Alles beginnt mit dir - Brooke Harris - E-Book

Alles beginnt mit dir E-Book

Brooke Harris

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Beschreibung

Die 15-jährige Kayla und ihre Mutter Heather sind unzertrennlich. Seit Jahren bilden sie ein unschlagbares Duo, das gemeinsam lacht, Friends schaut und Cupcakes backt. Doch als Kayla stürzt und ins Krankenhaus muss, bricht für Mutter und Tochter eine Welt zusammen. Denn sie werden mit einer schrecklichen Nachricht konfrontiert: Kayla hat Knochenkrebs. Plötzlich rückt die gesamte Patchworkfamilie zusammen – Kaylas Vater, seine neue Frau Charlotte und die gemeinsame Tochter Molly. Und während alle um Kaylas Leben bangen, hat diese vor allem einen Wunsch: das Glück für ihre Mutter finden …

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Buch

Die 15-jährige Kayla und ihre alleinerziehende Mutter Heather sind schon immer unzertrennlich. Sie sind ein unschlagbares Team, das gemeinsam lacht, Friends schaut und Cupcakes backt. Der Vater Gavin lebt mit seiner neuen Familie in Dublin. Kayla ist der Star der Basketballmannschaft in der Schule. Doch als sie bei einem Turnier stürzt und ins Krankenhaus muss, bricht für Mutter und Tochter eine Welt zusammen. Denn sie werden mit einer schrecklichen Nachricht konfrontiert: Kayla hat Knochenkrebs und wird nach Dublin zum Spezialisten Dr. Jack Patterson überwiesen. Plötzlich rückt die gesamte Patchworkfamilie zusammen – Kaylas Vater, seine neue Frau Charlotte und die gemeinsame Tochter Molly. Und während alle um Kaylas Leben bangen, hat diese vor allem einen Wunsch: das Glück und die Liebe für ihre Mutter zu finden …

Weitere Informationen zu Brooke Harris sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Brooke Harris

Alles beginnt mit dir

Roman

Aus dem Englischen von Sina Hoffmann

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »My Daughter’s Choice« bei Bookouture.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstveröffentlichung März 2022

Copyright © der Originalausgabe by Brooke Harris

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

by Goldmann Verlag, ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotiv: © Stocksy / Jovana Vukotic

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: ik

Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-24463-7V001www.goldmann-verlag.de Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

»Wie Touristen reisen wir durch diese Welt. Für einige von uns ist es ein langes, kurvenreiches Abenteuer. Für andere nur eine kurze Stippvisite. Am Ende bleibt jedoch eine Frage: Hast du die Reise genossen? Und das habe ich. Sehr sogar.«

– Kayla Prendergast Doran

Prolog

September

Nur noch eine Minute bis zum Abpfiff. Das Herz hämmert mir in der Brust, als ich vom einen Ende der Schulturnhalle zum anderen laufe und den Ball dribbele, während ich mich durch das Gewimmel der verschwitzten Körper hindurchschlängele.

»Kayla! Kayla! Kayla!«, feuern mich die Schüler, Lehrer und Eltern von der Seitenlinie aus an. Die Turnhalle ist brechend voll, und alle Blicke ruhen auf mir.

»Wenn du den Korb jetzt wirfst, gewinnen wir!«, ruft mir Aiden, mein bester Freund, zu, während er einen wirklich großen Spieler aus der gegnerischen Mannschaft deckt und mich dadurch vor ihm abschirmt.

Ich werfe einen Blick auf die Anzeigetafel. Noch dreißig Sekunden. Schweiß tropft mir aus den Haaren und läuft mir in die Augen. Mit zitterndem Arm wische ich mir über die Stirn, bremse ab und komme vor dem Korb zum Stehen.

»Kayla! Kayla! Kayla!«, hallen die Anfeuerungsrufe in meinen Ohren.

»Wirf, Kayla! Wirf!«, schreit Aiden.

Die Füße leicht nach außen gesetzt, konzentriere ich mich auf den Korb. Ich beuge die Knie und werfe den Ball – begleitet von einem lauten Schrei, der sich aus mir entlädt.

Die Turnhalle bricht in Jubelrufe aus, und alle klatschen; meine Mannschaft kommt auf mich zugerannt. Alle versammeln sich um mich, während ich zu Boden sinke und einfach nicht glauben kann, was gerade passiert ist.

»Du hast es geschafft, Kayla! Wir haben gewonnen!«, ruft Aiden und schlängelt sich durch unsere Mannschaftskameraden hindurch, die sich um mich drängen. »Was machst du da unten?«, fragt er überrascht, als er sieht, wie ich auf dem Boden sitze und hin und her schwanke. »Ist das zu fassen? Wir stehen im Finale! Unsere Schule steht seit zwanzig Jahren zum ersten Mal im Finale!«

»Wo ist meine Mum?«, frage ich und schlucke meine Tränen hinunter.

Immer noch lächelnd wirft Aiden einen Blick über die Schulter zurück. »Sie kommt, aber es könnte ein Weilchen dauern, bis sie es durch die Menschenmenge schafft. Die Leute rasten total aus!«

Die Aufregung ist elektrisierend; stampfende Füße, Klatschen, Gelächter und Anfeuerungsrufe. Doch ich kann an nichts anderes denken als an den pochenden Schmerz in meinem Knie. Irgendwas stimmt da nicht! Irgendetwas ist mit meinem Knie nicht in Ordnung. Aiden hält mir seine Hand hin und zieht mich hoch. Vor Schmerz hätte ich wieder schreien können, doch ich beiße mir mit den Schneidezähnen auf die Unterlippe und schlucke den Schrei hinunter.

»Alles in Ordnung?«, fragt er, während sein Lächeln stockt. »Hat dich deine eigene Großartigkeit umgehauen? Man könnte meinen, du weinst!«

»Ich will meine Mum!«, sage ich. »Ich will einfach nur meine Mum.«

Endlich ist Mum nah genug, dass sich unsere Blicke treffen, und als sie mich sieht, verändert sich ihre Miene schlagartig. Ihr ist klar, dass ich nicht Freudentränen vergieße. Sie weiß, dass ich mich verletzt habe.

Ich will einfach nur meine Mum.

1.

Heather

Eine Woche später

Mit angehaltenem Atem stehe ich vor dem Zimmer meiner Tochter. Ich habe die Beine ein wenig gespreizt – auf diese Art und Weise zittern meine Knie nicht ganz so arg. Die Arme habe ich vor der Brust verschränkt, als wäre ich verärgert. Dabei ist das gar nicht der Fall. Kayla gibt mir nie einen Grund, verärgert zu sein. Sie ist kein typischer Teenager, aber ich denke, ich bin genauso wenig die typische Mutter. Natürlich sind wir Mutter und Tochter, doch in erster Linie sind wir beste Freundinnen. Ich will nicht behaupten, dass wir gar nicht streiten. Immerhin sind wir Menschen – keineswegs perfekt. Aber wenn wir schon einmal streiten, dann meist wegen unwichtiger Dinge, wie zum Beispiel, wer das letzte Stück Pizza gegessen hat oder ob Ross wirklich der Richtige für Rachel ist, wenn wir mal wieder viel zu lang aufbleiben, um zusammen alte Wiederholungen von Friends zu gucken. Und wir haben nie, wirklich niemals Geheimnisse voreinander. Bis jetzt. Kayla hat mir ein großes Geheimnis verschwiegen. Mit tut es im Herzen weh, wenn ich darüber nachdenke, wie anders jetzt alles sein könnte, wenn sie mir bloß früher gesagt hätte, unter welchen Schmerzen sie gelitten hat.

Ich atme mehrmals tief aus, bis mir fast schwindelig wird, und will gerade anklopfen, als durch den Spalt der nur angelehnten Tür ein Kichern zu mir dringt, das mich innehalten lässt. Ich lächele und schüttele den Kopf. Wie so oft frage ich mich, wie man bloß den ganzen Tag in der Schule zusammen verbringen kann und dann nach Hause geht, um den halben Abend zusammen weiterzuquatschen.

»Zu deiner Zeit damals gab es eben noch kein Snapchat«, erinnert mich Kayla gern regelmäßig. »Auf die Art und Weise unterhalten sich die Leute eben heute. Das ist komplett normal.«

Normal, denke ich. Alles ist wieder unsicher. Mit einem Mal fühlt sich Normalität wie ein Privileg an, das wir einfach als selbstverständlich vorausgesetzt haben.

Als das sorgenfreie Gelächter, wie man es aus der Kindheit kennt, lauter und aufgedrehter wird, bringe ich es nicht übers Herz, Kayla zu stören. Nicht jetzt. Ich muss diesen Normalzustand für mich noch ein wenig aufrechterhalten.

»Ich kann dieses Jahr nicht zum Jahrmarkt gehen«, höre ich Kayla sagen. »Meine Mum hat schlechte Laune. Wahrscheinlich hat sie von irgendeiner Mutter etwas Heikles gehört.«

»Was denn?« Aidens raue Stimme klingt so laut und deutlich, als befände er sich mit meiner Tochter in einem Zimmer.

