Alfie und George - Rachel Wells - E-Book

Alfie und George E-Book

Rachel Wells

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Beschreibung

Großes Glück auf kleinen Pfoten

Kater Alfie, der die Londoner Edgar Road sein Zuhause nennt, ist todunglücklich, seit die Nachbarskatze Schneeflocke, mit der Alfie ein zartes Band der Liebe teilte, weggezogen ist. Alfies Menschen Claire und Jonathan überraschen ihn deshalb mit einem Kätzchen. Alfie hat nun eine neue Aufgabe: Er wird sofort zu einem Vater und Lehrer für den kleinen George. Doch etwas bereitet den Katzen in der Umgebung große Sorgen: Überall tauchen Zettel mit vermissten Katzen in der Nachbarschaft auf. Und dann verschwindet George plötzlich spurlos - er wurde entführt! Alfie und seine Freunde setzen alles daran, um George zurückzuholen - dorthin, wo er gehört, in die Edgar Road und unter Alfies Fittiche.

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Seitenzahl: 416

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungKapitel EinsKapitel ZweiKapitel DreiKapitel VierKapitel FünfKapitel SechsKapitel SiebenKapitel AchtKapitel NeunKapitel ZehnKapitel ElfKapitel ZwölfKapitel DreizehnKapitel VierzehnKapitel FünfzehnKapitel SechzehnKapitel SiebzehnKapitel AchtzehnKapitel NeunzehnKapitel ZwanzigKapitel EinundzwanzigKapitel ZweiundzwanzigKapitel DreiundzwanzigKapitel VierundzwanzigKapitel FünfundzwanzigKapitel SechsundzwanzigKapitel SiebenundzwanzigKapitel AchtundzwanzigKapitel NeunundzwanzigKapitel DreißigKapitel EinunddreißigKapitel ZweiunddreißigKapitel DreiunddreißigKapitel VierunddreißigDanksagung

Über das Buch

Kater Alfie, der die Londoner Edgar Road sein Zuhause nennt, ist todunglücklich, seit die Nachbarskatze Schneeflocke, mit der Alfie ein zartes Band der Liebe teilte, weggezogen ist. Alfies Menschen Claire und Jonathan überraschen ihn deshalb mit einem Kätzchen. Alfie hat nun eine neue Aufgabe: Er wird sofort zu einem Vater und Lehrer für den kleinen George. Doch etwas bereitet den Katzen in der Umgebung große Sorgen: Überall tauchen Zettel mit vermissten Katzen in der Nachbarschaft auf. Und dann verschwindet George plötzlich spurlos – er wurde entführt! Alfie und seine Freunde setzen alles daran, um George zurückzuholen – dorthin, wo er gehört, in die Edgar Road und unter Alfies Fittiche.

Über die Autorin

Rachel Wells liebt Katzen, solange sie denken kann, und will sich ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen. Selbst die erste winzige Wohnung in London teilte sie mit Albert, einem Kater aus dem Tierheim. Heute lebt sie mit ihrer Familie und ganz vielen Haustieren im ländlichen Devon.

RACHELWELLS

ROMAN

Aus dem Englischen von Sonja Fehling

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Deutsche Erstausgabe

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Rachel Wells

Titel der englischen Originalausgabe: »Alfie and George«

Originalverlag: AVON, a division of HarperCollinsPublishers, London

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Wibke Sawatzki, Mainz

Einband-/Umschlagmotive: © shutterstock: Watthano | ChompooSuppa | Minoli | Kanchana P; © 2021 Head Design

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7517-2120-2

luebbe.de

lesejury.de

 

Für Jo. In Liebe.

Kapitel Eins

»Was in drei Katers Namen ist denn DAS?« Ich blickte zuerst zu Schneeflocke, meiner Katzenfreundin, dann zu der Kreatur. Wir standen an dem Holzzaun, der den Garten unseres Ferienhauses umgab, und starrten auf das seltsame Wesen, das auf der anderen Seite umherschritt. Es war ziemlich füllig, hatte einen sehr scharfen Schnabel, stacheliges Fell, das wie Federn aussah, und kleine, gemein dreinblickende Augen. Während es uns beobachtete, gab es einen komischen, hohen Laut von sich und pickte in unsere Richtung. Nervös wich ich zurück.

»Ach, Alfie, das ist doch nur ein Huhn! Sag nicht, du hast noch nie eins gesehen?« Schneeflocke lachte.

Das kränkte mich wirklich, wobei ich, um ehrlich zu sein, tatsächlich noch nie ein lebendes Huhn gesehen hatte. Da ich aber schließlich der Mann in unserer Beziehung war, versuchte ich, so bedrohlich wie möglich auszusehen.

»Chhhhh«, fauchte ich. So, das würde ihm zeigen, wer hier der Boss war. In diesem Moment kam die Henne allerdings auf mich zugerannt, wackelte dabei mit ihrem winzigen Kopf und flatterte wild mit den Flügeln. Sofort sprang ich zurück.

Wieder lachte Schneeflocke und kitzelte mich mit ihrem Schwanz. »Das tut nichts, Alfie, ehrlich.«

Davon war ich nicht so überzeugt. »In London sieht man nun mal selten Hühner«, verteidigte ich mich schnaubend und stolzierte beleidigt davon.

Wir waren an irgendeinem Ort, der sich »auf dem Land« nannte und wirklich hübsch war. Hier wohnten wir in einem Haus mitten im Nichts, kilometerweit nur von Feldern umgeben. Meine Familie – Jonathan, Claire und Summer – hatte das Haus gemeinsam mit Schneeflockes Familie, den Snells – Karen, Tim, Daisy und Christopher – für eine Woche gemietet und uns beide mitgenommen. Normalerweise durften Katzen nicht mit in den Urlaub fahren, deshalb hatten wir uns sehr darüber gefreut. Als ich meinen Freunden, den Katzen aus der Nachbarschaft, davon erzählt habe, waren die geschockt, doch bisher hatten wir eine angenehme Zeit gehabt, und ich ertappte mich bereits bei dem Gedanken, dass wir Katzen vielleicht öfter Urlaub machen sollten. Eine Luftveränderung ist die beste Erholung, hatte Margaret, meine erste Besitzerin, immer gesagt, und damit hatte sie recht gehabt – es war genau die richtige Medizin.

Das Haus war riesig. Es gab fünf Schlafzimmer, und im Wohnbereich stand ein offener Kamin, vor dessen Feuer Schneeflocke und ich uns abends zusammenrollten. Das war sehr romantisch – auch wenn wir auf die Funken aufpassen mussten, die hin und wieder aus dem Kamin flogen und einmal fast Schneeflockes wunderschönen weißen Schwanz angesengt hätten.

Wir hatten die Anweisung bekommen, immer im Garten zu bleiben, wenn wir rausgingen. Unsere Menschen hatten Angst, dass wir uns verlaufen würden – als ob uns das je passieren würde. Aber bisher waren wir tatsächlich brav gewesen und hatten uns darauf beschränkt, besagten Garten zu erkunden. Er hatte eine gute Größe und war außerdem hübsch, mit vielen interessanten Büschen und Blumenbeeten. Es gab genug, womit wir uns beschäftigen konnten, weil er viel größer war als die kleine Fläche, mit der ich mich in London begnügen musste. Trotzdem warteten hinter dem Garten – dort, wo die Hühner wohnten – einige saftig grüne Wiesen. Eine große Versuchung für einen neugierigen Kater wie mich.

