Alles nur in meinem Kopf - Boris Nikolai Konrad - E-Book
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Alles nur in meinem Kopf E-Book

Boris Nikolai Konrad

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Beschreibung

Alles neuro oder was?

Warum vergessen wir etwas? Und erinnern uns nur, wenn wir dorthin zurückgehen, wo es uns eingefallen ist? Warum erinnern sich alte Menschen präzise an weit Zurückliegendes – aber nicht an gestern? Kann man mit regelmäßigem Gedächtnis-Training der Gefahr vorbeugen, an Alzheimer zu erkranken? Und wieso hat eine Nervenzelle eine Vorliebe für die Schauspielerin Jennifer Aniston?

Der mehrfache Gedächtnisweltmeister und Hirnforscher Boris Nikolai Konrad gibt einzigartige Einblicke in die geheimnisvolle Welt von Erinnern und Vergessen und präsentiert Erstaunliches, Verblüffendes und Wissenswertes über unser Gedächtnis. Seine Botschaft: Ein gutes Gedächtnis ist erlernbar!

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Jeden Tag nutzen wir es, aber kaum einer von uns weiß, wie es funktioniert: das Gedächtnis. Wir sehen es als Selbstverständlichkeit an. Und oftmals vergessen wir dabei, dass es genauso gepflegt werden muss wie unser Körper. Was aber ist eigentlich das Gedächtnis, und haben wir vielleicht sogar mehrere davon? Wo genau sitzt denn die Festplatte im Gehirn? Warum haben Londoner Taxifahrer ein größeres Gehirn als Gedächtnissportler, was hat eine Nacktschnecke namens Aplysia mit dem menschlichen Gehirn zu tun oder warum kann sich der Fußballer Christoph Kramer auch heute noch nicht an das WM-Finale 2014 in Brasilien erinnern, obwohl er dort auf dem Platz stand? Diese und viele weitere Fragen beantwortet der Gedächtnissportler, -trainer und -forscher Boris Nikolai Konrad. Er vermittelt unterhaltsam und informativ, welches Potenzial in unserem Kopf steckt, erklärt den Aufbau und die Funktion von Neuronen und Synapsen und berichtet Erstaunliches und Wissenswertes über das Erinnern und das Vergessen. Last but not least gibt der Autor Tipps, mit welchen Techniken wir unsere Gedächtnisleistungen verbessern können, und ist überzeugt: In jedem von uns schlummert ein Spitzengedächtnis.

Dr. Boris Nikolai Konrad, geboren 1984, ist Deutschlands Superhirn (ZDF). Der promovierte Neurowissenschaftler ist mit seinem Team mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport, hat vier Guinness-Weltrekorde aufgestellt und ist ein international gefragter Gast in Fernsehshows. Bereits seit 2006 ist er als Gedächtnistrainer und Vortragsredner aktiv, um Menschen bei der Verbesserung ihrer Gedächtnisleistung zu helfen. Auch wissenschaftlich beschäftigt er sich mit diesem Thema und erforscht außergewöhnlich gute Gedächtnisleistungen, derzeit am Donders Institute in Nijmegen (NL).

Boris Nikolai Konrad

ALLES

NUR IN

MEINEM

KOPF

Die Geheimnisse unseres Gehirns

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2016 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe

Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Dr. Henning Thies

Illustrationen: Selma Koopman, Sketch & Strategy, Utrecht

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie, Zürich,

unter Verwendung eines Fotos von Bart van Dieken

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-18788-0V002

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel: Was ist das Gedächtnis?

Die Gedächtnisevolution • Sabbernde Hunde soll man nicht wecken • Was trinkt die Kuh? • Das Gedächtnis einer Nacktschnecke

»Eben wusste ich es doch noch«

Ultrakurzzeitgedächtnis • Kurzzeitgedächtnis • Langzeitgedächtnis

»Das muss im anderen Gedächtnis sein«

Deklaratives Gedächtnis: »Das weiß ich!« • Prozedurales Gedächtnis: »Das kann ich!« • Autobiografisches Gedächtnis: Ans Leben erinnern • Prospektives Gedächtnis: Sich erinnern werden

2. Kapitel: (K)eine Festplatte im Gehirn

Haben Sie Ihr Gehirn dabei?

Neuronen • Synapsen • Dem Gedächtnis auf derSpur • Besondere Zellen im Gehirn

Wo im Gehirn ist die Festplatte?

Vielleicht im Hippocampus? • Oder doch im Frontalhirn? • Überall und nirgendwo?