»Keine Ahnung«, entgegnet Kayla. »Vielleicht hat sie von betrunkenen Jugendlichen gehört. Erinnerst du dich? Die Hälfte unserer Stufe war letztes Jahr sternhagelvoll.«

»Haha, ja, stimmt«, lacht Aiden. »Da waren einige Spezialisten dabei! Roisin Kelly hat in ein Gebüsch gekotzt. Das war so ziemlich das Witzigste, was ich je gesehen habe, weißt du noch?«

Ich keuche. Mrs Kelly hält ihre Kinder für vollkommen. Was sie wohl dazu sagen wird, wenn sie je herausfinden sollte, was Roisin so alles hinter ihrem Rücken treibt?

»Sag deiner Mutter doch einfach, dass du nicht trinkst«, fährt Aiden fort. »Sie wird dir glauben, oder?«

»Sie weiß, dass ich nicht trinke«, erwidert Kayla und klingt dabei ein wenig verschnupft, woraufhin mein Herz vor Stolz fast platzt. »Aber ich glaube gar nicht, dass es daran liegt. Sie ist total gestresst. Ich glaube vielmehr, dass mein kaputtes Knie sie wahnsinnig macht.«

»Hast du ihr denn gesagt, dass nächste Woche ein wichtiges Spiel ansteht? Da musst du einfach spielen. Ohne dich können wir nicht gewinnen«, antwortet Aiden.

Kayla seufzt. »Ich bezweifele, dass sie mich spielen lässt. Sie hat einen Riesenaufstand gemacht, dass ich es langsam angehen lassen soll. Seit wir aus dem Krankenhaus zurück sind, ist sie komisch. Dabei waren die Untersuchungen gar nicht so schlimm. Ich hatte eine CT und bin geröntgt worden. Na ja, sie haben mir Blut abgenommen. Das war ziemlich fies.«

»Ich verstehe nur immer noch nicht, warum wegen eines verstauchten Knies plötzlich so viele Untersuchungen nötig sind«, erwidert Aiden.

»Yep. Versteh ich auch nicht.« Kayla seufzt. »Das ist sterbenslangweilig und mit elendiger Warterei verbunden.«

Aiden schnaubt. »Ja, aber es lohnt sich, weil du dadurch nicht zur Schule musst. Mr Gibbons hat uns gestern drei Seiten Mathehausaufgaben aufgegeben! Der ist so ein Blödmann!«

»Das glaube ich!«, antwortet Kayla. »Mum und ich gehen immer nach dem Krankenhaus zu McDonald’s oder trinken einen heißen Kakao, das ist echt cool. Aber ich glaube, die Untersuchungen sind jetzt vorbei. Wahrscheinlich komme ich morgen oder übermorgen wieder zur Schule.«

»Was haben denn die Untersuchungen ergeben?«, fragt Aiden.

»Keine Ahnung«, erwidert Kayla. »Das dauert eine Ewigkeit, bis die Ergebnisse da sind. Aber mein Knie ist jetzt wieder super, deswegen war das alles eigentlich nur eine riesengroße Zeitverschwendung.«

Die Federn in Kaylas Bett quietschen auf einmal, und ich bin mir sicher, dass sie ihr jetzt-wieder-super-Knie austestet. Ich will am liebsten hineinmarschieren und ihr sagen, sie soll damit aufhören, bevor sie erneut fällt. Oder durch die Decke nach unten bricht und in der Küche landet. Der Vermieter wird ausrasten, sollten noch mehr Schäden auftreten. Er meckert immer noch über den Fleck auf dem Teppichboden, den wohl ein Haarfärbemittel hinterlassen hat, obwohl ich ihm schon hundertmal gesagt habe, dass der Fleck bereits vor unserem Einzug dort war. Ich habe einfach einen Läufer gekauft und drübergelegt, damit ich nicht jedes Mal an den Vermieter denken muss, wenn mein Blick auf den Fleck fällt.

Mit einem Mal klingt Aidens Stimme sehr ernst, und ich lausche besorgt. »Sag deiner Mum, dass dein Knie wieder in Ordnung ist, und komm dann zum Jahrmarkt mit. Es sei denn, du bist ein Schisserhuhn und schiebst das nur vor, um nicht auf die Steilwand mitzukommen.« Mit aufgeregten Gackergeräuschen zieht er sie auf.

»Mann!«, blafft Kayla. »Hör auf. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht kann.«

»Überleg dir doch etwas Nettes, um dich bei ihr einzuschleimen«, schlägt Aiden vor. »Räum die Spülmaschine aus. Bring ihr Frühstück ans Bett. Mütter lieben Frühstück im Bett.«

»Aiden, komm schon …«

»Was denn?«, entgegnet Aiden. »Du wirst doch wohl wissen, wie du ihr Honig ums Maul schmieren kannst.«

»Die ganzen Untersuchungen sind ziemlich teuer, und meine Mutter konnte währenddessen nicht arbeiten gehen. Sie ist ziemlich schlecht gelaunt. Können wir das Thema jetzt einfach beenden?«

»Okay! Sorry. Ich habe nur versucht, dich ein wenig aufzuheitern, Kayla«, antwortet Aiden ernst. »Ich wollte dich nicht verärgern. Mütter verhalten sich immer komisch. Das ist doch nichts Neues.«

»Meine Mutter nicht«, entgegnet Kayla, und die Tränen, die ich die ganze Zeit über mühevoll zurückgehalten habe, kullern mir über die Wangen. »Sie ist ziemlich cool.«

»Aber nicht cool genug, um dich an diesem Wochenende ausgehen zu lassen«, widerspricht Aiden.

Stille breitet sich aus, und einen Augenblick lang frage ich mich, ob Kayla vielleicht gemerkt hat, dass ich sie belausche. Ich weiß selbst nicht einmal, was ich hier mache. Ich belausche meine Tochter sonst nie. Das habe ich nämlich gar nicht nötig. Wir quatschen wie beste Freundinnen miteinander, und sie berichtet mir über alle Neuigkeiten, die sie betreffen. Wahrscheinlich will ich nur Zeit schinden. Denn ich weiß, dass sich mit einem Schlag alles ändern wird, sobald ich an Kaylas Tür klopfe.

»Hör mal«, sagt Aiden. »Sag deiner Mutter doch einfach, dass ich auch da bin und gut auf dich aufpassen werde. Und das mache ich, das weißt du.«

»Jetzt wirst du mir ein wenig unheimlich, du Spinner«, lacht Kayla laut. »Aber es hat keinen Sinn, sich darüber noch weiter zu unterhalten.«

Mir wird das Herz ganz schwer, als ich die Enttäuschung höre, die in Kaylas Stimme mitschwingt. Aber sie hat recht. Ich werde es ihr keinesfalls erlauben, mit ihren Freunden auf den Jahrmarkt im Dorf zu gehen, obwohl sie dort in den letzten beiden Jahren hindurfte. Aber Kayla kennt die Gründe noch nicht, und ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich es fertigbringen soll, ihr davon zu erzählen.

»Ich muss los«, stellt Aiden plötzlich fest. »Abendessen ist fertig. Ich rufe dich später noch mal an, ja?«

»Ja, klar!«, erwidert Kayla. »Bye!«

Es folgt eine jähe Stille, bevor schließlich Ed Sheerans neueste Single so laut dröhnt, dass selbst Kaylas Kinderzimmertür klappert. Halb taub weiche ich zurück, drehe mich um und stehe direkt an der Treppe. Gott sei Dank befindet sich das Geländer unmittelbar neben mir. Schnell greife ich danach, als meine Knie nachgeben. Schwerfällig lasse ich mich auf die oberste Stufe fallen und schlage mir die Hände vors Gesicht.

Ich hasse es, meine Teenagertochter wie ein gestörter Spion zu belauschen und zu kontrollieren, als hätte sie etwas falsch gemacht – insbesondere, da sie ein wirklich liebes Kind ist. Ich hasse mich wirklich dafür, in den letzten Tagen derart fahrig gewesen zu sein und immerzu so gewirkt zu haben, als sei ich in Gedanken ganz woanders oder gar nicht mehr ich selbst. Eigentlich hatte ich angenommen, meine Sorgen erfolgreich vor Kayla verborgen zu haben – was ich offenbar wohl doch nicht geschafft habe. Am allermeisten verabscheue ich mich dafür, vor zehn Minuten ans Handy rangegangen zu sein und einen Anruf von einem Arzt aus dem Krankenhaus angenommen zu haben. Er hat mich nämlich gebeten, morgen vorbeizukommen, um mit mir Kaylas Untersuchungsergebnisse zu besprechen.

»Worum geht es denn?«, habe ich ihn gefragt.

»Würde Ihnen halb zwölf passen?«, sagte er, als sei das eine Antwort auf meine Frage.

Halb zwölf passt mir ganz und gar nicht. Bereits jetzt habe ich schon so viel Zeit bei der Arbeit versäumt, und ich habe morgen eigentlich von neun bis zwölf Uhr mittags durchgehend Meetings. Ohne zu zögern habe ich jedoch mit »Natürlich!« geantwortet. Und dann habe ich mich noch mit »Vielen Dank« bedankt. Ich habe mich tatsächlich bei dem Arzt für die Gelegenheit bedankt, dass er mir schlechte Nachrichten übermitteln wird. Mir ist klar, dass es schlechte Nachrichten sein müssen, denn bei allem anderen hätte er mir das Ergebnis ja wohl am Telefon mitgeteilt, oder?

