Alive: Getrennte Wege - Jennifer Fitz - E-Book

Alive: Getrennte Wege E-Book

Jennifer Fitz

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Beschreibung

Wie weit gehst du, um die zu retten, die du liebst? Die Gruppe ist zerbrochen. Auf der Suche nach dem verschwundenen Mädchen Emma begeben sich Logan, Holly, Jake und Sarah auf eine riskante Mission – und geraten mitten in die Gewalt der Bloody Bunnies. Während Jake und Sarah gegen ihre eigenen Dämonen kämpfen, steht Logan plötzlich seinem Sohn gegenüber. Doch das Wiedersehen wird zur Abrechnung – mit einer Vergangenheit, die er längst verdrängt hatte. Dies ist kein Roman über Zombies. Dies ist ein Roman über Menschen und über das, was das Ende der Welt aus ihnen gemacht hat.

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Seitenzahl: 258

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alive Band 2 - Getrennte Wege

Von Jennifer Fitz & Milena Hahn

Roman

Dystopie / Science Fiction

Triggerwarnung! Folgende Themen werden in diesem Buch vorkommen:

Körperliche & psychische Gewalt, explizite Sprache, selbstverletzendes Verhalten, Suizid Waffen, Vergewaltigung, Misshandlung von Kindern, Frauen und Männern und Folter.

Die Einstellungen, die manche Charaktere zu den Themen Rassismus, Sexismus oder Ableismus äußern, repräsentieren nicht unsere persönliche Meinung. Manche Charaktere verkörpern toxische Männlichkeit oder konservative Rollenbilder. Das ist kein Zufall, sondern Teil des Prozesses: Einige Charaktere beginnen, ihre Wertekonstrukte zu hinterfragen – andere scheitern genau daran.

Wir als Autorinnen positionieren uns strikt gegen Rassismus, Sexismus, Ableismus oder andere Arten von Diskriminierung.

Alle genannten Produkt- und Markennamen sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber*innen und werden hier nur zur besseren Orientierung genannt.

1. Auflage, 2025

© Alle Rechte vorbehalten.

Text: Jennifer Fitz & Milena Hahn

Umschlagskonzept: Viktor Joseph Schmied

Titelillustration: Viktor Joseph Schmied

Umschlaggestaltung: Viktor Joseph Schmied

Satz: Milena Hahn

Lektorat & Korrektur: Jennifer Fitz & Milena Hahn

Druck und Bindung: epubli

Bei Interesse können weitere Informationen auf unserer Website und unserem Instagram-Account nachgelesen werden:

www.jellibooks.de

Instagram: @jellibooks

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 – Logan

Kapitel 2 – Jake

Kapitel 3 – Holly

Kapitel 4 – Jake

Kapitel 5 – Logan

Kapitel 6 – Sarah

Kapitel 7 – Jake

Kapitel 8 – Zack

Kapitel 9 – Jake

Kapitel 10 – Holly

Kapitel 11 – Logan

Kapitel 12 – Jake

Kapitel 13 – Emma

Kapitel 14 – Holly

Kapitel 15 – Jake

Kapitel 16 – Sarah

Kapitel 17 – Emma

Kapitel 18 – Logan

Kapitel 19 – Holly

Kapitel 20 – Logan

Kapitel 21 – Sarah

Epilog

Prolog

Leise Jazzmusik lief auf einem alten Plattenspieler und verlieh dem ordentlichen und von Sonnenlicht durchfluteten Raum einen Charme, der nicht sofort auf ein Büro schließen ließ. Auf einem Ledersessel saß ein glatzköpfiger und gutgekleideter Mann in seinen späten Vierzigern. Bryan spitzte einen grünen Bleistift und rollte ihn akribisch neben die anderen. Unordnung mochte er nicht, erst recht nicht auf seinem Schreibtisch, dem Zentrum seines Wirkens.

Es klopfte an der Tür, doch bevor er den Gast hereinbat, schob er die Akten vor sich zu einem ordentlichen Stapel zusammen. Sein Blick verweilte kurz auf dem Foto eines kleinen dunkelhaarigen Mädchens, das einen Kescher voller Krebse und anderem Getier in die Kamera hielt. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, dann richtete er sich auf und fokussierte die Tür. Bryan erinnerte sich an Bacons Ankündigung, dass das Außenteam wohl wieder ein Kind angeschleppt hatte.

»Herein!«

Die Tür schwang auf und zwei verschmutzte Frauen traten ein.

»Rusty und Nova, was für eine Freude!« Bryan deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. Die Gesichter der beiden waren von Schrammen und Rötungen gezeichnet, ihre Kleidung bespritzt mit Schlamm und Blut. Ihr Auftreten bewunderte Bryan trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Rauheit. Für gewöhnlich schätzte er an Frauen anderes Make-up, doch Rusty und Nova waren seit jeher von einem anderen Schlag.

