8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Costa Rica – Land des Kaffees, der Meere und des Glücks …
Costa Rica 1863. Die junge Deutsche Dorothea hat in der Organisation eines Heims für notleidende Indio-Mädchen ihre Bestimmung gefunden. Und auch privat geht es bergauf, denn sie darf endlich auf die Erfüllung ihrer Liebe zu dem Journalisten Alexander hoffen. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihr: Eines Tages wird ihre Tochter Olivia entführt. Voller Angst schwört Dorothea vor Gott, für immer auf ihr persönliches Glück mit Alexander zu verzichten, wenn nur ihre Tochter wohlbehalten nach Hause zurückkommt.
Schmerzlich muss Dorothea erkennen, dass man manchmal das eigene Glück opfern muss, um einen geliebten Menschen nicht zu verlieren …
Fortsetzung der erfolgreichen Costa-Rica-Saga von Anna Paredes
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 564
Veröffentlichungsjahr: 2024
Liebe Leserin, lieber Leser,
Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.
Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.
Wir wünschen viel Vergnügen.
Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team
Costa Rica – Land des Kaffees, der Meere und des Glücks …
Costa Rica 1863. Die junge Deutsche Dorothea hat in der Organisation eines Heims für notleidende Indio-Mädchen ihre Bestimmung gefunden. Und auch privat geht es bergauf, denn sie darf endlich auf die Erfüllung ihrer Liebe zu dem Journalisten Alexander hoffen. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihr: Eines Tages wird ihre Tochter Olivia entführt. Voller Angst schwört Dorothea vor Gott, für immer auf ihr persönliches Glück mit Alexander zu verzichten, wenn nur ihre Tochter wohlbehalten nach Hause zurückkommt.
Schmerzlich muss Dorothea erkennen, dass man manchmal das eigene Glück opfern muss, um einen geliebten Menschen nicht zu verlieren …
Fortsetzung der erfolgreichen Costa-Rica-Saga von Anna Paredes
Anna Paredes
Anna Paredes ist eine deutsche Autorin. Mit ihren historischen Romanen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, hat sie sich ein internationales Publikum erobert. Unter dem Pseudonym Alexandra Guggenheim befasst sie sich mit der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Die im Aufbau Verlag unter dem Namen Agnès Gabriel erschienenen Romane haben die Modeschöpfer Christian Dior und Elsa Schiaparelli sowie die Malerin Berthe Morisot zum Thema. Die Autorin lebt in Hamburg.
Einmal im Monat informieren wir Sie über
die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehrFolgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:
https://www.facebook.com/aufbau.verlag
Registrieren Sie sich jetzt unter:
https://www.aufbau-verlage.de/newsletter-uebersicht
Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir
jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!
Titelinformationen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Prolog
BUCH I Aufruhr
BUCH II Unbehagen
BUCH III Erschütterung
Buch IV Sehnsucht
Personen
Impressum
Buchtipps, die Ihnen ebenfalls gefallen könnten!
7
8
9
11
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
143
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
229
230
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
247
248
249
250
251
252
253
254
255
256
257
258
259
260
261
262
263
264
265
266
267
268
269
271
272
273
274
275
276
277
278
279
280
281
282
283
284
285
286
287
288
289
290
291
292
293
294
295
296
297
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312
313
314
315
316
317
318
319
320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
338
339
340
341
342
343
344
345
346
347
348
349
350
351
352
353
354
355
356
357
358
359
360
361
362
363
364
365
366
367
368
369
370
371
372
373
374
375
376
377
378
379
380
381
382
383
385
387
388
389
390
391
392
393
394
395
396
397
398
399
400
401
402
403
404
405
406
407
408
409
410
411
412
413
414
415
416
417
418
419
420
421
422
423
424
425
426
427
428
429
430
431
432
433
434
435
436
437
438
439
440
441
442
443
444
445
446
447
448
449
450
451
452
453
454
455
456
457
458
459
460
461
462
463
464
465
466
467
468
469
470
471
472
473
474
475
476
477
478
479
480
481
482
483
484
485
486
487
488
489
490
491
492
493
494
495
496
497
498
499
500
501
502
503
504
505
507
508
509
Anna Paredes
Die Spur des grünen Leguans
Roman
Erwartungsvoll nahm sie den Umschlag zur Hand und brach das Siegel auf. Ihre Blicke hasteten über die leicht nach links geneigten Buchstaben in tiefroter Tinte. Schon nach wenigen Zeilen erkannte sie, dass dieser Brief ihr Leben für immer verändern würde. Ihr Herz pochte vor Freude und Aufregung so laut, dass es gewiss jeder im Haus hörte, selbst in der entlegensten Kammer.
Hastig zog sie einen Koffer unter dem Bett hervor, legte wahllos zwei Kleider, Leibwäsche, ihr Skizzenbuch und festes Schuhwerk hinein. Gerade wollte sie die Zimmertür hinter sich schließen, als ihr einfiel, welche Besorgnis ein unerwarteter Aufbruch bei ihrer Familie auslösen würde. Sie machte kehrt, holte Papier und Feder aus der Kommode. Sie werde für eine Weile verreisen, schrieb sie, niemand solle sich Sorgen machen, sie werde sich so bald wie möglich melden. Die Notiz legte sie vor den Frisierspiegel, wo das Dienstmädchen den Zettel beim Saubermachen finden würde.
Den dunkelhäutigen Führer mit dem fehlenden Schneidezahn und dem immerwährenden Lächeln kannte sie seit Jahren, hatte sie sich dem Indio doch schon wiederholt auf ihren Reisen anvertraut. Er kannte den Dschungel mit
seinen unwegsamen Pfaden seit Kindertagen, benötigte weder Karte noch Kompass. Zunächst ritt die kleine Karawane nach Westen und dann, etwa auf halber Strecke zum Meer, weiter in nördliche Richtung. Mit schlafwandlerischer Sicherheit setzten die vier Mulis die Hufe voreinander, überwanden teils felsigen Untergrund, teils tiefen Morast. Hoch oben in den Baumkronen erhob sich vielstimmiges Vogelgeschrei. Die Luft war heiß und schwül. Selbst über Stunden währende Regengüsse, die sie und ihr Begleiter unter einer behelfsmäßig aufgespannten Zeltplane abwarteten, brachten keine Abkühlung. Schweiß stand ihr auf der Stirn, die erdverkrustete Kleidung klebte ihr am Körper, doch das störte sie nicht. Ebenso wenig wie der harte, unbequeme Sattel ihres geduldigen Reittieres. Denn es gab keinerlei Unbill mehr und keine Tränen, weder Zweifel noch unerfüllte Sehnsüchte.
Wenn am Abend die Dunkelheit binnen weniger Minuten hereinbrach, schlug der Führer die Zelte auf. Unter dem Schutz eines Moskitonetzes hüllte sie sich in ihre Decke und fiel sogleich in tiefen Schlaf. Am Morgen, wenn die Tiere des Dschungels lautstark erwachten, waren ihre Handrücken von Ameisen zerbissen. Hin und wieder musste sie eine Spinne oder einen verängstigten Frosch aus dem Schuh schütteln.
Nachdem Menschen und Mulis sich für den Tagesritt gestärkt hatten, ging die Reise weiter. Manchmal mussten sie einen Umweg nehmen, wenn der Stamm eines Urwaldbaumes, den ein Blitz zersplittert hatte, den Pfad versperrte. Mitunter wurde sie von einem Rascheln im Dickicht aus ihren Gedanken gerissen. Dann glaubte sie, eine Schlange davonhuschen zu sehen. Vielleicht war es aber auch ein Jaguar oder ein Waschbär. Dennoch verspürte sie nicht die geringste Angst. Sie fühlte sich unverwundbar und stark.
Irgendwann lichtete sich der Nebelwald, Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach. Sie ritten an Baumstämmen vorbei, die mit Moos und Flechten überzogen waren. Orchideenblüten zeigten sich in den verschiedensten Farben und Formen, bargen Labsal für bunt gefiederte Kolibris, deren Flügelschlag ein leises Sirren erzeugte. Fingerlange gelbe, rote und schwarze Raupen ringelten sich auf bizarr geformten Farnblättern, die den Erdboden bedeckten. Schmetterlinge ließen sich auf schirmähnlichem Blattwerk nieder oder schwirrten zwischen den armdicken Luftwurzeln der Lianen umher. Sie sog diese Bilder in sich ein, empfand Freude und tiefe Ehrfurcht. So musste einst das Paradies ausgesehen haben, so grün, fruchtbar und atemberaubend schön.
Ein schmaler Pfad wand sich an einem steil emporragenden Bergkamm entlang. Hier oben war die Luft kühler, und sie wickelte sich in ihr wollenes Schultertuch. Und dann, am Nachmittag des zehnten Tages, ließ der Führer die Mulis anhalten und legte eine Hand hinter das Ohr. Was hörte er? Waren es Tierlaute oder menschliche Stimmen? Ihr Herz klopfte wild und laut, mit angehaltenem Atem blickte sie zu ihm hinüber, lauschte, konnte aber nichts Außergewöhnliches wahrnehmen. Der Führer nickte wortlos und wies mit ausgestreckter Hand auf eine Gruppe himmelhoher Bäume am Rand einer Lichtung, zu deren Füßen drei gräuliche Zelte zu erkennen waren. Ein leises Lächeln erhellte ihr Gesicht, denn sie wusste – sie war am Ziel angekommen.