Ich habe selbst jede Menge solcher Anrufe getätigt. Nur rede ich nicht mit den Leuten über ihre Gesundheit, sondern lediglich über ihr Geld. Für die Mehrheit meiner Kunden ist Geld das Wichtigste auf der Welt. Ich frage mich ernsthaft, ob sie diesbezüglich wohl ihre Meinung ändern würden, wenn sie sähen, wie viel Gewicht meine Tochter in letzter Zeit verloren hat oder wie sie nur noch leicht hinkend geht.

»Bitte kommen Sie baldmöglichst in mein Büro«, sage ich dann immer, monoton und ohne irgendwelche Anhaltspunkte zu verraten, doch die Person am anderen Ende der Leitung weiß bereits automatisch, dass es sich um schlechte Nachrichten handelt. Manchmal fragt derjenige nach weiteren Einzelheiten. Oftmals jedoch auch nicht. Aber die Leute schaffen es immer, sich Zeit im Kalender freizuschaufeln und einen Termin wahrzunehmen, ganz gleich, wie beschäftigt sie zu sein beteuern.

»Mum.« Kayla taucht hinter mir auf und legt mir ihre Hand auf die Schulter.

»Aaah!«, kreische ich und schlage mir erschrocken die Hand auf die Brust.

Durch die laut dröhnende Musik habe ich gar nicht gehört, wie sie hinter mir ihre Zimmertür geöffnet hat. Kayla kichert. Schließlich muss ich auch lachen und hoffe inständig, dass Kayla mir abnimmt, dass ich mir mit dem Ärmel unter den Augen entlangwische, weil ich Tränen gelacht habe – und nicht etwa aus anderen Gründen.

Kayla quetscht sich zwischen mich und das Geländer und lässt sich auf der gleichen Treppenstufe nieder wie ich. Dann legt sie ihren Kopf auf meine Schulter, sagt aber keinen Ton.

»Hey, du«, sage ich und muss mich gleichzeitig sehr konzentrieren, um meine bebenden Schultern ruhig zu halten. »Was hättest du gern zum Abendessen? Vielleicht was von unserem Chinesen? Oder Pizza?«

Kayla holt tief Luft und schmiegt sich eng an mich. »Mum, was ist los? Sag’s mir bitte. Ich mache mir Sorgen um dich.«

Ich schlinge die Arme um meine Tochter und ziehe sie fest an mich. Und flehe meine Magenkrämpfe inständig an, zumindest so lange nachzulassen, dass ich den Duft von Kaylas Haaren und die Wärme ihrer Umarmung genießen kann.

»Das ist eine schwerwiegende Entscheidung«, keuche ich und bleibe ruhig. »Pizza oder Chinese. Damit steht und fällt der ganze Abend.«

Kayla richtet sich auf, und ich lasse sie los. Ich schaue meiner Teenagertochter in die wunderschönen himmelblauen Augen und habe Mühe, mich an einen Tag zu erinnern, bevor sie ein Teil meiner Welt wurde.

»Für Krabbenchips würde ich sterben«, grinst Kayla. »Können wir das Essen liefern lassen?«

»Gute Idee«, erwidere ich. »Dann hätte ich noch Zeit, schnell ein paar Brownies als Nachtisch zu zaubern. Was meinst du?«

»Hm, lecker!«, antwortet Kayla, steht auf und hüpft ein paar Stufen hinunter, bevor sie sich mit einem kessen Grinsen halb zu mir umdreht. »Ich suche uns schon mal was auf Netflix aus. Von diesem Dokumentarkram, den du da in letzter Zeit angeguckt hast, habe ich die Nase voll. Du musst unbedingt Riverdale sehen, Mum! Alle in der Schule finden das toll. Dir wird das auch gefallen!«

»Okay, Süße«, willige ich ein und klammere mich verzweifelt an einen weiteren Tag voller Normalität. »Okay.«

2.

Charlotte

Der nächste Tag

»Molly, Süße. Wo sind deine Schuhe?«

Meine vierjährige Tochter steht an der Haustür, während ihr noch die Reste der Schokoflakes in den Mundwinkeln kleben.

»Weiß nich.« Molly zuckt mit den Schultern. Sie dreht das Kinn und schaut über die Schulter zurück. »Daddy?«, brüllt sie dann in Richtung Küche.

Mein Ehemann kommt in den Flur geeilt und trägt die gleichen Überreste des zuckrigen Frühstücks rund um seinen Mund zur Schau.

»Schuhe?«, sage ich, schüttele den Kopf und deute auf die Füße unserer Tochter.

»Ich weiß, ich weiß. Ich war gerade dabei«, erwidert Gavin, wirft einen Blick zu Molly hinüber und hofft auf einen Hinweis, während er sich mit der Rückseite der Hand über den Mund wischt, um die Schokoladenreste loszuwerden.

Eigentlich sollte ich nicht seufzen, aber ich kann nicht anders. Ich weiß Gavins Mühen sehr zu schätzen, mich heute Morgen ausschlafen zu lassen, allerdings kennt er Mollys Abläufe einfach nicht so gut wie ich. Also lag ich eben im Bett, habe möglichst lange an die Decke gestarrt und so getan, als würde mir der Trubel rund um die Schuluniform und die Turnsachen nichts ausmachen. Mit Mollys kleiner Krawatte unter dem Arm bin ich dann so gelassen wie möglich die Treppe runtergekommen.

»Deine Schuhe sind da, wo du sie gestern Abend liegen gelassen hast, Molly«, erkläre ich, während ich ihr die Krawatte um den Hals lege und sie ihr binde. »Auf dem Badezimmerboden.«

»Oh, stimmt.« Molly lächelt, dreht sich von mir weg und rennt die Treppe rauf. »Jetzt weiß ich’s wieder.«

»Du meine Güte! Das Kind würde seinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre!«, stellt Gavin mit schiefem Lächeln fest.

»Yep.« Ich nicke und versuche, meinen Frust nicht zu zeigen, da ich Molly gestern ganze drei Mal gebeten habe, die Schuhe in ihr Zimmer zu bringen.

Ich gehe in die Küche. Gavin folgt mir und setzt sich an den Küchentisch, um seine restlichen Choco Krispies aufzuessen.

»Kaffee?«, frage ich und fülle den Wasserkocher.

»Mmm-hmm«, nickt Gavin, hebt seine Schüssel an die Lippen und trinkt die Kakaomilch aus.

Nachdem ich den Wasserkocher angestellt habe, nehme ich anschließend den Müsliriegel und ein Tütchen Chips aus Mollys Pausenbrotdose heraus. Stattdessen packe ich ihr zwei Schnitten Fünfkornbrot und einen Apfel ein. Ich halte mich gar nicht erst damit auf, die Regel rund um ein gesundes Frühstück zu erwähnen. Gavin hat das Schreiben, das wir bei der Schulanmeldung bekommen haben, genauso gelesen wie ich.

»Du hast heute kein Turnen, Molly. Heute ist Dienstag«, erkläre ich, als mein kleines Mädchen wieder in die Küche kommt, die Schuhe am jeweils falschen Fuß und die Turnsachen in den Händen. »Aber nach der Schule hast du Klavierunterricht, denkst du daran?«

»Ich hasse Tavier«, protestiert Molly.

»Ich weiß.« Ich nicke. »Aber nur, weil du gerade erst angefangen hast. Aller Anfang ist schwer. Aber wenn du einmal älter bist und du all deine Lieblingslieder spielen kannst, wirst du darüber noch mal unheimlich froh sein.«

»Werde ich nicht.« Molly stampft mit dem Fuß auf. »Ich hasse Lieder. Ich hasse alle Lieder.«

»Okay«, seufze ich und ignoriere das lächerliche Argument meiner Tochter.

Mir liegt es auf der Zunge, hervorzuheben, dass sie für jemanden, der alle Musik auf der Welt hasst, die Werbejingle einer Zahnpasta aber jeden Abend beim Zähneputzen liebend gern summt. Aber wir sind schon spät dran, und mir ist klar, dass die Ironie der Aussage bei meiner Vierjährigen ohnehin sinnlos verpuffen würde.

»Daddy! Los jetzt!«, ruft Molly und nimmt mir die Pausenbrotdose aus der Hand.

Gavin steht auf und merkt dabei nicht, dass Molly ihm gleichzeitig die Schultasche aus der Hand zieht. Deren Reißverschluss ist offen, sodass die Schreibmappe und ein Schnellhefter rausrutschen und zu Boden fallen.

»Ups.« Molly kichert und bückt sich, um alles wieder aufzuheben.

»Molly, das kann doch gar nicht wahr sein!«, stöhne ich und eile ihr zu Hilfe. »Du musst ein bisschen besser aufpassen!«

»Hab ich nicht extra gemacht.« Mollys Unterlippe zittert.

»Alles gut, Prinzessin«, tröstet Gavin sie und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Wir alle machen mal Fehler. Sogar Mummy.«

Innerlich stöhne ich auf und verdrehe die Augen.