»Ihr wart lange weg, doch ich hörte, die Mission war erfolgreich? Wie geht es Al, dem alten Halunken? Er hat sich noch nicht bei mir blicken lassen.«

Rusty schob eine blutverklebte Strähne ihres roten Haares zurück und erwiderte seinen Blick. »Al ist bei seiner Tochter. Er wollte sie unbedingt sehen.«

Bryan nickte schmunzelnd. »Das kann ich verstehen. Nichts ist einem Vater wichtiger, als seine Tochter zu schützen.«

Er öffnete ein Schränkchen, nahm eine Flasche Limonade heraus und verteilte ihren Inhalt auf drei Gläser. Im krassen Kontrast zu Rustys und Novas schmutziger Kleidung waren die Gläser auf Hochglanz poliert.

»Ich hörte, ihr hattet einige Schwierigkeiten, seid aber mit neuen Waffen und Vorräten belohnt worden?«

Nova nippte an ihrer Limonade. »So ist es. Von dem Jungen hat Bacon dir wohl auch schon erzählt?«

Bryan nickte. »Bacon hat ihn als pfiffig beschrieben. Was meint ihr?«

»Er ist etwas... eigenartig. Aber er hat Überlebenswillen. Mehr wird sich zeigen.« Rusty deutete zur Tür. »Er sitzt draußen. Soll ich ihn reinholen?«

»Bitte.«

Die Tür öffnete sich und ein magerer Junge betrat den Raum. Bryan schätzte ihn auf etwa zwölf Jahre. Er war blass, hatte braunes Haar und scharfe, wache Augen. Der Junge blieb stehen, sah sich um und musterte die Bücher in Bryans Regal, ehe er seinen Gastgeber anblickte.

»Eine Freude, dich kennenzulernen, kleiner Mann. Ich bin Bryan, der Anführer der Bloody Bunnies.«

Der Junge wirkte erstaunlich gelassen. »Haben Sie Psychologie studiert?«

Bryan hob eine Augenbraue, begann aber zu verstehen, was Bacon mit seiner Einschätzung gemeint hatte. »Leider nicht. Dafür reichten meine Noten damals nicht.« Er zog ein Buch aus dem Regal und strich liebevoll darüber. »Aber es ist eine große Leidenschaft von mir.«

»Ah, verstehe.« Der Junge wirkte enttäuscht. »Ich heiße Andrew Walker, aber nennen Sie mich Andy. Ich bin zwölf, ohne Angehörige. Der Beitritt zu dieser Gruppierung ist für mich alternativlos. Ich kann mit meinem Intellekt und meinen zahlreichen Fähigkeiten von großem Nutzen sein. Doch bevor ich mehr erzähle, hätte ich gern einen Sitzplatz und ein Glas Limonade.«

Bryan lächelte, beeindruckt von der Selbstsicherheit des Jungen. Etwas an ihm erinnerte ihn an sich selbst. »Natürlich, Andy. Setz dich und erzähl uns von dir.«

Kapitel 1 – Logan

»Sagtest du ›Logan Parker‹?« Sein Gegenüber wirkte amüsiert. Bryan, der Anführer der Bloody Bunnies, trug eine Glatze und eine ungewöhnlich saubere Gang-Kutte. Er war stark tätowiert und machte einen imposanten Eindruck.

»Äh, ja?« Logan blinzelte perplex. Sein Name rief für gewöhnlich keine besondere Reaktion hervor.

»Hm.« Der Mann verschränkte die Arme hinter dem Rücken, erhob sich langsam aus seinem ledernen Schreibtischstuhl und musterte Logan. »Der Journalist?«

Logan nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. »Haben Sie etwas von mir gelesen?«

»In der Tat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich von dir gelesen habe.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht seines Gegenübers, bevor er sich einem Schrank voller Akten zuwandte. Mit bedächtigen Bewegungen zog er eine Mappe mit grauem Umschlag hervor. Logan erkannte den Vermerk ›Hosenscheißer‹, der mit schwarzem Edding handschriftlich auf den Einband geschrieben war. Daneben prangte das Zeichen der Bloody Bunnies. Der Mann durchblätterte andächtig die Seiten, klappte die Mappe schließlich zu und lächelte Logan an. »Ich habe eine Verwendung für dich, Parker.«

Er pfiff schrill und ein junger Mann erschien im Türrahmen.

»Babyface, bring Mr. Parker in eine freie Zelle des C-Blocks. Sorge gut für ihn: etwas Ordentliches zu essen, ein guter Whiskey, Zigaretten. Aber am wichtigsten: Kein Wort zu irgendjemandem.«

Vier Tage. Logan hatte jede einzelne Minute gezählt, während er aus dem vergitterten Fenster auf den Hof blickte, immer in der Hoffnung, ein kleines Mädchen zu sehen. Sein ›Haftalltag‹ war skurril: Nahezu kein Wunsch blieb ihm verwehrt, er erhielt Bücher, Schreibutensilien und Musikkassetten, bekam reichlich zu essen, trank Hochprozentiges und rauchte Zigaretten. Doktor Turner, der ihn regelmäßig besuchte, behandelte seine Verletzungen mit Präzision. Er wurde unterstützt von Holly, die noch immer kein Wort mit ihm gewechselt hatte. Hatte sie Doktor Turner von seiner Sucht erzählt? Die größte Frage ließ ihn jedoch nicht los: Was stand in der Mappe, die Bryan dazu gebracht hatte, ihn zu behalten? Wieso schirmte man ihn so strikt von der Außenwelt ab?