Februar 1863 bis September 1863
Über die Hacienda hallten das Brüllen der Ochsen und die Rufe der Führer, die ihre Gespanne durch das beeindruckende Eingangstor lenkten. Dorothea konnte sie nicht alle zählen, doch sie hatte das Gefühl, es würden jedes Jahr mehr. Die Familie war vor dem Herrenhaus zusammengekommen, um dem Reisenden Lebewohl zu sagen. Olivia, die elfjährige Tochter, stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um den Hals des Vaters.
»Wann kommst du wieder nach Hause, Papa? Bringst du mir auch ein Geschenk mit?«
Antonio Ramirez Duarte, Dorotheas Ehemann, wollte von der Hochebene von San José, wo sich die großen Kaffeeplantagen erstreckten, hinunter ans Meer reisen, wie immer zu dieser Jahreszeit. San José, die Hauptstadt Costa Ricas, lag auf einer Höhe von viertausend Fuß inmitten eines weiten Plateaus, das etwa fünf Leguas breit und zehn Leguas lang war und von hohen Bergen eingerahmt wurde. Das Valle Central war eine der ausgedehntesten Hochebenen Mittelamerikas. Diese Ebene wiederum wurde unterbrochen von Hügeln, Tälern und Schluchten, die durch verschiedene Flüsse gebildet wurden. Im Norden begrenzte der Río Torres die Hauptstadt, im Süden der Río Maria Aguilar. Beide Flüsschen versorgten die Bevölkerung in der trockenen Jahreszeit, von November bis März, ausreichend mit Trinkwasser. In der übrigen Zeit, von April bis Oktober, sorgten tropische Regenschauer für Wasser und Wachstum.
Antonio würde die Karawane der schwer beladenen Ochsenkarren auf ihrem Weg durch den Dschungel bis nach Puntarenas begleiten, dem größten und wichtigsten Hafen an der Pazifikküste. Von dort aus würden die Säcke mit dem schwarzen Gold, wie die Einheimischen die Kaffeebohnen nannten, nach Südamerika und Europa verschifft werden. Den Weg an die Karibikküste versperrte eine Zone undurchdringlichen Urwalds, sodass Schiffe von und nach Europa den weiten Weg um die Spitze Südamerikas nehmen mussten.
»In spätestens einem Monat bin ich zurück. Selbstverständlich bringe ich meiner Prinzessin etwas mit. Habe ich das je vergessen?« Er beugte sich hinunter und drückte seiner Tochter einen Kuss aufs Haar. »Sei schön brav! Und dass du mir nicht wieder vom Baum fällst oder mit deinem Pony aus einem Graben oder Bach gezogen werden musst.«
»Ich werde artig sein wie ein Lämmchen, Papa! Versprochen!«, beteuerte Olivia mit treuherzigem Augenaufschlag. Dorothea befürchtete allerdings, dass die Elfjährige das Versprechen nur allzu schnell wieder vergaß. Olivia war ein Wildfang. Immerzu musste sie beweisen, wie wagemutig und unerschrocken sie war. Dabei war sie schon so manches Mal böse auf die Nase gefallen.
Ein Führer hielt mit seinem Gespann vor dem Herrenhaus. Die Ochsen hatten glänzendes, frisch gebürstetes Fell. Um die mächtigen Hörner waren Blumen gebunden. Farbenfrohe Ornamente zierten die hölzernen Räder des Karrens. Pedro Ramirez Garrido, Dorotheas Schwiegervater, Herr der Hacienda Margarita, legte Wert darauf, dass sein Sohn stets mit dem prächtigsten Gespann reiste.
Ein sechsjähriger Blondschopf sprang vom Karren, geradewegs vor Antonios Füße.
»Warum darf ich nicht mitkommen, Vater? Ich habe keine Angst vor Schlangen oder giftigen Fröschen. Und wenn uns ein Puma angreift – peng! Peng!« Er richtete sich breitbeinig auf und zielte mit einem unsichtbaren Gewehr genau zwischen die Hörner der Ochsen.
Antonio verzog kaum merklich den Mund und strich seinem Sohn über das zerzauste Haar. »Warte nur ab, mein Sohn! In einigen Jahren übernimmst du das Kommando. Aber sei nicht enttäuscht, wenn dir unterwegs kein Puma oder Jaguar über den Weg läuft. Diese Tiere haben viel mehr Angst vor Menschen als wir vor ihnen. Mir ist in all den Jahren noch keine einzige Wildkatze begegnet.«
Federico ballte die Hand zur Faust und stieß mit den Knöcheln gegen die Faust des Vaters. »Auf Wiedersehen, Vater. Großvater wartet auf mich. Ich darf mit ihm schießen üben.« Flugs wandte er sich um und stob in Richtung Stallungen davon.
Dorothea sah ihrem Sohn mit leichtem Stirnrunzeln hinterher. Dann trat sie zu Antonio und streckte die Arme aus. »Gute Reise, mein Lieber! Ich richte dem Hochzeitspaar deine Grüße aus.«
»Welches Hochzeitspaar?«, fragte Antonio zerstreut, während der Führer einen großen braunen Lederkoffer auf den Karren wuchtete.
»Weißt du nicht mehr? Die jüngste Tochter von Reimanns will in zwei Wochen heiraten. Schade, dass wir nicht gemeinsam mit ihnen feiern können.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich … Nun, ich hoffe, du amüsierst dich auch ohne mich. Und nach meiner Rückkehr entführe ich dich wieder einmal ins Theater. Ich genieße die Blicke der Männer, die mir die bezaubernde Frau an meiner Seite nicht gönnen.«
Dorothea lächelte gezwungen. Statt der neiderfüllten Männerblicke hätte sie sich mehr Zärtlichkeit von Seiten ihres Gatten gewünscht. Antonio beugte sich vor, streichelte ihre Wange und küsste ihr dann galant die Hand. Außenstehende hätten diese Geste als ehelichen Liebesbeweis betrachtet, zurückhaltend deshalb, weil er unter freiem Himmel und in Sichtweite der Dienstboten stattfand. Doch diese Berührung konnte ihr Herz nicht erwärmen.
Sie nahm ihre Tochter an die Hand und blickte Antonio hinterher, winkte noch einmal, als der schwere Karren durch das Eingangstor rumpelte, um kurz darauf hinter der nächsten Wegbiegung zu verschwinden. Sie seufzte unhörbar. In ihrem Innern fühlte sie eine tiefe, ungestillte Sehnsucht.
»Also frage ich dich, Pepe Navas y Cazola, vor Gottes Angesicht: Willst du deine dir anvertraute Ehefrau lieben und ehren, ihr Hilfe und Beistand gewähren, sie nie verlassen, weder im Glück noch im Unglück, bis dass der Tod euch scheidet? Ist dies dein fester Wille, so bekräftige diesen vor dem allgegenwärtigen und allwissenden Gott und den hier anwesenden Zeugen durch ein vernehmliches Ja.«
»Ja.«
»Nunmehr frage ich auch dich, Roswitha Reimann, willst du diesen dir anvertrauten Ehemann lieben und ehren und ihm in allen Gott wohlgefälligen Dingen gehorchen, ihm allzeit Rat, Hilfe und Beistand gewähren, die eheliche Treue unverbrüchlich bewahren in guten und in schlechten Tagen und nicht von ihm fortgehen, bis dass der Tod euch scheidet? Ist dies dein fester und unumstößlicher Wille, so bekräftige diesen vor Gott und den hier anwesenden Zeugen durch ein vernehmliches Ja.«
»Ja.«
Von ihrem Ehrenplatz in der zweiten Kirchenbank aus verfolgte Dorothea die Trauungszeremonie. Eine plötzliche Rührung stieg in ihr auf. Mit zittrigen Fingern zupfte sie ein Spitzentaschentuch aus dem Kleiderärmel und trocknete sich die Augenwinkel. Auch die Frauen ringsum waren ergriffen, schämten sich ihrer Tränen nicht.
Sie musste an ihre eigene Hochzeit denken, mehr als ein Dutzend Jahre zuvor. Als Antonio Ramirez Duarte, der begehrteste Junggeselle weit und breit, Sohn und einziger Erbe des mächtigsten Kaffeebarons im Land, ausgerechnet sie, Dorothea Fassbender, die kleine deutsche Haus- und Zeichenlehrerin, zur Frau genommen hatte. Man hatte sie beide als das schönste Brautpaar des Jahres bezeichnet. Wie sehr hatte sie sich damals gewünscht, ihrem Mann eine gute Ehefrau zu sein und ihn glücklich zu machen. Hatte davon geträumt, auch mit Herz und Seele anzukommen in dem Land, in welches das Schicksal sie geführt hatte. Nachdem sie, krank an Leib und Seele, ihre Heimatstadt Köln Hals über Kopf verlassen musste und die lange, beschwerliche Reise über die Ozeane nach Costa Rica angetreten hatte.
