Alle Farben des Himmels - Anna Paredes - E-Book
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Anna Paredes

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Beschreibung

New York, 1897. Ein tragisches Unglück beendet jäh die Familienidylle der Malerin Margarita und des Fotografen Daniel. Hals über Kopf muss die junge Frau eine schwere Entscheidung treffen: Nach sieben unbeschwerten Jahren entschließt sie sich, mit ihren beiden kleinen Kindern nach Costa Rica zu reisen, um dort Zuflucht auf der familieneigenen Kaffeeplantage zu suchen. Doch ist hier noch das Zuhause, das Margarita einst so liebte? Sie spürt, sie ist nicht mehr dieselbe, die einst von dort aufbrach, um sich ihren Traum vom Künstlerdasein zu erfüllen. Doch Margarita will einen Neuanfang wagen und für ihr Glück kämpfen ... Vom New York der Jahrhundertwende  zu den blühenden Kaffeefeldern Costa Ricas - Abschluß der großen Familiensaga von Anna Paredes

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Seitenzahl: 522

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

New York, 1897. Ein tragisches Unglück beendet jäh die Familienidylle der Malerin Margarita und des Fotografen Daniel. Hals über Kopf muss die junge Frau eine schwere Entscheidung treffen: Nach sieben unbeschwerten Jahren entschließt sie sich, mit ihren beiden kleinen Kindern nach Costa Rica zu reisen, um dort Zuflucht auf der familieneigenen Kaffeeplantage zu suchen. Doch ist hier noch das Zuhause, das Margarita einst so liebte?

Sie spürt, sie ist nicht mehr dieselbe, die einst von dort aufbrach, um sich ihren Traum vom Künstlerdasein zu erfüllen. Doch Margarita will einen Neuanfang wagen und für ihr Glück kämpfen …

Vom New York der Jahrhundertwende  zu den blühenden Kaffeefeldern Costa Ricas – Abschluß der großen Familiensaga von Anna Paredes

Über Anna Paredes

Anna Paredes ist eine deutsche Autorin. Mit ihren historischen Romanen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, hat sie sich ein internationales Publikum erobert. Unter dem Pseudonym Alexandra Guggenheim befasst sie sich mit der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Die im Aufbau Verlag unter dem Namen Agnès Gabriel erschienenen Romane haben die Modeschöpfer Christian Dior und Elsa Schiaparelli sowie die Malerin Berthe Morisot zum Thema. Die Autorin lebt in Hamburg.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

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Kapitel 7

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Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

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Impressum

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Anna Paredes

Alle Farben des Himmels

Roman

1

JUNI 1897

»Will mitkommen, Mommy.« Lilly stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte die Ärmchen fordernd in die Höhe.

»Mitkommen, mitkommen«, plapperte William seiner älteren Schwester nach, steckte einen Daumen in den Mund und saugte gedankenverloren daran. Mit der anderen Hand zerknüllte er einen grasgrünen Stofffetzen: seinen Drachen, den der kleine Junge immer bei sich haben musste und der sogar Zauberkräfte besaß, wie er felsenfest behauptete.

Margarita ging in die Hocke und drückte ihren Kindern einen herzhaften Kuss auf die Wangen. »Heute nicht, meine Herzchen. Eure Mommy will sich mit einer Freundin treffen und von früheren Zeiten erzählen. Ihr schlaft sonst vor Langeweile ein. Außerdem wolltet ihr doch mit Elsie einen Bananenkuchen backen und mit den Nachbarskindern ein Picknick im Garten veranstalten.«

»Lilly will mitkommen«, beharrte die Vierjährige, stampfte mit dem Fuß auf und schlang die mageren Kinderarme um den Hals der Mutter.

»Auch mitkommen.« William nahm den Daumen aus dem Mund und zog einen Flunsch. Dicke Tränen kullerten ihm über die Pausbäckchen.

Margarita seufzte unhörbar. Seit dem Aufstehen hatte sie sich das Wiedersehen mit ihrer Freundin in den schönsten Farben ausgemalt. Henriette unterrichtete als Französischlehrerin die weiblichen Sprösslinge der New Yorker High Society. Sie kannten sich nahezu neun Jahre, seit der Zeit, als Margarita in die aufregende Stadt zwischen Hudson und East River gezogen war. Damals wohnten sie Tür an Tür in der Bond Street, im südlichen Teil Manhattans. Seither trafen sie sich so oft wie möglich zum Gedankenaustausch in einem Café, gingen ins Theater oder bummelten durch die riesigen noblen Warenhäuser in der West 20th Street, bei deren Auslagen die Herzen aller Frauen höher schlugen. Allerdings verließen Margarita und Henriette den Kauftempel nur höchst selten mit einer Einkaufstüte aus Papier, denn die Preise waren ebenso exquisit wie die Angebote.

Doch nun empfand Margarita fast ein schlechtes Gewissen, dass sie ohne die Kinder aus dem Haus gehen wollte. Unschlüssig blickte sie zu ihrer Haushälterin hinüber, die sich eine Schüssel unter die Achsel geklemmt hatte und mit einem Kochlöffel den Kuchenteig rührte. Elsie bemerkte den fragenden Blick ihrer Dienstherrin und zwinkerte ihr beruhigend zu.

»Wer von euch beiden hilft mir, der Banane die Hose herunterzuziehen? Schließlich wollen wir doch keine Schalen mitessen!«, rief sie mit ihrer tiefen Baritonstimme, die so gar nicht zu der molligen kleinen Frau mit den weiblichen Rundungen passte. Hätte man Elsie nur gehört und nicht gesehen, man hätte ihre Stimme für die eines Mannes gehalten.

»Ich!«

»Nein, ich!«

Wie auf Kommando ließen Lilly und William von der Mutter ab und rannten um den Küchentisch herum auf Elsie zu. Diese stellte die Schüssel auf der Tischplatte ab, zog ein scharfes Küchenmesser aus der Schublade und schnitt den Stängel einer reifen gelben Frucht an. Dann löste sie ringsum die Schale, jedoch nicht mehr als einen Finger breit. Die Kinder griffen gleichzeitig nach der Banane, zogen gemeinsam und unter viel Gekicher den Rest der Schale ab. »Hose aus«, jauchzte William und biss lachend ein Stückchen Fruchtfleisch ab. Lilly tat es ihm nach, und Elsie überließ ihnen mit mildem Lächeln eine zweite Frucht. Schmunzelnd sah Margarita zu. Bananenkuchen war in ihrer Kindheit ihr Lieblingskuchen gewesen. Auf der Kaffeeplantage ihres Urgroßvaters, auf der sie aufgewachsen war, hatte die Köchin ihn jeden Samstag gebacken. An Tagen, wenn tropische Regenfälle das Spielen unter freiem Himmel unmöglich gemacht hatten, hatte Margarita viele Stunden in der Küche verbracht. Oftmals hatte sie beim Zubereiten der Mahlzeiten zugeschaut, durfte gelegentlich sogar vom rohen Teig naschen. Vor einigen Wochen hatte ein neuer Obst- und Gemüsehändler in der Jones Street, Ecke Bleecker Street seinen Laden eröffnet. Er bot gelegentlich die exotischen gelben Früchte an. Wenn Margarita in ein saftiges Kuchenstück biss, wurde sie unweigerlich an ihre Heimat Costa Rica erinnert, die sie im Alter von achtzehn Jahren verlassen hatte, um in New York eine Ausbildung zur Malerin zu beginnen.

Dankbar für das geglückte Ablenkungsmanöver, warf Margarita ihrer Haushälterin eine Kusshand zu und verschwand eilig durch die Haustür. Auf der Straße umfing sie milde Sommerluft. In den Tagen zuvor war es nahezu unerträglich heiß gewesen, wie es für New York zu dieser Jahreszeit typisch war. Doch in der Nacht zuvor hatten kräftige Gewitter und Regenschauer für leichte Abkühlung gesorgt. Tief atmete Margarita den Rosenduft ein, der ihr entgegenströmte. Die Menschen in West Village, diesem beschaulichen Viertel zwischen Hudson-Ufer und Washington Square Park, waren zumeist Kaufleute, Handwerker und Künstler. Allen war die Liebe zu üppig bepflanzten Gärten und Vorgärten gemeinsam.

Ihr Ehemann Daniel und sie hatten sich rasch in dieser ruhigen Wohngegend mit den braunroten Klinkerfassaden eingelebt, nachdem sie fünf Jahre zuvor hierhergezogen waren. Bei einem ihrer Abendspaziergänge hatte Daniel das Verkaufsschild an einem schmiedeeisernen Gartentor in der Bedford Street als Erster gesehen. Damals wohnten sie noch in seiner winzigen Junggesellenkammer nahe dem Union Square Park, der den Broadway mit der Park Avenue verband. Ein gemütliches Haus mittlerer Größe und mit mehreren Zimmern sollte es sein, denn Margarita war zu dieser Zeit zum ersten Mal guter Hoffnung.