Jeder hat ein Superhirn

Ab in die Röhre • Die Hirne der Gedächtnissportler

Gut vernetzt

Neuronale Netze

Eine Nacht drüber schlafen

Gedächtniskonsolidierung • Gut schlafen für das Gedächtnis

Ein Leben lang

Vor der Geburt • Kindheit • Pubertät • Erwachsene • Im Alter

Das kranke Gehirn

Demenz und Alzheimer • Amnesien • Flashback

3. Kapitel: Vom Lernen, Erinnern und Vergessen

Lernen

Ordnung ist das halbe Leben • Ob wir wollen oder nicht • Experte müsste man sein • »Hey Gehirn, weiß ich das noch?«

Menschen, Bilder, Emotionen

Intelligenz • Aufmerksamkeit • Motivation • Emotionen • Immer so ein Stress • Was braucht das Gehirn dafür? • Schule, Ausbildung, Studium – geht das nicht besser?

Erinnern

Auf Abruf • Es liegt mir auf der Zunge • Abrufstrukturen schaffen • »Ich bin mir nicht sicher!« – Falsche Erinnerungen • Augenzeugenberichte

Vergessen

4. Kapitel: Gedächtnistraining

Use it or lose it

Schlau durch Gehirnjogging?

Gedächtnistechniken

In Bildern denken • Schlüsselwortmethode • Namen merken • Geschichtenmethode • Routenmethode • Zahlen merken • Spielkarten merken • Alles merken

Dafür hab ich doch mein Smartphone

Alles ist möglich, oder etwa nicht?

Gedächtnissport • Nichts ist unbegrenzt

Danksagung

Wichtigste Quellen

Lohnenswerte Videos

Sach- und Fachbücher

Wissenschaftliche Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Das Gedächtnis. Es ist zu wunderbaren Dingen fähig und wartet andererseits mit wundersamen Fehlern auf. Wir erwarten, dass es bestens funktioniert, ohne es zu verstehen. Und wir ärgern uns sehr, wenn es einmal nicht so arbeitet wie gewünscht. Gut, das ist auch bei unserem Auto nicht anders. So viel Anerkennung und Aufmerksamkeit wie unser Auto bekommt unser Gedächtnis aber oft nicht. Wenn wir eine tolle Idee haben, dann ist das »unsere« Idee! Aber wenn wir etwas vergessen, dann ist »das Gedächtnis« schuld. Wie gut ihr Gedächtnis ist, merken viele erst, wenn sie einmal versuchen, etwas absichtlich zu vergessen. Wobei das Problem hier schon anfängt. Was ist das überhaupt, das Gedächtnis? Wie viele Gedächtnisse haben wir? Wo kann ich ein Speicher-Upgrade kaufen, und was war noch mal die Frage?

In Ihren Händen halten Sie ein Buch über das Gedächtnis, das es so noch nicht gegeben hat. Es ist natürlich auch ein Buch über das Gehirn. Heute wissen wir, dass beides untrennbar zusammengehört. Unsere Erinnerungen, also der Gedächtnisinhalt, sind irgendwie da drin »gespeichert«. Darüber, wie das Gehirn Gedächtnis macht, werden Sie lesen, auch über Nervenzellen mit einem Faible für Jennifer Aniston und über Gedächtnissysteme, die keine Sekunde vorhalten. Sie werden erfahren, wieso unser Gehirn uns oft nur vorspielt, sich zu erinnern, und ob wir wirklich nie etwas vergessen. Über das Gehirn kursieren viele unsinnige Behauptungen, etwa über kreative Hirnhälften oder über 90-prozentige Brachflächen, die nur geweckt werden müssten. Natürlich mit dem richtigen Drink, der richtigen Kreativtechnik oder dem neusten Gerät zum Auf-den-Kopf-kleben.

Als promovierter Psychologe weiß ich, warum diese Bilder verfangen, und als Neurowissenschaftler weiß ich, dass sehr vieles davon Quatsch ist. Zugleich bezeichne ich mich selbst als Neurowissenschaftler, obwohl es »Hirnforscher« ebenfalls täte. Aber »Neuro-« vorneweg zieht halt immer noch. Als Vortragsredner und Gedächtniskünstler, der ich ebenfalls bin, will ich mein Publikum überdies unterhalten. Da gibt es dann nichts Schöneres als Vereinfachungen und lustige Beispiele. Im vorliegenden Buch werden Sie diese ebenso finden wie Erklärungen, wann sie zutreffen und wann es dann doch komplizierter ist. Auf den folgenden Seiten werden Sie auf die Suche nach der Festplatte im Gehirn gehen und erfahren, wann Vergessen normal ist und wann nicht mehr. Sie werden lernen, was Lernen bedeutet, und auch einige Techniken kennenlernen, mit denen Sie Ihre Gedächtnisleistung deutlich verbessern können.

