU umbenannt.

Die Einheit ging mit 75 von Marcinko handverlesenen »Operators«, sprich Spezialkräften, an den Start. Heute werden alle Mitglieder des Teams in einem langwierigen Prozess aus anderen SEAL-Teams und Kampfmittelbeseitungs-Einheiten ausgewählt. Inzwischen ist die Einheit beträchtlich gewachsen und umfasst zahlreiche spezialisierte Einsatzteams und Versorgungspersonal, das Grundkonzept aber ist gleich geblieben.

Die Einheit ist Bestandteil des Joint Special Operations Command, kurz JSOC. Die DEVGRU arbeitet eng mit anderen Spezialeinheiten wie der Delta Force der US-Army zusammen.

Einer der ersten Einsätze der DEVGRU fand 1983 im Rahmen von Operation Urgent Fury statt. Während der nach einem kommunistischen Putsch auf Grenada von den USA geführten Invasion auf dem kleinen Inselstaat brachten Mitglieder der Einheit Paul Scoon, den Gouverneur der Insel, in Sicherheit.

Sechs Jahre später, bei der Invasion von Panama, nahm die DEVGRU zusammen mit Delta Force-Einheiten Manuel Noriega fest.

Auch an der im Oktober 1993 unter Führung der USA inszenierten Operation zur Festnahme des somalischen Warlords Mohammed Farrah Aidid, die in der (von Mark Bowden in seinem Buch Black Hawk Down nacherzählten) Schlacht von Mogadischu mündete, waren DEVGRU-Einsatzkräfte beteiligt.

1998 spürten DEVGRU-Einsatzkräfte mehrere Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien auf, darunter Radislav Krstić, ein bosnisch-serbischer General, der später wegen seiner Mitverantwortung für das Massaker von Srebrenica von 1995 zu mehreren Jahrzehnten Haft verurteilt wurde.

Seit dem 11. September 2001 führten DEVGRU-Angehörige immer wieder Einsätze gegen al-Qaida- und Taliban-Führer in Afghanistan und im Irak durch. Nach dem 11. September erhielt das Kommando unverzüglich den Befehl, nach Afghanistan zu gehen, und operative Kräfte des Kommandos führten einige Aktionen aus, die Schlagzeilen machten, zum Beispiel die Rettung von Jessica Lynch im Irak 2003. Missionen wie diese und die Tatsache, dass die DEVGRU erst gerufen wurde, wenn Not am Mann war, hatten mich dorthin gelockt.

Bevor man sich für Green Team bewerben kann, muss man ein SEAL sein und hat üblicherweise mindestens zwei Einsätze hinter sich – was bedeutet, dass der Kandidat über eine gewisse Erfahrung und ein Mindestmaß an Qualifikationen verfügt, Dinge, die für den Erfolg im Auswahlkurs entscheidend sind.

Während ich mich in der Hitze von Mississippi die Sprossen der Leiter hinaufhangelte, musste ich daran denken, wie ich um ein Haar an dem dreitägigen Selektionskurs gescheitert wäre, der Voraussetzung für die Aufnahme ins Green Team ist.

Der Zeitpunkt für den Auswahlkurs fiel mit dem Landkampftraining meiner Einheit zusammen. Ich war in Camp Pendleton in Kalifornien, lag unter einem Baum versteckt und beobachtete Marines, die ein Basislager aufschlugen. Es war 2003, und unser Unterrichtsblock Aufklärung lief seit einer Woche, als ich die Order bekam, mich zu dem dreitätigen Auswahlkurs in San Diego zu melden. Sollte ich den Kurs bestehen, durfte ich mit dem neunmonatigen Green Team-Trainingskurs anfangen. Und sollte ich den überstehen, würde ich in die Reihen der DEVGRU aufgenommen.

Aus unserem Zug war ich der einzige, der zu dem Auswahlkurs ging. Aber ein Typ aus einem anderen Zug hatte sich ebenfalls beworben. Auf der Fahrt hinunter nach San Diego wuschen wir uns die grüne Tarnfarbe vom Gesicht. Unsere Tarnanzüge zu wechseln, war keine Zeit geblieben. Nach mehreren Tagen im Feld stanken sie nach Schweiß und Mückenspray. Ich hatte Bauchschmerzen von den ewigen Fertigmahlzeiten, und um nicht zu dehydrieren, trank ich auf der Fahrt literweise Wasser. Ich befand mich nicht gerade in körperlicher Bestform und wusste, dass gleich zu Beginn der Selektion ein Fitnesstest auf dem Programm stand.

Früh am nächsten Morgen waren wir draußen am Strand. Als ich mit meinem Viermeilenlauf auf Zeit fertig war, ging gerade die Sonne über dem Horizont auf. Nach einer kurzen Verschnaufpause stellte ich mich mit den gut zwei Dutzend anderen Kandidaten in einer Reihe auf einem Betonstreifen auf. Vom Pazifik her wehte eine leichte Brise, und die Luft war noch kühl von der Nacht. Normalerweise wäre das ein wunderschöner Morgen am Strand gewesen. Aber ich war bereits von dem Lauf müde, und wir hatten noch jede Menge Liegestützen, Sit-ups und Klimmzüge vor uns, bevor es schließlich ans Schwimmen ging.

Den Liegestützen-Test bestand ich problemlos, obwohl die Instruktoren penibel genau auf die richtige Ausführung achteten. Jeder Liegestütz musste perfekt sein, oder er zählte nicht. Ich rollte auf den Rücken und bereitete mich auf den Sit-up-Test vor.

Ich war wirklich müde, als ich mich die ersten paar Male hochzog.

Das Herumliegen draußen im Feld hatte meiner Ausdauer nicht gerade gutgetan. Zunächst hatte ich einen guten Rhythmus, aber als der Instruktor neben mich trat und anfing, die Nummer einiger meiner Sit-ups zu wiederholen, kam ich aus dem Takt.

»Zehn, zehn, zehn«, rief er. »Zehn, elf, zwölf, zwölf.«

ENDE DER LESEPROBE