Mehrere der Hochzeitsgäste in dem schmucklosen Gotteshaus waren ihre Begleiter auf dem Schiff gewesen. Dem Dreimastfrachter Kaiser Ferdinand mit zwanzig Passagieren an Bord, der an einem nieselgrauen Morgen im Mai 1848 im Hamburger Hafen die Anker gelichtet hatte, um mehr als fünf Monate später an der Pazifikküste Costa Ricas seine Fahrt zu beenden. Die Mitreisenden hatten ihre Heimat gleichfalls in Eile verlassen, wenn auch aus einem anderen Grund. Hungersnot und die Angst vor dem Verlust ihrer Existenz hatten diese Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Sie wollten in einem neuen Land ein besseres Leben beginnen, damit ihre Kinder einmal eine Zukunft hätten.
Und nunmehr war aus der sommersprossigen und stupsnasigen kleinen Roswitha von damals eine strahlende Braut geworden. Ihr frischgebackener Ehemann war ein Einheimischer, ein jungenhaft wirkender Tischler, dessen Ururgroßeltern aus Spanien stammten und weitläufig mit einem Nachfahren von Christoph Kolumbus verwandt waren, wie die Mutter des Bräutigams bei der Begrüßung der Gäste stolz erklärte. Dorothea blickte hinüber zum Altar, wo der Pfarrer die auf einem blauen Samtkissen liegenden Ringe segnete.
»Der allmächtige Gott ist Zeuge. Wechselt jetzt zum Zeichen dieses eures gegenseitigen Gelöbnisses die Trauringe. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Hiermit bestätige ich euren immerwährenden Bund als rechtskräftige christliche Eheleute. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes …«
In das nun folgende »Amen« fielen alle Kirchenbesucher mit ein. Zu den fröhlichen, wenn auch wenig harmonischen Klängen zweier Geigen und einer Flöte schritt das Brautpaar hinaus ins Freie und nahm vor dem Kirchenportal die Glückwünsche entgegen. Dorothea reihte sich ein in die Schlange der Gratulanten. Die junge Braut nestelte an ihrem Schleier und fiel Dorothea um den Hals.
»Ich freue mich so, dass Sie gekommen sind, Fräulein Fassbender! Vor lauter Aufregung konnte ich Sie vorhin in der Kirche gar nicht entdecken.« Gleich darauf schlug sie die Hand vor den Mund. »Verzeihung, ich meine natürlich – Señora Ramirez.«
Dorothea schmunzelte. Die unbekümmerte Offenheit der jungen Frau war eine charakteristische Eigenschaft aller Mitglieder der Familie Reimann. »Aber das macht doch nichts, Roswitha. Ich freue mich, wieder einmal meinen früheren Namen zu hören.«
»Dann war das Fettnäpfchen nicht allzu tief, in das ich gerade getreten bin?« Die Braut zupfte ihren Ehemann am Ärmel. »Pepe, Liebster, ich muss dich unbedingt mit meiner früheren Lehrerin bekannt machen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Señora Ramirez mit uns einen Schmetterling gezeichnet hat.«
»Meine Verlobte … ich meine, meine Frau hat mir schon viel von Ihnen erzählt«, bekannte Pepe und warf seiner Braut einen zärtlichen Blick zu. Dann zwinkerte er Dorothea unbekümmert zu, ganz so, als seien sie alte Bekannte. Sie gratulierte dem Brautpaar mit einem herzlichen und kräftigen Händedruck.
»Ihnen beiden Glück und Gottes Segen. Das soll ich Ihnen auch von meinem Mann ausrichten. Er konnte leider nicht mitkommen. Um diese Jahreszeit hat er immer für mehrere Wochen geschäftlich an der Westküste zu tun.«
»Können Sie denn trotzdem noch zu unserem Festessen bleiben, Señora Ramirez? Irgendjemand wird Sie später nach Hause bringen, nicht wahr, Pepe?« Mit einem versonnenen Lächeln lehnte Roswitha den Kopf gegen die Schulter ihres frischgebackenen Ehemannes, der seinen Arm zärtlich um die Taille seiner Braut legte.
Dorothea spürte einen leisen Stich in ihrem Innern und unterdrückte die melancholischen Gefühle, die sie bedrängten. Sooft sie zwei verliebte Menschen sah, überfiel sie eine tiefe Traurigkeit. Das Bild eines jungen Mannes mit braunen Augen, zerzausten Locken und einem leicht spöttischen Lächeln stieg unvermittelt in ihr auf. Es ließ sich nicht vertreiben und wurde in der Runde deutscher Auswanderer nur noch deutlicher.
Plötzlich war sie wieder die zweiundzwanzigjährige Hauslehrerin, deren Eltern sie zwingen wollten, einen ungeliebten Mann zu heiraten oder ihr ungeborenes Kind beseitigen zu lassen. Das Kind des Mannes, den sie liebte und heiraten wollte, das sie jedoch verloren hatte, wie sie auch ihn verloren hatte. Zumindest hatte sie das all die Jahre seit ihrer Flucht aus Köln geglaubt.
Aber dann, vor einem Jahr, hatten sie sich plötzlich vor der Kirche in San José gegenübergestanden – ihr einstiger Verlobter Alexander Weinsberg und sie. Damals, im April 1848, hatte eine Zeitung nach einer Straßenschlacht im revolutionären Berlin irrtümlich den Tod des jungen Journalisten vermeldet, während Alexander in Wirklichkeit – durch eine Pistolenkugel schwer verletzt – über Monate in einem Berliner Krankenhaus lag. Und sich voller Verzweiflung fragte, warum die Geliebte keinen seiner Briefe beantwortete.
Kaum hatten sie sich wiedergefunden und eine Nacht leidenschaftlicher Umarmungen und neuer Zukunftspläne verbracht, hieß es abermals Abschied nehmen. Alexander musste nach Deutschland zurückkehren. Doch bald schon würde er wieder nach Costa Rica kommen und im Auftrag eines renommierten Berliner Verlages ein weiteres Buch über seine Reiseerlebnisse schreiben. Und sie, Dorothea, würde ihn begleiten und die Zeichnungen dazu anfertigen. Wie sie es bei ihrer Verlobung in Köln geplant hatten. Seit dem Tag ihres unerwarteten Wiedersehens im letzten Mai sehnte sie sich mit jeder Faser ihres Herzens nach der Erfüllung ihres Traumes.
Antonio, ihr Ehemann, würde sie von Zeit zu Zeit ziehen lassen, sofern sie sich diskret verhielte und den Ruf der Familie nicht schädigte. Diese Abmachung hatten sie in beiderseitigem Einvernehmen getroffen. Antonio hatte ihr sein Geld zur Verfügung gestellt, damit sie die Casa Santa Maria aufbauen konnte, eine Zufluchtsstätte für Indianerinnen in Not. Er verteidigte sie gegen die Hochnäsigkeit und Vorurteile der gar nicht so feinen Gesellschaft von San José und hielt seine Hand schützend über sie. Wie auch Dorothea im Gegenzug ihn schützte und vor Verdächtigungen und übler Nachrede bewahrte. Indem sie zu ihm hielt und sich nach außen als glückliche Ehefrau gab, auch wenn sie wusste, dass ihr Mann sie nie so innig und leidenschaftlich lieben würde, wie Alexander sie liebte. Denn wirklich lieben konnte Antonio nur Männer.
»Sie bleiben doch, nicht wahr, Señora Ramirez?« Roswithas bittende Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
»Aber ja, sehr gern«, erwiderte Dorothea rasch. »Und machen Sie sich keine Gedanken, wie ich nach Hause komme. Mein Kutscher hat hier ganz in der Nähe Verwandte, denen er sicher gern einen Überraschungsbesuch abstattet. Er wird sich freuen, wenn er hört, dass wir erst am Nachmittag zurückfahren.«
Das Hochzeitsessen fand im Gemeindehaus statt. Es war erbaut worden, nachdem Dorothea ihren Schuldienst in der Siedlung San Martino nahe Alajuela beendet hatte und an den nördlichen Stadtrand von San José gezogen war, in das Elternhaus ihres Ehemannes. Die Tische waren mit einfachem Tuch und Geschirr, aber dennoch liebevoll gedeckt worden. Mit einem geflochtenen kleinen Blütenkranz an jedem Platz. Die Geschwister der Braut saßen mit Dorothea an einem Tisch. Sie freute sich aufrichtig, ihre einstigen Schüler wiederzusehen, die mittlerweile junge Erwachsene geworden waren.
