Alle fürs Klima - Deborah Weinbuch - E-Book

Alle fürs Klima E-Book

Deborah Weinbuch

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Beschreibung

Fridays for Future: Die weltweiten Schülerstreiks für Klimaschutz rütteln die Öffentlichkeit auf. Die jungen Menschen kämpfen um ihr Leben - und um das von Millionen anderen. Dass die Klimakrise tatsächlich eine derart heftige Bedrohung ist, bescheinigen auch die Scientists for Future: 26.800 Wissenschaftler, die den Kids offiziell Rückenwind geben. Außerdem engagieren sich viele Eltern als Parents for Future bei der Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit.Wir haben weniger als ein Jahrzehnt, um eine Katastrophe zu verhindern. Dieses Ruder herumzureißen, können wir nicht nur den Schülern überlassen. Jetzt sind alle gefragt! Im Buch schildern Schüler & Parents for Future, wie sie die Bewegung vorantreiben und was ihre Hoffnungen und Ängste, Pläne und Forderungen sind. Die Scientists for Future erklären, was jetzt möglich ist und getan werden muss.Ein brandaktuelles Buch am Puls der Zeit und zur wichtigsten politischen Frage dieses und des kommenden Jahrzehnts: Wie retten wir unseren Planeten?Insgesamt 21 Tiefeninterviews, unter anderem mit Prof. Volker Quaschning, Prof. Maja Göpel, Prof. Antja Boetius, Scientists for Future-Initiator Dr. Gregor Hagedorn, Plastic Planet-Regisseur Werner Boote, Sebastian Grieme von den Fridays for Future und vielen mehr.Für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren.

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Deborah Weinbuch

Alle fürs Klima

Kids, Parents und Scientists –

Seite an Seite für eine bessere Zukunft

Hinweis:

Sowohl die politische als auch die wissenschaftliche Diskussion ist 2019 von einer enormen Dynamik gekennzeichnet. Ebenso entwickelt sich die Klimabewegung ständig weiter. Dieses Buch stellt eine Momentaufnahme bis zum Sommer 2019 dar.

Originalausgabe

1. Auflage 2019

Verlag Komplett-Media GmbH

2019, München/Grünwald

www.komplett-media.de

ISBN E-Book: 978-3-8312-7026-2

ISBN print: 978-3-8312-0549-3

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Für meinen Sohnund alle Kinder dieser Erde.Ich wünsche euch eine wundervolle Zukunft.

Inhalt

Einleitung

»Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die ­Zukunft klaut!«

Kinder handeln, statt nur zu reden

Dezentral und hochkoordiniert: Fridays for Future entsteht

Wissenschaftler geben uns Feedback

Wir organisieren uns basisdemokratisch

Wir brauchen alle, auch die Erwachsenen

»Streik in der Schule, Streik in der Fabrik – das ist unsere Antwort auf eure Politik!«

Welche Sanktionen wären überhaupt zu befürchten?

Unser Lehrauftrag beinhaltet soziale Verantwortung und Achtung vor der Natur

Wir in der Elterngeneration müssen einander aufwecken

»Die Erde hat Fieber!« – Stell dir einen planetaren Notfall vor, und keiner macht was

Eine Million Todesfälle pro Jahr ab 2050

Eine schwere Diagnose erfordert massive Anpassung

Klima­notstand!

Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz. Jetzt!

Befinden wir uns wirklich in einer Notsituation?

Wir spielen gerade russisches Roulette

Wir haben keine Zeit mehr für »Pillepalle«-Dialoge

Wie ist eigentlich der Stand auf dem internationalen Parkett?

Die 1,5-Grad-Grenze

CO2-Steuer – ein guter Anfang?

Emissionshandel vs. CO2-Steuern

Wir müssen die Umweltkrisen zusammen denken

»Worin wir unsere Zukunft sehen? Erneuerbare Energien!«

Alle Sektoren gehören umgekrempelt

Ausgebremste Windkraft

Licht aus für die Photovoltaikbranche?

Speichersysteme bringen Zuverlässigkeit

Die Energieversorgung der Zukunft ist dezentral und smart

Was drängt: Wärme und Verkehr

Eine Verkehrswende bedeutet mehr als Elektroautos

Weniger & leichtere Autos, mehr Recycling

Bessere Nahverkehrs- und Radwegnetze

Flugscham

»Tell the truth!« – Wir wollen nicht aussterben

Den zivilen Ungehorsam praktizieren wir auf verschiedenen Levels

Die Rechte der Menschen und der Natur müssen vor Profiten stehen

Wir brauchen mehr Wald und verlieren ihn

Lebendige Böden versenken Kohlenstoff

Wir brauchen eine Evolution des Systems

Im Zentrum der Klimakrise steht brutale Ungerechtigkeit

»System Change not Climate Change!« – Sinnes­wandel

Wir stecken schon in der Transformation

Wir müssen gemeinsame Ziele fokussieren

Lasst uns über alle Ebenen sprechen: die politische, die persönliche

Ob Wissen in die Tat umgesetzt wird, hat psychologische Gründe

Together for Future

Danksagung

Einleitung

Ein Buch über »For Future«? Nein, ein Buch mit »For Future«! Bei den zahlreichen Gesprächen mit engagierten jungen Menschen fiel mir auf: Sie befinden sich in einem Überlebenskampf. Das Thema ist so ernst, dass sie teilweise 50, 80 oder sogar 90 Stunden pro Woche in die Organisation von Fridays for Future stecken, zu wenig schlafen und »von Kaffee leben«. Was sie antreibt, schildern sie in ihren Interviews in diesem Buch.

Auch Eltern, Lehrer, Experten und Forscher nehmen teilweise an den Fridays for Future-Demonstrationen teil oder befürworten diese. Warum sie das tun und welche persönliche und fachliche Perspektive sie dazu einnehmen, haben sie mir bei Telefonaten, Skype-Interviews oder beim Mittagessen erzählt. Die Texte, die so entstanden sind, sind Protokolle dieser Gespräche.