Schneeflocke ließ sich davon allerdings nicht sonderlich beeindrucken. Bevor sie in die Edgar Road (meine Straße in London) gezogen war, war sie eine reiche Katze gewesen; ihre Familie hatte ein Haus auf dem Land mit einem weitläufigen Garten besessen. Mittlerweile gab sie damit nicht mehr an, aber in der Zeit, als wir uns kennengelernt hatten, war das ein bisschen anders gewesen (damals hatte sie sich mir gegenüber kratzbürstig verhalten). Doch ich hatte sie schließlich von mir überzeugt und ihr Herz gewonnen, und inzwischen waren wir schon fast zwei Jahre zusammen. Die besten zwei Jahre meines Katerlebens.

Am Anfang scheinen die Leute immer überrascht zu sein über unsere Beziehung, aber Katzen können sich genauso leicht verlieben wie Menschen, wenn nicht sogar noch leichter. Ich sollte wissen, wovon ich spreche, immerhin habe ich viel Erfahrung mit Menschen gesammelt.

Da ich ein Haustürkater bin, zähle ich viele verschiedene Menschen zu meiner Familie. Ich besuche nämlich mehr als ein Haus, insofern habe ich auch mehrere »Besitzer«. Neben Claire und Jonathan verbringe ich regelmäßig Zeit mit Polly, Matt und ihren zwei Kindern Henry und Martha, genauso wie mit meiner polnischen Familie: Franceska, dem großen Tomasz und ihren Kindern Aleksy und dem kleinen Tomasz. Ich bin schon ein schwer beschäftigter Kater.

Allerdings ist es mir gelungen, alle meine Familien zusammenzubringen, sodass sie mittlerweile gut miteinander befreundet sind. Während meiner Zeit mit ihnen – in der Edgar Road und darüber hinaus – habe ich viele Veränderungen mitbekommen. Die Menschen scheinen sich oft zu verändern, oder zumindest ändert sich ihr Leben ständig, und wir Katzen sind meistens die Zuschauer und dürfen dann später die unvermeidlichen Trümmer beseitigen. Ich kümmere mich um meine Menschen – so bin ich nun mal –, und ich habe Aufs und Abs gesehen, Gutes wie Schlechtes und sogar ziemlich Hässliches; trotzdem habe ich meine Aufgabe als Beschützer meiner Familien immer sehr ernst genommen.

»Wir sollten mal reingehen, ich bekomme langsam Hunger«, sagte ich zu Schneeflocke und leckte mir über die Lippen. Ich hätte die ganze Henne essen können, hätte die nicht so respekteinflößend ausgesehen. Andererseits bin ich nicht gerade ein guter Jäger, und Schneeflocke auch nicht; sie ist viel zu schön, um irgendein Lebewesen zu töten. Ich weiß noch, wie verzaubert ich war, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Und selbst jetzt, nach zwei Jahren, bin ich immer noch wie ein verliebter alter Gockel – oder besser gesagt: ein verliebter Kater im besten Alter.

»Wer zuerst da ist …«, rief Schneeflocke jetzt und lief bereits los. Schnell sprang ich ihr hinterher, und wir kamen gleichzeitig an der offenen Hintertür an, beide leicht außer Atem von unserem Rennen.

»Ach, da seid ihr ja, ihr zwei.« Claire lächelte mir zu, als ich mit Schneeflocke in die Küche tigerte. Sie balancierte gerade ihre Tochter Summer, die inzwischen zweieinhalb Jahre alt war, auf der Hüfte, während sie eine Schüssel auf dem Hochstuhl abstellte. Anschließend bugsierte sie die Kleine, die sich protestierend hin- und herwand, geübt in den Sitz. Summer, meine Menschenschwester, war eine kleine »Madame«, wie Claire sie nannte, während Jonathan sie als »temperamentvoll« bezeichnete. Obwohl sie manchmal eine Nervensäge war und mich für meinen Geschmack ein wenig zu oft am Schwanz zog, liebte ich sie sehr. Außerdem glich sie das alles mit ausgiebigen Kuscheleinheiten wieder aus.

Lächelnd griff Summer nach ihrem Löffel und warf ihn auf den Boden. Dieses Spiel schien ihr nie langweilig zu werden, wobei sie meiner Meinung nach inzwischen alt genug war, um es besser zu wissen.

»Toast«, sagte sie mit ihrem typischen Lispeln.

»Erst isst du deinen Porridge, danach kannst du Toast haben«, entgegnete Claire streng.

»NEIN!«, schrie Summer und stieß ihre Schüssel mitsamt dem Porridge ebenfalls auf den Boden. Wie immer stand ich zu dicht an ihrem Hochstuhl und musste mir dafür nun diverse Essensreste aus dem Fell lecken. Wann würde ich es je lernen?

Aber ich fühlte mich nun mal für Summer verantwortlich und musste auf sie aufpassen, selbst wenn sie sich wie eine Madame aufführte. Jonathan, unseren Dad, amüsierte ihr Verhalten, und er sagte immer, dass er Frauen mit einem starken Willen mag. Ich auch, deshalb hatte ich auch Schneeflocke so gerne – und Tiger, meine beste Katzenfreundin. Claire nervte dieses Benehmen eher, glaube ich, wobei sie seit Summers Geburt so glücklich war, dass ich mir keine allzu großen Sorgen mehr um sie machte. Zumindest nicht so wie früher.

Als ich bei Claire einzog, hatte sie gerade eine Scheidung hinter sich und war ziemlich niedergeschlagen gewesen. Es hatte mich sehr viel Zeit und Mühe gekostet, sie wieder aufzurichten. Doch dann hatte sie Jonathan kennengelernt, einen meiner anderen Menschen, und nun sind die beiden glücklich verheiratet, und Summer, ihre Tochter, macht unsere Familie komplett.

»Alfie, Schneeflocke, Frühstück«, flötete Daisy, Schneeflockes jugendliche Besitzerin, und stellte zwei Schüsseln mit Thunfisch vor uns ab.

»Miau«, bedankte ich mich. Daisy war wunderschön – groß und anmutig. Tatsächlich sahen sie und Schneeflocke einander irgendwie ähnlich: Sie hatten beide weißes Fell – oder Haar, in Daisys Fall. Seit Daisy achtzehn geworden war, arbeitete sie als Model. Sie war jetzt schon recht erfolgreich, deshalb war sie auch mit in den Urlaub gekommen. Wenn alles nach Plan lief, würde sie in Zukunft viel zu beschäftigt sein, um noch mal mit ihrer Familie wegzufahren, also nutzte sie die Gelegenheit, solange es noch ging. Schneeflocke vermisste sie, wenn sie bei der Arbeit war, gleichzeitig war sie jedoch auch sehr stolz auf sie, was ich irgendwie rührend fand.

Christopher, Daisys sechzehn Jahre alter Bruder, der am Tisch saß, beäugte Summer misstrauisch und stellte sicher, dass er genug Abstand zu ihr hatte, um nichts von ihrem Essen abzubekommen. In der Hinsicht war er viel schlauer als ich.

Hungrig machte ich mich über mein Frühstück her und genoss mein Glück. Auch wenn meine anderen Familien nicht hatten mitkommen können, war dieser Urlaub nahezu perfekt. Ich hatte all die anderen Menschen, die ich liebte, um mich herum – und natürlich meine geliebte Schneeflocke. Während meine Menschen ebenfalls frühstückten, sich dabei fröhlich unterhielten und Pläne für den Tag schmiedeten, wurde mir ganz von alleine warm ums Herz. Mein Leben hätte kaum besser laufen können.

Nach dem Frühstück kam langsam die Sonne heraus und erwärmte den Morgen, der sich zu einem lauen Frühlingstag entwickeln würde. Claire und Karen setzten sich auf eine Picknickdecke im Garten, tranken Tee und plauderten, während Summer neben ihnen mit einigen Teddybären spielte. Daisy war joggen gegangen, und die Männer hatten sich zusammen mit Christopher in den Ort aufgemacht, um einzukaufen – wobei Claire meinte, dass sie in Wahrheit sicher in den Pub gegangen waren. Schneeflocke und ich hatten uns währenddessen auf einem warmen Fleckchen Gras ausgebreitet und entspannten uns.