Ein Trainingsbuch halten Sie allerdings nicht in der Hand. Statt wie in einem Ratgeber einfache Tipps zu bekommen, die mal funktionieren und mal nicht, werden Sie viel über Ihr Gedächtnis lernen, was es ist und wie es funktioniert, sodass Sie später viel besser selbst beurteilen können, was Sie tun können, um es zu verbessern, und wann sich das lohnt. Wer will, kann tatsächlich selbst zum »Superhirn« werden. Ein solches tragen Sie, sicher verpackt unter Ihrer Schädeldecke, ohnehin mit sich herum. Mit der Geburt wird es in eine Welt gesetzt, die es in wenigen Jahren in sich aufnimmt und uns verständlich macht. Es kann jede Sprache lernen und jede Tätigkeit. Trotzdem ist das Gehirn eines indischen Arztes natürlich anders als das eines dänischen Fischers. Es hat sich das gesamte Leben über dorthin optimiert und wahnsinnig viel gelernt. Da darf es auch mal eine Telefonnummer oder einen Namen vergessen, ohne dass es uns betrügt. Wer dagegen gerade für solche Inhalte mit einem besonders guten Gedächtnis aufwartet, wird oft beklatscht, aber zumindest bei uns auch mal kritisch beäugt.

Ich weiß, wovon ich rede, denn ich darf inzwischen regelmäßig in Fernsehshows und auf Vortragsbühnen als Gedächtniskünstler auftreten. Auch bei den Gedächtnismeisterschaften ist die Konkurrenz inzwischen sehr stark. Die Wertschätzung unterscheidet sich aber beachtlich. Solche Wettkämpfe kommen bei uns eher in Unterhaltungsshows wie Deutschlands Superhirn und der Grips-Show vor, aber eher am Rande. Viele fragen mich daher: »Was ist denn das überhaupt, eine Gedächtnismeisterschaft? Ist das wie bei den Olympischen Spielen? Nur halt ohne Muskeln? Gibt es da Dopingkontrollen auf Traubenzucker? Jubelt das Publikum da ganz leise, weil sich alle so konzentrieren müssen?« Manch einer erwartet auch die Weltmeisterschaft der Supernerds, was zumindest seit der Fernsehserie The Big Bang Theory kein schlechtes Bild mehr ist. Tatsächlich finden sich bei offiziellen Turnieren, bei Gedächtnismeisterschaften viele Menschen unterschiedlichen Alters zusammen, um in Aufgaben wie Namen-, Wörter- oder Zahlenmerken die Besten zu küren. Dafür wird viel trainiert, weshalb ich auch ohne größeren Bewegungsanteil den Namen Sport gerechtfertigt finde!

Anders ist tatsächlich die Wertschätzung in Asien. Da ist unser Sport in den letzten Jahren rasant angewachsen. Das sieht man gut an einem Beispiel: Bei der Weltmeisterschaft 2013 in London belegte das mongolische Team in der Nationenwertung Rang drei. Als sie nach Hause flogen, wurden sie am Flughafen vom mongolischen Ministerpräsidenten empfangen, der Teamchef wurde »Sportler des Jahres« in der Mongolei und ist Jurychef einer Castingshow, also so etwas wie der Dieter Bohlen Ulaanbaatars. Die Philippinen wurden Zweiter. Das Team wurde vom nationalen Fernsehen empfangen, fast so wie bei uns die Fußballweltmeister, später im Parlament geehrt, und einzelne Sportler haben Vollstipendien erhalten, um als Profis Gedächtnissport machen zu können. Wir Deutschen haben gewonnen. Platz eins! Und das als Titelverteidiger. Ich wurde am Flughafen von meiner Mama abgeholt, die Lokalzeitung hat auf Seite drei kurz berichtet, aber dabei leider meinen Namen falsch geschrieben.

Jetzt will ich mich aber nicht zu viel beschweren, denn ich selbst erhalte ja oft die Gelegenheit, aufzutreten und mein Lieblingsthema bekannter zu machen. Oft werde ich dabei gefragt: »Sagen Sie mal, Herr Konrad, wann haben Sie denn gemerkt, dass Sie das können?« Da schwingt dann immer die Erwartung mit, ich hätte halt ein beeindruckendes Talent, etwas Unnatürliches, ja fast Abartiges. Manchmal sage ich dann: »Ganz einfach, das war damals im Physikstudium. Da hat mich diese radioaktive Spinne gebissen. Seitdem kann ich das.« Aber das ist natürlich Quatsch. Also nicht das Physikstudium, das gab es wirklich. Soviel zur Nerd-Frage. Das Spitzengedächtnis habe ich dagegen erst durch Gedächtnistraining erreicht.

Kurz bevor ich mein Abitur abgelegt habe, sah ich in einer Fernsehshow, wie Verona Pooth (damals noch Feldbusch) von einem Gedächtnistrainer einige Tipps bekam und sich extrem verbesserte. Der gewünschte Effekt – »Wenn die das kann, kann ich das auch« – zog bei mir und ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Die Methoden halfen mir im Studium enorm. Ich war immer ein guter, aber kein überragender Schüler gewesen, doch als Student konnte ich große Teile zweier Studiengänge in der Zeit von einem parallel studieren, großteils mit Bestnoten, und hatte obendrein noch genug Freizeit für mein neues Hobby, den Gedächtnissport. Die vielen Gedächtnisratgeber, die ich las, konnten mir aber nicht wirklich erklären, wie das Gedächtnis an sich funktioniert und warum es nicht von Natur aus alles behält. Wieso konnte ich diese Techniken lernen, die mein Gedächtnis so massiv verbesserten, und warum hat mir das früher keiner verraten?

So stellte ich während meiner Diplomarbeit fest, dass ich, statt Physik- und Informatikarbeiten zu lesen, lieber die Zugriffsmöglichkeit auf wissenschaftliche Datenbanken nutzte, um Fachartikel über Lernen und Gedächtnis zu suchen. Ich wollte mehr darüber wissen. Klar, auch die Hoffnung auf ein paar noch unbekannte Tipps für den Sport war mit dabei. Anfangs fehlte mir das Fachwissen, aber es waren tatsächlich einige spannende Dinge zu finden! So entschied ich mich nach dem Studienabschluss, die Chance zu nutzen und noch einmal die Fachrichtung zu wechseln, in München in Psychologie zu promovieren und im Rahmen meiner Doktorarbeit die Gehirne der weltbesten Gedächtnissportler selbst zu untersuchen. Keine Angst, das geht auch ohne Skalpell. Alle leben noch.

Auf den größten Fachtagungen der Gedächtnisforschung bin ich nun selbst als Wissenschaftler dabei und frage mich wiederum, warum die Kollegen ihre Erkenntnisse nicht auch allgemeinverständlich mitteilen. Nicht zuletzt darum bin ich heute am liebsten als Redner auf Events und als Gedächtnisexperte unterwegs und darum habe ich auch dieses Buch geschrieben. Ich möchte, dass möglichst alle Menschen die Chance haben zu erfahren, was für ein Wunderwerk ihr Gedächtnis ist, wie es funktioniert und warum manchmal auch nicht, und welche spannenden neuen Erkenntnisse der Forschung auch für unser Lernen und Leben relevant sind.

Um den Lesefluss zu optimieren, sind die Referenzen im Text kurz gehalten. Die jeweiligen Fachartikel, häufig englischsprachig, finden Sie im Literaturverzeichnis am Ende. Über Google Scholar oder andere Tools können Sie diese online ausfindig machen. Aufgelistet sind auch einige Videos, die von den jeweils Vortragenden an ein breites Publikum gerichtet und daher deutlich besser zu verstehen sind als die Fachpublikationen. Diese Videovorträge können mein Buch bestens ergänzen. Die Abbildungen im Buch dienen der Unterhaltung und Ergänzung, sind aber auch ein guter Weg, sich selbst zu überprüfen: Was können Sie nach dem Lesen eines Kapitels selbst zu den Abbildungen erzählen? Wenn Sie gerne behalten möchten, was Sie lesen, ist das ohnehin clever: Einfach jedes Mal, wenn Sie das Buch zur Seite legen oder zuklappen, kurz überlegen, was Sie vom Gelesenen noch wissen. Bei Fragen, Kommentaren, Lob und Kritik freue ich mich auf Ihre E-Mail an [email protected].

Ich kann Ihnen versprechen: Wenn Sie mein Buch gelesen haben, werden Sie über Ihr Gedächtnis nicht mehr dasselbe denken wie zuvor, schon allein weil Ihr Gehirn nicht mehr dasselbe sein wird. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Gehirn viele neue Erkenntnisse und vor allem viel Spaß dabei!

1 Was ist das Gedächtnis?

»Memory is everything. Without it we are nothing.«

ERIC KANDEL

Wer von Ihnen glaubt, ein gutes Gedächtnis zu haben? Wenn ich mit dieser Frage einen meiner Vorträge beginne, meldet sich kaum jemand. Klar, wir alle haben schon die Erfahrung gemacht, dass wir uns etwas gemerkt oder etwas gelernt haben, das jedoch, als wir uns daran erinnern wollten, auf einmal weg war. So entsteht bei vielen schnell der Eindruck: »Mensch, mein Gedächtnis scheint ja nicht allzu gut zu sein.« Es wird auch immer schlimmer: Immer mehr Menschen lassen sich den Namen ihres Partners auf den Körper tätowieren. Aber das natürlich nur aus Liebe. Oder?

Eigentlich ist hier nur unsere Wahrnehmung verzerrt: Wir ärgern uns, wenn der Schlüssel mal wieder nicht da ist, wo wir ihn vermuten, aber es passiert doch eher selten, dass jemand sagt: »Hey – du hast ja deine Schlüssel schon wieder dabei! Wow, schon das fünfte Mal hintereinander. Wahnsinn!« Dabei ist es tatsächlich Wahnsinn, was unser Gedächtnis zu leisten imstande ist. Was wir an ihm haben, merken wir erst, wenn es uns fehlt. Wer an Alzheimer erkrankt, verliert nicht nur Erinnerungen, sondern letztlich seine gesamte Persönlichkeit. Ohne Gedächtnis sind wir nichts – wie es der vielleicht berühmteste Gedächtnisforscher der Welt, Eric Kandel, so schön gesagt hat. Alles, was wir können, alles, was wir wissen, alles, woran wir uns erinnern, basiert auf der Fähigkeit unseres Gedächtnisses, Informationen aufzunehmen.

Ob auch Kandels Umkehrung des »Gedächtnis ist alles« stimmt, ist dagegen eine philosophische Frage. Vor allem, ob das Gehirn alles ist. Als Neurowissenschaftler neigt man hier leicht zur Überinterpretation. Allerdings ist auch die Angewohnheit mancher Philosophen, alles, was aus der Neurowissenschaft kommt, von vornherein abzulehnen, wenig sinnvoll. Heute wissen wir zwar, dass unser Gehirn in den Nervenzellen und -bahnen Informationen codiert, über Jahrzehnte hinweg und doch stetigen Änderungen unterworfen, aber wir können noch lange nicht genau erklären, wie das funktioniert. Einiges darüber haben wir allerdings schon gelernt, aus der klassischen Psychologie wie aus der Hirnforschung.

Während die Festplatte eines Computers auf den ersten Blick wie ein perfekter Speicher erscheint, in dem alles exakt so wie abgespeichert wieder abgerufen werden kann, ist unser Gedächtnis vergesslich. Und das ist auch gut so. Denn gerade seine Fähigkeit, sich ständig anzupassen, Dinge zu interpretieren und neu zu assoziieren, ermöglicht uns jene genialen Fähigkeiten, die ein Computer niemals haben kann. Mal den Schlüssel zu verlegen ist dafür ein geringer Preis.

Definiert wird Gedächtnis also als die Fähigkeit von Lebewesen, in ihren Nervensystemen Informationen aufzunehmen und wieder abzurufen. Dabei ist auch die Zwischenphase der Konsolidierung sehr interessant. Sie ist uns weniger bewusst, passiert sogar, während wir schlafen, und ist doch ein wesentlicher Aspekt. Dies allein hat schon einige spannende Folgen, etwa wenn wir uns überlegen, wie kurz unser Gedächtnis sein kann. Als Gedächtnissportler habe ich viel Arbeit investiert, um bestimmte längerfristige Gedächtnisleistungen zu optimieren. Als Hirnforscher interessieren mich die wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu. Vor allem aber bin ich, wie Sie sicher auch, von der Frage fasziniert, was Gedächtnis eigentlich ist. Eine einfache oder konkrete Antwort darauf gibt es nicht, aber doch zahlreiche spannende Erkenntnisse. Meine Perspektive darauf möchte ich gerne mit Ihnen teilen!

Die Gedächtnisevolution

Seit wann gibt es denn so etwas wie ein Gedächtnis? Wie alle anderen Lebewesen sind auch wir als moderne Menschen ein Produkt der Evolution. Homo sapiens heißt unsere Art und gilt als einziges Lebewesen mit Kultur, Geschichtsfähigkeit und Sprache. Die außerordentliche Intelligenz hat uns als einzige Menschenart überleben lassen, dank unseres leistungsstarken Gehirns. Doch Evolution braucht Zeit. Rund 650 Millionen Jahre benötigte die Entwicklung von den ersten Nervenzellen in wirbellosen Tieren bis zum menschlichen Gehirn. Den modernen Menschen gibt es erst seit rund 200000 Jahren, vielleicht auch ein erstes Sprachvermögen. Nach anderen Theorien geschah dieser Schritt erst vor rund 100000 Jahren, und ausgeprägte Sprachsysteme sind noch neueren Datums, nämlich erst rund 35000 Jahre alt.

Noch vor wenigen Tausend Jahren führten unsere Vorfahren ein zwar nicht einfacheres, aber doch deutlich überschaubareres Leben. Im Gedächtnis musste lediglich gespeichert werden, wo es Schutz gab, wo Nahrung und wo Gefahr drohte. Soziale Gruppen bestanden aus wenigen Dutzend Personen. Zu denen musste sich der Steinzeitmensch nur merken, ob es sich um Freunde oder Feinde handelte. Aber nicht Name, Arbeitgeber und Handynummer. Bei einer Lebenserwartung von unter 30 Jahren war Altersdemenz wahrlich keine Herausforderung. Erst vor rund 10000 Jahren, in der Jungsteinzeit, wurde der Mensch sesshaft. Mit dem Ackerbau begann die neolithische Revolution, und die Gruppengrößen nahmen zu. Geschriebene Sprache, die über Symbole hinausgeht, ist jedoch erst wenige Tausend Jahre alt. Und jetzt, im 21. Jahrhundert nach Christus, machen wir uns bereits Sorgen, was moderne Technik mit uns anstellt und wie vor allem Computer und Bildschirme unser Gehirn und Gedächtnis beeinflussen. »Das neue Medium macht süchtig. Es schadet langfristig dem Körper und vor allem dem Geist. […] Wenn wir unsere Hirnarbeit auslagern, lässt das Gedächtnis nach«, schreibt etwa Manfred Spitzer 2012 in Digitale Demenz.

Ein anderer Gedanke: »Das neue Medium ist gefährlich und schädigt, denn es produziert Vergesslichkeit, weil Anwender ihr Gedächtnis nicht mehr benutzen […] und sich einbilden, etwas zu verstehen, obwohl sie nichts verstanden haben.« Ist auch das ein Spitzer-Zitat? Nein, das ist sehr frei übersetzt eine Aussage von Platon aus dem fiktiven Dialog zwischen Sokrates und Phaidros (Phaidros 274b, 275). Mit diesen Vorbehalten kritisierte der griechische Philosoph circa 400 Jahre vor Christus Erfindung und Einsatz der Schrift.

Evolution hört nicht auf. Vor etwa 35000 Jahren war das Gehirn des Steinzeitmenschen sogar noch ein wenig größer als unseres heute. Doch in den 10000 Jahren seit dem Entstehen von Gesellschaften und erst recht in den nicht einmal zweieinhalb Jahrtausenden zwischen den beiden Zitaten von Platon und Spitzer hat die Evolution unser Gehirn nicht wesentlich verändern können. Nur die bereits veranlagte unglaubliche Lernfähigkeit des Gehirns ermöglicht es uns, mit der heutigen Welt zurechtzukommen. Dass unser Gedächtnis aber nicht auf unsere heutige Informationsflut, ja noch nicht einmal auf die Schrift optimiert ist, liegt an der rasanten Entwicklung der Menschheit. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir uns das Gedächtnis anschauen, und das können wir nutzen, wenn wir unsere Gedächtnisleistung verbessern wollen!

Sabbernde Hunde soll man nicht wecken

Der russische Verhaltensforscher Iwan Pawlow (1849–1936) hat es mit seinen Hunden in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Wenn Pawlows Hunde vor der Fütterung jeweils eine Glocke hörten, reichte nach einer Weile bereits der Glockenton aus, um die Speichelproduktion zu aktivieren. Dass es dieses Verhalten auch beim Menschen gibt, zeigen Pubs mit Sperrstunde: Beim Ertönen der Glocke für die letzte Runde verspüren die meisten dort noch einmal ungeheuren Durst.

Tatsächlich handelt es sich um eine Gedächtnisleistung. Dass ein Hund einspeichelt, wenn er Futter sieht, ist ein angeborener Reflex und noch kein erlerntes Verhalten. Normalerweise führt auch das Bimmeln der Glocke nicht dazu. Erst durch die Verknüpfung von Reiz und Verhalten, klassische Konditionierung genannt, wird dieses Verhalten ausgelöst und damit gelernt. Umgekehrt ist auch ein Ent-lernen möglich: Wenn der Hund nach der Konditionierung häufig die Glocke hört und dann kein Futter bekommt, hört der Speichelfluss als Reaktion auf den Glockenton wieder auf. Hat der Hund diese Verbindung dann wieder vergessen? Nicht unbedingt. Sollten irgendwann Glocke und Futterangebot wieder aneinander gekoppelt sein, ist der erlernte Speichelreflex ganz schnell wieder da.

Hundebesitzer, die jetzt an Klickertraining denken, sind übrigens schon eine Stufe weiter. Klicker sind ungefähr das, was Kinder als Knackfrosch kennen. Gut, heutige Kinder wohl auch nicht mehr, aber die haben dann sicher eine App dafür. Ein Klicker ist jedenfalls ein kleines Gerät zur Erzeugung akustischer Signale durch Knopfdruck (»Klick«). Der Hundebesitzer macht das sinnvollerweise am Anfang des Trainings immer dann, wenn der Hund ein Leckerli bekommt. Dies führt zu klassischer Konditionierung. Auf den Klickton hin beginnt der Speichel zu fließen.

Nun ist das Sabbern aber noch nicht das eigentlich gewünschte Verhalten. Stattdessen wird der Klicker nun bei gutem Verhalten des Hundes genutzt. Das Tier lernt, dass diesem gewünschten Verhalten ein Klick folgt, und der steht für Leckerli, also etwas Gutes. So wird das erstrebte Verhalten schneller gelernt. Dieses Verfahren heißt operante Konditionierung. Wer sich jetzt fragt: »Ist das beim Menschen auch so?«, denkt dabei hoffentlich nicht an sein eigenes Baby. Wobei – eine Google-Suche nach »Klickertraining für Babys« bringt erschreckend viele Treffer hervor.

Natürlich gibt es Konditionierung auch beim Menschen – in jeder Form; es ist eine wichtige Form von Lernen. In Experimenten etwa bekommen die Versuchspersonen (Probanden) einen Stromstoß, wenn sie bestimmte geometrische Formen sehen. Das führt nach kurzer Zeit dazu, dass sie stärker schwitzen und ihr Gehirn eine Angstreaktion zeigt – auch dann, wenn sie die betreffende Form ohne Schock sehen. Das ist klassische Konditionierung. Anschließend bekommen sie meist ein Honorar. Das führt dazu, dass sie das auch noch toll finden und gerne wiederkommen. Das ist dann operante Konditionierung.

Sinnvolle Anwendungen findet das Ganze in der Verhaltenstherapie. Ängste sind oft falsche Verbindungen im Gehirn, und wenn der Spinnenphobiker oft genug erlebt hat, dass das Ansehen einer Spinne doch keine negativen Folgen hat, kann er das betreffende Verhaltensmuster auch wieder entlernen. Selbst bei Therapien wie Biofeedback spielt diese simple Form von Lernen eine Rolle.

Nicht zuletzt kennen wir das Phänomen auch beim Placeboeffekt, den schon Pawlow bei einem seiner Hunde feststellte: Das Versuchstier bekam eine Zeit lang Medizin, die zum Erbrechen führte. Bald erbrach sich der Hund dann auch nach einer Spritze ohne Wirkstoff. Dieser Vorgang funktioniert auch umgekehrt, eben wenn wir die Erfahrung gelernt haben, dass das Einnehmen einer Medizin oder das Erhalten einer Spritze zu Besserung führt. Dann lässt oft auch das Nehmen einer Placebomedizin oder das Spritzen einer Kochsalzlösung Besserung verspüren.

Was trinkt die Kuh?

Mein Lieblingsfußballverein heißt VfL! Das nur am Rande. Nennen Sie nun bitte eine Stadt im Ruhrgebiet. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie jetzt an Bochum gedacht haben und nicht an Dortmund, Essen oder Hattingen, ist durch den obigen Satz größer geworden, zumindest sofern Sie jemals vom VfL Bochum gehört haben. Bei mir als Fußballfan wiederum löst die Nennung dieses Namens automatisch Emotionen wie Leid, Begeisterung, Schmerz und Glück aus. Auch das nur am Rande.

In diesem Zusammenhang spricht man von Priming-Effekt. Gemeint ist damit, dass die vorherige Erwähnung eines Wortes die Wahrscheinlichkeit späterer Antworten und Assoziationen verändert. Auch das hat natürlich mit dem Gedächtnis zu tun, da die betreffende Information nicht mehr unmittelbar parat war. Für uns Gedächtnisforscher spannend ist, dass dieser Effekt sehr tief geht. So können etwa Patienten mit gewissen Amnesien, also Gedächtnisausfällen, sich an die eigentliche Information nicht mehr erinnern. Gleichwohl wirkt der Priming-Effekt trotzdem. In meinem Beispiel wüsste ein solcher Patient auf Nachfrage vielleicht nicht mehr, welches Vereinskürzel ich zuvor genannt habe, aber auf die Frage nach der Stadt würde er trotzdem eher Bochum sagen.

Priming scheint auch beim Verhalten eine Rolle zu spielen. So gingen etwa in einer Studie Probanden auf einer angeblich unbeobachteten Strecke zwischen zwei Räumen langsamer, nachdem man ihnen im ersten Raum im Rahmen einer Aufgabe Begriffe präsentiert hatte, die mit dem Altsein zusammenhingen. Doch wie es in der Forschung so ist: Die Ergebnisse sind nach einer Studie oft nicht eindeutig. Darum wird weiterhin diskutiert, wie weit solche Effekte wirklich gehen.

Priming gehört wie die Konditionierung zum impliziten Gedächtnis, geschieht also unbewusst. Unser Gedächtnis läuft nämlich auch auf der unbewussten Ebene ab. Wir können das nutzen, um uns selbst zu überlisten. Vor meinen Wettbewerben erinnere ich mich zum Beispiel an Erfolgserlebnisse. Das führt dazu, dass mein Gehirn unbewusst schneller auf die für weitere Erfolge wichtigen Informationen zugreift. Zum anderen wiederhole ich vor dem eigentlichen Turnier die Informationen, die in der Meisterschaft vorkommen können. Durch dieses vorherige Priming werde ich dann etwas schneller sein als ohne diese Vorbereitung – zwei Arten von Priming, die mir als Denksportler helfen. Bei jeder Form von Prüfung oder Aufgabe, die für Sie ansteht, können auch Sie genauso vorgehen und davon profitieren: An Erfolge denken und überlegen, welche Inhalte vorkommen!