Gleich vorweg sei gesagt: Diese Menschen leben, was sie predigen. Beispielsweise kamen manche per Fahrrad zum veganen Mittagessen, andere nahmen sich bei einer Fernreise abends mit der Bahn Zeit für ein Telefonat.

So wurde die Arbeit an diesem Buch zum co-kreativen Prozess. Die For Future-Bewegung ist binnen weniger Monate zu einer Art Ökosystem herangewachsen. Die jungen »Fridays« sind mittlerweile eingebettet und unterstützt von großen und kleinen Gruppen: Scientists for Future, Parents for Future, Doctors, Psychologists, Artists, Farmers for Future und viele mehr. Immer wieder kommen neue For Future-Gruppen dazu. Sie alle bringen ihre jeweilige Expertise und ihr Gewicht in die Debatte ein.

Die Aktivisten, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht radikal, sondern ausgesprochen freundliche und kooperative Menschen. Aber sie stellen radikale Forderungen, weil sie das müssen. Auch das bestätigt die Wissenschaft. Ein tief greifender Wandel ist jetzt eine lebenserhaltende Maßnahme.

Achtung: Obwohl alle Interview-PartnerInnen und ExpertInnen in diesem Buch ein gemeinsames Ziel haben, sind sie sich nicht immer bei allen Details einig! Die Diskussion ist breit und lebendig – und genau das brauchen wir jetzt. Denn aus einem ernsthaft geführten, authentischen Diskurs werden neue, bessere Lösungen wachsen. Deshalb spiegelt dieses Buch auch unterschiedliche Ansätze und Positionen innerhalb der Klimabewegung wider. Konstruktive Impulse helfen, miteinander über den Status quo hinauszuwachsen und Zukunft aktiv zu gestalten.

In diesem Buch verwende ich das Wort Klimakrise, denn das sanfte Wort Klimawandel beschönigt die dramatischen Effekte, die uns ins Haus stehen. Auch der renommierte Klimaforscher Prof. Hans Joachim Schellnhuber und der UN-Generalsekretär António Guterres verwenden das Wort Klimakrise.1

Wer bin ich überhaupt, und wie komme ich dazu, dieses Buch zu schreiben? Ich bin Mutter und arbeite als Journalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Umweltschutz ist für mich die Voraussetzung für menschliches Wohlergehen. Geprägt durch meine individualistische Mutter, die dem ersten Bioladen in unserer Gegend eine treue Kundin war, kam ich bereits im Grundschulalter in den Achtzigern in Kontakt mit Öko-Zeitschriften wie der damals gerade gegründeten »Schrot & Korn« und etwas später dem »Regenwald Report«. Etwas rührte sich ganz tief in mir, und ich schwor in meinem Kinderzimmer, den mir möglichen Beitrag zur Rettung der Natur zu leisten – und sei es zunächst auf der ganz persönlichen Ebene. Im Alter von sieben Jahren wurde ich zum Schrecken meiner Eltern Vegetarierin. Trotz ihrer Befürchtungen wuchs ich zu einer normalen Größe heran und konnte sie sogar schließlich für eine weitgehend pflanzenbasierte Ernährung, die ja auch CO2 spart, begeistern.

Auf meiner ersten Klima-Demo war ich im Alter von 20 Jahren am 21. Juli 2001 in Bonn. Damals kämpften wir für die umfassende Annahme und Umsetzung des Kyoto-Protokolls, das erstmals völkerrechtlich verbindliche Grenzen für Treibhausgasemissionen festlegte. Die USA hatten im April 2001 dem Kyoto-Protokoll eine Absage erteilt, was unter meinen Politikwissenschafts-Kommilitonen lebendig diskutiert wurde. So kam es, dass meine Mutter, mein damaliger Verlobter und später Vater meines Kindes und ich mit Holzplanken durch die Stadt liefen, auf denen wir Sprüche schrieben wie »Bush, it’s not too late«. Diese Holzplanken zimmerten wir zu einem riesigen »Rettungsboot für den Klimavertrag« zusammen, das wir bis zum Schauplatz des zweiten Teils der COP6-Verhandlungen, dem Hotel Maritim, zogen. Teile unserer »Bootschaft« wanderten später ins Deutsche Historische Museum in Berlin und ins Bonner Haus für Geschichte. Die USA blieben in dieser Sache freilich unbeeindruckt.

Heute nimmt mein Sohn an Fridays for Future-Demonstrationen teil, was ich ausdrücklich befürworte. Den verpassten Schulstoff holt er selbstständig zu Hause nach. Außerdem informiert er sich zu jedem Motto der jeweiligen Demo – Artenschutz, Schutz der Meere, Verkehrswende. Ich beobachte bei ihm und den anderen Kindern und Jugendlichen eine regelrechte Wissensexplosion rund um das Thema Klima und Naturschutz.

In der Hamburger Ortsgruppe der Parents for Future habe ich die Fridays öfter aktiv unterstützt, beispielsweise als eine der zusätzlichen OrdnerInnen bei den Demos, von denen die Fridays einen Großteil aus den eigenen Reihen stellen. Zusätzlich habe ich als Einzelperson inhaltliche Aufklärungsarbeit geleistet, etwa indem ich auf Anfrage einen Vortrag an einer Schule gehalten und diesen anschließend anderen zur Verfügung gestellt habe, um die Hintergründe der Klimakrise zu erklären.

Lassen wir uns bei den anstehenden notwendigen Transformationsprozessen nicht von Angst ausbremsen. Manchmal krallen wir uns an den merkwürdigsten Dingen fest, ja sogar an Zuständen, die uns bedrohen, nur weil wir das Neue so sehr scheuen. Dabei ist unser menschliches Gehirn so wunderbar leistungsfähig. Wir finden Lösungen, wenn wir danach suchen! Wissen ist die Basis, auf der wir diese neuen Wege erarbeiten. Dazu möchte dieses Buch einen Beitrag leisten. Je mehr wir über Wissen verfügen, desto mehr schwindet die Angst. Lasst uns jetzt den entscheidenden Unterschied machen, aus Eigennutz und aus Mitgefühl mit allem, was lebt und leben wird.