Dank der Mitgift, die ihr Onkel seiner vaterlosen Nichte zur Hochzeit vermacht hatte, konnte das junge Ehepaar das Reihenhaus erwerben und ganz nach seinen Vorstellungen einrichten. Im Erdgeschoss befand sich der Wohn- und Schlafbereich für die mittlerweile vierköpfige Familie, in der ersten Etage gab es drei weitere Zimmer, die später einmal für die heranwachsenden Kinder ausgebaut werden sollten. Unter dem Dach hatte sich der Hausherr ein kleines Studio mit Dunkelkammer eingerichtet. Sein früheres, weitaus größeres Atelier hatte Daniel aufgegeben, als er die Selbstständigkeit gegen eine Festanstellung bei einer der großen Zeitungen, dem New York Chronicle, eingetauscht hatte. Fortan war er als Photograph vorzugsweise in Brooklyn und Manhattan unterwegs, lichtete Menschen, Häuser, Werkstätten, Straßen, Pferderennen, Sportveranstaltungen und die Schiffe in den Docks und im Hafen ab.

Daniel liebte es, unter freiem Himmel unterwegs zu sein und mitzuverfolgen, wie die Stadt sich nahezu jeden Tag veränderte. Sein alter Freund Brian hatte mehrfach versucht, ihn zu einem Gemeinschaftsatelier zu überreden. Doch Daniel war der hochnäsigen Kundschaft überdrüssig geworden, die sich in extravaganten Verkleidungen und gekünstelten Posen gefiel und sich unerträglich anmaßend aufführte.

Sie würde ihrem Liebsten auf dem Rückweg ein neues Rasierwasser mitbringen, beschloss Margarita. Beim Frühstück war ihr in der Zeitung eine Annonce aufgefallen. Ein frischer Duft für den dynamischen Gentleman, so hatte der Hersteller geworben. Eilig und ohne auf den Weg zu achten, schritt Margarita aus und wäre um ein Haar in einen Hundehaufen getreten, der mitten auf dem Bürgersteig lag. Zwei halbwüchsige Jungen, die ihren beherzten Seitwärtssprung von der anderen Straßenseite aus beobachtet hatten, pfiffen laut und anerkennend. An der Ecke Barrow Street hielt sie eine Droschke an.

»Zum Waverly Café, nordöstliche Ecke Washington Square Park!«, rief sie dem Kutscher zu.

Eilfertig sprang der Mann vom Bock und öffnete den Schlag des Gefährts. »Bitte einzusteigen! Eine hübsche junge Lady wie Sie fahre ich überallhin«. Er schenkte ihr ein breites, fast zahnloses Lächeln.

Margarita, die nicht gern zu spät kam, war vor der Freundin am vereinbarten Ort. Um diese Uhrzeit war das Lokal nur zur Hälfte besetzt. Das würde sich jedoch eine Stunde später ändern, wenn die Menschen nach getaner Arbeit auf ein Bier, eine Suppe oder ein Sandwich hier einkehrten, bevor sie sich nach Hause begaben. Sie suchte sich einen Platz am Fenster, von wo sie einen Blick auf den Park mit dem imposanten Triumphbogen hatte. Das Bauwerk aus hellem Sandstein war anlässlich der Hundertjahrfeier der Vereidigung des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington errichtet worden.

Ein junges Mädchen in der schlichten graublauen Kleidung der Landfrauen hielt mit ihrem Handkarren vor dem Lokal an und pries ihre Melonen in den prächtigsten Rot-, Grün- und Gelbtönen an. Kaum hatte Margarita Zeichenblock und Stift gezückt, um die Szene festzuhalten, eilte Henriette zu ihr an den Tisch. Als Erstes nahm Margarita den Geruch von Bergamotte, Zedern und Salbei wahr. Henriette hatte ein Faible für Parfum, und für jede Stimmungslage besaß sie einen anderen Duft. Ihr Hut saß  leicht schief auf dem weizenblonden Haar, die Wangen  waren gerötet, auf den Lippen lag ein kräftiger Roséton. Selbstverständlich trug sie die als verrucht geltende Kolorierung nie während des Unterrichtes, vielmehr war sie Markenzeichen der privaten Henriette Winterling.

Die Freundinnen umarmten sich herzlich. »Ich habe mich verspätet«, entschuldigte sich Henriette. »Aber als ich vorhin die Wohnungstür hinter mir zuzog, bemerkte ich einen fehlenden Knopf an der Bluse. Also musste ich mich erst noch umziehen. Puh, so schnell bin ich lange nicht mehr gelaufen.«

»Ich warte erst seit wenigen Minuten. Darf ich rasch die Händlerin zu Ende skizzieren, Henriette? Mir gefällt die Art, wie sie die Früchte in die Hände nimmt und den Kunden darreicht. Als handele es sich um kostbare, seltene Schätze.«

Mit raschen, sicheren Kreidestrichen hielt Margarita die Szene fest und prüfte das Ergebnis schließlich mit zusammengekniffenen Augen. Zufrieden mit sich klappte sie das Heft zu und verstaute es in ihrer Tasche.

Ein hochgewachsener Kellner mittleren Alters und in schwarzer Livree näherte sich ihrem Tisch, in der Hand die Speisen- und Getränkekarte. »Sie wünschen, Myladys?«

»Wollen wir eine Zitronenlimonade nehmen, wie immer?« Henriette blickte fragend zu Margarita hinüber, die mit lebhaftem Kopfnicken zustimmte.

»Sehr wohl, Myladys.« Der Kellner entschwand lautlos, nicht ohne Henriette noch einen anerkennenden Blick über die Schulter zuzuwerfen, wie Margarita in dem silbergerahmten großen Wandspiegel beobachten konnte. Sie schmunzelte, hatte sie doch derartige Blicke früher zuhauf erhalten – als sie noch keinen Ehering am linken Ringfinger trug. Und die sie immer noch einheimste, sofern sie Handschuhe trug, die ihren Ehestand verheimlichten.

Henriette prüfte ihr Spiegelbild und korrigierte den Sitz ihres Strohhutes, dessen Krempe eine asymmetrisch gebundene, rot-schwarz gestreifte Taftschleife zierte. »Nach unserem letzten Einkaufsbummel bin ich übrigens doch noch einmal bei Macy & Company gewesen und habe mir das dunkelblaue Seidenunterhemd gekauft. Du erinnerst dich? Fast ein halbes Monatsgehalt musste ich dafür hinlegen.« Henriette seufzte leise. Dabei taxierte sie unauffällig und aufmerksam zugleich die männlichen Gäste an den nächstgelegenen Tischen. Der Kellner servierte die Getränke, suchte vergeblich ihren Blick.

Margarita erinnerte sich sehr wohl an das exquisite Spitzennichts in nachtblauer Farbe, das in der Wäscheabteilung des großen Kaufhauses in einer kunstvoll beleuchteten Vitrine zu bewundern war. Doch anders als ihre Freundin hatte sie nicht den Wunsch verspürt, dieses Unterkleid selbst zu besitzen. Obwohl ihre Familie sich finanziell nicht einschränken musste, hätte sie niemals so viel Geld für Unterwäsche ausgegeben. Sicherlich hatte sie diesen Hang zur Sparsamkeit von ihrer Großmutter geerbt. Vielmehr hätte sie überlegt, was sie von dem Geld an Spielsachen und Kleidung für die Kinder oder an photographischem Zubehör für den Ehemann hätte kaufen können. Zwar hätte dieser ihr verführerische Dessous fraglos zugestanden, doch am liebsten mochte er sie … ganz ohne Bekleidung. Margaritas Herz klopfte schneller, als sie an Daniel, ihre große Liebe, und die zärtlichen, stürmischen Umarmungen der letzten Nacht dachte.