Zum Essen gab es sowohl Schweinebraten, zubereitet nach deutscher Tradition, als auch das Nationalgericht der Costa Ricaner, Gallo Pinto, einen Eintopf aus Reis, Bohnen und Zwiebeln, gewürzt mit frischen Korianderblättchen. Während des Festmahles wurden Erinnerungen an die Überfahrt auf der Kaiser Ferdinand und an die Zeit ausgetauscht, als Dorothea die Siedlerkinder unterrichtet hatte. An diesen Lebensabschnitt hatte sie in den zurückliegenden Jahren manches Mal mit Wehmut gedacht, denn sie liebte ihren Beruf und hatte ihn immer mit Leidenschaft ausgeübt.
Rufus und Robert, die beiden ältesten Söhne der Familie Reimann, hatten sich zu gut aussehenden jungen Männern entwickelt, denen der Aufenthalt im Freien eine frische Gesichtsbräune verliehen hatte. Sie hatten breite Schultern und kräftige Hände bekommen. An den Schwielen und Schrunden war zu erkennen, dass sie die Arbeit nicht scheuten. Richard, der Zwillingsbruder der Braut, wirkte eher wie ein vorwitziger Schuljunge. Er war kleiner und schmaler gebaut als seine Brüder und machte eine Uhrmacherlehre bei einem Schweizer Aussiedler, der schon seit mehreren Jahren im Land lebte. Die zehnjährige Rebecca war das Nesthäkchen und in Costa Rica zur Welt gekommen. Dorothea erinnerte sich, wie stolz die Eltern ihr bei einem ihrer Besuche erzählt hatten, dass Nachwuchs unterwegs war, und wie sie dieses keimende Leben als Zeichen für eine glückliche Zukunft in der neuen Heimat angesehen hatten.
Nachdem das Brautpaar die Hochzeitstorte angeschnitten hatte und alle Gäste gekostet hatten, wurden die Tische zur Seite geschoben. Die beiden Geiger aus der Kirche und ein Gitarrenspieler holten ihre Instrumente hervor. Es wurde getanzt und viel gelacht. Jeder der anwesenden Männer über zwanzig drängte sich, Dorothea zum Tanz aufzufordern. Mit dem blonden Haar, der hellen Porzellanhaut und in dem schmal geschnittenen graublauen Kleid verdrehte sie im Nu allen Männern den Kopf. Sie fühlte sich durchaus wohl in Anwesenheit dieser bodenständigen und ungekünstelten Menschen, die innerhalb weniger Jahre aus einem Stück Urwald eine ansehnliche Siedlung geschaffen hatten. Und die so ganz anders waren als diejenigen, die Dorothea sonst traf. Die Mitglieder des Geldadels von San José, deren vornehmstes Ziel das Anhäufen von noch mehr Geld war. Aus diesem Grund fühlte sie sich dort immer unbehaglich und fehl am Platze.
Als sie eine Tanzpause einlegte, nahm sie ihr Skizzenbuch zur Hand und zeichnete das Brautpaar, wie es sich Wange an Wange im Walzerschritt wiegte. Da vernahm sie hinter sich eine vertraute Frauenstimme.
»Señora Ramirez, ich habe Sie noch gar nicht richtig willkommen geheißen. Wir sind sehr stolz, dass Sie zu unserem Fest gekommen sind. Mir scheint, Sie mussten heute mit jedem tanzen, der zwei Beine hat und eine Hose trägt. Und wie ich sehe, sind Sie noch immer die Zeichenlehrerin, die unsere Kinder so wunderbar unterrichtet hat.« Else Reimann, die Brautmutter, hatte denselben heiteren Tonfall wie früher. Obwohl ihr Haar mittlerweile grau geworden war und sich Fältchen um Augen und Mundwinkel gebildet hatten, wirkte sie doch gesünder und strahlender als bei ihrer Ankunft in Costa Rica.
Dorothea lachte leise. »Aber nein, mit dem Unterricht habe ich längst aufgehört. Ich zeichne nur noch zu meinem Vergnügen. Meistens meinen Mann und die Kinder. Aber gern auch so fröhliche Menschen wie unser Brautpaar. Ich muss Sie zu Ihrem Schwiegersohn beglückwünschen, Frau Reimann. Ein wirklich reizender junger Mann. Ihre Tochter wird sicher sehr glücklich mit ihm. Außerdem habe ich mich schon lange nicht mehr so vergnügt wie heute.«
»Aus Ihrem Mund ist das ein ganz besonderes Lob. Ich wollte mir gerade die Füße vertreten. Kommen Sie, unternehmen wir einen Rundgang durch unser Dorf! Damit Sie sehen, was wir aus einem Stück Urwald geschaffen haben. Die Gäste können uns wohl für einige Minuten entbehren«, schlug Else Reimann vor. »Wie geht es Ihren Kindern? Kommt der Junge nicht bald in die Schule?«
Und so erzählte Dorothea von Federico, der mit seinen sechs Jahren davon träumte, später ein großer Erfinder zu werden. Von der elfjährigen Olivia, die am liebsten auf Bäume kletterte oder mit ihrem Pony wagemutig die höchsten Hindernisse überwand. Ganz in ihre Unterhaltung vertieft, schlenderten die beiden Frauen vorbei an Blockhäusern mit winzig kleinen Vorgärten, in denen Kübelpflanzen unterschiedlicher Größe ihre Blütenpracht entfalteten. Einige Familien hielten sich Ziegen, Schweine und Hühner, die frei zwischen den Häusern umherliefen. Dorothea staunte über die sauberen und befestigten Wege sowie das neue Schulgebäude, in dem mittlerweile vierzig Schüler unterrichtet wurden. Sie selbst hatte dreizehn Jahre zuvor in einer behelfsmäßig eingerichteten Scheune lehren müssen.
Voller Stolz deutete Else Reimann auf die weiten, schnurgerade abgezirkelten Felder am Rand der Siedlung. »Hier bauen wir Mais, Bohnen und Kartoffeln an. Da diese in Costa Rica recht selten sind, bekommen wir einen guten Preis auf dem Markt. Und weil der Boden hier in der Hochebene so fruchtbar ist, können wir sogar dreimal im Jahr ernten.« Sie blickte dankbar zum Himmel auf. »Übrigens, Señora Ramirez, letzte Woche kam ein Brief von meinem Neffen Heinrich aus Düsseldorf. Der mit dem Porzellangeschäft, Sie erinnern sich? Ich hatte ihm von den Vasen und Krügen geschrieben, die die jungen Indianerinnen in Ihrem Heim anfertigen. Er ist überzeugt, dass viele seiner Kunden solche exotischen Gegenstände kaufen würden. Fremdländisches Kunsthandwerk ist in Deutschland zurzeit groß in Mode, meinte er. Hier, ich habe Ihnen seine Adresse aufgeschrieben. Es wäre doch schön, wenn Sie miteinander ins Geschäft kämen. Außerdem muss ein solch großartiges Projekt doch unterstützt werden.«
Dorothea steckte die Notiz in ihre Rocktasche. »Diese Aussicht wird den Mädchen noch mehr Ansporn geben. Wie Sie sich vermutlich vorstellen können, hatten wir am Anfang gegen schlimme Vorurteile anzukämpfen. Die Costa Ricaner mit spanischen Wurzeln glauben, alle Indios seien Kriminelle. Zum Glück hat mein Mann mich immer unterstützt. Ohne seinen Beistand wäre die Casa Santa Maria nie entstanden. Und denken Sie nur, morgen wird ein Journalist aus New York kommen und einen Bericht für die Leser seiner Zeitung schreiben.«
Von ferne nahmen die Spaziergängerinnen die Musik und das Gelächter der Festgesellschaft wahr. Sie kehrten um und plauderten dabei angeregt weiter, ganz so, als hätten sie sich tags zuvor zuletzt gesehen. Else Reimann hakte sich bei Dorothea unter, und mit einem Mal kamen Erinnerungen an die Fahrt mit der Kaiser Ferdinand auf.
»Erinnern Sie sich noch an die Meiers aus Boppard?« Else Reimann verlangsamte ihren Schritt. »Die Familie konnte in Costa Rica nicht Fuß fassen. Das Heimweh war wohl zu groß. Sie sind nach Deutschland zurückgekehrt. Und Frau Kampmann hat nach dem tragischen Tod ihres Mannes während der Überfahrt ein zweites Mal geheiratet. Sie lebt heute in der Nähe von Heredia.«
»Und Sie und Ihr Mann, haben Sie je bereut, ausgewandert zu sein?«, wollte Dorothea wissen.
»Keine Sekunde lang. Es war die einzig richtige Entscheidung«, erklärte Else Reimann und nickte mehrmals zur Bekräftigung. Doch dann mischte sich ein nachdenklicher Unterton in ihre Stimme. »Wissen Sie, es ist uns seinerzeit nicht leichtgefallen, unsere Verwandten und Freunde zurückzulassen. Aber in Deutschland hätten wir nicht länger von unserer Hände Arbeit leben können. Wir wollten unseren Kindern eine bessere Zukunft geben. Trotzdem haben wir das Vaterland, unsere alten Sitten und Gebräuche in Erinnerung behalten.«
»Was die Gäste bei dem köstlichen Schweinebraten feststellen konnten. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so knuspriges Fleisch gegessen habe«, lobte Dorothea und erfuhr gleich darauf ein streng gehütetes Küchengeheimnis: Die Kruste war während des Garens im Ofen immer wieder mit Bier übergossen worden.