Beim Schreiben dieser Zeilen schwitzt Deutschland unter bisher nie da gewesenen Temperaturen. An 25 Orten hierzulande wurden im Juli Temperaturen über 40 Grad gemessen. In Süd-Ost-Frankreich schnellte das Thermometer zwischenzeitlich auf 45,9 Grad. Weltweit kam es zu noch weit heftigeren Temperaturrekorden, Menschen standen in langen Schlangen um Wasser an, bei Temperaturen über 50 Grad. Die aktuellen Ereignisse bestätigen nicht nur die wissenschaftlichen Warnungen, die jahrzehntelang beiseitegewischt wurden, sie übertreffen sie. Schon jetzt ziehen Hitzewellen Tausende Todesfälle nach sich. Dass sich dieser Zustand noch verschlimmert, kann niemand wollen.

Klar ist: Wir haben gerade einen Haufen Probleme. Mit unserer rücksichtslosen Art zu wirtschaften haben wir uns an den Rand eines ökologischen Kollapses getrieben. Was es jetzt braucht, sind ganzheitliche Denkansätze und interdisziplinäres Handeln. Die Klimakrise in den Griff zu bekommen ist die Rahmenbedingung für alles andere. Deshalb wünsche ich allen LeserInnen dieses Buchs viel Inspiration, Kraft und gute Laune beim Wandel. Auf dass wir gemeinsam nachhaltig eine bessere Welt gestalten. Und zwar jetzt!

Eure

Deborah Weinbuch

Hinweis:

Alle Interviews wurden im Frühjahr und Frühsommer 2019 geführt. Die Äußerungen meiner Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder, die nicht zwangsläufig mit meiner oder der des Verlags übereinstimmen und die auch nicht zwangsläufig die Position von Fridays for Future oder anderen For Future-Zusammenschlüssen repräsentieren. Sie stellen keine Handlungsaufforderung dar, sondern schaffen Einblicke und sollen den Diskurs fördern.

1 Damian Carrington (2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment. In: Guardian. Verfügbar unter: https://www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment?fbclid=IwAR0r7-MltgdEe8R_q_YyO7Zhp6XCRzpgIKUYt9XPsEF6LrazPGI2SOWZtvY. Eingesehen am: 21.06.2019.

»Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die ­Zukunft klaut!«

Im Januar 2019 machten Kinder und Jugendliche vor dem Hamburger Rathaus mit einem Transparent auf einen Sachverhalt aufmerksam, der eigentlich klar sein sollte, scheinbar aber von einigen Erwachsenen vergessen wurde: »Unsere Zukunft ist nicht verhandelbar.«

Wie es sein muss, wenn nicht die Frage nach Berufs- und Familienplanung im Zentrum des Heranwachsens steht, sondern die Frage, wie existenziell man von einer riesigen, alles verändernden Krise betroffen sein wird, können wir ältere Generation höchstens erahnen. Lahmende Entscheidungsprozesse zur Rettung oder Milderung der Konsequenzen machen jenen, die noch nicht mitmischen dürfen, Angst.

Der Countdown unserer Handlungsfähigkeit läuft. Und so konfrontiert die junge Generation uns mit einer Energie, die Menschen wohl nur aufbringen, wenn es tatsächlich um die eigene Existenz geht. Im Folgenden sprechen sie für sich selbst.

Kinder handeln, statt nur zu reden

© Picture alliance/Daniel Bockwoldt/dpa

Merle (12) besucht die siebte Klasse eines Hamburger Gymnasiums. Die Schülerin nimmt an Fridays for Future-­Demonstrationen teil und engagiert sich auch privat für die Umwelt. Gemeinsam mit ihren FreundInnen macht sie Klima-Challenges.

»Das Gefühl auf meiner ersten Demo war überwältigend: Die Kinder, also die Schicht der Bevölkerung, die am wenigsten zu sagen hat, sind einfach mal aufgestanden.«

»Von der Fridays for Future-Demo habe ich erstmals von einem Klassenkameraden gehört, dessen größere Schwester dorthin ging. Er erklärte uns, worum es geht. Weil ich schon vorher über die Klimakrise gelesen hatte, fand ich die Idee toll. Also habe ich gleich meine Mutter bei der Arbeit angerufen und gefragt, ob ich hindarf. Sie erlaubte es mir und fand unser Engagement auch richtig gut. Bevor es dann losging, habe ich mich noch einmal gründlich informiert. Es bringt ja nichts, nur zu demonstrieren – man muss auch wissen, wofür.

Als wir zu fünft das erste Mal zu Fridays for Future statt zum Unterricht gingen, hatten wir alle richtig Bammel, dass wir Ärger mit den Lehrern bekommen. Aber dann breitete sich der Demonstrationswille so schnell in unserer Klasse aus, dass die Lehrer nicht mehr viel sagen konnten. Einfach weil alle so energisch betonten, dass sie dort hinwollen.

Ich finde es total cool von der Klasse, dass wir da alle an einem Strang gezogen haben. Vom ein oder anderen Lehrer habe ich gehört, wir hätten ein Recht auf diesen Streik, auch wenn sie das offiziell nicht sagen dürfen. Das hat uns noch mal bestärkt. Auch in der Klasse hat die Auseinandersetzung mit diesem Thema und der gemeinsame Streik viel bewirkt, glaube ich. Vertrauen und Zusammenhalt sind gewachsen.

Das Gefühl auf meiner ersten Demo war für mich recht überwältigend: Die Kinder, also die Schicht der Bevölkerung, die am wenigsten zu sagen hat, sind einfach mal aufgestanden und haben gesagt: ›Hey! Wir haben auch eine Meinung! Wir können auch etwas bewirken, und das müsst ihr endlich einsehen.‹ Mittlerweile habe ich nun schon an sechs Fridays for Future-Demonstrationen teilgenommen.