»Außer mir bekommt wohl niemand das Seidenhemd zu Gesicht. Sei’s drum.« Henriette erhob das Glas mit der Limonade und prostete Margarita zu. Ihrer Stimme nach schien sie sich selbst Mut zuzusprechen. »Wie heißt es doch? Sauer macht lustig.«

Margarita ließ das kühle Getränk die Kehle hinunterrinnen, schmeckte den prickelnden, süßsauren Aromen auf der Zunge nach. »Hm, köstlich … Gib die Hoffnung nicht auf, Henriette! Ganz bestimmt findest auch du noch den passenden Ehemann. Du bist Anfang dreißig, schlank, hübsch, gescheit … Was ist eigentlich mit diesem angehenden Bankier? Hatte er nicht sogar von Verlobung gesprochen?«

»Du meinst Stephan?« Verächtlich rümpfte Henriette die Nase. »Vorgestern schrieb er mir einen formvollendeten Abschiedsbrief  – auf handgeschöpftem Büttenpapier mit Familienwappen. Nachdem ich ihm klipp und klar zu verstehen gegeben hatte, dass ich mich in keinen Zwanzig-Zimmer-Palast an der Fifth Avenue einsperren lasse, wo ich mir mit Kaffeekränzchen und der Planung von Bällen und Wohltätigkeitsveranstaltungen die Zeit vertreibe, bis mein Angetrauter spätabends nach Hause kommt. Nie würde ich von einem Mann erwarten, dass er meinetwegen seinen Beruf aufgibt, aber genau das hat der Herr Bankdirektor in spe von mir verlangt. Wie seine Vorgänger auch. Doch dazu bin ich nicht bereit. Niemals!«, erklärte sie energisch und schlug mit der Faust auf die Tischplatte.

Margarita konnte den Groll der Freundin nachvollziehen, hatte sie doch selbst eine Mutter, die nach ihrer gescheiterten Ehe ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte. »Offensichtlich glauben manche Männer, sie verlören ihre Ehre und vielleicht sogar die Staatsbürgerschaft, wenn ihre Frauen einem Broterwerb nachgehen. Was hingegen für sie ganz selbstverständlich ist … Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Sieh einmal nach links, Henriette! Der junge Mann mit dem roten Schnäuzer. Vielleicht ist er ein gut verdienender Apotheker, der sich sehnlichst eine berufstätige Lehrerin zur Frau wünscht. Oder der Dunkelhaarige mit dem Monokel am Nebentisch. Sieht der nicht aus wie ein aufstrebender Anwalt, der viel zu viel arbeitet und dringend eine Frau braucht, die ihren eigenen Interessen nachgeht? Damit ihn nicht der Gedanke peinigt, er würde sie vernachlässigen.«

Unauffällig änderte Henriette die Blickrichtung. »Der Erste ist bestimmt vielfacher Familienvater, der sich täglich von seiner Frau das Haushaltsbuch vorlegen lässt. Und der zweite ein Aushilfsbote bei einem Herrenschneider, der lediglich die Kunden imitiert, denen er die nobelsten Seiden- oder Kaschmiranzüge in ihre Prunkhäuser in der Park oder Fifth Avenue liefert. Und der von einer Gefährtin träumt, die ihn bedingungslos anhimmelt und ihm warmes Essen serviert, wenn er nach Hause kommt«, entgegnete sie sarkastisch.

Das Lokal füllte sich. Immer mehr Gäste nahmen an den Tischen ringsum Platz und gaben ihre Bestellungen auf. Stimmengewirr erfüllte den Raum. Die Freundinnen rückten die Stühle näher zueinander, um ihre Unterredung fortzusetzen, ohne die Stimme erheben zu müssen.

»Deine Bemühungen in Ehren, Margarita. Aber wo steht eigentlich geschrieben, dass das Lebensziel einer Frau darin besteht, so bald wie möglich zu heiraten und Kinder zu bekommen? Wenn ich keinen Mann finde, der mit meinen Vorstellungen übereinstimmt, bleibe ich eben unverheiratet.« Henriette verschränkte die Arme vor der Brust. Um ihre Mundwinkel zeigte sich ein entschlossener Zug, ihre Augen blitzten angriffslustig. »Diese Situation hätte ja auch ihr Gutes. Ich könnte mir eine ganze Schar von Liebhabern leisten. Und wenn mir einer nicht mehr gefällt, nun, dann schicke ich ihn in die Wüste.«

Margarita zuckte zusammen. »Ist das dein Ernst?«

»Bist du jetzt schockiert?« Sacht drückte Henriette den Arm der Freundin. »Du als tugendhafte und obendrein glücklich verheiratete Ehefrau und Mutter kennst solche Gedankenspiele natürlich nicht. Nun schau nicht so entgeistert! Schließlich habe ich nicht gesagt, dass ich es tun werde, sondern dass ich es tun könnte.« Henriette griff nach dem Glas mit der Limonade und trank es in einem Zug leer.

Margarita runzelte die Stirn. Manchmal kamen ihr die Ansichten Henriettes allzu freizügig vor. Plötzlich wurde ihr Blick von einer Bewegung draußen auf der Straße gefesselt. Ein etwa zwölf Jahre alter schwarzhäutiger Junge schickte sich an, mitten auf dem Bürgersteig einen Handstand zu machen. Seine Beine ragten kerzengerade in die Luft, und dann lief er auf den Händen. Lief Kreise und Achten, als wäre diese Art der Fortbewegung das Selbstverständlichste der Welt.

Einige Passanten verlangsamten ihre Schritte und warfen kleine Münzen in eine Blechdose, die der Junge am Fuß einer Laterne aufgestellt hatte. Ein junges Mädchen blieb mit offenem Mund stehen und klatschte Beifall, wurde aber von seiner Mutter energisch am Ärmel weitergezogen. Der Junge beugte die Ellbogen, drückte sich kraftvoll mit den Armen ab und landete sicher auf den Füßen. Er nickte den Umstehenden zu, tippte mit dem Zeigefinger an eine imaginäre Mütze und schlenderte mit der Blechbüchse in der Hand davon. Um an der nächsten Straßenecke sein Kunststück erneut zu zeigen, so mutmaßte Margarita.

Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Freundin zu. Nachdenklich schob sie sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem aufgesteckten Haar gelöst hatte, hinter das Ohr. »Hättest du nicht irgendwann das Gefühl, etwas versäumt zu haben, Henriette? Beispielsweise, die eigenen Kinder aufwachsen zu sehen.«

Ungerührt zuckte Henriette mit den Achseln und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer weiß, wie ich in zehn, fünfzehn Jahren darüber denke … Doch zurzeit reichen mir meine Schülerinnen. Und wenn ich das Tag für Tag erlebe, zweifle ich so manches Mal am Mutterglück.« Sie schüttelte den Kopf und stieß einen verächtlichen Pfiff aus.

Der Kellner, der sich durch das Geräusch offenbar angesprochen fühlte, eilte an den Tisch und machte einen Diener. »Haben die Damen noch einen Wunsch?«

»Noch einmal dasselbe wie vorhin. Du bist heute eingeladen, Margarita.«

Der Kellner notierte die Bestellung auf einem Schreibblock. Was jedoch so lange dauerte, als handele es sich um ein Fünf-Gänge-Menü. Allerdings vermutete Margarita, der Ober wolle ihre Freundin über den dünnen schwarzen Rand seiner Eisenbrille hinweg ausgiebiger in Augenschein nehmen. Henriette bemerkte die bohrenden Blicke des Mannes und reagierte unwirsch. »Soll ich die Bestellung wiederholen? Oder lieber buchstabieren?«

»Sofort, Myladys, ich eile.«

Margarita lachte leise in sich hinein. »Vermutlich steht der Kellner nicht auf der Liste deiner Wunschkandidaten.«

»Viel zu alt«, wehrte Henriette kichernd ab. »Außerdem hat er abstehende Ohren … Stell dir vor, was Charlotte kürzlich in einem Aufsatz zum Thema Wenn ich einmal groß bin geschrieben hat. Sie ist eine Großnichte aus der Linie der Astors.

›Wenn ich einmal groß bin, heirate ich den reichsten Mann von Amerika. Dann bauen wir uns einen Palast, direkt am Central Park, dreimal so groß wie die City Hall, mit Springbrunnen, einer Eisbahn im Innenhof und einer Reithalle. Zum Frühstück gibt es Wachteleier, Trüffeln und Champagner. Ich, mein Mann und die Kinder unterhalten uns auf Französisch, damit die Dienstboten uns nicht verstehen.‹

Und bei Vivien, dem Patenkind von Lady Vanderbilt, war zu lesen:

›Wenn ich einmal groß bin, heirate ich den König von Frankreich. Wir leben in seinem Schloss mit dem großen Park drumherum. Wenn ich eine Augenbraue hebe, eilen alle Diener herbei und fragen nach meinen Wünschen. Bald wird niemand mehr von Marie Antoinette sprechen, sondern nur noch von Vivien, der Großen.‹

Man bedenke, diese Mädchen sind erst zwölf.«

Ungläubig schüttelte Margarita den Kopf. »Erschütternd.« Doch dann musste sie unvermittelt lachen. »Weiß diese Vivien denn nicht, dass es überhaupt keinen französischen König mehr gibt? Und dass Marie Antoinette unter der Guillotine endete?«

