Alle Galgenlieder - Christian Morgenstern - E-Book

Alle Galgenlieder E-Book

Christian Morgenstern

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Beschreibung

Christian Morgensterns berühmte Gedichtsammlungen ›Galgenlieder‹, ›Palmström‹, ›Palma Kunkel‹ und ›Der Ginganz‹ wurden später unter dem Titel ›Alle Galgenlieder‹ zusammengefasst. Viele der Gedichte sind klassisch geworden, "Das Nasobēm" etwa, "Das Mondschaf", "Die Trichter", "Fisches Nachtgesang" und andere mehr.

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Seitenzahl: 106

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Christian Morgenstern

Alle Galgenlieder

Reclam

2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Manuskript in Form eines Richtbeils. Vorlage: Deutsches Literaturarchiv Marbach

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961433-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019590-1

www.reclam.de

Inhalt

GalgenliederVersuch einer EinleitungWie die Galgenlieder entstandenLass die Moleküle rasen,Bundeslied der GalgenbrüderGalgenbruders Lied an Sophie, die HenkersmaidNein!Das GebetDas große LalulāDer Zwölf-ElfDas MondschafLunovisDer Rabe RalfFisches NachtgesangGalgenbruders FrühlingsliedDas HemmedDas ProblemNeue Bildungen, der Natur vorgeschlagenDie TrichterDer TanzDas KnieDer SeufzerBim, Bam, BumDas aesthetische WieselDer Schaukelstuhl auf der verlassenen TerrasseDie Beichte des WurmsDas Weiblein mit der KunkelDie MitternachtsmausHimmel und ErdeDer Walfafisch oder Das ÜberwasserMondendingeDie SchildkrökröteDer HechtDer Nachtschelm und das Siebenschwein oder Eine glückliche EheDie beiden EselDer SteinochsTapetenblumeDas WasserDie LuftWer denn?Der LattenzaunDie beiden FlaschenDas Lied vom blonden KorkenDer WürfelKronprätendentenDie WestePhilanthropischDer MondDie WestküstenUnter ZeitenUnter SchwarzkünstlernDer Traum der MagdZäzilieDas NasobēmAnto-logieDie HystrixDie ProbeIm Jahre 19000Der GaulDer heroische PudelDas HuhnMöwenliedIgel und AgelDer WerwolfDie FingurDas Fest des WüstlingsKm 21Geiß und SchleicheDer PurzelbaumDie zwei WurzelnDas Geburtslied Oder: Die Zeichen Oder: Sophie und kein EndeGalgenkindes WiegenliedWie sich das Galgenkind die Monatsnamen merktGalgenbergPalmströmPalmströmDas böhmische DorfNach NordenWestöstlichDer vorgeschlafene HeilschlafBildhauerischesDie KugelnLärmschutzZukunftssorgenDas WarenhausBona fideSprachstudienTheaterDie WissenschaftIm TierkostümDie TagnachtlampeDie Korfsche UhrPalmströms UhrKorfs GeruchsinnDie Geruchs-OrgelDer AromatDer WeltkurortDie MausefalleIm WinterkurortPalmström an eine Nachtigall, die ihn nicht schlafen ließDie weggeworfene FlinteKorfs VerzauberungKorf-MünchhausenEuropens BücherDie PriesterinDer RockNotturno in WeißKorf in BerlinAlpinismusDer eingebundene KorfDie BrilleDie MittagszeitungDer durchgesetzte BaumDer fromme RieseKorf erfindet eine Art von Witzen –Palmström legt des Nachts sein Chronometer –Die WindhosenVom ZeitunglesenDie ZimmerluftBilderDie WaagePlötzlich …L’art pour l’artFeuerprobeDie wirklich praktischen LeuteDie unmögliche TatsacheDie BehördeProfessor PalmströmDas PolizeipferdVenus-Palmström-AnadyomeneGleichnisSpekulativDer TräumerPalmström lobtDie beiden FestePalma KunkelMuhme KunkelExlibrisWort-KunstDas ForsthausDer Papagei›Lore‹LorusDer KaterDer BartDie ZirbelkieferDer DroschkengaulMopsenlebenDer MeilensteinTäuschungVice versaDie wiederhergestellte RuheAuf dem FliegenplanetenDas PerlhuhnDas EinhornDie NäheDer SalmDie ElsterAnfrageAntwort (i. A.)Entwurf zu einem TrauerspielDas ButterbrotpapierDroschkengauls JännermeditationDas Auge der MausZwischendurchDie SchuheDas TellerhafteSchicksalDas Grab des HundsDas NilpferdDer Sperling und das KänguruNaturspielDer gestrichene BockDer LeuTertius gaudensDas GeierlammDeus ArtifexDie FledermausDer ZwiUnter SpiegelbildernDie UnterhoseEin böser TagDas BuchGeburtsakt der PhilosophieDer KorbstuhlPhysiognomischesRondellDie zwei ParallelenDenkmalswunschDer GingganzDer GingganzDer AesthetDie OsteDer VergessLieb ohne WorteErEs pfeift der Wind …Der heilige PardauzGolch und FlubisGespenstDie drei WinkelDer SchnupfenLebens-LaufIm Reich der InterpunktionenEtiketten-FrageDie GlockeDas LöwenrehKlabautermannBrief einer KlabauterfrauDie LampeDer PapageiDas Symbol des MenschenSchiff ›Erde‹GruselettDas MondschafDer SchülerDer MalerDer RabbinerDer HahnDie ZeitDas GrammophonDie TafelnDie StationenDer BahnvorstandDer GlaubeDer GroßstadtbahnhoftauberDer E. P. V.UkasDer kulturbefördernde FüllAuf einer BühneZivilisatorischesToilettenkünsteDer WassereselDer neue VokalVom Stein-Platz zu CharlottenburgDie Häusertürme von Neu-BerlinAus der VorstadtMägde am SonnabendDie LämmerwolkeScholastikerproblemDie zwei TurmuhrenEin modernes MärchenSt. ExpeditusAus dem Anzeigenteil einer Tageszeitung des Jahres 2407Zu dieser Ausgabe