»Komm schon, Molly«, treibe ich sie an, da mir bewusst ist, dass wertvolle Sekunden verstreichen – wir werden zu spät kommen. »Steck die Sachen in deine Tasche zurück, während ich das Problem mit deinen Schuhen behebe.«

»Die muss man gar nicht heben.« Molly deutet auf ihre Füße.

»Nein«, seufze ich und verliere langsam die Geduld. »Aber sie sind am jeweils falschen Fuß, oder nicht?«

»Sind sie nicht!« Molly zieht die Nase kraus.

»Molly, die sind am falschen Fuß.«

»Sind sie nicht.« Molly lässt sich auf den Po fallen und versteckt die Füße unter sich. Dann verschränkt sie die Arme vor der Brust und starrt mich trotzig an.

»Meine Güte!«, schimpfe ich und bücke mich, um Mollys Schreibmappe und den Schnellhefter wieder in ihre Tasche zu stecken. »Jetzt gib mir deine Füße. Du wirst dir sonst noch auf dem Schulhof den Hals brechen, wenn du die Schuhe nicht richtig herum anziehst!«

»Nein. Nein. NEIN!«, brüllt Molly.

Ich gebe mich geschlagen, stehe auf und starre Gavin an. Mein Blick bittet ihn, mit seiner Tochter ein ernstes Wörtchen zu reden. Aber just in dem Augenblick, als mein Mann mit dem Zeigefinger auf sie deutet und er die Lippen öffnet, klingelt sein Handy. Schnell zieht er den Finger zurück, fährt mit der Hand in die Tasche und holt es heraus.

»Das ist Heather«, erklärt Gavin und deutet aufs Display.

Aus Wut und Verzweiflung lächele ich übertrieben strahlend, weil ich keine Ahnung habe, was ich sonst angesichts der Nachricht, dass seine Ex-Verlobte anruft, machen sollte.

»Hallo«, begrüßt Gavin sie und hat das Handy schneller am Ohr, als ich Zeit habe, ihm zu antworten. »Nein. Natürlich rufst du nicht ungelegen an. Was ist los?«

»Natürlich rufst du nicht ungelegen an«, äffe ich ihn nach und verdrehe die Augen, als Gavin ins Nebenzimmer geht.

Molly lacht. »Du bist albern, Mummy«, stellt sie fest und stürzt vorwärts, um mir ihre Arme fest um die Taille zu legen. »Ich hab dich lieb!«

»Ich dich auch, meine Kleine!«, antworte ich.

»Ich bin nicht mehr klein!«, protestiert Molly. Sie lässt mich los und lässt sich wieder auf den Po fallen. Dann streckt sie die Arme aus, zieht die Schuhe aus und wechselt sie an den jeweils anderen Fuß. »Siehst du? Ich bin schon groß.«

Ein Ergebnis. Ich lächele.

»Komm«, sage ich, nehme Molly an die Hand und helfe ihr hoch. »Lass uns mal nachschauen, ob Daddy fertig ist. Ich will nicht zu spät kommen.«

Ich werfe mir einen Riemen von Mollys rosa glitzernder Schultasche über die Schulter und klemme mir die grellpinke Brotdose unter den Arm. Molly hält meine Hand und hüpft neben mir zum Wohnzimmer.

Die Wohnzimmertür ist einen Spaltbreit geöffnet, und ich will sie gerade mit der Hand aufstoßen, als ich höre, wie Gavin krächzt und seine Stimme sich überschlägt.

»Oh Gott. Okay. Oh Gott«, sagt er. »Du meine Güte, Heather! Das kann nicht wahr sein! Bitte sag, dass das nicht wahr ist!«

Ich ziehe meine Hand zurück, drehe mich um und will Molly in die Küche zurückdirigieren, doch sie reißt sich von mir los und stößt die Tür so fest auf, dass sie an die Wand knallt.

»Molly, um Himmels willen, Daddy ist beschäftigt!«, schimpfe ich.

»Daddy, sieh mal.« Molly hüpft ins Wohnzimmer und ignoriert mich. »Ich habe das Problem selbst gehoben! Ganz allein! Mummy hat gesagt, ich wäre noch klein, aber ich habe es selbst gehoben!«

Gavin steht vor dem Kamin und dreht sich nicht zu uns um. Nicht einmal, als Molly das Wohnzimmer durchquert und an der Gesäßtasche seines Anzugs zupft. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern steht er da. Gavin ist knapp ein Meter neunzig groß, und von seiner Rugbyzeit auf dem College ist er immer noch recht muskulös, doch mit einem Mal ist mein Ehemann in sich zusammengesunken und wirkt fast zerbrechlich. Als würde ihn das Gewicht dessen, was Heather ihm gesagt hat, körperlich erdrücken.

»Molly«, rufe ich. »Molly, Süße, komm her zu mir.«

Molly lässt Gavin los, wirbelt zu mir herum und sieht mich an. Gavin schweigt und nickt immer wieder, während er statuenhaft dasteht, das Telefon fest ans Ohr gepresst. Ich frage mich, ob er überhaupt mitbekommen hat, dass wir hier sind.

»Molly, lauf bitte mal kurz nach oben und putz dir die Zähne, ja?«, bitte ich sie.

»Das habe ich schon.« Molly verzieht das Gesicht, reißt den Mund auf und zeigt mir ihre oberen und unteren Zähne. »Schau!«

»Kannst du sie dir bitte noch einmal putzen gehen?«

»Aber …«

»Erinnerst du dich daran, was die Zahnfee gesagt hat?«, frage ich.

Molly atmet aus. »Blitzeblanke Zähne hat die Zahnfee am liebsten.«

»Ganz genau. Und jetzt lauf hoch. Braves Mädchen.« Ich weiche aus dem Türrahmen zurück, damit Molly genug Platz hat, um an mir vorbei zur Treppe zu gehen. »Ich bin gespannt, wie funkelnd sauber du sie putzen kannst!«

»Ich kann sie super funkelnd putzen. Die funkeln dann noch mehr als meine Schultasche«, erklärt Molly und rennt die Treppe hinauf. Ich verzichte auf die eigentlich fällige Ermahnung, dass sie nicht zu schnell laufen soll.

Molly lässt die Badezimmertür offen stehen, und ich warte ab, bis ich den Wasserhahn laufen höre, bevor ich ihre Schultasche und die Pausenbrotdose auf der Couch ablege und zu Gavin eile. Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter und spüre, wie er zittert. So kenne ich ihn gar nicht. Dafür, dass sie einmal zusammen waren, haben Heather und Gavin eine fast schon irritierend gute Beziehung zueinander. Kaylas Erziehung haben sie so gerecht zwischen sich aufgeteilt wie nur möglich, obwohl sie an entgegengesetzten Enden des Landes leben. Gavin zahlt den Löwenanteil aller Kosten: Schulausflüge, Zahnspange, neue Schuhe. Nie beschwert er sich auch nur mit einem Wort darüber. Insgeheim bin ich überzeugt, dass er sich Heather gegenüber schuldig fühlt, weil Heather nach Kaylas Geburt das College verlassen hat, während er unbehelligt seinem Studium nachgehen konnte.

»Ich verdiene mehr«, erklärt mir Gavin jedes Mal, wenn eine weitere Zahnarztrechnung in unserem Briefkasten landet.

Und das stimmt. Aber Heather tanzt diese Woche vollkommen aus der Reihe. Sie hat Gavin mindestens schon zehnmal angerufen, und das alles nur, weil Kayla hingefallen ist und sich das Knie verstaucht hat. Heather spricht von wer weiß welchen Spezialisten, von denen Gavin und ich noch nie etwas gehört haben, und zweifellos denkt Heather mal wieder, die Bank of Gavin wird für sämtliche Kosten aufkommen. Das läuft doch völlig aus dem Ruder! Darüber muss ich später dringend mit Gavin reden.

»Gavin«, sage ich und packe seine Schulter ein wenig fester. »Was ist los?«

Als Gavin sich zu mir umdreht, ist alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Seine Augen blicken mich an, nur scheint er mich gar nicht zu sehen. Er hält weiterhin das Telefon ans Ohr gepresst, aber ich glaube nicht, dass noch jemand am anderen Ende ist. Mit einem Mal bezweifele ich, dass es hier ums Geld geht.

Über unseren Köpfen ertönen leichte Schritte, und mir ist klar, dass jede Sekunde Molly die Treppe herunterkommen wird.

Ich greife nach Gavins Hand und ziehe sie von seinem Ohr herunter. Er hält das Handy so fest umklammert, dass seine Knöchel hervortreten und so schneeweiß leuchten wie sein Gesicht. Ich versuche erst gar nicht, ihm das Handy aus der Hand zu nehmen oder mit ihm zu sprechen; stattdessen schiebe ich meine Hand um seine Taille und führe ihn zum Sofa. Er geht, macht aber winzige Schritte wie ein kleines Kind. Ein schreckliches Gefühl der Schwere breitet sich in meinem Magen aus, als wir das Sofa erreichen und ich mit beiden Händen zu den Schultern meines Mannes hinaufgreifen und diese herunterdrücken muss, damit er sich hinsetzt.

»Muuuuummmyyyy, ich finde meine Schultasche nicht!«, brüllt Molly von oben.

Ich werfe einen Blick auf ihre Tasche, die eingeklemmt halb neben, halb unter Gavin auf dem Sofa liegt.