»Ich sollte einmal bei meinem Kollegen, der Geschichte unterrichtet, vorstellig werden und ihn fragen, ob er bereits die Französische Revolution durchgenommen hat. Den Kindern will ich gar keinen Vorwurf machen. Die übernehmen nur, was die Eltern ihnen vorleben. Aber ich will mich nicht beklagen. Schließlich verdiene ich an einem privaten Institut weitaus mehr, als wenn ich an einer öffentlichen Schule unterrichten würde. Dann könnte ich mir keine seidenen Unterhemden von Macy & Company leisten.«

Der Ober kam mit der frischen Limonade, und Henriette lächelte ihm diesmal huldvoll zu. Dann wechselte sie das Thema. »Sag, Margarita, hast du nicht Lust, am Donnerstag ins Café Bel Air zu kommen? Unsere Gruppe plant, vor den großen Theatern Flugblätter zu verteilen, auf denen wir den uneingeschränkten Zugang zu Hochschulen fordern. Wie gern würde ich mitmachen. Doch wenn bekannt wird, dass eine Lehrerin der Private Midtown Girls School öffentlich für die Gleichberechtigung von Frauen eintritt, laufen die Eltern Sturm, und mein Direktor suspendiert mich umgehend. Aber ich entwerfe den Text und korrigiere ihn, bevor er gedruckt wird. So leiste ich zumindest in der zweiten Reihe meinen Beitrag zu unserer Bewegung.«

Margarita zögerte mit der Antwort, während sie mit dem Strohhalm im Limonadenglas rührte. »Früher habe ich hin und wieder an solchen Versammlungen teilgenommen. Einmal bin ich sogar inhaftiert worden, als ich einen Protestmarsch auf der Straße skizzieren wollte. Erinnerst du dich? Allerdings fehlen mir heutzutage hierfür die Zeit und die Energie. Meine beiden süßen Kleinen nehmen mich ziemlich in Anspruch. Natürlich verfolge ich in der Zeitung die Berichte über die Frauenbewegung. Wenn meine Kinder größer sind, will ich mich wieder mehr engagieren. Schließlich bin ich es auch meiner Tochter schuldig«, setzte sie hinzu.

»Wie recht du hast, Margarita. Für eine Mutter stehen die Kinder immer an erster Stelle. Hoffentlich werde ich nicht doch noch eine selbstsüchtige alte Jungfer.«

Margarita knuffte die Freundin liebevoll in die Seite. »Das weiß ich schon zu verhindern … Wie seltsam – früher glaubte ich, ohne die Malerei nicht leben zu können. Und nun, da ich Lilly und William habe, vermisse ich Leinwand und Farbe überhaupt nicht mehr. Es ist einfach großartig, Kinder aufwachsen zu sehen, mitzuerleben, wie sie laufen und sprechen lernen. Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Deswegen habe ich vorläufig Pinsel und Leinwand gegen den Kreidestift und das Skizzenbuch eingetauscht und zeichne meine Familie. Manchmal auch Menschen, die mir unterwegs auffallen. Das gelingt mir ganz ohne Atelier.«

»Dann ist also die Malerin Margarita Foster Vergangenheit?«

»Keineswegs. Auch wenn Daniel ein gutes Gehalt bekommt, so freue ich mich doch darauf, eines Tages wieder eigenes Geld zu verdienen.« Und dann, so hoffte Margarita, wären auch die Schmähungen vergessen, die sie während ihrer Ausbildung hatte erdulden müssen. Denn nachdem sie mit einer Gruppe protestierender Frauenrechtlerinnen in Gewahrsam genommen worden war, hatte der Ehemann einer ihrer Kundinnen, ein stadtbekannter Anwalt, sich dafür eingesetzt, dass sie vierundzwanzig Stunden später auf freien Fuß gesetzt wurde. Als dieser Mann als Gegenleistung Liebesdienste von ihr verlangt hatte, war sie voller Empörung zurückgewichen. Woraufhin der Anwalt Margarita seiner Frau gegenüber als Nymphomanin beschimpft hatte. Dies hatte zur Folge, dass die Ehefrau sämtliche Freundinnen und Bekannten vor der jungen Porträtistin warnte. Seitdem erhielt Margarita aus den Kreisen der besseren Gesellschaft keine Aufträge mehr.

Doch bis sie wieder zu Pinsel und Farbe griff, wäre dieser Vorfall von damals sicher vergessen, sprach Margarita sich selbst Mut zu. Mit ihrem neuen Nachnamen besaß sie gewissermaßen auch eine neue Identität. Außerdem gab es nicht nur die blasierten Reichen und Neureichen, sondern auch kultivierte Bürger, die eine subtile und handwerklich makellose Arbeit wie die ihre zu schätzen wussten.

Noch ewig hätten die Freundinnen am Tisch sitzen und plaudern können. Doch plötzlich blickte Margarita auf ihre Uhr, die sie an einer Goldkette um den Hals trug. »Schon halb sechs! Was hältst du davon, wenn ich dich bis zur Bond Street begleite? Von dort nehme ich mir eine Droschke nach Hause. Daniel wollte heute früher nach Hause kommen. Dann kann ich in Ruhe das Abendessen vorbereiten, während er mit den Kindern spielt.«

Arm in Arm zogen Margarita und Henriette los, überquerten zuerst die Mercer Street und dann den Broadway. Auf der Straße drängte sich die endlose Schlange der Droschken, Postkutschen und Pferdeomnibusse, dazwischen zwängten sich Fahrradfahrer und Händler mit ihren Handkarren vorbei. Die Rufe der Kutscher gingen unter im Trappeln der Pferdehufe und dem Rumpeln unzähliger Fuhrwerke auf dem unebenen Kopfsteinpflaster. Menschen hasteten über das Trottoir, niemand hielt inne, keiner achtete auf den anderen. Jeder hetzte, als wolle er einem unsichtbaren Verfolger entkommen.

Nach nur wenigen Minuten Fußweg bogen die Freundinnen linker Hand in die Bond Street ein. Vor dem Haus mit der Nummer zwölf, unmittelbar neben Henriettes Wohnung, verlangsamte Margarita ihre Schritte. Hier hatte sie ihre frühen New Yorker Jahre verbracht. Damals war sie noch nicht volljährig gewesen. Glücklicherweise hatte der Bruder des langjährigen Anwaltes ihrer Familie, ein ehemaliger Buchhändler, sich bereit erklärt, für Margarita die Vormundschaft zu übernehmen.

Bedauerlicherweise war Señor Margas Toselli vor sechs Jahren verstorben. Die bettlägerige Ehefrau hatte der älteste Sohn zu sich nach Kalifornien geholt. Wann immer Margarita durch diese Straße ging, erinnerte sie sich an die liebenswerten alten Menschen und an ihren Unterricht in der Malakademie.

Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich voneinander, und Margarita kehrte zurück in das Menschengewimmel am Broadway, wartete, bis eine freie Droschke vorbeifuhr. Plötzlich freute sie sich darauf, in ihr heimeliges Haus zurückzukehren, in ihr ruhiges Viertel, in der Kinder auf der Straße spielen konnten und wo noch nichts vom Lärm und der Hektik der Großstadt zu spüren waren.

Elsie hatte versprochen, für das Abendessen einen Pfannkuchenteig vorzubereiten. Die gute Seele, die Margarita beim Kochen, Putzen, Saubermachen und bei der Wäsche half, wohnte nur eine Straße weiter, in einer winzigen, dunklen Wohnung im Souterrain. Jeden Penny legte die fünfundvierzigjährige Texanerin zurück, um ihre verwitwete Mutter und den arbeitsunfähigen, herzkranken Bruder zu unterstützen. Das Geld für die Arztkosten hätte die Mutter mit ihren Näharbeiten niemals allein aufbringen können.

Als Margarita die Haustür aufschloss, hielt sie inne und schnupperte. Es roch verbrannt. Stark verbrannt sogar. In böser Vorahnung lief sie in die Küche, wo ihr dichter Rauch entgegenschlug. Sie riss die Fenster auf und gewahrte die Kinder, die unter dem Esstisch hockten und seelenruhig mit Murmeln spielten. Am Herd stand Daniel, der sich eine von Elsies Schürzen umgebunden hatte. Traurig blickte er auf etwas Krümeliges, Schwarzes in einer Pfanne.

»Was habt ihr denn angestellt?«, fragte Margarita halb entrüstet, halb erleichtert, nachdem alle offenbar wohlauf waren.

»Die Kinder hatten solchen Hunger, und da wollte ich ihnen einen Pfannkuchen backen«, erklärte Daniel und lächelte verlegen.

