Allerdings - Gedichte - Joachim Ringelnatz - E-Book

Allerdings - Gedichte E-Book

Joachim Ringelnatz

0,0

Beschreibung

Ein wahres Muss für echte Ringelnatz-Fans. Mit einem etwas ernsteren Blick schreibt der für seine humoristische Feder bekannte Lyriker über die Themen des Alltags, die ihn bewegen. Gefühlsfragen und Liebe, aber auch zeitgenössische Gesellschaftsthemen finden in diesem Band besondere Beachtung, der Ringelnatz' charakteristische Art zu schreiben nicht vermissen lässt. -

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 73

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Joachim Ringelnatz

Allerdings - Gedichte

Ginster gewidmet

Saga

Allerdings - Gedichte

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1928, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728015773

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!

Ich würde dir ohne Bedenken

Eine Kachel aus meinem Ofen

Schenken.

Ich habe dir nichts getan.

Nun ist mir traurig zu Mut.

An den Hängen der Eisenbahn

Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei – verjährt –

Doch nimmer vergessen.

Ich reise.

Alles, was lange währt,

Ist leise.

Die Zeit entstellt

Alle Lebewesen.

Ein Hund bellt.

Er kann nicht lesen.

Er kann nicht schreiben.

Wir können nicht bleiben.

Ich lache.

Die Löcher sind die Hauptsache

An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.

Alte Winkelmauer

Alte Mauer, die ich oft benässe,

Weil's dort dunkel ist.

Himmlisches Gefunkel ist

In deiner Blässe.

Pilz und Feuchtigkeiten

Und der Wetterschliff der Zeiten

Gaben deiner Haut

Wogende Gesichter,

Die nur ein Dichter

Oder ein Künstler

Oder Nureiner schaut.

»Können wir uns wehren?«

Fragt's aus dir mild.

Ach, kein Buch, kein Bild

Wird mich so belehren.

Was ich an dir schaute,

Etwas davon blieb

Immer. Nie vertraute

Mauer, dich hab' ich lieb.

Weil du gar nicht predigst.

Weil du nichts erledigst.

Weil du gar nicht willst sein.

Weil mir deine Flecken

Ahnungen erwecken.

Du, eines Schattens Schein.

Nichts davon wissen

Die, die sonst hier pissen,

Doch mir winkt es: Komm!

Seit ich dich gefunden,

Macht mich für Sekunden

Meine Notdurft an dir fromm.

Nach dem Gewitter

Der Blitz hat mich getroffen.

Mein stählerner, linker Manschettenknopf

Ist weggeschmolzen, und in meinem Kopf

Summt es, als wäre ich besoffen.

Der Doktor Berninger äußerte sich

Darüber sehr ungezogen:

Das mit dem Summen wär' typisch für mich,

Das mit dem Blitz wär' erlogen.

Alter Mann spricht junges Mädchen an

Guten Tag! – Wie du dich bemühst,

Keine Antwort auszusprechen.

»Guten Tag« in die Luft gegrüßt,

Ist das wohl ein Sittlichkeitsverbrechen?

Jage mich nicht fort.

Ich will dich nicht verjagen.

Nun werde ich jedes weitere Wort

Zu meinem Spazierstock sagen:

Sprich mich nicht an und sieh mich nicht,

Du Schlankes.

Ich hatte auch einmal ein so blankes,

Junges Gesicht.

Wie viele hatten,

Was du noch hast.

Schenke mir nur deinen Schatten

Für eine kurze Rast.

Ritter Sockenburg

Wie du zärtlich deine Wäsche in den Wind

Hängst, liebes Kind

Vis à vis,

Diesen Anblick zu genießen,

Geh ich, welken Efeu zu begießen.

Aber mich bemerkst du nie.

Deine vogelfernen, wundergroßen

Kinderaugen, ach erkennen sie

Meiner Sehnsucht süße Phantasie,

Jetzt ein Wind zu sein in deinen Hosen –?