Ein neues Thema ist die Klimakrise für uns Kinder aber nicht. Wir haben schon vorher viel über Klimaschutz gesprochen – vor allem darüber, was wir selbst tun können. So kamen wir darauf, dass man ja zur Schule auch mit dem Fahrrad fahren kann und nicht für zwei Stationen den Bus nehmen muss, so etwas finde ich ziemlich unnötig. Nur zu demonstrieren bringt nichts, man muss auch privat etwas tun. Wenn man draußen laut herumschreien würde und zu Hause überall Einwegverpackungen herumliegen hätte, wäre der Welt nicht geholfen. Deshalb haben wir Kinder untereinander Vereinbarungen getroffen. Mit meiner besten Freundin Jojo habe ich verabredet, dass ab sofort jede von uns zwei Dinge fürs Klima tut. Diese Challenge hat in ihrer Klasse dann Kreise gezogen, weil die anderen sahen: Es ist gar nicht so schwer, ein bisschen was zu tun.

Mittlerweile ist die Klimabewegung so groß geworden, dass sie immer mehr Menschen zum Nachdenken anregt. Und wenn ein Thema so groß ist, wird es auch an die Politik herankommen, hoffe ich jedenfalls. Wir sind nicht so naiv, wie man uns manchmal unterstellt. Ich weiß, dass man Gesetze nicht einfach von einem Tag auf den nächsten ändern und erlassen kann. Aber ich denke, dass man viel bewegen könnte, wenn man wirklich hinter der Sache stehen würde.

Schrecklich fände ich, wenn die Politik die Dringlichkeit unserer Forderungen nicht einsehen und sagen würde, dass wir Kinder Quatsch erzählen oder übertreiben. Denn so ist es ja nicht. Die Wissenschaftler haben alle unsere Forderungen als legitim bestätigt. Toll fände ich hingegen, wenn die Politik ihren Handlungsbedarf einsieht und beispielsweise eine CO2-Steuer einführt. Wenn sich auf politischer Ebene etwas ändert, würde das viel bewirken.

Meine FreundInnen und ich würden uns gerne politisch mehr beteiligen. Ich finde, ein Wahlrecht ab 16 wäre definitiv legitim. Außerdem fände ich Politikunterricht schon ab der 5. Klasse gut. Gerne würde ich jetzt schon ein bis zwei Stunden pro Woche in der Schule über politische Themen diskutieren, Meinungen ausdrücken und andere Meinungen einholen.

Zu Hause versuchen wir, immer umwelt- und klimabewusster zu handeln. Statt Duschgel kaufen wir jetzt Haarseife. Die hat dieselbe Funktion, aber keine Verpackung. Wir essen auch nicht mehr so viel Fleisch, weil Fleisch einen enormen Wasserverbrauch hat und die Viehhaltung das Grundwasser belastet. Lampen haben wir schon immer ausgeschaltet, wenn wir das Zimmer verlassen, sonst würde ja unnötig Strom verbraucht. Wir benutzen keine Einwegplastiktüten, wenn wir Obst oder Gemüse lose kaufen, sondern Mehrwegfrischebeutel. Die kosten um die 50 Cent und können immer wieder verwendet werden. Am Elbstrand liegt öfter mal Müll rum; manchmal sammle ich den zusammen mit meiner Mutter ein.

Es ist so: Wenn wir alle einfach kleine Dinge tun würden, beispielsweise Fernseher, Laptops und andere Geräte nicht im Standby-Modus stehen lassen, dann könnte man tatsächlich zwei Kraftwerke in Deutschland abschalten.1 Wenn jeder sagt: ›Ach, ob ich etwas so oder so mache, macht doch auch keinen Unterschied‹, dann hat das sehr wohl einen Effekt, nämlich einen großen, negativen Effekt. Wenn aber jeder bei sich selbst anfängt, summiert sich das. So kann sich ganz viel zum Guten wenden.«

Dezentral und hochkoordiniert: Fridays for Future entsteht

»Ich habe gelernt, dass man niemals zu klein ist, um einen Unterschied zu machen.«2

Greta Thunberg

Klein und zart sitzt die 15-jährige Greta Thunberg am 20. August 2018 das erste Mal vor dem schwedischen Parlament. Auf dem weißen Pappschild hat sie schlicht »Skolstrejk för Klimatet« – »Schulstreik fürs Klima« geschrieben. Am nächsten Tag setzt sich eine 14-Jährige dazu. Als aber in den kommenden Wochen immer mehr Menschen hinzukommen, ist es Greta schon fast wieder zu viel. Sie weint und muss kurz weggehen, um sich zu sammeln. So viel Trubel kann für Menschen wie sie im autistischen Spektrum3 anstrengend sein. Aber ihre Mission ist Greta so wichtig, dass sie beschließt durchzuhalten. Sie kehrt zu ihrem Protest zurück.

Die ersten Tageszeitungen in verschiedenen Ländern berichten über ihren Protest. Weltweit sehen SchülerInnen, dass das Schulstreiken eine Option ist – und fragen sich: Was hat es mit der Klimakrise eigentlich genau auf sich? Diejenigen, die bereits in den Jugendgruppen etablierter Umweltschutzorganisationen aktiv sind, fragen sich: Könnte man diesen Protest auch größer aufziehen?

Nachdem Greta und ein paar andere SchülerInnen drei Wochen lang gestreikt haben, rufen sie den Freitag zum Streiktag aus.4 »Wir werden nun jeden Freitag vor dem schwedischen Parlament sitzen, bis Schweden auf einer Linie mit dem Pariser Abkommen ist«, sagt sie vor etwa 300 versammelten Menschen. Gleichzeitig ruft sie Menschen überall auf der Welt dazu auf, es ihnen gleichzutun – sei es vor dem Regierungssitz ihres jeweiligen Landes oder vor dem Rathaus ihrer Kommune.