Galgenlieder

Dem Kinde im Manne

 

Im echten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.

Nietzsche

Versuch einer Einleitung

Wir leben in einer bewegten Zeit. Ein Tag folgt dem andern, und neues Leben sprosst aus den Ruinen. Auf moralischem, medizinischem, poetischem, patriotischem Gebiete, in Handel, Wandel, Kunst und Wissenschaft, allüberall dieselbe Erscheinung, dieselbe Tendenz. Symptom reiht sich an Symptom. Und solch ein Symptom war auch die Idee, welche eines schönen Tages des hinverflossenen Jahrhundertendes acht junge Männer, fest entschlossen, dem feindlichen Moment, wo immer, im Sinne der Zeit und auch wieder nicht im Sinne der Zeit – diese Zeit, wie jede, als eine Zeit nicht nur der Bewegung schlechthin, sondern einer sowohl ab- wie aufsteigenden Bewegung, mit zeitweilig dem Ideale unentwegten Fortschritts nur zu abgekehrter Vorwiegung des ersteren Moments in ihr gesehen – die Singspielhalle, sozusagen, ihres Humors entgegenzustellen, zusammenschmiedete.

Ein sonderbarer Kult vereinte sie. Zuvörderst wird das Licht verdreht, ein schwarzes Tuch dann aus dem Korb und übern Tisch gezogen, mit Schauderzeichen reich phosphoresziert, und bleich ein einzig Wachs inmitten der Idee des Galgenbergs entnommner freudig-schrecklicher Symbole. Dazu heißt der erste Schuhu: der hängt zuhöchst und gibt den Klang zum Hauch des Rabenaas, der das Mysterium verwest; der dritte heißt Verreckerle: der reicht das Henkersmahl; der vierte Veitstanz, zubenannt der Glöckner: der zieht den Armesünderstrang; der fünfte Gurgeljochem: der schert den Lebensfaden durch; der sechste Spinna, das Gespenst: der schlägt zwölf; der siebente Stummer Hannes, zubenannt der Büchner: der singt Fisches Nachtgesang, und der achte Faherügghh, mit dem Beinamen der Unselm: der kann das Simmaleins und spricht das große Lalulā. Und es wird das Knochenklavier geschaffen und der Gelächtertrab und die Elementarsymphonie und der Huckepackdalbert und der Eulenviertanz und der Galgenschlenkerer und Sophie, die Henkersmaid, als Symbild von der Weisheit unverweslichem Begriff.

Ein modulationsfähiger Keim.

Und in der Tat, wenn irgendwo, wenn irgendwann, musste gerade damals und gerade bei denjenigen Kräften der Volksseele, in denen das Herz der vom Geist der neuen Zeit am wunderlichsten beeindruckten Unvoreingenommenheit des Natürlichen am zukunftswetterschwangervollsten pochte, ein besonders abwelthafter Rückschlag wider das Gesetz in der Vernunft vonseiten mehr exzös gerichteter Seelen erfolgen und damit ein Beweisschatten mehr geworfen werden, dass keine Zeit, so dunkel sie auch sich und in sich selber sei, indem sie »ihr Herze offenbart«, mit all den Widersprüchen, Knäueln, Gräueln, Grund- und Kraftsuppen ihres Wesens, als Schwan zuletzt mit Rosenfingern über den Horizont ihres eigenen Chaos – und sei es auch nur als ein Wesenstel ihrer selbst und sei es auch nur mit der lächelndsten Träne im Wappen – emporzusteigen sich zu entbrechen den Mut, was sage ich, die Verruchtheit hat.