Mit hängenden Schultern und schuldbewusstem Blick stand er vor Margarita, und sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Zärtlich küsste sie ihn auf die Wange. »Mach dir nichts draus, Liebster! Wie sagt man doch gleich? Es ist noch kein Koch vom Himmel gefallen. Oder jedenfalls so ähnlich.«

Sie nahm ein Küchentuch und wedelte den noch verbliebenen Qualm zum Fenster hinaus. Danach legte sie Hut und Seidenschal ab, wusch sich die Hände und band sich ebenfalls eine Küchenschürze um. »Elsie hat am Morgen frische Eier eingekauft. Gebt mir zehn Minuten Zeit, dann backe ich uns neue Pfannkuchen.«

Daniel zog sie an sich und küsste sie hinter das Ohr. »Auch wenn du von uns beiden die bessere Hausfrau bist – ich liebe dich trotzdem«, raunte er ihr zu.

»Ich dich auch.«

2

JUNI 1897

Die Familie hatte soeben das Abendessen beendet, als Margarita mit geheimnisvoller Miene einen Briefumschlag aus der Rocktasche zog und ihn in der Luft schwenkte.

»Ihr ahnt gewiss nicht, von wem dieser Brief stammt«, behauptete sie mit glitzernden Augen. Die Kinder schüttelten die Köpfe, und Daniel beugte sich vor, um die Handschrift zu entziffern, zuckte aber nur mit den Achseln.

»Stimmt, du hast die Wette gewonnen. Deshalb, so schlage ich vor, gibt es für die Verlierer als Trost ein Stückchen Schokolade zum Nachtisch. Mir scheint, als hätte ich vorhin noch einen Rest im Küchenschrank gesehen.«

Margarita kniff ihren Ehemann liebevoll in den Arm. Seinen Witz und seine leise Ironie mochte sie ganz besonders an ihm.

»Jaaa, Lade haben.« William stopfte sich sein Drachentuch in die Hosentasche und schickte sich an, vom Stuhl zu steigen.

»Halt, mein Kleiner! Erst sollt ihr erfahren, von wem der Brief stammt und was darin geschrieben steht.«

Der Dreijährige machte ein enttäuschtes Gesicht und trommelte mit den Fäustchen auf die Tischplatte.

»Scht, warte!«, mahnte Lilly ihren Bruder und stieß ihn mit dem Ellbogen sanft in die Rippen.

Margarita zog den Briefbogen aus dem Umschlag und strich ihn auf der Tischplatte glatt. »Stellt euch vor: Eure Großmutter kommt nach New York. Und sie schreibt, sie kann es gar nicht erwarten, euch endlich kennenzulernen.«

»Ist eine Großmutter eine Granma?«, wollte Lilly wissen. »Mary hat eine Granma. Und Andrew sogar zwei.«

Margarita nickte. »Ja, eure Großmutter ist eure Granma oder Abuela, wie man in Costa Rica sagt.«

»In jenem Land haben eure Mutter und Großmutter früher einmal gelebt, und dort haben wir auch geheiratet«, ergänzte Daniel.

Margarita fühlte seinen innigen Blick auf sich ruhen. Welch ein Wunder, dass sie beide noch immer so verliebt waren wie in der frühen Zeit ihres Kennenlernens. »Eure Großmutter ist meine Mutter, und ihr seid ihre Enkel.«

»Und ich bin der Schwiegersohn. Also ist eure Großmutter meine Schwiegermutter. Aber das erkläre ich euch später noch einmal genauer … Eine wunderbare Nachricht, Margarita. Du hast deine Mutter so lange nicht gesehen … Glaubst du, sie wird bei uns wohnen? Platz hätten wir ja genug.«

»Nein, das glaube ich nicht. Sicher wird sie in einem Hotelzimmer wohnen, das vom Theater für sie reserviert wurde. Und das macht es zugegebenermaßen für uns alle einfacher. Vor Mitternacht geht sie nie zu Bett, sie schläft bis zum späten Vormittag, und danach probt sie für ihren Auftritt.«

»Scho-ko-la-de! Scho-ko-la-de!«, skandierte Lilly und klatschte dabei rhythmisch in die Hände.

»La-de! La-de!« William strampelte mit den Beinen und kippelte gefährlich mit dem Stuhl. Mit einem Satz sprang Margarita auf und konnte gerade noch verhindern, dass ihr kleiner Sohn samt Stuhl rücklings zu Boden ging.

»So, ihr schließt jetzt die Augen und zählt ganz langsam bis zehn. Ganz langsam, hört ihr?« Margarita öffnete die obere Tür des Küchenschrankes und holte die Porzellandose mit der Schokolade heraus. Sie brach drei Stücke ab und legte sie auf ein Tellerchen in die Tischmitte.

»Zehn!«, rief William, der seine Mutter durch die gespreizten Finger hindurch beobachtet hatte, wie Margarita unschwer erkennen konnte. Blitzschnell griff er nach einem Stückchen und schob es in den Mund.

»William hat geschummelt«, klagte Lilly und nahm sich ihren Anteil. Als Letzter griff Daniel nach der Schokolade und ließ sie langsam auf der Zunge zergehen.

»Köstlich.« Fröhlich grinsend beugte er sich zu Margarita hinunter und raunte ihr ins Ohr. »Ich könnte mir noch andere süße Köstlichkeiten für den heutigen Abend vorstellen.«

»Psst.« Margarita warf erst einen besorgten Blick auf ihre Kinder, dann einen mahnenden auf ihren Ehemann. Doch unwillkürlich musste sie lächeln und nickte kaum merklich.

Die Kinder hatten nichts vom Geplänkel der Eltern mitbekommen. Mit schokoladenverschmierten Gesichtern und Händen saßen sie da. In ihren Augen las Margarita eine entscheidende Frage: Dürfen wir noch ein Stück haben?

Sie teilte eine weitere Portion aus. »Übrigens, eure Abuela ist eine berühmte Tänzerin. Vier Wochen lang wird sie am Broadway auftreten.«

»Was macht eine Tänzerin?« Lilly sprach mit vollem Mund, kaute und schmatzte vernehmbar.

»Eine Tänzerin bewegt sich zur Musik auf einer Bühne … Wisst ihr was? Ich mache euch das einmal vor.«

Sie rückte den Stuhl zur Seite und stellte sich in Positur, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte. Die eine Hand legte sie auf die Hüfte, mit der anderen hielt sie einen imaginären Fächer, mit dem sie sich Luft zuwedelte. Ganz langsam wiegte sie sich in den Hüften, drehte sich im Kreis und breitete die Arme aus wie ein Vogel seine Schwingen.

Gebannt starrten die Kinder sie an, und auch Daniel verfolgte ihre Bewegungen mit höchster Konzentration. Margarita ging in die Knie, tat, als wolle sie Blumen pflücken. Dann sprang sie unvermittelt auf, riss die Arme nach oben und warf eine Kusshand zur Zimmerdecke. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie Daniel aufgestanden war und hinter ihrem Rücken ihre Drehungen und Sprünge nachahmte. Erst als die Kinder breit grinsten und laut lachten, erkannte sie den Grund für die plötzliche Heiterkeit. Daniel stellte sich bewusst tollpatschig an, übertrieb jede Geste und schnitt wilde Grimassen. Die Kinder kreischten vor Vergnügen.

Anmutig kreiselte Margarita um den Esstisch herum, und Daniel tat es ihr mit stampfenden Schritten nach. Schließlich hielt sie inne, kreuzte die Arme vor der Brust und verneigte sich.

Daniel machte einen übertriebenen Diener, stieß dabei versehentlich seinen Essstuhl um, und die Kinder brachen in schallendes Gelächter aus.

»Bravo!«, rief Lilly unter Lachtränen und klatschte lebhaft Beifall.

»Noch mal! Noch mal!«, rief William und warf sein grünes Stofftuch in die Luft.

Margarita und Daniel zwinkerten sich zu und gaben eine kurze Zugabe.

»Genug für heute«, entschied Daniel und packte sich je ein Kind unter den Arm. »Gebt eurer Mommy einen Gutenachtkuss. Und dann heißt es: ins Bad, Hände waschen, Zähne putzen und ab ins Bett.«

»Aber du musst uns vorlesen, Daddy. Bitte«, schmeichelte Lilly, schlang die Ärmchen um den Hals des Vaters und drückte ihm einen Kuss auf die kratzige Wange.

Während Daniel die Kinder zu Bett brachte, räumte Margarita den Tisch ab und stellte das Geschirr in eine Schüssel. Elsie würde am nächsten Morgen abspülen. Die kleine Tanzeinlage hatte Erinnerungen in ihr wachgerufen. Erinnerungen an ihre Mutter, die unter dem Künstlernamen La Gloriosa seit Jahren schon durch die Welt tourte. Wo immer sie auftrat, überschlugen sich die Kritiker in Lobeshymnen, sei es in Nord- oder Südamerika, aber auch in Europa.