Kein Gesang, kein Pfeifen kann dich locken.

Und die Sehnsucht läßt mir keine Ruh.

Ha! Ich hänge Wäsche auf, wie du!

Was ich finde. Socken, Herrensocken;

Alles andre hat die Waschanstalt.

Socken, hohle Junggesellenfüße

Wedeln dir im Winde wunde Grüße.

Es ist kalt auf dem Balkon, sehr kalt.

Und die Mädchenhöschen wurden trocken,

Mit dem Winter kam die Faschingszeit.

Aber drüben, am Balkon, verschneit,

Eisverhärtet, hingen hundert Socken.

Ihr Besitzer lebte fern im Norden

Und war homosexuell geworden.

Umweg

Ging ein Herz durchs Hirn Güte suchen,

Fand sie nicht, doch hörte da durchs Ohr

Zwei Matrosen landbegeistert fluchen,

Und das kam ihm so recht rührend vor.

Ist das Herz dann durch die Nase krochen.

Eine Rose hat das Herz gestochen,

Hat das Herz verkannt.

In der Luft hat was wie angebrannt

Schlecht gerochen.

Und das Wasser schmeckte nach Verrat.

Leise schlich das Herz zurück,

Schlich sich durch die Hand zur Tat,

Hämmerte.

Und da dämmerte

Ihm das Glück.

Schenken

Schenke groß oder klein,

Aber immer gediegen.

Wenn die Bedachten

Die Gaben wiegen,

Sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.

Schenke dabei

Was in dir wohnt

An Meinung, Geschmack und Humor,

So daß die eigene Freude zuvor

Dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.

Sei eingedenk,

Daß dein Geschenk

Du selber bist.

Der wilde Mann von Feldafing

Er schien zum Kriegsmann geboren.

Er trug nach allen Seiten hin Bart.

Selbst seine Beine waren behaart

Und steckten in Stiefeln mit Sporen.

Und trutzig über der Schulter hing

Ihm ein gewichtig Gewehr.

Mit gerunzelter Stirne ging

Er auf dem Bahnhof von Feldafing

Hin und her.

Und stehend, stolz und schulterbreit

Fuhr er dann zwei Stationen weit.

Die Kinder bestaunten ihn sehr.

Doch ehe noch ein Tag verging,

Schritt er schon wieder durch Feldafing

Mit einem Rucksack schwer.

Doch weil es so stark regnete,

Daß niemand ihm begegnete,

Ärgerte er sich sehr.

Als er durch seinen Garten schritt,

Sang dort ein Vögelchen Kiwitt,

Da griff er zum Gewehr:

Puff!!!

Ein kurzes Röchelchen –

Ein kleines Löchelchen –

Dann eine Katze – und etwas später:

Ein kleines Knöchelchen

Und eine Feder. –

Der wilde Mann von Feldafing.

Marschierende Krieger

Vor mir her schritt Infanterie,

Eine ganze Kompanie

Kräftiger Soldaten.

Stramm im Takte traten

Sie den Sand,

Schritten achtlos über einen

Kleinen Käfer, den ich fand.

Ich blieb stehen,

Um ihn zu besehen,

Und weil's hinter jenem Militär

Stark nach Schweiß und Leder roch.

Da: – Der Käfer kroch

Plötzlich fort, als ob er lebend wär.

Doch ich konstatierte noch:

Nur zwei Steinchen an zwei Seiten retteten –

Gleichsam wie als Felsenwände – diesen –

Gleichsam zwischen ihnen eingebetteten –

Käfer vorm Zertrampeltwerden durch die Riesen.

Große Riesen – kleine Tiere –

Und ich lief, die Wandersohlen,

Die so stanken, einzuholen,

Weil ich gar zu gern im Takt marschiere.

Und ich hustete und spuckte

Staub und mußte viermal niesen.

Und ich schluckte. Und ich duckte

Mich vor Felsenwänden und vor Riesen.