»So muss das Leben sein.« Ich streckte die Pfoten aus und rollte mich auf den Rücken, um mir den Bauch von der Sonne wärmen zu lassen.

»Das stimmt«, entgegnete Schneeflocke. »Sollen wir mal schauen, ob wir ein paar Schmetterlinge zum Jagen finden?«

Darum musste sie mich nicht zweimal bitten.

Hier war es definitiv ganz anders als in London. Nicht nur, dass es mehr Tiere gab – es herrschte auch eine friedliche Atmosphäre, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Und das Schöne war, dass diese Stimmung auf uns alle abfärbte. Meine Menschen wirkten entspannt, was ich sehr angenehm fand, weil das in London selten der Fall war; normalerweise waren sie viel zu sehr mit ihrer Arbeit oder anderen Problemen beschäftigt. In den letzten Jahren hatten wir alle schwierige Zeiten durchgemacht. Meine Menschen waren mit einigen Herausforderungen konfrontiert worden: Eingewöhnung in ein fremdes Land, erfolglose Versuche, ein Baby zu bekommen, postnatale Depressionen, Mobbing in der Schule, Geheimnisse, Liebeskummer – es gab nichts, was wir nicht erlebt hatten. Und natürlich war ich bei all diesen Erfahrungen an ihrer Seite gewesen und hatte ihnen bei vielen Problemen geholfen, wenn ich das so sagen darf. Meiner Meinung nach haben die Probleme meine Familien enger zusammengeschweißt, und es war schön, dass wir endlich einen Zustand von Harmonie erreicht hatten. Hoffentlich hielt er möglichst lange an.

Schneeflocke und ich entdeckten ein Blumenbeet, das uns als geeignet für unsere Schmetterlingsjagd erschien.

Ruhig hockten wir nebeneinander und warteten. Wir waren so glücklich miteinander, dass wir oft gar nichts zu sagen brauchten. Tatsächlich kam es mir so vor, als wüsste ich immer, was Schneeflocke gerade dachte, und umgekehrt. Letzten Endes gab es hier keine Schmetterlinge, aber als eine Biene lautstark summend angeflogen kam, sprangen wir beide mit einem Satz zwischen die Blumen. Während das schwarzgelbe Insekt mit der Blüte seiner Wahl beschäftigt war und heraussog, was es brauchte, versuchten wir, uns so tief wie möglich zwischen die Pflanzen zu ducken. Zwar wusste ich, dass Bienen gute Tiere waren – zumindest hatte ich das schon öfter von meinen Menschen gehört –, aber wenn man ihnen zu nahe kam, stachen sie, und so ein Stich konnte ziemlich wehtun. Als die Biene wieder davongeflogen war, rollten wir uns auf dem Boden herum, genossen den Sonnenschein und erfreuten uns am zarten Duft der Blumen. Es war ein sehr romantischer Moment.

»Mit dir Urlaub zu machen ist das Beste, was mir je passiert ist, Alfie«, sagte Schneeflocke mit einem Schnurren und legte ihre Pfote auf meine. Ich war ganz überwältigt von meinen Gefühlen, während ich meiner großen Liebe tief in die Augen schaute.

»Es ist auch das Beste, was mir je passiert ist«, entgegnete ich – und das aus vollem Herzen.

Kapitel Zwei

Summer spielte Ball mit Christopher. Zwar hielt er sich von ihr fern, wenn sie etwas zu essen hatte, in anderen Momenten kümmerte er sich jedoch sehr gut um sie.

»Wirf mir den Ball zu, Sum«, rief er, doch Summer presste sich den Ball an die Brust und schüttelte den Kopf. Dann legte sie ihn auf dem Boden ab und setzte sich drauf. Chris lachte. Ich lief zu Summer herüber und stupste mit meiner Pfote gegen den Ball. Kichernd schwankte die Kleine hin und her, bevor sie schließlich herunterkullerte und lachte, während ich mich neben sie ins Gras legte. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Jonathan auf uns zukam.

»Also ehrlich, so wird keiner von euch je für Chelsea spielen«, sagte er lachend, hob Summer hoch und schwang sie durch die Luft.

»Jon, sie hat gerade erst gefrühstückt. Nachher wird ihr noch schlecht«, rief Claire, die sich gerade zu uns gesellte. Ich stand auf und streckte mich, bevor ich mir mit der Zunge ein paar Grashalme aus dem Fell leckte.

»Tut mir leid«, entgegnete Jonathan und verdrehte die Augen. Ich tauschte einen verschwörerischen Blick mit ihm; manchmal übertrieb es Claire mit ihrer Fürsorge.

»Fertig?«, fragte sie.

Jonathan nickte. »Okay. Alfie und Schneeflocke, wir machen einen längeren Ausflug. Ihr zwei bleibt hier und macht mir keinen Kummer.« Beim letzten Teil des Satzes warf er mir einen vielsagenden Blick zu.

»Miau«, antwortete ich entrüstet.

»Glaubt ihr, wir können die Hintertür offen lassen?«, erkundigte sich Tim, der gerade einige Taschen zu einem der Autos trug.

»Ich denke, schon. Hier ist es ja ziemlich abgeschieden«, befand Jonathan.

»Gott, ich finde es so schön, dass wir das machen können. So was ginge in der Edgar Road gar nicht, oder?«, sagte Karen. Sie und Tim wechselten einen Blick, und ich fragte mich, ob sie an ihr früheres Zuhause dachten, so wie Schneeflocke ab und zu. Dann hatte sie diesen geistesabwesenden Ausdruck in den Augen, als wäre sie mit den Gedanken ganz weit weg. Ich wusste zwar, dass sie glücklich war, trotzdem vermisste sie das alte Haus. Das konnte ich gut verstehen – hin und wieder vermisste ich mein erstes Zuhause auch, und obwohl ich mein jetziges über alles liebte – und meine Familien auch –, würde ich es nie vergessen. Es war ja auch nicht schlimm, etwas oder jemanden zu vermissen, fand ich. Selbst wenn das bedeutete, dass man eine Sache oder eine Person verloren hatte, hieß es gleichzeitig, dass man sie liebte. Das war zwar hart, aber so war nun einmal das Leben.

Wir setzten uns neben die Steintreppe, die zur Hintertür führte, und sahen zu, wie unsere Familien zu ihrem Ausflug aufbrachen. Ich war aufgeregt, weil ich wusste, dass wir einen ganzen Tag für uns haben würden. Endlich konnten wir mal herumstreunen und was erleben, ohne uns ständig Gedanken um die Menschen machen zu müssen.

»Sollen wir ein bisschen die Gegend erkunden?«, fragte Schneeflocke.

»Na ja, die Menschen haben gesagt, dass wir das nicht sollen, weil wir uns verlaufen könnten«, entgegnete ich. Manchmal war ich zwar ein ziemlich draufgängerischer Kater, aber ich wollte auf keinen Fall hier auf dem Land verloren gehen. Nachher würde ich nie wieder nach Hause zurückfinden!

»Ach komm, lass uns ein bisschen das Leben genießen. Und außerdem habe ich einen guten Orientierungssinn.« Schneeflocke rieb ihren Kopf an mir – sie wusste genau, dass ich dann nachgeben würde. Trotzdem erinnerte ich mich noch gut an den Moment, als sie sich einmal schrecklich verlaufen hatte und ich eine Rettungsmission hatte organisieren müssen. Das erwähnte ich allerdings nicht – schließlich wollte ich nicht, dass wir uns stritten oder Schneeflocke schmollte, was sie gut konnte, wenn sie sauer war.