Logan hatte die Freizeit im Gefängnis dafür genutzt, sein zerfleddertes Tagebuch wieder herauszukramen. In krakeligen Einträgen waren die abgezählten Tage markiert und der Lauf der Apokalypse skizziert, wie er sie erlebt hatte. Nach seinen eigenen Aufzeichnungen war die Seuche vor etwas mehr als einem Jahr ausgebrochen: Erst waren es nur Gerüchte und bruchstückhafte Nachrichten gewesen, dann hatten die ›Infizierten‹ – degenerierte Menschen, die wie wutgetriebene Affen um sich schlugen – die Städte überrannt. Der Großteil der Menschheit war jedoch weder gebissen oder zerfleischt worden, noch hatte er sich verwandelt. Der Großteil der Menschheit war im Stillen an der Seuche gestorben. Nahezu friedlich im Vergleich zu dem, womit die Überlebenden zu kämpfen hatten. Logan hatte sich drei Kategorien notiert:

Erstens: Infizierte – Menschen, die die Seuche verändert hatte.

Zweitens: Immune – Menschen, die scheinbar nicht erkranken konnten.

Drittens: Nicht-Immune – Menschen, die die Seuche innerhalb kürzester Zeit dahingerafft hatte.

Die ersten Seiten seines Heftchens waren bereits so mitgenommen, dass die Schrift an einigen Stellen kaum noch leserlich war. Er überflog die Zeilen mit seinen Notizen. Am Anfang hatte er noch monatelang den Schnapskeller seines Saufkumpanen Paul gehalten und sich anschließend auf den Weg gemacht, um seine Familie – Joanna, Zack und Nora - zu finden. Ein Kapitel, das ihn noch immer mit schweren Schuldgefühlen und starken Bauchschmerzen erfüllte. Tagelang war er planlos und betrunken durch verlassene Straßen geirrt, bis er an jenem Tag in einer halb verfallenen Werkstatt auf die verängstigte Emma gestoßen war. Sie gab ihm zum ersten Mal seit Langem wieder einen Grund und die Hoffnung, weiterzumachen.

Nach Logans Rechnung musste heute der 27. Oktober sein, doch eine Abweichung von bis zu vier Tagen war durchaus möglich.

Logan blätterte eine Seite weiter. Nur stichpunktartig hatte er die Begegnung mit Jake notiert, dem abgebrühten Ex-Profiboxer, der ihn gleich zweimal beinahe tot geprügelt hatte und seiner Schwester Holly, mit der er betrunken Sex in einem Schnapsladen gehabt hatte. Wieder fasste Logan den Entschluss, dass dieses Tagebuch niemals jemand anderes würde lesen dürfen. Es war zu persönlich und machte ihn angreifbar. Er blätterte vor zu Sarah, der bezaubernden Farmerin, die durch einen tragischen Unglücksfall, in dem eine Horde Infizierter ihre Farm überrannten, Vater und Bruder verloren hatte und die seither mit ihrer merkwürdigen Gruppe mitgereist war.

Sarah. Logan bedauerte es, dass sie getrennte Wege gegangen waren. Er hoffte, dass es ihr gut ging und der brutale Jake sie in Ruhe ließ. Er nahm noch einen Schluck seines Schnapses und setzte den Stift an, um die jüngsten Ereignisse nachzutragen:

›Jake hat mich erwischt, wie ich ihn beklaut und mich heimlich betrunken habe. Er hätte mich fast umgebracht. Holly hat mich wieder zusammen geflickt. Sind seither nur zu zweit unterwegs. Jake verfolgt mich aber noch immer in meinen Albträumen. Wir haben kürzlich einen Hinweis auf Emma erhalten. Sie scheint sich den Bloody Bunnies angeschlossen zu haben. Wir sind der Gang beigetreten, doch hier ist einiges sehr seltsam. Der Anführer, Bryan, hatte eine Akte in der Hand, in der irgendetwas über mich drin zu stehen scheint. Man isoliert mich von der Gemeinschaft, aber behandelt mich gut. Ich bleibe weiterhin wachsam.‹

Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, die Tür wurde aufgestoßen. Ein dicker Mann mit glänzendem Ohrring und desinteressiertem Blick betrat die Zelle. »Logan Parker?« Logan nickte langsam.

»Komm mit.«

Logan erhob sich zögerlich. »Darf ich wissen, wo es hingeht und was jetzt passiert?« Mit ernstem Blick durchquerte er mit wenigen Schritten die Zelle und folgte dem Mann auf den Gang.

»Du triffst jemanden.«

»Wen?«

»Keine Ahnung, soll dich nur abholen.«

Durch den C-Block hindurch, quer über den asphaltierten Gefängnishof, führte man Logan in eine große Werkstatt. Es roch nach Öl und Benzin. Werkbänke standen voll mit Werkzeugen, das Licht der Neonröhren warf harte Schatten.