Die Feier würde sicher noch bis in den Abend hinein dauern, mutmaßte Dorothea, und allzu gern wäre sie noch ein Weilchen geblieben. Doch der Kutscher war bereits vorgefahren, damit sie die Hacienda Margarita vor Einbruch der Dunkelheit erreichten. Leise Wehmut befiel sie, als sie sich von den alten Weggefährten verabschiedete. Sie musste versprechen, bald wieder zu Besuch zu kommen.
Während der Einspänner nach Süden durch Zuckerrohrfelder und wilde Bananenpflanzungen rollte, sann Dorothea darüber nach, wie wohl ihr Leben verlaufen wäre, wenn nicht der Sohn des mächtigsten Kaffeebarons Costa Ricas um ihre Hand angehalten hätte. Würde sie dann vielleicht noch immer in der Siedlung San Martino leben und den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen? Und wäre sie dann glücklicher? Oder eher unglücklicher?
Doch nach diesem heiteren und unbeschwerten Tag wollte sie nicht in Grübeleien verfallen. Zumal sie Grund genug hatte, dem Schicksal dankbar zu sein. Sie hatte alles, was eine Frau sich wünschen konnte: zwei gesunde Kinder, ein Leben ohne Geldsorgen, ein großes Haus mit einer Vielzahl an Dienstboten. Und einen blendend aussehenden Mann, um den alle Frauen sie beneideten, der sie achtete und beschützte. Wenngleich sie mit ihm wie Schwester und Bruder zusammenlebte. Doch schon in wenigen Wochen würde sie Alexander wiedersehen, und alle ihre geheimen Sehnsüchte nach innigen Küssen und leidenschaftlichen Umarmungen würden sich erfüllen.
Mit dem letzten Tageslicht erreichte der Einspänner die Einfahrt der Hacienda Margarita. Fackeln waren bereits entzündet und beleuchteten die Hauptwege rings um das Herrenhaus, bildeten Lichterketten im leicht hügeligen Gelände. Ein Bursche eilte herbei und half Dorothea beim Aussteigen. Durch die offen stehende Tür zum Speisezimmer sah sie, wie das Dienstmädchen den Tisch deckte. Aus der Küche zog der Duft von gebackenen Tortillas durch die Diele. Dorothea stieg in ihr Schlafzimmer im ersten Stock hinauf, um sich für das Abendessen umzukleiden.
Ihr Schwiegervater Pedro hatte bestimmt, dass die Kinder während des Essens nicht unaufgefordert sprechen durften. Und so unterhielten sich nur die Erwachsenen – über die Menge an Kaffeesäcken, die Antonio bis ans Meer begleitete, und über die Höhe der zu erwartenden Ernte, die die der Vorjahre übertreffen würde. Als sie das Dessert beendet hatten, eine Mangocreme mit gerösteten Kokosnussscheibchen, platzte es aus Olivia heraus. Gestenreich und mit leidenschaftlichen Worten beschwerte sie sich über die neue Naturkundelehrerin, bei der die Schüler Stunde für Stunde eine Pflanze abzeichnen mussten und die jede Skizze äußerst streng benotete. Federico erzählte von seinen neuesten Plänen, wobei er noch nicht wusste, ob er lieber einen Springbrunnen bauen oder eine Wasserleitung zu den Ställen legen sollte, damit die Pferdeburschen beim Ausmisten keine Eimer mehr vom Bach herübertragen mussten. Wie Dorothea vorausgesehen hatte, überhörte ihr Schwiegervater die Klage der Enkelin, lobte hingegen überschwänglich die Vorschläge des Enkels, während die Schwiegermutter den Worten ihres Mannes in stummer Bewunderung und mit großen Augen lauschte.
Als sie die Kinder mit einem Gutenachtkuss verabschiedet hatte, suchte Dorothea ihr Zimmer auf und rieb die tanzmüden Füße mit Minzöl ein. Sie beschloss, früh zu Bett zu gehen. Schließlich wollte sie am nächsten Tag ausgeruht und ohne hässliche Ringe unter den Augen dem Journalisten gegenübertreten. Sie ließ sich in die weichen Kissen fallen und merkte, dass sie vergessen hatte, ihre Kette abzulegen. Eine schlichte rotgoldene Kette mit einem herzförmigen Medaillon, auf dem kleine Granatsteine funkelten. Das Verlobungsgeschenk Alexanders, ihr Talisman, das ihr während vieler Jahre über manche dunkle Stunde hinweggeholfen hatte.
Sie malte sich aus, wie der Geliebte sie beim Wiedersehen in die Arme schließen würde, fühlte Bartstoppeln an ihrer Wange und hörte ihn mit seiner tiefen, rauen Stimme Zärtlichkeiten in ihr Ohr flüstern. Sie drückte das Herz an die Lippen und legte die Kette in eine samtbezogene Schatulle auf ihrem Nachtschränkchen. Wie verworren das Leben doch manchmal sein konnte. Sie hatte zwei Männer. Einen, der sie liebte, und einen, der sie als Ratgeberin schätzte. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.
Da sie großen Wert auf Pünktlichkeit legte, erreichte Dorothea zehn Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt die Casa Santa Maria. Zu ihrer Verwunderung war ihr Gesprächspartner jedoch noch früher erschienen. Womit er sich deutlich von den Costa Ricanern unterschied, die es mit der Uhrzeit nicht so genau nahmen und gern mit einiger Verspätung zu Verabredungen erschienen. John del Mar wartete bereits im Garten unter dem tief gezogenen Palmstrohdach der Töpferwerkstatt. Derart geschützt, konnten die Mädchen auch bei Regen im Freien weiterarbeiten.
Die Hausmutter Yahaira und ihre Zöglinge Teresa, Silma, Raura und Fabia saßen am Kopfende des großen Arbeitstisches und lauschten gebannt den Erzählungen des amerikanischen Journalisten. Die siebzehnjährige Fabia war als Letzte in der Casa Santa Maria eingezogen, nachdem ihre Mutter ein drittes Mal geheiratet hatte und der Stiefvater Fabia mehrmals vergewaltigt und ihr mit dem Tod gedroht hatte, sollte sie jemandem davon erzählen. Don Quichote, ein großer Hund mit schwarzem Zottelfell, der Liebling der Mädchen, lief schwanzwedelnd und mit freudigem Gebell auf Dorothea zu und verlangte hartnäckig die ihm zustehenden Streicheleinheiten.
John del Mar war kaum dreißig Jahre alt, hatte gewelltes rotblondes Haar und trug breite Koteletten. Amüsiert sah Dorothea, wie die Mädchen dem gut aussehenden Amerikaner scheue Blicke zuwarfen und sich dabei unauffällig unter dem Tisch mit den Füßen anstießen. Dieser schien allerdings von der heimlichen Bewunderung nichts wissen zu wollen. Denn als er sich erhob, hatte er nur noch Augen für Dorothea und begrüßte sie mit einem Lächeln, in das sich ein Ausdruck von Überraschung mischte.
»Sehr erfreut, Señora Ramirez. Ich danke Ihnen, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit schenken. Noch dazu an einem Sonntag. Aber ich musste meine Reiseroute kurzfristig ändern, und so blieb nur dieser Nachmittag.«
»Herzlich willkommen, Mister del Mar! Wie kommt es, dass man fast keinen Akzent bei Ihnen hört?«
»Oh, ich habe von klein auf Spanisch gesprochen. Mein Vater ist Mexikaner. Allerdings bin auch ich ein wenig erstaunt, denn unter einer Wohltäterin habe ich mir eine … wie soll ich sagen … gesetztere Dame vorgestellt.«
Dorothea überlegte, ob diese Worte ironisch gemeint waren oder ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte. Doch die Miene des jungen Mannes wirkte ganz ernsthaft, und so beschloss sie, das Gesagte als Kompliment aufzunehmen. »Was führt Sie als New Yorker ausgerechnet nach Costa Rica? Sind Sie ein Abenteurer?«
»Ich arbeite für den Daily Mirror, werte Señora. Meine Redaktion hat mich quer durch die mittelamerikanischen Staaten geschickt, um über Außergewöhnliches und Kurioses in diesen Ländern zu berichten. Unterwegs erzählte mir ein indianischer Reiseführer von Ihrem Heim, und da wurde ich neugierig.«
Sie musste an einen anderen Journalisten mit dem Namen Alexander Weinsberg denken, der einst nach Costa Rica reisen wollte, um ein Buch über dieses ferne Land zu schreiben – zusammen mit ihr als seiner zukünftigen Ehefrau. Mit jedem Tag sehnte sie seine Rückkehr inständiger herbei. Sie zwang ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. »Wie wäre es mit einer kleinen Erfrischung, Mister del Mar? Yahaira wird für uns alle frischen Orangensaft bringen.«
»Oh, ich liebe Orangen! Das ist es, was ich vermissen werde, wenn ich wieder in New York bin. Die herrlichen Früchte, die in diesem Land wachsen.«
Die Hausmutter entschwand in der Küche und kehrte kurz darauf mit Gläsern, einer Karaffe mit Saft und einer Schale Mandelbiskuits zurück. Nachdem die Mädchen mit gutem Appetit zugelangt hatten, machten sie sich an die Arbeit. Teresa, die junge Mutter, zerkleinerte getrocknete Tonstückchen mit dem Mörser, während ihr kleiner Sohn friedlich in seiner Wiege im Schatten schlummerte. Raura, das jüngste der Mädchen, setzte die Töpferscheibe in Schwung und formte aus einem Tonklumpen mit geschickten Händen eine Schale. Silma und Fabia bemalten die bereits gebrannten Gefäße mit roter und schwarzer Farbe.