»Also schön, gehen wir.« Was sollte schon passieren?, sagte ich mir im Stillen.

Und so wagten wir uns zum ersten Mal aus dem Garten hinaus auf die angrenzende Wiese. Das lange Gras kitzelte mich angenehm an den Beinen, als wir Seite an Seite hindurchliefen. Um uns herum summten Insekten, und während wir uns immer weiter vom Haus entfernten, entdeckten wir noch mehr Hühner. Diese waren allerdings friedlich, gackerten und scharrten mit den Füßen auf dem Boden, als wir uns näherten. Tatsächlich kam ich sogar ziemlich nah an eins heran – ein Versuch, meinen Mut zu demonstrieren, obwohl ich mich innerlich wie in Gelee eingelegtes Katzenfutter fühlte.

Wir durchquerten noch eine weitere Wiese und sprangen auf einen Zaun.

»Wie geht es deinen Beinen?«, fragte Schneeflocke zärtlich, als sie sah, dass ich das Gesicht verzog. Ich hatte eine alte Verletzung, wegen der mir ab und zu meine Hinterbeine zu schaffen machten, aber abgesehen von einem gelegentlichen Ziepen war es nicht so schlimm.

»Alles gut«, erwiderte ich, »danke.« Elegant sprang ich vom Zaun herunter, um ihr zu zeigen, dass tatsächlich alles in Ordnung war. Anschließend rannte ich, beflügelt von meinem wachsenden Selbstvertrauen, in die Wiese hinein. Das war wundervoll: Ich genoss den Wind in meinem Fell und die Sonne, die sanft lächelnd auf uns herabschaute. An das Landleben könnte ich mich gewöhnen, dachte ich bei mir. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich gleich unsanft aus diesem Tagtraum geweckt werden würde.

»Muh«, sagte eine ärgerlich klingende Stimme.

»Mau!«, jaulte ich auf und blieb abrupt stehen. Direkt vor mir befand sich ein Bein, und als ich hochblickte, fing ich an zu zittern. Ich stand Auge in Auge mit einem Monster, und das wirkte nicht gerade begeistert darüber, mich zu sehen. Düster starrte es mit seinen großen dunklen Augen auf mich herunter und stieß ein lautes Grunzen aus. »Mau!«, schrie ich erneut.

»Grunz«, machte das Monster und klang noch wütender. In diesem Moment verstand ich, dass es nicht erfreut darüber war, uns auf seiner Wiese anzutreffen. Es fing an, mit den Füßen auf den Boden zu stampfen, und als mir auffiel, wie flach das Gras anschließend war, sah ich mich in meiner Vorstellung schon zerquetscht unter diesen dicken Hufen liegen. Das Monster schüttelte angriffslustig den Kopf, während es mich weiter beäugte. Sicher würde es gleich auf mich losgehen. Irgendwie gelang es mir zurückzuspringen, doch ich stieß gegen Schneeflocke, prallte von ihr ab und landete wieder direkt vor dem Tier.

Das hob den Kopf, stieß ein weiteres lautes Grunzen aus und ließ seinen langen Schwanz durch die Luft peitschen.

»Keine Angst, Alfie«, sagte Schneeflocke, die nun neben mir auftauchte, und ihr Anblick schien das aggressive Monster etwas zu beruhigen. Vorsichtig schob meine Freundin mich ein Stück beiseite und blieb in sicherer Entfernung stehen. »Das ist nur eine Kuh«, fuhr sie fort. »Ich weiß, Kühe sind groß und wirken aggressiv, aber eigentlich sind es ganz sanfte Tiere.«

So dicht war ich noch nie an einer Kuh gewesen, und ich muss sagen, dass sie auf mich alles andere als einen sanften Eindruck machte.

»Aber … die ist so … riesig«, stammelte ich und war nicht in der Lage, den Blick von dem schwarz-weiß gefleckten Wesen abzuwenden. Ich spürte, dass meine Hinterbeine vor Angst zitterten, wobei sich die Kuh jetzt umdrehte und schwanzwedelnd Grashalme fraß, als wären wir gar nicht da. Ein Riesengefühl der Erleichterung durchflutete mich.

»Die sind wirklich harmlos«, erklärte Schneeflocke. Offensichtlich hatte ich noch eine Menge über Bauernhoftiere zu lernen.

Bereitwillig folgte ich Schneeflocke, die sich nun von der Monsterkuh entfernte. Ich fand immer noch nicht, dass sie »harmlos« aussah.

Der Rest unseres Ausflugs verlief zum Glück ohne weitere Zwischenfälle, obwohl ich das Gefühl hatte, schreckhafter zu sein als bei unserem Aufbruch. Trotzdem war es einer der schönsten Tage überhaupt. Wir tollten durch die Wiesen, fanden einige hübsche Bäume, die wir ehrfürchtig betrachteten, und wurden von keinem Tier attackiert – wobei wir ein paar Schafe sahen und ich fand, dass eins davon Schneeflocke ziemlich anhimmelte. Andererseits hatten die beiden die gleiche Fellfarbe, und vielleicht hielt das Schaf Schneeflocke für ein Lämmchen. Immerhin galten Schafe nicht gerade als besonders helle, erklärte mir Schneeflocke. Anders als wir Katzen.

Später am Abend machte ich ein Katerschläfchen, eingerollt vor dem Kamin. Nach unserem Streifzug brauchte ich dringend Ruhe. Zwar bin ich insgesamt ein sehr aktiver Kater, aber an diesem Abend war ich wirklich ausgelaugt. Vielleicht lag das an der Landluft, was auch immer das heißen sollte. Claire sprach dauernd davon, also musste es irgendeine Wirkung haben. Jonathan fand, es sei albern, den Kamin anzuzünden, wenn es draußen so warm war, aber Karen und Claire wollten es so, weil wir zu Hause kein Feuer machen konnten. Ich beschwerte mich nicht; ich hatte es gerne richtig warm. Schneeflocke war bei Daisy im Zimmer, und irgendwann musste ich eingedöst sein, denn ich wurde von leisem Stimmengemurmel geweckt.

»Bist du sicher?«, hörte ich Karen sagen. Ich öffnete ein Auge und sah, dass sie und Claire gemeinsam auf dem Sofa saßen.

»Ziemlich. Ich fürchte, es ist so.« Sie fürchtete? Worum ging es da? Aus meiner Sicht war bei meinen Familien alles in bester Ordnung.

»Ach, Süße, das tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Karens Stimme war voller Mitgefühl.

»Na ja, wir haben ja Summer, und sie ist toll, auch wenn sie oft die kleine Diva spielt, aber trotzdem hätte ich gerne noch ein Kind gehabt, und Jon auch, aber das ist leider nicht passiert. Der Frauenarzt hat ein paar Untersuchungen gemacht, aber wie es aussieht, will das Schicksal uns nur ein Kind schenken.« Claire hörte sich zwar ein wenig traurig an, aber sie weinte nicht. Ich hoffte, das hier war nicht der Anfang von etwas Schlimmerem. Natürlich machte ich mir um all meine Menschen Gedanken, doch um Claire ganz besonders. Sie hatte dunkle Zeiten durchlebt, und ich wusste, dass sie anfällig dafür war, in eine Depression zu rutschen.

»Aber bei Summer hattest du doch keine Probleme«, bemerkte Karen.