In den darauffolgenden Monaten beginnen die ersten, diesem Aufruf in ihren jeweiligen Ländern Folge zu leisten. Der erste deutsche Fridays for Future-Streik findet am 7. Dezember in Bad Segeberg statt. Der zweite am 14. Dezember ist schon bundesweit in sieben Städten koordiniert und findet vor allem in Kiel, Hamburg und Berlin Beachtung.5

Am Tag vor den Streiks bildet sich eine erste sogenannte »Deli-Gruppe«: Delegierte, die jeweils für ihre Ortsgruppe in den bundesweiten Austausch gehen. In Kiel mobilisiert unter anderem Jakob Blasel, ein 18-jähriger Gymnasiast, der sich auch schon in der Greenpeace-Jugend und der Grünen Jugend engagiert. Er rechnet mit etwa 20 Leuten und hofft, in einer Randnotiz in der Zeitung zu erscheinen. Zusammen mit 500 SchülerInnen schafft es der Schülerstreik auf den Titel der Regionalzeitung. Jakob sagt: »Ich war überwältigt, als wir schon in der ersten Woche so viel Aufmerksamkeit für unser Zukunftsthema erhielten.«6

Julia Oepen aus Hamburg ist ebenfalls in der Greenpeace-Jugend aktiv und federführend an der ersten Koordination in Hamburg von Fridays for Future beteiligt. In Messenger-Kettenbriefen mit Links laden sie und ihre MitstreiterInnen zur Vernetzung ein. Als immer mehr dazuströmen, werden die örtlichen Organisations-Gruppen (Orga-Gruppen) ins Leben gerufen. »Die DemonstrantInnen kamen aus allen Ecken«, erzählt Julia. Einige hatten sich schon bei Umweltorganisationen wie beispielsweise dem BUND oder Plant for the Planet engagiert. Schnell entstehen durch den regen Austausch und die Zusammenarbeit ein intensives Wirgefühl und ein starker Zusammenhalt bei Fridays for Future.

Genau in diesem Zeitraum spielt sich die 24. UN-Klimakonferenz in Kattowitz ab (2. bis 15. Dezember), die an und für sich eine eher trockene Berichterstattung abwirft. Und das, obwohl der mediale Aufschrei zum 1,5-Grad-Sonderbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) noch nicht ganz verhallt ist. Die Schülerstreiks verleihen dem Ganzen Lebendigkeit und erinnern daran, dass es sich bei den Verhandlungen nicht bloß um Papierkram dreht.

Diplomatisches Herumeiern ist Greta Thunberg fremd. Sie sagt genau das, was sie denkt. Extrem fokussiert hat sie sich bis ins letzte Detail ihres Spezialinteresses – dem Klima – eingearbeitet. Dass es für eine solche Konzentration kein Asperger braucht, zeigen in den kommenden Monaten Tausende von SchülerInnen und StudentInnen, die sich selbst beinahe in Lichtgeschwindigkeit auf den neuesten Stand der Wissenschaft bringen. Indes mobilisiert Greta über Twitter und weitere soziale Medien und sagt: »Ich sehe die Dinge schwarz und weiß. Es gibt keine Graustufen, wenn es ums Überleben geht.«7 Das sitzt.

Am Klimagipfel in Kattowitz nimmt Luisa Neubauer, damals noch 22 Jahre alt, als Jugenddeligierte8 der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen teil. Dort trifft sie Greta Thunberg. Luisa weiß: Wenn sie als Studentin ein paar Vorlesungen sausen lässt, bringt das keine Schlagzeilen. Aber sie verfügt über große Organisationskraft und schafft es, binnen weniger Wochen zehntausend TeilnehmerInnen für eine Demonstration am 25. Januar in Berlin zu mobilisieren – natürlich mithilfe vieler anderer engagierter junger Menschen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wird von Luisa und ihren MitstreiterInnen Jakob Blasel und Carla Reemtsma zum Gespräch eingeladen. Als er inmitten der aufgebrachten Masse steht, wird er bei den Worten an einen Mitarbeiter gefilmt: »Das war eine Scheißidee!« Das Video wird zehntausendfach im Internet geklickt.9

Für den 15. März 2019 ruft Fridays for Future, zu diesem Zeitpunkt schon in Hunderten Ortsgruppen strukturiert und blendend vernetzt, zum ersten globalen Streik auf. Mit Erfolg: In 98 Ländern gehen die Menschen für das Klima auf die Straße, insgesamt bis zu 1,8 Millionen.10 Allein in Deutschland demonstrieren 300.000.11 An diesem Tag versucht das Institut für Protest- und Bewegungsforschung zu erfassen, wer da eigentlich protestiert.12 Seine Umfrage zeigt: Ein Großteil der Fridays sind junge, gebildete Menschen, die sich neu politisieren. Rund 30 Prozent nehmen zum ersten Mal an einer Demo teil. Die Mobilisierung findet großteils über FreundInnen statt. Knapp 58 Prozent der Befragten sind weiblich. In den Städten Amsterdam, Florenz, Warschau oder Wien stellen die Mädchen und Frauen sogar 70 Prozent der Protestierenden.13 ForscherInnen um Piotr Kocyba von der TU Chemnitz vermuten als Hintergrund für dieses Phänomen die starken weiblichen »Führungsfiguren«, zu denen mittlerweile auch Luisa Neubauer gehört, die über Pressearbeit für Fridays for Future eine starke mediale Präsenz erhält.