»Stell dich da hinten hin«, wies der dicke Mann ihn an, ohne Logan anzusehen.

»Soll ich sonst irgendwas tun?«, fragte er misstrauisch, als Nervosität in ihm aufstieg. Der Dicke schüttelte den Kopf. »Wollt ihr mich umlegen?« Logan erhielt wieder nur ein Schulterzucken. »Offen.«

Logan runzelte die Stirn. Das war eine seltsame Antwort. Es klopfte laut und Logan fuhr zusammen. Ohne ein weiteres Wort verließ der Dicke die Werkstatt. Logan blickte sich panisch um, um sich zu bewaffnen: Hammer, Sägen, Nägel, Schraubenzieher, eine Eisenstange. Sein Blick huschte in Richtung des einzigen Ausganges. Würde die Zeit reichen, um geschwind…

Bevor er weiter über einen Plan nachdenken konnte, schwang die Tür auf und grelles Tageslicht flutete die Werkstatt. Bryan schob einen Rollstuhl hinein. »Mr. Parker, Sie haben Besuch!« Seine Stimme triefte vor Gehässigkeit. Logan trat vorsichtig einen Schritt vor. Sein Atem stockte. Ohne Vorwarnung blickte er in den Lauf einer Pistole.

Der Junge im Rollstuhl war kaum wiederzuerkennen. Die schmutzig-blonden Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Seine Augen, einst lebendig und voller Neugier, starrten ihn kalt und leer an. Sein Bein – offensichtlich gebrochen – lag in einem schweren Gips. Hätte Logan es nicht besser gewusst, hätte er sein Gegenüber nicht für einen Zwölfjährigen, sondern für einen abgeklärten Erwachsenen gehalten, der in seinem Leben bereits zu viel gesehen und erlebt hatte. Stille.

»Du richtest eine Waffe auf deinen Vater?«, fragte Logan mit heiserer Stimme, unfähig, sich zu bewegen. Keine Antwort, doch die Verachtung in den Augen des Jungen sprach Bände.

Logan spürte, wie ihn seine Schuldgefühle mit voller Wucht trafen. Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass alles nicht so schlimm gewesen sei, dass er es hätte wiedergutmachen können. Doch jetzt stand er vor seinem Sohn, seinem strengsten Richter. Zack verachtete ihn. Er hasste ihn so sehr, dass er ihn töten wollte.

Der Junge schwieg. In seinen Augen brannte ein Hass, der Logans Herz zerriss. Sonst so wortgewandt, war Logan nun sprachlos. Die Sekunden, die verstrichen, fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Plötzlich wich Zack erschöpft seinem Blick aus und senkte die Waffe. Erleichterung durchflutete Logan. Er rang um Worte, doch nichts fiel ihm zu sagen ein und so trat er nur einen Schritt auf seinen Sohn zu, kniete sich zu ihm herunter und umarmte ihn so fest er konnte.

Es war, als löste sich ein bleischweres erdrückendes Gewicht von ihm. Als könne er endlich wieder ungehindert atmen. Es fühlte sich befreiend an und ohne dass er es hätte verhindern können, rannen stumme Tränen seine Wangen entlang. Sein Sohn, nach all der langen Suche, lebte.

»Wie… wie kommen wir jetzt hier raus?« Zacks Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Logan wischte sich hastig das Gesicht trocken und zwang sich zu einem ermutigenden Lächeln. »Genau wie Indiana Jones natürlich!«, entgegnete er glücklich und dachte an all die Abenteuerromane, die sie einst zusammen gelesen und nachgespielt hatten. »Wir bewegen uns ganz vorsichtig, damit wir in keine Falle tappen. Wir warten auf den richtigen Moment, auch wenn es Tage dauern sollte. Dann fliehen wir gemeinsam und nehmen dabei alle Schätze mit, die wir finden können.«

Da war er – der Grund, um weiterzumachen und sich nicht aufzugeben. Logan atmete tief durch. Einen genauen Plan hatte er nicht, aber das würde sich fügen. Hauptsache, sie waren vereint. Nun durfte er nicht länger in Selbstmitleid zerfließen. Er musste kämpfen – für seinen Sohn.

»Wie Indiana Jones?«, fragte Zack, nun ungewöhnlich kleinlaut und Logan nickte. Als er Zack genauer ansah, bemerkte er, wie mitgenommen das Kind war: das gebrochene Bein, die gezeichnete Miene, das blutende Ohr, die Augen voller Schmerz.

»Dein Ohr... dein Bein. Waren die das?« Logan spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Niemand hatte das Recht, seinem Sohn so etwas zuzufügen. Seine Stimme senkte sich zu einem eindringlichen Flüstern:

»Pass auf« Logans entschlossener Blick huschte zur Tür. »Ich rede mit Bryan. Er wird uns hier rauslassen und alles wird weiter seinen gewohnten Lauf nehmen. Ich gebe dir mein Wort, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um uns hier sicher rauszuholen. Aber wir müssen hier mitspielen, klar?«

Zack und er tauschten einen entschlossenen Blick – bereit, gemeinsam jeden Schritt zu wagen.