»Nein, das ist wohl einfach so – eine Laune der Natur. Es ist komisch: Bei Summer wollte ich so unbedingt ein Kind, dass ich schon echt verzweifelt war, bevor ich endlich schwanger wurde. Aber jetzt versuchen wir es schon seit mehr als anderthalb Jahren, und ich bin immer noch ziemlich ruhig. Ich schätze, ich bin glücklich, dass ich so ein süßes, kleines Mädchen habe – und Jonathan natürlich –, deshalb hab ich das Gefühl, ich sollte dankbar sein, anstatt über das zu grübeln, was ich nicht haben kann.«

»Habt ihr mal über künstliche Befruchtung nachgedacht?«

»Ich hab mich tatsächlich darüber informiert, aber da ich psychisch etwas labil bin, hab ich Angst, dass die ganzen Hormone, Spritzen und das alles mich total fertigmachen. Nicht zu vergessen, dass es vielleicht gar nicht funktioniert und ein Vermögen kosten wird. Nein, ich will eine gute Mutter für Summer sein, und mit dem Halbtagsjob muss ich einfach einen klaren Kopf behalten. Um ehrlich zu sein, würde ich gerne ein Kind adoptieren, aber Jon ist davon nicht so angetan.«

»Eine Adoption?«

»Ja. Mein Dad ist Sozialarbeiter, und ich bin sozusagen mit der Vorstellung groß geworden, dass es schön sein muss, einem Kind ein Zuhause zu geben. Ich hab jahrelang gar nicht mehr daran gedacht, aber als wir festgestellt haben, dass wir auf natürlichem Wege kein Kind bekommen können, kam das Thema Adoption sofort wieder in mir hoch. Nur leider sieht Jonathan das nicht so wie ich.«

Reglos lag ich da und lauschte. Natürlich wusste ich, dass die beiden noch ein Kind wollten, sie hatten sich diverse Male leise hinter geschlossenen Türen unterhalten, doch da es bei uns allen so gut lief, hatte ich offensichtlich die Augen vor ihren Problemen verschlossen. Vielleicht hatte ich mich aber auch mehr auf Schneeflocke konzentriert, als mir bewusst gewesen war …

»Ach, das ist bestimmt dieses typische Männerding, dass sie ihre Gene weitergeben wollen und so.«

»Wahrscheinlich, aber irgendwann wird er es einsehen, das weiß ich. Wir können einem Kind so viel bieten, ich muss ihn nur davon überzeugen, dass es eine gute Sache ist«, sagte Claire.

»Du weißt doch, wie das mit den Männern läuft: Du musst ihn nur denken lassen, dass er die Idee hatte.« Sie lachten beide.

»Ein Glas Wein?«, schlug Claire vor.

»Ach ja, warum nicht? Wir haben schließlich Urlaub.«

Während die zwei Frauen ihren Wein tranken, stellte ich mit Erstaunen fest, wie sehr meine Claire sich weiterentwickelt hatte. Damals, als ich sie kennengelernt hatte, war sie vollkommen am Boden gewesen: eine unglückliche geschiedene Frau mit gebrochenem Herzen, die zu viel trank. Jetzt dagegen war sie überglücklich, und nicht einmal dieser Rückschlag – der sie früher wahrscheinlich aus dem Gleichgewicht gebracht hätte – konnte ihr etwas anhaben. Sie war kein Opfer mehr, und das stimmte mich so froh, dass ich auf ihren Schoß sprang und mit der Nase gegen ihre Hand stupste. Sie sollte wissen, wie stolz ich auf sie war.

»Ach, Alfie, ich hab dich so lieb.« Sie gab mir einen Kuss auf den Kopf. Ich kuschelte mich an sie und dachte bei mir, dass so ein Urlaub wirklich schön war. Trotz der Monsterkuh.

Kapitel Drei

In diesem Urlaub verliebte ich mich noch mehr in Schneeflocke. Bevor wir aus der Edgar Road abgefahren waren – beide Autos voller Koffern und ich in meiner Transportbox in dem einen Wagen, Schneeflocke in dem anderen –, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass meine Liebe zu ihr noch größer werden könnte. Und doch war es so. Dass wir diese Zeit zusammen genießen durften, fern vom stressigen Alltag in der Edgar Road, brachte uns einander noch näher.

Wenn Katzen heiraten könnten, so wie Menschen, hätte ich Schneeflocke vom Fleck weg einen Antrag gemacht. Natürlich wusste ich, dass das nicht ging, aber als ich ihr davon erzählte, während wir vor dem Kamin lagen, sagte sie, das sei das Romantischste, was sie je gehört hätte. Und das brachte mich auf eine Idee. Da ich ein sehr organisierter Kater bin, mache ich gerne Pläne, und so überlegte ich mir, dass ich – um uns immer an diesen Urlaub zu erinnern, den ersten gemeinsamen und außerdem den besten, den sich eine Katze nur wünschen konnte – etwas Besonderes für uns planen würde.

Die Menschen wollten den Tag am Strand verbringen. Dafür hatten sie Unmengen an Essen eingepackt, ein Riesentrara veranstaltet und so getan, als würden sie mehrere Tage lang wegbleiben und nicht nur für einige Stunden. Irgendwann verließen sie dann endlich das Haus, um die Autos zu beladen, und ich war mit Schneeflocke nun allein. Ich wollte einen schönen Tag mit ihr verbringen, und das bedeutete, dass ich mutig sein und etwas wagen musste. Doch dazu war ich mehr als bereit. Schließlich wollte ich Schneeflocke zum Strahlen bringen und dafür sorgen, dass dieser Tag unvergesslich werden würde. Wobei ich mir nicht sicher war, wo es hingehen sollte. Bei unserem Streifzug am Tag zuvor waren wir nicht so weit gekommen. Wir kannten die Gegend noch nicht, aber ich dachte mir, auf dem großen Bauernhof würde es sicher eine Menge zu erleben geben. Ich erläuterte Schneeflocke meinen Plan: Wir würden das Grundstück verlassen – dabei hoffentlich nicht den riesigen Kühen begegnen – und die saftig grünen Wiesen erkunden, die auf den großen Hügel hinaufführten. Oben angekommen, würden wir den schönen Ausblick genießen, von dem unsere Familien gesprochen hatten. Ich hatte mir überlegt, dass wir auf der sicheren Seite wären, wenn wir nur in eine Richtung liefen; dann konnten wir uns nicht verirren. Tatsächlich war ich ganz begeistert von meinem Vorhaben und hatte sogar richtig Lust auf Abenteuer.

»Was für eine tolle Idee, Alfie. Dabei dachte ich, du hättest noch zu viel Respekt vor den Kühen und Angst, dich zu verlaufen.«

»Ich doch nicht«, entgegnete ich selbstbewusster, als ich mich fühlte. Ich konnte nur hoffen, dass diese unsäglichen Kühe sich von uns fernhalten würden.

Als unsere Familien sich endlich in ihre Autos gequetscht hatten und davongefahren waren, beendeten Schneeflocke und ich unser Pflegeprogramm und machten uns bereit für unser eigenes Abenteuer. Meine Beine zitterten fast vor Aufregung; ich wusste einfach, dass wir den besten Tag unseres Lebens haben würden.

Gemeinsam steuerten wir auf den Bauernhof zu und grüßten die Hühner, als wären sie alte Freunde. Die wackelten allerdings nur mit den Köpfen und gackerten; ansonsten waren sie nicht sonderlich an uns interessiert. Ich habe keine Ahnung, warum ich je Angst vor ihnen gehabt hatte: Eigentlich waren sie ganz possierlich. Eine Weile sahen wir ihnen beim Picken zu, dann zogen wir weiter. Schon nach kurzer Zeit kamen wir an einer Wiese mit unglaublich langem Gras an. Die grünen Halme waren sogar größer als wir. Nachdem wir uns hineingewagt hatten, konnte ich Schneeflocke irgendwann gar nicht mehr sehen.

»Miau!« Plötzlich sprang sie mich an, und vor Schreck wäre ich fast umgefallen.

»Ja, sehr lustig, aber dieser Ausflug soll romantisch sein – nicht erschreckend«, stellte ich klar und glättete mir das zu Berge stehende Fell.