Drei Tage vor dem ersten globalen Streik, also am 12. März 2019, erhalten die SchülerInnen offizielle Unterstützung von den Scientists for Future. Sie stärken den jungen Menschen mit einer Bundespressekonferenz den Rücken – und mit einer Stellungnahme, bei der bis dato 12.000, später über 26.800 Wissenschaftler unterzeichnet haben. Dort heißt es:

»Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei Weitem nicht aus. (…) Die jungen Menschen fordern zu Recht, dass sich unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet. Ohne tief greifenden und konsequenten Wandel ist ihre Zukunft in Gefahr.«14

Gewissermaßen ist es ein Schuss vor den Bug solcher Leute, die gerade versuchen abzuwiegeln – wie FDP-Chef Christian Lindner, der nur zwei Tage zuvor in der Bild am Sonntag verlauten lässt, das Ganze sei doch eher eine Sache für Profis.15 So kontert Volker Quaschning, einer der präsentierenden Scientists for Future und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin: »Wir sind die Profis und sagen: Die junge Generation hat recht.«16

Die Fridays beweisen auch rasch selbst, dass sie ihre Anliegen ernsthaft erarbeitet haben. Am 8. April 2019 präsentieren vier VertreterInnen offiziell ihre Forderungen und laden dazu ins Berliner Naturkundemuseum ein. Symbolträchtig wählen sie den Sauriersaal als Kulisse für die Pressekonferenz. Vor dem 13 Meter hohen Skelett eines Brachiosaurus erklärt Sebastian Grieme (siehe Interview Seite 27 ff.): »Wir haben durch unser Handeln das sechste große Artensterben in der Geschichte dieses Planeten ausgelöst. Das Ergebnis des fünften sieht man hier hinter uns.«17

Das sind die Forderungen von Fridays for Future (Text von der Website)

Wir fordern die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5-Grad-Ziels.

Explizit fordern wir für Deutschland:

Netto-Null 2035Kohleausstieg bis 2030100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035

Entscheidend für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich stark zu reduzieren.

Deshalb fordern wir bis Ende 2019:

Das Ende der Subventionen für fossile Energieträger1/4 der Kohlekraft abschaltenEine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen. Laut UBA sind das 180 Euro pro Tonne CO2.

Die präsentierten Forderungen haben sie im Vorfeld in Zusammenarbeit mit zahlreichen WissenschaftlerInnen erstellt. Das zeichnet die Klima­bewegung 2019 aus. Es wird sachlich argumentiert, immer mit Bezug auf die Forschung. Dass hier jemand »schrullig« sei oder in vermeintlichen Fantasiewelten lebe, kann beileibe niemand behaupten.

»Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.«

Molière 18

Fridays for Future fordert die Politik dazu auf, ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden, dass auf der 1,5-Grad-Grenze (siehe Seite 80 ff.) beruht. Die planetaren Grenzen sind zu respektieren und die Klimagerechtigkeit zum Leitbild zu machen. »Entscheidungen, die zu Lasten ärmerer Regionen und künftiger Generationen getroffen werden, sind inakzeptabel«, schreiben sie auf ihrer Webseite. Auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene erwarten die jungen Menschen sofortige Initiativen, um die Klimakrise einzudämmen. Dabei betonen sie, dass sämtliche Maßnahmen sozial gerecht erfolgen müssen. Zudem erinnern sie an Artikel 20a des Grundgesetzes19 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.20

Während die deutsche Presselandschaft sich weit mehr mit der Frage auseinandersetzt, ob Schüler überhaupt streiken dürften, statt sich ihren Forderungen zu widmen, formieren sich bereits im Februar 2019 die ersten Parents for Future: ein freier Zusammenschluss von Eltern, die das Engagement ihrer Kinder nicht nur gutheißen, sondern aktiv unterstützen. Zu Beginn herrscht Unsicherheit: Dürfen wir als Erwachsene bei den Schüler-Demos mitlaufen? Vielleicht separat zum Schluss als »Parents-Block«, der den Kindern symbolisch den Rücken stärkt? Dieser Gedanke weicht schnell der Praxis, da vor allem jüngere Kinder und Eltern automatisch auf Großveranstaltungen zusammenbleiben. Während einige andere Erwachsene sich echauffieren, freuen sich viele Kinder und Jugendliche über die zusätzliche Unterstützung. Schnell finden einige Parents auch regelmäßige Aufgaben, etwa weil es bei den Demonstrationen noch Bedarf an Ordnern gibt – oder weil freitäglich um sechs Uhr morgens beim Aufbau der Bühne für die Schlusskundgebung noch Hilfe benötigt wird.

Nach Vorbild der Fridays organisieren sich auch die Parents in Ortsgruppen – etwa 200 gibt es in Deutschland, die sich untereinander und in einer »Bundes-Orga« miteinander vernetzen. Über die Diskussionsgruppen der Messenger-Chats findet ein reger Austausch statt.21 Auch andere unterstützende Netzwerke finden rasch zueinander, unter anderem die Artists (siehe Seite 138 ff.) und die Teachers for Future (siehe Seite 47 ff.). Sie alle bekunden ihre Solidarität mit den jungen Menschen.

Luisa Neubauers Rede bei der RWE-Hauptversammlung am 3. Mai 2019 bringt viel Beachtung. Das Rederecht hatten ihr die »Kritischen Aktionäre« überlassen.22 Unerschrocken tritt sie um kurz nach zwölf ans Rednerpult und liest den Aktionären die Leviten. »Was die Weltgemeinschaft gerade mit dem Planeten anrichtet, wird eines Tages als größtes politisches Versagen unserer Zeit beschrieben werden«, sagt sie mit ruhiger Bestimmtheit. Die Tatsache, dass die Aktionäre an der vermeidbaren Zerstörung verdienen, benennt sie als »größten Skandal«.23 »Kein Konzern in Europa trägt mehr Verantwortung für die Klimakrise als RWE«, so Luisa. Für ein paar Cent Rendite würden die Anteilseigner ihre Verantwortung verkaufen, kritisiert sie.

Die Fridays haben jeden Grund, auf die älteren Generationen wütend zu sein. Denn zumindest »irgendwie« haben wir seit 30 Jahren gewusst, dass wir ein Problem verursachen. Deshalb lautet eine häufig geäußerte Frage: »Warum habt ihr alle kollektiv nichts getan?!«

Natürlich gab es immer schon Menschen, die zäh für den Umwelt- und Klimaschutz gekämpft haben. Zu diesen zähle ich mich auch. Wir rannten quasi ständig gegen die Wand, rappelten uns auf und versuchten es wieder – und kamen auch mit Gänsefußschritten voran. Um einen Felsbrocken ins Rollen zu bringen, braucht es eine enorme Kraft zum Anschub. Wir haben uns bemüht, aber genug war das nicht.