Helles Sonnenlicht blendete ihn, als Logan die Werkstatt wieder verließ. Bryan wartete bereits. Grinsend begegnete Logan dem Mann, der sich vermutlich einen anderen Ausgang der Situation erhofft hatte.

»Ich fürchte, mein Sohn wird mich nicht mehr erschießen, Bryan. Wie siehts aus? Können wir die Spielchen nun sein lassen? Ich bin bereit, deinen Leuten beizutreten.«

»Dachte ich mir schon. Dein Sohn ist ziemlich frech, Parker.« Logan meinte, sich zu erinnern, vor wenigen Jahren eine ähnliche Unterhaltung mit einem Lehrer an Zacks Schule geführt zu haben. »Ja, das hat er wohl von mir.«

»Ganz offensichtlich.«

Für einige Sekunden standen sie sich gegenüber, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Bryans Augen ruhten auf Logan, als würde er über jedes Wort nachdenken, das er zu sagen plante. »Pass auf, Parker. Ich bin wirklich gewillt, dich hier zu behalten. Ich bin sogar gewillt, dir ein ziemlich schmutziges Aufnahmeritual zu ersparen und dir deine fortschrittliche Zelle in C zu überlassen. Ich würde dich für mich arbeiten lassen, dir eine Waffe geben, und ich bin sogar bereit dazu, dir ab und an Zeit mit deinem Sohn zu gönnen. Ich bin froh um jede Person, die etwas Grips mitbringt und anpacken kann. Ich musste feststellen, dass das leider nicht selbstverständlich ist.« Bryan lächelte fast schon verständnisvoll und gutmütig.

»Aber?«, verlangte Logan unerschrocken zu wissen und zwang sich dazu, dem Blick des anderen standzuhalten. Das alles klang nach einer widerlichen Bedingung. Auf Bryans Gesicht stahl sich dieses fiese Lächeln, das Logan bereits von ihm kannte und er beugte sich bis auf einige Zentimeter zu ihm vor, sodass sein Gesicht ganz nah war und Logan seinen Atem beim Sprechen auf seiner Haut spüren konnte.

»Die Prinzessin gehört mir. Du lässt deine Finger von ihr, schaust sie nicht an und redest kein Wort mit ihr.«

Logans Stirn zog sich in Falten. »Was?«, entfuhr es ihm, und irritiert musterte er Bryan. »Von wem sprichst du?«

»Ich habe meine Ohren überall, Parker. Du bist hier, weil du ein kleines Mädchen suchst, das hat mir Hunter berichtet«, setzte er in gefährlichem Flüstern fort. »Lass dir gesagt sein, dass Emma hier ist. Sie ist hier auf dem Gelände und sie gehört mir, ist das klar?«

Logan stockte der Atem. Obwohl er es bereits vermutet hatte, versetzte ihn nun die Gewissheit, dass Emma sich ganz in seiner Nähe befand, ein schummriges Gefühl. »Äh…« Er hatte keine schnelle und adäquate Antwort auf diese Forderung parat und seine Gedanken überschlugen sich. »Ich habe deinem Sohn schon ein Bein gebrochen, Parker und ich habe keine Skrupel, das gleiche auch mit seinem Genick zu tun. Überhaupt gar keine.« Obwohl Bryan flüsterte, drang jede einzelne Silbe ganz genau zu Logan durch und er erschauderte ob dieser Grausamkeit. »Du wirst hier jedem Befehl bedingungslos folgen, der von mir kommt. Jedem, verstanden?« Hinter ihm hörte er das Quietschen der Räder des herannahenden Rollstuhls. Zack. Er hatte ihm gerade versprochen, ihn hier herauszuholen, indem er sich anpasste und mitspielte, ganz gleich, was verlangt werden würde. Logan nickte. »Verstanden«, wiederholte er. »Ich kriege Zack, Sie kriegen Emma.«

Ihre Blicke hielten einander stand und es fühlte sich tatsächlich wie ein Pakt an, dann machte Bryan eine Handbewegung in Richtung des dicken Mannes von zuvor. »Jabba, bring ihn zurück in seine Zelle.«

Logan warf noch einen kurzen bedauernden Blick über seine Schulter zu Zack, der bei Bryan zurückbleiben musste, dann folgte er Jabba wortlos zurück in den C-Block.

Kapitel 2 – Jake

Sanft fuhr er mit der Rückseite seiner Hand über Sarahs nackten Oberarm. Sie lag neben ihm auf dem Boden des alten Feuerwehrautos und schnaufte leise im Schlaf. Ein zufriedenes Grinsen huschte über Jakes Gesicht, während er ungläubig den Kopf schüttelte und das wunderschöne Mädchen, das er so gar nicht verdiente, beobachtete.

Obwohl sie sich vor wenigen Stunden schwer gestritten, er sich wie das weltgrößte Arschloch benommen und obwohl er möglicherweise mit seinen bloßen Fäusten den Mann getötet hatte, den Sarah als guten Freund ansah, lag sie hier an seiner Seite.