»Tut mir leid, Alfie, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. So hohes Gras habe ich noch nie gesehen, und das macht so viel Spaß! Komm mit.« Sie fing an zu rennen, und ich folgte ihr. Nebeneinander rasten wir durchs Gras und ließen uns von den Halmen am Fell kitzeln, bis wir die andere Seite der Wiese erreichten. Ich fühlte mich ganz belebt, während wir uns umschauten und überlegten, wohin wir als Nächstes laufen wollten.

»Lass uns nicht da langgehen. Weißt du noch, die Schafe? Ich glaube, das eine wollte mich wirklich entführen«, sagte Schneeflocke und wirkte ein wenig besorgt.

»Als würde ich so was zulassen.« Ich stellte demonstrativ die Schnurrhaare auf.

»Alfie, würdest du je aufs Land ziehen wollen?«, fragte Schneeflocke mich, während wir eine andere Wiese durchstreiften.

»Hm, weiß nicht. Ich meine … es ist schon schön hier. Aber es ist auch nichts los. Und dann die ganzen Tiere … Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob das was für mich wäre. Ich bin ein Londoner, durch und durch.«

»In unserem alten Zuhause war es ein bisschen so wie auf dem Land, aber nicht ganz so wie hier. Es gab wesentlich mehr Häuser. Ich finde, das war eine gute Mischung.«

»Ich weiß, dir fehlt dein altes Zuhause, Schneeflocke«, sagte ich und versuchte, sie zu verstehen, ohne gekränkt zu sein. Wisst ihr, ich wollte einfach nicht an die Zeit denken, in der Schneeflocke und ich uns noch nicht kannten. Das klingt sicher dumm, aber ich war eifersüchtig darauf, dass sie mal ein Leben gehabt hatte, in dem ich nicht vorgekommen war.

»Ein bisschen, aber ich will gar nicht mehr zurück. Nicht ohne dich, Alfie.« Mir ging das Herz auf, und ich blickte verliebt in ihre wunderschönen Augen.

Genau in dieser Sekunde erhob sich eine dicke schwarze Wolke über uns und zerstörte den romantischen Moment.

»Oh nein«, stöhnte ich, als ein Regentropfen auf meiner Nase landete. Die Wolke war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Eben hatten wir noch die Sonnenstrahlen auf unserem Pelz genossen.

»Ich fürchte, wir müssen rennen«, rief Schneeflocke, als der Regen überall um uns herum zu prasseln anfing; keiner von uns beiden wurde gerne nass. Schneeflocke sprang bereits davon, und ich folgte ihr, ohne darüber nachzudenken, wohin sie lief. Nach einem längeren Sprint erreichten wir ein Gebäude und rannten eilig hinein. Auf dem Boden lag Stroh; das pikste zwar ein bisschen, aber wenigstens waren wir im Trockenen.

»Gott sei Dank, Alfie«, sagte Schneeflocke. »Das gießt ja richtig da draußen.«

»Aber was ist das hier für ein Gebäude?«, fragte ich.

»Eine Art Scheune oder so was.«

»Grunz.«

Instinktiv blickten wir beide auf, nur um eine Gruppe dicker rosa Schweine auf uns zukommen zu sehen. Die schlurften grunzend über das Stroh und wirkten nicht gerade freundlich. Fünf von ihnen, alle mit runden Bäuchen und rosa Haut, rotteten sich zusammen und schauten auf uns herab, und obwohl sie sich nicht schnell bewegten, konnten wir deutlich erkennen, dass wir in Schwierigkeiten steckten.

»Oha«, murmelte ich, während wir zurückwichen, bis wir schließlich in eine Ecke der Scheune getrieben wurden und uns dort zusammenkauerten.

»Schweine sollen ziemlich fies sein«, raunte Schneeflocke mir wenig beruhigend zu. »Ich war noch nie so dicht an einem dran, aber ich habe alle möglichen Sachen über sie gehört. Angeblich fressen sie alles, was ihnen vor die Schnauze kommt.«

»Was uns also mit einschließen könnte …« Schließlich hatten sie uns buchstäblich in die Ecke gedrängt, und sie kamen immer näher, schüttelten ihre Köpfe ganz leicht hin und her und stampften mit den Füßen, die ihre gewaltige Körpermasse tragen mussten. Mit hungrigen Augen sahen sie uns an. Schneeflocke kauerte sich hinter mich. Wenn es so weiterging, würden wir Schweinefutter werden. Ich musste uns irgendwie hier rausbringen. Schließlich war ich hier der Mann … äh, Kater. In dem Versuch, mich zu beruhigen, obwohl die rosa Tierchen schon fast bei uns angekommen waren, atmete ich mehrmals tief durch.

»Okay, sie sind nicht so groß wie Kühe. Wie wäre es, wenn wir zwischen ihren Beinen durchlaufen würden?«, schlug ich vor. Trotz meiner Todesangst fiel mir nur dieser Ausweg ein.

»Das könnten wir versuchen, aber schau dir mal diese Hufe an – was für ein Gewicht die aushalten müssen. Ich möchte nicht darunter geraten und platt getrampelt werden.« Schneeflocke bebte richtiggehend bei der Vorstellung. Wir zitterten beide vor Angst. Dieser romantische Ausflug verlief nicht ganz so, wie ich es geplant hatte.

»Ich weiß«, sagte ich, »aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl – die sehen aus, als wollten sie uns fressen!« Beharrlich versuchte ich immer noch, meiner Rolle als männlicher Part in dieser Beziehung gerecht zu werden. Die Schweine waren nur noch Zentimeter von uns entfernt. Ich musste etwas tun, und so versetzte ich Schneeflocke unvermittelt einen leichten Motivationsstups, bevor ich selbst nach vorn schoss und zwischen den Beinen des sich mir am nächsten befindlichen Schweins hindurchlief. Dabei blickte ich hinter mich, um zu schauen, ob Schneeflocke mir folgte. »Los, Flocke, du schaffst das«, feuerte ich sie an, während eines der Schweine ein wütendes Grunzen ausstieß.

Schneeflocke wartete nicht länger; sie rannte um ihr Leben und schloss zu mir auf. Die Schweine sahen ein wenig verwirrt aus, und zum Glück wurden sie von ihren massigen Körpern gebremst, als sie versuchten, uns zu verfolgen. Wir waren ohnehin viel schneller, und nach einigen weiteren Ausweichmanövern erreichten wir triumphierend, erleichtert und dankbar den sicheren Ausgang. Zu meiner Freude hatte der Regen nachgelassen, inzwischen nieselte es nur noch.

»Sollen wir uns da durch wagen und nach Hause rennen?«, fragte ich.

»Besser ja. Noch mal möchte ich diesen Schweinen nicht über den Weg laufen.«

»Bis jetzt warst du immer so ruhig, wenn wir Bauernhoftieren begegnet sind«, stellte ich fest. Momentan wirkte Schneeflocke noch ängstlicher, als ich es selbst innerlich war.

»Ich weiß, aber Schweine …«, entgegnete sie. »Wie ich schon sagte, habe ich nicht viel Erfahrung mit denen, aber ich habe einiges gehört.« In ihren Augen schimmerte Panik.

»Die sahen auch wirklich so aus, als würden sie uns gerne mit Haut und Haaren verspeisen.« Vorsichtig vergewisserte ich mich, dass die Luft rein war, damit wir unseren Nachhauseweg antreten konnten, und erneut rutschte mir das Herz in die Hose. »Schneeflocke?«

»Ja, Alfie?« Sie war gerade dabei, ihr Fell von Strohhalmen zu befreien.

»In welche Richtung müssen wir?«, wollte ich wissen. Schneeflocke hielt in ihrer Beschäftigung inne und sah mich an. Düster starrte ich zurück. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren.