Blindschl

Ich hatte einmal eine Liebschaft mit

Einer Blindschleiche angefangen;

Wir sind ein Stück Leben zusammen gegangen

Im ungleichen Schritt und Tritt.

Die Sache war ziemlich sentimental.

In einem feudalen Thüringer Tal

Fand ich – nein glaubte zu finden – einmal

Den ledernen Handgriff einer

Damenhandtasche. Es war aber keiner.

Ich nannte sie »Blindschl«. Sie nannte mich

Nach wenigen Tagen schon »Eicherich«

Und dann, denn sie war sehr gelehrig,

Verständlicher abgekürzt »Erich«.

Allmittags haben gemeinsam wir

Am gleichen Tische gegessen,

Sie Regenwürmer mit zwei Tropfen Bier,

Ich totere Delikatessen.

Sie opferte mir ihren zierlichen Schwanz.

Ich lehrte sie überwinden

Und Knoten schlagen und Spitzentanz,

Schluckdegen und Selbstbinder binden.

Sie war so appetitlich und nett.

Sie schlief Nacht über in meinem Bett

Als wie ein kühlender Schmuckreif am Hals,

Metallisch und doch so schön weichlich.

Und wenn ihr wirklich was schlimmstenfalls

Passierte, so war es nie reichlich.

Kein Sexuelles und keine Dressur.

Ich war ihr ein Freund und ein Lehrer,

Was keiner von meinen Bekannten erfuhr;

Wer mich besuchte, der sah sie nur

Auf meinem Schreibtisch steif neben der Uhr

Als bronzenen Briefbeschwerer.

Und Jahre vergingen. Dann schlief ich einmal

Mit Blindschl und träumte im Betti

(Jetzt werde ich wieder sentimental)

Gerade, ich äße Spaghetti.

Da kam es, daß irgendwas aus mir pfiff.

Mag sein, daß es fürchterlich krachte.

Fest steht, daß Blindschl erwachte

Und – sie, die sonst niemals nachts muckte –

Wild züngelte, daß ich nach ihr griff

Und sie, noch träumend, verschluckte.

Es gleich zu sagen: Sie ging nicht tot.

Sie ist mir wieder entwichen,

Ist in die Wälder geschlichen

Und sucht dort einsam ihr tägliches Brot.

Vorbei! Es wäre – ich bin doch nicht blind –

Vergebens, ihr nachzuschleichen.

Weil ihre Wege zu dunkel sind.

Weil wir einander nicht gleichen.

Schlummerlied

Will du auf Töpfchen?

Fühlst du ein Dürstchen?

Oder ein Würstchen?

Senke dein Köpfchen.

Draußen die schwarze, kalte

Nacht ist böse und fremd.

Deine Hände falte.

Der liebe Gott küßt dein Hemd.

Gute Ruh!

Ich bin da,

Deine Mutter, Mama;

Müde wie du.

Nichts mehr sagen –

Nicht fragen –

Nichts wissen –

Augen zu.

Horch in dein Kissen:

Es atmet wie du.

Angstgebet in Wohnungsnot

(1923)

Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht

Uns aus der Wohnung jagen.

Was soll ich ihr denn noch sagen –

Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?

Ich ringe meine Hände.

Weil ich keinen Ausweg fände,

Wenn's eines Tags so wirklich wär:

Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, –

Daß das auf der Straße stände.

Sollt ich's versetzen, verkaufen?

Ist all doch nötigstes Gerät.

Wir würden, einmal, die Not versaufen,

Und dann: wer weiß, was ich tät.

Ich hänge so an dem Bilde,

Das noch von meiner Großmama stammt.

Gott, gieße doch etwas Milde

Über das steinerne Wohnungsamt.

Wie meine Frau die Nacht durchweint,

Das barmt durch all meine Träume.

Gott, laß uns die lieben zwei Räume

Mit der Sonne, die vormittags hinein scheint.

Antwort auf einen Brief des Malers Oskar Coester

Ein Wort auf das, was du gesprochen.