Es darf daher getrost, was auch von allen, deren Sinne, weil sie unter Sternen, die, wie der Dichter sagt: »dörren, statt zu leuchten«, geboren sind, vertrocknet sind, behauptet wird, enthauptet werden, dass hier einem sozumaßen und im Sinne der Zeit, dieselbe im Negativen als Hydra gesehen, hydratherapeutischen Moment ersten Ranges – immer angesichts dessen, dass, wie oben, keine mit Rosenfingern den springenden Punkt ihrer schlechthin unvoreingenommenen Hoffnung auf eine, sagen wir, schwansinnige oder wesentielle Erweiterung des natürlichen Stoffgebietes zusamt mit der Freiheit des Individuums vor dem Gesetz ihrer Volksseele zu verraten sich zu entbrechen den Mut, was sage ich, die Verruchtheit haben wird, einem Moment, wie ihm in Handel, Wandel, Kunst und Wissenschaft allüberall dieselbe Erscheinung, dieselbe Frequenz den Arm bieten, und welches bei allem, ja vielleicht gerade trotz allem, als ein mehr oder minder modulationsfähiger Ausdruck einer ganz bestimmten und im weitesten Verfolge exzösen Weltauffasserraumwortkindundkunstanschauung kaum mehr zu unterschlagen versucht werden zu wollen vermag – gegenübergestanden und beigewohnt werden zu dürfen gelten lassen zu müssen sein möchte.

 

 Hochachtungsvoll!

Jeremias Müller, Lic. Dr.

Wie die Galgenlieder entstanden

Es waren einmal acht lustige Könige; die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie Könige zueinander sprechen. »Die Welt ist ohne Salz; lasst uns nach Salz gehen!« sagte der zweite. »Und wenn es Pfeffer wäre«, meinte der sechste. »Wer weiß das Neue?« fragte der fünfte. »Ich!« rief der siebente. »Wie nennst du’s?« fragte der erste. »Das Unterirdische«, erwiderte der siebente, »das Links, das Rechts, das Dazwischen, das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.« »Und der Weg dazu?« fragte der achte. »Das einarmige Kreuz ohne Kopf und der Basis über dem Winkel«, sagte der siebente. »Also der Galgen!« sagte der vierte. »Esto«, sprach der dritte. Und alle wiederholten: »Esto«, das heißt »Jawohl«.

Und die acht lustigen Könige rafften ihre Gewänder und ließen sich von ihrem Narren hängen. Den Narren aber verschlang allsogleich der Geist der Vergessenheit. – –

Betrachten wir den ›Galgenberg‹ als ein Lugaus der Phantasie ins Rings. Im Rings befindet sich noch viel Stummes.

Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schulbank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgen die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre.

Lass die Moleküle rasen,

was sie auch zusammenknobeln!

Lass das Tüfteln, lass das Hobeln,

heilig halte die Ekstasen!

Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,

wir hängen hier am roten Zwirn!

Die Unke unkt, die Spinne spinnt,

und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!

Du bist verflucht! so sagt die Eule.

Der Sterne Licht am Mond zerbricht.

Doch dich zerbrach’s noch immer nicht.

O Greule, Greule, wüste Greule!

Hört ihr den Huf der Silbergäule?

Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!

da taut’s, da graut’s, da braut’s, da blaut’s!

Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, küsse mir den Schädel!

Zwar ist mein Mund

ein schwarzer Schlund –

doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, streichle mir den Schädel!

Zwar ist mein Haupt

des Haars beraubt –

doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, schau mir in den Schädel!

Die Augen zwar,

sie fraß der Aar –

doch du bist gut und edel!

Nein!

Pfeift der Sturm?

Keift ein Wurm?

Heulen

Eulen

hoch vom Turm?

Nein!

Es ist des Galgenstrickes

dickes

Ende, welches ächzte,

gleich als ob

im Galopp

eine müdgehetzte Mähre

nach dem nächsten Brunnen lechzte

(der vielleicht noch ferne wäre).

Das Gebet

Die Rehlein beten zur Nacht,

hab acht!

Halb neun!

Halb zehn!

Halb elf!

Halb zwölf!

Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,

hab acht!

Sie falten die kleinen Zehlein,

die Rehlein.

Das große Lalulā

Kroklokwafzi? Seṁemeṁi!

Seiokrontro – prafriplo:

Bifzi, bafzi; hulaleṁi:

quasti basti bo …

Lalu lalu lalu lalu la!

Hontraruru miromente

zasku zes rü rü?

Entepente, leiolente

klekwapufzi lü?

Lalu lalu lalu lalu la!

Simarar kos malzipempu

silzuzankunkrei (;)!

Marjomar dos: Quempu Lempu

Siri Suri Sei [ ]!

Lalu lalu lalu lalu la!

Der Zwölf-Elf

Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:

Da schlägt es Mitternacht im Land.

Es lauscht der Teich mit offnem Mund.

Ganz leise heult der Schluchtenhund.

Die Dommel reckt sich auf im Rohr.

Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor.

Der Schneck horcht auf in seinem Haus;

desgleichen die Kartoffelmaus.

Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast

auf einem windgebrochnen Ast.

Sophie, die Maid, hat ein Gesicht:

Das Mondschaf geht zum Hochgericht.

Die Galgenbrüder wehn im Wind.

Im fernen Dorfe schreit ein Kind.

Zwei Maulwürf küssen sich zur Stund

als Neuvermählte auf den Mund.

Hingegen tief im finstern Wald

ein Nachtmahr seine Fäuste ballt: