Das Land zwischen den Meeren & Die Spur des grünen Leguans - Anna Paredes - E-Book

Das Land zwischen den Meeren & Die Spur des grünen Leguans E-Book

Anna Paredes

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Beschreibung

Die ersten zwei Bände der Costa-Rica-Saga von Anna Paredes in einem E-Book Bundle!

Das Land zwischen den Meeren - 

Costa Rica - die Suche nach Glück

Köln 1848. Die junge Hauslehrerin Dorothea und ihr Verlobter, der Journalist Alexander, träumen von einer gemeinsamen Zukunft in Costa Rica. Aber dann durchkreuzt das Schicksal all ihre Pläne. Nach einem harten inneren Kampf entschließt sich Dorothea, die Reise in das unbekannte, ferne Land alleine anzutreten … 

Doch kann sie ihre Vergangenheit wirklich in Deutschland zurücklassen und in der Ferne ihr Glück finden? 

Und wird jemals ein anderer Mann Alexanders Platz in ihrem Herzen einnehmen können?

Die Spur des grünen Leguans -

Costa Rica – Land des Kaffees, der Meere und des Glücks …

Costa Rica 1863. Die junge Deutsche Dorothea hat in der Organisation eines Heims für notleidende Indio-Mädchen ihre Bestimmung gefunden. Und auch privat geht es bergauf, denn sie darf endlich auf die Erfüllung ihrer Liebe zu dem Journalisten Alexander hoffen. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihr: Eines Tages wird ihre Tochter Olivia entführt. Voller Angst schwört Dorothea vor Gott, für immer auf ihr persönliches Glück mit Alexander zu verzichten, wenn nur ihre Tochter wohlbehalten nach Hause zurückkommt.

Schmerzlich muss Dorothea erkennen, dass man manchmal das eigene Glück opfern muss, um einen geliebten Menschen nicht zu verlieren …


Große Gefühle vor der atemberaubenden Kulisse Costa Ricas auf über 1000 Seiten!

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Seitenzahl: 1210

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Das Land zwischen den Meeren - Costa Rica - die Suche nach Glück

Köln 1848. Die junge Hauslehrerin Dorothea und ihr Verlobter, der Journalist Alexander, träumen von einer gemeinsamen Zukunft in Costa Rica. Aber dann durchkreuzt das Schicksal all ihre Pläne. Nach einem harten inneren Kampf entschließt sich Dorothea, die Reise in das unbekannte, ferne Land alleine anzutreten … 

Doch kann sie ihre Vergangenheit wirklich in Deutschland zurücklassen und in der Ferne ihr Glück finden? 

Und wird jemals ein anderer Mann Alexanders Platz in ihrem Herzen einnehmen können?

Die Spur des grünen Leguans - Costa Rica – Land des Kaffees, der Meere und des Glücks …

Costa Rica 1863. Die junge Deutsche Dorothea hat in der Organisation eines Heims für notleidende Indio-Mädchen ihre Bestimmung gefunden. Und auch privat geht es bergauf, denn sie darf endlich auf die Erfüllung ihrer Liebe zu dem Journalisten Alexander hoffen. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihr: Eines Tages wird ihre Tochter Olivia entführt. Voller Angst schwört Dorothea vor Gott, für immer auf ihr persönliches Glück mit Alexander zu verzichten, wenn nur ihre Tochter wohlbehalten nach Hause zurückkommt.

Schmerzlich muss Dorothea erkennen, dass man manchmal das eigene Glück opfern muss, um einen geliebten Menschen nicht zu verlieren …

Große Gefühle vor der atemberaubenden Kulisse Costa Ricas auf über 1000 Seiten!

Über Anna Paredes

Anna Paredes ist eine deutsche Autorin. Mit ihren historischen Romanen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, hat sie sich ein internationales Publikum erobert. Unter dem Pseudonym Alexandra Guggenheim befasst sie sich mit der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Die im Aufbau Verlag unter dem Namen Agnès Gabriel erschienenen Romane haben die Modeschöpfer Christian Dior und Elsa Schiaparelli sowie die Malerin Berthe Morisot zum Thema. Die Autorin lebt in Hamburg.

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Anna Paredes

Das Land zwischen den Meeren & Die Spur des grünen Leguans

Die ersten zwei Bände der Costa-Rica-Saga von Anna Paredes in einem E-Book Bundle!a

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Inhaltsverzeichnis

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Das Land zwischen den Meeren

Prolog

Buch I: Drang

Februar 1848

Februar 1848

März 1848

März 1848

April 1848

April 1848

April 1848

April 1848

April 1848

Buch II: Hoffnung

April 1848

April 1848

April 1848

Mai 1848

Juni bis August 1848

September 1848

September bis Oktober 1848

November bis Dezember 1848

Januar bis März 1849

April bis Dezember 1849

Buch III: Erwartung

Januar bis März 1850

April bis Mai 1850

Mai bis Juli 1850

Juli 1850 bis Juni 1851

Juli 1851 bis Mai 1852

Buch IV: Widerstreit

Februar 1855

März 1855 bis August 1855

September 1855 bis September 1856

Februar bis September 1860

Oktober bis November 1860

Dezember 1860 bis Mai 1861

Juni 1861 bis Mai 1862

Mai 1862

Personen

Die Spur des grünen Leguans

BUCH I Aufruhr

BUCH II Unbehagen

BUCH III Erschütterung

Buch IV Sehnsucht

Personen

Impressum

Cover for EPUB

Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Anna Paredes

Das Land zwischen den Meeren

Eine Costa-Rica-Saga

Prolog

Sie setzte sich in ihren Schaukelstuhl auf dem Balkon und gab  sich der sanft schwingenden Bewegung hin. Milde Luft umfing sie. Von Osten, von den Bergen her, zogen dunkle Wolken auf, ein fernes Donnern kündigte das nahende Gewitter an.

Neben ihr auf dem Tischchen lagen zwölf Skizzenbücher, alle der Reihe nach nummeriert. Das erste hatte sie begonnen, als sie fünfzehn Jahre alt gewesen war, das letzte war erst zu drei Vierteln voll. Sie nahm die Bücher zur Hand und blätterte durch die Seiten. Tauchte ein in die eigene Vergangenheit, ließ die letzten einundzwanzig Jahre ihres Lebens an sich vorüberziehen. Staunte, schmunzelte und erinnerte sich. Schwester Hildegardis, die Naturkundelehrerin, wie sie den Schülerinnen eine Kamillenblüte erklärte. Die Eltern bei einem Spaziergang am Flussufer. Beide im Sonntagsstaat, standesgemäß und steif gekleidet. Die Mienen ausdruckslos, ohne Anzeichen dafür, was hinter ihrer Stirn und in ihrem Herzen vor sich ging. Eine Amsel im Garten des elterlichen Hauses, wie sie ihr Junges fütterte. Und dann ein Selbst porträt, ein Mädchen mit scheuen, fragenden Augen.

Drei Bücher später ein weiteres Selbstporträt. Das einer jungen Frau mit unbeschwertem, strahlendem Lächeln, die großen, klaren Augen in eine Zukunft gerichtet, die weit außerhalb jenes Umfeldes lag, das sie bisher mit dem Zeichenstift festgehalten hatte. Und dann ein Szenenwechsel. Ein Schiff mit geblähten Segeln, das weite Meer, ärmlich gekleidete Menschen an Deck, Delfine, Pelikane, Felseninseln. Im nächsten Buch eine Landschaft mit atemberaubenden Ausblicken, mit Vulkanen, in die Tiefe rauschenden Wasserfällen und Hängebrücken. Mit Bäumen, die dicht an dicht weit in den Himmel emporragten, mit Farngewächsen und bizarr geformten Orchideenblüten, mit Affen, Echsen und Schmetterlingen.

Porträts im nächsten Buch. Ein Mann, dessen makelloses Profil an das antiker Statuen erinnerte. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, winzig klein in der Wiege, etwas größer beim Versteckspiel im Park, später auf einem Pony reitend. Mit dem Kreidestift liebevoll und nuanciert festgehalten. Männer und Frauen mit breitkrempigen Strohhüten, die Früchte von mannshohen Sträuchern sammeln und in Körbe füllen, die sie mit einem Tuch um die Hüften gebunden haben. Ein hochherrschaftliches Haus, groß und prächtig wie ein Kirchengebäude. Daneben ein sich schlängelnder Bach mit einer kleinen Holzbrücke, am Ufer Schilfgräser.

Zwischen diesen Buchdeckeln hatte sie ihr Leben festgehalten. Ein Leben, das von Drang, Hoffnung, Erwartung und Widerstreit geprägt war. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie das Skizzenbuch Nummer fünf zur Hand nahm. Denn nunmehr wollte sie etwas betrachten, das sie sich über viele Jahre versagt hatte. Weil der Schmerz zu übermächtig gewesen war. Sie wusste genau, an welcher Stelle sie suchen musste, hatte es die ganze Zeit über gewusst und schlug die vorletzte Seite auf. Ihre Hände gerieten ins Zittern. Ein junger Mann schaute sie unverwandt an. Mit einem Lächeln, in dem so etwas wie Spott mitschwang, mit Grübchen neben

den Mundwinkeln. Mit einem offenen Blick aus dunklen Augen und zerzaustem, welligem Haar, das bis in den Nacken reichte.

Sie stöhnte leise auf und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, die auf das Papier fielen. Ein zuckender Blitz fuhr unmittelbar vor dem Balkon nieder, und im selben Augenblick ertönte über ihr der Donner. Heftiger Regen prasselte herab, fiel schnurgerade auf die Erde.

BUCH I Drang

Februar 1848

Wir müssen uns unverzüglich treffen! Morgen um halb fünf am Botanischen Garten. Ich habe Dir etwas Wichtiges mitzuteilen. A.

So stand es in flüchtig hingeworfenen, leicht nach rechts geneigten Buchstaben in dem Briefchen, das ihr der Laufbursche überbracht hatte. Glücklicherweise hatte niemand von den Hausbewohnern etwas von dem unerwarteten Besucher bemerkt. Dorotheas Dienstherrin, Frau Rodenkirchen, hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Damenzimmer aufgehalten, wohin sie sich nach dem Mittagessen zu einem Verdauungsschläfchen zurückzuziehen pflegte. Die beiden hoffnungsvollen Sprösslinge der Familie Rodenkirchen, Moritz und Maria, waren wegen eines verloren geglaubten Zinnsoldaten, eines Trommlers in blauer Uniform, in Streit geraten und daher mit sich selbst beschäftigt gewesen.

Der Bote hatte die strikte Anweisung erhalten  – erstens, während der Mittagsruhe unter gar keinen Umständen mit dem gusseisernen Türklopfer gegen die Wohnungstür zu hämmern, und zweitens, die Nachricht ausschließlich der Adressatin auszuhändigen, dem Fräulein Dorothea Fassbender. Und so war der Bursche eine Weile unschlüssig draußen vor der Wohnungstür auf und ab gegangen, bis Dorothea ihn zufällig durch den milchigen Glaseinsatz mit ziselierten Blütenranken entdeckt hatte.

Sie hatte dem Boten die Nachricht blitzschnell aus der Hand genommen und in ihrer Rocktasche verschwinden lassen. Solche Vorsicht war durchaus vonnöten, schließlich war Dorothea erst seit einem knappen Dreivierteljahr als Haus- und Zeichenlehrerin im Hause Rodenkirchen in Anstellung, und die wollte sie keinesfalls leichtfertig aufs Spiel setzen. Die Arbeit mit den Kindern mochte an manchen Tagen zwar anstrengend sein, aber sie bereitete ihr dennoch großes Vergnügen. Zum anderen konnte sie mit gutem Grund für mehrere Stunden am Tag ihrem tristen Elternhaus entfliehen und dabei sogar eigenes Geld verdienen. Was allerdings ihre Mutter für Zeitverschwendung hielt. Schließlich stamme Dorothea aus einer angesehenen Arztfamilie und werde ohnehin in absehbarer Zeit heiraten. Sobald ein passender Ehemann gefunden sei.

Jedenfalls hätte ein an Dorothea persönlich adressiertes Schreiben, abgegeben im Haus ihres Dienstherrn, zu einigem Misstrauen, wenn nicht sogar zu Nachforschungen geführt. Denn welchen Grund mochte eine ehrbare junge Frau haben, geheime Nachrichten zu empfangen? Noch dazu von jemandem mit dem mysteriösen Namenskürzel A.

Ein eisiger Wind fuhr ihr ins Gesicht, die zarte Haut ihrer Wangen rötete sich. Dorothea suchte Schutz in einem Hauseingang und behielt dabei das schmiedeeiserne Tor zum Alten Botanischen Garten fest im Blick. Sie knotete das wollene Schultertuch enger und vergrub die Hände in einem Muff aus schwarzem Schaffell. In unförmige dicke Wollmäntel gekleidete Angestellte der umliegenden Notariate und Geschäftshäuser stapften, die Kragen hochgeschlagen, achtlos an ihr vorüber. Dorothea mochte den Winter nicht, sie sehnte sich nach den bevorstehenden Tagen, wenn Sonnenstrahlen die Stadt in mildes Licht tauchen und die Körper und Seelen der Menschen wärmen würden.

Doch besonders sehnte sie sich nach demjenigen, der ihr so  eilig und so dringend etwas mitteilen wollte und auf den sie hier wartete. Den Mann, der ihr Herz überraschend und wie im Sturm erobert hatte: Alexander Weinsberg. Dorothea musste an die erste Begegnung vor dem Kolonialwarenladen in der Komödienstraße zurückdenken, als sie an einem kühlen grauen Herbsttag nach der Arbeit für ihre Mutter eingekauft hatte, nachdem die Köchin erkrankt war. Und als sie bei plötzlich einsetzendem Regen fröstelnd vor der Ladentür gestanden und trotz mehrmaliger Versuche ihren Schirm nicht hatte öffnen können.

»Mein Fräulein, darf ich Ihnen behilflich sein?«, hatte er  gefragt, mit einem Lächeln, bei dem ihr die Knie weich geworden waren, und mit einer tiefen, rauen Stimme, in der ein Hauch Spott mitschwang. Ihr waren sofort seine warmen braunen Augen und die feinen Grübchen neben den Mundwinkeln aufgefallen. Das wellige dunkelblonde Haar war mindestens eine Handbreit zu lang, um als schicklich zu gelten. Auch der offene Hemdkragen und der ausgeblichene, nachlässig um den Hals geschlungene Schal legten die Vermutung nahe, dass ihr Gegenüber weder einer jener eingebildeten Stutzer war, die den Mädchen auf der Straße nachpfiffen, noch ein penibler Staatsdiener. Eher ein Student oder Lebenskünstler. Ein äußerst gut aussehender obendrein.

Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er ihr den Schirm aus der Hand genommen und offensichtlich mühelos und in Sekundenschnelle geöffnet. Auf sein amüsiertes Augenzwinkern hin hatte Dorothea verlegen nach dem Schirm gegriffen und war mit einem hastig gemurmelten Dank davongeeilt. »Stets zu Diensten«, konnte sie gerade noch hinter ihrem Rücken vernehmen, bevor sie um die nächste Straßenecke bog.

Schon einen Tag später waren sie sich am gleichen Ort und zur gleichen Zeit ein weiteres Mal begegnet. Nicht zufällig, wie sie einander im Nachhinein gestanden, denn jeder hatte gehofft, den anderen wiederzusehen. Von da an hatten sie sich regelmäßig getroffen. Hatten zu Sankt Martin in einem Café beim Dom gemeinsam einen Weckmann verzehrt und Kakao getrunken. Waren am Nikolaustag am Rheinufer spazieren gegangen und hatten die Eisschollen beobachtet, die gemächlich stromabwärts geglitten waren. Dabei hatten sich ihre Schultern berührt, und Dorothea war überzeugt gewesen, ihr Herzklopfen müsse noch am gegenüberliegenden Flussufer zu hören gewesen sein.

Und nach dem Neujahrsfest war sie Alexander in ein neu eröffnetes Tanzlokal am Heumarkt gefolgt, wo er sie nach einer feurigen Polka das erste Mal auf die Wange geküsst und sie beim Abschied diesen Kuss zitternd erwidert hatte. Dem viele weitere gefolgt waren. Erst sanfte, unschuldige und dann innige, hingebungsvolle Küsse, die in ihr die Hoffnung geweckt hatten, dass Alexander es ernst meine und ihr schon bald einen Antrag machen werde.

Ihr Herz tat vor Freude einen Sprung, als sie den Freund auf sich zueilen sah. Schon von Weitem hatte sie ihn an seiner grauen Filzmütze erkannt, die immer ein wenig schief auf dem zerzausten Haar saß. Die Seiten seines nur halb zugeknöpften schwarzen Wollmantels sprangen bei jedem Schritt auf.

»Mein edles Fräulein, darf ich wagen, Ihnen meinen Arm und Geleit anzutragen?«, fragte er gut gelaunt und überdeutlich, sodass alle Vorbeikommenden es hören konnten. »Goethes Faust, mein Lieblingstheaterstück«, raunte er ihr schmunzelnd zu.

An seinem Augenzwinkern war zu erkennen, dass er viel lieber ihre Taille umfasst, sie hochgehoben und herzhaft geküsst hätte. Doch sie befanden sich in der Öffentlichkeit, wo es die Regeln des Anstandes und der Schicklichkeit zu wahren galt. So jedenfalls hatte Dorothea es dem Freund eingeschärft, nachdem er sie einmal beim Abschied leichtfertigerweise beinahe umarmt hätte. Ein älterer Mann blieb stehen und betrachtete die formvollendete Begrüßungsszene mit wohlwollendem Nicken. Mit der Linken nahm Alexander die Mütze vom Kopf und hielt sie sich vor die Brust. Dabei konnte er gerade noch verhindern, dass seine abgewetzte braune Ledertasche, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, zu Boden fiel.

Mit der Rechten griff er nach Dorotheas Hand, neigte sich mit einer schwungvollen Bewegung vornüber und hauchte einen Luftkuss in gefährlich geringem Abstand auf ihren Handrücken. Er senkte die Stimme. »Du siehst hinreißend aus, meine Liebste. Trägst du heute wieder dieses hellblaue Mieder, das ich beim letzten Mal durch einen offen stehenden Knopf an deiner Bluse schimmern sah? Ich möchte unbedingt herausfinden, was sich unter dem Mieder befindet.« Er grinste frech und weidete sich an ihrer Verlegenheit.

»Alexander! Wie kannst du so etwas sagen? Du solltest dich schämen«, zischelte Dorothea ihm zu und blickte sich verstohlen nach allen Seiten um. Hoffentlich hatte niemand der Passanten diese anzüglichen Worte gehört.

»Schämen? Weil ich die Wahrheit gesprochen habe? Niemals!«

»Hast du mich etwa hierher bestellt, um mir das zu sagen?«

»Um ganz ehrlich zu sein … nein. Aber nun komm, ich erzähle dir alles im Gewächshaus.«

Dorothea runzelte die Stirn, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas missfiel. Sie räusperte sich und sprach nunmehr laut und klar. »Mein Herr, mir ist es ebenfalls eine Freude.« Mit erhobenem Kopf und energischen Schritten eilte sie auf das verschnörkelte Eisentor zu.

Die Gartenanlage im Schatten der Dombaustelle erstreckte sich zwischen Marzellenstraße, Trankgasse, Hexengässchen und Maximinenstraße. Gern erinnerte Dorothea sich an einen Ausflug, den sie und ihre Klassenkameradinnen mit Schwester Hildegardis, die an der Nonnenschule in der Kupfergasse Pflanzenkunde unterrichtete, hierher unternommen hatten.

Alexander, der Dorothea um anderthalb Köpfe überragte, musste sich sogar beeilen, mit ihr Schritt zu halten. Er reichte ihr seinen Arm, den sie jedoch absichtlich und mit vorgestrecktem Kinn übersah.

»Nun sei mir nicht gram, holde Schönheit. Ich habe es doch nicht böse gemeint, ich wollte dir ein Kompliment machen.« In gespielter Verzweiflung legte er sich beim Gehen eine Hand aufs Herz, die andere hob er wie zum Schwur. Dabei rutschte seine Tasche zu Boden, zahlreiche eng beschriebene Papierbögen verteilten sich auf dem Kiesweg.

»Siehst du, die Strafe folgt auf dem Fuß.« Obwohl Dorothea nicht zur Schadenfreude neigte, sah sie doch mit einiger  Genugtuung zu, wie der Freund leise fluchend die Blätter einsammelte und in die Tasche packte. Beim Weitergehen tat er auf einmal einen Satz zur Seite und konnte gerade noch verhindern, in einen frischen Hundehaufen zu treten. Bürger Kölns, schützet diese Anlage und haltet die Wege frei von menschlichem Kehricht und Hundekot, war auf einer Warntafel  zu lesen, die unmittelbar am Wegrand aufgestellt worden war.

Alexander deutete feixend auf das Schild und tippte sich an die Mütze. »Also gut, meine Liebste, jetzt sind wir quitt. Darf ich dich ins Kurhaus zu einem Glas Mineralwasser einladen? Als Ausdruck meiner tief empfundenen Reue. Außerdem habe ich eine entsetzlich trockene Kehle. Ich muss dringend etwas trinken.«

Dorothea vergaß ihren anfänglichen Unmut und musste plötzlich über Alexanders zerknirschte Miene lachen. »Meine Großmutter hat immer gesagt, es bringe Glück, wenn man in einen Hundehaufen tritt. Du hättest vielleicht doch nicht ausweichen sollen.«

Im Schutz vor dem scharfen Wind schritten sie an einer efeuumrankten, verwitterten Steinmauer einträchtig nebeneinander her. Das Kurhaus, ein hell getünchter Bau mit umlaufenden Säulen, galt neben dem beheizten Gewächshaus als Attraktion des Botanischen Gartens. Vor allem in den Sommermonaten lockte er zahlreiche Ausflügler aus Köln und Umgebung an. Das Kurhaus war auch zur Winterzeit gut besucht. Die meisten Gäste wohnten oder arbeiteten in der Nachbarschaft. Sie kamen vor allem, um mit Mattes zu plaudern. Der Inhaber der Gaststätte wusste über alles und jeden in der Stadt Bescheid und pflegte beste Kontakte sowohl zu den Honoratioren als auch zu manch zwielichtigen, polizeibekannten Gestalten. Was jedoch keine der beiden Parteien störte.

Mattes hieß mit Vornamen eigentlich Alfons Matthias, stammte aus dem Severinsviertel im Süden der Stadt und war ein schwergewichtiger Sechseinhalbfuß-Mann mit einem Gesicht wie eine englische Bulldogge. Er verzog den Mund und zeigte eine breite Zahnlücke, als Alexander und Dorothea zu ihm an den Tresen traten.

»Schau an, der Herr Weinsberg! Lange nicht gesehen. Was macht die Schreibkunst? Wird die Kölnische Zeitung bald einen neuen Chef bekommen?«

Alexander grinste zurück. »Aber Herr Krautmacher, ich habe doch erst vor einem Jahr angefangen. Doch wer weiß, ob ich noch lange über Ratssitzungen, Taubenzüchtervereine und gestohlene Schubkarren schreiben werde.« Bei diesen Worten zwinkerte er Dorothea zu, die abermals die Stirn runzelte.

»Oho, Sie streben also doch nach Höherem … Wusste ich’s doch. Aber bleiben Sie ruhig weiterhin in der Lokalredaktion. Ist ’ne ehrlichere Arbeit, als über Politik zu berichten. Unter den Zeitungsleuten gibt es jede Menge Opportunisten. Drehen sich wie die Fähnchen im Wind und reden denen da oben nach dem Mund. Scheren sich keinen Deut um die Not der kleinen Leute.« Der Wirt griff nach einem karierten Leinentuch und machte sich ans Abtrocknen der Biergläser. Mit jedem Glas redete er sich mehr in Rage. »Sehen Sie sich doch bei uns im Lande um! Seit Jahren Missernten, immer mehr Maschinen in den Fabriken, die den Arbeiter ersetzen, die Reichen zahlen kaum Steuern … Die Menschen verlieren zuerst ihre Arbeit und dann ihre Hoffnung. Irgendwann platzt denen der Kragen. Sie werden Barrikaden errichten und Häuser anzünden. Und wenn in Deutschland alles den Bach runtergeht, dann kann ich meinen Laden hier dichtmachen.«

»Sie dürfen nicht immer alles gleich so schwarz sehen, Herr Krautmacher. Unruhen hat es bisher nur in Berlin und in Wien gegeben. Also weit weg von Köln. Wie pflegte mein Großvater zu sagen? Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.« Alexander erntete erst einen verdutzten Blick, dann ein dröhnendes Gelächter.

»Ja, ja, ich verstehe. Sie wollen damit sagen, der olle Krautmacher, der soll mal nicht immer so viel von Politik schwadronieren … Also gut, wechseln wir das Thema. Was wünschen die Herrschaften zu trinken?«

»Ein Mineralwasser für die charmante junge Dame an meiner Seite und für mich ein Bier.«

Mattes Krautmacher füllte zwei Gläser und stellte sie schwungvoll auf die Theke. Dann beugte er sich augenzwinkernd vor und legte Alexander vertraulich die Hand auf den Arm. »Da haben Sie sich aber ein lecker Mädchen angelacht«, raunte er. »Auf die müssen Sie gut aufpassen. Bevor ein anderer das zarte Röslein pflückt.«

Dorothea ärgerte sich, dass ihr auf die taktlosen Worte des Wirtes keine passende Antwort einfiel. Sie hasste es, wenn jemand auf ihre Kosten mehrdeutige Anspielungen machte. Mit eisiger Miene nahm sie die beiden Gläser und trug sie an einen Tisch im hinteren Teil des Lokals, wo ein Kohleofen behagliche Wärme verströmte. Sie legte Mantel und Muff ab, behielt jedoch den Hut auf. Alexander nahm neben ihr Platz und erhob das Glas.

»Auf uns.«

Innerlich jubelte Dorothea  – ganz gewiss würde sich Alexander ihr erklären wollen. Aber warum nicht hier, warum sollte sie unbedingt noch mit ins Gewächshaus kommen? Nachdem sie einen ersten Schluck zu sich genommen hatten, ließ sie es zu, dass Alexander unter dem Tisch ihre Hand ergriff und sanft drückte. Zuvor hatte sie sich vergewissert, dass niemand von den Gästen diese Vertraulichkeit beobachten konnte. Die ersehnte Berührung verursachte ihr eine Gänsehaut.

Die Haare des Freundes standen wirr in alle Richtungen ab. Wie gern hätte sie ihm mit den Fingern durch die Locken gestrichen, die Wange gegen seinen Kopf gelegt und den Duft seines Rasierwassers gerochen, das an eine Mischung aus Leder, Seife und Thymian erinnerte. Sie hatte ihn seit der letzten Begegnung vor einer Woche vermisst. Schrecklich vermisst.

»Danke, dass du gekommen bist, Dorothea. Welche Ausrede hast du dir denn für heute ausgedacht?« Um Alexanders Augen tanzten Lachfältchen. Dorothea wurde ernst und schmallippig.

»Ausrede … Wenn du wüsstest, wie streng meine Mutter ist. Manchmal denke ich, sie würde mich am liebsten auf Schritt und Tritt beobachten. Sie ist entsetzlich misstrauisch und immer nur um den guten Ruf der Familie besorgt. Als ob ich nicht weiß, was ich tun oder lassen muss. Schließlich bin ich volljährig.« Wie um diesen Satz zu unterstreichen, schlug sie mit der Faust leicht auf die Tischplatte. »Ich habe meiner Mutter sogar wahrheitsgemäß gesagt, wohin ich gehe. Aber ich habe auch erzählt, ich nähme mein Skizzenbuch mit, um zu zeichnen. Das Thema Pflanzen aus aller Welt werde ich nämlich in Kürze mit meinen beiden Schützlingen im Unterricht durchnehmen.«

Alexander nickte anerkennend. »Sehr geschickt, wie du das eingefädelt hast. Übrigens – eine so hübsche und kluge Lehrerin wie dich hätte ich auch gern gehabt.« Seine Hand tastete unter dem Tisch nach ihrem Knie, wanderte den Oberschenkel hinauf. Dorothea hielt für einen Moment den Atem an, als sie seine zärtlichen Fingerkuppen durch den Stoff ihres Kleides spürte. Diese Berührung war eigentlich taktlos, aber zugleich ungefährlich, weil sie im Schutz der Öffentlichkeit stattfand. Sie hätte sie am liebsten noch länger ausgekostet. Doch die Zeit drängte. Sie musste vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein, wollte sie nicht den Zorn ihrer Mutter heraufbeschwören. Sachte kniff sie Alexander in den Handrücken und setzte eine strenge Miene auf.

»Möchtest du mich noch länger auf die Folter spannen, oder darf ich endlich erfahren, warum ich so dringend herkommen sollte?«

Enttäuscht zog Alexander die Hand zurück. »Wie unromantisch du bist, Liebste. Ich hätte meine kleine Erkundungstour gern noch ausgedehnt … aber du hast recht. Das Gewächshaus schließt in einer halben Stunde.« Er griff nach seiner Tasche, half Dorothea in den Mantel und schob sie sanft vor sich her zum Ausgang.

Mattes Krautmacher verdrehte die Augen und lächelte vieldeutig. »Sie haben es aber eilig, Herr Weinsberg. Ja, ja, so jung müsste man noch mal sein …« Alexander schwenkte lachend seine Mütze. Dorothea dagegen war erleichtert, den Anzüglichkeiten des Wirtes zu entkommen.

Draußen waren nur wenige Passanten unterwegs, die den Botanischen Garten während der Öffnungszeiten häufig als Abkürzung nutzten. Dorothea und Alexander wanderten über breite Kieswege zum Gewächshaus. Der imposante Bau aus Stahlstreben und Glas wurde von einem zweistufigen Pagodendach gekrönt. Er erhob sich oberhalb einer Treppe, die in den höher gelegenen Teil der Anlage führte.

Dorothea deutete ungeduldig auf den gläsernen Palast, in dessen Fassade sich die kahlen, knorrigen Bäume der Umgebung spiegelten. »Jetzt hast du mich aber wirklich lange genug rätseln lassen. Ich platze vor Neugier … Verbirgt sich hier drinnen das Geheimnis, das du so dringend lüften möchtest?«

»Du wirst es sofort erfahren, Liebste.« Alexander öffnete die Tür und ließ Dorothea eintreten. Feuchte Wärme schlug ihnen entgegen. Es roch nach Erde und etwas süßlich Fauligem, das Dorothea nicht zuordnen konnte. Hohe Palmen und bizarr geformte Bäume streckten sich dem gläsernen Dach entgegen, über dem sich ein grauer Kölner Winterhimmel spannte. Weiß und rot blühende Pflanzenranken fielen aus unbestimmter Höhe herab, andere kletterten die Stämme hinauf oder krochen über den Boden.

Fragend blickte Dorothea zu dem Freund hinüber. Stand ganz ruhig da, während ihr Inneres vor Erwartung bebte. Endlich würde er mit der Sprache herausrücken und erklären, was ihm so wichtig war. Seltsamerweise schien Alexander nichts von ihrer Anspannung zu spüren. Oder er wollte es nicht bemerken.

»Da entlang, bitte.«

Nur mit Mühe vermochte Dorothea ihre wachsende Ungeduld zu bezähmen. Sie hörte kaum zu, als Alexander ihr erklärte, in welchen fernen Ländern diese Pflanzen zu Hause waren. Auf engen, geschwungenen Pfaden gingen sie weiter, duckten sich unter tief hängenden Zweigen mit tellergroßen, glänzenden Blättern und gelangten zu einem Wasserfall, neben dem eine Holzbrücke einen schmalen Bach überspannte. Feinste Wassertropfen setzten sich auf ihre Gesichter.

»Und, gefällt es dir?« Doch Alexander wartete Dorotheas Antwort gar nicht ab, sondern fuhr begeistert fort: »Ich jedenfalls finde es wunderschön hier. So habe ich mir immer das Paradies vorgestellt. Alles ist grün und trotzdem ganz unterschiedlich gefärbt. Das schmale gefiederte Blatt dort vorn ist von einem gelblichen Grün, das breite gezackte daneben ist viel dunkler und mit etwas Blau vermischt. Manche wirken bräunlich oder sogar silbern … Nun, schlägt das Herz einer Zeichenlehrerin da nicht höher?«

Er blieb vor einem Baum stehen, dessen Blätter an riesige Staubwedel erinnerten. Grüne, leicht gekrümmte Früchte wuchsen von unten nach oben in dicken Stauden. Offenbar war Alexander der Ansicht, ihr zuerst eine Nachhilfestunde in Pflanzenkunde geben zu müssen, bevor er zu seinem eigentlichen Thema kam. Aber Dorothea ließ sich nicht länger hinhalten. Trotzig zückte sie ihr Skizzenbuch, konzentrierte sich ganz auf ihr Objekt und zeichnete drauflos. Dabei drückte sie den Stift so fest auf das Papier, dass die Spitze abbrach. Verärgert über ihre Ungeschicklichkeit, suchte sie in der Manteltasche nach einem frischen Stift.

»Das ist ein Bananenbaum. Wenn die Früchte gelb geworden sind, kann man sie essen«, erklärte der Freund und kam nun richtig in Schwung. »Bananen wachsen in Mittelamerika, und zwar in Costa Rica, in einem Land, das bisher kaum erforscht wurde. Ein deutscher Wissenschaftler mit Namen Alexander von Humboldt hat vor fast fünfzig Jahren die Nachbarstaaten bereist und seine Erinnerungen aufgeschrieben. Mein Patenonkel hat ihn auf einer seiner Expeditionen begleitet.«

Dorothea hielt inne und ließ den Stift ruhen. Sie erinnerte sich vage daran, von solchen Forschungsreisen schon einmal gelesen zu haben, und hörte plötzlich aufmerksam zu.

»Als ich ein kleiner Junge war, hat mir Onkel Johannes oft von seinen Abenteuern erzählt. Damals habe ich beschlossen, auch einmal auf Reisen zu gehen. In ein fernes, unbekanntes Land.«

Sie nickte, ohne recht zu begreifen. Warum erzählte er ihr das alles? Warum rückte er mit seinem eigentlichen Anliegen nicht heraus und spannte sie unnötig auf die Folter?

»Und jetzt kommt, was ich dir sagen wollte.«

Dorothea wagte nicht zu atmen. Würde er sich endlich erklären? Ihr einen Antrag machen, sie aus dem ungeliebten Elternhaus befreien und in eine goldene Zukunft führen?

Mit lebhaften Gesten sprach Alexander weiter. »Stell dir vor, Liebste, mein Kindheitstraum wird sich erfüllen. Ein berühmter Verleger in Berlin hat mir ein Angebot gemacht. Ich soll in seinem Auftrag nach Costa Rica reisen und das Land erkunden. Und danach ein Buch über meine Erlebnisse schreiben. Ist das nicht großartig?«

Schweigend stand Dorothea da, fühlte sich wie vom Donner gerührt. Eisige Kälte breitete sich in ihrem Innern aus. Dann öffnete sie den Mund, hob zum Sprechen an und verstummte gleich darauf. Sie hüstelte, räusperte sich. »Ja, aber … Mittelamerika, das ist so unendlich weit weg. Und außerdem … wie lange wirst du fort sein?« Ihre Stimme klang brüchig und rau.

»Je nachdem, anderthalb Jahre, vielleicht auch zwei. Auf jeden Fall wird die Arbeit gut bezahlt. Die Reisespesen sind ebenfalls überaus großzügig bemessen. Ich würde mehr als das Doppelte dessen verdienen, was ich bei der Zeitung bekomme. Und am Verkauf des Buches wäre ich auch beteiligt. Solche persönlichen Reiseberichte sind derzeit hoch in Mode. Je exotischer das Ziel, desto größer die Leserschaft. Mit etwas Glück werde ich womöglich sogar berühmt … Aber was ist, Dorothea, warum ziehst du ein solches Gesicht? Freust du dich denn gar nicht?« Alexander legte ihr eine Hand auf die Schulter, mit der anderen hob er ihr Kinn an. Mit ratloser Miene suchte er ihren Blick.

Dorothea gab sich keine Mühe mehr, die Tränen zurückzuhalten. Sie rannen ihr über die Wange, sammelten sich am Kinn. Was war sie doch für ein Kindskopf. Das also war der Grund, warum er sich mit ihr treffen wollte. Um ihr zu sagen, dass sie sich zwei Jahre nicht mehr sehen würden. Eine Zeit, viermal so lang wie die Dauer ihrer Bekanntschaft. Während er ein fernes, unerforschtes Land erkunden würde, würde sie allein in Köln zurückbleiben und ihr langweiliges tägliches Einerlei leben.

Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr sie, und sie fühlte, wie ihr Herzschlag für einen Moment aussetzte. Ganz bestimmt hätte Alexander sie bald vergessen. Warum sollte er noch irgendeinen Gedanken an sie verschwenden? Schließlich war sie nur eine unbedeutende kleine Hauslehrerin. Sicherlich würde er in der Fremde eine andere kennenlernen. Eine feurige, wunderschöne, reiche Frau. Eine indianische Prinzessin vielleicht, sofern es in jenem Land Indianer gab. Und das halbe Jahr, das sie beide miteinander verbracht hatten, ihre Geheimnisse, die sie sich gegenseitig anvertraut hatten, ihr Lachen, ihre Küsse, ihre Zärtlichkeiten – das alles würde nicht mehr zählen. Wäre nur ein Traum gewesen. Eine Selbsttäuschung. Ein Hirngespinst.

Sie zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und wischte sich über die Augen. Ein heftiges Schluchzen schüttelte sie, und ihre Schultern bebten. Ihre ganze Traurigkeit und ihren ganzen Schmerz wollte sie laut hinausschreien, doch es kam nur ein Krächzen zustande.

»Aber Dorothea, warum weinst du? Ich glaube, du hast mich nicht richtig verstanden.« Ratlos blickte Alexander auf sie herab und schüttelte den Kopf. Und dann, nach mehreren heftigen Schluchzern, brach es unvermittelt aus Dorothea heraus.

»Also gut, wenn du meinst … Ich verstehe dich also nicht. Dann hast du ja einen Grund mehr, von hier wegzugehen. Ich sehe das Buch schon vor mir: Alexander Weinsberg. Costa Rica  – Abenteuer in einem fernen, unbekannten Land. Du wirst reich und berühmt werden, und die Frauen werden dir zu Füßen liegen. Meinen Glückwunsch! Und was aus mir wird – das kann dir gleichgültig sein.«

Sie schlug sich die Hand vor den Mund und hielt erschrocken inne. Was war nur in sie gefahren? Ihr schien, als redete in Wirklichkeit nicht sie, sondern eine völlig andere Person. Doch beim Gedanken an Alexanders Worte flossen ihre Tränen von Neuem. Sie griff sich an den Hals, fürchtete, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Im nächsten Moment drehte sie sich jäh um, rannte über den engen Pfad zum Ausgang. Herabhängende Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Immer schneller lief sie, hörte das rhythmische Klacken ihrer Stiefeletten auf den steinernen Platten.

Kurz bevor sie das Ende des Weges erreicht hatte, rutschte sie auf dem feuchten Untergrund aus. Dabei stolperte sie über eine Stufe, die sie zu spät erkannt hatte. Sie fiel zu Boden, konnte sich gerade noch rechtzeitig mit den Händen abstützen und verhindern, dass sie mit dem Kopf aufschlug. Benommen blieb sie liegen und wünschte sich, nicht mehr zu sein.

Wie von ferne vernahm sie Alexanders Stimme. »Dorothea, hörst du mich? Warum antwortest du mir nicht?«

Behutsam richtete er sie auf und legte ihr den Arm um die Schultern, streichelte ihr über die Wange. Sie wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu, sah ihn wie durch einen Schleier.

»Mein Liebling, was hast du nur? Willst du denn nicht meine Frau werden und mit mir kommen?«

Februar 1848

»Hier, Fräulein Fassbender, das hab ich für dich gemalt. Kannst du erkennen, was es ist?« Maria, der achtjährige Wirbelwind, lachte laut und zeigte eine breite Zahnlücke. Mit ihren farbverschmierten Händen schob sie ein Stück Papier über den Tisch und blickte Dorothea erwartungsvoll an.

»Das heißt Sie, du Dummliesel. Das hab ich für Sie gemalt. Ein Mädchen in deinem Alter sollte das doch längst wissen.« Moritz, ein schmächtiger Knabe, stemmte die Hände in die Hüften und machte sich so lang, wie es einem zwölfjährigen Jungen nur möglich war. Dabei zog er die Brauen hoch und setzte eine herablassende Miene auf.

Dorothea wusste sogleich, wem er diese Pose abgeschaut hatte. Seinem Vater nämlich, dem Inhaber der Anwaltskanzlei  Rodenkirchen und Rodenkirchen, die er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder in einem eleganten Stadthaus am Alten Markt betrieb. Anton Rodenkirchen, Dorotheas Dienstherr, der Vater von Maria und Moritz, neigte zu einer gewissen Großspurigkeit. Weshalb Dorothea vermutete, er wolle mit dem lauten Gehabe lediglich von seiner geringen Körpergröße ablenken. Denn der überaus eitle Herr Advokat reichte ihr trotz erhöhter Schuhsohlen gerade einmal bis zum Kinn.

Tadelnd blickte Moritz auf seine Schwester hinunter. »Putz dir endlich die Nase. Das Geschniefe ist ja nicht zum Aushalten. Und etwas deutlicher könntest du auch sprechen.« Er zog ein zerknülltes Leintuch aus dem Wams und hielt es Maria hin. Die schüttelte nur den dunklen Lockenkopf und wischte sich mit dem Ärmel ihres hellblauen Musselinkleides über das Gesicht.

»Bäh, den Lappen nehme ich nicht. Der ist ja dreckig … Nun sag schon, Fräulein Lehrerin, was siehst du auf dem Bild?«

Wegen ihrer zwei fehlenden Vorderzähne sprach Maria seit einigen Tagen in einem drolligen Lispelton, der Dorothea zu einem unwillkürlichen Lächeln veranlasste. Rasch wandte sie sich zur Seite, damit ihre Zöglinge nichts bemerkten. Sie zog ein frisch gebügeltes Taschentuch für die Kleine aus ihrer Rocktasche. Maria schnaubte kräftig hinein und stopfte sich das Tuch nachlässig ins Mieder.

Dorothea drehte das Bild in den Händen und betrachtete das Liniengewirr mit zusammengekniffenen Augen. Sagte sie etwas Falsches, so wäre Maria enttäuscht und würde womöglich die Abendmahlzeit verweigern. Und Moritz könnte sich wieder einmal als der überlegene ältere Bruder bestätigt fühlen. Ohnehin war er der Stolz des Vaters, der viel lieber zwei Jungen gehabt hätte und mit der quirligen Tochter wenig anfangen konnte. Aber Dorothea mochte die fröhliche, unbekümmerte Kleine, die so offensichtlich um Aufmerksamkeit und Lob buhlte.

»Lass einmal sehen, es könnte vielleicht …« Dorothea blinzelte über den Blattrand und achtete genau auf Marias Gesichtsausdruck. »… es könnte ein Engel sein …« Das Mädchen zog einen Flunsch und schniefte, fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase. Dorothea dachte angestrengt nach, ob sie in den letzten Unterrichtsstunden ein Thema durchgenommen hatte, das der Kleinen besonders gut gefallen hatte. Ja, natürlich, sie hatte den Kindern von Maria Sibylla Merian erzählt, die vor hundertneunzig Jahren schon als junges Mädchen Seidenraupen gezüchtet hatte.

Maria hatte mit offenem Mund dagesessen und nicht genug von der Entwicklung der Schmetterlinge und vom Leben der Forscherin hören können. Im elterlichen Bibliothekszimmer fand sich sogar eine handsignierte Erstausgabe des dreibändigen Werkes Der Raupen wunderbare Verwandlung und Blumennahrung. Die zahlreichen farbenprächtigen Abbildungen hatten es der Kleinen besonders angetan. Dorothea sprach langsam weiter.

»Aber nein, es ist kein Engel, dazu sind die Flügel viel zu zart … Jetzt weiß ich es. Es ist ein Schmetterling, richtig? Und du hast ihn wunderschön gezeichnet.«

Maria verzog den Mund zu einem stolzen Lächeln und klatschte in die Hände. »Siehst du, Moritz? Im Malen bin ich viel besser als du.«

Ihr Bruder warf einen abschätzigen Blick auf das Blatt Papier. »Das ist ein blödes Gekrakel. Einen Schmetterling erkenne ich jedenfalls nicht darin. Den hat unsere Lehrerin auch nur geraten. Außerdem mag sie mich viel lieber als dich.  Bitte, Fräulein Fassbender, sagen Sie, dass ich recht habe.«

»Solche Worte will ich nicht hören, das weißt du ganz genau.« Dorotheas Stimme klang scharf. »Ich mag euch beide und bevorzuge niemanden. Wo Lob angebracht ist, muss es auch ausgesprochen werden. Maria hat sich viel Mühe gegeben. Vergiss nicht, Moritz, sie ist vier Jahre jünger als du. Sie bewundert ihren großen Bruder. Du dürftest ihr ruhig öfter ein freundliches Wort sagen.«

Moritz hielt sich die Ohren zu und begann laut zu singen. Plötzlich griff er nach der Dose mit den Malstiften und stieß sie über die Tischkante. Die Stifte landeten auf dem farbenprächtigen orientalischen Teppich. Ein mehr als hundert Jahre altes und seltenes Exemplar aus Täbriz, wie die Hausherrin jedem Besucher unaufgefordert erzählte. Maria schluchzte laut auf und lief zu Dorothea, suchte in deren Rockfalten Schutz.

»Moritz ist so gemein. Immer muss er mich ärgern.«

»Heulsuse, Heulsuse!« Moritz hüpfte auf einem Bein um den Tisch herum und schnitt Grimassen. Gerade als er sich anschickte, auf den Stiften herumzutreten, betrat Frau Rodenkirchen das Zimmer. Ihre für eine Frau ungewöhnlich tiefe Stimme bebte.

»Was ist denn das für ein Lärm?« Agnes Rodenkirchen war mit Fug und Recht eine stattliche Erscheinung zu nennen. Ihren Ehemann überragte sie um Haupteslänge, ihre Leibesfülle wies im Vergleich zu der ihres Angetrauten sicher den doppelten Umfang auf. Sie stammte von einem Adelsgut aus dem Bergischen Land und ließ gern durchblicken, dass sie eigentlich unter ihrem Stand geheiratet hatte. Einzig und allein der Liebe wegen, wie sie mit leisem Seufzen und kokettem Augenaufschlag zu bekunden pflegte.

Aber Dorothea hatte mittlerweile von der Köchin erfahren, dass es bei dieser Ehe weniger um Zuneigung als um eine Vereinbarung unter Geschäftspartnern gegangen war. Anton Rodenkirchen hatte Agnes’ Vater in einer heiklen Angelegenheit, in der es um Ländereien und hohe Geldsummen ging, vor Gericht vertreten und einen Urteilsspruch zugunsten des Grafen erwirkt.

Ein halbes Jahr später war Anton Rodenkirchen mit der ältesten Tochter seines Mandanten verheiratet gewesen, wohnte in einem hochherrschaftlichen Haus an einer der ersten Adressen Kölns und ging in den erlauchtesten Kreisen ein und aus. Seine Klientel bestand vornehmlich aus Ratsherren, Ärzten und Geistlichen.

Maria und Moritz schrien nun ständig durcheinander, gingen aufeinander los und zerrten sich gegenseitig an den Haaren.

»Der Moritz ist schuld …«

»Gar nicht wahr, die blöde Ziege lügt …«

»Gemeinheit …«

Dorothea trennte die beiden Streithähne. »Bitte, Kinder, vertragt euch! Frau Rodenkirchen, wenn ich dazu etwas sagen darf …«

»Danke, das ist nicht nötig. Wem gehören die Stifte? Dir, Maria? Dann hebst du sie auch auf. Keine Widerrede! Und du, Moritz, wäschst dir die Hände und ziehst dich um. Du weißt, du darfst deinen Vater heute zu einem Klavierabend bei Baron Mansfeld begleiten. Es heißt, an seiner Frau sei eine Pianistin verloren gegangen. Wie bedauerlich, dass ich euch nicht begleiten kann. Ich fühle mich … unpässlich.«

Unpässlich fühlte Agnes Rodenkirchen sich immer dann, wenn sie Menschen aus dem Weg gehen wollte, die sie nicht leiden konnte. Und Baronin Mansfeld und sie waren Erzfeindinnen, wie die redselige Köchin Dorothea einmal anvertraut hatte. Einen Grund dafür konnte sie allerdings nicht nennen.

Moritz schnitt eine Grimasse und streckte seiner Schwester die Zunge heraus. Dann stolzierte er hoch erhobenen Hauptes in sein Zimmer. Maria presste die Lippen aufeinander und blickte hilfesuchend zu ihrer Lehrerin auf. Als diese bedauernd die Schultern hob und kaum merklich nickte, sammelte die Kleine schließlich die Stifte ein. Dabei fielen einige Tränen auf den Teppich.

Am liebsten hätte Dorothea das Kind in die Arme genommen und getröstet. Doch es stand ihr nicht zu, sich in die Erziehungsprinzipien der Mutter einzumischen. Als Lehrerin war sie lediglich für Deutsch, Rechnen, Malen und Singen zuständig. Außerdem durfte Dorothea es sich mit den Rodenkirchens nicht verderben. Schließlich war sie auf das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber angewiesen. Trotzdem ärgerte sie sich über die Hartnäckigkeit, mit der die Familie stets den hochnäsigen Moritz bevorzugte. In einem unbeobachteten Moment, ohne dass die Mutter etwas davon mitbekam, steckte Dorothea der Kleinen eine Pfefferminzpastille zu. Augenblicklich hellte die Miene des Mädchens sich auf.

»Ach, kommen Sie doch für einen Moment in den Salon, Fräulein Fassbender. Sie müssen mir unbedingt erzählen, welche Fortschritte die beiden Kinder in letzter Zeit gemacht haben. Wie lange sind Sie bei uns inzwischen in Stellung? Ein halbes Jahr?«

Agnes Rodenkirchen ging gemessenen Schrittes voraus und prüfte dabei den Sitz ihres untadelig aufgesteckten gelbblonden Haares. Sie wies Dorothea einen jener zierlichen französischen Sessel an, wie sie seit Kurzem in den besseren Kreisen in Mode gekommen waren. Die Dame des Hauses hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich nach Paris zu reisen und die Möbel beim Hoflieferanten des mittlerweile von seinem Volk davongejagten Königs Louis-Philippe in Auftrag zu geben. Auch der marmorne Kamin mit dem darüber hängenden goldgerahmten Spiegel und ein Nussbaumsekretär mit Perlmuttintarsien zeugten von französischer Herkunft.

Denn wer etwas auf sich hielt  – und das taten Anton Rodenkirchen und seine Frau Agnes –, der orientierte sich an den Gepflogenheiten des westlichen Nachbarlandes. Insbesondere daran, was am französischen Hof angesagt war, mochte der deutsche Adel auch noch so sehr darum eifern, in Stilfragen den Untertanen ein Vorbild zu sein. Die Gefälligkeit und Leichtigkeit der Franzosen in Bezug auf Möbel, Musik und Mode übertrumpften bei Weitem die deutsche Behäbigkeit. Feindgefühle hin, Feindgefühle her. Und die hegten nach wie vor so manche ältere Bürger, die die unselige Zeit noch in lebhafter Erinnerung hatten, als napoleonische Truppen ins Rheinland einmarschierten und den Besiegten ihre Gesetze aufnötigten. Aber um Politik hatten die Rodenkirchens sich ohnehin nie geschert.

Dorothea setzte sich auf die Sesselkante und überlegte, wie ihre Dienstherrin wohl in einem derart schmalen Sitzmöbel Platz nehmen wollte. Doch Agnes Rodenkirchen wählte das Sofa, in dem sie wie eine schwere Last versank. Ihr resedafarbenes Seidenkleid bildete einen reizvollen Farbkontrast zu dem dunkelblauen Bezugsstoff mit eingewebten Rosenblüten, wie Dorotheas geschultes Auge sogleich feststellte.

»Gnädige Frau, ich stehe seit nunmehr neun Monaten in  Ihren Diensten, und ich muss sagen, beide Kinder haben große Fortschritte gemacht. Moritz beherrscht mühelos das große Einmaleins, auch das Lesen ist viel flüssiger geworden. Und Maria ist sehr eifrig und strengt sich bewundernswert an. Ein echter Sonnenschein. Malen und Singen liegen ihr besonders.«

Dorothea lächelte über ihre Zweifel hinweg, dass diese Kinder jemals herausragende schulische Leistungen erbringen würden. Maria war liebenswert und anlehnungsbedürftig, aber ihr fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Nur wenn es sich um Tiere handelte, hörte sie aufmerksam zu. Sonst aber ließ sie sich leicht ablenken, wollte lieber herumtollen als still sitzen. Weswegen Dorothea ihren Eltern den Vorschlag machen wollte, den Unterricht bei schönem Wetter im Garten abzuhalten und ihn zwischendrin durch Bewegungsspiele aufzulockern.

Moritz war nicht dumm, aber faul. Er hatte wenig Lust, Diktate zu schreiben oder seine Rechenaufgaben zu machen. Immer wieder musste Dorothea mit Engelszungen auf ihn einreden. Allerdings war sein Selbstbewusstsein nicht zu erschüttern. Während die meisten Jungen in seinem Alter davon träumten, Ritter oder Entdecker zu werden, sah er sich schon als Bürgermeister oder reichen Fabrikbesitzer, umgeben von einer Schar von Dienstboten.

Agnes Rodenkirchen nickte zufrieden und lehnte sich gegen ein Sofakissen, wobei ihr das eng geschnürte Korsett eine nur mäßig komfortable Haltung erlaubte. »Ich habe den  Eindruck, die Kinder kommen mit Ihnen sogar besser zurecht als mit den Hauslehrern, die wir vorher hatten. Obwohl ich zunächst meine Zweifel hatte, waren sie doch noch nie von einer Frau unterrichtet worden. Obendrein sind Sie ja noch recht jung und unerfahren, Fräulein Fassbender …«

Dorothea straffte die Schultern, und Agnes Rodenkirchen schickte ihren Worten rasch ein begütigendes Lächeln hinterher.

»Aber mein Mann hat sich von Ihren hervorragenden Zeugnissen vereinnahmen lassen. Wissen Sie, mein Gatte und ich, wir möchten Moritz und Maria auf keine Schule schicken, in der sie mit Arbeiterkindern oder sonstigem Gesindel die Bank teilen müssen. Wer weiß, auf welch unselige Gedanken sie dann kämen? Und ganz sicher würden sie Flöhe mit nach Hause bringen oder sich die Krätze holen.«

Sie schüttelte sich und rieb sich den Arm, als wäre sie bereits von einem Parasiten gebissen worden. Als sie Dorotheas befremdeten Blick bemerkte, legte sie ihre fleischige, goldberingte Hand auf die Sofalehne zurück und verfiel in einen Plauderton.

»Nun, mit Moritz hat noch nie ein Lehrer Mühe gehabt. Von Ihnen spricht er übrigens in letzter Zeit geradezu schwärmerisch … Als Mutter bin ich womöglich voreingenommen, aber ich sehe durchaus die überragenden Talente, die der Junge besitzt. In einigen Jahren wird er in die Kanzlei meines Mannes eintreten. Maria … nun ja, sie ist ein niedliches Dummerchen.« Frau Rodenkirchen machte eine Handbewegung, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. »Doch wozu soll ein Mädchen sich allzu sehr mit dem Lernen plagen? Sie wird einmal ihrem Mann den Haushalt führen und die Dienstboten beaufsichtigen. Wie es sich für eine Frau ihres Standes gehört. Ich meine allerdings, Sie als Lehrerin sollten etwas strenger mit ihr sein und nicht jeder Laune nachgeben. Sonst tanzt sie uns womöglich eines Tages auf der Nase herum.«

Die Kleine braucht vor allem Zuwendung und Ermunterung, weil sich alles nur um ihren angeblich so begnadeten älteren Bruder dreht, wollte Dorothea entgegnen, doch sie schluckte die Antwort rasch hinunter. Vermutlich wäre es gar nicht einmal das Schlechteste, wenn die beiden in eine Schule gingen und Klassenkameraden hätten, mit denen sie spielen oder auch streiten könnten, kam ihr plötzlich in den Sinn.

Sie selbst war als Kind jedenfalls froh gewesen, den Vormittag mit Gleichaltrigen verbringen zu dürfen. Zwar gaben die Nonnen sich streng, und das Lernen bei ihnen war kein Honigschlecken. Doch selbst die allseits gefürchteten Klassenarbeiten empfand Dorothea immer noch angenehmer, als daheim die wechselnden Launen ihrer Mutter ertragen zu müssen, der sie nie etwas recht machen konnte.

Dorothea drängte ihre trüben Gedanken beiseite und suchte nach einer klaren und zugleich unverfänglichen Antwort. »Ich unterrichte Maria gern, Frau Rodenkirchen. Ihre Tochter ist ein fröhliches und höfliches Kind. Offensichtlich kommt sie ganz nach ihrer liebenswerten Frau Mutter.«

Geschmeichelt blickte Agnes Rodenkirchen auf und reckte den Hals. »Nicht wahr, das haben Sie sehr richtig beobachtet, Fräulein Fassbender. Maria und ich sind uns vom Wesen her recht ähnlich … Ach ja, noch etwas. In der Woche vor Ostern fahre ich mit den Kindern auf unseren Landsitz nach  Wermelskirchen. Meine jüngste Schwester heiratet, und ich will ihr bei den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zur Seite stehen. Wir werden insgesamt vierzehn Tage dort bleiben. Somit können Sie ebenfalls Ferien machen und  ausspannen. Selbstverständlich zahlen wir Ihr Gehalt weiter.«

So verlockend diese Vorstellung war, so sehr fürchtete Dorothea, zwei Wochen untätig zu Hause verbringen zu müssen. Doch vielleicht konnte sie nach längerer Zeit wieder einmal ihre Patentante in Deutz besuchen, auch wenn dies den Eltern sicher nicht gefallen würde. Tante Katharina war alleinstehend und würde sich über ein wenig Abwechslung sicher freuen. Mit ihr zusammen würde sie einige unbeschwerte Tage verbringen, ganz ohne die üblichen mütterlichen Reglementierungen.

Agnes Rodenkirchen erhob sich erstaunlich behände und streckte Dorothea die Hand entgegen. »So leben Sie wohl, Fräulein Fassbender. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich muss der Köchin Anweisungen für das Abendessen geben.«

»Vielen Dank, gnädige Frau.« Dorothea griff nach ihrem Hut und dem Mantel, die die Zofe auf der Kommode für sie bereitgelegt hatte. Leise zog sie die Wohnungstür hinter sich ins Schloss und sprang die Stufen hinunter. Das Klacken ihrer Absätze hallte durch das weite, mit schneeweißem Marmor verzierte Treppenhaus.

Sie hatten sich in Elises Café am Neumarkt verabredet, ließen sich Rosinenkrapfen schmecken und tranken Melissentee. Mit geheimnisvoller Miene griff Alexander in seine braune Ledertasche, zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus und breitete es auf dem Tisch aus. Es war eine knittrige, schon abgegriffene Landkarte. Mit einer Hand deutete er auf den Kupferstich, mit der anderen strich er unter dem Tisch über Dorotheas Knie.

»Hierher werden wir schon bald reisen … Wenn du erlaubst, dass ich den Lehrer spiele … Kolumbus ging im Jahr fünfzehnhundertzwei auf einer Insel vor der Karibikküste vor Anker. Er vermutete dort Goldschätze und nannte das Land Costa Rica, das heißt reiche Küste. Es liegt in der Mitte zwischen Nord- und Südamerika. Im sechzehnten Jahrhundert wurde Costa Rica von den Spaniern erobert. Sie schleppten Krankheiten ein, an denen Zigtausende der indianischen Ureinwohner starben. Die meisten der heutigen Bewohner sind Nachfahren europäischer Einwanderer. Ein wesentlich kleinerer Anteil sind Indios.«

Mit glühenden Wangen sog Dorothea jedes Wort in sich ein. Sie zog die Karte näher zu sich heran und blickte auf den schmalen Streifen Land, versäumte vor lauter Aufregung, Alexander wegen seiner ungehörigen Tuchfühlung zu schelten. Der setzte voller Elan seine Erklärungen fort.

»Dieser Kupferstich ist leider ziemlich ungenau. Die Region ist kartografisch noch längst nicht vollständig erfasst. Costa Rica hat Strände, Berge, Seen, Vulkane – und nur zwei Jahreszeiten. Eine Regen- und eine Trockenzeit. Selbst im Hochland, wo die großen Kaffeeplantagen liegen, fallen die Temperaturen nie unter zwanzig Grad. Und dies« – er tippte mit dem Zeigefinger auf verschiedene Stellen  – »ist alles Urwald. Grüne, feuchtwarme Oasen mit Affen, Schlangen, Gürteltieren, Kolibris, Orchideen, Lianen … ach, mit so vielen verschiedenen Tieren und Pflanzen, wie wir sie uns überhaupt nicht vorstellen können.«

Dorothea vertiefte sich in die Darstellung, malte sich aus, wie es wäre, wenn sie in einigen Monaten tatsächlich an Alexanders Seite den Urwald durchqueren, einen Berg besteigen oder am Meer entlangspazieren würde. Dieser Gedanke nahm sie so gefangen, dass sie gar nicht wahrnahm, wie seine Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wanderte. »Ich kann es kaum erwarten, alles mit eigenen Augen zu sehen … Oh, ist dir das schon aufgefallen? Dieses Land hat zwei Küsten. Am Atlantischen Ozean im Osten und am Pazifischen Ozean im Westen. Costa Rica – das Land zwischen den Meeren.«

»Das hast du wunderschön gesagt, meine Liebste … Im Moment würde es mir übrigens sehr gefallen, wenn meine Hand die Region zwischen diesen beiden bezaubernden Schenkeln erkunden könnte.«

Dorothea errötete und unterdrückte einen Aufschrei. Voller Empörung klopfte sie Alexander unter dem Tisch auf die Finger, die ihre Knie sanft und nachdrücklich umkreisten. »Aufhören! Nimm sofort die Hand weg! Wie kannst du so etwas sagen? Noch dazu in aller Öffentlichkeit. Du nimmst mich einfach nicht ernst.«

»Gnädiges Fräulein, Sie verlieren da gerade eine Haarnadel. Wenn ich Ihnen behilflich sein darf«, verkündete er plötzlich laut und übertrieben höflich. Er schob seinen Stuhl zurück und beugte sich vor, nestelte an Dorotheas Ohr und drückte ihr blitzschnell einen Kuss auf den Mund. Dorothea kniff ihn in den Arm. »Schuft«, raunte sie und ärgerte sich, weil es weder empört noch glaubhaft klang. Sondern zärtlich.

Alexander deutete eine Verbeugung an und nahm wieder Platz. Seine Augen blitzten vergnügt, und er verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Stets der Ihre.«

März 1848

Unschlüssig stand Dorothea vor dem Spiegel und hielt sich probeweise ein dunkelblaues Kleid mit Samtkragen und Perlmuttknöpfen an. Dann griff sie zu einer zartgrünen Kreation, die lediglich mit cremefarbenen Spitzenmanschetten geschmückt war. Jedes der Kleider hatte nach neuester Mode eine enge, betonte Taille sowie einen glockenförmig gebauschten Rock und unterstrich Dorotheas zierliche Figur aufs Vorteilhafteste. Sie trat einige Schritte vor und wieder zurück, konnte sich nicht entscheiden und zog schließlich ein drittes Kleid aus gelbem Taft aus dem Schrank, warf es aber sogleich missmutig aufs Bett.

Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass es gar nicht die Garderobe war, die ihr solches Unbehagen bereitete. Vielmehr verspürte sie nicht die geringste Lust, ihre Eltern zu dem heutigen Liederabend zu begleiten. Weitaus lieber hätte sie sich in den bequemen Korbsessel in ihrem Mädchenzimmer gesetzt und ungestört von ihrer Zukunft mit Alexander geträumt. Seit seinem Antrag im Botanischen Garten schwebte sie wie auf Wolken. Sie liebte und wurde geliebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Ein Gefühl von Wärme durchflutete sie, als sie an den Freund dachte, an seine Grübchen auf den Wangen, die sie so gern küsste, an seine raue Stimme, mit der er so sanft und zärtlich zu ihr sprach.

Ihr Herz klopfte laut, als sie daran dachte, den Geliebten schon bald in ein fremdes Land zu begleiten, über das er ihr mittlerweile weitere spannende Einzelheiten erzählt hatte. Ein Land, in dem sie immer zusammen wären, miteinander lachen und sich jeden Tag aufs Neue ihre Liebe beweisen würden. Sie würden die alte Heimat hinter sich lassen und in der Ferne ihr Glück finden. Alexander hatte vorgeschlagen, sie solle die Illustrationen für sein Buch anfertigen. Er wollte mit seinem Verleger darüber verhandeln. Nie hatte Dorothea sich größer und stolzer gefühlt als in diesem Moment. Und vielleicht würden sie irgendwann eine Familie werden, mit drei oder vier Kindern, nur Jungen, die alle wie Alexander aussähen …

Und doch fühlte sie, dass ein Druck auf ihr lastete. Weil es eine entscheidende Frage gab, für die sie bisher noch keine  Antwort gefunden hatte. Und diese Frage lautete: Wann sollte sie ihren Eltern von ihrer Liebe zu Alexander und ihren gemeinsamen Heirats- und Reiseplänen erzählen? Und wie es ihnen erklären? Denn zweifellos würden weder Vater noch  Mutter einen Schwiegersohn akzeptieren, der keinen jener angesehenen Berufe ausübte wie etwa Anwalt, Lehrer oder Arzt. Sondern der sein Geld mit der brotlosen Kunst des Schreibens verdiente. Zumindest ihrer Ansicht nach. Hinzu kam, dass Alexander weder aus einem reichen Elternhaus stammte noch die Absicht hatte, ein konventionelles, bürgerliches Leben nach starren, vorgebahnten Regeln zu führen.

Sie musste behutsam vorgehen. Am besten weihte sie die Eltern erst dann ein, wenn Alexander den Buchvertrag unterzeichnet hatte, der ihm und ihr eine Existenz und Zukunft sicherte. Mit diesem Kontrakt hätten sie einen Trumpf in der  Hand. Und danach könnten sie das Aufgebot bestellen und sich um die Überfahrt kümmern. Und selbst wenn die Eltern ihr dann immer noch die Zustimmung verweigern würden  – Dorothea würde ihren Weg unbeirrt weiter beschreiten.

Angestrengt dachte sie darüber nach, mit welcher Begründung sie ihre Eltern dazu bewegen könnte, allein zum Konzert zu gehen. Ihr Vater hatte drei Wochen zuvor eine Einladung aus der Westentasche gezogen. Während er sich gleich darauf in die Lektüre einer medizinischen Fachzeitschrift vertieft hatte, war die Mutter ehrfurchtsvoll verstummt. Ihr Gesicht bekam einen versonnenen Ausdruck.

»Eine Einladung bei Graf und Gräfin Schenck zu Nideggen. Darauf habe ich lange gewartet. Bei denen verkehren nur Leute von Rang und Namen … Hör mir gut zu, Dorothea. Wir haben schon häufiger davon gesprochen. Es wird Zeit, dass du deinen eigenen Hausstand gründest. Leider hast du dich ja bisher für keinen der Männer interessiert, die ich als standesgemäße Kandidaten vorgeschlagen habe. An diesem Abend bietet sich dir eine einmalige Gelegenheit.«

»Sehr richtig«, murmelte der Vater aus dem Hintergrund, »deine Mutter hat völlig recht.«

Dorothea wurde blass. Sie lag mit ihren Überlegungen leider richtig. Ihre Liebe zu Alexander musste vorerst ein Geheimnis bleiben.

»Wenn wir beim Adel zu Gast sind, muss ich mir aber unbedingt ein neues Kleid nähen lassen«, wandte sich Sibylla Fassbender an ihren Gatten. »Eins, mit dem ich der Gastgeberin nicht den Rang ablaufe und mich trotzdem vorteilhaft von den übrigen Frauen abhebe.« Sie brauchte nur wenige Sekunden, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. »Am elegantesten wäre etwas in malvenfarbenem Ton, mit ein wenig Spitze am Ausschnitt und Stickerei am Rocksaum. So wie ich es letztens in einer französischen Modezeitschrift gesehen habe.«

»Du hast recht, Liebes. Natürlich sollst du an diesem Abend etwas Ungewöhnliches tragen. Und was ist mit Dorothea? Ich vermute, das Ganze wird für mich eine recht kostspielige Angelegenheit.«

Noch bevor Dorothea ihrem Vater antworten konnte, war ihr die Mutter zuvorgekommen.

»Mach dir wegen deiner Tochter keine Gedanken, Hermann. Ihr Schrank ist weiß Gott voll genug. Außerdem ist für ein Mädchen in ihrem Alter die Jugend das schönste Kleid …« Sie ließ den Satz unvollendet im Raum stehen und bekam ganz schmale Lippen.

Dorothea kämpfte gegen die Tränen an. Nicht weil sie sich ebenfalls ein neues Kleid wünschte. Sie besaß in der Tat genug zum Anziehen. Sondern weil die Mutter in diesem verletzenden Tonfall sprach, der ihr jedes Mal wie ein Stich ins Herz fuhr. Niemals verwendete Sibylla Fassbender den Begriff »meine Tochter«. Ihrem Mann gegenüber sprach sie nur von »deiner Tochter«. In Anwesenheit anderer sprach sie stets von »unserer Tochter«.

Oftmals hatte Dorothea darüber nachgedacht, warum die Mutter so deutlich von ihr abrückte. Es gab ein Bild, das im Salon über dem Kamin hing. Es zeigte sie im Alter von fünf Jahren, wie sie mit einer Puppe zwischen den Eltern auf dem Sofa saß. Immer wieder hatte sie das Gemälde betrachtet und sich gefragt, ob es irgendein Geheimnis bergen könne. Aber das Bild zeigte eine ganz gewöhnliche Familie. Die eigenartige Distanz, die sie zu ihrer Mutter spürte und die sie immer wieder hilflos und traurig stimmte, war ihr einfach unerklärlich.

Nun also stand Dorothea vor dem Spiegel und stellte fest, dass sich an dem dunkelblauen Kleid einer der Perlmuttknöpfe gelöst hatte. Um ihn anzunähen, blieb ihr nicht mehr genügend Zeit. Also würde sie das grüne mit den Spitzenmanschetten anziehen. Sie seufzte leise, doch mit einem Mal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Denn bald, sehr bald sogar würde alles anders werden. Wenn sie erst einmal mit Alexander verheiratet wäre und mit ihm fortgehen würde. Dann würde ihr die Mutter in nichts mehr dreinreden können. In gar nichts.

»Dorothea, bist du immer noch nicht fertig? In zehn Minuten müssen wir los.«

Die schneidende Stimme der Mutter drang durch die geschlossene Zimmertür und riss Dorothea aus ihren Träumereien. In Windeseile zog sie sich um, streifte den Mantel über, setzte den Hut auf und schaffte es sogar, noch vor den Eltern in der Diele zu erscheinen. Sibylla Fassbender hatte sich zu ihrem malvenfarbenen Kleid einen passenden Mantel schneidern lassen und wirkte neben ihrem Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war, wie eine sanft leuchtende Sommerblüte. Ein dunkelvioletter Hut mit dazu passend eingefärbten Federn ergänzte das elegante Ensemble. Die Mutter zog die Nase kraus und musterte die Tochter von oben bis unten.

»Hättest du nicht eine lebhaftere Farbe wählen können als ausgerechnet dieses fade Lindgrün? Bei deiner weißen Haut und den hellen Haaren siehst du nur noch blasser aus. Wie willst du damit Eindruck machen? Nun sag du doch auch etwas, Hermann!«

Der Vater nickte geistesabwesend und kehrte noch einmal ins Ankleidezimmer zurück, weil er seinen Zylinder vergessen hatte. Mit zusammengepressten Lippen floh Dorothea in ihren Traum von vorhin, sah sich mit Alexander Hand in Hand durch einen dichten Wald schlendern. Einen Wald voller hoher, schlanker Bäume, deren grüne, fächerähnliche Blätter sich wie ein schützendes Dach über ihnen ausbreiteten.

Die Mutter hatte darauf bestanden, eine Droschke zu nehmen. Die Strecke zwischen ihrer Wohnung in der Großen Brinkgasse bis zum Haus der Gastgeber in der Apostelnstraße war gering. Sie hätten den Weg mühelos innerhalb weniger Minuten zu Fuß zurücklegen können. Doch welchen Eindruck hätte das gemacht? Als wenn sich die Familie eines Arztes keine Kutschfahrt leisten könnte.

An diesem Abend schien ganz Köln unterwegs zu sein. Mehrmals machte Hermann Fassbender den vorbeifahrenden Kutschern ein Zeichen, sie sollten anhalten, aber in keinem der Ein- und Zweispänner waren noch drei Plätze frei. Und dann plötzlich schien es Dorothea, als wanke der Boden unter ihren Füßen und ihr Herzschlag setze aus. Um die Straßenecke bog ein junger Mann mit grauer Mütze und einer Tasche unter dem Arm. Ein ausgefranster Schal baumelte ihm nachlässig geknotet vor der Brust. Mit festen, federnden Schritten kam er geradewegs auf die Wartenden zu. Alexander! Dorotheas Herz raste, und das anfängliche Glücksgefühl wich jähem Erschrecken. Was … was hatte er um diese Uhrzeit und ausgerechnet hier zu suchen?

Doch da machte er auch schon vor ihnen Halt, lüftete die Mütze und lächelte ein freundliches, offenes Lächeln. »Guten Abend, Fräulein Fassbender. Sehr erfreut. Das sind vermutlich Ihre werten Eltern. Darf ich mich vorstellen: Weinsberg mein Name.«

Er verbeugte sich zuerst vor der Mutter, dann vor dem Vater, und Dorothea las bereits in deren kühlen Mienen, dass dies ganz und gar nicht die Begegnung würde, die sie sich gewünscht hätte.

»Sie sind so spät noch im Dienst?«, fragte Dorothea, um das demonstrative Schweigen der Eltern zu überspielen. Sie hoffte, dass ihre Stimme nichts von ihrer inneren Anspannung verriet.

»Allerdings. Am Hahnentor ist gegen Mittag ein Juweliergeschäft ausgeplündert worden. Der Besitzer wurde in seinem Bureau geknebelt und gefesselt und konnte sich erst nach Stunden befreien. Ich soll ihn befragen und mir den Überfall schildern lassen.«

»Sie kennen unsere Tochter?« Dorothea hatte durchaus den Ellbogenstoß der Mutter beobachtet, mit dem sie den Vater aufforderte, das Wort an den Fremden zu richten und die eigenartige Situation zu klären.

»Sehr wohl … wenn auch nur flüchtig«, fügte Alexander rasch hinzu, als er Dorotheas flehentlichen Blick bemerkte. »Wir sind uns zufällig begegnet, als ich für einen Zeitungsbericht über den funktionsgerechten Mechanismus von Regenschirmen recherchierte.«

Erleichtert atmete Dorothea auf. Als sie den Schalk in seinen Augen sah, hätte sie ihm gern zu verstehen gegeben, wie sehr sie sich über die unverhoffte Begegnung freute. Doch leider hatte sie sich in ihren Ahnungen nicht getäuscht. Nur zu deutlich spürte sie die Abneigung, die Alexanders Gegenwart bei den Eltern auslöste. Geflissentlich sahen sie an ihm vorbei und suchten angestrengt nach einer Fahrgelegenheit.

»Warten Sie auf eine Droschke? Das dürfte schwierig werden. Außer mir scheint heute Abend niemand in der Stadt zu Fuß unterwegs zu sein. Ach, den Kutscher da drüben kenne ich!« Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. »Hierher, Gustav! Die Herrschaften wollen sich nur dem besten Pferdelenker der Stadt anvertrauen.«

Der Kutscher wechselte auf die andere Straßenseite und ließ die drei Fassbenders einsteigen.