»Wenn Logan dich nicht in deinen Albträumen verfolgt, werde eben ich es sein, die dich immer wieder damit konfrontiert, bis du dich damit auseinandersetzt.«

Im Gegensatz zu Jake schien Sarah sich am nächsten Morgen nicht mehr an die wundervollen Stunden der letzten Nacht zu erinnern, denn auf sein nett gemeintes »Guten Morgen!«, erhielt er nur einen tödlichen Blick und ein empörtes Schnauben zur Antwort. Unschlüssig fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, rieb sich den Nacken und hatte auch nach längerem Nachdenken keine Idee, wie es jetzt weitergehen sollte. So schlurfte er mit müden Augen zu ihrem gemeinsamen Wagen und belud ihn mit einigen nützlichen Dingen aus dem Feuerwehrauto.

Jake war gerade dabei, die Klappe des Kofferraums zu schließen, als er aus dem Wald ein verdächtiges Knacken wahrnahm. Blitzartig fuhr er herum, zog eine Pistole aus seinem Gürtel und zielte in die Richtung, aus der er das Geräusch vernommen zu haben glaubte. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie geladen war. Ohne zu atmen, harrte er in seiner Position aus. »Nicht schießen!«, kam die Aufforderung aus dem Wald. Jake war nicht dumm genug, seine Waffe einfach zu senken.

Vorsichtig traten zwei Männer in sein Sichtfeld, die Hände erhoben, obwohl sie selbst jeweils ein Gewehr bei sich trugen. »Wir wollen keinen Stress und haben auch nichts von Wert bei uns!«, rief einer der beiden. Er trug ein hässliches Karohemd und sah aus wie ein harmloser Familienvater auf Wanderung. Während Jake noch abwog, was er nun tun sollte, stellte Sarah sich einfach unbekümmert vor den Lauf seiner Pistole und hob die Hand zum Gruß.

»Hast du sie noch alle?«, fuhr Jake sie harsch an, doch Sarah ignorierte ihn einfach. »Kein Problem, wir auch nicht!«, antwortete sie und schon war sie vollkommen sorglos auf die Männer zugelaufen, um ihnen zum Gruß ihre Hand entgegen zu strecken. Während in Jake, ob dieser Leichtsinnigkeit, schon wieder rasende Wut aufstieg, stellte sie sich und ihn ungefragt vor. Die Männer entgegneten viel zu freundlich »Thomas und Eric, toll euch kennenzulernen.«

Jake atmete durch, versuchte sich selbst zu beruhigen und wandte sich dann wieder dem Kofferraum zu. Er wollte, so schnell es ging, von hier verschwinden. Er behielt die Männer und Sarah jedoch weiterhin in seinem Blickfeld.

Sarah hingegen schien schwer erpicht darauf, die beiden näher kennenzulernen. Wollte sie ihm seine Worte von gestern heimzahlen?

»Seid ihr auch nur zu zweit unterwegs?«, fragte sie und Jake schlug die Heckklappe des Autos fester zu als geplant. Einer der Rückfahrscheinwerfer fiel aus seiner Fassung und Eric fing Jakes Todesblick ein. Er räusperte sich, dann antwortete er Sarah:

»N… Nein, nein. Wir haben ein Camp, ein paar Kilometer mit dem Auto von hier, direkt durch den Wald. Wir sind gerade nur auf Rehjagd.«

Jake schnaubte. War Sarah bewusst, wie viele wertvolle Informationen sie diesen zwei Männern eben über sie beide offenbart hatte? Und wer zur Hölle hatte genug Munition übrig, um auf Rehjagd zu gehen? Offensichtlich waren sie besser ausgestattet als Sarah und Jake. Das alles roch nach einer miesen Falle.

»Euch ist nicht zufällig ein kleines Mädchen begegnet?«, fragte Sarah unbekümmert weiter. »Etwa so groß, braune Haare, um die zehn Jahre alt?«

Als beide gleichzeitig ein erstauntes »Ja!« ausstießen, horchte auch Jake auf. »Emma!«, sagte Thomas – und Jake blieb fast das Herz stehen. Diesen Namen hatten sie sich nicht ausgedacht. Dieser Teil ihrer Geschichte war definitiv keine Lüge.

Sarahs Hand glitt zu der seinen und er drückte sie kurz. Wenn Emma in diesem Camp war und wenn sie noch lebte, dann…

»Aber sie ist von hier abgehauen. Es gab einen Unfall im Camp und da ist sie mit ihrem Bruder und einem anderen Jungen verschwunden. Wir haben ewig nach ihnen gesucht, aber sie haben sich ein Auto genommen und sind wohl auf und davon.«

Thomas räusperte sich leise und ein mitleidiger Blick huschte zu seinem Gefährten, der sich mit verletzter Miene abwandte.

»Bruder?«, fragte Sarah nach und tauschte einen irritierten Blick mit Jake, doch beide Männer nickten. »Ja, Jesse. So ein tätowierter junger Mann. Ziemlich grob und unflätig, wir haben uns auch gewundert, dass die beiden zusammen gehören. Aber beide haben es übereinstimmend behauptet!« Jake schüttelte instinktiv den Kopf. »Da ist etwas faul. Keine Ahnung, wer dieser Jesse sein soll.«

Jake ließ sämtliche Vorsicht gegenüber den Männern fallen. Wenn Thomas und Eric sie auf der Suche nach dem kleinen Mädchen weiterbringen konnten, dann würde er sich zusammenreißen. Die beiden Fremden tauschten einen kurzen Blick, dann nickten sie in Sarahs und Jakes Richtung. »Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne mitkommen, euch stärken und von dort aus weiter nach Emma suchen. Wir sind eine harmlose Gruppe, hauptsächlich Familien und wir wollen wirklich niemandem etwas zu Leide tun.«

Jake schnaubte. Er hasste es, Hände zu schütteln. Sie hatten erst vor wenigen Minuten das Camp betreten, doch Jake hatte sich bereits jedem Mitglied von Erics und Thomas Gruppe vorgestellt. Wenn das ganze eine Falle war, dann mussten alle Anwesenden extrem gute Schauspieler sein.

Nach Ralf und Bart hatte er bereits die Lust daran verloren, sich die Namen der Anwesenden einzuprägen, denn er plante sowieso nicht, sehr lange zu bleiben. Es gab ein paar Kinder und einige Männer und Frauen, die allesamt zwar gut bewaffnet schienen, die auf ihn jedoch nicht den Eindruck von kämpferischem Ehrgeiz machten. Das hier waren früher sicher einmal kriegsdienstverweigernde Bankangestellte und Einzelhandelskaufleute gewesen, die keine Ahnung von dem hatten, was dort draußen auf sie wartete.

»Unsere letzten Gäste sind nicht wirklich lange geblieben, aber wir hoffen natürlich, dass es euch hier gefällt und… Was ich damit sagen will: Wir haben uns hier etwas Schönes aufgebaut, tun keiner Menschenseele etwas zu Leide und wollen hier einfach in Ruhe leben. Bringt euch mit allem was ihr könnt ein und ihr gehört dazu. So einfach ist das.«

Ralf schien ein ganz netter Kerl zu sein – vermutlich zu nett für die Apokalypse. Jake ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Die Gruppe hatte sich in einer Gaststätte verschanzt, doch bis auf die einfache Umzäunung, die wohl bereits früher den Bereich des Eigentümers markiert hatte, hatten die hier lebenden Familien keinerlei Schutzvorkehrungen oder Fallen errichtet. Sein Blick streifte die Kinder, die nahezu unbeaufsichtigt an einem Bach spielten. Emma war nicht darunter. Ein Lächeln huschte über seine Züge. Emma hätte gewiss nicht mit den kleinen Kindern im Bach geplanscht. Kurz versuchte er, sich das Mädchen beim Spiel mit einer Puppe vorzustellen. Er scheiterte kläglich. Trotz der oberflächlichen Sorglosigkeit lag eine gewisse Schwermut in der Luft. Was hatte Thomas über den Vorfall vor einigen Tagen erzählt? Hatte er einen Unfall erwähnt? Sarah kam seiner Frage zuvor.

»Es wäre uns eine Ehre, hier bleiben und Teil eurer Gemeinschaft werden zu dürfen.« Ehe Jake Einspruch erheben konnte, war es bereits eskaliert und Thomas hatte sie zu neuen Mitgliedern der Gemeinde ernannt.

Jake rang sich zu einem gequälten Lächeln durch und fasste den Plan, erstmal eine Mahlzeit abzustauben und sich einen Überblick über das Camp zu verschaffen, ehe er eine endgültige Entscheidung traf.

»Sag mal, sollten wir solche Aktionen nicht erst einmal miteinander besprechen?«, zischte er der jungen Frau entgegen, als ein Mann sie für einen Rundgang in das Haus hinein führte. Jake wollte eine Hand auf ihre Schulter legen, um sie anzuhalten, doch sie wich vor seiner Berührung zurück. Er quittierte dies mit einem Schnauben. »Keine Ahnung, was mit dir los ist, aber tu bloß nicht so, als hätte es dir nicht gefallen«, flüsterte er kühl und wandte sich dann, als wäre nichts gewesen, wieder dem Mann mit dem beeindruckenden Schnurrbart zu, der ihm beim Laufen gerade einen Schichtplan zu erklären versuchte. Jake nickte, ohne ihm wirklich Beachtung zu schenken.

»Hört mal, das ist vielleicht etwas sehr persönlich, aber seid ihr beiden zusammen?«

Der plötzliche Themenwechsel vom Schichtplan zu Sarahs und seinem Beziehungsstatus ließ Jake überrascht die Brauen heben, dann überdeckte er seine Irritation mit einem schiefen Grinsen. Seine Augen glitten von dem Schnurrbarttypen zu Sarah und wieder zurück. Wäre sie nicht schon den ganzen Tag so zickig gewesen, hätte er vielleicht sogar mit »Ja« geantwortet.

»Nö«, erwiderte er und ließ sich dann weiter durch das Haus manövrieren, um sich die Waffenkammer zeigen zu lassen. Jake machte sich ernsthafte Sorgen darüber, was passieren würde, sollten diese Leute auf andere Überlebende mit weniger guten Absichten stoßen.

Wenn auch der generelle Schutz des Gebäudes zu wünschen übrig ließ, so war die Auswahl in der Waffenkammer wirklich beeindruckend. Jake war durch den kleinen Raum geschritten und hatte sich alles gründlich angesehen. Er würde den Inhalt seiner Sporttasche zwar nicht beisteuern, doch vielleicht würde es niemand bemerken, wenn er das ein oder andere bisschen Munition mitgehen ließ.

Bei Verlassen des Raumes fiel ihm auf, dass sich Sarah nicht mehr an seiner Seite befand, doch sie würde sich schon wieder einkriegen. Vermutlich war sie beleidigt, weil er ihr vor Ned Flanders, der eigentlich Doug hieß, nicht seine ewige Liebe geschworen hatte, doch was hatte sie erwartet?

»Dann sehen wir uns später beim Abendessen!«, verabschiedete er sich und war froh, dass er endlich für kurze Zeit seine Ruhe haben würde.

Leise seufzend fuhr sich Jake mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare und er überschlug noch einmal die Informationen, die sie heute so geballt erhalten hatten: Emma war hier gewesen und sie war zusammen mit einem Typen abgehauen, der sich als ihr Bruder ausgegeben hatte. Insgesamt klang das alles ziemlich seltsam und allein die Tatsache, dass Emma überhaupt noch am Leben war, ließ Jake aufatmen. Ein ungläubiges Lachen trat über seine Lippen. Jacob Mitchell, der Mann, der sich noch nie in seinem Leben um andere Menschen gesorgt hatte, suchte nun schon seit Tagen nach einem kleinen Mädchen, das er selbst kaum kannte. Zu Beginn hätte er sie und Logan am liebsten irgendwo ausgesetzt, um die Verantwortung wieder loszuwerden, doch nun schien das kleine Mädchen für ihn die einzige Möglichkeit darzustellen, zumindest etwas wiedergutzumachen. Wenn sie Emma fanden und ihr helfen konnten, dann hatte er immerhin einmal etwas richtig gemacht.

Auch beim Abendessen, das sie alle gemeinsam zu sich nahmen, war Sarah noch wütend. Zumindest vermutete Jake dies, denn sie sprach noch immer kein Wort mit ihm und hatte sich stattdessen in ein angeregtes Gespräch mit Doug vertieft. Er kniff die Augen leicht zusammen und versuchte, sich vorzustellen, wovon ihre Gesprächsthemen handelten. Zweifellos schwärmte Doug gerade davon, wie durchschnittlich langweilig er selbst war. Sarah lachte nur deshalb, weil sie Jake besonders verärgern wollte. Jake verdrehte die Augen und wandte sich seinem Sitznachbarn zu, der ihm auf die Schulter getippt und ihn so in die Realität zurückgeholt hatte. »Hey! Doug meinte vorhin, du hättest Verbesserungsvorschläge, was den Schichtplan angeht? Und ich weiß, dass ihr euch sicher erst einmal ausruhen wollt, aber …« Er machte eine kurze Pause, in der er Jake etwas genauer betrachtete. »Naja, wir wollten uns morgen Vormittag auf den Weg in die nächste größere Stadt machen und ein paar neue Vorräte besorgen. Da könnten wir jemanden wie dich wirklich gut gebrauchen.«

Jemanden wie ihn. Einen ehemaligen Profiboxer mit einem Aggressionsproblem, der gerade erst einen Typen totgeschlagen hatte. Einen Mann, der sein persönliches Seelenheil davon abhängig machte, dass er ein kleines Mädchen wiederfand, welches er kaum kannte. Jake bezweifelte, dass sein Sitznachbar genau diese Eigenschaften gemeint hatte. Er zog gleichgültig die Schultern in die Höhe. »Wieso nicht?«, stimmte er nach kurzer Überlegung zu und leerte mit einem Zug sein Glas. Zu gerne wollte Jake diese Leute im Einsatz erleben und außerdem bot sich so die Gelegenheit, die Umgebung genauer abzusuchen.

»Sag mal«, begann er von sich aus zu sprechen und machte eine bewusste Pause – ihm war der Name seines Gegenübers entfallen.

»Thomas«, stellte sich dieser unter einem Lächeln erneut vor und nickte, wohl um Jake zu bedeuten, dass er seine Frage fortführen sollte. »Genau. Das kleine Mädchen, das hier war ... Emma. Ging es ihr gut? Habt ihr eine Ahnung, wieso sie von hier abgehauen ist?«

Thomas verzog das Gesicht. »Eigentlich dachten wir, es würde ihr hier gefallen. Aber vor ein paar Tagen hat sie sich zusammen mit ihrer Freundin Nora aus dem Camp geschlichen und sie wurden von einem Infizierten überfallen.«