»Such weiter«, rufe ich und gehe zur Tür hinüber, sodass ich Molly oben am Treppenabsatz im Blick habe. »Schau noch mal in deinem Zimmer nach. Braves Mädchen.«

»Okay.« Molly zuckt mit den Schultern, dreht sich um und eilt in ihr Zimmer.

Einen Moment lang schließe ich die Augen und atme aus, bevor ich mich schließlich wieder zu Gavin umdrehe. Mir ist natürlich klar, dass Molly nicht mehr lange abgelenkt werden kann, aber ich will unbedingt vermeiden, dass sie mithört, was Gavin mir gleich erzählen wird.

Als ich die Augen wieder öffne, hat Gavin die Hände vors Gesicht geschlagen und schüttelt den Kopf.

»Was hat sie gesagt, Gavin?«, frage ich. »Gibt es schlechte Nachrichten?«

Gavin sagt keinen Ton. Als er endlich die Hände sinken lässt, sind seine Augen gerötet, und mir fällt auf, dass er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten kann.

»Mummy, ich kann sie nicht finden!«, jammert Molly. »Ich habe überall gesucht.«

»Oh, um Himmels willen, Molly!« Ich verdrehe die Augen und marschiere in den Flur.

Wieder steht Molly oben am Treppenabsatz. Sie hat die Arme weit ausgebreitet und schüttelt den Kopf. »Ich glaube, Daddy hat sie versteckt. Vielleicht will er nicht, dass ich heute zur Schule gehe.«

Ich schaue zu meinem verzweifelten Ehemann zurück. Erst vor wenigen Minuten hat er noch mit der Begeisterung eines Teenagers Kinderflakes zum Frühstück gefuttert; jetzt sitzt er völlig kraftlos da, zittert am ganzen Körper und wirkt so schwach wie ein dreimal so alter Mann.

So ein Mist, warum kann ein Tag nicht ein einziges Mal normal ablaufen?

Vor Monaten hat Gavin mal erzählt, dass Heathers Job auf der Kippe steht. Was, wenn man sie endgültig entlassen hat und sie umzieht? Es wäre Gavins Tod, wenn Kayla noch weiter von ihm wegziehen würde. Ohne Kayla kann er nicht leben.

»Mummy, hörst du mir zu?« Molly schiebt eine Hüfte vor und wackelt drohend mit dem Zeigefinger.

Mir fällt es schwer, angesichts meines Mini-Ichs, das mich vom oberen Ende der Treppe her ausschimpft, ernst zu bleiben.

»Tut mir leid, Süße«, erwidere ich, während ich die Treppe hinaufgehe und Gavin nur ungern allein zurücklasse. »Mummy ist heute Morgen ein wenig komisch, oder?«

Molly nickt. »Und Daddy auch. Daddy ist ganz komisch. Er wusste nicht, dass heute Taviertag ist.«

»Das stimmt.« Ich hole tief Luft. »Daddy ist heute auch komisch.«

Molly lässt den erhobenen Zeigefinger sinken und wirkt mit einem Mal ganz unsicher, als ob sie gleich weinen würde. Ich hoffe, sie hat von der Spannung, die in der Luft liegt, nichts mitbekommen. Die meisten meiner Erziehungsratgeber besagen, dass Kinder alle möglichen Gefühlseinflüsse um sie herum wahrnehmen, obwohl Erwachsene ihnen das meist gar nicht zutrauen. Ich fände es zum Beispiel schrecklich, wenn Molly nur ansatzweise mitbekäme, wie sehr ich mit dem Einfluss zu kämpfen habe, den Heather immer noch auf Gavin ausübt. Oder wie unsicher mich das macht.

»Weißt du was?«, frage ich und klatsche begeistert in die Hände. »Wir kommen jetzt schon zu spät zur Schule. Wie wäre es, wenn wir bis zum Ende der großen Pause warten, bis du zur Schule gehst? Wie fändest du das?«

»Aber ich habe schon meine Schuhe an!« Molly deutet auf ihre Zehen. »Und auch richtig rum.«

»Ich weiß, Süße«, lächele ich. »Aber Mummy und Daddy müssen sich jetzt über etwas Wichtiges unterhalten. Ich bringe dich ein wenig später zur Schule, okay?«

»Meinst du …« Molly holt tief Luft, was sie gerader und größer dastehen lässt, bevor sie schnell wieder ausatmet, »… Erwachsenensachen? Ich will auch über Erwachsenensachen reden.«

»Hmmm«, seufze ich, als ich die Hand meines kleinen Mädchens nehme und sie sanft drücke. »Dieses Mal leider nicht, meine Süße.«

Molly lässt den Kopf sinken und rollt sich auf den Zehen vor und zurück. »Oh«, sagt sie.

»iPad«, erwidere ich schnell voller Panik. »Warum nimmst du dir nicht mein iPad? Du könntest zum Beispiel Peppa Wutz gucken.«

»Humpf.« Molly stemmt die Hände in die Seiten. »Peppa Wutz ist für Babys. Ich mag Teen Titans Go! viel lieber.«

»Oookay«, nicke ich, während ich mir insgeheim vornehme nachzuhaken, was zum Teufel Gavin Molly im Fernsehen gucken lässt. »Das iPad liegt neben meinem Bett. Wenn du es nicht findest, dann sag mir …«

Doch Molly hat mir längst den Rücken zugedreht und stürmt in unser Schlafzimmer. »Hab’s schon. Ich hab’s«, ruft sie und steht nach wenigen Sekunden mit dem iPad unter dem Arm wieder vor mir.

Wenn die Schultasche doch nur ein iPad wäre, denke ich und verdrehe die Augen.

Ich strecke die Arme aus. »Soll ich es dir anstellen?«

Molly starrt mich an, als hätte ich ihr gerade einen Detox-Tee und rohen Kohl zum Frühstück aufgetischt.

»Das kann ich allein«, entgegnet sie, zieht das iPad unter ihrem Arm hervor und wedelt damit wie mit einem Fächer herum.

»Molly, sei vorsichtig!«, schimpfe ich. »Und nicht länger als zwanzig Minuten. Und nur in deinem Zimmer. Du darfst es nicht mit nach unten bringen.«

»Zwanzig Minuten«, wiederholt Molly, als hätte sie eine Vorstellung davon, wie lang das ist.

Molly eilt in ihr Kinderzimmer, schüttelt die Schuhe an der Tür ab und hüpft auf ihr Bett. Im Schneidersitz schaltet sie das iPad an. Bald darauf ertönt eine fröhliche Titelmelodie. Mit dem Fuß schiebe ich Mollys Schuhe, die zur Schuluniform gehören, beiseite und schließe ihre Kinderzimmertür, bis nur noch ein Spalt offen ist, bevor ich dann wieder nach unten gehe.

Schon an der untersten Treppenstufe werde ich von Kaffeeduft empfangen. Offensichtlich ist Gavin vom Wohnzimmer in die Küche gegangen. Am liebsten würde ich ihn sofort löchern, was um alles in der Welt Heather ihm gesagt hat, was ihn dermaßen erschüttern konnte, doch ich will auch nicht, dass es verärgert klingt. Selbst wenn es mir schwerfällt, versuche ich dennoch, mich normal zu verhalten und ihn alles in seinem eigenen Tempo erzählen zu lassen.

»Oh Gott, für eine Tasse Kaffee könnte ich jemanden umbringen«, stöhne ich beim Eintreten in die Küche und ziehe einen Stuhl unter dem Tisch hervor, für den in dem kleinen engen, vollgestellten Raum eigentlich gar kein Platz ist. »Ach ja, ich habe Molly gesagt, dass sie kurz dein iPad haben kann. Sie ist damit jetzt in ihrem Zimmer.«

»Ja, alles klar«, erwidert Gavin und rührt mit einem Löffel in seiner Tasse herum, sodass er erst klirrend an die eine, dann an die andere Seite anstößt.

»Molly liebt dieses Ding; ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Ablenkung. Nur für ein paar Minuten, damit wir uns unterhalten können. Ich bringe sie heute später zur Schule«, erkläre ich und setze mich hin.

»Aha …« Gavin rührt in der zweiten Tasse.

»Übrigens: Was ist Teen Titans Go!?«, hake ich nach. »Molly sagte, dass sie die Sendung gern sieht. Ist das nicht eher für ältere Kinder? Da bin ich mir bei den meisten Sendungen, die sie sich anschaut, nicht sicher.«

»Teen Titans Go!? Du fragst mich gerade ernsthaft nach Teen Titans Go!?« Gavin hebt die Hand hoch über den Kopf, bevor er den Löffel durch die Küche schmeißt. Er verpasst das Spülbecken; der Löffel scheppert mit einem scharfen, jähen Knall gegen den Granit, bevor er dann mit einem weniger aggressiven Klirren auf den Boden fällt.

»Gavin!«, keuche ich mit weit aufgerissenen Augen.

»Himmelherrgott, das ist nur eine Fernsehsendung, die ihr gefällt«, schimpft Gavin, als er sich hinhockt, um den Löffel aufzuheben. Nachdem er wieder aufgestanden ist, deutet er damit auf mich; seine Hand und der Löffel zittern. »Aber was ist mit dem Klavierunterricht? Und dem Schwimmunterricht und all den anderen Sachen, zu denen wir sie zwingen und die sie hasst? Wozu, Charlie? Hm? Warum zwingen wir sie dazu?«

»Gavin.« Ich schüttele den Kopf und habe Mühe, ruhig zu bleiben. »Was ist los?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.« Gavin fährt sich mit den Händen durchs Gesicht und läuft fast blind zum Esstisch. Die beiden Tassen mit dem dampfenden Kaffee lässt er dabei hinter sich auf der Küchentheke stehen.

Ich springe auf und ziehe schnell den Stuhl neben mir unter dem Tisch heraus, als mir Gavins Lippen auffallen, die nach und nach jegliche Farbe verlieren. Er lässt sich auf den Stuhl fallen.

»Warum machen wir das, hast du eine Ahnung?«, fragt Gavin wieder. »Warum drängen wir sie dazu? Wir drängen sie zum Lernen. Wir drängen sie dazu, Leistung zu erbringen. Dabei sind es nur Kinder. Kinder! Sollten sie nicht einfach nur ihre Kindheit genießen?«

Ich stelle mich hinter meinen Ehemann und streichele ihm über die Schultern. »Rede mit mir. Ja? Bitte sag mir, was los ist.«

»Heather ist angerufen worden«, erwidert Gavin und wiegt seinen Kopf von einer Seite zur anderen, als ich ihm den schmerzenden Nacken massiere. »Von einem Arzt aus der Kinderklinik.« Gavin hält inne, um seine Gedanken zu sammeln und kurz durchzuatmen. »Das war nicht derjenige, bei dem Heather mit Kayla war. Ein anderer, hier aus Dublin.«

Ich presse meine Daumen in die unnachgiebigen Vertiefungen unter Gavins Schulterblättern und lasse sie kreisen. »Okay«, nicke ich und höre ihm zu. Innerlich weiß ich bereits, dass das auf etwas zusteuert, was ich nicht hören will.

»Heather hat heute einen Termin bei diesem Arzt«, fährt Gavin fort. »Es ist wichtig.«

Ich presse die Daumen fester in Gavins Schultern. Er regt sich nicht.

»Er will uns beide sehen.« Gavin atmet tief aus. »Der Arzt will sowohl mit Heather als auch mit mir reden.«

»Tatsächlich? Mit euch beiden?«, frage ich und verdrehe schon wieder die Augen. Ich kann mich nicht an ein einziges Mal erinnern, dass Gavin Molly und mich zum Kinderarzt hätte begleiten müssen. »Meinst du, dass Heather nur …« Ich halte inne und wähle meine Worte mit Bedacht. »Meinst du, dass Heather überreagiert? Kayla hat sich das Knie verletzt, mehr nicht. Zumindest nicht ungewöhnlich für jemanden, der Basketball spielt, oder?«

»Am Telefon war Heather völlig aufgelöst«, fährt Gavin fort, und allein schon an seinem sanften Tonfall kann ich erkennen, dass er ihrer Bitte nachgeben wird.

»Ich weiß, ich weiß«, antworte ich. »Aber Kayla hat bereits die letzten Spiele versäumt, und ihr Team hat darunter gelitten. Sie wird ihren Posten als Mannschaftskapitänin verlieren, wenn sie nicht bald wieder mitspielt. Das würde ihr das Herz brechen. Kannst du nicht einfach ein ernstes Wörtchen mit Heather reden?«

»So einfach ist das nicht«, entgegnet Gavin und fährt sich zittrig mit der Hand durchs Haar.

Du meine Güte! Wie ich das hasse! Ich hasse es, welche Wirkung ein einziger lausiger Anruf von Heather auf meinen Mann haben kann!

»Ich weiß«, nicke ich. »Ich verstehe schon.« Was eine blanke Lüge ist. Nichts habe ich verstanden. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, der Elternteil eines Teenagers zu sein. Natürlich versuche ich stets, Gavin zu unterstützen, aber Kayla ist Heathers und Gavins Tochter. Die drei haben eine Verbundenheit, die ich nur von außen beobachten kann.

»Was hat denn Heather genau gesagt?«, frage ich, während ich bewusst den Druck mindere, den ich auf Gavins verhärtete Muskeln ausübe. »Ist etwas Ernstes passiert?«

Gavin greift nach hinten, nimmt meine Hände in die seinen und drückt sie ein wenig zu fest. Er tut mir weh. Ich zucke zusammen und will meine Hände zurückziehen.

»Das Krankenhaus in Cork hat Kaylas Untersuchungsergebnisse zum National Children’s Hospital hier nach Dublin geschickt.« Gavin hält kurz inne und holt tief Luft, um sich zu fangen.

»Warum sollten sie das tun?«, frage ich verwirrt.

»Die Klinik sagt, dass Kayla in Dublin von Spezialisten behandelt werden muss«, erklärt Gavin. »Die Sache ist ernst, Charlie. Ich glaube, dass Kayla richtig, richtig schlimm krank ist. Ich habe Angst.«

Ich beende die Massage. Meine Hände fallen schlaff an meinen Seiten herunter. »Oh Gott.«

3.

Heather

Wie an jedem normalen Morgen fahre ich Kayla zur Schule. Als im Radio ein Song von Ed Sheeran gespielt wird, dreht sie das Radio lauter und singt völlig schief mit. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie mich mustert, und weiß gleich, dass sie enttäuscht ist, weil ich nicht mitsinge. Aber im Moment will mir der Songtext partout nicht einfallen. Meine Gedanken drehen sich einzig und allein darum, dass ich gleich Gavin treffe und wir einen Termin beim Arzt haben.

»Weißt du, eigentlich bin ich sogar ziemlich froh, nach dieser komischen Woche wieder in die Schule zu gehen. Ich will nie mehr ein Krankenhaus von innen sehen«, stellt Kayla fest und dreht nach dem Ende des Liedes das Radio wieder leiser. Für einen Morgenmuffel ist sie überraschend munter. »Es tut gut, wieder zur Normalität zurückzukehren, oder, Mum?«

Ich bringe es nicht übers Herz, ihr darauf zu antworten. Verzweifelt bin ich auf der Suche nach Worten, die sich nicht wie eine Lüge oder ein Verrat anfühlen, doch ich finde keine. Ich fahre weiter, starr und benommen, während uns die morgendliche Radiosendung Gesellschaft leistet.

Normalerweise hüpft Kayla ein paar Straßen von ihrer Schule entfernt aus dem Auto, wenn ich im Stau der Hauptverkehrszeit festsitze, doch heute schere ich ohne nachzudenken aus dem dichten Verkehr aus und biege auf die noch rappelvollere Seitenstraße ab, die zur Schule führt. Kayla erleidet fast einen Herzinfarkt, als ich durch das Schultor fahre und direkt vor der Eingangstür anhalte.

Als ich den Motor abstelle und nach dem Türöffner greife, reißt Kayla die Augen auf und lacht. »Oh mein Gott! Du willst mich aber jetzt nicht ernsthaft bis zur Tür begleiten, oder?«

Besorgt sehe ich sie an.

»Mir geht es gut. Wirklich«, versichert mir Kayla. »Bitte, Mum. Das wird mich auf ewig verfolgen, wenn meine Mutter mich hier wie eine Fünfjährige in die Schule bringt.«

»Okay«, nicke ich, als mir Aiden auffällt, der am Haupteingang auf Kayla wartet.

Ich winke ihm zu, woraufhin er strahlend lächelt und zurückwinkt.

»Dann geh schon«, seufze ich. »Ich wünsche dir einen schönen Tag. Und sei vorsichtig. Fall nicht mehr hin, ja?«

»Hab dich lieb!«, ruft Kayla, schlingt die Arme um meinen Hals und küsst mich auf die Wange. »Bis später!«

Kayla öffnet die Wagentür; ein Stoß eiskalter Luft weht herein und lässt uns beide zusammenzucken. Ich schaue Kayla hinterher, wie sie mit einem ganz leichten Hinken die Schule betritt. Wüsste man es nicht, hätte man es wahrscheinlich übersehen. Kayla weiß, dass ich heute Abend erst spät nach Hause komme. Sie geht daher nach der Schule zu Aiden, was nicht ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich ist jedoch die Art und Weise, wie sie an der Eingangstür stehen bleibt und über die Schulter hinweg zu mir zurückschaut. In ihrem Blick liegt ein Hauch von Unsicherheit. Als wüsste sie, dass ich ihr etwas verheimliche. Das bricht mir das Herz.

Nachdem Kayla und Aiden außer Sichtweite sind, krame ich mein Handy aus der Tasche hervor und überprüfe meine Nachrichten.

Es gibt ein paar E-Mails, die meine Arbeit betreffen, sowie einen verpassten Anruf von meinem Chef. Ich überspringe alles, bis ich auf Gavins Nachricht stoße.

Sehen uns später.

Versuch, Ruhe zu bewahren.

LGG.

Ich hole tief Luft, werfe das Handy auf den Beifahrersitz und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Normalerweise wäre ich mit dem Auto nach Dublin gefahren. Autobahnfahren mag ich ziemlich gern, aber nicht heute. Heute traue ich mir selbst nicht über den Weg, mich für eine solch lange Fahrt hinter dem Lenkrad lange genug konzentrieren zu können.

Im Zug ist es brechend voll, und die Fenster sind schon beschlagen, bevor wir überhaupt den Bahnhof verlassen. Der ältere Herr neben mir unterhält sich nett mit mir, und dankbar für die Ablenkung lasse ich mich auf das Gespräch ein. Normalerweise hasse ich Small Talk, doch nachdem er etwa nach der Hälfte der Strecke ausgestiegen ist, kommt mir die Stille heute viel schlimmer vor.

Fast schon lächerlich oft werfe ich einen Blick aufs Handy. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Kaylas Schule jeden Moment anrufen wird. Und mir mitteilen wird, dass sie hingefallen ist. Oder ohnmächtig geworden ist. Oder gefallen und ohnmächtig geworden ist. Und dann würde ich mich wie eine noch viel schlimmere Rabenmutter fühlen, als ich es ohnehin schon tue.

Mir ist bewusst, dass der Arzt zuerst um ein Gespräch allein mit Gavin und mir gebeten hat, damit wir all die Fragen von Erwachsenen stellen können, die für Kayla vielleicht zu erschreckend sein könnten. Dennoch wünschte ich, Kayla wäre jetzt hier neben mir. Ich brauche eine lange, erdrückende Umarmung, wie ich sie von ihr immer bekommen habe, als sie noch klein war. Ganz gleich, wie schwierig es über die Jahre hinweg für uns wurde: Kaylas Umarmungen haben mir immer die Stärke verliehen, um weiterzumachen.

Die Zugfahrt scheint heute viel länger als sonst zu dauern. Ich zähle die Minuten, bis ich endlich vor den großen Eingangstüren der Kinderklinik stehe. Das letzte Mal war ich als Kind hier, als ich vom Fahrrad gefallen bin und mir den Ellbogenknochen gebrochen habe. In den letzten zwanzig Jahren hat sich hier nicht viel verändert. Das quadratische Klinikgebäude aus roten Backsteinen ist immer noch genauso Furcht einflößend wie früher.

Just in dem Moment, als ich durch die Eingangstür trete und von einem großen Schild empfangen werde, das die Nutzung von Mobiltelefonen strikt untersagt, klingelt mein Handy. Dennoch gehe ich ran.

»Hi! Wo bist du?«, erklingt Gavins heisere Stimme.

»Bin gleich da. Wo bist du?«, frage ich.

Am Empfang werde ich von einem Sicherheitswachmann abgefangen. Der Mann deutet erst auf das Schild, dann auf mein Handy.

»Im dritten Stock«, antwortet Gavin. »Dr. Pattersons Büro ist der zweite Raum auf der rechten Seite. Ich warte im Flur auf dich.«

»Okay, okay. Ich komme!«, erwidere ich und schaue zum Aufzug direkt vor mir und den Treppen daneben, um zu entscheiden, wie ich schneller nach oben gelangen werde.

»Miss, bitte!«, ermahnt mich der Mann vom Sicherheitsdienst und deutet erneut auf das Schild.

Ach, halt einfach den Rand, denke ich verärgert. Doch ich lächele ihn höflich an und entschuldige mich, während ich das Handy in meine Handtasche schiebe und mich schließlich für die Treppe entscheide.

Ich nehme immer zwei Stufen gleichzeitig und bin erleichtert, mich für flache Schuhe entschieden zu haben. Es überrascht mich, dass Kayla das gar nicht bemerkt hat. Denn sonst trage ich zur Arbeit immer hohe Absätze.

4.

Heather

Ich sitze am Fenster eines Cafés, das ich noch von früher kenne, und warte auf Gavin. Vor dem Krankenhaus habe ich ihn allein gelassen. Sobald wir den Haupteingang hinter uns gelassen haben, hat er Charlotte angerufen. Ich habe niemanden, den ich hätte anrufen können, deswegen bin ich einfach losgelaufen. Vielleicht hat Gavin gedacht, ich würde ihm ein wenig Freiraum geben. Vielleicht habe ich das auch tatsächlich getan. Ich glaube, ich habe aber selbst welchen gebraucht. Sobald ich im Café saß, habe ich ihm eine Nachricht geschrieben, und obwohl ich gar nicht damit gerechnet habe, dass er noch nachkommt, schrieb er sofort zurück, dass er gleich bei mir sei.

Meine Rückenlehne drückt fest gegen die Fensterscheibe, und ein kalter Luftzug kommt durch die Ritzen, wo das vergitterte Fenster nicht ganz passgenau in die Steinmauer eingesetzt ist. Die kühle Herbstluft scheint fest entschlossen zu sein, zwischen meinem Hals und dem Kragen meines Mantels hochzusteigen, mir zuzusetzen und mich so zu plagen, dass ich mich am liebsten woanders hinsetzen würde. Doch meine Beine zittern dermaßen, dass die Befürchtung, zu schwanken und hinzufallen, wenn ich jetzt aufstünde, sicherlich nicht übertrieben ist. Stattdessen schlage ich den Mantelkragen hoch und ziehe ihn fest um meinen Hals, verschränke die Arme auf dem Tisch und starre in den trüben Kaffee vor mir.

Jahrelang bin ich nicht mehr hier gewesen – genauer gesagt, seit Gavins und meiner Teenagerzeit nicht mehr. Ganz genau gesagt, seit Kaylas Geburt nicht mehr. Es sieht immer noch so aus wie früher, obwohl alles mittlerweile ein wenig veraltet und abgenutzt wirkt. Nicht zueinanderpassende Stühle stehen um ovale Mahagonitische herum. In der Mitte befindet sich ein neon-orangefarbenes Sofa vor dem einzigen rechteckigen Tisch im ganzen Laden. Ein paar Collegeschüler haben den Tisch und das Sofa in Beschlag genommen; sie sitzen dort, lachen und unterhalten sich. Das Ganze erinnert mich an eine frühe Folge von Friends, und mir drängt sich der Gedanke auf, wie sehr Kayla dieses Café gefallen würde.

»Darf ich Ihnen noch Kaffee nachschenken?«, fragt mich jemand hinter mir.

»Ähm …«, stottere ich, als sei die Frage besonders schwierig zu beantworten.

»Dann nehme ich den hier einfach mal weg, ja?« Ein Arm greift über meine Schulter hinweg und nimmt die Tasse mit dem kalten Milchkaffee mit.

»Hi!« Gavin taucht neben mir auf. »Ist der mit normaler Milch?«

»Nein. Sojamilch«, antworte ich. »Hier wird nur solche Milch benutzt.«

»Cool.« Gavin wickelt sich den dicken bunten Schal vom Hals – und ich erkenne ihn sofort wieder. Kayla hat ihn vor ein paar Jahren in der Schule gestrickt und ihn Gavin zu Weihnachten geschenkt. Ich bin überrascht, dass er ihn tatsächlich trägt.

»Wer hätte gedacht, dass dieser Laden so mit der Zeit geht?« Gavin schaut sich um und nickt der Bedienung zu. »Cool hier. Ziemlich cool sogar. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich habe keinen Parkplatz gefunden.« Gavin zieht die Arme aus seinem Mantel, hängt ihn dann über die Rückenlehne des Stuhls, der mir gegenübersteht, und setzt sich.

»Mir tut es leid«, seufze ich und mustere Gavins Gesicht, während er sich in der vertrauten Umgebung umschaut. »Ich wollte dich nicht allein stehen lassen. Aber ich musste da einfach raus, weißt du? Ich war nicht mal sicher, ob es das Café hier überhaupt noch gibt.«

»Schon gut«, entgegnet Gavin. »Alles in Ordnung.«

»Und ich wusste nicht, ob du dich daran erinnern kannst, wo das Café ist«, sprudelt es weiter aus mir hervor. Wir beide wissen daraufhin nicht, was wir sagen sollen.

»Ist doch gut hier. Alles ist gut, Heather«, versichert mir Gavin. »Und natürlich wusste ich noch, wie ich herkomme. Das Café ist was Besonderes!«

»Ja«, nicke ich und erinnere mich. »Das ist es.«

Unzählige Stunden haben Gavin und ich in diesem winzigen Café verbracht. Gavin hat immer große schwarze Caffè Americano getrunken, während ich Cappuccinos geschlürft habe, von denen mir dann anschließend immer schlecht geworden ist, weil ich erst mit siebzehn erfahren habe, dass ich unter einer Laktoseintoleranz leide.

»Kaum zu fassen, dass es zum Verkauf steht«, stellt Gavin fest und klingt dabei gleichermaßen wehmütig wie enttäuscht.

»Tut es das?«

»Ja«, nickt er. »Ist dir das große ›Zu verkaufen‹-Schild draußen über der Tür nicht aufgefallen?«

Ich schüttele den Kopf. Weder kann ich mich daran erinnern, wie ich vom Krankenhaus hergekommen bin, geschweige denn, wie ich das Café betreten und mich hingesetzt habe. Und ganz bestimmt habe ich dabei nicht auf irgendwelche Schilder über der Tür geachtet.

»Was jetzt? Noch einen Kaffee?«, fragt mich die Bedienung ungeduldig, die weiterhin hinter mir steht, und starrt mich an.

»Ja«, antworte ich, als mir klar wird, dass ich sie ganz vergessen hatte.

Ich möchte wirklich, wirklich keinen weiteren Kaffee trinken, doch meine Hände wollen sich verzweifelt an etwas festhalten.

»Für mich bitte einen großen schwarzen doppelten Espresso«, bestellt Gavin.

»Sonst etwas?«, fragt die Bedienung.

Gavin und ich schauen zu der schmalen Glasvitrine hinüber, die neben der Kasse steht. Darin befinden sich Kuchen und Gebäck, die aussehen, als stammten sie noch aus unserer Collegezeit. Doch das ist mir egal. Obwohl ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen habe, ist Essen das Letzte, was mich gerade beschäftigt.

»Das ist alles«, erwidert Gavin und dreht sich als Erster wieder um. »Nur den Kaffee bitte. Danke.«

Gavin und ich warten schweigend, bis die Bedienung wieder gegangen ist. Sie ist sogar längst schon wieder hinter die Theke zurückgekehrt, als ich endlich das Schweigen breche, das sich zwischen uns ausgebreitet hat.

»Danke, dass du mitgekommen bist«, sage ich. »Ich glaube nicht, dass ich das allein geschafft hätte.«

In Gavins Augen glitzern Tränen. »Das musst du nicht allein schaffen. Das stehen wir gemeinsam durch.«

»Ja«, nicke ich und weiß nicht, ob ich ihm glauben kann. »Du, Kayla und ich. Wir sind ein Team.«

Gavin schluckt schwer. »Wo ist Kayla heute? Ist sie ganz normal zur Schule gegangen?«

Normal. Ich schließe die Augen und wünsche mir inständig Normalität, während ich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr schiebe. Ich hole tief Luft und schlage die Augen wieder auf, obwohl ich Mühe habe, mich zusammenzureißen. »Im Moment ist sie noch in der Schule; später geht sie dann mit zu Aiden. Du kennst Aiden, oder?«

Gavin nickt. »Flüchtig. Netter Junge.«

»Das ist er«, erwidere ich. »Aidens Mutter holt die beiden nach der Schule ab und nimmt sie mit nach Hause. Sie weiß, dass ich heute Abend erst spät zu Hause bin.«

»Sie weiß es …?« Gavin reißt die Augen auf und starrt mich entsetzt an.

»Sie weiß, dass ich erst spät nach Hause komme«, wiederhole ich. »Mehr nicht. Sie weiß nichts. Wir haben eine Art Verabredung zwischen uns Müttern getroffen. Ich nehme Aiden mit, wenn sie spät dran ist oder er keinen Schlüssel hat, und sie nimmt Kayla zu sich, wenn ich bei der Arbeit festgehalten werde. Das klappt super. Und Kayla ist glücklich damit.«

»Gut. Sehr gut«, sagt Gavin, und ich spüre, dass er sich ausgeschlossen fühlt.

Unser Kaffee kommt, und die Bedienung stellt ihn wortlos vor uns ab. Ich bin überzeugt, dass sie die Stimmung bei uns am Tisch spüren kann und sie sich wünschte, weit weg zu sein.

Gott, das wäre ich auch gern. Hol mich bitte jemand hier raus!

»Danke«, nicke ich, woraufhin sie mir ein stummes Lächeln über die Schulter hinweg zuwirft, während sie zum nächsten Tisch weitergeht.

»Was hast du den Leuten gesagt?«, fragt Gavin und nimmt seine Tasse.

Meine lasse ich stehen.

»Was soll ich welchen Leuten gesagt haben?«, frage ich und schüttele den Kopf.

Gavin trinkt einen großen Schluck Kaffee und starrt mich währenddessen an. Der Kaffee ist zu heiß. Das sehe ich seiner Miene an, als er die Tasse wieder auf dem Tisch abstellt. »Kaylas Lehrern zum Beispiel. Die müssen Bescheid wissen, oder etwa nicht?«

»Doch«, erwidere ich. »Doch, die müssen Bescheid wissen.« Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wem ich Bescheid sagen müsste. Bislang hatte ich allein Kayla im Kopf.

»Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?«, fragt Gavin weiter.

Ich schüttele den Kopf.

»Und mit meinen? Du sprichst wahrscheinlich öfter mit ihnen als ich«, stellt Gavin fest.

»Mit deinen Eltern?« Meine Augen sind so groß wie Untertassen. »Oh Gott, nein!«, schnaube ich und lache qualvoll, doch es ist alles andere als lustig.

»Ja, okay, sorry«, entschuldigt sich Gavin und rutscht auf seinem Stuhl herum. Ich weiß, dass er am liebsten seinen superheißen Kaffee wieder in die Hand nehmen würde.

»Himmel, weißt du denn nicht mehr, wie deine Mum und dein Dad reagiert haben, als du ihnen gesagt hast, dass Kayla zur Welt gekommen ist?«, frage ich. »Dann stell dir bloß mal vor, wie sie durchdrehen werden, wenn wir ihnen sagen, dass Kayla sterben könnte. Ohne jeden Zweifel werden sie Möglichkeiten finden, um uns dafür verantwortlich zu machen.«

Gavin erstarrt und zieht dieselbe Grimasse wie jedes Mal, wenn ich ihn auf unsere Teenagerjahre anspreche.

»Tut mir leid«, entschuldige ich mich.

Doch Gavin rührt sich keinen Millimeter.

»Es tut mir leid«, wiederhole ich mit schlechtem Gewissen »Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Aber du hast deine Eltern ins Spiel gebracht, und ich bin immer noch davon überzeugt, dass sie mich nicht leiden können …«

»Sie könnte sterben?«, fragt Gavin.

»Nein. Nein, nein.« Ich schüttele den Kopf. »Habe ich das gesagt? Das wollte ich nicht. Ich habe nur Angst. Ich habe Angst und rede daher Unsinn. Mach dir keinen Kopf. Du weißt doch, dass ich nur dummes Zeug plappere, wenn ich nervös bin.«

Ich beobachte, wie stille Tränen über Gavins Wangen laufen.

Gavin. Gavin Doran. Der heiße Typ aus meiner Jahrgangsstufe. Der von allen gemocht wird. Selbst von Eltern. Meinem zeitweiligen Freund. Der jetzt glücklich verheiratet ist. Nicht. Mit. Mir.

Allerdings ist das nicht das erste Mal, dass ihm in diesem Café durch meine Worte die Tränen gekommen sind. Beim letzten Mal waren wir siebzehn, kurz vor unserem Abschlusszeugnis, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin. Er ist zusammengebrochen und hat mir gesagt, dass seine Eltern ihn umbringen würden.

Gavins Eltern haben uns wirklich das Leben zur Hölle gemacht. Ich gebe ihnen immer noch die Schuld dafür, dass wir uns getrennt haben. Ihrer Meinung nach würden wir einen großen Fehler begehen, weil ein Baby unser Leben zerstören würde. Manchmal frage ich mich, wann genau Mr und Mrs Doran über die Jahre hinweg gemerkt haben, dass sie falschlagen. Denn Kayla ist das Beste, was Gavin und mir je passiert ist, und das wissen wir alle. Für Gavins Eltern mag ich vielleicht nicht gut genug gewesen sein, doch Kayla lieben sie abgöttisch.

»Es gibt Hoffnung. Die Ärzte sagen, dass noch Hoffnung besteht«, erkläre ich mit brüchiger Stimme. »Sie haben viel Positives gesagt, findest du nicht? Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. Sie haben was von …« Ich halte inne; plötzlich wird das kleine Café unglaublich groß. »Irgendetwas von …«

Oh Gott, ich habe keine Ahnung, was sie gesagt haben! Mich hat dermaßen die Angst gepackt, nachdem ich die Worte Kayla und Krebs in einem Satz gehört habe, dass alles, was der Arzt danach gesagt hat, komplett an mir vorbeigegangen ist. Und so, wie ich jetzt Gavin betrachte, wird mir klar, dass es ganz egal ist, ob ich mich daran erinnern kann oder nicht, denn alles, was ich sage, geht jetzt genauso an ihm vorbei.

Wie sind wir an diesen Punkt gelangt? Wie sind wir bloß an diesen Punkt gelangt? Gavin und ich, in einer solch unvorstellbaren Situation. Als ich Gavin gesagt habe, dass ich schwanger bin, habe ich ihm in die Augen geschaut und befürchtet, ihn gebrochen zu haben. Aber da habe ich falschgelegen. Richtig falschgelegen. Denn sein Gesichtsausdruck von damals ist nichts gegen die Art und Weise, wie er mich jetzt anschaut. Gavin zu sagen, dass Kayla in unser Leben treten wird, hat ihn keineswegs gebrochen. Aber Gavin zu sagen, dass Kayla uns vielleicht verlässt, hat ihn gebrochen. Wirklich.

»Operationen«, sagt Gavin schließlich. »Das ist der erste Schritt.«

Er nimmt seinen Kaffeebecher und setzt ihn an die Lippen, doch er trinkt keinen Schluck, bevor er ihn wieder absetzt.

Operationen, denke ich. Vielleicht? War von Operationen die Rede? Ich weiß es nicht. Im Krankenhaus ist so viel gesagt worden. So viele Begriffe, die ich nicht verstanden habe. Viele große Worte. Und ich habe Fragen gestellt.