Ihre Mutter hatte ihre Tanzdarbietung völlig allein entwickelt. Wenn sie, ganz in Rot gekleidet, auf der Bühne stand, wurde sie nur von einem Gitarrenspieler begleitet. Allein mit ihrem geschmeidigen Körper erzählte sie Geschichten. Mit einer Handbewegung oder dem Stampfen ihres Fußes vermochte sie eine unerwartete Wendung einzuleiten und die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. Ihre Geschichten handelten von Glück und Leid, Freude und Trauer, von Siegen und Niederlagen. Doch immer war sie am Ende die starke, triumphierende Frau, die das Schicksal besiegt hatte. Mit hochgerecktem Arm und gesenktem Kopf pflegte La Gloriosa den Applaus des Publikums entgegenzunehmen.

Margarita war stolz darauf, wie ihre Mutter das Leben meisterte, nur ihren eigenen Vorstellungen und künstlerischen Ansprüchen folgte. Sie zog allein umher, unabhängig und frei. Weswegen ihre Großmutter Dorothea Margarita großgezogen hatte. Auf der großen Kaffeeplantage in der Hochebene von San José, die einst ihr Urgroßvater gegründet hatte und auf der jetzt ihr Onkel Federico herrschte. Und obwohl sie in liebevoller Obhut aufgewachsen war, hatte Margarita manches Mal die Mutter vermisst und heimliche Tränen vergossen, wenn ein neues Engagement sie daran hinderte, zu ihrem Geburtstag oder ihrer Kommunion auf die Hacienda zu kommen.

Wie von selbst hoben Margaritas Hände die Rockfalten seitlich an. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, tänzelte durch das Esszimmer, summte eine Melodie und gab sich ganz dem Rhythmus hin. Plötzlich umfingen Daniels kräftige Arme ihren Körper von hinten. Jede ihrer Bewegungen schien er vorauszuahnen. Sie schmiegte ihren Leib eng an den seinen, spürte seinen warmen Atem im Nacken.

»Komm, meine Schöne, lass uns zu Bett gehen!« Daniel verstärkte den Druck seiner Arme und schmiegte sein Gesicht in ihr Haar, küsste es voller Zärtlichkeit.

Ganz fest drückte sie ihren Kopf gegen seine Schulter und seufzte leise. »Dein Wunsch ist mir Befehl, Liebster.«

3

JULI 1897

Olivia drückte dem Pagen eine Münze in die Hand und schloss die Tür hinter sich zu. Ja, diese Hotelsuite war ganz nach ihrem Geschmack. Mit schweren samtbezogenen Polstermöbeln, einer Ottomane für ein Schläfchen am Nachmittag, rotseidenen Vorhängen mit geschwungenen Schabracken, Orientteppichen und goldgeprägten Tapeten. Das Bett, in dem eine ganze Familie Platz gehabt hätte, befand sich in einem eigenen, abgeschlossenen Raum. Sie durfte stolz auf ihr Verhandlungsgeschick sein. Denn die Theaterleitung hatte ihr neben einem fürstlichen Honorar auch eine ebensolche Unterkunft zugebilligt.

Ihr Blick fiel auf einen Strauß lachsfarbener langstieliger Rosen. Wie viele mochten es sein? Fünfzig, achtzig oder gar hundert? Sie zog die Karte hervor, die zwischen den dunkelgrünen Blättern hindurchleuchtete, kniff die Augen zusammen und las die Zeilen, die in säuberlicher, leicht nach links geneigter Handschrift verfasst waren.

Olivia, meine Angebetete. Dein Ruf eilt Dir voraus. Und so ist es mir gelungen, fast zur gleichen Zeit wie Du in New York einzutreffen, derweil meine Geschäfte in Boston ruhen bis zum Tag meiner Rückkehr. Wie sehr habe ich dem Tag unseres Wiedersehens entgegengefiebert, Du, meine Gebieterin. Lass uns heute zusammen dinieren und über meinen Vorschlag reden, auf den Du mir die Antwort bisher schuldig geblieben bist.

Ich habe für uns beim Concierge das Spezialmenü und eine Flasche Champagner bestellt. Um sechs Uhr bin ich in Deinem Hotel. Und ich verspreche Dir, ich bin sehr, sehr hungrig.

Auf bald!

Dein ergebener Jeremy Miller

Olivia warf die Karte in den mit Seidenstoff bezogenen Papierkorb und blickte auf die Uhr. Drei Stunden hatte sie noch Zeit, um sich frisch zu machen. Sollte ihr Verehrer ruhig kommen, auch wenn er nicht erreichen würde, wonach er verlangte. Doch in Gesellschaft verginge der Abend rascher, und nach der langen und eintönigen Reise war ihr nach Zerstreuung zumute.

Das Schiff aus Guyana war im Hafen von New York zweiundzwanzig Stunden früher angekommen als geplant, und so würde sie erst am morgigen Tag ihre Tochter und den Schwiegersohn sowie die beiden Enkel aufsuchen. Die drei kannte sie bisher nur von Zeichnungen Margaritas und von Photographien ihres Schwiegersohnes. Seltsam, dass sie Enkel hatte. War das nicht eher das Schicksal alter Frauen? Sie trat vor den Ankleidespiegel, runzelte die Stirn und spitzte die Lippen. Ihr blickte eine schmale dunkelhaarige Person mit dunklen Augen, harmonisch geschwungenen Brauen und fein geschnittenen Gesichtszügen entgegen. Nein, ihre fünfundvierzig Jahre sah man ihr keineswegs an. Durch langjähriges Training und strenge Disziplin beim Essen besaß Olivia Ramirez alias La Gloriosa die Figur eines jungen Mädchens und dank zahlreicher Cremes und Tinkturen eine makellos glatte Haut.

Olivia inspizierte das Badezimmer, das mit seinen goldgefassten Spiegeln und dem Marmorbecken der vornehmen Pracht der Suite entsprach, und ließ Wasser in die Wanne ein. Dann legte sie die Kleider auf das Bett, nahm einige Rosen aus der Vase und kehrte ins Bad zurück. Mit versonnenem Lächeln zupfte sie die Blütenblätter ab und streute sie auf die Wasseroberfläche. Wohlige Wärme durchströmte sie, als sie in das wohlriechende Rosenmeer stieg. Geschmeidig tauchte sie in das Wasser ein und trällerte fröhlich ein Lied, das die Kaffeepflücker auf der Plantage ihrer Vorfahren bei der Ernte gesungen hatten.

»Aber du hast ja gar nichts gegessen, meine Liebe. Hat es dir etwa nicht geschmeckt?« Jeremy Miller wischte sich Mund und Hände mit der gestärkten Damastserviette ab, faltete sie zusammen und legte sie neben den Teller. Er erhob das Champagnerglas und stieß mit seinem Gegenüber an. »Auf unsere Zukunft.«

»Auf die Zukunft«, bekräftigte Olivia, wohl wissend, dass diese keine gemeinsame sein würde. Auch wenn Jeremy Miller ein durchaus passabler Kandidat war. Fünfzig Jahre alt, mittelgroß und von kräftiger Statur. Ein steinreicher Geschäftsmann, der mit dem An- und Verkauf von Privatund Geschäftshäusern sein Vermögen gemacht hatte. Außerdem war er unverheiratet, was für Olivia ein unabdingbares Qualitätsmerkmal war. Denn weder wollte sie einer Ehefrau den Mann noch Kindern den Vater wegnehmen. Zwei Jahre zuvor hatten sie sich nach einer ihrer Vorstellungen in Buenos Aires kennengelernt. Miller hatte sie umworben, erst zurückhaltend, dann hartnäckig. Er hatte ihr Armbänder, Ringe und diamantene Hutnadeln geschenkt. Und sie ihm zuerst ein Lächeln, dann ihre Gunst und schließlich die vage Aussicht auf mehr.

Olivia schloss die Augen und genoss das Prickeln des kühlen Getränks auf der Zunge.

»Spann mich nicht so auf die Folter, du erhabenes Weib! Du weißt, ich kann ohne dich nicht leben. Sag Ja, heirate mich!« Inständige Worte drangen an Olivias Ohr, die jäh ihren Gedankenfluss unterbrachen. Breitbeinig saß Miller ihr gegenüber und hielt den Kopf ein wenig schief. Seine wässerig blauen Augen, die unter buschigen Brauen unruhig flackerten, erzählten dasselbe wie seine fleischigen Hände, die fahrig über die kräftigen Oberschenkel strichen.

»Alle meine Besitztümer lege ich dir zu Füßen. Du sollst die Königin von Boston sein.« Millers Stimme kippte ins Sentimentale.