Vermutlich spielte eine Rolle, dass der Weltklimarat zwar 1990 den ersten Sachstandsbericht herausgab, der die Erderwärmung als menschenverursacht identifizierte, auch wenn dies schon rund 100 Jahre vermutet worden war.24 Seine Warnungen erreichten jedoch im Vergleich zu 2018 deutlich verhaltener die Öffentlichkeit. Das Papier reichte zwar aus, um die Grundlage der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zu bilden. In meinem persönlichen Umfeld kam jedoch nur an (auf welcher Basis auch immer), dass möglicherweise der Meeresspiegel um ein paar Zentimeter steigen könnte. Erst 1997 mit Verhandlung des Kyoto-Protokolls wurde auch dem Otto Normalbürger deutlicher, dass wir Emissionen begrenzen müssen. Weil dies der Emissionshandel übernehmen sollte, wirkte die Sache auch gleich wieder geregelt. 2007 hieß es, die weltweiten Emissionen müssten bis 2015 stabilisiert werden. Auch das klingt in Laien-Ohren nicht wirklich alarmierend. Freilich, PhysikerInnen wie Angela Merkel verstanden die Implikationen. Wer jedoch nicht hauptberuflich in einem klimaassoziierten Wissenschaftszweig arbeitete oder in der Politik oder sich in aktivistischen Kreisen herumtrieb, bekam im Wesentlichen mit: Die »Klimakanzlerin« kümmert sich. Damals forderte sie beim G8-Gipfel, der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen solle bis 2050 um mindestens 50 Prozent sinken.25

Doch auch das Verständnis der Wissenschaft musste sich noch weiter verbessern. Klare Erwärmungsgrenzen, in Grad Celsius formuliert, wurden erst 2015 für die breite Öffentlichkeit greifbar. So war es vorher schwieriger, klare politische Forderungen zu treffen, auch wenn einige es schon taten – eben die besonders Sicherheitsbewussten und sozial Engagierten, denn über verheerende Auswirkungen der Klimakrise sprach man vor allem im Kontext der armen Länder. So mangelte es hierzulande in gewisser Weise an persönlicher Betroffenheit.

Wenn die Fridays for Future also nun mit Tanzdemos, Kleidertauschpartys oder Poetry Slams ihren Frust in positive Energie umwandeln, ist das angesichts des Versagens der älteren Generation beachtlich besonnen. Eine Ursache – keine Entschuldigung – ist jedoch, dass die nötige Klarheit erst noch gewonnen wurde. Die nötigen Zahlen, Daten, Fakten fehlten uns, die das Unglück bereits erahnten, als starke Argumentationsgrundlage.

Deutschland wird seine Klimaschutzziele für 2020 deutlich verfehlen, wie aus dem Klimaschutzbericht 2018 hervorgeht.26 Statt 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 werden es wohl nur 32 Prozent sein. Die Lücke solle so schnell wie möglich geschlossen werden, lässt die Bundesregierung verlauten.27 Derart schwammige Versprechen reichen den Fridays nicht – und den anderen For Future-VertreterInnen ebenfalls nicht. 2019 ist das letzte Jahr, von dem aus wir noch die Klimaneutralität im Jahr 2035 erreichen können. Voraussetzung dafür sind ambitionierte Maßnahmen, betont Volker Quaschning im Interview mit dem Wirtschaftsforum.28 Jeder verschluderte Monat geht mit rasant steigenden negativen Konsequenzen einher. 2019 ist ein Schlüsseljahr für die Zukunft.

Umso erschreckender, dass die CO2-Emissionen aus dem Energie­sektor weltweit 2018 ein historisches Hoch von 33,1 Gigatonnen erreichten.29 Dieses Problem lässt sich nur politisch lösen. Vor den Europawahlen besetzen also Dutzende Fridays aus verschiedenen Ländern den Vorplatz des Europaparlaments in Brüssel.30 Am Freitag vor den Europawahlen, also am 24. Mai 2019, gelingt ihnen eine weitere enorme Mobilisierung: 2300 Schulstreiks finden in 130 Ländern statt.31

Unter #VoteClimate rufen sie dazu auf, die Europawahlen zu Klimawahlen zu machen.32 Mit Erfolg: »Gerupfte Volksparteien, grüne Gewinner« titelt SPIEGEL ONLINE.33 Mit über 20 Prozent haben die Grünen ihr letztes Ergebnis der Europawahlen 2014 beinahe verdoppelt.

Die Fridays sind zum Antreiber der Politik geworden. Sie machen ihre Hausaufgaben. Durch das politische Klima, das sie geschaffen haben, ist ein echter Aufbruch nun möglich. Halbherzig wird sich nun niemand mehr durchmogeln können. Die Fridays for Future beobachten mit Argusaugen jede politische Bewegung und kommentieren diese lautstark. Aber auch sie werden scharf beobachtet.

Mit etwas Bangen erwartet beispielsweise die Öffentlichkeit den internationalen Protest in Aachen am 21. Juni 2019.34 Denn dort, am Rande des rheinischen Braunkohlereviers, benennen die Fridays »Ende Gelände« als Partner der Klimaproteste. »Ende Gelände« ist dafür bekannt, Gleise zu blockieren. Zudem sind vielen Menschen noch die Bilder des vergangenen Oktobers in lebhafter Erinnerung, als es bei Protesten im Hambacher Forst zu Zusammenstößen von Kohlegegnern und der Polizei gekommen ist.35 Die Polizei Aachen verschickt sogar im Vorfeld Briefe an die umliegenden Schulen, die mahnen, sich nicht mit in die Kuhle zu begeben. Dabei hatten die Fridays dazu überhaupt nicht aufgerufen. SchülerInnen in illegale Situationen zu schicken, liegt ihnen fern.36 Trotz der großen Teilnehmerzahlen verzeichnen die Fridays for Future-Demonstrationen bisher keine größeren Zwischenfälle – auch nicht in Aachen, wo schließlich 40.000 Menschen teilnehmen37; auch wenn sich bei einer Weggabelung einige Hundert abspalten, um den Weg nach Garzweiler einzuschlagen.38

Von Hong Kong über New York bis Kuala Lumpur – die Klimastreiks haben den Globus erfasst und haben einen tief greifenden Effekt auf die Kinder und Jugendlichen. Sie lernen, den Status quo in Zweifel zu ziehen, sie erfahren Selbstwirksamkeit und Verhandlungsmöglichkeiten. Sie bringen sich ein und lassen sich nicht in eine »Opferrolle« pressen. Sie denken aktiv über die Gestaltung der Welt nach und agieren hochkooperativ. Gezielt üben sie sich im friedlichen Miteinander, beispielsweise durch das Einhalten der gewaltfreien Kommunikation. Eine solche Basis für Entwicklung kann die Welt insgesamt nur sicherer und gesünder machen.