»Oh nein, wir sind so schnell vor dem Regen geflüchtet, dass ich nicht darauf geachtet habe, wohin wir gelaufen sind«, jammerte sie.

Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? Wieder ließ ich den Blick in die Runde schweifen, doch ich sah nur Wiesen. Wiesen in allen Richtungen – und sie sahen alle gleich aus. Wir hatten uns hoffnungslos verlaufen.

Während wir darüber diskutierten, was wir tun sollten, führte ich uns zu einer nahe gelegenen Hecke, wo wir beim Streiten zumindest vor dem Regen geschützt waren.

»Ich denke, wir sollten einfach mal loslaufen, dann finden wir schon irgendwann den Weg«, sagte ich.

»Super, Alfie, sonst hast du immer irgendeinen tollen Plan, und jetzt willst du, dass wir losziehen, ohne zu wissen, wohin«, gab Schneeflocke bissig zurück. Ich wusste, dass sie sauer war, aber das fand ich unfair. Schließlich war es nicht allein meine Schuld, dass wir uns verlaufen hatten. Ich kroch noch ein Stück weiter unter die Hecke, als ich plötzlich gegen etwas – oder eher gegen jemanden – stieß und mich Nase an Nase mit einem ziemlich breiten, heruntergekommenen Tigerkater wiederfand.

Er fauchte.

»Hallo.« Ich bemühte mich um einen freundlichen Umgangston. Der Kater wirkte wesentlich stärker als ich. Allerdings möchte ich betonen, dass ich sehr stolz auf meine schlanke Figur bin und viel Wert auf meine Pflege lege – was man von diesem Kater definitiv nicht behaupten konnte.

»Wer seid ihr?«, wollte er wissen.

»Ich bin Alfie, und das ist Schneeflocke. Wir sind hier im Urlaub, mit unseren Familien.«

»Hör auf, mich zu verarschen. Katzen machen keinen Urlaub.« Er verzog den Mund und entblößte dabei scharfe Zähne, sodass ich einen Moment lang befürchtete, er würde gleich auf uns losgehen. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch vor lauter Nervosität legte ich automatisch die Ohren an, und mein Schwanz peitschte hin und her. Zwar war ich keine aggressive Katze, aber ich musste schließlich meine Freundin beschützen.

»Ich weiß, das klingt komisch, aber es stimmt wirklich«, entgegnete Schneeflocke und trat einen Schritt vor. Der Getigerte warf einen Blick auf ihre blauen Augen und ihr weißes Fell, und sofort streckte er die Brust vor, richtete sich gerader auf und wedelte freundschaftlich mit dem Schwanz. Ein wenig zu freundschaftlich für meinen Geschmack.

»Hallo, hallo«, sagte er breit lächelnd. »Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Roddy und hier zu Hause. Es tut mir leid, wenn ich unhöflich war, aber … na ja, ich bekomme nicht oft Besuch von Katzen«, ergänzte er und blinzelte Schneeflocke an, was in unserer Welt einem Luftkuss gleichkommt. Für wen hielt sich dieser Roddy?

»Wir wohnen in London«, gab ich hochmütig zurück. Wer glaubt, dass Katzen nicht flirten, hätte sehen sollen, wie er die Pfoten ausstreckte und den Schwanz geschmeidig um seinen Körper wickelte. Ich kam zu dem Schluss, dass er zu stämmig und verwahrlost aussah, um als attraktiv zu gelten, was mich wirklich erleichterte. Ich dagegen bekam oft Komplimente wegen meines Aussehens, meiner schlanken Figur und meines grau getigerten Fells. So oder so verfügte ich über genügend Selbstsicherheit, was meine Erscheinung anging, und da ich außerdem wusste, dass Schneeflocke mir treu war, versuchte ich, mich ein bisschen zu entspannen.

»London, so, so. Na, da kenne ich mich gar nicht aus«, erwiderte er und blickte dabei Schneeflocke direkt in die Augen.

»Das Problem ist«, sagte Schneeflocke ein wenig zu kokett, wie ich fand, »wir haben uns irgendwie verlaufen. Eigentlich wollten wir nur vor dem Regen flüchten und sind dabei in einer Scheune gelandet, wo wir eine recht unschöne Begegnung mit einigen angriffslustigen Schweinen hatten, und jetzt wissen wir nicht, wie wir zu unserem Ferienhaus zurückkommen.« Sie neigte den Kopf zur Seite, und ich konnte genau erkennen, dass Roddy bereits vollkommen verzaubert war.

»Wo wohnt ihr denn?«, erkundigte er sich und warf sich noch mehr in die Brust. »Ich muss sagen, ich kenne mich hier in der Gegend ziemlich gut aus.«

»In einem großen Haus«, schaltete ich mich ein, obwohl mir an Roddys Hilfe nicht gerade viel lag. Allerdings musste ich zugeben, dass er wahrscheinlich unsere beste Option war.

»Das schränkt den Umkreis natürlich stark ein«, bemerkte er voller Sarkasmus.

»Ach, weißt du, Roddy«, schnurrte Schneeflocke und streckte ebenfalls die Pfoten nach vorn, »es ist ganz in der Nähe des Bauernhofs. Neben unserem Garten sind Hühner, und vorne grenzt eine Weide mit Kühen an.«

»Ah, ich weiß, wo das ist. Okay, Stadtkatzen, folgt mir. Ich bringe euch in null Komma nichts nach Hause.«

Wir wurden zwar ein bisschen nass und waren etwas gestresst von unserem Abenteuer, doch Roddy brachte uns sicher nach Hause. Und obwohl ich immer noch leicht verärgert war, weil er mit meiner Freundin geflirtet hatte, dankte ich ihm artig. Zugegebenermaßen war ich ziemlich erleichtert. Als wir uns an der Tür verabschiedeten, wunderte Roddy sich immer noch über die seltsame Tatsache, dass es Katzen gab, die in den Urlaub fuhren.

Im Haus war niemand, und so brannte auch kein Feuer im Kamin, trotzdem strahlte er Wärme aus, als wir uns davorlegten, um unser Fell zu trocknen. Da der romantische Ausflug meine Idee gewesen war, beschloss ich, großmütig zu sein.

»Es tut mir leid, dass unser Tag so schiefgegangen ist«, sagte ich, während ich den Kopf in Schneeflockes Hals vergrub.

»Und mir tut es leid, dass ich dich so angefahren habe. Ich hatte nur Angst, aber du hast auf mich aufgepasst. Wie immer«, gab sie zurück und erwiderte meine Zuneigungsbekundung.

»Na ja, eigentlich war Roddy unser Retter«, merkte ich an.

»Vielleicht, aber du bist mein Held, nicht er«, sagte sie und machte mich damit wahnsinnig glücklich.

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und unsere Familien kamen – völlig durchnässt – ins Wohnzimmer.

»Lasst uns den Kamin anmachen, und dann schnell raus aus den nassen Sachen, bevor wir uns eine Lungenentzündung holen«, rief Karen.

»Schaut euch die zwei an: liegen da gemütlich und trocken am warmen Kamin, während wir am Strand fast abgesoffen wären«, sagte Jonathan und begann, das Feuer anzuzünden. Schneeflocke und ich sahen einander aus halb geschlossenen Augen an und grinsten. Wenn die wüssten …

Kapitel Vier

»Ich hoffe, es war nicht zu langweilig für euch beide«, sagte Jonathan an unserem letzten vollständigen Urlaubstag, während wir alle zusammen frühstückten.

»Nö«, entgegnete Christopher. »War gut.« Er wirkte ein wenig verlegen, aber er war ja auch ein Teenager, und wie man hört, sind die generell etwas scheu und einsilbig.