Unterdessen zückte John del Mar seinen Schreibblock und bat Dorothea, ihm zu berichten, wie alles begonnen hatte. Und so erzählte sie, wie sie eines Tages beschlossen hatte, eingeborenen Indianermädchen zu helfen, die keinen einzigen Fürsprecher hatten. Die von ihren Dienstherren erniedrigt, manchmal auch geschwängert und davongejagt wurden, die von ihren Vätern oder Ehemännern geschlagen wurden. Indigenas, die weder lesen noch schreiben konnten, weil keine Behörde sich darum kümmerte, ob sie zur Schule gingen oder nicht. Die schon als Kinder arbeiten mussten, weil ihre Familien arm waren und man jeden Real zum Überleben benötigte. »Meine Mädchen haben einen festen Stundenplan. Zweimal in der Woche werden sie in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet. Damit sie später einmal auf eigenen Füßen stehen können. An den übrigen Tagen arbeiten sie morgens und nachmittags jeweils vier Stunden in der Töpferwerkstatt.«
John del Mar nickte. »Auch bei uns gibt es soziale Nöte. Wir Amerikaner haben große Schwierigkeiten mit den Arbeitern auf den Zuckerrohr- und Baumwollplantagen. Was wir weißen Amerikaner uns allerdings selbst zuzuschreiben haben. Denn zuerst haben wir diese Menschen aus Afrika ins Land geholt und sie dann als Sklaven ausgebeutet. Vor allem in den Südstaaten wächst der Widerstand, überall hört und liest man von Aufständen. Ich bewundere Sie für Ihren Mut und dass Sie sich für die Schwachen einsetzen, Señora Ramirez.«
Bescheiden winkte Dorothea ab. »Zu bewundern ist eher mein Mann. Er stellt sich gegen die hiesigen Konventionen und hat sich mehr als einmal mit den Behörden angelegt. Zu meinem Glück unterstützt er mich in allen Belangen, welche die Casa Santa Maria betreffen.«
John del Mar erhob sich, trat um den Tisch herum zu Silma und Fabia und sah ihnen eine Weile mit sichtlicher Neugier bei ihrer Arbeit zu. »Sie beschäftigen hier wahre Künstlerinnen«, stellte er anerkennend fest.
»Die Motive auf den Gefäßen haben eine jahrhundertealte Tradition«, erklärte Dorothea und musste schmunzeln, weil die Mädchen immer wieder unauffällig mit verzücktem Lächeln zu dem jungen Journalisten aufschauten. »Sie sind nach den Vorlagen der costa-ricanischen Ureinwohner gefertigt. Mit ihrem Wissen bewahren meine Schützlinge die Kultur ihrer Vorfahren vor dem Vergessen. Vor allem die europäischen Einwanderer in unserem Land lieben dieses Kunsthandwerk. Wir könnten weitaus mehr Waren verkaufen, als wir produzieren.«
»Warum fertigen Sie eigentlich keine Gefäße nach althergebrachter Manier, aber mit modernen Motiven? Ich könnte mir vorstellen, dass meine Landsleute sie Ihnen aus den Händen reißen würden.«
Bevor Dorothea über diesen ungewöhnlichen Vorschlag nachdenken konnte, war von der Straße her Lärm zu hören – lautes Wiehern und das Geräusch von Peitschenschlägen. Don Quichote, der die ganze Zeit über reglos zu Dorotheas Füßen gelegen hatte, hob den Kopf und spitzte witternd die Ohren. Dann bellte er mehrmals tief und rau. Yahaira verschwand im Innern des Hauses, um nachzusehen, welcher Besucher sich wohl eingefunden hatte. Und dann kam sie auch schon in Begleitung eines Mannes von ungeheurer Leibesfülle in den Garten zurück.
Dorotheas Brauen zuckten, als Humberto Centeno Valverde, der Bürgermeister von San José, mit ausgebreiteten Armen auf sie zuwatschelte und einen Handkuss andeutete. Daraufhin begrüßte er mit jovialem Schulterklopfen ihren Gast. Noch nie hatte der Bürgermeister sich in der Casa Santa Maria blicken lassen, und den Äußerungen ihres Schwiegervaters hatte Dorothea entnommen, dass er auch noch nie ein gutes Wort über das Heim verloren hatte. Doch nun überschlug er sich fast vor Eifer.
»Soeben trug man mir zu, welch hoher Besuch heute in unserer Stadt weilt. Obwohl ich den Sonntag für das Studium besonders dringender Akten bei mir zu Hause reserviert habe, lasse ich es mir nicht nehmen, Sie persönlich zu begrüßen, mein Freund. Einen amerikanischen Journalisten, der den weiten Weg auf sich genommen hat, um über eine besondere Zierde unserer Stadt zu berichten – die Casa Santa Maria! Auf die wir alle so stolz sind und die wir stets nach Kräften unterstützen.«
Dorothea glaubte, sich verhört zu haben. Doch offenbar drechselte dieser nach Schweiß riechende, mit den Händen in der Luft herumfuchtelnde Koloss nur deswegen solche hohlen Phrasen, weil er sich einem ausländischen Korrespondenten gegenüber selbst ins beste Licht rücken wollte. Und schon säuselte der erste Bürger der Stadt beflissen weiter.
»Señora Ramirez ist unser aller Vorbild, weil sie sich um die Ärmsten der Armen kümmert. Wie gern täten wir Politiker mehr für die bedauernswerten Indios, die sich noch immer auf der Stufe von unzivilisierten Wilden befinden wie in der Zeit von Kolumbus … Doch unsere Staatskasse ist leer. Umso erfreulicher, dass es solche Beispiele christlicher Nächstenliebe gibt. Die durch derartige Berichte vielleicht auch in Ihrem Land Nachahmer finden werden, mein lieber Señor del Mar.«
Nur mit Mühe unterdrückte Dorothea ihren Zorn. Sie wusste, warum die Kassen leer waren. Weil die reichen Farmer immer wieder Möglichkeiten fanden, nur wenige oder gar keine Steuern zu zahlen, und die einfachen, hart arbeitenden Menschen mit ihren geringen Einkünften die ganze Last der Abgaben trugen. Doch das hätte dieser eitle und selbstgefällige Bürgermeister niemals zugegeben. Seine Wiederwahl stand auf dem Spiel, und dazu brauchte er die Stimmen der Wohlhabenden. Unvermittelt erhob sie sich und streckte Señor Centeno Valverde die Hand entgegen.
»Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Bürgermeister. Wir wollen Sie nicht länger von Ihren überaus wichtigen Amtsgeschäften fernhalten. Yahaira, bitte geleite den Señor zur Tür!«
Verdutzt stierte der Bürgermeister Dorothea an, dann verabschiedete er sich übertrieben höflich zuerst von ihr, dann von del Mar. Bereits im Weggehen, wandte er sich noch einmal um. »Und sollten Sie demnächst Ihren Präsidenten Lincoln treffen«, rief er dem Journalisten zu, »dann richten Sie ihm unbekannterweise einen Gruß von mir aus!«
Als der Bürgermeister außer Hörweite war, zwinkerte John del Mar Dorothea zu. »Kompliment! Diesem Aufschneider haben Sie es ganz schön gezeigt. Ich kenne solche scheinheiligen Typen, habe in meinem Beruf oft mit ihnen zu tun. Wenn es Ihnen recht ist, Señora Ramirez, dann lasse ich den Besuch des Bürgermeisters in meinem Bericht unerwähnt.«
Dorothea nickte erleichtert. »Danke, Mister del Mar. Aber bevor Sie gehen, suchen Sie sich als Erinnerung an die Indianermädchen aus der Casa Maria noch eine Vase oder eine Schale aus.«
Auf dem Nachhauseweg malte Dorothea sich aus, wie die feine Gesellschaft von San José sich das Maul zerreißen würde, wenn sie von dem geplanten Zeitungsbericht erführe. Weil Menschen in anderen Teilen der Welt sich weitaus mehr um die Belange der Eingeborenen Costa Ricas kümmerten als deren eigene Bewohner.