Und was trinkt jetzt die Kuh? Wer den Witz noch nicht kennt und schnell antworten soll, sagt meistens: »Milch!« Der Gedanke »Kuh« führt zum Priming-Effekt »Milch«. Die Milch jedoch wird von der Kuh gegeben, sie selbst trinkt Wasser.

Das Gedächtnis einer Nacktschnecke

Der Mensch hat mehr kognitive Fähigkeiten als ein Tier und kann daher über sein Handeln nachdenken. Mit dem Klicker neben dem Ehepartner in der Küche zu stehen wird also nicht zum gewünschten Ziel führen. Allerdings sind die Grundlagen des Gedächtnisses über einen sehr langen Zeitraum entstanden, und die unbewussten Gedächtnisprozesse funktionieren in unserem Gehirn nicht anders als bei den meisten Tieren auch. Je ähnlicher das Gehirn, desto ähnlicher die Prozesse. Beim Primatenhirn ist die Ähnlichkeit besonders ausgeprägt, aber auch das der meisten anderen Säugetiere weist große Ähnlichkeit zum Menschenhirn auf. Deshalb basiert viel davon, was wir über unser Gehirn und Gedächtnis wissen, auf Tierversuchen, so kontrovers diese auch sein mögen.

Während in Studien mit Ratten oder Mäusen meist das Verhalten untersucht wird, hat der berühmte österreichisch-amerikanische Hirnforscher Eric Kandel das Gehirn einer Meeresschnecke erforscht. Aplysia heißt sie oder auch Seehase, und sie hat Kandel den Nobelpreis eingebracht. An dieser Stelle sei der Porträtfilm Auf der Suche nach dem Gedächtnis (2009) über Kandels Werk wärmstens empfohlen.

Aber warum Aplysia? Das menschliche Gehirn hat Milliarden von Zellen, circa 86 Milliarden nach Schätzung der letzten großen Studie. Das sind zwar nicht so viele, wie es Sterne in der Milchstraße gibt, aber doch ganz schön viele. Viel zu viele und viel zu klein, um sie einzeln zu untersuchen. Aplysia dagegen hat bloß 20000 davon. Daher dachten sich Kandel und seine Kollegen, statt Prozesse in einem komplizierten System nur mäßig gut verfolgen zu können, sei es besser, lieber in einem einfachen System genauer hinzuschauen. In der Tanzschule lernt man in der ersten Stunde ja auch nicht gleich einen improvisierten Tango, sondern fängt mit den ersten Schritten eines langsamen Walzers an. Darum also zunächst das einfache Schneckenhirn.

Auch dort gibt es ein Gedächtnis. Zwar kann sich eine Meeresschnecke keine Namen merken und auch keine Zigtausend Stellen von Pi, aber auch sie lernt, etwa durch Konditionierung. Erfolgreiche Dinge sind evolutionär immer weitergegeben worden. Unser Gehirn kann viel mehr als das von Aplysia, es hat viel mehr Gehirnregionen, die sich auf Aufgaben spezialisieren, aber auf der untersten Ebene sind viele Mechanismen doch gleich. Dank Kandel und seinen Nachfolgern wissen wir vieles über Gedächtnisbildung auf molekularer Ebene. Tiermodelle und Studien bei Menschen erlauben uns, mehr über die Spezialisierung bestimmter Gehirnregionen oder auch einzelner Nervenzellen zu lernen. Kognitionspsychologen können in Versuchen mit Probanden zeigen, dass es sehr unterschiedliche Gedächtnissysteme gibt, und Studien mit Kernspintomografen zeigen, dass viele unterschiedliche Gehirnregionen daran beteiligt sind. Dank dem Engagement und Interesse von Gedächtnisforschern und Neurowissenschaftlern weltweit wächst dieses Wissen zudem täglich.

Doch all das ergibt noch lange kein Gesamtbild. Eine genaue Antwort auf die Frage, wie unser Gedächtnis funktioniert, gibt es daher noch nicht. Während die Festplatte im Computer genau definierten Regeln folgt und einmal aufgenommene Informationen genauso wieder bereitstellt, ist das im Gehirn anders. Über Millionen von Jahren der Evolution ist ein enorm komplexes System entstanden, das wir noch lange nicht detailliert verstehen können. Trotzdem wissen wir schon ganz schön viel. Etwa, dass wir Menschen nicht nur ein Gedächtnis haben, sondern unsere Gedächtnisleistung in viele »Gedächtnisse« aufteilen können. Im Rest des ersten Kapitels möchte ich Sie gerne mit Ihren Gedächtnissen bekannt machen.

ENDE DER LESEPROBE