»Ich fand’s toll, mal nichts zu tun«, sagte Daisy. »Wenn alles nach Plan läuft, werde ich ziemlich beschäftigt sein, sobald wir wieder zurück sind.«

»Polly meint, du wirst die nächste Kate Moss«, verkündete Claire.

»Ich würde schon ausflippen, wenn ich nur einen Hauch so erfolgreich wäre wie sie«, erwiderte Daisy lachend. Ihr war gar nicht bewusst, wie umwerfend sie war, dachte ich im Stillen – ein bisschen so wie Schneeflocke. Die hatte sich mir gegenüber am Anfang zwar unnahbar verhalten, aber nicht, weil sie sich für schön gehalten hätte. Sie war sich ja nicht mal jetzt der Wirkung bewusst, die sie auf andere Katzen und Menschen hatte. Genau wie Roddy fingen die meisten Kater an, wie Hunde zu sabbern, wenn sie Schneeflocke das erste Mal sahen. Ich eingeschlossen, muss ich zugeben.

»Was wollen wir denn heute machen?«, fragte Karen, während sie eine weitere Scheibe Toast mit Butter bestrich.

»Wie wäre es, wenn wir einfach relaxen, vielleicht einen kleinen Spaziergang machen und dann hier Mittag essen?«, schlug Tim vor.

»Das klingt gut«, befand Claire, die gerade erfolglos versuchte, ihrer Tochter einen Löffel Müsli zwischen die zusammengepressten Lippen zu schieben.

»TOAST«, rief Summer. Claire wirkte verzweifelt, doch Jonathan lachte nachsichtig.

»Ich wünschte, sie würde mal Obst oder wenigstens Porridge sagen«, meinte Claire.

»Meine Tochter weiß eben, was sie will«, entgegnete Jonathan. »Ganz der Vater.«

Claire versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. »Oh Gott, da kann ich mich ja auf was gefasst machen«, sagte sie gespielt schockiert.

»Ich setz mich mal an den Computer«, verkündete Christopher verlegen. Er schien auch ganz wie der Vater zu werden – zumindest sah es so aus, als würde er in dessen Fußstapfen als Computergenie oder so was Ähnliches treten.

»Ach, Claire, du willst doch endlich dein Buch weiterlesen. Ich hab mir überlegt, ich gehe heute Morgen mit Summer zum Bauernhof rüber. Sie liebt doch Tiere, und du kannst dich derweil ganz in deinen Roman vertiefen«, sagte Jonathan und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.

»Mein Gott, jetzt weiß ich wieder, warum ich dich geheiratet habe.«

»Ich komme mit euch, Jon«, schaltete Karen sich ein und schaute zu Tim, der zustimmend nickte.

Vielsagend blickte ich Schneeflocke an. Wir würden also gewissermaßen wieder allein sein; vielleicht konnten wir einen romantischen Spaziergang durch den Garten unternehmen. Nach unserem Abenteuer auf dem Bauernhof vor ein paar Tagen waren wir immer in der Nähe des Ferienhauses geblieben, und ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, heute noch auf Erkundungstour zu gehen.

Eine Weile hielten wir uns also im Garten auf, nicht weit von dem Liegestuhl entfernt, in dem Claire saß und ihr Buch las. Chris war drinnen, Daisy war joggen gegangen, und die anderen waren zum Bauernhof unterwegs. Nach einiger Zeit beschlossen wir, den Hühnern einen Besuch abzustatten. Grüßend nickten wir ihnen zu – inzwischen hatte ich keine Angst mehr vor ihnen –, und sie erwiderten unseren Gruß, indem sie mit den Köpfen wackelten. Ich fand sie gar nicht mehr gruselig. Hier auf dem Land hatte ich einiges über andere Tiere gelernt – Tiere, die wir in London eher selten zu Gesicht bekamen.

»Hey, hey, Stadtkatzen«, sagte Roddy, der plötzlich hinter dem Hühnergehege hervorkam.

»Hallo, Roddy«, grüßte Schneeflocke.

»Noch einmal vielen Dank für deine Hilfe neulich«, sagte ich – schließlich wusste ich mich zu benehmen.

»Da nicht für. Aber sagt mal: Was macht ihr zwei denn hier Schönes?«, wollte Roddy wissen.

»Heute ist unser letzter Tag, morgen reisen wir ab«, erklärte ich ganz entspannt. Es gefiel mir gut auf dem Land, trotzdem vermisste ich viele Dinge in London: zum Beispiel meine Freunde, vor allem Tiger, und meine anderen Familien. Auch der Trubel fehlte mir, der ständige Lärmpegel in der Stadt. Hier war es nachts geradezu unheimlich ruhig; zu Hause dagegen hörte man Autos, Stimmen und ab und zu eine Sirene. Würde ich hier leben, würde ich lange brauchen, um mich an die Stille zu gewöhnen.

»Na, wenn das so ist: Wie wäre es, wenn ich euch meinen Lieblingsplatz zeige?«, schlug Roddy vor.

»Was ist denn dein Lieblingsplatz?«, wollte Schneeflocke wissen.

»Das werdet ihr gleich sehen. Auf jeden Fall ist es wunderschön dort. Los, kommt mit.« Er rannte bereits davon, und wir liefen ihm hinterher. Als wir eine neue – und zum Glück kuhfreie – Wiese durchquerten, stellte ich fest, wie gut es hier auf dem Land roch. Tief sog ich die Luft ein und genoss die frischen Düfte. Es freute mich, dass wir noch ein letztes Abenteuer erleben würden, und dank Roddys Begleitung würden wir diesmal auch nicht in irgendwelche Gefahren geraten. Zumindest hoffte ich das.

Hinter der Wiese nahm Roddy einen Weg, den wir schon kannten, am Rand der Weide entlang, auf der wir der riesigen Kuh begegnet waren. Heute grasten mehrere Kühe dort, aber am anderen Ende, und sie waren so sehr mit Fressen beschäftigt, dass sie uns kaum beachteten. Ich kann nicht behaupten, dass ich darüber allzu enttäuscht gewesen wäre.

»Los, kommt weiter«, forderte Roddy uns auf, und wir blieben ihm dicht auf den Fersen.

Als wir an einem Bach ankamen, drehte ich mich zu Schneeflocke um und blinzelte, was sie ebenfalls mit einem Blinzeln quittierte.

»Ich stehe nicht so auf Wasser«, merkte ich an.

»Ich auch nicht, Alfie«, entgegnete Roddy. »Aber schau mal, da vorne gibt es eine Brücke. Kommt mit.« Er führte uns über eine kleine Holzbrücke und blieb dann stehen. Als ich mich umschaute, stockte mir fast der Atem. Wir befanden uns auf einer Lichtung am Waldrand. Um uns herum standen die Bäume dicht an dicht, doch zwischen den Ästen drang das Sonnenlicht hindurch und wurde von den Blättern reflektiert. Es sah wunderschön aus.

»Das ist ja ein Wald«, rief Schneeflocke.

»Ja, mein Wald«, erklärte Roddy, wobei ich nicht glaubte, dass er wirklich ihm gehörte.

»Wow, der ist wunderschön«, stellte ich fest. »Fast so schön wie du«, ergänzte ich und schmiegte meinen Kopf an Schneeflockes Hals. Sie lächelte schüchtern und hob die Schnurrhaare.

»Das erinnert mich ein bisschen an mein altes Zuhause«, sagte sie. »Wir hatten einen riesigen Wald direkt hinter unserem Garten, da habe ich immer Eichhörnchen gejagt, obwohl die ganz schön fies sein konnten – besonders, wenn man ihnen eine Nuss klauen wollte.«

»Ich kann gut verstehen, dass dir das fehlt«, gab ich zu. So sehr ich London und die Edgar Road liebte – dieser Platz hier war wirklich schön.