Als der Einspänner vor dem Herrenhaus anhielt, wunderte Dorothea sich über die ungewöhnliche Stille. Nirgends war ein Dienstmädchen mit frisch gebügelten Tischtüchern auf dem Weg zwischen Bediensteten- und Herrenhaus zu sehen, auch kein Stallbursche, der die Futtertröge zu den Pferdeställen schleppte, keine Küchenmagd, die mit einer Handvoll frischer Kräuter aus dem Gemüsegarten kam. Und auch ihre Kinder konnte sie nicht entdecken.
Dann fiel ihr ein, dass ihr Schwiegervater seinen Enkel Federico erstmals zu einem Hahnenkampf in die Stadt mitnehmen wollte. Ein Freizeitvergnügen, das sie zwar nur vom Hörensagen kannte, als Tierquälerei aber zutiefst verabscheute. Die beiden würden wohl erst zu späterer Stunde zurückkehren. Und Olivia hockte vermutlich im Pferdestall, um ihr geliebtes Pony zu striegeln. Gerade wollte Dorothea das Haus betreten, als ihre Schwiegermutter bleich und mit rot geränderten Augen im Türrahmen erschien. Ihre zarte, hohe Kinderstimme zitterte.
»Olivia … sie ist fort … einfach verschwunden!«
Die Kutsche mit den ineinander verschlungenen Initialen PRG auf den schwarz lackierten Türen holperte auf einem unbefestigten schmalen Pfad durch Bananengärten und Zuckerrohrplantagen. Pedro Ramirez Garrido rutschte in dem dunkelgrünen Lederpolster vor und zurück, verzog hin und wieder schmerzvoll das Gesicht. Sein rechtes Bein machte ihm schon seit Tagen mehr zu schaffen als sonst. Es war nach einem Sturz vom Pferd mehrfach gebrochen gewesen und nicht wieder richtig zusammengewachsen. Weshalb Pedro seither einen Gehstock benötigte. Was ihn zunächst wütend gemacht hatte, weil sein Körper ihm nicht mehr gehorchte. Mittlerweile jedoch hatte er auch die Vorzüge eines solchen Hilfsmittels erkannt, mit dem er beispielsweise unliebsame Gesprächspartner auf Abstand halten oder faulen Arbeitern Schläge versetzen konnte. Außerdem barg der Stock, eine Spezialanfertigung aus Frankreich, ein kleines Geheimnis. In seinem Innern verbarg sich ein langes dünnes Metallrohr, das Pedro je nach Laune mit Whisky, Rum oder Cognac befüllte.
Von dem geheimen Versteck wusste nur noch sein Enkel Federico. Sie beide hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Oftmals genügte ein kurzer Blick, und sie verstanden sich auch ohne Worte. Ja, der Junge war aus demselben Holz geschnitzt wie er. Und deswegen würde er, Pedro, die Nachfolge auf der Hacienda Margarita auf seine Weise regeln und eines Tages das Zepter in die Hände des Enkels legen. Federico würde mit eiserner Hand fortsetzen, was der Großvater in Jahrzehnte währender Arbeit aufgebaut hatte. Wenigstens das hatten sein weichlicher Sohn Antonio und dessen blasse deutsche Ehefrau Dorothea zustande gebracht – ihm einen Enkel und würdigen Erben zu schenken, der einmal die größte Kaffeefarm in Costa Rica leiten würde, wahrscheinlich sogar in ganz Mittelamerika.
Federico saß in gespannter Aufmerksamkeit neben ihm. Er hatte den kreisrunden Strohhut in die Stirn gezogen und grüßte mit huldvoller Geste imaginäre Passanten. Während der Zweispänner den leicht abschüssigen Weg nach San José entlangzockelte, schraubte Pedro den Griff seiner Gehstütze ab und nahm einen tiefen Zug von dem teuersten Cognac, den man im Land erstehen konnte. Eine kleine Aufmerksamkeit eines Freundes, dessen Sohn er, Pedro, mit einer eidesstattlichen Aussage vor einer empfindlichen Geldstrafe wegen illegalen Landbesitzes bewahrt hatte. In Kreisen wie den seinen musste man schließlich zusammenhalten. Ohnehin waren alle Staatsdiener korrupt und nur auf ihren Vorteil bedacht. Die Kaffeebarone, Apotheker und Ärzte zahlten schon genug Steuern, als ob es da auf ein paar Hektar Land angekommen wäre. Sie passierten ein gelb gestrichenes Haus, vor dessen brauner Eingangstür ein zotteliger schwarzer Hund in der Sonne döste.
»Schau, Abuelo, Don Quichote schläft! Er läuft mir immer hinterher und schnüffelt an meinen Hosentaschen. Aber ich will nicht mehr mit Mutter dorthin. Ich mag die Mädchen nicht. Einmal hat mich eine ganz böse angeguckt. So …« Federico kniff die Augen zusammen und verzog den Mund zu einem schiefen, schmalen Strich.
Pedro nickte und klopfte seinem Enkel auf den Schenkel. Manche nannten Federico altklug. Dabei hatte der Junge lediglich einen scharfen Blick. Mit seinen knapp sieben Jahren wusste er vieles schon richtig einzuschätzen. Casa Santa Maria … wirklich absurd, was seine Schwiegertochter sich da ausgedacht hatte. Nach der Einweihung war das Haus für Monate Stadtgespräch gewesen. Keiner seiner Freunde hätte je für diesen primitiven Menschenschlag, wie Indios es nun einmal von Natur aus waren, auch nur einen Finger gekrümmt.
Aber Antonio, dieser Pantoffelheld, sein eigen Fleisch und Blut, unterstützte sogar den Irrwitz seiner Ehefrau. Ausgerechnet mit dem Geld, das er, Pedro, seinem Sohn hatte abtreten müssen. Die Hälfte des väterlichen Vermögens hatte Antonio sich damals zur sofortigen und uneingeschränkten Verfügung ausbedungen, bevor er nach jahrelangem Zögern und ausweichenden Argumenten doch noch vor den Traualtar getreten war. Und der Vater, der kühle und gerissene Kaufmann, hatte sich in einem Augenblick der Rührseligkeit, für den er sich im Nachhinein verachtete, tatsächlich von seinem Sohn erpressen lassen.
Ein Heim für notleidende Indianerinnen – als ob das nicht schon ein Widerspruch in sich gewesen wäre. Indianer waren grundsätzlich faul, dumm und für ihr Schicksal selbst verantwortlich. Das Land gab ihnen alles, was sie für ein glückliches Leben brauchten. Und nun lebten diese Dirnen und Diebinnen in dem feudalen gelben Haus in Saus und Braus und ließen den lieben Gott einen guten Mann sein. Angeblich sorgten sie eigenhändig für ihren Lebensunterhalt, weil sie selbst getöpferte Vasen und Schalen mit simplen Linien bemalten und auf dem Markt an europäische Einwanderer verkauften. Lächerlich! Er wusste besser, was diese jungen Dinger in Wahrheit trieben.
»Kann ich auf einen Hahn wetten, Abuelo?« Federicos Frage riss ihn aus seinen Gedanken.
»Aber sicher, mein Junge, und wenn dein Favorit gewinnt, auch noch auf einen zweiten.« Stolz blickte Pedro auf den Knirps an seiner Seite, den er zum ersten Mal zu einem Hahnenkampf mitnahm. Der Junge sollte früh abgehärtet werden und auf keinen Fall so zartbesaitet werden wie sein Vater, der kein Tier leiden sehen konnte. Es wurde Zeit, dass Federico mitbekam, was einen ganzen Kerl ausmachte.
Nach einer Dreiviertelstunde hatten sie den Stadtrand von San José erreicht. Eingeschossige, fensterlose Lehmhäuser, in die Licht nur durch die geöffnete Haustür fiel, säumten die Straßen, die diesen Namen kaum verdienten. Das Pflaster wies tiefe Löcher auf, die seitlich ausgehobenen Gräben verwandelten sich regelmäßig in rauschende Bäche, sobald ein Tropenregen sich über der Stadt ergoss. Doch jetzt, in der Trockenzeit, hatte sich in den tiefen Rinnen allerlei Unrat angesammelt.
Allenthalben tippte sich Pedro an die Hutkrempe, während zur Rechten und Linken Menschen den Kopf neigten und ihm ihren Gruß entboten. Jeder, ob Groß oder Klein, sprach den Namen Pedro Ramirez Garrido mit Respekt und Ehrfurcht aus. Und das zu Recht, denn seinen Ruf als bedeutendster Kaffeebaron des Landes hatte er sich über viele Jahre eisern erarbeitet. Nicht nur deshalb, weil er etwas von der Aufzucht von Kaffeepflanzen verstand, sondern weil er auch die zuständigen Männer in den Ministerien kannte und für seine Zwecke einzuspannen verstand oder zum richtigen Zeitpunkt eine Spende für eine Schule oder ein Krankenhaus gab. Und nicht zuletzt deshalb, weil er um die Eitelkeiten der kleinen Farmer wusste, die leichtfertig ihren Besitz aufs Spiel setzten und gar nicht merkten, welch ein gewiefter und obendrein trinkfester Kartenspieler er war.