Olivia wurde hellhörig. Derartige Gefühlsregungen erforderten erhöhte Aufmerksamkeit. Um Zeit für eine diplomatisch formulierte Antwort zu gewinnen, trank sie nacheinander mehrere winzige Schlucke. »Dein Antrag ehrt mich durchaus, mein lieber Jeremy. Doch warum unsere Beziehung auf die Probe stellen? Ich ziehe es vor, die Geliebte zu sein und nicht die Ehefrau.«

»Aber warum denn nur? Du kommst zu mir nach Boston, ich baue uns einen Palast, größer als der der Astors oder der Vanderbilts. Den Sommer über halten wir Hof in unserer Residenz auf Martha’s Vineyard. Wir haben eine Segeljacht mit eigener Mannschaft und mieten die teuerste Loge im Theater. Jeden Freitag geben wir für ausgewählte Gäste einen Empfang, und alle Frauen werden dich beneiden.«

Meine Güte, sind Männer einfältig!, dachte Olivia. Doch diese Erkenntnis war ihr keineswegs neu. Diese Immobilienmogule und neureichen Möchtegernadligen glaubten, eine Frau erziele ihren Wert einzig durch das Geld und die gesellschaftliche Stellung des Ehemannes. Dabei waren es doch meist die Frauen, die den Männern Kontur und Glanz verliehen und sie nicht als Spießbürger und hohle Langweiler entlarvten.

»Versteh mich doch!«, gurrte Olivia mit zuckersüßer Stimme. »Ich bin eine Künstlerin, und Künstler gehören allen Menschen. Deswegen muss ich immerzu unterwegs sein und von einer Stadt zur nächsten reisen. Das bringt manchen Verzicht und manche Entbehrung mit sich. Aber das bin ich meinem Publikum schuldig«, schloss sie mit einem kunstvoll vorgebrachten Seufzer. Schließlich war sie nicht nur Tänzerin, sondern gewissermaßen auch Schauspielerin.

Jeremy Miller rang die Hände. Er zeigte einen entschlossenen Gesichtsausdruck und schien keinesfalls bereit zu sein, schon aufzugeben.

»Kann ich dich denn wirklich mit nichts umstimmen, du Grausame?«

Na also, warum denn nicht gleich so?, fragte sich Olivia erleichtert. Männer wie dieser Miller waren fähig, binnen Minuten Hunderte von Aktien oder ganze Häuserzeilen zu kaufen und zu verkaufen. Um die Bedürfnisse einer Frau zu erahnen, dazu benötigten sie hingegen Stunden. Sie schob den Kerzenleuchter zu sich heran und beugte sich weit vor, um ihr Dekolleté ins rechte Licht zu rücken. »Sieh nur auf meinen Hals, mein Lieber! Er ist nackt und bloß. Vielleicht würden einige funkelnde Diamanten meine innere Glut entfachen. Einen Monat habe ich Zeit, um die Wirkung der Steine zu prüfen. So lange nämlich dauert mein Engagement in New York.«

Miller stutzte und zog die Stirn in Falten. Er dachte nach. Tief und lange. Dann aber sprang er auf, so schnell seine Leibesfülle es gestattete, und ging schwerfällig und leise ächzend vor Olivia auf die Knie. Er ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit schmatzenden Küssen.

»Morgen früh lasse ich dir von Tiffany’s ein Collier zuschicken, wie du es funkelnder nie zuvor gesehen hast. Versprichst du mir denn auch, dass du die Meine wirst?«

Olivia unterdrückte einen Seufzer. Manche Männer hörten einer Frau gar nicht richtig zu, sondern verstanden immer nur das, was sie verstehen wollten. Sie entzog ihm die Hand, die feucht war von seinen Küssen.

»Nun, versprechen kann ich nichts. Zunächst einmal müssen wir abwarten, was die Kraft der Diamanten in mir auslöst.«

Zwar nickte Miller beflissen, doch seinem tumben Gesichtsausdruck war deutlich anzusehen, dass er nichts begriffen hatte. Seine Hände tasteten sich über Olivias Hüften aufwärts. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht in Erfahrung gebracht hatte, wie die Zeitungen über ihr Engagement am Hope Theatre berichteten. Auf der Stelle wollte sie sich darüber informieren. Allerdings störte sie dabei dieser dickliche, sabbernde Galan, der zu ihren Füßen herumkroch.

»Es war ein wunderbarer Abend, mein lieber Jeremy.« Entschlossen entfernte sie seine Hände von ihrem Busen.

Verblüfft hob Miller den Kopf. »Wieso? Der Abend ist doch noch lang. Ich dachte mir, nun, da wir in eine angeregte Unterhaltung vertieft sind …« Dabei versuchte er, seine Hände wieder auf Olivias Busen zu legen. Unauffällig drückte sie den Klingelknopf unter der Tischplatte.

»Ach, mein Lieber, ich bin so entsetzlich müde von der langen Reise! Ich muss mich ausruhen und neue Kraft schöpfen. Schließlich will ich ab übermorgen ganz New York verzaubern, und das hiesige Publikum gilt als das anspruchsvollste der Welt. So warte doch! Pocht da nicht jemand an die Tür …?«

Geschickt entwand sie sich seinem Griff. Draußen stand einer der Hotelpagen, ein braun gelockter, noch sehr junger Mann mit überaus schief stehenden Zähnen.

»Mylady haben gerufen?«

»Habe ich das? Ich muss wohl unbemerkt mit dem Knie gegen den Klingelknopf gestoßen sein. Aber nachdem Sie schon da sind, junger Mann, begleiten Sie doch bitte diesen Gentleman ins Foyer. Er wollte ohnehin gerade gehen. Und bringen Sie mir je ein Exemplar der drei größten Tageszeitungen von heute.«

Völlig konsterniert über das jähe Ende des trauten Beisammenseins verabschiedete sich Miller mit einer angedeuteten Verbeugung. Olivia tat, als bemerke sie die Enttäuschung in seinen Augen nicht, und schenkte ihm ein huldvolles Lächeln. »Sie hören von mir, Sir. Au revoir.«

Als die Zimmertür hinter den beiden lautlos ins Schloss gefallen war, ging sie ins Bad und wusch sich ausgiebig die abgeküssten Hände. Sie würde Miller zu verstehen geben, dass die Steine nicht die von ihm erhoffte Wirkung erbracht hätten, sie das Collier aber dennoch als Erinnerung an ihn behalten wolle. Doch das würde dieser Gentleman erst am Tag nach ihrer Abreise aus New York erfahren.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Page ihr die geforderten Zeitungen brachte. Als er sich zum Gehen anschickte, fiel Olivias Blick auf die Vase mit den Rosen.

»Sind Sie verheiratet? Oder verlobt?«, fragte sie den jungen Mann.

Eine leichte Röte überzog seine Wangen. »Sehr wohl, Madam. Vor drei Wochen habe ich geheiratet.«

Mit beiden Händen griff sie in die Vase und zog den Strauß heraus. »Nehmen Sie die Blumen und schenken Sie sie Ihrer Liebsten. Ein frisch gebackener Ehemann kann seine Angetraute gar nicht genug verwöhnen.«

4

JULI 1897

Aufgeregt lief Margarita zum Fenster des Speisezimmers und spähte hinaus auf die Straße. Ihre Mutter hatte sich für drei Uhr nachmittags angemeldet. Und nun war es bereits zehn nach drei. War sie etwa noch gar nicht in der Stadt eingetroffen?

Aber am nächsten Tag sollte doch die Premiere sein. Schon seit Tagen berichteten die Zeitungen von nichts anderem. Sämtliche Vorstellungen waren ausverkauft.

Da, eine Kutsche hielt vor dem Haus! Der Kutscher öffnete den Verschlag, eine zierliche Frau mittlerer Größe stieg aus. Ihr leuchtend gelbes Seidenkleid mit der gebauschten Jacke und dem weit schwingenden Rock wies eine üppige Stofffülle auf. Ein Ensemble, wie es unter den modebeflissenen New Yorkerinnen gerade Mode war. Margarita hielt es nicht mehr im Haus. Sie eilte hinaus, nahm leichtfüßig die drei Stufen vor der Haustür und umarmte stürmisch ihre Mutter.

»Margarita, mi corazón, lass dich anschauen! Wie hübsch du bist. Ein wenig zugenommen hast du auch. Das steht dir großartig.« Innig drückte Olivia die Tochter an sich.

»Endlich bist du da, Mama! Wie sehr habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut. Komm herein, ich muss so vieles mit dir besprechen.« Margarita führte die Mutter in  den Salon, dessen Wände zahlreiche in Silberrahmen gefasste Familienphotos zierten. Sie waren im Atelier eines befreundeten Photographenkollegen von Daniel entstanden.