Greta Thunberg wird als »Ikone« und »geistige Führerin« der Klima­bewegung gefeiert39 – von Außenstehenden, denn innerhalb der Bewegung ist klar, dass sie voll von bemerkenswerten Charakteren ist. Greta selbst macht sich nichts aus dem Trubel um ihre Person. Sie sagt: »Ich sehe mich nicht als Anführerin, sondern als Aktivistin, die anderen eine Protestform zeigt.«40 Stolz sei sie nicht auf das, was sie geschafft habe. Sie sehe es als ihre Pflicht. Zudem betont sie immer wieder, dass die Kraft des Protestes in der Masse liegt, also bei allen Menschen, die an den Demonstrationen teilnehmen. Gleichwohl erkennt Greta das Potenzial und die Verantwortung der ihr zugesprochenen Rolle und nimmt sie an.

Ihre Rede in Kattowitz wird hunderttausendfach im Netz abgerufen.41 Dort sagt sie den berühmten Satz: »Ich habe gelernt, dass man nie zu klein ist, um einen Unterschied zu machen.« Bei ihrer Rede vor dem Europaparlament kämpft sie mit den Tränen, als sie über das Artensterben und die Zerstörung der Natur spricht.42 In ihrer Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos äußert sie die legendären Sätze: »Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag fühle. Ich will, dass ihr handelt, als würde das Haus brennen. Weil es so ist.«43

Trotz ihres häufigen »Schuleschwänzens« während der neunten Klasse erhält Greta ein Zeugnis mit der besten Note in 14 von 17 Fächern. In den anderen drei Fächern bekommt sie die zweitbeste Note.44 Derweil hat Greta angekündigt, nach der neunten Klasse ein »Sabbatical« einzulegen und ein Jahr lang nicht zur Schule zu gehen. Das ist problemlos möglich, weil die Schulpflicht in Schweden nach neun Jahren endet. Nach einem Jahr möchte sie zurückkehren und die Oberstufe absolvieren. Bis dahin will sie sich allerdings voll und ganz dem Kampf gegen die Klimakrise widmen.45 Im September 2019 wird sie am Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York teilnehmen, im Dezember 2019 an der Weltklimakonferenz in Santiago de Chile.46 Zusammen mit Fridays for Future hat Greta Thunberg den Amnesty-Menschenrechtspreis erhalten,47 die Universität Mons in Belgien hat angekündigt, ihr im Oktober 2019 einen Ehrendoktor für ihre Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit zu verleihen.48

Wissenschaftler geben uns Feedback

© privat

Sebastian Grieme (19) hat parallel zum Engagement fürs Klima Abitur gemacht und studiert jetzt Physik in Potsdam. Am 8. April 2019 präsentierte er zusammen mit drei weiteren AktivistInnen die Forderungen von Fridays for Future.

»Was wir gestartet haben, gibt wirklich Hoffnung, es doch noch zu schaffen.«

»Parallel zu den Arbeitskreisen von Fridays for Future das Abitur zu machen war stressig, aber dafür habe ich eben alles andere zurückgestellt. Nun ist das Abitur zwar geschafft, Zeit zum Durchschnaufen habe ich aber noch nicht, weil es einfach so viel zu tun gibt. Derzeit schlafe ich fünf Stunden pro Tag.

Aktiv engagiere ich mich seit rund einem Jahr für den Klimaschutz. Zuvor war ich auch schon sehr interessiert, habe jedoch erst einmal viel gelesen und mich noch nicht so recht aus der Deckung getraut. Jetzt thematisiere ich die Probleme und Lösungen offensiv.

Anfang, Mitte Dezember 2018 gab es die ersten Ideen zu Schülerstreiks in Deutschland. Im Zuge dessen gründeten drei, vier Leute auch eine rheinlandpfälzische Gruppe. Im Internet fand ich einen Einladungslink, so wie viele andere auch. Schnell bauten wir auf diese Weise Masse auf. Das Forderungspapier von Fridays for Future haben wir mit einer hundertköpfigen Arbeitsgruppe erstellt. Grund war, dass wir zwar erstaunlich wohlwollende Reaktionen von Politikern bekamen – ›toll, dass sich die Jugend so engagiert, wir begrüßen das von Herzen‹ –, doch gehandelt wurde nicht. Wir wurden gelobt wie verrückt und sahen parallel, wie sich die Bundesregierung in den EU-Verhandlungen dafür einsetzte, dass die CO2-Grenzwerte für Autoneuzulassungen wenig ambitioniert ausfallen,49 und eine Verschärfung der EU-Klimaziele erfolgreich verhinderte.50Und das, obwohl Merkel damals schon hatte verlauten lassen, ›wie toll wir wären‹.

Das war ein derartiger Widerspruch, dass wir uns gezwungen fühlten, noch einmal mit wissenschaftlichen Quellen zusammenzufassen, was notwendig ist, um das Pariser Klimaabkommen und die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Immerhin hat ja die Regierung einstimmig unterzeichnet, dass sie große Anstrengungen dazu unternehmen wird. Zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie machen, besteht allerdings ein riesengroßer Unterschied. Dabei ist spätestens seit dem Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) völlig klar und öffentlich bekannt, dass die Erderwärmung dringend unter 1,5 Grad gehalten werden sollte.