»So wird man dich später auch einmal grüßen, wenn du durch die Stadt fährst«, erklärte Pedro dem Enkel. »Als der berühmte Don Federico.«
»Wann sind wir endlich da?«, wollte der Enkel ungeduldig wissen, doch da hatte Pedro schon die gellenden Schreie der Hähne und die anfeuernden Rufe des Publikums vernommen, die von weither durch die Stadt hallten.
Die Kutsche hielt vor einem heruntergekommenen, windschiefen Holzhaus, zwei Straßenzüge hinter dem Marktplatz. Am Eingang drückte Pedro einem nach Schnaps riechenden Einäugigen eine Münze in die Hand und schritt mit dem Enkel an der Hand durch einen langen Korridor. Federico deutete auf geflochtene Körbe, die dicht nebeneinander aufgestellt waren. In jedem saß ein Hahn, das Gefieder bunt schillernd, braun oder schwarzweiß gesprenkelt, klein wie eine Taube oder groß wie ein Puter. Die Tiere sträubten die Federn und versuchten vergebens, in dem viel zu engen Behältnis mit den Flügeln zu schlagen. Dazu krähten sie lautstark und aufgeregt in allen Tonlagen.
Federico ging vor einem der Körbe in die Hocke und steckte den Finger zwischen die Streben. Die Antwort des Hahns war eine wütende Schnabelattacke. Federico schrie auf und zog die Hand hastig zurück, steckte sich den blutenden Finger in den Mund und versetzte dem Korb einen ungestümen Fußtritt. »Blöder Hahn!«, schimpfte er, und Pedro beobachtete, dass der Junge nur mit Mühe die Tränen unterdrückte.
Beruhigend legte er seinem Enkel eine Hand auf die Schulter. »Sei tapfer, mein Junge! Der Finger ist ja noch dran. Du hast den Hahn in Wallung gebracht. Das ist gut so, denn je wütender ein Vogel ist, umso rücksichtsloser wird er später kämpfen.«
In einem gedeckten Innenhof lag der Kampfplatz. Es waren ausschließlich Männer, die hier Sonntag für Sonntag zusammenkamen. Den Frauen war das blutige Spektakel meist zu grausam. Laut rufend und temperamentvoll gestikulierend, liefen die Besucher um die Absperrung der Arena herum oder suchten sich einen Sitzplatz auf der Tribüne. Alle Berufsstände und Altersklassen waren hier vertreten. Arbeiter mit zerfransten strohgeflochtenen Hüten und in ausgeblichenen Hosen saßen neben elegant gekleideten Kaufleuten, die Zylinder aus feinster Pariser Seide trugen. Nirgends sonst kamen sich die unterschiedlichsten Schichten der Bevölkerung so nahe wie an diesem Ort.
»Kann ich endlich wetten?«, drängte Federico und zupfte seinen Großvater ungeduldig am Ärmel.
»Sieh dir erst einmal einen Kampf an! Dann kannst du auch bald den mutigeren Hahn von dem zaghafteren unterscheiden.«
Pedro erstieg die Stufen zur obersten Reihe und hatte von dort den besten Überblick über das Geschehen. Verächtlich musterte er seinen Nachbarn. Diesem unruhig mit den Fingergelenken knackenden Mann mangelte es ganz offensichtlich an Geld für Sonntagsschuhe. Stattdessen hatte er wohl einen Kredit aufgenommen, um die Wettgelder zu bezahlen. Seine Frau musste wahrscheinlich über Monate beim Kaufmann anschreiben lassen, sollte er die Wette verlieren. Pedro kannte den Stolz seiner Landsleute. Ein Costa Ricaner wäre bereit gewesen, das letzte Hemd zu verkaufen, denn Spielschulden waren Ehrenschulden.
Federico stellte sich auf die hölzerne Sitzbank und spähte erwartungsvoll zur Arena hinüber. »Wann kämpfen sie endlich, Abuelo?«
»Erst wenn der Kampfrichter das Zeichen gegeben hat.« Pedro beobachtete mit Genugtuung, wie der Enkel vor Aufregung an der Unterlippe nagte. Er selbst hatte in seinem Leben schon unzählige Turniere erlebt, doch jedes Mal verspürte er aufs Neue die gleiche Anspannung und Vorfreude.
Zwei Männer kamen und stellten sich breitbeinig in die Arena, jeder mit einem Hahn in den Händen. Die Tiere trugen am rechten Fuß einen mehr als zwei Zoll langen Metallsporn, scharf und schneidend wie ein Rasiermesser. Um die Vögel in Wallung zu bringen, rupften ihnen die Männer Federn aus dem Hals und schwangen sie gegeneinander. Letzte Wetten wurden abgeschlossen, dann ertönte das Klingelzeichen.
Die Besitzer ließen die Tiere los und zogen ihnen dabei blitzschnell die schützende Scheide vom Sporn. Der Kampf konnte beginnen. Durch die unnatürliche Nähe, die die Hähne in ihren Körben dicht an dicht hatten erdulden müssen, waren sie bis aufs Äußerste gereizt. Jeder wollte sein Revier verteidigen, stürzte sich sogleich mit gesträubten Federn auf den vermeintlichen Eindringling und stieß dabei markerschütternde Schreie aus.
Die Zuschauer kommentierten lautstark den Kampf, sparten nicht mit Zurufen wie: »Cortéz, setz deinen Schnabel ein!« und »Gib’s ihm, Nelson!«
Nach mehreren Attacken färbte das Gefieder eines der Hähne sich rot, nachdem ihm die Klinge die Brust aufgeschlitzt hatte. Der Verletzte schwankte, dennoch machte er einen erneuten Vorstoß, sprang in einem weiten Satz dem Gegner auf den Rücken und hieb wütend mit dem Schnabel auf ihn ein. Pedros Herz schlug schneller, die Schmerzen in seinem Bein waren vergessen.
»Bestimmt wird der Braune gewinnen.« Aufgeregt trat Federico von einem Fuß auf den anderen und ließ das Spektakel keine Sekunde lang aus den Augen. Bald schon floss auch aus dem braunen Gefieder des Gegners helles Blut. Nur etwa drei bis vier Minuten dauerte der Kampf, bis der erste Hahn torkelte, in einem letzten Aufbäumen mit den Flügeln schlug und schließlich reglos am Boden liegen blieb. Sein Kontrahent hieb auf den toten Gegner ein, doch auch der Sieger war so schwer verletzt, dass er taumelnd auf die Seite fiel und nur noch schwach zuckte.
Die Zuschauer johlten und applaudierten begeistert, jedenfalls jene, die auf den siegreichen Hahn gesetzt hatten. Dieser war zwar tot, hatte seinem Besitzer aber eine Menge Geld eingebracht. Die Männer ließen sich im Wettbureau ihren Gewinn auszahlen, nur um das Geld sogleich wieder für den nächsten Kampf einzusetzen.
»Ja! Der Braune war’s!«, jubelte Federico.
»Gut gemacht, mein Junge, du hast den richtigen Riecher für Sieger.«
Das Lob des Großvaters trieb Federico die Röte in die Wangen. »Und nun darf ich richtig wetten, nicht wahr, Abuelo?«, fragte er aufgeregt.
Pedro nickte und folgte seinem Enkel, der bereits in weiten Sprüngen zu den Käfigen vorauseilte. Hinter den geflochtenen Gittern hockten die Tiere, die in den nachfolgenden Runden gegeneinander kämpfen sollten.
»Don Pedro, welche Ehre, dass Sie uns wieder einmal beehren! Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme.
Pedro wandte sich um und sah sich einem klapperdürren Mann gegenüber, dessen ernster, strenger Gesichtsausdruck nicht zu seiner weichen, freundlichen Stimme passte. »Buenas tardes, mein lieber Don Manuel. Wie Sie sehen, bin ich heute nicht allein gekommen. Darf ich Ihnen meinen Enkel Federico vorstellen? Er besucht zum ersten Mal ein Turnier und findet alles höchst aufregend. Du musst wissen, mein Junge, Señor Manuel Solano y Clemente ist von Beruf Handelsrichter und besitzt die erfolgreichsten Hähne im ganzen Land.«
»Sie schmeicheln mir, mein Freund, obwohl ich mich in aller Bescheidenheit dennoch als einen der erfahrensten Kenner des Hahnenkampfes bezeichnen würde.« Dann erzählte Don Manuel bis in die kleinste Einzelheit von den Kämpfen des vergangenen Sonntags, beschrieb Größe und Farbe der siegreichen Hähne vom Kamm bis zur Schwanzfeder und wie viel jeder der Matadoren unter den Spielern gewonnen oder verloren hatte.
Pedro hörte aufmerksam zu, stellte Fragen, die sein Gesprächspartner ausschweifend beantwortete, bis er spürte, wie Federico ungeduldig an seinem Gehrock zerrte.