Olivia breitet die Arme aus und umarmte ihren Schwiegersohn. »Mein lieber Daniel, bist du der Grund dafür, dass meine Tochter so strahlend und glücklich aussieht?«

Daniel küsste sie auf beide Wangen. »Selbstverständlich, Schwiegermama. Wenngleich ich zugeben muss, dass ich nicht der einzige Grund bin.« Er trat einen Schritt zur Seite und wies auf die beiden Kinder. Lilly und William hatten die Augen niedergeschlagen und hielten sich gegenseitig an den Händen.

Olivia beugte sich zu ihren Enkeln hinunter, die scheu zurückwichen. »Angelitos, meine Engelchen, wisst ihr eigentlich, wer ich bin?«

William schüttelte den Kopf und zerknüllte verlegen sein Drachentuch in der Hand.

»Aber ich habe euch doch gesagt, wer heute zu Besuch kommt.« Verwundert schüttelte Margarita den Kopf.

»Abuela«, wisperte Lilly und blinzelte verstohlen durch ihren hellen Wimpernkranz.

»Oh, ihr kennt das spanische Wort! Ich finde, Abuela klingt viel hübscher als Großmutter oder Granma«, freute sich Olivia.

Sie richtete sich auf und griff in ihre rotlederne Handtasche. Ganz langsam zog sie zwei Schachteln heraus, die riesige Schleifen zierten. »Hier, ich habe euch von meinem letzten Gastspiel in Peru etwas mitgebracht. Das sind Panflöten. Seit Jahrhunderten spielen die Einheimischen auf diesem Instrument.«

Erst als Margarita ihre Tochter mahnend ansah, hob Lilly zögernd den Kopf. »Danke, Abuela«, murmelte sie.

William hingegen missachtete den auffordernden mütterlichen Blick und vergrub die Nase in seinem Drachentuch.

»Und für meine beiden großen Kinder habe ich ebenfalls etwas mitgebracht.« Olivia deutete auf Margarita und  Daniel. »Eine handgewebte bolivianische Decke aus Alpakawolle für euer Ehebett. Nichts ist leichter und wärmt mehr als die Wolle dieser Tiere, die übrigens mit Kamelen verwandt sind. Ich lasse euch die Decke morgen durch einen Boten bringen.«

Daniel zwinkerte ihr zu. »Dann freue ich mich schon heute auf den Winter, Schwiegermama … Margarita, Liebes, sicher möchtest du deiner Mutter unser Haus zeigen. In der Zwischenzeit können die Kinder im Garten spielen, und ich helfe Elsie dabei, das Teewasser aufzusetzen.«

Als hätten die Kinder auf dieses Stichwort gewartet, stoben sie hinaus ins Freie.

»Du bist wirklich ein Schatz«, erklärte Margarita mit leiser Ironie und drückte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange. Olivia hakte sich bei ihrer Tochter unter und ließ sich jeden Winkel in dem behaglich eingerichteten Reihenhaus zeigen.

Eine Viertelstunde später saßen die drei Erwachsenen auf der Terrasse und ließen sich Tee und Bananenkuchen schmecken. Fröhliche Rufe und Kinderlachen schallten zu ihnen herüber. Lilly, William und ein halbes Dutzend Nachbarskinder spielten im Garten Verstecken.

»Schön habt ihr es hier«, stellte Olivia fest. »Und dieser Kuchen ist einfach köstlich. Ich fühle mich fast wie zu Hause auf der Hacienda.«

Bald entspann sich eine lebhafte Unterhaltung. Erfreut stellte Margarita fest, wie gut sich ihre Mutter und ihr Mann verstanden. Olivia fragte den Schwiegersohn über seine Arbeit als Photojournalist aus, und Daniel wusste erstaunlich viel über spanischen Tanz zu erzählen. Bestimmt hatte er zuvor heimlich einige Bücher gelesen, um seine Schwiegermutter zu beeindrucken, vermutete Margarita und warf ihm einen liebevollen Blick zu.

»Möchtest du nicht bis zum Abendessen bleiben, Schwiegermama?«, schlug Daniel vor. »Unsere Elsie hat Gallo Pinto vorbereitet, euer costa-ricanisches Nationalgericht. Sie hat sogar frischen Koriander besorgt.«

Olivia schnalzte leise mit der Zunge. »Das klingt verführerisch. Doch seid mir nicht böse, wenn ich wieder fahre. Ich bin immer noch rechtschaffen müde und möchte heute vor Mitternacht zu Bett gehen. Morgen Vormittag erwartet mich der Direktor des Hope Theatre. Er zeigt mir die Bühne und meine Garderobe. Für die Premiere habe ich eine Loge für euch reserviert. Ihr kommt doch hoffentlich, oder?«

In diesem Augenblick stürmten Lilly und William auf die Terrasse, bliesen schrill und quietschend auf ihren Panflöten, führten dabei einen wilden Tanz auf. Margarita musste schmunzeln, als sie ihre beiden Kinder in erdverkrusteter Kleidung und mit hochroten Wangen umherspringen sah.

»Mir scheint, in unserer Familie wachsen zwei weitere Künstler heran. Ich habe allen Grund, stolz auf meine Familie zu sein«, erklärte Olivia vergnügt.

Obwohl Margarita ihre Mutter schon mehrmals auf der Bühne erlebt hatte, war sie doch diesmal aufgeregter als je zuvor. Sie drückte die Hand ihres Mannes, der vornübergeneigt und in gespannter Konzentration auf die Bühne blickte.

Olivia trug ihr rotes Tanzkleid, das Markenzeichen der Künstlerin La Gloriosa. Das eng anliegende Spitzenkorsett betonte Brust und Taille, und der weich fließende knöchellange Rock enthüllte bei jeder Drehung die schmalen Fesseln. Diese Freizügigkeit entlockte dem weiblichen Publikum mancherorts spitze Empörungsschreie, den männlichen Zuschauern jedoch gierige Blicke und sehnsuchtsvolle Seufzer. Die Farbe des Kleides bildete einen zauberhaften Kontrast zu dem schwarzbraunen Haar, das der Künstlerin bis auf die Taille fiel und von einem Samtband im Nacken locker zusammengehalten wurde. Die kohlschwarz umrandeten Augen und der rot geschminkte Mund wiederholten die Farben von Haar und Kleid.

Mit jeder Szene wechselten die Kulissen, die wie von Geisterhand auftauchten und wieder verschwanden. Es konnte ein magischer Wald sein, dann wieder ein verwunschenes Haus oder ein Strand am weiten Meer. Nur mit ihrer Körpersprache erzählte Olivia Geschichten von Frauen, denen das Schicksal hart zusetzte, die sich dennoch nicht beugen ließen, sondern ihren eigenen Weg gingen. Mit einem einzigen Fingerzeig vermochte sie eine ganze Gefühlswelt zu offenbaren. Begleitet von der Musik eines Gitarrenspielers, der auf einem Hocker am Bühnenrand saß, schwebte, trippelte und sprang La Gloriosa. Und plötzlich spürte Margarita, wie etwas von den Bühnenbrettern in den Zuschauerraum übersprang. Etwas Unerklärliches, Magisches. Zwischen Tänzerin und Publikum entstand ein stummer und dennoch beredter Dialog.

Als La Gloriosa geendet hatte, traten nicht nur Margarita Tränen der Rührung und Freude in die Augen. Olivia verneigte sich und warf eine Kusshand hinauf zu der Loge, in der Tochter und Schwiegersohn saßen. Bravorufe erklangen, Blumen und Briefumschläge flogen auf die Bühne. So  viele, dass Olivia sie nicht alle umfassen konnte. Der Gitarrenspieler nahm ihr die Blumen ab, und Olivia sammelte die Umschläge ein, presste sie ans Herz und machte eine tiefe Verbeugung. Man forderte eine Zugabe, doch Olivia blieb einer eisernen Regel treu: Wer sie ein weiteres Mal sehen wollte, sollte auch ein weiteres Mal wiederkommen – und Eintritt zahlen.

Während Daniel im Foyer wartete, schlängelte sich Margarita an der Reihe der Wartenden vorbei, die einen Blick auf die Tänzerin zu werfen hofften, wenn sie das Theater verließ. Olivia hatte ihre Ankleidehilfe gebeten, der Tochter den Weg durch die engen Gänge und langen Flure zu zeigen. Die runzelige kleine Frau mit dem steten Lächeln hatte Margarita sofort wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Mutter erkannt. Und so huschte Margarita an Kisten, Kulissen und Bühnenarbeitern vorbei in die Garderobe.

Olivia saß in einem Sessel, die Füße auf eine Holzkiste mit Requisiten gelegt. Die Schminke um die Augen war